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Ein spannender Fall für Chefinspektor Egger Seit Tagen regnet es im Salzburger Land, das Wasser strömt in Sturzbächen die Hänge der Berge hinunter. Nach einem Murenabgang wird eine Leiche entdeckt. Die junge Frau scheint schon eine Weile tot zu sein. Chefinspektor Egger und sein Team übernehmen die Ermittlungen. Einziger Anhaltspunkt für die Identität der Frau ist ein Medaillon mit zwei Fotografien im Inneren. Wer ist die unbekannte Tote und wieso musste sie sterben? Von Walter Bachmeier sind bei Midnight by Ullstein erschienen: Mord in der Schickeria (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 1) Mord an der Salzach (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 2) Mord in der Alpenvilla (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 3) Mord im Pinzgau (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 4) Mord in der Berghütte (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 5) Mord am Wildkogel (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 6) Affären, Alpen, Apfelstrudel (Chefinspektor Egger Fall 1) Berge, Brotzeit, Bauernherbst (Chefinspektor Egger Fall 2) Koppeln, Kühe, Kaseralm (Chefinspektor Egger Fall 3) Morde, Matsch, Marillenknödel (Chefinspektor Egger Fall 4) Diebe, Dörfer, Dampfnudeln (Chefinspektor Egger Fall 5) Gauner, Glühwein, Geigenklänge (Chefinspektor Egger Fall 6)
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Veröffentlichungsjahr: 2018
Walter Bachmeier, geboren 1957 in Karlsruhe, wuchs in Münchsmünster in der Hallertau auf. Nach seiner Ausbildung zum Koch begann er unter dem Pseudonym zu schreiben. Sein erstes Werk war ein Kochbuch, das sehr erfolgreich verkauft wurde. Dies gab ihm den Ansporn, seinen Beruf aufzugeben und weiter zu schreiben. Im Laufe der Jahre entstanden so mehrere Erzählungen, Kinderbücher und Artikel in verschiedenen Tageszeitungen. Seit etwa 2012 widmet er sich voll und ganz der Literatur. Immer wieder finden in seinen Büchern auch Erlebnisse aus seinem Leben Platz.
Ein spannender Fall für Chefinspektor Egger
Seit Tagen regnet es im Salzburger Land, das Wasser strömt in Sturzbächen die Hänge der Berge hinunter. Nach einem Murenabgang wird eine Leiche entdeckt. Die junge Frau scheint schon eine Weile tot zu sein. Chefinspektor Egger und sein Team übernehmen die Ermittlungen. Einziger Anhaltspunkt für die Identität der Frau ist ein Medaillon mit zwei Fotografien im Inneren. Wer ist die unbekannte Tote und wieso musste sie sterben?
Walter Bachmeier
Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de
Midnight ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinJuli 2018 (1)
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018Umschlaggestaltung:zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com
ISBN 978-3-95819-160-0
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Der Autor / Das Buch
Titelseite
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Rezepte
Brandteig
Kartoffelknödel
Marillenknöderl
Leseprobe: Berge, Brotzeit, Bauernherbst
Empfehlungen
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Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Kapitel 1
Seit Wochen regnete es in Strömen. Die Flüsse waren angeschwollen und es drohte Hochwasser. Die Bauern entlang der Salzach lauschten in der Nacht auf das Rauschen des Flusses. Man kannte das bereits aus den letzten Jahren. Jedes Mal, wenn es Hochwasser gab, veränderte sich das Geräusch. Es klang anders. Nicht lauter und nicht leiser als sonst. Aber eben anders. Die Wachmannschaften der Feuerwehren entlang des Flusses waren in steter Alarmbereitschaft. Alle hofften, dass es endlich aufhören würde zu regnen. Aber auch das wäre kein Garant dafür, dass es kein Hochwasser gab. Da der Regen auch in den Bergen in Strömen fiel, kamen zusätzliche Wassermassen dazu, selbst wenn es im Tal trocken zu werden schien. Bei den Krimmler Wasserfällen waren es zum Beispiel von der Quelle bis zum Wasserfall achtzehn Kilometer, die das Wasser zurücklegen musste, ehe es in schäumender Gischt zu Tale rauschen konnte.
Ängstlich beobachteten die Leute die Fälle. Je mehr von oben floss und unten ankam, umso höher stieg der Wasserpegel der Salzach an. Schon oft war es vorgekommen, dass selbst Orte wie Mittersill unter Wasser standen. Die Straßen und Bahngleise waren unterspült worden und somit beinahe der gesamte Verkehr lahmgelegt.
Auch in diesem Jahr schien es so weit zu kommen. Erste Anzeichen dafür waren die Murenabgänge, die sich entlang des Flusses ereigneten. Teils waren sie harmlos, aber manchmal rissen sie auch ganze Häuser und Siedlungen mit in die Tiefe. Straßen wurden unpassierbar und Wiesen und Almen rutschten regelrecht ins Tal ab.
Chefinspektor Martin Egger lebte schon seit seiner Kindheit im Tal. Sorgenvoll sah er aus dem Fenster seines Hauses in Zell am See.
»Moanst es hert boyd auf?«, fragte ihn Julia, seine Frau.
»I hoffs. Herst as? Do geht scho wieda de Sirene. Hoffentli is do koan wos passiert«, antwortete er nachdenklich.
»Papa? Spielst du eine Runde Autorennen mit uns?«, fragte Moritz, einer seiner beiden zwölfjährigen Söhne, hoffnungsvoll. Martin und Julia sprachen Hochdeutsch mit den Kindern, um deren Sprachgedächtnis zu schulen.
Die Zwillinge Max und Moritz stammten aus seiner ersten Ehe mit Leni, die bei einem tragischen Unglück ums Leben gekommen war. Die beiden waren rechte Lausbuben, und so unterschiedlich, als ob sie keine Zwillinge wären. Moritz war schlank und schlaksig, hatte blonde Haare, blaue Augen und Sommersprossen wie seine Mutter. Er war auch der lebhaftere der beiden. Während er gern mit seinen Freunden Fußball spielte und sich am liebsten draußen aufhielt, zog sich Max, der Ruhigere, lieber mit einem Buch in sein Zimmer zurück und las. Er war etwas pummeliger geraten, hatte dunkelbraune gelockte Haare wie sein Vater und die braunen Augen stammten ebenfalls unzweifelhaft von Martin. Aber Moritz hatte ein besonderes Talent, das Max manchmal abwertend als unnütze Zeitverschwendung bezeichnete: Moritz war musikalisch hochbegabt, was er ebenfalls von seiner Mutter hatte, die Musikerin in Salzburg gewesen war und dort auch zeitweise gelehrt hatte. Julia, Martins jetzige Frau, hatte ebenfalls eine Ausbildung im Salzburger Mozarteum genossen und unterrichtete manchmal zu Hause andere Kinder. Das Zusatzeinkommen tat der ganzen Familie gut.
»Ich hab dich gefragt, ob du mit uns Autorennen spielst«, wiederholte Moritz etwas ungehalten.
»Später vielleicht, aber nicht jetzt.«
»Oooch Papa, nie hast du Zeit für uns. Heut musst du nicht arbeiten. Du hast doch frei und da könntest du doch …«
»Ich hab gesagt, ein bisserl später«, antwortete Martin und fügte hinzu: »Es könnt ja sein, dass …«
»Du wieder gerufen wirst? Dann sollten wir umso schneller mit dem Spielen anfangen. Wer weiß, wie lange du zu Hause bist. Außerdem ist das Wetter draußen selbst für Verbrecher zu schlecht. Da gehen die sicher nicht raus«, widersprach Moritz.
»Na gut, dann spiel ich halt jetzt mit euch«, gab Martin lächelnd nach. Er wusste genau, dass Moritz recht hatte. Viel zu oft musste er die beiden vernachlässigen. Stets kam irgendetwas dazwischen. Mal war es ein Mord, mal ein Überfall oder etwas anderes, das seinen Einsatz erforderlich machte. Er ging mit Moritz nach oben, wo Max bereits auf sie wartete.
Moritz grinste seinen Bruder an und hielt ihm die flache Hand hin. »Her mit der Schokolade!«
Martin schaute ihn verblüfft an. »Was soll das jetzt?«, fragte er.
»Max hat mit mir gewettet, dass ich es nicht schaffe, dich zum Spielen zu bewegen. Wie du siehst, hab ich gewonnen!«
Missmutig drückte ihm Max eine Tafel Schokolade in die Hand. »Da hast du sie. Aber das nächste Mal gewinne ich«, sagte er.
Martin setzte sich auf die Bettkante, von wo man einen guten Blick auf den Fernseher hatte.
Moritz drückte ihm einen Controller in die Hand und forderte ihn auf: »Du nimmst den roten Wagen, ich den blauen und Max kann den grünen nehmen.«
Es wurde ein spannendes Rennen. Mal war Max vorne, mal Moritz. Martin schafft es nicht, die beiden zu besiegen. Immer wieder bat er um Revanche. Die Jungs hatten sichtlich Spaß daran, ihn verlieren zu sehen.
Als sie bei der vierten Runde angelangt waren und Martin es endlich schaffte, an den beiden vorbeizukommen, hörte er Julia rufen: »Martin? Martin! Telefon!«
»Ich komm gleich!«, rief er zurück.
»Beeil dich! Es ist deine Dienststelle!«
Bedauernd drückte Martin Moritz den Kontroller in die Hand. »Ihr habt es gehört. Ich muss rangehen. Vielleicht ist es wichtig.«
»Ach, nicht schon wieder«, sagte Max enttäuscht und seufzte.
»Ich kann nichts dafür. Tut mir leid.« Martin verließ das Zimmer. Unten an der Treppe stand Julia mit dem Telefon. Sie drückte es ihm in die Hand. Martin nahm es und meldete sich: »Egger?«
»Herr Chefinspektor. Zentrale Zell hier. Wir haben eine Leiche. Sie müssen sofort nach Krimml fahren. Dort ist eine Mure abgegangen und dabei eine Leiche aufgetaucht. Herr Faltermeier ist bereits unterrichtet. Er wartet vor seinem Haus auf Sie.«
»Gut. Ich fahr gleich los. Wo sagten Sie ist der Murenabgang genau?«
»In Krimml beim Bahnhof.«
»Ist sonst jemand verletzt worden?«
»Nein, sonst niemand. Es ist auch keine neue Leiche. Es ist ein Fund.«
Martin legte auf und sagte zu Julia: »Host as ghert? I muaß los.«
»Bei dem Sauweda?«
»Ja, es hüft nix. I muaß durt hi.«
Martin nahm seine Jacke vom Haken, zog sie an und fuhr zu Josef, seinem Freund und Kollegen. Der wartete schon auf der Straße vor seinem Haus auf ihn. Mit hochgezogenem Jackenkragen lief er auf und ab, als sich Martin näherte.
Er riss die Beifahrertüre auf und stieg ein. »Geht so wos nit schnölla? I bin noß bis auf de Haut.«
»I kon aa nit fliang«, bekam er zur Antwort. Martin hatte wegen des starken Regens langsam fahren müssen. Es dauerte daher auch noch eine ganze Weile, bis sie an der Unglücksstelle ankamen. Schon von Weitem waren die blinkenden Blaulichter der Einsatzfahrzeuge zu sehen. Dazwischen blitzten die gelben Leuchten der Bauhofsfahrzeuge. Die Straße war von der Feuerwehr abgesperrt worden, und so blieb Martin nichts anderes übrig, als sein Auto auf dem Parkplatz des Bahnhofs abzustellen.
Sie stiegen aus. Gewohnheitsmäßig ging Martin an den Kofferraum und öffnete ihn. »Mist varreckta!«, schimpfte er, als er hineinblickte.
»Wos is?«, fragte Josef neugierig, der neben ihn getreten war.
»Do schau eini! I hob koane Gummistiefe nit dabei.«
Normalerweise hatte Martin für solche Einsätze sowohl Gummistiefel als auch Bergschuhe für sich und Josef in seinem Kofferraum. Ganz einfach, um für alle Fälle gewappnet zu sein. Aber auch von den Bergstiefeln war nichts zu sehen.
»De hob i beim letztn Moi mit ins Haus gnumma. De Julia hots ma butzt«, versuchte er zu erklären.
»Ja und du host as nimma ins Auto einidoa«, kombinierte Josef vorwurfsvoll.
»Und iatz?«, fragte Martin.
»Iatz wean mer woih mit unsane Sunntogsschuah in den Dreck einigeh miaßn«, meinte Josef.
Martin schlug den Deckel zu. Sie zogen ihre Jackenkragen hoch und rannten über die Straße. Am gegenüberliegenden Straßenrand blieben sie stehen und betrachteten den Bereich, in dem die Leiche gefunden worden war, erst einmal von außen. Knöcheltief stand der Schlamm in der Wiese. Überall hatten sich Wasserlachen gebildet. Dennoch befanden sich etliche Männer darauf. Augenscheinlich waren dies nicht nur ihre Einsatzkräfte, sondern auch Beamte der Polizeistation in Neukirchen. Sie trugen weiße Bauhelme. Andere Helfer wiederum blaue oder rote. Zwei oder drei Mann liefen geschäftig mit gelben Helmen auf dem Kopf hin und her. Sie gaben Anweisungen, die Martin und Josef von ihrem Standpunkt aus nicht verstanden. Martin schüttelte es bei dem Gedanken, den Sumpf mit seinen Schuhen, die er sich erst vor Kurzem neu gekauft hatte, betreten zu müssen.
»Was ist jetzt mit euch? Wollt ihr Wurzeln schlagen?«, rief ihnen eine bekannte Frauenstimme zu.
»Andrea?«, fragte Martin erstaunt und schaute in die Richtung, aus der die Stimme kam.
Dort stand sie. Trotz der widrigen Umstände sah sie aus wie eine junge Göttin. Selbst die gelbe Jacke und der weiße Helm auf ihrem Kopf konnten sie nicht verunstalten. An den Füßen trug sie rote Gummistiefel, mit denen sie so tief im Schlamm steckte, dass das Wasser oben hineinlief. Sie stapfte mit großen Storchenschritten auf sie zu. Dabei verursachte sie schmatzende Geräusche. Es dauerte ein wenig, aber endlich erreichte sie die beiden.
»Wieso bist du schon hier?«, fragte Martin. Er und Josef redeten nur miteinander im Dialekt. Mit Andrea oder anderen sprachen sie Hochdeutsch. Dies war so vereinbart, um Verständnisprobleme zu vermeiden. Auch Andrea war es lieber, nicht im Dialekt zu sprechen. So brauchte sie keine Rücksicht darauf zu nehmen, ob jemand in der Nähe war.
»Ich war halt ein bisserl schneller als ihr«, meinte sie und lachte. »Nein, Blödsinn. Ich war mit Karli und Beppi drüben in Krimml. Wir wollten mal wieder richtig gut essen. Aber dann …«
»Klingelte das Handy und du musstest los?«, ergänzte Josef.
Sie nickte nur. Dann schaute sie die beiden von oben bis unten an. »So könnt ihr da nicht reingehen. Ihr versaut euch eure Klamotten. Außerdem braucht ihr Helme.«
»Helme? Wozu das denn? Hier kann doch nichts herunterfallen«, fragte Josef erstaunt.
»Das ist schon richtig. Aber das hier ist im Moment eine Baustelle, und auf Baustellen hat man einen Helm zu tragen. Egal, ob was runterfallen kann oder nicht. Das ist Vorschrift, sagt der Bauleiter«, erklärte Andrea.
Ein Mann in leuchtend gelbem Arbeitsanzug kam auf sie zu. Er trug zwei Helme in den Händen, die er Martin und Josef reichte. Er sagte: »Aufsetzen. Sonst kommen Sie mir nicht aufs Gelände!«
»Sind Sie der zuständige Mann hier?«, fragte Martin.
»Was heißt zuständig? Hier ist jeder zuständig. Auch Sie, sobald Sie nur einen Fuß in den Schlamm stecken«, antwortete er und schaute dabei auf die Füße der beiden. »Aha? Stiefel gibt’s wohl bei euch nicht?«, fragte er herablassend.
»Doch, aber …«
»Einen Moment«, sagte der Bauleiter und unterbrach Martin. Er ging davon und stapfte dabei mit seinen gelben Gummistiefeln ebenso im Storchenschritt wie zuvor Andrea. Etwa hundert Meter weiter stand ein Container, in dem der Mann verschwand. Kurz darauf kam er wieder heraus. Er hatte zwei Paar gelbe Gummistiefel dabei. Als er bei Martin und Josef ankam, reichte er ihnen die Stiefel. »Ziehen Sie lieber die an. Um Ihre Schuh wär’s schad.«
Martin nickte dankbar und zog einen Schuh aus. Mit dem Schuh in der Hand versuchte er, seinen Fuß in den Stiefel zu stecken. Dabei hüpfte er auf einem Bein hin und her. Er hatte große Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten.
Andrea hielt sich die Hand vor den Mund und kicherte. »Weißt du, wie du ausschaust? Wie ein einbeiniger Frosch in brauner Jacke«, sagte sie.
»Du hast gut lachen. Du hast deine Stiefel ja schon an«, knurrte er beleidigt. Josef grinste ebenfalls. »Grins ned so bled! Hüf ma liaba!«, schimpfte Martin. Endlich hatte Martin seine Stiefel an.
»Herr Egger, Herr Faltermeier! Kommen Sie bitte?«, rief jemand aus der Mitte des Sumpfes.
»Da wird nach dir verlangt«, sagte Josef, griff sich Martins Schuhe und entfernte sich damit.
»Nach dir aber auch!«, rief ihm Martin hinterher. Josef ging zum Auto, dort wechselte er ebenfalls das Schuhwerk. Martin richtete den Helm auf seinem Kopf gerade und wagte einen Schritt in den Sumpf. Schon beim ersten Schritt versank er mehr als knöcheltief in der braungrünen Masse. Dabei verlor er das Gleichgewicht und wäre wohl gestürzt, wenn ihn Andrea nicht an der Hand gehalten hätte.
»Komm, alter Mann. Lass dir helfen«, stichelte sie.
»Ich bin kein alter Mann«, murrte er, war aber dennoch dankbar, dass ihm Andrea half, als er den nächsten Schritt tat.
»Du musst langsam gehen. Gaaanz langsam«, erklärte ihm Andrea.
Wieder versank er im Morast und hatte Mühe, nicht hinzufallen. Der nächste Schritt war noch mühsamer als der erste, denn dafür musste er den Fuß aus dem Schlamm ziehen. Saugende und schmatzende Geräusche waren zu hören. Martin hatte das Gefühl, als würde jemand an den Stiefeln ziehen. Er fühlte sich wie ein angehender Seiltänzer, als er Schritt für Schritt an Andreas Hand weiterging. Endlich waren sie bei dem Kollegen angelangt, der nach ihm und Josef gerufen hatte. Er war von der Spurensicherung.
»Himmeherrschaftkreizkruzifix no amoi!«, erklang plötzlich eine Stimme hinter ihnen. Ohne sich umzudrehen wusste Martin, dass es Josef war, der da so unanständig fluchte.
Andrea aber wandte sich um. »Um Gottes willen!«, rief sie, ließ Martins Hand los und rannte so schnell es ging zu Josef. Natürlich dauerte es eine Weile, denn Andrea musste aufpassen, dass sie nicht hinfiel. Martin drehte sich nun ebenfalls um. Er sah Josef, der vornüber im Schlamm lag und hilflos winkte. Dann war Andrea bei ihm angelangt und half ihm auf die Beine. Martin wandte sich dem Kollegen zu, der sich offenbar ein Lachen nicht verkneifen konnte.
Er fragte ihn: »Und? Was haben Sie für mich?«
Der Kollege zeigte zu einem Frontlader, der unweit des Abhangs in der vormals grünen Wiese im Morast stand. »Dort auf der Schaufel liegt eine Leiche. Wir können nicht erkennen, ob es ein Mann oder eine Frau ist. Der Gerichtsmediziner ist aber schon da und untersucht sie.«
Martin hob einen Fuß. Er merkte sofort, dass er wieder ins Schwanken geriet. Also ließ er den Fuß sinken.
»Das muss man erst lernen«, sagte der Kollege und grinste ihn an.
»Können Sie es denn schon?«, fragte ihn Martin.
»Na ja, so ganz klappt’s auch noch nicht. Aber wenn man sich langsam bewegt, geht es«, antwortete der.
Vorsichtig und langsam machte Martin weitere Schritte. Dabei spreizte er die Arme weit vom Körper, um das Gleichgewicht besser halten zu können. Mittlerweile war seine Jacke völlig durchnässt, und er spürte die Feuchtigkeit bis auf die Haut durchdringen. Er verfluchte sich selbst, dass er nicht draußen auf der Straße gewartet hatte. Aber alles Fluchen und Schimpfen half nichts. Er musste da jetzt durch. Koste es, was es wolle. Bei jedem Schritt fühlte es sich an, als ob er zentnerschwere Gewichte an den Beinen hätte. Endlich kam er bei dem Baufahrzeug an.
Erschöpft hielt er sich daran fest, bis er Otto den Gerichtsmediziner hörte: »Wo bleibst du denn? Ich schwimm hier gleich weg!«
»Ich komm ja schon!«, rief Martin und hangelte sich an dem Lader bis zur Schaufel nach vorne.
»Was haben wir?«, fragte Martin schnaufend.
Otto zeigte auf die Schaufel. »Da, es ist nicht mehr viel übrig von der Leiche. Ich kann jetzt noch nicht sicher sagen, ob es ein Toter oder eine Tote ist. Das weiß ich erst, wenn ich die Überreste genauer angeschaut hab.«
»Aber einen Verdacht hast du?«
»Na ja, weißt du, eigentlich möchte ich darüber noch nichts sagen. Aber sie sieht mir ganz nach einer jungen Frau aus. Da ist noch eine Gürtelschnalle zu erkennen. So eine trägt normalerweise kein Mann. Außerdem steckt an einem Fingerknochen noch ein Ring. Den werde ich aber erst in der Gerichtsmedizin entfernen.«
»Wie lange liegt sie schon hier?«, fragte Martin.
»Ich schätze so etwa anderthalb bis zwei Jahre?«
Endlich war auch Josef angekommen. Gestützt von Andrea stand er neben dem Lader.
Martin sah ihn an. »Woaßt wia du ausschaugst?«, begann er lachend. »Wia a indischer Schlammspringer!«
»Ha. Sötn so glacht. Di mecht i sehng, wann du in Dreck einifoist!«
»A so steigst mer aba nit in mei Auto«, sagte Martin zu ihm.
»Des wead i woih miaßn, wann i nit z’Fuaß laffa soy«, antwortete Josef.
»Das kriegen wir dann schon hin«, meinte Andrea und versuchte, den beiden den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Martin hielt sich an der Laderschaufel fest, als er nähertrat, um sich die Reste der Leiche noch einmal genauer anzuschauen. Er konnte nicht viel erkennen. Er sah nur einen Haufen Knochen, einen skelettierten Schädel und etwas Gelbgrünes in der Mitte des Skeletts. Das schien die Gürtelschnalle zu sein, von der Otto zuvor gesprochen hatte. »Wer warst du?«, fragte Martin leise.
»Die Antwort wirst du von ihr nicht bekommen«, sagte Andrea trocken.
»Weißt du eigentlich, wie die Leiche gefunden wurde?«, fragte Martin Andrea.
»Ja, ich hab mit dem Bauleiter gesprochen. Die haben eine Meldung hereinbekommen, dass hier eine Mure abgegangen sei. Gemeinsam mit der Feuerwehr sind sie dann hierhergefahren. Es gab zwar keine nennenswerten Schäden, aber der Dreck musste aus der Wiese. Sie haben dann den Lader und einen Laster von einer Baufirma kommen lassen, der sollte den Dreck wegbringen. Dabei ist das Skelett zutage gekommen.«
Sie stapften zurück zur Straße. Der Rückweg durch den Schlamm war einfacher als der Hinweg. »Fahren wir ins Büro?«, fragte Martin.
»Nein, ich noch nicht. Ich komm später nach. Ich muss erst meine nassen Sachen loswerden«, erwiderte Andrea.
»Steht dir übrigens gut«, meinte Josef.
»Was?«, fragte Andrea.
»Dieser gelbe Mantel. Wo hast du den denn her? Ich hätt auch so einen brauchen können. Ich bin nass bis auf die Haut«, sagte Josef.
»Den hab ich vom Bauleiter bekommen. Er hat gmeint, dass es doch schad wär, wenn so eine hübsche Frau wie ich nass werden tät«, sagte sie und lächelte.
»Viel geholfen hat’s aber nicht.«
»Nein, nicht wirklich. Ich bin trotzdem pitschnass.« Sie zog die Jacke aus. Martin und Josef gaben ihr ihre Helme.
»Die bring ich später zurück. Der Bauamtsleiter hat gesagt, es pressiert nicht so. Ich kann sie im Bauhof abgeben. Die Gummistiefel auch«, erklärte Andrea. Martin und Josef entledigten sich auch noch der Gummistiefel, die sie bei Andrea in den Kofferraum warfen.
Martin sperrte den Wagen auf. Josef wollte so wie er war einsteigen, doch Martin protestierte: »Ich hab gesagt, dass du mir so nicht in mein Auto kommst!«
»Wie soll ich sonst ins Büro kommen? Fliegen kann ich nicht!«, erwiderte Josef.
»Dann fahrst eben mit der Andrea«, erwiderte Martin.
»Nein, nein, nein! Das kommt überhaupt nicht infrage. Du steigst nicht bei mir ein. Jedenfalls nicht so!«, protestierte Andrea.
Josef schaute hilflos um sich. »Was jetzt? Wie soll ich heimkommen?«, fragte er.
»Kommens, Herr Kommissar«, sagte der Bauleiter, der die Auseinandersetzung mitbekommen hatte. »Setzen Sie sich in meinen Laster. Ich bring Sie heim.« Er zeigte auf einen Lkw, der am Straßenrand stand.
»Wie? So wie ich ausschau?«, fragte Josef.
»Das macht doch nichts. Der ist innen eh dreckig und da kommt’s auf das bisserl auch nicht mehr an«, antwortete der Bauleiter und grinste ihn an. Josef warf noch einen zornigen Blick zu Martin und Andrea. Der Bauleiter half ihm in den Lkw einzusteigen, da die Stufen hoch zum Führerhaus recht steil waren. Dann fuhren sie alle gemeinsam ab.
Andrea und Josef waren bereits im Büro, als Martin dort ankam. »Na? Wie geht’s euch?«, fragte er.
»Wie man’s nimmt«, antwortete Andrea. »Mich frierts und der Herr Josef meint, ihm wär’s hier im Büro zu warm. Ständig macht er das Fenster auf«, sagte Andrea und zog die Schultern hoch. Sie hatte einen dicken Wollpulli an und einen wollenen Schal um den Hals gewickelt.
»Also ich find’s ganz angenehm«, meinte Martin und zog seinen Mantel aus.
»Du bist ja grad erst gekommen«, winkte Josef ab.
»Haben wir schon irgendwelche Ergebnisse, Andrea?«, fragte Martin.
»Nein, bisher noch nichts. Die SpuSi ist ja noch draußen beim Suchen und Otto meint, das dauere noch ein wenig.«
»Aber ich hab was!«, rief Josef freudig und zog einen kleinen Plastikbeutel aus der Tasche.
Er gab ihn Martin. »Hier, das hat der Bauleiter gefunden und mir gegeben. Er hat gemeint, das könne vielleicht wichtig sein«, erklärte er.
Martin schaute den Beutel an und hielt ihn dann gegen das Licht. Er konnte aber nicht genau erkennen, was sich darin befand. »Und? Was soll das sein?«, fragte er deshalb Josef.
»Das ist ein Medaillon mit einer Kette dran. Das haben die Arbeiter im Dreck gefunden. Vielleicht gehört’s ja zu unserer Leiche?«
Martin gab ihm den Beutel zurück. »Bring das Ding zur Kriminaltechnik. Die sollen sich drum kümmern. Vielleicht hat das ja jemand anderes verloren.«
Josef verließ das Büro.
Martin nahm Platz. »Was glaubst du, Andrea? Könnte es sich bei der Toten um eine der Vermissten von uns hier handeln?«
Andrea schnäuzte sich. »Muss ja eigentlich. Irgendjemandem muss sie ja gefehlt haben«, meinte Andrea schniefend und schnäuzte sich abermals. »Könntst du mal bitte die Heizung höher drehen? Ich frier wie ein nasser Hund«, bat Andrea.
Martin ging zum Heizkörper und drehte am Thermostat. »Die ist voll aufgedreht. Wärmer geht’s nicht mehr.«
»Aber mir ist kalt«, beschwerte sie sich und holte ihren Mantel von der Garderobe.
»Du willst doch nicht hier im Büro …?«
»Warum, nicht? Soll ich hier sitzen und erfrieren?«, gab sie zurück und schlüpfte in den Mantel. Sie zog ihn vorne zusammen. »Könntst du mir bitte einen Braunen holen? Ich brauch jetzt was Warmes zum Trinken«, bat sie Martin.
»Ich hol dir eine Suppe aus dem Automaten. Das ist besser«, antwortet er.
»Automatensuppe? Pfui Teufel! Dann lieber nichts!«
Martin sah sie besorgt an. »Ich fürcht, du hast dich erkältet da draußen.«
»Ja, haaa… haaatschiee. Das befürchte ich auch.«
»Zum Wohlsein. Ich glaub, es ist besser, wenn du heimfährst und dich in ein heißes Bad legst. Karli soll dir einen Tee mit Rum machen«, schlug Martin vor.
»Tee mit Rum? Ach geh, schleich dich mit so was! Das trink ich nicht!«, näselte sie.
»Dann eben ein heißes Bad und danach sofort ins Bett!«
»Aber wer macht meine Arbeit hier?«
»Vanessa natürlich. Ich ruf sie an. Die kommt sicher gerne.«
»Heut am Sonntag? Das glaub ich weniger«, erwiderte Andrea.
»Ach was. Wenn sie hört, dass du erkältet bist, kommt sie sicher.«
»Aber sie hat doch eh schon so viele Überstunden. Tu ihr das nicht an. Ich glaub, sie wollte heut mit ihrer Mutter was unternehmen.«
»Bei dem Wetter?«, sagte Martin und zeigte aus dem Fenster. Draußen goss es immer noch wie aus Kübeln.
»Na ja, Man kann ja auch ins Museum gehen oder nach Salzburg fahren. Da gibt’s immer was zu sehen. Auch wenn man nicht raus kann«, meinte Andrea.
»Ob die Vanessa kommt oder nicht – du fährst sofort heim und legst dich ins Bett«, bestimmte Martin streng.
»Ich hab gedacht, ich soll erst ins heiße Bad?«
»Das kannst du halten, wie du willst. Ab jetzt!«, befahl Martin.
»Aber meine Arbeit?«
»Ich hab gesagt, ich ruf die Vanessa an und jetzt Schluss mit der Diskussion!«
Josef kam zurück. »Was ist? Was sagen die Kollegen?«, fragte ihn Martin.
»Tja, das Kettchen könnte tatsächlich zu der Leiche gehören. Die Oxidation weist jedenfalls darauf hin, dass es so lange im Boden gelegen sein könnte. Die haben das Medaillon auch aufgemacht und da waren zwei Bilder drin, offensichtlich zwei Frauen. Da …«
»Dann haben wir ja Bilder … Haaatschieee! Damit können wir an die Presse!«, freute sich Andrea.
»Leider nicht«, bremste Josef ihren Enthusiasmus. »Die Bilder sind bereits so verwittert, dass man kaum mehr etwas erkennen kann. Die …«
»Haatschieee! Die Technik müsste das doch irgendwie … hatschie! Hinkriegen?«
»Jetzt reicht’s, Andrea. Du hockst dich jetzt in dein Auto und fährst heim. Ich kann dich hier so nicht arbeiten lassen!«, sagte Martin laut.
Andrea sah ihn beleidigt von der Seite an, als sie aufstand und zur Türe ging.
»Oiso? Wos soggt de KTU no?«, fragte Martin Josef.
»Oiso de vo da KTU moanan, do hot de Andrea scho recht, dass se zumindest probiern kenna, ob de Büdl nit wieda zum Rekonstruiern gangatn. Aba mia hom no wos«, sagte Josef und blinzelte geheimnisvoll.
»Und des waar?«
»In dem Medaillon sand nit nur Büdl gwen. Do woarn aa Hoar drin. Wos des zum Bedeitn hot, wissen de Kollegen no nit. In am kloana Plastikbeitl. Des kanntat gonz voschiedene Bewandtnisse hom. Leicht sand des Hoar vo am Kind, leicht Hoar vo am Mo oda a Frau. Des miassns erscht no untasuacha.«
»Hmmm. Wos mach mer dann iatz? Mia kennan an dem Foi no nit oarbatn, weil mer ja no koane Ergebnisse nit hom«, überlegte Martin laut.
»Nacha foahrn mer hoit wieda hoam«, schlug Josef vor.
»Hom mer nit no Berichte und Protokolle zum Schreim?«, fragte Martin.
»Ja, scho, aba …«
»Nix aba. De wean iatz gschriem, sunst wead des nix meah. Wenn mer scho do sand, dann wead a goarbat!«
Weder Josef noch Martin schrieben gern Berichte oder Protokolle. Dafür hatten sie eigentlich Vanessa. Inspektorin Vanessa Bieringer war eine neue Ermittlerin, die noch nicht lange im Team war. Eine schwere Schussverletzung, die sie sich bei einem Einsatz mit Martin zugezogen hatte, zwang sie dazu, Innendienst zu leisten. Dazu gehörte natürlich auch das Schreiben der ungeliebten Berichte. Martin wollte Vanessa dann doch nicht bei ihrem Ausflug mit ihrer Mutter stören, und so mussten Josef und Martin ihre Schreibarbeiten wohl oder übel selbst erledigen. Natürlich hätte das auch bis zum nächsten Tag Zeit gehabt, aber Martin mochte keine aufgeschobenen Dinge. So setzten sie sich an ihre Plätze und schrieben ihre aufgelaufenen Dokumente.
Sie schrieben etwa zwei Stunden. Draußen wurde es allmählich dunkel und es regnete immer noch.
Jemand klopfte an die Bürotür. »Herein!«, rief Martin und schaute auf die Türe.
Otto, der Gerichtsmediziner, betrat das Büro. Er trug einen Schnellhefter bei sich, den er Martin auf den Tisch legte. »Hier, mein vorläufiger Bericht. Ich hab alles zusammengefasst, was ich bisher gefunden hab. Die Identität der Leiche ließ sich noch nicht feststellen, aber ich hab das Gebissschema an die Zahnärzte im Land weitergeleitet. Ich hoff, dass ich bis morgen Abend erste Nachrichten bekomme.«
»Gut, Otto. Was kannst du uns schon sagen?«, fragte Martin.
»Was glaubst du, warum ich euch den Ordner gebracht hab? Lest selber nach. Viel ist es ohnehin nicht«, antwortete Otto ungehalten.
Martin nahm seufzend den Hefter und schlug ihn auf. Es waren tatsächlich nur wenige Blätter, die er darin vorfand. Enttäuscht schloss er ihn wieder. »Das ist alles? Mehr hast du nicht?«
»Leider nein. Mehr war in der kurzen Zeit nicht rauszufinden.«
»Na ja, dass das Opfer weiblich war, haben wir ja so schon festgestellt. Dazu …«
»Ich hab das noch mal forensisch überprüft. Du hast recht, es handelt sich bei der Leiche um eine Frau. Etwa neunzehn Jahre alt, von stabiler Statur, ich würd sagen, sie stammt von einem Bauernhof oder hat auf einem gearbeitet. Sie war eins siebzig groß. Des Weiteren hab ich festgestellt, dass sie mit ziemlicher Sicherheit mit einem dünnen Draht stranguliert wurde. Eine Klaviersaite oder so. Es gibt entsprechende Spuren am Halswirbel.«
»Was noch?«, fragte Josef.
»Lies das! Dann weißt du es«, antwortete Otto und zeigte auf den Ordner.
»Jetzt komm schon, Otto. Wir wissen doch, dass du gerne referierst. Also lass uns an deinem Wissen teilhaben«, erwiderte Josef.
Otto seufzte. »Na gut. Dann will ich mal nicht so sein. Also, wie ich weiter festgestellt habe, hatte sie vor geraumer Zeit einen Bruch der Tibia, also des Schienbeins. Der ist aber gut verheilt. Ferner einen Bruch der Elle, was aber erst etwa sechs bis acht Wochen vor ihrem Tod passiert sein muss. Der Kallus ist noch nicht ganz gebildet.«
»Das ist doch schon was!«, sagte Josef freudig.
»Moment!«, bremste ihn Otto. »Ich bin noch nicht fertig! Ich hab dann noch eine leichte S-Skoliose, also eine Rückgratverkrümmung, festgestellt. Woher die kommt, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Es gibt verschiedene Ursachen. So gibt es die juvenile …«
»Halt Otto! Danke, das reicht. Fachchinesisch verstehen wir ohnehin nicht. Sie hatte also so etwas wie einen Buckel?«, unterbrach ihn Martin.
»Na ja, wenn ihr das so nennen wollt. Ich dagegen …«
»Es reicht, Otto!«, riefen beide unisono.
»Wie sieht es mit DNA aus? Hast du da schon was?«, fragte Martin.
»Gut, dass du das ansprichst. Die DNA-Auswertung dauert noch ein wenig. Aber ich hab von der KTU Haarproben bekommen.«
»Was heißt das nun wieder?«, fragte Josef dazwischen.
»Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mich nicht immer unterbrechen würdest«, meinte Otto scheinbar beleidigt.
»Entschuldige bitte. Aber ich kann es eben nicht erwarten, bis du uns deine Wissensergüsse mitgeteilt hast. Also? Was ist mit den Haaren?«
»Also, die Technik hat mir Haarproben gegeben. Die stammen aus dem Medaillon. Zunächst dachte ich ja, dass da vielleicht genetische Spuren zu finden wären. Aber …«
»Die sind vernichtet, weil sie zu alt sind?«
Otto schaute Martin missbilligend an und fuhr fort: »Nein. Es gab keine genetischen Spuren daran, denn die Haare wurden augenscheinlich abgeschnitten und dann aufbewahrt. Die DNA lässt sich vor allem durch Körperzellen bestimmen, die der Haarwurzel anhaften. Ich zeig dir das mal«, sagte Otto und griff nach Martins Haaren.
Martin schlug seine Hand weg. »Untersteh dich.«
»Na dann eben nicht. Aber du weißt, was ich meine. Das ist genauso wie bei den Zähnen. Da kann man anhand der Zahnwurzel noch nach Jahren DNA sichern.«
»Und in diesem Fall nicht?«
»Nein, ich sagte doch, dass da kein Material dran ist. Ich glaube aber, dass sie einer Erwachsenen gehörten.«
»Unserer Leiche vielleicht?«, mutmaßte Josef.
»Vielleicht. Aber das kann ich nicht sagen, dafür gibt es bisher keine Hinweise.«
»Ist das alles?«, fragte Martin.
»Vorläufig ja. Aber wir sind an der Analyse dran. Die weiteren Ergebnisse könnt ihr euch später aus dem System holen.«
»Gut, Otto. Dann danke ich dir schon mal für deine Erläuterungen. Entschuldige bitte, dass wir dich ein paar Mal unterbrochen haben«, sagte Martin.
»Ist schon gut. Ich versteh ja eure Neugier. Also servus die Herren!«, sagte Otto und verließ das Büro.
»So. Iatz föht uns bloß no a Bericht vo da SpuSi«, meinte Josef.
»Schaun mer hoit glei amoi noch«, antwortete Martin darauf und tippte Daten ein. »Do hob i wos!«, rief er aus.
Er las still und kam zu keinem Ergebnis. »Oiso, wos de rausgfundn hom, bringt uns koa Stückerl weida«, meinte er enttäuscht.
»Mit dene Fotos aa nit?«, fragte Josef.
»Naa, no nit. Des dauert no. Des is in Oarbat. De hom des an eahnan Spezialistn weidagem«, erklärte Martin.
»Oiso? Moch mer weida mit unsana Schreiberei?«, fragte Josef.
»Moch mer weida.«
Nach einer halben Stunde öffnete sich die Bürotür. Eine junge Frauenstimme rief: »Hallo? Bin ich hier richtig bei der Mordkommission? Ich hab gehört, hier wird eine Schreibkraft gebraucht?«
»Vanessa!«, riefen Martin und Josef unisono.
»Was machst du denn hier?«, fragte Martin.
»Ich habe Andrea angerufen, weil ich von ihr ein Rezept gebraucht hab, und dann erfahren, dass sie krank ist. Da war mir klar, dass ihr dringend Hilfe gebrauchen könnt. Andrea hat zwar gemeint, dass das nicht notwendig sei und ich meine Freizeit genießen soll, aber ich kann euch doch nicht im Stich lassen. Da hätte ich ein schlechtes Gewissen«, antwortete Vanessa fröhlich. »Was ist mit euren Berichten? Her damit«, sagte sie und begab sich zu ihrem Platz.
Als Martin und Josef keinerlei Anstalten machten, ihr das Gewünschte zu geben, forderte sie noch einmal: »Also? Was ist jetzt? Rückt sie schon raus. Ich will arbeiten!«
»Aber du hast doch frei«, wunderte sich Josef. »Mir würde nicht im Traum einfallen an einem freien Tag freiwillig zu arbeiten.«
»Dir nicht, aber mir. Zumal ich seh, dass hier Not an der Frau ist«, sagte sie und grinste.
»Aber du hast auch jede Menge Überstunden. Du musst die doch abbauen?«, warf nun Martin ein.
»Ach was Überstunden! Ich hock lieber hier, als draußen im Regen rumzulaufen«, erwiderte sie.
»Und deine Mutter? Was sagt sie dazu? Andrea meinte, du wolltest den Tag heut mit ihr verbringen«, wunderte sich Martin.
»Ach was. Mama ist heut fix und fertig. Sie hat gestern wieder eine Chemo bekommen und da kann sie meist eh nicht so, wie sie gerne möchte«, erklärte sie. »Also? Was ist jetzt? Bekomm ich die Unterlagen oder nicht?«
Erleichtert, von der ungeliebten Schreibarbeit erlöst zu sein, gaben Martin und Josef ihr, was sie verlangte.
Ohne zu klopfen trat Gerhard Meiler von der Spurensicherung ein. Zunächst bemerkte Martin nicht, dass er sich im Raum befand. Erst als Meiler ihm einen Schnellhefter auf den Tisch legte, sah er überrascht auf. »Gerhard? Hast du schon was für uns?«
»Das will ich meinen. Die ersten Ergebnisse stehen hier im Protokoll. Die sind auch bereits im System.«
»Und? Gibt’s was Besonderes?«
»Ja, das gibt es. Es betrifft den Ring, der gefunden wurde.«
»Ja und? Was ist damit?«
»Die Brillanten, die da drauf sind, sind keine Brillanten. Das sind Zirkonia«, erklärte Meiler.
»Aha? Also nichts Wertvolles?«
»Jetzt nicht mehr. Früher ja. Der Ring war sicher so seine zehntausend Euro wert. Jetzt hat er allerdings nur noch Materialwert von ein paar hundert Euro.«
»Und? Was heißt das für uns?«
»Darf ich?«, fragte Meiler und zeigte auf den Stuhl neben Martins Schreibtisch.
»Ja, sicher.« Martin machte eine einladende Geste auf den freien Platz neben sich.
»Die Sache ist die«, begann Meiler. »Der Ring selbst wurde sicher von einem Juwelier gemacht. Nach Maß. Irgendwann kam die Besitzerin in Geldnot und wollte den Ring verkaufen. Wahrscheinlich aber hatte sie das entsprechende Zertifikat nicht. Deshalb hat ihn auch keiner angekauft. So wie ich die Lage sehe, hat die Besitzerin dann die Steine ausgetauscht und die echten verkauft.«
»Welcher Juwelier bei uns hier macht so etwas? Wer tauscht echte Brillis mit Zirkonia aus? Da muss doch kriminelle Energie dahinterstecken? Für Diamanten braucht man doch auch einen Herkunftsnachweis?«
Meiler hob die Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht hat sie das in Deutschland oder Italien machen lassen?«
»Nun gut. Hast du sonst noch etwas, das für uns wichtig sein könnte?«
»Wie man’s nimmt. Bei den Fotos in dem Medaillon – also ich seh da keine große Chance, da jemals wieder was zu erkennen. Wir haben es probiert. Die Bilder sind zwar etwas besser geworden, aber Passbilder sind es nicht gerade.«
»Aber man kann erahnen, ob es sich darauf um einen Mann beziehungsweise eine Frau handelt?«
»Das schon, ja. Aber sicher kann man nur sein, wenn man Originale hat. Zum Vergleich, verstehst du?«
»Dann schick mir mal die Bilder rüber. Vielleicht kann man ja …«
»Vergiss es, Martin. Mehr als unsere Leute da rausbekommen haben, bringt keiner raus«, widersprach Meiler.
»Aber ihr habt doch sicher Fotos von dem Medaillon gemacht? Die könnten wir an die Presse geben und fragen, wer es kennt, beziehungsweise, wer den Besitzer kennt?«, warf Josef ein.
»Natürlich. Das können wir«, bestätigte Meiler.
»Na, dann macht das mal«, forderte ihn Martin auf.
Meiler verließ das Büro wieder.
»So! Ich hab’s!«, rief Vanessa. »Was liegt noch an? Was darf ich noch für euch tun?«, fragte sie.
Josef und Martin sahen sich ratlos an.
»Eigentlich nichts«, antwortete Martin.
»Ich habe auch nichts mehr«, sagte Josef.
»Was haltet ihr davon, wenn wir drei zusammen was trinken gehen?«, fragte Vanessa.