Morden in der Menopause - Tine Dreyer - E-Book + Hörbuch

Morden in der Menopause Hörbuch

Tine Dreyer

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Beschreibung

Die 48-jährige Liv ist Ehefrau, Mutter von drei Kindern und arbeitet erfolgreich als Küchenplanerin. Mit den Wechseljahren hat sie sich noch nie befasst. Stimmungsschwankungen, Hitzewallungen, klar, davon hat sie schon gehört. Aber dass eine Hitzewallung tödlich enden kann, damit hätte sie nun wirklich nicht gerechnet. Und wahrscheinlich auch nicht der Typ, der ihrem pubertierenden Sohn eigentlich nur ein paar Drogen verkaufen will und Liv dabei so provoziert, dass sie ihm den Schädel einschlägt. Ab da gerät ihr wohlgeordnetes Leben gehörig aus den Fugen. Denn die eine Leiche bleibt nicht lange alleine, und jeder neue Tote sorgt für neue Probleme. Aber immerhin auch dafür, dass Liv sich über ihren verdammten Hormonhaushalt informiert und endlich aufhört, sich zwischen Familie, Job und Haushalt aufzureiben. ›Morden in der Menopause‹ erzählt die Geschichte einer Frau, der der Kragen platzt – und zwar so gewaltig, dass ein paar Leute leider über die Klinge springen müssen. Spannend, witzig und originell – der erste menopausale Krimi der Welt!

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Zeit:7 Std. 20 min

Sprecher:Antje von der Ahe
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Die 48-jährige Liv ist Ehefrau, Mutter von drei Kindern und arbeitet erfolgreich als Küchenplanerin. Mit den Wechseljahren hat sie sich noch nie befasst. Stimmungsschwankungen, Hitzewallungen, klar, davon hat sie schon gehört. Aber dass eine Hitzewallung tödlich enden kann, damit hätte sie nun wirklich nicht gerechnet. Und wahrscheinlich auch der Typ nicht, der ihrem pubertierenden Sohn eigentlich nur ein paar Drogen verkaufen will und Liv dabei so provoziert, dass sie ihm den Schädel einschlägt. Ab da gerät ihr wohlgeordnetes Leben gehörig aus den Fugen. Denn die eine Leiche bleibt nicht lange alleine, und jeder neue Tote sorgt für neue Probleme. Aber immerhin auch dafür, dass Liv sich über ihren Hormonhaushalt informiert und endlich aufhört, sich zwischen Familie, Job und Haushalt aufzureiben.

›Morden in der Menopause‹ erzählt die Geschichte einer Frau, der der Kragen platzt – und zwar so gewaltig, dass ein paar Leute leider über die Klinge springen müssen. Spannend, witzig und originell – der erste menopausale Krimi der Welt!

© Teresa Rothwangl

Tine Dreyer ist das Pseudonym einer Autorin, die seit Jahren erfolgreich Kriminalromane und Thriller sowie Drehbücher schreibt. Nicht nur alterstechnisch ähnelt sie ihrer Protagonistin aus ›Morden in der Menopause‹, auch das Hormonchaos, das mitunter die gesamte Familie betrifft, ist ihr bekannt – inklusive aller absurden Folgeerscheinungen. Das Morden überlässt sie allerdings lieber ihrer Romanheldin Liv. Genau wie diese lebt Tine Dreyer mit ihrem Mann, zwei Söhnen und einer Hündin in Köln.

Tine Dreyer

Morden in der Menopause

Roman

E-Book Auflage 2024

© 2024 DuMont Buchverlag, Köln

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Regine Weisbrod

Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln

Umschlagabbildung: © Erfanfebriant/Freepik.com

Satz: Angelika Kudella, Köln

E-Book-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck

ISBN E-Book 978-3-7558-1010-0

www.dumont-buchverlag.de

Östrogen ist das weiblichste aller Hormone. Es sorgt dafür, dass wir uns kümmern und alle versorgen, dass wir Männern gefallen und eine Familie gründen wollen. Fällt der Östrogenspiegel, fällt unsere Stimmung – und damit das Wohlfühlkonzept, von dem alle anderen bisher so fabelhaft profitiert haben.

Prolog

Ich weiß nicht, was Sie über die Wechseljahre wissen. Bei mir war es zunächst nicht viel. Irgendwie waren sie immer weit weg, und die ältere Generation, also meine Mutter und Tanten, haben nie ein Wort darüber verloren. Stimmungsschwankungen und Hitzewallungen, okay, klar, davon hatte ich gehört. Aber dass mit meiner ersten Hitzewallung auch mein erster Mord einhergehen sollte, kam dann doch überraschend. Besonders für diesen bulligen Typen, dem ich im Zuge eines plötzlichen Stimmungstiefs leider den Schädel eingeschlagen habe.

Während meine Monatsblutung also zum ersten Mal ausblieb, stand ich bis zu den Knöcheln im Blut eines Toten.

Bedauerlicherweise sollte es bei der einen Leiche nicht bleiben, unglückliche Umstände sorgten für weitere unglückliche Situationen. Aber auch dafür, dass ich mich über meinen verdammten Hormonhaushalt endlich mal richtig informiert habe.

Denn der Hormonspiegel verändert sich irgendwann, sackt ab, der Vergleich mit einer Art Alterspubertät liegt da nicht fern. Ich erinnere mich noch viel zu gut daran, was wir früher für fröhliche Zeiten hatten, als ich in der Pubertät und meine Mutter in den Wechseljahren war. Unglaublich, wie man so viel heulen und schreien kann wie wir damals.

Ich war felsenfest davon überzeugt gewesen, dass mir so etwas niemals passieren würde. Ich war schließlich ein ganz anderer Typ als meine Mutter, viel gelassener und näher an meinen Kindern. Und wenn ich mich mit einem Thema auskannte, dann mit Hormonen, immerhin hatte ich drei pubertierende Jugendliche zu Hause sitzen. Was sollte mich da also noch überraschen? Ich wusste doch, was Hormone mit einem Menschen anstellen können. Diesbezüglich hatte mich nichts mehr erschüttern können.

So viel zur Theorie.

Inzwischen bin ich zu so etwas wie einer Expertin in Sachen Menopause geworden. Zwangsläufig. Und mit der Beseitigung von Leichen kenne ich mich nun auch ganz gut aus. Ebenfalls zwangsläufig.

Ich weiß, Mord geht gar nicht, dessen bin ich mir durchaus bewusst, das können Sie mir glauben. Aber die Menopause ist nicht viel besser, und ich bin mir nicht sicher, was mir mehr schlaflose Nächte bereitet hat, Mord oder Meno.

Mit meinen achtundvierzig Jahren hatte ich die Menopause noch nicht auf dem Schirm. Gefühlt war ich in meinen Dreißigern, außerdem hatte ich keine Zeit gehabt, mich mit diesem Thema zu beschäftigen. Meine Arbeit als Küchenplanerin füllte mich voll aus – nein, das stimmt eigentlich nicht, denn natürlich machte ich den Job nur in Teilzeit, um mich ansonsten um meine reizenden, schwerstpubertierenden Kinder zu kümmern. Und selbstverständlich um meinen Mann. Und meine Schwiegereltern, die nicht mehr gut alleine zurechtkamen, während ich meine eigenen Eltern schon vor einiger Zeit und im Abstand von zwei Jahren bis zu ihrem letzten Atemzug begleitet hatte. Dank einem funktionierenden Östrogenspiegel machte es mir nichts aus, dass mein Tag sechzehn Stunden hatte, die ich in erster Linie damit verbrachte, es anderen recht zu machen.

Bis zu dem Freitag, der alles veränderte.

Hormone übernehmen wichtige Aufgaben bei der Übertragung von Informationen im Gehirn. Sinkt der Östrogenspiegel, funktioniert das Gedächtnis nicht mehr so gut. Zum Glück renkt sich das irgendwann wieder ein – aber erst mal gibt es eine hübsche Episode menopausaler Schusseligkeit.

1

Ich war seit vier Uhr morgens wach und hatte mich so oft von links nach rechts und wieder zurück gedreht, dass mir fast schwindelig war. Seit Tagen konnte ich nicht schlafen. Vielleicht weil Vollmond war oder ich irgendwas ausbrütete, ich wusste es nicht. Jedenfalls wachte ich jede Nacht auf, teilweise schweißgebadet, teilweise mit Wadenkrämpfen oder Kopfschmerzen, und einschlafen konnte ich danach kein einziges Mal mehr. Ich war wie gerädert.

Jörn lag tief schlafend und schnarchend neben mir, und bei jedem seiner laut pfeifenden Atemzüge wuchs meine Wut.

Wieso konnte er schlafen und ich nicht? Wieso ging ich seit zwei Stunden den Tagesplan jedes Familienmitglieds durch, stellte im Kopf die Einkaufsliste fürs Wochenende zusammen, formulierte die E-Mail an eine schwierige Kundin und bereitete mich auf das Gespräch in Sachen Pflegedienst vor, den wir für seine Eltern engagieren wollten?

Selbst schuld, dachte ich. Keiner zwingt dich, nächtelang über all das nachzudenken. Du könntest ja einfach schlafen, so wie der Rest der Familie auch.

Da ich das aber leider eben nicht konnte, stand ich auf. Inzwischen war es halb sechs, und es erschien mir sinnlos, weiterhin die Matratze zu bewegen. Erst vor einem halben Jahr hatten wir uns ein exklusives Boxspringbett gekauft, das so bequem war, dass Jörn schon beim Probeliegen im Bettengeschäft darauf eingeschlafen war. Wir waren uns beide sicher gewesen, dass es jeden Cent der stolzen sechstausend Euro wert war, die wir dafür hingeblättert hatten, und ich in Zukunft mit Sicherheit besser schlafen würde.

Jetzt schlief ich immer noch nicht besser, und wir hatten sechstausend Euro weniger auf dem Konto, nein, eigentlich zehn, weil wir im Zuge der Bettenanschaffung auch gleich die Nachttische ausgetauscht, den alten Schrank erneuert und alles gestrichen hatten. Allein der Gedanke daran machte mich wahnsinnig und hellwach. Schließlich war der ganze Aufwand im Prinzip nur für mich betrieben worden, und mit drei heranwachsenden Kindern zahlten wir so was nun auch nicht aus der Portokasse.

Ich schlich ins Bad, wunderte mich kurz über meine unglaublichen Augenränder, schlüpfte in Jörns Bademantel, weil der größer und kuscheliger war als meiner, und beschloss, die besagte E-Mail zu schreiben, die druckreif in meinem Kopf vorlag. Frau Wugner, eine äußerst schwierige Kundin, würde sie dann schon zum Frühstück lesen können und sich beeindruckt von meinen Vorschlägen zeigen.

Ich ging nach unten, machte mir einen Kaffee, räumte die Spülmaschine ein und fragte mich, warum niemand in meiner überaus geliebten Familie in der Lage war, einen dreckigen Teller in die Maschine zu stellen, während auf problemlos für alle umsetzbar war. Dann schnappte ich mir mein Handy und setzte mich mit einem Kaffee aufs Sofa, um die aktuellen Nachrichten zu lesen. Obwohl ich mit einem Artikel zur politischen Lage in unserem Land angefangen hatte, erwischte ich mich nach ein paar Minuten dabei, wie ich abwechselnd lustige Hundevideos und nicht minder lustige Hair-Tutorials anklickte. Ich hatte keine Ahnung, wie ich so schnell abdriften konnte. Wenn wir die Zeitung noch in gedruckter Form hätten, wäre so etwas niemals passiert. Wie auch.

Ich gähnte und merkte, wie müde ich war. Warum zur Hölle war ich nur so früh aufgestanden?

Also zurück ins Bad und ab unter die Dusche. Beim Haarewaschen zuckte ich erschrocken zusammen, als ich aus dem Augenwinkel eine nicht zu identifizierende Bewegung wahrnahm. Es brauchte einen Moment, bis ich kapierte, dass es meine Oberarme waren. Wenn ich meine Kopfhaut zu sehr schrubbte, ließ sich der Bingo-Arm-Effekt nicht mehr verstecken. Also massierte ich das Shampoo nun sehr gefühlvoll ein und kam mir sofort total bescheuert vor. Kein Mensch sah hier unter der Dusche meine Wackelärmchen! Schämte ich mich etwa vor mir selbst?

Während ich meine Oberarme zu hassen begann, fiel mir wieder ein, warum ich so früh aufgestanden war. Die E-Mail! Wenn ich aus dem Bad kam, würde ich das sofort erledigen.

Aber erst mal anziehen. Die neue Bluse, die ich vor zwei Tagen gekauft hatte. Hellblau mit weiten Ärmeln im angesagten Oversize-Look, wie mir die Verkäuferin versichert hatte. Ein teures Stück aus reiner Seide, das perfekt zu meiner engen Jeans und den hellblauen Pumps passte, die ich noch maximal eine halbe Stunde am Tag tragen konnte, bevor mir die Füße abfielen. Und mein Rücken machte so ein Schuhwerk schon lange nicht mehr mit. Deshalb erst mal nur Pantoffeln.

Inzwischen war es halb sieben. Der Rest der Familie musste sich also auch langsam erheben.

An der Tür von Hannes’ Kinderzimmer, das nichts Kindliches mehr hatte, hing ein gefundenes Durchfahrt-verboten-Schild. Wie immer ignorierte ich diese Aufforderung und betrat den dunklen Raum, um als Nächstes über irgendwelche Klamotten zu stolpern, die Hannes grundsätzlich auf dem Boden lagerte. Jedenfalls wenn er sich abends ausgezogen hatte.

»Raus hier!«, begrüßte er mich, nachdem ich mich bis zu seinem Bett durchgekämpft hatte und ihn weckte. Klar, mit siebzehn hatte man das Frühaufstehen nicht erfunden, aber in letzter Zeit wurde es immer schlimmer mit ihm. Sein Tag-Nacht-Rhythmus schien sich vollkommen verdreht zu haben.

»Du musst aufstehen, Mu…«

»Nenn mich nicht Muckel!«, unterbrach er mich giftig.

»Auf die Idee würde ich im Leben nicht kommen. Was du mir alles zutraust! Steh jetzt auf!«

Ich schaltete die Nachttischlampe ein und drehte sie so, dass der Lichtkegel ihm direkt ins Gesicht fiel. Wie alle Jugendlichen in seinem Alter hatte er seine dunklen Haare an den Seiten auf Kontostand und oben lang, sodass sie ihm fast über die Augen hingen.

»Wie du nervst!«, motzte er und zog sich die Decke übers Gesicht, das die schlimmste Pickelzeit inzwischen zwar überstanden hatte, aber immer noch ein gepunktetes Minenfeld war.

»Ist nun mal meine gottverdammte Pflicht«, gab ich zurück. »Ich bin schließlich dafür verantwortlich, dass du pünktlich in der Schule bist!«

»Spießerin!«

Ich wollte ihm noch einen Spruch an den Kopf knallen, erinnerte mich dann aber daran, dass ich ja die Erwachsene war und er das, wenn auch recht große, Kind, und riss mich zusammen.

Als ich aus dem Zimmer ging, trat ich noch mal auf etwas Hartes, sah, dass es ein Feuerzeug war, und dachte mit etwas Wehmut an die Zeiten, in denen ich nur auf Legosteine getreten war. Schnell verwarf ich den Gedanken. Nichts war schmerzvoller gewesen als das. Man musste nun wirklich nicht allem hinterhertrauern.

Auf dem sehr kurzen Weg in Sofies Zimmer bemühte ich mich um ein Lächeln. Selbst wenn man gezwungen lächelt, soll sich das positiv auf die Stimmung auswirken, hatte ich gelesen, und ich zog die Mundwinkel nach oben.

Bitch Palace stand in dicken Lettern an ihrer Tür, und ich hatte gar nicht erst angefangen, diesen Schriftzug zu hinterfragen, als Sofie ihn anbrachte. Vielleicht bedeutete Bitch heute etwas anderes als früher, vielleicht hatte Palast aber auch einen Bedeutungswandel erlebt, ich wusste es nicht und wollte es auch nicht wissen. Und nein, ich interessiere mich sehr wohl für das Leben meiner Tochter, aber gewisse Sachen muss man an sich vorbeirauschen lassen, wenn man mit drei pubertierenden Jugendlichen zusammenlebt.

Obwohl Sofie nur zwei Minuten älter war als Hannes, schien sie mit der Pubertät schon viel länger abgeschlossen zu haben als ihr Zwillingsbruder. Jedenfalls optisch. Pickel oder andere Pubertätsmakel konnte man mit der Lupe bei ihr suchen, vom Aussehen her hätte man sie auch für zweiundzwanzig halten können. Von der geistigen Reife her nicht unbedingt.

Ich machte Licht und staunte, dass meine Tochter ihre überschulterlangen, platinblondgefärbten Haare zu Zöpfen geflochten hatte. Als sie die Augen aufschlug, erschreckte sie sich fast zu Tode. »Ah! Mama! Ich krieg gleich einen Herzinfarkt!«

»Weil ich dich wecke?«

»Weil du wie so’n Horrorclown grinsend an meinem Bett stehst!«

Ach ja. Mein selbsttherapeutisches Lächeln. Ich ließ die Mundwinkel wieder nach unten fallen.

»Außerdem hab ich die erste frei, Mann!« Verärgert ließ Sofie sich wieder in die Kissen fallen.

»Oh, tut mir leid, wusste ich nicht.«

»Wirst du langsam plemplem?«, zickte meine Tochter mich an. »Hab ich dir gestern doch zehnmal gesagt!«

»Stell dir einfach selbst einen Wecker«, zickte ich zurück, »dann muss ich das nicht mehr machen. Bist schließlich alt genug!«

»Du weißt genau, dass ich den Wecker nicht höre!«

»Ist das mein Problem?«

»Du bist echt so übel, Mama!«

Rückzug, dachte ich nur. Ab zu meinem Kleinen, der mit fünfzehn Jahren größer war als alle anderen. An seiner Tür klebte ein FC-Köln-Plakat, das ich in keiner Weise hinterfragen musste.

Paul hatte als Einziger Jörns Locken geerbt. Sofie hatte meine blonden glatten Haare, die sie im Moment dramatisch aufhellte, und Hannes hatte Jörns Haarfarbe und meine Haarstruktur, was insgesamt sicher die langweiligste Kombination war. Nur auf Pauls Kopf lockte sich das dunkle, dichte Haar in perfekten Wellen.

Auch er zuckte erschrocken zusammen, als ich ihn sanft an der Schulter rüttelte.

»Mama!«

»Gut geschlafen?«

»Ja … Aber du siehst schlimm aus. Bist du krank?«, fragte Paul besorgt. Dabei hatte ich mein grenzdebiles Lächeln doch längst aufgegeben.

»Ich hab mich noch nicht geschminkt«, antwortete ich schwach. Mir war nicht klar, dass meine Augenringe eine solche Zumutung darstellten.

»Ach so, Gott sei Dank, ich dachte schon, es wäre was.« Paul sackte erleichtert zurück. »Die Mutter von Luca sah während ihrer Chemo auch so aus. Ich hab mir echt Sorgen gemacht.«

Reflexhaft zog ich die Mundwinkel wieder hoch. Wenn man lächelt, geht es einem auch besser, sagte ich mir immer wieder und wieder, und es war mir egal, ob ich wie ein grenzdebiler Horrorclown aussah oder nicht.

Ich möchte jetzt nicht, dass Sie ein falsches Bild von mir bekommen. Ich habe nie zu den Müttern gehört, die sich von ihren Kindern jede Frechheit gefallen lassen. Im Gegenteil. Gute Erziehung war und ist mir noch heute wichtig. Aber an diesem Morgen war ich so durch den Wind, dass ich mir jede weitere Bemerkung krampfhaft verkniffen habe, da ich sonst vermutlich sofort an die Decke gegangen wäre und ein Riesengebrüll vom Zaun gezogen hätte. Bekanntermaßen nichts, was einem weiterhilft oder zum Familienfrieden beiträgt.

»Guten Morgen, Livi!« Jörn sah wie immer fabelhaft aus, als er eine halbe Stunde später in die Küche kam. Die dunklen Locken perfekt nach hinten frisiert, ein schmal sitzender Anzug ohne Krawatte und dazu noch wunderbar nach einem neuen Aftershave duftend. Die wenigen grauen Haare an den Schläfen perfektionierten den George-Clooney-Look.

Männer blühen mit den Jahren auf, Frauen verwelken. Hatte mein Schwiegervater erst vor zwei Tagen zu mir gesagt. Ich brauchte mich nur einmal kurz auf der Straße umzugucken, um zu wissen, dass dieser Spruch nichts mit der Realität zu tun hatte, aber auf Jörn traf er definitiv zu. Er war schon immer attraktiv gewesen, hatte in jungen Jahren jedoch durchaus etwas Bubihaftes gehabt, das jetzt verschwunden war. Äußerlich zumindest. Ansonsten hatte er sich seinen jungenhaften Humor und die damit einhergehende Gelassenheit bewahrt.

»Hey, die Bluse hattest du ewig nicht mehr an!« Jörn gab mir einen Kuss auf die Wange. »Ist die nicht aus Pauls Schwangerschaft?«

»Sie ist neu«, brachte ich gepresst hervor.

»Oh! Sieht … total … gemütlich aus!«

Ich bin mir nicht sicher, was passiert wäre, wenn ich zu diesem Zeitpunkt schon einen Hammer zur Hand gehabt hätte.

Jedenfalls machte ich drei Kreuze, als endlich alle aus dem Haus waren. Die Kinder schlugen nacheinander einfach die Haustür hinter sich zu und murmelten dabei irgendetwas, das vermutlich in Richtung »Tschüss« gehen sollte. Jörn drückte mir zum Abschied immerhin noch einen Kuss auf den Mund.

»Mach dir einen schönen Tag, Liebes«, sagte er gut gelaunt.

»Wird nicht so einfach«, murmelte ich.

»Ach komm! So’n Hausfrauentag ist ja wohl großartig! Was würde ich dafür geben, heute ein bisschen Wäsche zu machen und zwischendurch ausführlich Zeitung zu lesen und Kaffee zu trinken. Na, ich gönn dir deinen freien Tag natürlich.«

Er zwinkerte mir zu und verließ das Haus.

Ich muss Ihnen nicht erklären, dass mein Hausfrauentag nichts mit dem zu tun hatte, was mein Mann sich darunter vorstellte.

Ja, es stimmte, freitags arbeitete ich nicht im Küchenstudio, aber zu glauben, ich hätte einen freien Tag, war eigentlich nicht viel mehr als ein schlechter Witz. Nach der Logik hätten Hausfrauen ja immer frei, was nur jemand behaupten kann, der immer einen großen Bogen um jegliche Hausarbeit macht.

Grundsätzlich war natürlich jeder Tag Hausfrauentag, sonst begann er halt immer erst nach der Arbeit und zog sich bis in den Abend. Jörn war zwar durchaus das, was man als modernen Ehemann bezeichnen würde (jedenfalls in meiner Generation, in der Generation Z würde man solche Typen vermutlich sofort erschlagen), was jedoch unterm Strich nur bedeutete, dass er ab und zu mal kochte, wenn wir Freunde zu Besuch hatten, was diese dann auch in den höchsten Tönen lobten. Von dem alltäglichen Kram, der mit drei pubertierenden Kindern nicht zu unterschätzen war, wenn man nicht wollte, dass irgendwann die Kakerlaken die Macht im Haus übernehmen, hatte er keine Vorstellung.

Ich weiß, was einige von Ihnen jetzt denken, nämlich dass ich selbst schuld war. Damit haben Sie recht. Aber mein Östrogen war bisher halt auf einem überdurchschnittlich hohen Niveau gewesen, es hatte mich bislang einfach nicht sonderlich gestört, dass die heute als Care-Arbeit bezeichnete Plackerei an mir hängen blieb. Außerdem hatte Jörn einen extrem herausfordernden Job, arbeitete in einer Unternehmensberatung und kam grundsätzlich erst sehr spät nach Hause.

Ja, es stimmt, ich hatte mich freiwillig in diese Situation gebracht. Allerdings manipuliert von Hormonen, die mich zu einer familienfreundlichen Marionette gemacht hatten. Falls jetzt der Eindruck entsteht, ich würde glauben, Frauen wären komplett hormongesteuert und praktisch hirnbefreit, dann möchte ich dem energisch widersprechen. Natürlich sind wir den Hormonen nicht hilflos ausgeliefert, und sie schalten auch nicht unsere Denkfähigkeit aus. Ein Raucher ist seinen Zigaretten ja auch nicht hilflos ausgeliefert. Sie verstehen, was ich meine?

Und jetzt waren leider die Hormone oder, um im Bild zu bleiben, die Strippen, an denen die Marionette hing, gekappt worden, und es fiel mir deutlich schwerer, meinen Verpflichtungen nachzukommen. Ich war gestresst wie ein Exraucher in der Entwöhnung. Dass meine Hormone eine gewaltige Schuld daran trugen, wusste ich zu dem Zeitpunkt aber noch nicht – und das ist genau der Grund, warum ich Sie so vehement für dieses Thema sensibilisieren möchte. Denn wenn man, so wie ich, keine Ahnung hat, warum einem die Kontrolle über sich selbst abhandenkommt, fängt man langsam, aber sicher an durchzudrehen.

Doch eins nach dem anderen.

Als Erstes erledigte ich an diesem alles verändernden Tag den Großeinkauf, der einmal in der Woche bei uns anstand. Wer pubertierende Kinder zu Hause hat, der weiß, was die wegmampfen, Jungs noch schlimmer als Mädchen. Es war eigentlich nicht möglich, Hannes und Paul sattzukriegen. Magerquark schaffte ich tonnenweise ins Haus, denn wie alle Jungs in dem Alter gingen auch meine regelmäßig in die Muckibude – ein Begriff, den ich in ihrer Anwesenheit niemals benutzen würde, da mir sonst wieder Boomer-Wortschatz vorgeworfen werden würde. Und ja, es war meinen Kindern völlig egal, dass ich mit der Boomer-Generation so rein gar nichts mehr zu tun hatte, sondern ein klassisches Pillenknick-Kind war.

Abgesehen vom Magerquark und einigen anderen Grundnahrungsmitteln, die wir immer brauchten, irrte ich ein bisschen orientierungslos durch den Supermarkt. Heute Nacht hatte ich noch alles glasklar vor Augen gesehen und genau gewusst, was uns fehlte und was ich nachkaufen musste, aber auf wundersame Weise waren diese Informationen in meinem Gehirn gelöscht worden. Als ich die Waren aufs Kassenband legte, fanden sich dann auch vier Tuben Tomatenmark darunter, und ich fragte mich, was ich damit geplant hatte zu kochen. Tomatensuppe? Nicht auszuschließen.

Nachdem ich zwei große Ikea-Taschen voller Lebensmittel ins Haus geschleppt hatte, ignorierte ich meinen schmerzenden Rücken und machte mich an den Hausputz. Ich zog die Betten der Kinder ab und schwor mir, den Jungs nie wieder schwarze Bettwäsche aufzuziehen, saugte, feudelte mich einmal durchs komplette Haus und packte dann meine Sachen zusammen, um mich auf den Weg zu meinen Schwiegereltern zu machen.

Marlies und Werner waren eigentlich ein ganz reizendes, sehr altes Ehepaar. Jörn war ein Nachkömmling, seine beiden Brüder längst im Rentenalter, und die Eltern gingen steil auf die neunzig zu. Werner hatte zeit seines Berufslebens als Textilingenieur für einen großen Damenoberbekleidungshersteller gearbeitet und seine Frau dadurch über Jahrzehnte mit Unmengen von Kleidern versorgt.

Marlies hatte in den Achtzigerjahren noch eine späte Karriere bei Tenetdor hingelegt, einem Kosmetikhersteller, der vor allen Dingen für seine Nagellacke bekannt war und seine Waren über das Tupperware-Prinzip verkaufte. Marlies organisierte Kosmetikpartys, auf denen sie Schminktipps gab und den Kundinnen bei einem Glas M&M-Sekt die Nägel lackierte. Im Prinzip war sie eine Beauty-Influencerin der analogen Zeit gewesen. Ihre Leidenschaft für Kosmetik und Kleidung hatte sie sich bewahrt, auch wenn sie aufgrund der nachlassenden Sehkraft Lid- und Lippenkonturstift heute leider nicht mehr besonders zielsicher platzieren konnte. Ihre leuchtend rot gefärbten Haare waren nach der schweren Brustkrebserkrankung, die sie vor fünfzehn Jahren hatte durchstehen müssen, zum Glück wieder gut nachgewachsen. Ganz die Alte war sie nach der Erkrankung allerdings nicht wieder geworden. Chemo und Medikamente hatten die Knochen geschwächt, und sie war bei Weitem nicht mehr so gut zu Fuß wie früher. Aber dafür meistens guter Dinge. Durch die eingeschränkte Beweglichkeit hatte sie ein paar Kilo zugenommen und weiter an Leichtfüßigkeit verloren. Sie sollte eigentlich jeden Tag ihren Blutdruck messen, aber nachdem sie sich bei Tchibo eine Blutdruckmessmanschette gekauft hatte, hatte sie diese nur zweimal benutzt. »Ist einfach lästig, wenn der Arm so eingeschnürt wird.« Damit war das Thema erledigt, jedenfalls für Marlies, für ihren Blutdruck noch lange nicht, der regelmäßig an die Zweihunderter-Marke klopfte und mit Herzinfarkt oder Schlaganfall drohte.

Obwohl ich einen Schlüssel hatte, klingelte ich wie immer.

»Hast du an das Tomatenmark gedacht?«, begrüßte mich Werner, als er mir die Tür aufmachte. Die wenigen Haare, die er noch hatte, lagen strähnig auf der Glatze, und sein Hemd war von Flecken übersäht.

»Ja.« Ich unterdrückte ein Seufzen. »Aber ich hab es zu Hause liegen gelassen.«

»Tja.« Werner zuckte mit den Schultern. »Du sagst ja immer, wir müssen uns gesünder ernähren. Wenn du dann die passenden Zutaten nicht mitbringst, kann ich es auch nicht ändern.«

»Eine Tube Tomatenmark macht noch keine gesunde Ernährung.«

»Ist aber ein Anfang.«

Auch Werner hatte gesundheitlich ein paar Federn gelassen. Als überzeugter Genussmensch kam sein Altersdiabetes nicht überraschend, war aber nicht weniger lästig. Immer wieder vergaß er, pünktlich sein Insulin zu spritzen, weshalb er immer häufiger durcheinander war und dann auch körperlich schnell abbaute. An seinen Ernährungsplan hielt er sich natürlich nicht, wer könne denn so viel Gemüse und Salat essen, er sei ja schließlich kein Kaninchen, so sein Credo.

Werner war nicht übermäßig dick, aber zwanzig Kilo zu viel waren es dann doch, die er wie einen verschluckten Ball konzentriert am Bauch trug. Doch er hatte kein Problem damit, und wenn sein Diabetes das hatte, dann musste der eben gucken, wie er damit klarkam.

»Hast du heute deine Gymnastik gemacht?«, fragte ich und hängte meine Jacke an die überfüllte Garderobe.

»Nein.« Er drehte sich zum Treppenhaus. »Marlies?«, rief er laut hoch. »Sie hat das Tomatenmark vergessen!«

»Wird auch nicht jünger!«, rief meine Schwiegermutter von oben.

»Können wir uns wieder nicht an den Diätplan halten.« Werner grinste. Bedauernd sah er mich an. »Dann bringt die Gymnastik auch nichts.«

Sport lehnte Werner genauso ab wie eine Diät. Wozu auch? Er war davon überzeugt, sich ausreichend zu bewegen. In erster Linie ging er mehrmals in der Woche zur Bushaltestelle, um von da aus zur Rennbahn in Köln-Weidenpesch zu fahren – und zu wetten. Was Jörn und ich zunächst als kleine Wettleidenschaft abgetan hatten, hatte sich mit der Zeit zu einem ernsten Problem ausgewachsen. Nicht für Werner, auch nicht für seinen Diabetes, aber für uns, die wir immer öfter seine Wettschulden begleichen mussten. Der fünfstellige Bereich war längst erreicht, und da Jörns Brüder beide nur über eine kleine Rente verfügten, war von Anfang an klar gewesen, dass wir für Werners Spielschulden aufkommen würden – meine Schwiegereltern selbst konnten es jedenfalls nicht. Und Jörn schaffte es nicht, ein ernstes Wort mit seinem Vater zu reden, vielleicht auch, weil er fürchtete, ihm dann den letzten Spaß in seinem Leben zu nehmen. Vielleicht war das auch so, und solange es uns finanziell nicht wirklich störte, wettete Werner eben weiter.

Wenn er es mit seiner Insulindosis allerdings nicht so genau nahm, bevor er sich auf den Weg nach Weidenpesch machte, konnte sein Heimweg schon mal ganz schön abenteuerlich werden. Positiv formuliert. Der Notarzt kam in letzter Zeit jedenfalls immer häufiger zum Einsatz.

Schwerfällig kam meine Schwiegermutter die Treppe herunter. Auch sie wurde überraschenderweise nicht jünger, obwohl sie davon überzeugt war, immer jünger auszusehen – das war das Schöne an einer Alterssehschwäche. Auch die Falten wurden unsichtbar.

»Wie siehst du denn aus?«, sagte sie zur Begrüßung. »Entweder ist die Bluse unvorteilhaft, oder du stehst ganz schön im Futter.«

»Ich freue mich auch, dich zu sehen«, sagte ich und atmete tief durch.

»Dein Busen! Was ist mit deinem Busen passiert?« Marlies musterte meine Brust, als begutachtete sie ein Hühnchen.

»Was ist denn mit ihrem Busen?« In kleinen Trippelschritten kam Werner aus dem Wohnzimmer zurück in den Flur und starrte mir neugierig aufs Dekolleté.

»Der ist größer geworden«, stellte Marlies fachmännisch fest. »Ist im Alter häufig so.«

Im Alter? Ich konnte es nicht glauben. Meine siebenundachtzigjährige Schwiegermutter war im Alter! Aber doch nicht ich!

Wobei sie mit meinem Busen durchaus recht hatte. Aus irgendwelchen Gründen passten mir meine alten BHs kaum noch. Vielleicht hatte ich wirklich zugenommen?

»Ich wollte etwas mit euch besprechen.« Ich bemühte mich um eine besonders positive Stimme.

»Wir wollen keinen Pflegedienst.«

So verwirrt sie manchmal auch waren, so perfekt funktionierte immer noch ihr Gespür für heikle Themen.

Meine Schwiegereltern waren davon überzeugt, sehr gut alleine zurechtzukommen. Im Kühlschrank fanden sich nur noch abgelaufene Lebensmittel, beim Brot wurden die schimmeligen Kanten abgeschnitten, beim Käse sowieso. Der Geruch im Bad war, sagen wir, gewöhnungsbedürftig. Und in die Duschbadewanne kamen sie nach Einschätzung meiner Nase auch nicht mehr allzu häufig.

Es gab schon seit längerer Zeit einen klaren Handlungsbedarf, zumal die Sorge bei Jörn und mir wuchs, dass die beiden irgendwann in der Badewanne stürzen könnten oder vergaßen, den Herd auszuschalten, und dadurch das Haus in Brand setzten. Allen war klar, dass sich etwas ändern musste. Außer Marlies und Werner.

Bisher hatte ich immer mit Engelszungen und einer unglaublichen Geduld auf die beiden eingeredet, aber das war heute anders.

»Es geht hier aber nicht ums Wollen, Herrgott noch mal!« Ich fuhr direkt aus der Haut. »Ihr braucht Hilfe, das müsst ihr doch einsehen!«

»Wir kommen sehr gut alleine zurecht.« Marlies klang pikiert. Sie strich sich ihre rosafarbene Bluse glatt, auf deren Mitte ein großer Kaffeefleck prangte.

»Kommt ihr nicht! Ihr verwahrlost langsam, aber sicher!« Ich ging zum Fenster und riss es auf. »Wann wurde hier überhaupt das letzte Mal gelüftet?«

»Nachdem mir auf dem Sofa das Malheur passiert ist.« Werner grinste schief. »Aber man riecht eigentlich nichts mehr.«

»Du riechst vielleicht nichts mehr.« Ich versuchte, mich zu beruhigen. »Ich mach uns einen Kaffee, und dann besprechen wir alles, okay?«

Eine halbe Stunde später verließ ich stocksauer das Haus und setzte mich wieder ins Auto. Es gab niemanden, der sturer war als meine Schwiegermutter. Werner hatte das Reden ganz seiner Frau überlassen, und sobald ich einen höchst sinnvollen Vorschlag in Richtung Pflegedienst machte, erntete ich giftige Bemerkungen, die entweder auf mein Aussehen abzielten (»Wir verwahrlosen? Hast du mal in den Spiegel geguckt?«) oder auf meine geistige Verfassung (»Ich glaube eher, du brauchst Hilfe!«) oder auf den Zustand meiner Ehe (»Ich helfe Werner mit allem, das machen Eheleute so. Scheint dir wohl fremd zu sein …«). Und obwohl Marlies das alles sehr freundlich hervorgebracht hatte, saß jede Spitze zielsicher und genau und bohrte sich in fruchtbaren, da nervlich labilen Boden.

Warum setzte ich mich mit den beiden eigentlich auseinander? Warum übernahm das nicht Jörn?

Irgendwie war ich in die Schwiegereltern-Betreuung so reingerutscht. Marlies hatte sich gerade von ihrer Krebserkrankung erholt, ich war in Elternzeit, und Jörn hatte dank einem Karrieresprung noch mehr zu tun als vorher. Mit einem krabbelnden Zwillingspaar und einem Neugeborenen an der Brust war ich für jede Hilfe dankbar. Und Marlies und Werner waren froh, sich nicht mehr mit schlimmen Krankheiten beschäftigen zu müssen, sondern sich stattdessen um ihre Enkelkinder kümmern zu können. Jeden Freitag war ich mit den Kindern bei ihnen, konnte in Ruhe einkaufen oder zum Friseur oder ins Bett gehen, während die beiden sich um sie kümmerten. Als die Kinder größer wurden, hatte sich dieser Freitag bereits fest etabliert. Es wäre mir wie Verrat vorgekommen, wenn ich die zwei nun hängen gelassen hätte, ausgerechnet jetzt, da sie wirklich Unterstützung brauchten.

Ich versuchte, mich wieder auf den Verkehr zu konzentrieren, als mein Handy klingelte. Eva, meine beste Freundin. Ich drückte auf die Freisprechanlage. »Hi. Sei mir nicht böse, aber ich bin überhaupt nicht in Plauderlaune.« Bei jeder anderen Person wäre so eine Begrüßung ein Affront gewesen, aber nicht bei Eva. Zum einen kannte ich sie länger als Jörn, und zum anderen wussten alle inklusive Eva, dass sie eigentlich immer nur zum Quatschen anrief. Einen wirklichen Grund für ein Telefonat hatte sie praktisch nie.

Erstaunlicherweise schien sie nicht zu reagieren. Am anderen Ende war nur ein Atmen zu hören.

»Du bist das doch, Eva, oder? Oder bist du dran, Konrad? Oskar?« Ihre beiden Söhne waren etwas jünger als meine, elf und dreizehn, da konnte man sich beim Daddeln mit Mamas Handy schon mal verdrücken.

»Nein … ich bin’s …« Ein Schluchzen war zu hören.

»Ach du Scheiße, Eva, heulst du? Warte.« Ich schnitt einen Porsche, dessen Fahrer sofort wild gestikulierend in meine Richtung schimpfte, und fuhr an den Straßenrand, machte das Warnlicht an und den Motor aus. »Jetzt hast du meine volle Aufmerksamkeit. Was ist passiert? Ist was mit Torge?«

Eva und Torge waren seit der Schule zusammen und führten das, was ich als eine vorbildliche Ehe bezeichnen würde.

»Nein …«

»Was mit den Kindern?«

»…«

Mir rutschte das Herz in die Hose. Ein Unfall? Eine schlimme Krankheit? Ich musste mich räuspern. »Oh Gott, Evchen, was ist passiert? Wie geht es ihnen?«

»Es geht ihnen gut … Oskar, Konrad, Torge … alles super.«

Also Eva selbst. »Du weißt, dass du mir alles sagen kannst. Was ist passiert, Liebes?«

»Ich …« Sie schluchzte erneut laut auf. »Ich hab seit einer ganzen Weile meine Tage nicht mehr bekommen«, begann sie schließlich. »Ich werde in ein paar Monaten fünfzig, da ist das ja nicht so ungewöhnlich. Also habe ich mir nichts dabei gedacht. Werden wohl die Wechseljahre sein …«

»Ist doch nicht so schlimm«, versuchte ich nichtsahnend zu trösten. Eva war ein bisschen älter als ich und daher schon immer mit allen möglichen körperlichen Veränderungen etwas eher dran gewesen.

»Aber dann war mir morgens dauernd übel …« Sie schluchzte erneut auf, und langsam stieg in mir eine düstere Ahnung auf. Das konnte doch nicht wirklich sein, oder? Mein Puls beschleunigte sich, geschuldet der Mischung aus Schreck und Überraschung, die sich in mir ausbreitete.

»Du bist doch nicht … du bist … schwanger?«

Am anderen Ende der Leitung war nun ein lautes Schluchzen zu hören, aus dem ich zwischendurch eine Art von Ja entnehmen konnte.

Ich atmete ein paarmal tief durch, um meinen Puls wieder auf Normalniveau zu bringen. »Du bist ernsthaft schwanger?«

Wieder nur ein zustimmendes Schluchzen.

Mein Schreckgefühl wich einer großen Verblüffung. »Das ist ja ein Ding. Habt ihr nicht verhütet?«

»Es war so schwierig, Konrad und Oskar zu kriegen. Was sollte ich da jetzt noch verhüten? Ich hab fast ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel! Und dann werde ich einfach schwanger! In einem Alter, in dem andere Oma werden!«

Ich musste schmunzeln. »Sooo viele Omis gibt es in unserem Alter nun auch nicht.«

»Trotzdem. Du weißt, was ich meine. Das Thema Baby und Windelwechseln ist so weit weg, wie es nur sein kann! Ich will doch jetzt nicht wieder mit schlaflosen Nächten und dicken Brüsten anfangen!«

Willkommen in meinem Leben, dachte ich nur, sagte aber lieber etwas Beruhigendes und Aufbauendes zu ihr, das eher in die Richtung ging, dass sie das schon alles schaffen werde.

»Wie weit bist du denn?«

»Einundzwanzigste Woche …«

Jetzt war ich für einen Moment sprachlos. »Du bist im fünften Monat, ohne es zu merken?« Von solchen Fällen las man sonst höchstens in der Boulevardpresse, und dann waren die Frauen meistens noch Teenager. »Aber … dein Bauch?«

»Ja … natürlich ist der immer größer geworden. Aber geht uns das nicht allen so? In unserem Alter?« Wieder schluchzte sie.

Damit hatte sie auch wieder recht. »Ich komme so schnell wie möglich vorbei, okay?«

»Wir fahren heute mit den Kindern zu meinen Eltern.«

»Dann treffen wir uns nächste Woche und sprechen in Ruhe über alles. Weiß Torge schon Bescheid?«

»Ja. Der Idiot freut sich.«

»Ich glaube, das ist die richtige Einstellung. Kopf hoch, Süße.«

Natürlich ist »Kopf hoch« nicht die normale Glückwunschformel für jemanden, der ein Kind erwartet. Aber wenn Sie in derselben Altersklasse sind wie Eva und ich, dann werden Sie das verstehen. Es gibt einen Grund, warum die Natur uns hormonell begrenzt hat: Schwangerschaften können enorm anstrengend sein. Und selbst wenn Sie das Glück haben, völlig easy da durchzumarschieren, dann ist spätestens die Säuglingszeit, vorsichtig formuliert, herausfordernd.

Wenn man noch jung und kinderlos ist, ahnt man das alles höchstens und ist ansonsten in gespannter und freudiger Erwartung. Eva wusste das allerdings und stand somit gelinde gesagt unter Schock. Während meine Hormone auf dem Rückmarsch waren, drehten die meiner besten Freundin noch mal voll auf. Ob mir das lieber gewesen wäre? Definitiv nein. Das war der Grund, warum wir damals immer Kondome in der Nachttischschublade hatten. Auch wenn eine Packung für ein Jahr reichte, bestand ich im Fall der Fälle auf den Einsatz der Dinger, da kaum etwas für mich mehr abgeschlossen war als die Familienplanung.

In Gedanken bei Eva fuhr ich nach Hause, kochte anderthalb Kilo Nudeln, schmiss dazu ein paar Hühnerbrüste in die Pfanne, schnibbelte etwas Salat, den ich vermutlich wieder alleine essen durfte, und wartete auf die Ankunft der hungrigen Pubertiere.

Das Gute an Teenagern war: Sie sprachen in der Regel nur, wenn man sie etwas fragte. Wenn ich nicht das normale »Wie war es in der Schule«-Fragen-Programm abspulte, sagte keiner etwas, und alle schaufelten nur in sich hinein. Das kam mir heute gerade recht.

»Sofort weg damit!«, sagte ich streng, als Hannes sein piependes Handy aus der Hosentasche zog. Was Handys beim Essen betraf, verstand ich keinen Spaß.

Offenbar war mein Tonfall recht aggressiv, jedenfalls fiel Hannes das gute Stück vor Schreck aus der Hand. Sofort nahm ich es an mich und legte es auf die Arbeitsplatte.

»Mann, bist du aggro«, murmelte Hannes.

»Ja, tut mir leid. Ich hab gerade erfahren … also, Eva kriegt ein Kind.«

»Was für ne Eva?«, fragte Paul mit vollem Mund.

»Sofies Patentante natürlich.«

Meiner Tochter fiel fast die Gabel aus der Hand. »Die ist doch uralt!«

»Sie ist noch nicht mal fünfzig!«

»Ich sag doch: uralt.« Sofie schüttelte sich. »Dass die überhaupt noch Sex haben. Bah …«

»Also bitte, ja!« Ich sah Sofie streng an. »Ich möchte nicht, dass du so über Eva redest!«

»Sorry, aber die Vorstellung ist nun mal ekelhaft. In dem Alter …« Wieder schüttelte sie sich demonstrativ, und ihre Brüder lachten.

»Witzig, dass ausgerechnet die das sagt, die kein Typ anrühren will«, meinte Hannes kichernd.

Sofies Gesichtsfarbe wurde dunkler. »Halt bloß dein Maul.«

»Ich frag mich, woher das Gerücht kommt, dass Zwillinge sich so gut verstehen«, analysierte Paul relativ nüchtern die Situation. »Von euch kann es nicht kommen.«

»Das gilt für eineiige Zwillinge«, warf ich ein.

»Und vielleicht grundsätzlich eher für Menschen, die nicht mit zwei völlig verblödeten Geschwistern aufwachsen müssen«, ätzte Sofie.

»Oh, dann habe ich es ja richtig schwer«, konterte Paul gut gelaunt.

»Also ich habe in Deutsch jedenfalls keine Fünf geschrieben.« Sofie grinste übers ganze Gesicht. Sie hatte sichtlich ihre Freude daran, wie Paul in Panik geriet.

Erstaunt sah ich meinen Jüngsten an.

»Ich wollte dir das noch sagen, Mama …«

»Du hast die Arbeit ja auch erst seit drei Tagen wieder«, stichelte Sofie weiter. »Da gab es noch keine Gelegenheit.«

»Du hast eine Fünf?«, fragte ich ungläubig nach. Paul hatte noch nie Probleme in der Schule gehabt.

»Gedichtinterpretation. Das braucht kein Mensch! Jambus, Metrum, wozu soll ich so was lernen?«

Ich hatte Verständnis für Pauls Sichtweise, sah das selbst vielleicht nicht viel anders, konnte das aber jetzt unmöglich eingestehen.

»Es ist mir erst mal egal, ob dir das Thema liegt oder nicht«, sagte ich. »Was mir nicht egal ist, ist, dass du mir eine Fünf tagelang verschweigst.«

»Ich wollte es dir noch sagen …«

»Hast du aber nicht.«

»Weil die Bitch mir zuvorgekommen ist!«, regte sich Paul auf.

»Nenn deine Schwester nicht Bitch!«

»Wieso? Ich stehe dazu, eine Bitch zu sein!« Sofie warf ihre langen Haare über die Schulter, die von ihren nächtlich getragenen Zöpfen in Wellen lagen, und ich wusste für einen Moment nicht mehr, was ich sagen sollte.

»Diese Familie ist so irre …«, murmelte Hannes leise, während er sich noch ein paar Nudeln auftat.

»Hier ist überhaupt niemand irre!« Jetzt war ich laut geworden. »Eine Fünf ist nicht schön, aber kein Weltuntergang.«

Paul stand auf und umarmte mich. »Danke, Mama. Tut mir leid, dass ich nichts gesagt habe.«

Ich sah, wie er seiner Schwester einen triumphierenden Blick zuwarf.

»Petzen ist auch nicht schön, aber auch kein Weltuntergang«, sagte ich in Sofies Richtung. »Bitte beides in Zukunft unterlassen.«

Paul nickte, während Sofie ein Nicken nur andeutete. Ich fragte mich, wann meine kleine schüchterne Tochter so cool geworden war. Manchmal, wenn sie sich unbeobachtet fühlte und vor dem Spiegel stand, konnte ich sehen, wie viele Unsicherheiten in diesem siebzehnjährigen Teenager noch steckten, aber die meiste Zeit verbarg sie das nahezu perfekt.

»Wir müssen Eva jetzt helfen«, sagte ich bestimmt. »Sie gehört praktisch zur Familie, und es ist klar, dass wir sie unterstützen müssen.«

»Wie denn?« Hannes hob hilflos die Hände. »Soll ich da etwa Babysitten?«

»Zum Beispiel.«

»Das arme Baby!« Sofie konnte es nicht lassen.

Während ich den Tisch abräumte, gerieten die Kinder über die nächste Nichtigkeit in Streit. Mit einem Ohr glaubte ich mitzubekommen, dass es um die Nutzung der Playstation ging, an die Sofie nun plötzlich auch wollte, obwohl sie eigentlich gar nicht spielte. Aber sie habe das Recht zu spielen, betonte sie immer wieder und brachte ihre Brüder damit auf die Palme. Das Thema eignete sich offenbar recht gut dafür, um sich lautstark anzuschreien, weshalb Hannes das erneute Piepen seines Handys überhörte. Die Nachricht tauchte auf seinem Display auf, und ob ich es wollte oder nicht, sie fiel mir nun mal ins Auge. Offenbar stammte sie von einem Freddy.

Zehn Uhr Sommerwind, Letzter hinten rechts. 10 für dich sind 100 für mich.