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Hochprozentig Mord!
Im schottischen Balfour herrscht Aufruhr. Gleich am ersten Abend von Abigail Logans Whisky-Seminar wird ein Teilnehmer ermordet. Er hat unlautere Finanzgeschäfte aufgedeckt. Oder hat er selbst davon profitiert? Wollte sich jemand an ihm rächen? Viele im Ort haben Geld verloren, und auch einige aus der Seminargruppe haben ein Motiv. Abigail geht der Sache auf den Grund – und wird Zeugin eines zweiten Mordes ...
Spannung und ein Gläschen Humor in schottischem Flair: ein neuer Fall für Abigail Logan.
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Seitenzahl: 445
Schon am ersten Abend von Abigail Logans Whiskykurs in der Destillerie Abbey Glen gibt es einen Toten. Was wie Selbstmord aussieht, entpuppt sich bald als Mord. Doch wer wollte sich an dem Mann rächen, der einen Finanzskandal aufgedeckt hat, bei dem auch viele kleine Investoren aus dem Ort Geld verloren haben? Und wo ist das veruntreute Geld? Abigail kann nicht anders, als sich wieder einzumischen. Doch die Suche nach dem Mörder und dem Geld gestaltet sich gefährlich – bald werden sie und ihr Partner Grant Zeugen eines zweiten Mordes.
Melinda Mullet hat britische Eltern, wurde aber in den USA geboren. Sie hat mehrere Jahre als Juristin gearbeitet, sich in den USA und im Ausland für Kinderrechteeingesetzt und ist viel gereist. Sie lebt in der näheren Umgebung von Washington D.C. mit ihren beiden Töchtern und ihrem Mann, einem Whisky-Sammler aus Leidenschaft. Im Aufbau Taschenbuch sind ebenfalls ihre Romane »Whisky mit Mord«, »Whisky für den Mörder«, »Whisky mit Schuss« und »Ein Whisky auf den Todֿ« lieferbar.
Mehr zur Autorin unter melindamullet.com.
Ulrike Seeberger lebte zehn Jahre in Schottland und arbeitete dort u. a. am Goethe-Institut. Seit 1987 wohnt sie als freie Übersetzerin und Dolmetscherin in Nürnberg. Sie übertrug u. a. Philippa Gregory, Vikram Chandra, Alec Guinness, Oscar Wilde, Charles Dickens und Greg Iles ins Deutsche.
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Melinda Mullet
Mord on the Rocks
Kriminalroman
Aus dem Amerikanischen von Ulrike Seeberger
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Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Zwei Wochen später
Dragon of the Glen — (Abi’s Old Fashioned)
Danksagungen
Erläuterungen
Impressum
Wer von diesem Kriminalroman begeistert ist, liest auch ...
Bald würde die kräftiger werdende Sonne die schweren Morgennebel fortscheuchen, stellte ich hoffnungsvoll fest, als ich am Fluss entlang ins Städtchen Balfour spazierte. Mit ein bisschen Glück würde es ein herrlicher Tag werden, wenn auch jetzt noch ein kalter Hauch in der Luft lag. Ich hielt auf das Gasthaus zu, und der Gedanke an ein warmes Frühstück erschien mir immer verlockender. Wie üblich war Liam mir auf der Suche nach Essbarem ein ordentliches Stück voraus. Er trabte los, sobald wir uns dem Golden Stag näherten, drängte sich durch die offene Tür des Pubs und flitzte gleich mit unverminderter Geschwindigkeit weiter in Richtung Küche.
Während ich ihm als Nachhut folgte, hörte ich aus dem Gastraum einen hochdramatischen Aufschrei und eilte hinein, um nachzusehen, was los war. Am Fenster saß eine Frau, die hier mit ihrem teuren Kaschmirpullover und der Perlenkette ein wenig fehl am Platz wirkte. »Ein wildes … ein wildes Tier …«, stammelte sie. »Ist gerade hier entlang durchgeprescht.« Sie wedelte mit ihrer schwer mit Schmuck behangenen Hand in Richtung Küche.
»Ich glaube, ich kann Sie beruhigen, das war nur mein Hund.«
»Also, der dürfte hier doch gar nicht rein. Das ist … das ist unhygienisch.«
»Na ja, wenn Ihnen heute nichts Schlimmeres mehr zustößt, haben Sie ja nichts zu befürchten«, antwortete ich. Meiner Meinung nach konnte man Menschen danach beurteilen, wie sie Hunde behandelten. Diese Frau fiel eindeutig in die Kategorie miese Type. Als ich näher an sie herantrat, wallte mir eine Parfümwolke entgegen, die mindestens so undurchdringlich war wie der Morgennebel draußen, und ich konnte nur mit Mühe ein Würgen unterdrücken.
»Und nehmen Sie das hier mit«, blaffte die Frau.
Aus unerfindlichen Gründen streckte ich gehorsam die Hand aus und nahm den Teller entgegen, den sie mir hinhielt. Es lagen Haferkekse und drei von Siobháns Hausmacher-Würstchen darauf, alles völlig unberührt.
»Ich weiß nicht, was das hier sein soll, aber ich will es nicht. Bringen Sie mir Obst und einen Kräutertee.« Ihr Englisch klang vornehm, hatte aber einen starken spanischen Akzent. Ehe ich weiter spekulieren konnte, kam ein junger Mann in den Raum, stürzte gleich herbei und nahm mir den Teller ab. »Tante Elena, das ist Abigail Logan, die Besitzerin der Destillerie Abbey Glen. Für dein Frühstück ist sie nicht zuständig.«
Dann wandte er sich mir zu, schenkte mir ein reuiges Grinsen, wechselte den Teller in die andere Hand und streckte mir die Rechte hin. »Raoul Serrano-Cortez, und dies ist meine Tante, Elena Serrano. Ich nehme hier an Ihrem Whiskykurs teil. Ich muss mich für meine Tante entschuldigen. Sie wusste nicht Bescheid.«
Ich ergriff die Hand, die mir der schlanke, hochgewachsene junge Mann mit dem dichten schwarzgelockten Haarschopf hinstreckte. »Schön, Sie kennenzulernen, Raoul, und willkommen in Balfour. Ich hoffe, Sie und Ihre Tante werden den Kurs genießen.«
Elena rümpfte die Nase. »Ich werde sicherlich nicht daran teilnehmen«, verkündete sie von ihrem Fensterplatz aus. »Ich bin nur mitgekommen, um die Kosten für dieses ländliche Abenteuer meines Neffen zu bestreiten. Es sieht ganz so aus, als müsste ich die meiste Zeit darauf verwenden, nach etwas halbwegs Essbarem zu suchen, um nicht zu verhungern.«
Raoul trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. Ich nahm ihm den Teller wieder ab. »Sie sollten sich jetzt auf den Weg nach Abbey Glen machen, sonst verpassen Sie noch den Beginn des Kurses. Ich schau mal, was ich mit dem Essen ausrichten kann.«
Raoul warf mir einen dankbaren Blick zu und war bereits auf dem Weg zur Tür, während ich hinter den Tresen und in die Küche ging. Hier in dem kleinen, aber bestens ausgestatteten Arbeitsraum lehnten die Besitzerin des Stag Inn, Siobhán Morgan, und ihre neue Hilfskraft Sheila Kinkaid gerade gemütlich an der Arbeitsfläche und gönnten sich eine Tasse Kaffee. Ich bemerkte, dass Sheila Liam bereits verstohlen mit Speckbrocken fütterte, und selbst Siobhán hatte sich zu ihm nach unten gebeugt und kraulte ihm die Ohren.
»O Gott, was passt Ihrer Majestät denn jetzt wieder nicht?«, fragte Siobhán und streckte die Hand nach dem Teller aus, der inzwischen öfter hin und her gewandert war als ein Fußball im Pokalfinale.
»Es wurde nach Obst und Kräutertee verlangt.« Ich nahm den Teller wieder an mich und setzte mich am anderen Ende der Arbeitsfläche auf einen Hocker. »Ich kann mir nicht vorstellen, warum. Das hier sieht doch himmlisch aus.« Ich schaute zu Sheila. »Hast du mal eine Gabel für mich?«
»Sei nicht albern, ich mach’s dir frisch.«
»Nicht nötig. Nur nichts umkommen lassen«, sagte ich, spießte mit der Gabel, die Sheila mir gereicht hatte, ein Würstchen auf und knabberte daran. Liam kam rasch her und nahm neben mir Platz. »Sieht ganz so aus, als würde euch diese Tante Elena ziemlich auf Trab halten.«
»Keine Ahnung, warum die überhaupt hergekommen ist, verflixt«, zischte Siobhán. »Bisher hatten wir nichts als Gemecker: das Zimmer ist zu klein, das Klima zu feucht, das Bett zu hart und das Essen ungenießbar.«
»Irgendwer hat immer was zu meckern«, erwiderte ich mit dem Mund voller Haferkeks. Allerdings musste ich einräumen, dass das hier in Balfour eigentlich nicht stimmte. Dies war keiner von den Orten, zu dem sich die Schickimickis hingezogen fühlten, und Drama gab es gewöhnlich nur in der örtlichen Laienspielgruppe. »Der Neffe scheint aber ganz nett zu sein.«
»Dem Ärmsten ist seine Tante total peinlich, aber es stimmt, er ist wirklich nicht so ein Miesepeter«, sagte Sheila, die gerade in der Spüle ein Körbchen Erdbeeren wusch. »Wo kommen die eigentlich her?«
Ich ließ ein Bröckchen Wurst fallen und schaute zu, wie es in Sekundenschnelle in Liams Rachen verschwand. »Aus Madrid, laut Anmeldung. Es sind unsere ersten internationalen Teilnehmer.« In diesem Sommer hatten wir die Destillerie jeden Monat eine Woche lang für zahlende Gäste geöffnet, die dort an einem Intensivkurs in der Kunst der Malt-Whisky-Herstellung teilnahmen. Die meisten Kursteilnehmer waren im einzigen Gasthaus vor Ort untergebracht, das kürzlich als Anbau an den Pub entstanden war.
Zunächst hatte ich so meine Zweifel gehabt, aber die ersten drei Kurse waren ein durchschlagender Erfolg gewesen. Als Erste waren neue Brennmeister und Beobachter der Whiskybranche gekommen, die sich anschauen wollten, wie mein Partner Grant MacEwan und ich Abbey Glen führten. Ich hatte die kleine, aber feine Destillerie von meinem Onkel Ben geerbt. Allerdings war natürlich nicht ganz zutreffend, dass ich hier irgendwas führte, denn das machte ganz allein Grant. Er und die übrigen Angestellten der Destillerie waren Experten in der traditionellen Kunst der Whiskyherstellung. Die meisten stammten aus Familien, die bereits seit Generationen mit der Brennerei zu tun hatten. Ich war die Neue, von Beruf Fotoreporterin und erst kürzlich zum Whisky bekehrt.
»Wie sind denn die übrigen Gäste?«, erkundigte ich mich.
»Aye, die anderen sind ganz in Ordnung«, räumte Siobhán ein. »Machen keine Probleme, nur Madame hier. Allerdings beunruhigen mich zwei Typen aus Glasgow viel mehr.«
»Sind die im Urlaub hier?«
Siobhán beugte sich zu mir herüber. »Sie behaupten, sie wären Landvermesser, aber bisher hab ich noch keine entsprechenden Gerätschaften bei ihnen gesehen. Die wandern einfach nur wie verirrte Schafe im Tal rum.«
»Klingt doch ziemlich harmlos«, meinte ich.
»Sei dir da mal nicht so sicher.« Siobhán verschränkte die Arme vor der Brust und warf mir einen finsteren Blick zu. »Die riechen mir ganz nach HMRC[1] .«
»Was sollten denn die Jungs von der Steuerfahndung Ihrer Majestät hier wollen?«
»Hier im Tal haben wir einen Haufen sehr einfallsreicher, geschäftstüchtiger Leute«, antwortete Siobhán, »und die meisten sind nicht gerade wild darauf, ihre hart verdiente Knete mit der Regierung zu teilen. Diese Typen sind hier, um uns Probleme zu machen, du wirst schon sehen.«
Das Zahlen von Steuern und Abgaben war schon lange ein heikles Thema zwischen den Schotten und ihren Nachbarn im Süden. Ob es nun um den in vergangenen Zeiten schwarzgebrannten Whisky oder um die heutzutage vor Ort produzierten Waren und Lebensmittel ging, Steuern wurden darauf eher selten gezahlt, wenn überhaupt.
Sheila hatte inzwischen den verlangten Obstteller fertiggemacht und krönte ihn zum Abschluss noch mit einem Zweig Minze. Siobhán streckte die Hand danach aus, aber Sheila schüttelte den Kopf. »Das übernehme ich.«
Nachdem sie gegangen war, sackte Siobhán gegen die Theke und trank ihren Kaffee aus. »Sheila schickt mir der Himmel«, sagte sie. »Dafür stehe ich in deiner Schuld. Ohne sie hätte ich das alles hier niemals geschafft.«
Es tat mir in der Seele gut, zu sehen, wie diese beiden starken Frauen, die kein Blatt vor den Mund nahmen, einander in schwierigen Zeiten zur Seite standen. Vor etwas über einem Jahr war Siobháns Sohn bei einem Unfall in der Destillerie ums Leben gekommen. Sie hatte es mir nie gesagt, aber ich wusste, dass sie diesen Verlust noch immer sehr schmerzlich spürte. Sheila hatte mit ihrer kleinen Tochter Nora in Edinburgh gelebt und war mit größter Mühe einer Ehe mit einem gewalttätigen Partner entflohen. Mutter und Tochter hatten in dem Frauenhaus Shepherd’s Rest gewohnt. Nach einem beinahe tödlichen Zwischenfall in der Stadt hatte ich dafür gesorgt, dass Sheila und Nora nun in Balfour lebten, und sie schienen hier prächtig zu gedeihen. Es hatte Siobhán sehr geholfen, dass sie jetzt Sheila und Nora um sich hatte, denn es lenkte sie von ihrem eigenen Kummer ein wenig ab. Und Sheila, die sich sicher fühlte und gebraucht wurde, blühte sichtlich auf.
»Ich freue mich, dass das mit euch so gut klappt.«
Siobhán stellte ihren Henkelbecher in die Spüle und nahm sich ein Geschirrtuch. »Bist du nur zum Essen da, oder war noch was?«
»Nein, nur zum Frühstück, und ich wollte mal sehen, ob du heute Mittag Hilfe beim Lunch brauchst?« Sheila und Siobhán würden gemeinsam die Verköstigung der Kursteilnehmer übernehmen, und der Whiskykurs wäre ohne sie, ehrlich gesagt, gar nicht möglich gewesen.
»Es sollte alles so weit geregelt sein. Gegen eins richte ich bei euch den Raum für die Whisky-Verkostung her, während Sheila hier den Ansturm zum Lunch meistert.«
Siobhán ging noch einmal kurz mit mir den Speiseplan für die Woche durch. Dann schlich ich mich in der Hoffnung, einer weiteren Begegnung der unerfreulichen Art mit der Drachendame im Speiseraum aus dem Weg zu gehen, mit Liam durch die Hintertür aus dem Pub. Ich schaute auf die Uhr und rechnete mir aus, dass wir gerade noch genug Zeit für ein paar Besorgungen haben würden, ehe wir uns auf den Weg zurück nach Abbey Glen machten, um dort die übrigen neuen Teilnehmer kennenzulernen. Ich fing bei Pages, dem Laden für neue und antiquarische Bücher, an. Das alteingesessene Geschäft präsentierte in seinem großen Erkerfenster zwei Katzen und eine Auswahl von Lesevorschlägen. Die Ladenbesitzerin nahm gern Empfehlungen ihrer Kunden auf, und so fand sich in den Regalen alles Mögliche, vom Leitfaden zur Wurmbekämpfung bei Schafen bis Fifty Shades of Grey. Liam und die beiden Katzen konnten sich auf den Tod nicht leiden, und so bestand ich darauf, dass er draußen vor der Tür auf mich wartete. Er warf mir einen grimmigen Blick zu und entschied sich, vor dem Erkerfenster Platz zu nehmen und die schlafenden Katzen jenseits der Scheibe anzustarren, bis sein Atem das Glas beschlug. Die Katzen ignorierten ihn völlig.
Ich hielt schnurstracks auf die Schreibwarenabteilung zu und nahm mir dort einen Packen dünne Moleskin-Notizbücher für unsere Kursteilnehmer. Wir hatten festgestellt, dass die meisten sich gern notierten, was sie bei uns sahen und erlebten. Kim Paige, die Ladenbesitzerin, schaute lächelnd zu mir auf. Sie stand hinter der Theke und bediente gerade eine dunkelhaarige Frau im Burberry-Trenchcoat.
»Ich brauche eine Landkarte.« Das war ein Befehl, keine Bitte. Die Stimme einer Frau, die es gewohnt war, dass die Leute sprangen, wenn sie kommandierte. Die Stimme der Frau, der ich lieber aus dem Weg gegangen wäre. »Eine richtige Landkarte mit Wanderwegen in den Bergen und Orientierungspunkten.«
»Es gibt eine Wanderkarte oder eine Karte mit einer Übersicht über Spaziergänge,« erklärte Kim ihr. »Welche hätten Sie lieber?«
»Geben Sie mir beide.«
Ohne das Wörtchen »bitte«, fiel mir auf.
»Und ein Buch über die Ortsgeschichte.« Tante Elenas Akzent mochte stark sein, aber ihr Englisch war gut.
»Dann sollten Sie Balfour: Geschichte und Geschichten nehmen.« Kim streckte die Hand nach einem Exemplar des Buchs aus, das auf dem Regel hinter der Ladenkasse stand.
»Das ist der detaillierteste Bericht«, meldete ich mich von hinten. Das Buch hatte der Vater eines meiner Mitarbeiter geschrieben. Über die neuere Zeit stand nicht besonders viel drin, dafür handelte es aber die Geschichte des Tals von Glenmorrow ganz wunderbar ab.
Elena Serrano war sichtlich nicht gerade erfreut darüber, mich schon wieder zu treffen. Sie musterte mich vom Scheitel bis zur Sohle, als wolle sie mich abschätzen, hatte mich aber allem Anschein nach gewogen und für zu leicht befunden. »Ich bin sicher, das passt so«, blaffte sie.
Sie hatte eine Kälte und Reserviertheit an sich, die in starkem Kontrast zur Überschwänglichkeit ihres Neffen stand. Sie wandte sich zum Gehen, und erneut wallte eine überwältigende Parfümwelle über mich, als sie an mir vorüberrauschte. Mir wurde ganz übel und schwindelig davon.
»Die sieht nicht direkt nach Wandern aus«, meinte Kim, während sie meine Notizbücher in eine kleine Papiertüte packte.
»Mit den Schuhen gewiss nicht«, erwiderte ich. Die zehn Zentimeter hohen Stilettos, die vorn unnatürlich spitz zuliefen, wären da völlig ungeeignet. »Zumindest können wir sie, wenn sie mal kopfüber im Sumpf stecken sollte, an den grellroten Sohlen erkennen.«
Kim kicherte.
»Hat sie gesagt, wozu sie die Landkarten braucht?«
»Anscheinend will sie die Gegend mit dem Auto erkunden.«
»Ich wette, die setzt keinen Fuß aus dem Wagen«, sagte ich. Wenn ihr der Sinn nach Hochland-Couture oder ein bisschen aufregender Abwechslung stand, war sie hier wirklich fehl am Platz.
Vom Buchladen aus überquerten Liam und ich die Straße und spazierten an den adretten Geschäften mit ihren Blumenkästen voller Begonien und Stiefmütterchen vorbei. Die Bäume auf dem Dorfanger waren noch belaubt. Die meisten Blätter waren noch grün, doch an den Rändern zeigte sich bereits der erste Rotschimmer, und abends deutete eine leichte Frische an, dass der Herbst vor der Tür stand. Die Szene vor mir war wie gemalt. Ein Postkartenmotiv, das die wild bewegte Geschichte des Ortes Lügen strafte, wo einmal Schwarzbrennerei, Schmuggel, kriegerische Auseinandersetzungen und Steuerhinterziehung zur Tagesordnung gehört hatten. Letzteres schien, wenn man Siobháns Einschätzung der Sachlage Glauben schenkte, auch heute noch gang und gäbe zu sein.
Wieder einmal trottete Liam mir zielstrebig voraus, weil er keinerlei Zweifel daran hegte, dass ich auf dem Weg zu einer Tasse Kaffee war. Unser Café am Ort war eine seltsame Mischung aus Teestube, Süßwarenladen und Cocktailbar. Rein technisch gesehen war die Chocolate Bar die einzige Cocktailbar im Städtchen, natürlich mit Ausnahme des Pubs, der gemütlich und bestens mit Alkohol ausgestattet, aber wohl kaum schick und modern zu nennen war. Die in der Chocolate Bar angebotenen Cocktails zum Thema Schokolade und Whisky waren zwar die Idee meines Onkels gewesen, doch die Leute im Ort hatten diese Neuerung begeistert begrüßt, obwohl man es hier sonst schon als exotisch empfand, wenn man einmal einen Merlot bestellte.
Die Bar war auch bei den Teilnehmern des Whiskykurses ein echter Hit, und wir hatten es uns angewöhnt, am dritten Abend mit ihnen zu Floss und Harold Robinsons Laden zu gehen, um ihnen ein bisschen Abwechslung zu bieten. Falls sich die Kunde von den Whiskykursen in Abbey Glen herumsprach, hofften wir, dass auch Balfour im Sommer mehr Tourismus erleben würde. Wenn wir Glück hatten, würden sich die Einnahmen auf alle hiesigen Geschäfte verteilen, ohne dass der Ort zu sehr überlaufen würde. So weit, so gut. Bisher waren wir noch kein Anlaufpunkt für die allseits gefürchteten Busreisen geworden, und bei Floss war auch noch kein Übernahmeangebot von Starbucks eingegangen.
Die Glocke bimmelte, als Liam und ich eintraten, und Harold schaute von seinem Platz hinter der Theke auf. »Genau die Frau, mit der ich reden muss.« Er warf mir ein schiefes Grinsen zu und zog ein Tablett mit dunklen Pralinen unter der Theke hervor. »Wir haben da was für euch zusammengerührt.« Er hielt mir das Tablett hin. »Wir dachten uns, das wäre doch ein schönes Souvenir für eure Whiskyleute.«
Ich nahm mir eine dunkle Praline in Form eines winzigen Whiskyfasses, biss hinein und hatte Mühe, die herausquellende Whiskycreme aufzuschlecken.
»Vorsicht«, sagte Harold und reichte mir eine Serviette. »Floss meint, die Creme müssten wir noch ein bisschen eindicken.«
»Wie ihr meint«, murmelte ich und wischte mir den Klecks vom Kinn. »Aber sie schmeckt jetzt schon himmlisch.«
Harold strahlte. Er war so schüchtern wie seine Frau kontaktfreudig, aber beim kleinsten Lob blühte er auf. Er hatte immer schon davon geträumt, einmal ein Süßwarengeschäft zu führen, und jetzt war das Café mit der Einrichtung aus Naturholz und mit Polstern in Cadbury-Lila bis zur Decke voll mit wunderbaren Süßigkeiten. Glasbehälter voller Pralinen aller Art nahmen eine ganze Wand ein, und Harolds Sortiment von Schokoladentafeln war besser als alles, was man außerhalb von London finden konnte.
»Bieten Sie am Samstag welche auf dem Markt an?«, fragte ich.
»Bis morgen schaffen wir es nicht mehr, nein, aber bis Ihre Gruppe am Sonntag herkommt, kriegen wir es sicher hin.«
Ich kaute zu Ende und wischte mir die Finger sauber. »Perfekt. Dann schauen wir mal, was die Jungs davon halten.«
Floss kam mit einem Blech ihrer berühmten Ingwer-Scones aus der Küche. »Lust auf einen Kaffee?«
»Und wie!« Ich nahm an der Theke auf einem Hocker Platz. »Die Whiskypralinen sind übrigens großartig. Benutzen Sie da Whisky von Abbey Glen?«
»Gibt’s noch anderen? Wir brauchen ja nicht viel, aber Harold muss trotzdem vor jeder Charge kurz kosten, um sicher zu sein, dass der Whisky für unsere Pralinen gut genug ist. Ich möchte noch ein bisschen am Rezept feilen, aber ich freue mich, dass sie Ihnen schmecken.« Floss ging an die Kaffeemaschine und bereitete den Espresso zu. »Wie geht es bei euch so?«, fragte sie über die Schulter.
Die Frage schien unschuldig, aber was Floss wirklich damit meinte, was alle im Städtchen damit meinten, war: Wie geht es bei Ihnen und Grant? Ich hatte mich wirklich zunächst gegen diese Beziehung gewehrt, ehrlich. Sich mit seinem Geschäftspartner auf eine Liebesbeziehung einzulassen, das war traditionell ein Rezept für eine Katastrophe. Und was katastrophale Beziehungen anging, war ich Expertin. Buchstäblich jede Liebe in meinem Leben war auf dem Altar meiner alles verzehrenden Karriere als Fotografin geopfert worden. Ich wollte nicht, dass mir das mit Grant auch passierte. Diesmal stand so viel mehr auf dem Spiel. Mein neues Leben hier in Balfour. Mein Unternehmen. Mein Herz. Es war ein wahnsinniges Risiko, aber nachdem wir mehr als genug Schwierigkeiten zusammen durchgestanden hatten, hatte ich endlich klein beigegeben und beschlossen, mich in diese Beziehung zu stürzen. Zugegeben, die vergangenen fünf Monate waren märchenhaft gewesen, doch so leicht sind alte Gewohnheiten nicht abzulegen. In den neurotischen Ecken meines Hirns konnte ich nicht umhin, mich zu fragen, wann das unvermeidliche Unheil eintreffen würde. Ich schüttelte mich. Sei nicht so albern.
»Es geht wirklich gut. Diese Woche sind wieder alle Plätze belegt beim Whiskykurs.«
»Und Grant? Dem geht’s auch gut?«
Ich nickte, anstatt genauer auf die Frage einzugehen. Am Ort freute man sich über Grant und mich, und da es so eine kleine Gemeinschaft war, meinte jeder, ein beinahe persönliches Interesse an uns zu haben. Was natürlich auch bedeutete, dass jeder meinte, uns ab und zu im Vorübergehen gute Ratschläge geben zu müssen. Je länger die Leute selbst verheiratet waren, desto distanzloser und persönlicher wurden die Ratschläge. Daher auch die nächsten Worte von Floss: »Hier, nehmen Sie noch ein süßes Brötchen zu Ihrem Kaffee, Sie sind ja nur Haut und Knochen. Männer haben gern ein bisschen mehr zum Kuscheln in der Nacht, wissen Sie.« Sie zwinkerte mir zu und tätschelte ihre eigenen ausladenden Hüften. Ich spürte, wie ich errötete, und wandte mich wieder Harold zu, der gerade ein halbes Dutzend Whiskypralinen in eine goldene Schachtel mit durchsichtigem Deckel legte. »Nehmen Sie Grant und Cam ein paar davon mit, mal sehen, was die davon halten.«
Gott sei Dank hatte Harold das Verhör nicht belauscht, das seine Ehefrau mit mir führte. »Vielleicht verziert ihr die Schachtel noch mit einem karierten Band?«, schlug er vor. »Ich könnte welches mit dem Tartan von Abbey Glen bestellen, wenn Sie möchten.«
Floss kam mit meinem Kaffee und einem süßen Brötchen, das ich dankend ablehnte. »Ich habe gerade erst im Stag Inn einen ganzen Teller Haferplätzchen mit Würstchen verputzt. Wenn ich noch mehr esse, platze ich.« Liam schaute enttäuscht drein. Er war nie pappsatt.
Plötzlich schaute Floss hellwach auf, wie ein Terrier, der das Scharren von Rattenpfoten ausgemacht hat. »Was wollen die denn?«
»Wer? Oh, Sie meinen die Landvermesser?«
Floss schnaubte. »Landvermesser, wer’s glaubt. Das sind Steuerfahnder, oder ich fresse einen Besen.«
Bei Siobhán und Floss waren diese armen Hunde also bereits abgestempelt und verdammt. »Wieso sollten die denn ausgerechnet in Balfour rumschnüffeln?« Das Ausmaß des Verfolgungswahns hier am Ort wunderte mich. »Hier macht doch sicher niemand faule Geschäfte in einem solchen Maßstab, dass es einen Besuch der Steuerfahndung rechtfertigen würde?«
»Und der Mann am Berg?«, brachte Floss mit hochgezogenen Augenbrauen vor. »All die Jahre war Rory Hendricks berühmt und als Musiker unterwegs, da hat er doch sicher Millionen gescheffelt. Gott weiß, was der mit all dem Geld gemacht hat.«
Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, er hat es versoffen, dachte ich, aber jetzt hatte Floss Fahrt aufgenommen und war nicht mehr aufzuhalten.
»Und wenn die seine Machenschaften unter die Lupe nehmen, warum dann nicht gleich auch noch uns andere mitprüfen? Frank Monroe vom Baumarkt DIY Necessities ist in heller Panik.«
Ich nippte an meinem Kaffee, um meine Belustigung zu verbergen, und verbrannte mir prompt die Zunge. »Wieso sollte Frank denn nervös sein?«
»Er hat so ein kleines Geschäft nebenbei am Laufen, mit Kies und Sand«, antwortete Floss leise. Harold nickte mit weit aufgerissenen ernsten Augen.
»Ist ja in einem Baumarkt durchaus sinnvoll.«
»Aye, aber er hat da ein ganz besonderes Großhandelsangebot.« Floss schaute sich im leeren Laden um, als könnte jemand hinter einem Glas mit Weingummi lauern und sie belauschen. »An der Upland Road ist eine alte Kiesgrube mit einem Schuppen der Straßenwacht, gleich hinter der großen Kurve oben. Da haben die ihre Vorräte gelagert. Das war für die Reparatur von Schlaglöchern und so, nachdem Schnee und Regen einen Teil der Straße weggespült hatten. Und seither füllt er das, was da oben gelagert ist, in Säcke ab und verkauft es unter der Hand in seinem Laden … für Gärten und Renovierungen.«
»Beeindruckend. Keine Fixkosten, keine Umsatzsteuer«, meinte ich.
»Na ja, ich habe jedenfalls nie danach gefragt«, sagte Floss mit einem Schniefen. »Aber Rory Hendricks hat Franks Sonderangebot nur zu gern angenommen, als er da oben seinen Party-Patio gebaut hat.«
»Welchen Party-Patio?«
»Piekfeiner Außenwohnbereich, wie sie das wohl nennen. Nach allem, was ich so höre, muss man das gesehen haben, um es zu glauben.«
Ein guter Vorwand für einen Besuch, überlegte ich. Allerdings hielten die Leute von Balfour wahrscheinlich alles für extravagant, was über die üblichen drei mal drei Meter Beton im Garten hinter dem Haus hinausging. All das Gerede über Steuerfahnder machte mich nachdenklich. Was für eine Gaunerei Floss und Harold wohl am Laufen hatten? Sie waren zu verstört über den Besuch der beiden Männer, um nur unbeteiligte Zuschauer zu sein. Harold war vielleicht nicht der Typ dafür. Aber Floss, bei der war es anders, sie war ganz entschieden geschäftstüchtig.
»Nun, ich bin sicher, dass die nicht lange hier bleiben«, sagte ich und hoffte, dass das beschwichtigend klang. »Außerdem traue ich es den Leuten im Städtchen zu, dass sie die beiden scharf im Auge behalten.«
»Darauf können Sie Gift nehmen. Frank hat schon einen Plan gemacht und uns alle in Schichten eingeteilt. Die können hier nicht mal niesen, ohne dass wir davon erfahren.«
Harold nickte ernst. »Nach Steuereintreibern Ausschau halten – das ist hier Tradition.«
Ich gab mir alle Mühe, ernst zu bleiben, aber was würden diese beiden armen Landvermesser denken, wenn sie merkten, dass ihnen das gesamte Städtchen nachstellte und dabei, wie ich vermutete, alles andere als unauffällig vorging? Allein das Wort Steuereintreiber war für diese Familien, die sich vor ewigen Zeiten schon am Schwarzhandel mit Whisky beteiligt hatten, mit einem reichen Erbe an Geschichten und Feindseligkeit verbunden. Ich konnte mich des Verdachts nicht erwehren, dass diese panische Angst vor unseren mysteriösen Gästen auf einem wirklich schlechten Gewissen beruhte. Doch wenn Floss recht hatte und all die finanziellen Schwindeleien des Städtchens bald ans Licht kommen würden, konnten wir uns auf eine unterhaltsame Woche gefasst machen.
Lassen Sie es mit den Kostproben langsam angehen«, riet Patrick gerade den Kursteilnehmern, als ich hinten in den neuen Verkostungsraum von Abbey Glen schlüpfte, um mir die Begrüßung und die ersten Anweisungen anzuhören. Wir hatten Lehrgeld zahlen müssen, als wir feststellten, dass die Whiskytouristen den Verkostungsteil des Kurses anders angingen als die Jungs aus der Whiskybranche, die nur kurz nippten und ausspuckten. Bei unserer ersten Runde mit den ganz normalen Whiskyfans hatte unser Brennereimanager bereits am Nachmittag des ersten Tages bestens abgefüllten Gästen ins Gasthaus zurückhelfen müssen.
Patrick nickte mir zu, ehe er mit seinen Sicherheitsanweisungen fortfuhr. Patrick Cooke war der Erste gewesen, der mich in den Kult der Whiskyjünger eingeweiht hatte. Er war mein ältester Freund, ebenfalls Journalist und im Augenblick Chefredakteur des Whisky Journal in Edinburgh.
Der Whiskykurs war Patricks Erfindung. So konnte unsere kleine Destillerie ein wenig bekannter werden, und wir hatten in den sonst eher ruhigen Sommermonaten zusätzliche Einnahmen. Der Kurs, den er ausgearbeitet hatte, widmete sich in allen Einzelheiten der Herstellung von Whisky – der handwerklichen Kunst, völlig ohne Stahltanks und alle möglichen Maschinen, die viele unserer Konkurrenten einsetzten. Das war großartiges Marketing. Die Teilnehmer unseres Kurses verließen die Destillerie als Botschafter unserer Marke, und genau diese Art von Werbung brauchte eine kleine, feine, aber ernsthaft betriebene Destillerie.
»Ich möchte Ihnen die Besitzerin und Namensvetterin von Abbey Glen vorstellen, Abigail Logan.« Patricks Worte rissen mich wieder in die Gegenwart zurück.
Ich trat einen Schritt vor und hob zum Gruß die Hand. »Willkommen, meine Herren. Ich hoffe, dass Sie eine wunderbare Woche haben werden. Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich jederzeit gern an Ihre Dozenten, das sind die Experten, die Ihnen alles sagen können, was Sie wissen müssen.« Mich sollten sie jedenfalls auf keinen Fall fragen. Ich war kaum Profi auf diesem Gebiet. Als ich Abbey Glen von meinem Onkel erbte, wusste ich rein gar nichts über Whisky, hatte ihn bis dahin nicht einmal getrunken. Aber ich hatte schnell gelernt. Weitaus schneller und mit mehr Leidenschaft, als ich es mir je erträumt hätte. Whisky, dieses Produkt der Erde und des Korns, nährte die Seele und tröstete den Geist. Er überstieg alles, was ich in Worte fassen konnte – er war eine greifbare Verbindung zum Land und zu den Menschen.
Während Patrick mit seiner Einführung weitermachte, lehnte ich mich an die Wand und bewunderte die Steinscheune mit der hohen Balkendecke, in der in den Zeiten, als man die Whiskyfässer noch auf Bauernkarren auslieferte, die Kutschpferde untergebracht gewesen waren. Im vergangenen Winter hatten wir die sechs Holzboxen herausgerissen, an einer Giebelwand den Kamin aus Feldsteinen erneuert und den Raum in einen offenen Empfangsbereich umgewandelt, der sich je nach Bedarf vom Verkostungsraum zum Klassenzimmer umgestalten ließ. Große gerahmte Fotos an den Wänden zeigten die verschiedenen Schritte des Destilliervorgangs, begleitet von einfachen Beschreibungen, die selbst für Gelegenheitsbesucher leicht verständlich waren.
Inzwischen war Grant nach vorn gegangen und begann, die Leute vorzustellen, die den Kurs unterrichten würden. Wie immer war er der perfekte Botschafter für sein Produkt, selbst wenn er Jeans und nicht seinen Kilt trug. Er sah aus, als gehörte er in die zerklüfteten Berge, die sich hinter der Destillerie erhoben, seine scharfen Züge und wilden grünen Augen beschworen Erinnerungen an die Tage des Schwarzbrennens und Whiskyschmuggels herauf. Nur zu leicht schweiften nun meine Gedanken zu wilden Stunden im Heidekraut ab. Mein Gesichtsausdruck muss mich verraten haben. Ein winziges Zucken von Grants Lippen deutete ein unterdrücktes Lächeln an. Er schaute mir mit spielerischer Herausforderung in die Augen, und schon bekam ich weiche Knie.
Im Gegensatz zu mir schaffte es Grant sehr viel besser, beim Thema zu bleiben. Cameron Lewis, unser Brennereimanager und Meisterbrenner, wurde als Erster vorgestellt. Er hatte von klein auf in der Brennerei gearbeitet und war so treu wie nur was. Dieser drahtige Mann Mitte siebzig mit seinem wettergegerbten Gesicht und dem kurz geschnittenen, grau melierten Haar hatte mich gleich bei meiner Ankunft unter seine Fittiche genommen. Er war unendlich geduldig und durch absolut nichts zu erschüttern. Was er nicht über die Whiskybranche wusste, war nicht wissenswert.
Dann deutete Grant auf Hunter, der am anderen Ende des Raums in einer Ecke stand. Hunter Mann, Handwerker, Holzschnitzer, Schafflüsterer und Hüter der Fässer in Abbey Glen, beobachtete alles vom hinteren Teil des Raumes aus mit väterlicher Güte. Die Teile des Kurses, bei denen die Teilnehmer selbst Hand anlegen konnten, sprachen Hunters pragmatische schottische Sparsamkeit an. Er und Cam hatten es hier mit einer Gruppe von Männern zu tun, die ihnen sogar noch etwas für das Vergnügen zahlten, in der Destillerie hart zu arbeiten, und sie ließen sie für ihr Geld ordentlich zupacken.
Zunächst waren Grant und die Mitarbeiter der Destillerie strikt dagegen gewesen, dass Touristen in der Brennerei herumschnüffelten. Selbst wenn sie sich im Geschäft gut auskannten, oder vielleicht besonders dann, wenn sie sich im Geschäft gut auskannten. Konkurrenten, die herumspionierten, vermuteten sie. Aber schon bald fanden sie heraus, dass es ein Vergnügen und keine lästige Pflicht war, mit anderen zu reden, die eine ähnliche Leidenschaft für ihren Whisky empfanden wie sie.
Unsere vierte Kursgruppe war eine gute Mischung aus Profis und Kennern. Da waren drei Männer von Islay, die gerade eine heruntergekommene Destillerie auf der Insel wieder auf Vordermann brachten. Sie hofften, dabei das Modell von Abbey Glen bei sich nachahmen zu können, indem sie auch beim althergebrachten Herstellungsprozess in reiner Handarbeit blieben. Dann waren da die Brüder Owen und Ethan Buchanan, die sich eine Männerwoche zur Feier von Ethans vierzigstem Geburtstag gönnten. Der neue Mann in Patricks Leben, der Chefkoch und Restaurantbesitzer Gordon Wright, war unser sechster Teilnehmer, und zu guter Letzt war da noch mein spanischer Freund vom Frühstück, Raoul Serrano-Cortez, der seinen Mangel an technischem Wissen mit grenzenloser Begeisterung mehr als wettmachte.
Patrick schickte die Gruppe auf den Weg zur Mälzerei, wo das erste Kursmodul stattfinden sollte. Ich gesellte mich zu Gordon.
»Wie geht’s dir?«
»Kommt mir vor wie erste Tag eines dringend nötigen Urlaubs«, gab er zu. »Die letzten Monate waren sehr hektisch, und ich freue mich auf die Pause.«
»Schön für dich. Der erste Teil gefällt dir bestimmt. Die Mälzerei ist einer meiner Lieblingsorte auf der Tour durch die Brennerei. Patrick hat dir vielleicht schon erzählt, dass die alte vor beinahe einem Jahr von einem Feuer verwüstet wurde. Dank Hunter steht sie wieder und funktioniert besser denn je.«
Als wir in die neue Mälzerei eintraten, verteilten sich die Männer ringsum an den Seiten des Raums. Ich wurde es nie müde, über dieses weite Meer aus karamellfarbenem Korn zu blicken, das den ganzen Zementboden bedeckte. Cam hatte die Aufgabe, die frische Gerste in Wasser einzuweichen, damit die Keimung einsetzte, und sie dann in einer dünnen Schicht über den Boden zu verteilen. Die meisten anderen Mälzereien darrten die Gerste danach über Torffeuern, aber in Abbey Glen benutzten wir dazu nie Torf. Wir hatten auch nicht die einfache Lösung gewählt, unsere Gerste bereits gemälzt im Großhandel einzukaufen. Cam versuchte zu erklären, woran er erkennen konnte, wie weit die Gerste im Keimungsprozess war, indem er die Körner einfach mit den Fingern untersuchte oder darüber lief, um zu spüren, wie elastisch sie waren. An den verwunderten Gesichtern konnte ich ablesen, dass man diese Vorgehensweise entweder instinktiv begriff oder eben nie.
Nach einigen kurzen Anweisungen wurden die Neulinge an die Arbeit geschickt. Sie schaufelten das angefeuchtete Korn aus den großen Vorratsbehältern auf Schubkarren und verteilten die Gerste anschließend auf dem Mälzboden. Raoul sah aus, als hätte er nie in seinem Leben auch nur einen Tag mit den Händen gearbeitet, doch man musste ihm zugutehalten, dass er tapfer mit einem Rechen die aufgeschüttete Gerste zu einer gleichmäßigen, etwa zehn Zentimeter dicken Schicht ausbreitete. Im Lauf der nächsten Woche würde das Korn regelmäßig gewendet werden, ehe es in die nächste Phase des Prozesses ging.
Liam durfte aus hygienischen und Sicherheitsgründen nicht einmal in die Nähe des Mälzbodens kommen, und ich hatte ihn draußen auf dem Hof gelassen, wo er unruhig auf und ab ging, ungeduldig darauf wartete, endlich loszurennen. Die Jungs schienen hier alles im Griff zu haben, also verabschiedete ich mich und machte mich auf der Kiesstraße auf den Heimweg. Liam sprintete los, wendete nur ab und zu, um sicher zu sein, dass ich noch folgte.
The Haven, Onkel Bens Haus, war auch Teil meines Erbes gewesen, und es war alles, was ich mir je von einem Zuhause erträumt hatte. Luxuriös ausgestattet, ohne zu überladen zu sein. Es hatte eine riesige Küche, überall wunderschöne handgeschnitzte Holzelemente, die ich Hunters Kunstfertigkeit verdankte, aber vor allem war es mein Haus. Mein eigenes kleines Eckchen Welt. Der Ort, wo ich hingehörte. Etwas, das ich in all den Jahren, in denen ich für meine Arbeit um die Welt gereist war, kaum je gehabt hatte.
Liam zwängte sich unter dem Zaun der kleinen Koppel neben dem Haus durch und lief mit den beiden ältlichen Schafen, die dort grasten, eine kleine Runde. Es verblüffte mich immer wieder, dass sie das glücklich zu machen schien. Ich hatte Oscar Wilde und Agatha Christie, die Senioren in meiner Herde von Wollproduzenten, adoptiert, um sie nach dem Tod meines Nachbarn vor einer Reise zum Abdecker zu bewahren. Dass ich diese Schafe hielt, ihnen sogar Namen gegeben hatte, war ein exzentrischer Zug, der bei den Bauern am Ort einige Belustigung hervorgerufen hatte. Doch das hielt sie nicht davon ab, regelmäßig verirrte und herrenlose Schafe in meine Richtung zu steuern. Im Augenblick zählte meine Herde zwanzig Tiere, und ich gab mir alle Mühe, es dabei zu belassen. Liam war hocherfreut gewesen und hatte gleich mit Oscar Freundschaft geschlossen. Als Wheaton-Terrier war er sozusagen auf das Hüten von Schafen vorprogrammiert, und er hatte seine Herde für Anfänger mit Begeisterung willkommen geheißen.
Ich hatte vor, Patrick und Gordon für die Dauer des Whiskykurses mein Haus zu überlassen. Patrick kam oft am Wochenende zu Besuch und hatte das Gästezimmer bereits dauerhaft mit Beschlag belegt. Die beiden brauchten ihren Freiraum, und Grant hatte nichts dagegen, dass ich in The Larches wohnte. Ich packte also alles ein, was Liam und ich in der Woche brauchen würden, und war gerade wieder auf dem Weg in die Küche, als es an der Tür klingelte.
Liam schlitterte vor mir über die Steinplatten im Flur, und als ich aufmachte, stand vor mir auf der Schwelle Katherine MacRae, unsere lokale Tierärztin.
»Wollte nur das hier für Agatha vorbeibringen«, sagte sie mit einem Lächeln.
Agatha hatte sich den Menschen in ihrem Leben übermäßig eng angeschlossen und wollte uns nun ständig in der Nähe haben. Wenn Hunter oder Liam fortging, blökte sie wie verrückt. Katherine hatte bei ihr Trennungsangst diagnostiziert. Wäre sie nicht meine engste Freundin im Städtchen gewesen, so hätte ich stark vermutet, dass sie mich auf den Arm nehmen wollte.
»Gib ihr jeden Tag eine von diesen Tabletten mit dem Futter und achte drauf, dass sie es frisst, nicht eins von den anderen Schafen. Denen wird es nicht schaden, aber Agatha wird’s dann nicht helfen.«
»Was ist das für Zeug?«
»Medizin gegen Angstzustände.«
Ich verdrehte die Augen. »Jetzt kann mich nichts mehr überraschen.«
»Klingt ein bisschen verrückt, ich weiß, aber du musst überlegen, was schlimmer wäre: einem Schaf Medikamente geben oder sich das unaufhörliche Blöken anhören. Hunter meinte, das dringe bis nach Abbey Glen durch, und dann legt die Herde auf der unteren Koppel auch gleich noch los.«
»Ich weiß, ich weiß. Ich grummele nur ein bisschen rum.« Ich nahm das Arzneifläschchen und ging in Richtung Küche. Noch eine Aufgabe auf der Liste für den armen Hunter. »Zeit für eine Tasse Tee?«, fragte ich über die Schulter zurück.
»Eigentlich nicht, aber ich nehme trotzdem gern eine.« Katherine ließ ihre schlammigen Gummistiefel im Flur und folgte mir. »Ich hatte noch nicht mal Zeit, für einen Bissen Essen Pause zu machen. Bei MacInally gab’s Probleme mit dem Lammen. Wie geht’s so bei dir?«
»Gut. Wir haben gerade die neueste Gruppe von Whiskykurs-Teilnehmern begrüßt.«
»Jemand Interessantes dabei?«
»Patricks Freund Gordon ist hier.«
»Schön für Patrick, aber überhaupt nicht hilfreich für mich. Wie wär’s mit einem attraktiven Single, der weniger als eine Autostunde von hier wohnt?«
»Ein paar Jungs von Islay. Wäre das was?«
»Wohl kaum.« Katherine rümpfte die Nase. »Louisa und ich, wir waren neulich mal abends zusammen was trinken und haben darüber gejammert, wie wenige Männer hier in der Gegend noch zu haben sind. Den letzten aus gutem, solidem Stall hast du dir geschnappt.«
Ich wurde rot. »Sei nicht albern.«
»Bin ich nicht. Versteh mich nicht falsch, wir haben beide von Anfang an die Daumen gedrückt, dass aus dir und Grant was wird, aber jetzt, wo er vom Markt ist, bleibt wirklich nicht viel übrig. Echt deprimierend.«
»Vielleicht sollte ich auf den Anmeldeformularen für die Whiskykurse ein paar wirklich wichtige Fragen stellen: Körpergröße, Gewicht, Familienstand, Referenzen von den letzten drei Geliebten.« Ich nahm einen Teller und begann, aus den Resten im Kühlschrank Sandwiches zu basteln.
»Sehr komisch. Du bist versorgt, und wir sind aufgeschmissen.«
»In der Gruppe ist ein ziemlich gut aussehender Spanier«, brachte ich vor. »Die richtige Altersklasse und sehr sexy.«
»Keine langfristige Lösung, aber im Sturm ist wohl jeder Hafen recht, denke ich mal.« Katherine grinste mich keck an.
»Nicht zu verachten, so ein guter Hafen«, erwiderte ich. Ich schaute auf Katherine und verspürte Gewissensbisse. Aber wieso sollte ich ein schlechtes Gewissen haben, nur weil ich glücklich war? Warum sollte ich nicht einfach genießen, dass ich einen so wunderbaren Mann gefunden hatte? Grant war wirklich mein ruhiger Hafen – meine Zuflucht und mein Ruhepol –, selbst wenn rings um uns die Stürme tobten.
Ich goss Wasser auf die Teebeutel in der Kanne, und Katherine trug den Tee und die Henkelbecher zum Tisch. Ich folgte mit dem Teller voller Sandwiches und setzte mich. »Grant und ich, wir haben eine wunderbare Zeit miteinander. Doch die Dinge können trotzdem kompliziert sein.«
»Das ist in den besten Beziehungen so«, murmelte Katherine und biss in ein Sandwich, als hätte sie seit Tagen nichts zu essen bekommen. »Also, wo liegt das Problem, wenn ich fragen darf?«
Ich war noch nicht so weit, dass ich über das größte Problem reden konnte. Irgendwie würde alles nur wirklicher werden, sobald ich es in Worte fasste, und dazu war ich einfach noch nicht bereit, weder im Gespräch mit Katherine noch mit Grant. Stattdessen redete ich über Grants ungewisse Zukunft in der Destillerie.
Katherine wischte sich einen Klecks Senf vom Mundwinkel. »Also immer noch kein Anzeichen, dass sein Geruchssinn zurückkehrt?«
»Leider nein, und es zerreißt ihn fast. Er gibt sich redlich Mühe, das zu überspielen, aber ich sehe es.« Grant war seit vielen Jahren »die Nase« der Destillerie. Seine Fähigkeit, die feinsten Nuancen des Whiskys zu riechen und zu schmecken, war verantwortlich für das unverwechselbare Profil des Whiskys von Abbey Glen. Diese Art von Begabung besaßen nur wenige Menschen. Doch nun war Grant diese Begabung geraubt worden – nur zeitweise, hofften wir –, als ihm jemand während unseres letzten gemeinsamen Abenteuers etwas über den Kopf geschlagen hatte. Ich fühlte mich immer noch dafür verantwortlich und hatte deswegen ein ungeheuer schlechtes Gewissen. Grants Geruchssinn hatte sich nicht so rasch wieder erholt, wie wir gehofft hatten. Es war auch gar nicht klar, wie viel davon zurückkehren würde oder wie bald alles wieder normal sein würde, wenn überhaupt. Dieses Warten war nicht nur für Grant qualvoll, sondern für uns andere genauso schlimm. Obwohl wir uns nun so nah standen, war dies ein Thema, über das er nicht mit mir sprechen wollte. Aber wir hatten wohl beide das Recht auf ein solches Thema.
»Wenn er seinen Geruchs- und Geschmackssinn gar nicht mehr zurückbekommt, wird er dich mehr denn je brauchen«, brachte Katherine vor.
»Er wird mehr als mich brauchen, wenn er plant, ein erfülltes Leben zu haben«, sagte ich leise.
»Was soll das denn heißen?«
»Nichts.« Ich rupfte die Kruste von meinem Sandwich ab und legte sie für die Vögel zur Seite. »Ich bin einfach ein bisschen müde. Hab letzte Nacht nur wenig Schlaf bekommen.«
»Also jetzt gibst du an. Komm schon, erzähl mir von dem Spanier und fang damit an, wo ich ihn kennenlernen kann.«
Unsere Gäste hatten einen anstrengenden Tag mit harter körperlicher Arbeit hinter sich, aber nach einem guten Abendessen im Stag Inn und unter dem Einfluss von großzügig eingeschenkten Mengen unseres neuesten Cask-Strength-Whiskys schienen sie sich wieder zu berappeln. Wir hatten den Nebenraum mit Beschlag belegt, damit die Leute vom Ort in der Hauptbar ihre Ruhe hatten. Früher hatten sich hier einmal die Damen auf einen kleinen Drink treffen können, ohne den derben Späßen der Männer nebenan ausgesetzt zu sein, doch jetzt konnte man den Nebenraum für kleine Gruppen reservieren oder sich auf ein ruhigeres Gespräch dorthin zurückziehen. Durch die Tür zur Hauptbar konnte ich die beiden Steuereintreiber erspähen, die sich auf den besten Sesseln beim Kamin breitgemacht hatten. Am anderen Ende des Raums hatte Hunter in einer Ecke Posten bezogen. Er hatte ein Bier vor sich stehen, linste über seine Zeitung hinweg und versuchte, die beiden Steuerfahnder unauffällig zu beobachten. Nach dem Abendessen würden dann die anderen Ortsbewohner nach und nach zu einem wilden Freitagabend hier erscheinen, so wild, wie er eben in Balfour werden konnte.
Der Bartresen im Golden Stag war prächtig geschnitzt und von Hunter und seinem Vater im Laufe mehrerer Jahre angefertigt worden. Immer wenn ich ihn anschaute, war ich begeistert von den Spiralsäulen und sogar in Holz wiedergegebenen drapierten Karostoffen, die obendrein von zarten Heidekrautzweigen und Eichenlaub umrahmt und mit kleinen Vögeln und Tieren geschmückt waren. Und alles war bis in die feinste Einzelheit ausgearbeitet. Es ging das Gerücht, die Manns hätten diese Arbeit ausgeführt, um ihre in der Bar aufgelaufenen Schulden zu begleichen. Das erklärte zweifellos den beinahe barocken Überschwang der Schnitzerei. Hunter kannte keine Zurückhaltung, wenn ein kleiner Whisky im Spiel war. Dann wiederum konnte es auch sein, dass mich die Leute vom Ort auf den Arm nahmen. Es wäre nicht das erste Mal.
Die drei Jungs von Islay hatten sich eine Ecke am anderen Ende der Bar reserviert. Für meinen Geschmack waren sie ein bisschen zu ernsthaft, aber fairerweise musste man auch sagen, dass schließlich Phil, Reg und Mick in diesem Monat die einzigen Kursteilnehmer waren, die selbst Whisky brannten. Diese drei Musketiere waren gekommen, um hier etwas zu lernen, und sie konzentrierten sich auf jedes Detail des Herstellungsprozesses. Mick war ein muskelbepackter Typ mit dunklem Haar und ernster Miene. Phil und Reg waren runder, blonder und wirkten ein bisschen streberhaft. Beide trugen Jeans und dunkelgrüne Kapuzenshirts, und von hinten konnte man sie kaum auseinanderhalten. Zumindest hatte Phil in der Vorderansicht einen Schnurrbart und buschige Augenbrauen, die aussahen, als wollten sie jeden Augenblick sein Gesicht überwuchern. Phil und Reg hatten sich Cam geschnappt und diskutierten mit ihm über die Wirkung von Kupferrohren auf Geschmacksprofile. Das war weit jenseits meiner Gehaltsklasse. Mick besprach mit Patrick Marketing-Fragen. Ich holte meine Kamera aus der Tasche in der Ecke und machte mich daran, die beiden ins Gespräch vertieften Gruppen zu fotografieren.
Die Brüder Buchanan redeten mit Grant. Anscheinend hatten sie allen technischen Erläuterungen mit großem Interesse gelauscht und tapfer in der Mälzscheune Gerste geschaufelt, schienen aber jetzt bei dem auf Trinken angelegten Teil des Kurses am fröhlichsten zu sein. Ich machte noch ein paar Schnappschüsse, hängte mir dann die Kamera über die Schulter und gesellte mich an der Bar zu den dreien.
»Kümmert sich Grant auch gut um Sie?«, fragte ich.
»Im großen Stil«, antwortete Owen. »Diese Single-Cask-Abfüllung ist grandios. Was hat Sie dazu inspiriert?«
»Wir freuen uns immer, wenn wir einen Whisky wie in alten Zeiten herausbringen können«, antwortete ich rasch, weil ich hoffte, dass Grant dann nichts erklären musste, was er nicht wollte. »Das hier wäre früher die einzige Sorte Abbey Glen gewesen. Die Kunst, Whisky aus verschiedenen Fässern zusammenzumischen, zu komponieren, ist eine relativ neue Entwicklung.« Grant nahm den Gesprächsfaden auf und diskutierte über die Vor- und Nachteile der Komposition von Whisky aus verschiedenen Fässern, um damit eine zuverlässig konstante Version unseres fünfzehn Jahre alten Single Malts zu erreichen. Wir wollten beide nicht über den wahren Grund reden, warum wir im Moment Single-Cask-Abfüllungen machten: um zu verbergen, dass Grant gerade nicht in der Lage war, irgendwas zu komponieren.
»Verkaufen Sie Abzüge von diesen großartigen Fotos von der Destillerie, die im Verkostungsraum hängen?«, fragte Ethan und bezog mich erneut ins Gespräch ein. »Die haben Sie gemacht, nehme ich an.«
»Ja, das sind meine. Ich habe gleich nach meiner Ankunft hier eine Fotoreihe von Abbey Glen aufgenommen.« Ich deutete auf meine Kamera. »Jetzt beschäftige ich mich nur noch mit Schnappschüssen für die sozialen Medien.«
»Sie müssen aber auf der Hut sein«, mischte sich Grant ein. »Abi macht großartige Porträts – sie ist bekannt dafür, dass sie in ihren Bildern die Seele der Menschen einfängt.«
Ich war mir nicht sicher, ob Grant mich damit necken wollte oder nicht, wie so oft, wenn ich versuchte, meine zugegeben ein wenig schräge emotionale Reaktion auf Leute auszudrücken. Ich schätzte die Leute, mit denen ich arbeitete, unweigerlich instinktiv ein. Es war mir selbst ein bisschen unbehaglich, dass ich immer versuchen musste, von einer Person, die ich kaum kannte, eine Art Schnappschuss aus drei Wörtern zu machen, aber das Ergebnis war durchaus nicht willkürlich. In den vielen Jahren, in denen ich Menschen beobachtet und fotografiert hatte, war es mir gelungen, diese Fertigkeit weiter zu verfeinern. Es waren alle möglichen Menschen gewesen, in ihren besten und ihren schlimmsten Zeiten. Auch wenn ich mich jetzt selbst lobte, in den meisten Fällen erwiesen sich meine ersten Einschätzungen als Volltreffer. Mehr noch, meine Fotos bezeugten gewöhnlich meine Sichtweise auf jede einzelne Person. Für die beiden Brüder hatte ich die drei Wörter noch nicht gefunden, aber das war zweifellos nur eine Frage der Zeit.
»Und Sie beide?«, fragte ich und wechselte das Thema. »Was hat Sie auf die Idee gebracht, bei uns Ethans Geburtstag zu feiern?«
»Wir lieben beide Single Malts. Das hatten wir in all den Jahren gemeinsam, und na ja, Ethan hat bei der Arbeit ein bisschen frei bekommen, und das schien uns eine tolle Möglichkeit, seinen Geburtstag zu verbringen.« Owen hob schweigend sein Glas zum Gruß.
Ethan lächelte ein wenig traurig. »Ja, älter werden, das ist wahrhaftig kein Picknick, aber es ist wunderbar, mal von allem weit weg zu sein.« Er ließ den Satz ausklingen, schwenkte sein Glas und schaute zu, wie die Flüssigkeit wirbelte.
Die anderen Kursteilnehmer wirkten freudig angespannt, doch Ethan kam mir einfach nur müde vor. Nicht nur schläfrig, sondern so müde, wie ich mich fühlte, wenn ich Schwierigkeiten hatte, mit dem Leben klarzukommen. Jetzt, da ich ihm gegenüberstand, musste er anscheinend all seine Kraft aufbringen, um nur das Glas an die Lippen zu führen. So was haben wir alle schon mal erlebt, aber es erschien mir doch ein wenig seltsam, dass ein Mann im Urlaub eine solche Mattheit ausstrahlte. Mir kamen die Wörter melancholisch, angegriffen und aus unerfindlichem Grund distanziert in den Sinn. Aber ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, gesellte sich Raoul Serrano-Cortez zu uns. Nach den Gesprächen mit seinen eher ernsten Kurskollegen brach Raouls überschwängliche Begeisterung über den ersten Tag in der Destillerie wie ein Sonnenstrahl in unsere Runde. In starkem Kontrast erschien er mir als dynamisch, unternehmungslustig und leidenschaftlich. Vielleicht würde er doch gut zu Katherine passen.
»Was für ein unglaublicher Tag«, schwärmte er. »Ich habe schon jetzt so viel gelernt. Ich kann Ihnen gar nicht genug danken, Grant, und Ihnen, Abi, dass Sie uns Ihre Tore geöffnet haben.«
Ich musste einfach lächeln. Seine Begeisterung war ansteckend. »Freut mich, dass Sie so viel Spaß haben.« Ich schaute mich um und sah keine Spur von der Drachendame. »Ist Señora Serrano heute Abend nicht bei Ihnen? Sie ist herzlich willkommen, auch wenn sie nicht am Kurs teilnimmt.«
Raoul drehte beinahe unmerklich die Augen zur Decke. »Tantchen fühlt sich nicht so gut. Ich habe ihr Essen aufs Zimmer schicken lassen. Sie meinte, es schiene halbwegs annehmbar, was natürlich bedeutet, dass es hervorragend war.« Raoul grinste. »Sie ist ein bisschen verzogen, ist das das richtige Wort? Ist es gewöhnt, dass alles immer nach ihrem Kopf geht.«
Ich war schwer versucht, ihm zuzustimmen, bemühte mich aber, so diplomatisch wie möglich zu reagieren. Wenn ich mich recht erinnerte, zahlte Elena die Rechnung für das Abenteuer ihres Neffen bei uns. »Gegen hohe Ansprüche ist gar nichts einzuwenden«, antwortete ich.
»Sie sind zu freundlich. Meine Tante macht eine schwere Zeit durch. Vor nicht allzu langer Zeit ist meine Mutter, ihre Schwester, gestorben. Gott sei ihrer Seele gnädig. Wir vermissen sie beide sehr.«
»Mein Beileid.« Ich hörte, wie mir diese leere Formel über die Lippen kam. Ich hasste den Ausdruck, aber mir fiel nicht ein, was ich sonst über eine Frau sagen könnte, die ich nie kennengelernt hatte.
»Gracias. Wir hatten gehofft, dass diese Woche für uns beide eine gute Pause sein würde. Tante Elena wollte, dass ich etwas unternehme, was mich glücklich macht. Ich habe einfach nur gehofft, dass sie hier ein wenig Ruhe und frische Luft genießen würde. Wir sind beide davon überwältigt, wie viele Ansprüche das Familienunternehmen seit Mutters Tod an uns stellt.«
»Hat Ihr Familienunternehmen in irgendeiner Weise mit der Whiskybranche zu tun?«, erkundigte sich Grant.
»Leider nein. Meine Mutter Maria hat vor fünfzehn Jahren die Perfumería Primavera gegründet. Sie ist ein großartiger Erfolg geworden. Elena und ich arbeiten beide für das Unternehmen.«
Der Name kam mir irgendwie bekannt vor. Primavera war berühmt. Ich hatte ihre Anzeigen in der Gazette gesehen. Das erklärte wohl die Duftwellen, die Elena Serrano hinter sich herzog, wo immer sie auch hinging. Meiner Meinung nach war das allerdings eine widerlich süße Wolke übler Dämpfe, und wenn es nach mir gehen würde, wäre der Laden sicher längst pleite. Es war ein Wunder, dass Raoul überhaupt noch einen Geruchs- und Geschmackssinn für den Whisky hatte. Aber immerhin, ein Parfüm-Krösus, das war doch aus Katherines Sicht noch ein weiterer Pluspunkt für ihn.
Ich wandte mich wieder dem Fotografieren zu. Patrick wollte die Bilder für die sozialen Medien und für einen Artikel, den er für das Whisky Journal über unseren Kurs schrieb. Raoul verhielt sich nicht wie ein Parfüm-Krösus. Er schien es im Gegenteil zu genießen, mit seinen Kurskollegen herumzualbern. Er war der Mittelpunkt der Gesellschaft, bis Cam alle Aufmerksamkeit auf sich zog, der hinter der Bar stand und einen weiteren ganz besonderen Whisky zur Verkostung anbot. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Ethan Buchanan sich davonschlich. Er entschuldigte sich und ging in Richtung Treppe.
»Ich denke, dann sollte ich wohl auch hochgehen«, meinte Owen, alles andere als begeistert.
»Komm schon, noch eine Runde«, meinte Raoul, legte Owen plump vertraulich den Arm um die Schulter und zog ihn zur Bar. »Señor Lewis bietet uns gerade noch einen ganz besonderen Whisky an.«