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Das hatte sich Frederik Loebell aber mal ganz anders vorgestellt! Erst muss er notgedrungen wieder ins »Hotel Mama« einziehen - und dann wird er auch noch von seiner Jugendliebe Fleur zu einer nächtlichen Führung durch das Neue Palais genötigt. Und als wären die unheimliche Dunkelheit und die seltsamen Geräusche nicht schon schlimm genug, liegt prompt auch noch eine blutüberströmte Leiche im Marmorsaal!
Während Fleur sich nur um den wertvollen Marmorboden zu sorgen scheint, stecken Frederik, Lisi und Tuan mitten in ihrem zweiten Mordfall. Wer war der Tote? Was hatte er nachts im Schloss zu suchen? Und warum glaubt Kommissarin Edda, den Fall so schnell gelöst zu haben? Frederik lässt nicht locker und stößt bei seiner turbulenten Spurensuche auf so manches alte Geheimnis ... Aber will er sie wirklich alle lüften?
Spannend und mit viel Wortwitz: »Der tote Gärtner im Marmorsaal« ist der zweite Fall für Frederik Loebell aus der humorvollen Provinz-Krimi-Reihe »Morden ohne Sorgen«.
Im schönen Potsdam, zwischen Schlössern und Parks, stolpert Frederik mit seinem Zwergdackel Wilhelm über die eine oder andere Leiche. Zum Glück stehen ihm mit der lebensfrohen Reporterin Lisi und dem cleveren Redaktionspraktikant Tuan bei seinen Ermittlungen stets zwei tapfere Helfer zur Seite.
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Seitenzahl: 274
Cover
Grußwort des Verlags
Über diese Folge
Morden ohne Sorgen – Die Serie
Titel
Danksagung
Prolog
Montag, der erste Tag
Hotel Mama Maria
Themenspeicher zum Wochenstart
Haveltaxi ahoi
Willem Zwo
Kondolenz in der Residenz
Nachts im kaiserlichen Museum
Ein Toter im Neuen Palais
Lagebesprechung bei Mama Maria
Dienstag, der zweite Tag
Tratsch am Küchentisch
Tatort Marmorsaal
Faule Eier und Briefe
Schmarrn und Haxn
Roys Wohnwagen
Alles für die Eins
Stevies Lucky Lolly
Graf Anton hält Hof
Mittwoch, der dritte Tag
Zaren-Ei zum Frühstück
Eddas Tauchgang
Pilger, Gespenster und Wahlkampf
Marina mit Leiche
Erkenntnisse bei Apfel-Streusel
Habemus Frederik
Donnerstag, der vierte Tag
Durchblick am Belvedere
Anton, Albert und die Tagebücher
Obduktion in Frankfurt – oder?
Sanssouci-Dackél
Malstunde mit Tischdecke
Freitag, der fünfte Tag
Jacques und seine Drillinge
Fünf Freunde und Hund
Tante Annas schönster Tag
Boulevard-Klamauk im Krankenzimmer
Grillabend mit Überraschung
Epilog
In der nächsten Folge
Über den Autor
Impressum
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Das hatte sich Frederik Loebell aber mal ganz anders vorgestellt! Erst muss er notgedrungen wieder ins »Hotel Mama« einziehen – und dann wird er auch noch von seiner Jugendliebe Fleur zu einer nächtlichen Führung durch das Neue Palais genötigt. Und als wären die unheimliche Dunkelheit und die seltsamen Geräusche nicht schon schlimm genug, liegt prompt auch noch eine blutüberströmte Leiche im Marmorsaal!
Während Fleur sich nur um den wertvollen Marmorboden zu sorgen scheint, stecken Frederik, Lisi und Tuan mitten in ihrem zweiten Mordfall. Wer war der Tote? Was hatte er nachts im Schloss zu suchen? Und warum glaubt Kommissarin Edda, den Fall so schnell gelöst zu haben? Frederik lässt nicht locker und stößt bei seiner turbulenten Spurensuche auf so manches alte Geheimnis … Aber will er sie wirklich alle lüften?
Spannend und mit viel Wortwitz: »Der tote Gärtner im Marmorsaal« ist der zweite Fall für Frederik Loebell aus der humorvollen Provinz-Krimi-Reihe »Morden ohne Sorgen«.
Im schönen Potsdam, zwischen Schlössern und Parks, stolpert Frederik mit seinem Zwergdackel Wilhelm über die eine oder andere Leiche. Zum Glück stehen ihm mit der lebensfrohen Reporterin Lisi und dem cleveren Redaktionspraktikant Tuan bei seinen Ermittlungen stets zwei tapfere Helfer zur Seite.
ANDREAS K. BUCHHOLZ
Der tote Gärtner im Marmorsaal
Ein Potsdam-Provinz-Krimi
Frederik Loebell hätte niemals das Licht der Welt erblickt, hätte es nicht im richtigen Moment die wunderbare Kirsten Harder und ihre Buch Akademie gegeben. Ich bin ihr, ihren Kolleginnen und auch Ursula Luckner für die großartige Unterstützung bis heute unendlich dankbar.
»Herzversagen und im Schlaf gestorben. Das ist doch ein schöner Tod.« Der Arzt kniete auf dem Boden und griff nach seiner Tasche, Katharina von Hanfstedt schnaubte empört.
»Und warum liegt die arme Cosima auf dem Teppich? Neben ihrem Bett und nicht mittendrin?« Katharina winkte ihrem Freund Graf Anton, der sie mit dem Rollstuhl weiter in das Zimmer schob. Es war eine kleine Suite in Potsdams neuester und luxuriösester Altersresidenz, dem Lordmarschallhaus. Aus dem Fenster konnte man das Schloss Sanssouci sehen, das oberhalb der berühmten Weinbergterrassen thronte. Katharina und ihr Graf gehörten mit sechs weiteren Damen und einem Herrn zu den allerersten Bewohnern. Sie waren erst vor wenigen Monaten eingezogen. Und jetzt war eine von ihnen tot.
Der Arzt begann den Totenschein auszufüllen. »Diese Frage kann ich Ihnen leider nicht beantworten, meine Liebe. Wie alt war sie denn?«
»Einundsiebzig.« Schwester Agnes, die an diesem Morgen Dienst hatte, stand am Ende des Bettes und gab routiniert Auskunft.
Katharina ließ nicht locker. »Cosima war hier die Jüngste. Und eine der Fittesten war sie auch. Erst letzte Woche ist sie von den Kanaren zurückgekommen. Und dann stirbt sie einfach so, auf dem Boden? Das ist doch merkwürdig, finden Sie nicht?«
Schwester Agnes blieb sachlich. »Sie hatte Bluthochdruck und fühlte sich seit der Rückkehr von der Reise nicht mehr wohl. Das alles war ihr sicher etwas zu viel.«
Der Arzt unterschrieb das Dokument. »Tja, das Alter ist tückisch und unberechenbar. Ich muss jetzt los. Sie kümmern sich um alles Weitere, Agnes? Wie immer?« Mit einem Kopfnicken verließ er den Raum.
Katharina blickte ihm verärgert hinterher. »Wie immer. Was meint er denn damit? Wir sterben hier doch nicht weg wie die Fliegen. Und was sagt er, wenn ich da eines Tages liege?«
»Wie immer …«, begann Schwester Agnes. »Wie immer werden wir uns darum kümmern, dass der letzte Weg in Würde zurückgelegt wird. Vertrauen Sie mir bitte, dafür sind wir ja da.«
»Lass sie ihre Arbeit machen«, warf Graf Anton ein. »Wir haben später sicher noch Zeit, um in Ruhe Abschied zu nehmen.«
»Aber das ist alles schon recht verdächtig.« Katharina sah sich im Zimmer um. Die Türen des Schranks standen weit offen. Auf dem Boden lagen Stapel mit Papieren, alten Briefen und Dokumenten. »Und wie unordentlich es hier ist. Das passt so gar nicht zu unserer Cosima. So ein Chaos war hier noch nie.«
»Vielleicht hat sie etwas gesucht und in alten Erinnerungen geschwelgt. Tun wir das nicht alle hin und wieder?« Graf Anton wandte sich zum Gehen. Katharina zog ihr Handy aus der Handtasche und suchte eine Nummer. »Was machst du da?«
»Ich rufe bei der Polizei an.« Sie wählte die Nummer. Schwester Agnes rollte mit den Augen. »Edda? Hallo? Ja, ich bin es, Katharina. Ja, mir geht es gut. Nein, mir ist nichts passiert. Warum? Wieso früh? Es ist kurz nach acht! Wie, du bist noch zu Hause? Musst du nicht arbeiten? Du, ganz kurz. Wir haben hier eine Leiche. Was? Wo? Ich bin zu Hause. Ja, genau. Heim? Nein, was für ein schreckliches Wort. Wir sagen Residenz. Hörst du, Kind. Residenz. Und wir haben hier eine Tote. Meine liebe Freundin Cosima ist …« Sie stockte, ihr Blick verfinsterte sich. »Ja, der Arzt war da. Natürlicher Tod, Herzversagen. Sie hatte Bluthochdruck. Was soll er denn anderes sagen. Nein, er ist schon wieder weg. Wie? Nicht deine Baustelle? Aber du bist doch bei der Polizei? Du kommst vorbei? Wann? Heute Mittag? Nicht jetzt? Kind, ich … Sie hat aufgelegt. Sie hat einfach aufgelegt.«
»Lass es gut sein. Es gibt jetzt Frühstück.« Anton griff ihren Rollstuhl. »Wollen wir?«
Katharina drehte sich empört zu ihm um. »Das ist nicht dein Ernst? Frühstück? Ich kann jetzt nichts essen. Was, wenn das hier ein Mord war? Sie wollte uns die letzten Tage immer etwas sagen. Erinnerst du dich? Und wir haben ihr nie zugehört. Ich glaube, hier ist etwas faul.«
Schwester Agnes stöhnte. »Jetzt übertreiben Sie aber etwas. Graf Anton hat recht. Bitte gehen Sie nach unten zu den anderen, damit ich hier meine Arbeit machen kann.« Kopfschüttelnd ließ sich Katharina vom Grafen aus dem Raum schieben. Schwester Agnes blickte auf die Tote. »Mord, genau. Die hat wohl zu viele Krimis gelesen.«
Frederik Loebell saß im Esszimmer seines Elternhauses im verträumten Potsdamer Stadtteil Bornstedt. Es war ein kleines Häuschen am Rande des berühmten Schlossparks Sanssouci, das schon arg in die Jahre gekommen war. Optisch hätte es auch gut in einen alten Miss-Marple-Krimi in der englischen Provinz gepasst. Dunkle Eichenbohlen hielten das rote Fachwerk des Hauses zusammen. Ein spitzer Giebel krönte das Dach, das Efeu wuchs bis unter die Ziegel.
Loebell schaute aus dem Fenster. Dort lag ein kleines Feld in der Morgensonne. Dahinter bewegten sich die alten Eichen des Schlossparks sanft im Wind. Sein Blick fiel zurück auf die Tageszeitung, die vor ihm auf dem Tisch lag. Die Potsdamer Stadtnachrichten verkündeten an diesem Morgen in großen Lettern: »Hagemanns Umfragewerte stürzen ab: OB im freien Fall!«
»Ha, der fängt sich nicht mehr«, frohlockte Loebell. Die Wahlen zum Potsdamer Oberbürgermeister standen an. Und für Amtsinhaber Frank Hagemann sah es gar nicht gut aus. Loebell las den Artikel, den sein Kollege Kay Kickmann, der diese Woche aus seinem Sabbatical zurückgekehrt war, verfasst hatte. Loebell mochte diese Typen nicht, weder Kickmann noch Hagemann.
Seine Mutter Maria stellte eine dampfende Schale Haferbrei mitten auf die Zeitung. »Hast du gesehen, sie wollen diese Woche endlich den Tresor öffnen.«
Verärgert schob Loebell die Schüssel beiseite, beim Anblick des Breis verging ihm jeder Appetit. »Was für einen Tresor?«
»Das steht weiter hinten. Der sensationelle Fund im Neuen Palais. Das ist der zweite geheime Tresor, den sie in dem Schloss entdeckt haben. Unglaublich ist das. Dieses Mal soll es der Tresor einer Prinzessin sein. Von der Tochter des letzten Kaisers. Letztes Mal haben sie Monate gebraucht, um ihn zu öffnen. Und weißt du, was da drin war? Briefe. Kein Schatz, einfach nur Briefe. Iss den Brei, Frederik.« Sie schob ihm die Schüssel wieder vor das Gesicht.
Loebell testete mit dem Löffel die Konsistenz. »Der ist steinhart, damit kann man ja Häuser bauen.«
»Dann mach das doch. Und hast du das Glas Wasser getrunken? Morgens immer den Körper gut durchspülen, das Gift der Nacht muss raus. Und warst du schon mit dem Hund draußen?«
Loebells Dackel Wilhelm flüchtete mit einem leisen Jaulen unter das Sofa. »Ich habe ihn in den Garten gelassen, wie jeden Morgen. Das reicht.«
»Das Tier braucht Auslauf, sonst wird es fett«, kam es aus der Küche.
Loebell lag eine wüste Zurückweisung auf der Zunge, aber er blieb lieber still. Das Tier war ein Dackel. Ein Zwergdackel, um genau zu sein. Und es war ein er. Sein Wilhelm eben, und der war nicht fett, sondern sportlich und fit. Ganz wie sein Herrchen. Bei dieser Selbstlüge musste Loebell grinsen, beim Blick auf den Haferbrei verflog aber auch das schnell. Hotel Mama Maria war eine Herausforderung an sein Nervenkostüm, zumindest morgens.
Die ersten Tage nach seiner Rückkehr in die Potsdamer Heimat hatten er und Wilhelm noch im Schlossparkhotel residiert, auf der anderen Seite des Parks. Das war wie Urlaub gewesen, mit prächtigem Frühstücksbuffet, eigener Terrasse und ohne mäkelnde Mutter. Von den zwei Morden in jenen Tagen einmal abgesehen. Doch dann mussten Loebell und sein Wilhelm notgedrungen zur Mama nach Bornstedt umsiedeln. Die Wohnungssituation in der Brandenburger Landeshauptstadt war eine schiere Katastrophe. Loebell hatte die Suche schnell aufgegeben und war in sein altes Kinderzimmer gezogen, des Geldes wegen und hoffentlich nur vorübergehend.
Zumindest war das der Plan. Als kleiner Lokalreporter der Potsdamer Stadtnachrichten verdiente er nicht viel, trotz seiner langen Berufskarriere und über fünfzig Lebensjahren. Den großen Job bei einem Münchner Medienmagazin hatte er Anfang des Jahres gründlich gegen die Wand gefahren. Und seinen guten Ruf in der Journaille gleich mit. Halbe Sachen waren halt nicht sein Ding.
Das Grundstück mit dem Häuschen seiner Mutter musste ein Vermögen wert sein, vermutete Loebell. Hier hatte er mit Mama Maria und Tante Katharina eine liebevolle Kindheit verlebt. Hier war Heimat, hier war die Welt noch so, wie er sie vor zwanzig Jahren zurückgelassen hatte. Aber von Romantik war dieser Tage nur wenig zu spüren. Die rüstige Maria, einst beliebte Kneipenwirtin, war weit über siebzig und führte von morgens bis abends ein strenges Regiment.
»Wir müssen los, Redaktionskonferenz in zwanzig Minuten.« Loebell sprang auf, ohne den Haferschleim angerührt zu haben. Der drängende Zeitdruck war etwas übertrieben, aber solch kleiner Notlügen bediente sich Loebell gern. Sie hatten ihn schon aus vielen unbequemen Situationen gerettet. Hastig griff er sich Wilhelms Leine und flüchtete durch die Terrassentür in den Garten, um nicht an seiner Mutter vorbeizumüssen. Der Dackel schoss durch seine Beine ins Freie.
Als er sein Fahrrad durch die Gartenpforte schob, fing ihn seine Mutter vorne auf der Straße ab und reichte ihm eine Tüte. »Bring die Dose wieder mit. Wenigstens das eine Mal.« Loebell musste den Inhalt nicht prüfen, er wusste, was da drin war. Eine runde Plastikdose mit gelbem Deckel, bis zum Rand gefüllt. Haferschleim to go und das tagtäglich. Ein Albtraum.
Loebell strampelte mit seinem Redaktionsfahrrad die kleine Anhöhe hinter dem Orangerieschloss von König Friedrich Wilhelm IV. hoch. Es thronte herrschaftlich über dem alten Schlosspark mit seinem prächtigen Baumbestand, nur wenige Hundert Meter vom berühmten Schloss Sanssouci entfernt. Dackel Wilhelm saß stolz vorne im Körbchen und hielt die kleine Schnauze fröhlich in den Fahrtwind. Als sie hinab zur Hauptstraße rollten, machte Loebell wie an jedem Morgen einen Bogen zu dem Mülleimer an der Bushaltestelle und holte mit einem Arm weit aus.
»Volltreffer«, grölte er, als die Tüte samt Dose und Haferschleim treffsicher in der Tonne landete. Mit bellendem Dackel radelte Loebell lachend tiefer in den Schlosspark und auf Potsdams Innenstadt zu, bereit für einen neuen Arbeitstag.
Hien Phan, die Büroleitung der Potsdamer Stadtnachrichten, einer kleinen traditionsreichen Regionalzeitung, eröffnete die morgendliche Redaktionskonferenz mit einer ungewöhnlichen Mitteilung. »Der Chef hat sich für heute abgemeldet.« Alle sahen erstaunt auf. »Das gibt uns die Chance, die Woche effizient und ohne Diskussionen zu starten. Deshalb habe ich beschlossen, dass wir heute eine der alten Ideen aus dem Themenspeicher in Angriff nehmen und daraus einen schönen Artikel machen.« Sie blickte zufrieden in die Runde.
Den Begriff Themenspeicher hatte sie sicher in irgendeinem Motivationsseminar aufgeschnappt, vermutete Loebell mit Unbehagen. Er sah zum Dackel, der auf seinem Schoß saß. Neben ihm rutschte Lisi nervös auf ihrem Stuhl hin und her. Die ehemalige Radioreporterin, genauso alt wie Loebell, trug eigentlich den schönen Namen Lieselotte und war erst vor wenigen Tagen fest in das Team der Stadtnachrichten gewechselt. Gemeinsam mit dem jungen Redaktionsassistenten Tuan gehörte sie nun zu Loebells neuen Kollegen. Sie waren ein super Team und Loebell schnell ans Herz gewachsen. Auch ihre Erfolgsbilanz konnte sich durchaus sehen lassen. Zusammen hatten sie in Potsdam bereits zwei Morde aufgeklärt und das beliebte Musikfestival vor einer Katastrophe bewahrt. Selbst sein Wilhelm hatte es zu etwas gebracht. Er war zum offiziellen Redaktionshund ernannt worden und genoss im Büro allergrößte Privilegien, sogar bei Chefredakteur und Herausgeber Winfried Gallig. Doch der herrische Gallig war heute nicht da.
Tuan eröffnete wie immer vorlaut die Fragestunde. »Was hat der Chef denn, ist er krank?«
Hien, die auch Tuans ältere Cousine war, hielt sich bedeckt. »Geht uns nichts an, ist seine Privatsache.«
»Sind es die Frauen?«, hakte Lisi nach. In der Redaktion war es kein Geheimnis, dass Gallig ein Verhältnis mit Helga Hagemann, der Ehefrau des Potsdamer Oberbürgermeisters unterhielt.
»Lisi, was verstehst du an dem Begriff Privatsache nicht? Bitte keine Spekulationen. Gerüchte haben bei uns keinen Platz, wir konzentrieren uns auf Fakten.« Loebell lachte laut auf, wofür Hien ihn mit einem strengen Blick bestrafte und ein Blatt Papier zückte. »Also, was steht Schönes auf unserer Liste?«
»Das sind doch wieder nur die ollen Themen von gestern«, maulte Tuan. »Können wir nicht neu brainstormen?«
Auch beim Wort »brainstormen« wurde Loebell unwohl. Im Geiste sah er sich bunte Klebezettel beschriften und an eine Wand pappen, neben die Wolke mit dem Themenspeicher.
Hien zeigte auf die Liste. »Das hier sind die Wunschthemen des Chefs. Und ihr wisst, dass er sie nicht vergessen wird, bis sie abgearbeitet sind. Ich tippe jetzt mit geschlossenen Augen auf diese Liste und wähle so das Thema der Woche.« Sie hielt sich mit der linken Hand die Augen zu und tippte mit der anderen auf das Papier. Dann studierte sie den Treffer. »Happy Birthday! Willem Zwo und das runde Jubiläum. Na, wer freut sich?«
»Bitte nicht die bekloppten Camper«, protestierte Tuan.
Hien strahlte. »Bingo. Das große Jubiläum vom Campingplatz Willem Zwo am Ufer der schönen Havel. Länger hätten wir das auch nicht aufschieben sollen. Sonst ist der Jahrestag ja vorbei. Da könnt ihr auch gleich die neue Linie des Wassertaxis testen, die steuert seit letzter Woche nämlich den Campingplatz an. Willem Zwo, das Thema lag bei euch zwei? Tuan? Loebell?«
Lisi riss einen Arm hoch und schnippte mit dem Finger. »Wassertaxi? Eine Bootsfahrt auf der Havel? Das mache ich, bitte ich!«
»Ich glaube, mein lieber Cousin gibt das Campingthema sehr ungern ab.« Hien zwinkerte Tuan zu.
»Wirklich sehr ungern.« Er verschränkte die Arme. »Aber ich mache mal eine Ausnahme.«
»Yes!« Lisi ballte eine Faust. »Wann geht’s los?«
»Setzt euch mit dem Wassertaxi in Verbindung und checkt die Abfahrtszeiten. Und informiert dann die Camper.« Hien sah in ihr Notebook. »Was steht denn die Woche sonst noch an, ah ja. Der Wahlkampfauftakt von Hagemann und die Tresoröffnung im Neuen Palais. Und wofür machen wir das alles? Wie lautet unser Motto?«
»Alles für die Eins, immer für die Eins«, sagten alle brav im Chor und äfften so Chefredakteur Gallig nach, der diesen Spruch jeden Morgen brachte. Er war ein Freund der alten analogen Welt und tat sich schwer, sein Blatt digital aufzustellen. Loebell empfand dafür viel Sympathie.
Hien klappte ihr Notebook zu und verließ zufrieden den Raum. Tuan folgte ihr auf dem Fuße, Lisi jubelte immer noch und Zwergdackel Wilhelm schnarchte. Loebell starrte auf sein Handy. Er durchsuchte mal wieder die Angebote für Potsdamer Mietwohnungen. »Was wohl so ein Wohnwagenstellplatz auf einem Campingplatz kosten mag. Wird im Herbst und Winter sicher billiger sein.« Vielleicht fand sich heute ja eine Alternative für Hotel Mama.
»Wo ist denn die nächste Anlegestelle für das Wassertaxi?« Loebell trottete mit Dackel hinter Lisi aus dem Verlag. Die Redaktionsräume der Stadtnachrichten lagen am Luisenplatz, mitten in Potsdam, zwischen Innenstadt und Schlosspark.
»An der Langen Brücke, oben am Stadtschloss. Komm, wir nehmen die Straßenbahn.« Lisi griff nach Wilhelms Leine. »Decken wir uns für den Ausflug mit Proviant ein?«
Loebell winkte ab. »Wir machen keinen Ausflug, wir haben einen Arbeitstermin. Wenn Gallig mitbekommt, dass wir bei den Campern mit Picknickkorb und Decke angetanzt sind, gibt’s nur unnötig Ärger.«
Sie nahmen die Tram in Richtung Hauptbahnhof, wo Lisi den erstbesten Supermarkt ansteuerte. »Ohne Proviant geh ich nicht aufs Boot. Man muss das Leben genießen, solange man kann.«
Loebell hob seinen Dackel in die Tasche. »Uns bleibt auch nichts erspart, was, Wilhelm? Und du bist kurz still, hörst du?« Vorsichtig zog er den Reißverschluss etwas zu und folgte Lisi in den Supermarkt. Der Dackel schob die Schnauze durch die Öffnung und beobachtete interessiert die Lage.
Lisi nickte zur Tasche. »Wie schaffst du es, dass er immer so still ist, wenn wir einkaufen gehen?«
»Hartes Training«, sagte Loebell. »Ich bin alleinerziehender Dackelvater. Wie soll ich sonst überleben?«
Lisi ließ ein Sechserpack Bier in den Einkaufswagen gleiten. »Den Feierabenddrink nehmen wir lieber gleich mit. Gott weiß, wie lange dieser Ausflug heute dauert. Und Sonnencreme brauchen wir auch. Hast du einen Hut? Auf Schiffen brennt die Sonne immer erbarmungslos.«
Sie spurtete in den nächsten Gang, Loebell eilte hinterher. »Du klingst schon wie meine Mutter. Wir machen doch keinen Urlaub.«
»So kann ich aber besser arbeiten.« Lisi lud zwei Tüten Chips, Limonade und an der Theke frisch belegte Brötchen in den Einkaufswagen. »Und jetzt zur Kasse.«
Loebell starrte auf die Einkäufe, der Wagen war fast voll. »Und wer trägt das alles?«
»Na, ich sicher nicht.« Sie begann das Kassenband zu beladen. »Zum Tragen hat Gott den Mann geschaffen, nicht die Frau. Zum Bezahlen übrigens auch.«
Loebell seufzte. »So viel zum Thema Gleichberechtigung.« In dem Moment klingelte sein Handy, er nahm ab.
»Frederik, wir haben hier eine Tote. Es ist schrecklich.« Seine Tante Katharina, ihre Stimme klang fast wie die seiner Mutter. Vorwurfsvoll, tadelnd, als wäre Loebell an allem schuld.
»Eine Tote? Bei euch im Altenheim? Pardon, ich meine in der Residenz?« Er stand vor einer gelangweilten Kassiererin, die jeden Artikel in Zeitlupe über den Scanner zog.
»Cosima ist tot. Wir haben sie heute früh gefunden. Neben ihrem Bett. Ich glaube, sie wurde ermordet. Und wir alle haben ihr nicht geglaubt. Wir sind schuld, auch du.« Sie stockte. »Was piept denn da?«
»Tüte?«, fragte die Kassiererin laut. Ihr Timing war recht unpassend.
»Ich glaub, wir brauchen zwei«, rief Lisi ebenso unpassend dazwischen.
»Frederik, bist du etwa einkaufen?«, kam es prompt von seiner Tante. Sie klang misstrauisch. »Musst du nicht arbeiten?«
»Und ich bräuchte noch Zigaretten.« Lisi klopfte laut auf den Automaten.
Loebell überging die Frage. »Ermordet? Übertreibst du nicht etwas, liebe Tante? Wie ist sie denn gestorben?«
»Eines natürlichen Todes, sagt zumindest der Arzt. Aber der wollte nur schnell wieder weg. Dem glaube ich kein Wort.«
»Und warum glaubst du ihm nicht?«
»Dreiundzwanzig sechzehn.« Die Kassiererin fuhr ihm erneut in die Parade.
»Frederik, ich dachte, du arbeitest um diese Zeit?« Seine Tante klang jetzt hörbar empört.
Loebell versuchte abzulenken. »Was ist mit Cosima passiert?«
»Sie lag neben ihrem Bett auf dem Boden. Und im Zimmer herrschte großes Chaos. Das passt so gar nicht zu ihr. Da stimmt etwas nicht. Wir hätten es wissen müssen. Auch du hast ihr nie zugehört. Du musst schnell kommen, hörst du?«
Loebell versuchte sie abzuwimmeln. »Ich muss arbeiten, Tante Katharina. Wir müssen raus nach Geltow, wir haben dort einen Termin. Ich schaue später vorbei, okay?«
»Beeilung, das Boot legt gleich ab.« Lisi lief aus dem Supermarkt raus, ohne eine der Tüten auch nur angefasst zu haben.
»Boot? Frederik, machst du einen Ausflug? Wenn dir dein Freizeitspaß wichtiger ist als meine tote Cosima, dann nehmen wir die Sache eben selbst in die Hand. Anton und ich.« Sie legte auf.
»Freddy, trödle nicht so. Was ist denn los?« Lisi sah Loebell ungeduldig an, als er vollbepackt zu ihr auf die Straße trat.
Er ließ den Dackel aus der Tasche. »Das war meine Tante. Im Altenheim gibt es eine Tote.«
»Oh, die Arme. Und warum hat sie angerufen?«
Der Anleger des Potsdamer Wassertaxis lag unterhalb der Langen Brücke, die sich über die Havel spannte und die Innenstadt mit dem Hauptbahnhof verband. Gegenüber glänzte das Stadtschloss im Sonnenlicht. Es war erst vor einigen Jahren wieder originalgetreu aufgebaut worden, zumindest die Fassade. In ihm residierten die Vertreter des Volkes, die Abgeordneten des Brandenburger Landtags.
»Bitte um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen«, rief Loebell, als das kleine Schiff der Wassertaxi-Flotte gerade an den Steg rauschte. Hier war ein flotter Bootsführer am Ruder, staunte er anerkennend. Das einstöckige Bötchen war gelb-schwarz lackiert, am Bug las er den großen Schriftzug ›Haveltaxi‹.
»Warst du bei der Marine, oder was soll das?«, spottete Lisi. Ohne abzuwarten, setzte sie ihren Fuß auf die Planke, Wilhelm sprang wedelnd hinter ihr an Deck.
Loebell hielt sie zurück. »Das macht man nicht. Man wartet auf die Einladung des Käptens«, belehrte er sie.
Am Ruder stand ein braungebrannter junger Mann. »Erlaubnis erteilt. Aber wir sind ein Fahrgastschiff, nicht die Marine.«
»Das habe ich mal irgendwo gelesen«, gab Loebell kleinlaut zu.
»Seid ihr die zwei von der Zeitung?«, überging der Kapitän Loebells Rechtfertigung.
Lisi lächelte den jungen Mann übertrieben freundlich an. »Ganz genau, von den Stadtnachrichten. Wir wollten bis Geltow mitfahren und euch mal testen. Sind wir die einzigen Fahrgäste?« Das Schiff war leer, auch am Anleger machte niemand außer ihnen Anstalten, das Wassertaxi zu besteigen.
»Die meisten der Touristen fahren bei diesem herrlichen Wetter lieber mit den Ausflugsdampfern der Weissen Flotte. Bei denen gibt’s allerdings auch Verpflegung. Nur wer schnell von A nach B muss, der kommt mit uns.«
»Was für ein Glück, dass wir Selbstversorger sind, was Freddy? Volle Fahrt voraus.« Lisi salutierte.
»Wir warten noch auf einen weiteren Fahrgast für Caputh.« Der Kapitän hielt Ausschau. »Ah, da hinten kommt sie.«
Loebell hatte gerade seinen Dackel wieder in die Tasche gesetzt, weil er Angst hatte, sein Wilhelm könnte über Bord gehen. Unter der Reling passte der Zwerg mühelos hindurch. Jetzt folgte sein Blick dem Arm des Kapitäns. Auf der Pier schob eine Frau ein Fahrrad in ihre Richtung und winkte. Loebell stockte der Atem. Es war Fleur, seine alte Liebe und Jugendfreundin. Die Frau, die er vor seiner Flucht aus Potsdam so enttäuscht hatte, vor über zwanzig Jahren. Zwar hatten sie sich in den letzten Wochen wieder etwas angenähert, aber zu einer richtigen Aussprache war es bislang nicht gekommen. Loebell wollte unbedingt mit seiner alten Flamme wieder etwas flirten. Vielleicht hatte er ja noch eine Chance, wenn er es nur klug genug anstellen würde. Die gut aussehende Fleur war etwas jünger als Loebell, trug heute ein atemraubendes, stilvolles Sommerkleid und schob ihr Rad schwungvoll an Bord. Loebell eilte ihr entgegen, um ihr zu helfen.
»Was für ein Zufall. Was macht ihr denn hier?« Fleur wandte sich an den Kapitän. »Danke, Jonny. Nett, dass du gewartet hast.«
»Alle an Bord? Dann geht’s los.« Kapitän Jonny ließ den Motor aufheulen und das Boot nahm Fahrt auf.
Fleur drehte sich in den Fahrtwind und atmete die Brise tief ein. Ihre Haare wehten verführerisch im Wind. Loebell starrte sie sprachlos an, bis Lisi ihn mit einem Knuff in die Seite zurück in die Realität holte.
»Willst du auch zum Campingplatz?«, fragte er.
»Zum Campingplatz? Herrje, nein. Ich will ins Schloss Caputh. Dort ist heute das Monatstreffen der Schlossverwalter. Und ihr wollt campen?« Sie musterte Loebell ungläubig. »Ohne Zelt?«
»Nie im Leben«, wehrte Lisi ab. »Dazu kriegen mich keine zehn Pferde.«
»Verbring du erst mal ein paar Nächte unter einem Dach mit meiner Mutter und du änderst deine Meinung.«
»Oh, ich hörte davon. Ist es so schlimm?« Fleur sah Loebell voller Mitleid an. »Maria freut sich bestimmt über jeden Tag, den ihr zusammen verbringen könnt. Ihr habt euch so lange nicht gesehen.«
»Es ist die Hölle«, brummte Loebell.
»Oh, da fällt mir etwas ein«, sagte Fleur. »Ich habe da eine Idee und könnte dabei eure Hilfe gebrauchen.«
»Hast du auch eine Leiche im Keller, wie Freddys Tante?« Lisi kicherte.
»Was?« Fleur drehte sich erschrocken zu Loebell.
Der winkte beschwichtigend ab. »Bei Tante Katharina im Heim ist letzte Nacht jemand gestorben. Kein Grund zur Sorge. Ihr geht es gut.«
Fleur wirkte betroffen. »Oh, wie traurig. Wer ist es denn? Vielleicht kenn ich sie?«
Loebell wurde rot, er hatte den Namen der Toten vergessen. Lisi sprang ihm bei. »Das wissen wir noch gar nicht. Wir wollen heute Abend bei ihr vorbeischauen.«
»Genau«, sagte Loebell erleichtert. »Nach der Arbeit.«
»Oh.« Fleur machte ein enttäuschtes Gesicht.
»Warum?«, fragte Lisi. »Hast du was Besseres mit uns vor?«
»Ach, wisst ihr. Mir schwirrt schon seit Langem eine Idee durch den Kopf, die ich jetzt endlich umsetzen möchte. Es geht um eine neue Schlossführung für unser Veranstaltungsprogramm. Und dafür brauche ich eine kleine vertrauenswürdige Testgruppe. Aber vielleicht ist die Idee auch zu verrückt und viel zu spontan.« Sie zwinkerte Loebell zu, er musste schlucken.
»Nein, erzähl. Worum geht es?« Lisi war sofort Feuer und Flamme, Loebells Herz nahm Fahrt auf. Sein linkes Augenlid zuckte wild, wie immer, wenn etwas im Busch war.
»Ich kann es euch ja kurz erzählen.« Fleur atmete tief ein. »Wir versuchen schon seit langer Zeit, mehr Jugendliche in unsere Schlösser zu bekommen und ihnen die Geschichte näherzubringen.«
Loebell war überrascht, tagtäglich sah er Scharen von Schülergruppen, die von ihren Lehrern durch den Schlosspark getrieben wurden. »Ich dachte, dass euch die Schulklassen die Türen einrennen. Gehört ihr nicht zum Pflichtprogramm jeder Klassenfahrt nach Berlin oder Potsdam?«
»Ja, schon, aber unsere größte Herausforderung ist nicht, die Jugendlichen zu uns zu bekommen. Schwieriger ist es, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, während sie im Haus sind. Die Jugend von heute ist leider nur schwer zu begeistern. Statt der Lebensgeschichte von Friedrich dem Großen zu lauschen, starren sie lieber in ihre Handys und folgen irgendwelchen Influencern. Dabei kann man bei uns Geschichte hautnah erleben.«
»Und du hast eine Idee, wie man das ändern kann?« Loebell tat interessiert, um seiner alten Flamme zu imponieren. Als Kastellanin des Neuen Palais war Geschichte Fleurs Beruf und ihre große Leidenschaft.
Ihre Augen leuchteten auf. »Genau. Und ich brauche ein paar Testpersonen, um zu sehen, ob meine Idee etwas taugt. So ganz inoffiziell, wisst ihr. Mein Chef muss das nicht wissen, noch nicht. Vielleicht ist meine Idee ja auch Humbug.«
Lisi riss beide Arme hoch. »Wir sind dabei.«
»Na, ich weiß nicht, ob wir dafür die richtige Zielgruppe sind. Wir sind schon lange keine Schüler mehr.« Loebell kam hier innerlich an eine rote Linie, die er ungern übertrat. Er hasste geschichtliche Exkursionen. Vor allem, wenn sie für pubertierende Jugendliche gedacht waren.
»Also ich bin da goldrichtig«, rief Lisi. »Tief in meinem Herzen bin ich noch sechzehn. Und optisch keine dreißig.«
Loebell verkniff sich ein Lachen. »Wie sieht deine Idee denn genau aus, Fleur?«
»Nächster Halt, Neustädter Havelbucht«, tönte es über die Lautsprecher. Loebell drehte sich zum Ufer. »Ah, schau an. Warum sind wir denn nicht hier eingestiegen, Lisi. Dieser Anleger wäre viel näher am Verlag gewesen.«
»Aber wir mussten ja noch Proviant einkaufen«, sagte sie verlegen. »Ein Wunder, dass der hier überhaupt hält, steigt ja kaum jemand zu. Außer dem da.« Sie zeigte zum Ufer.
»Oh.« Fleur duckte sich hinter Loebell. »Der muss mich nicht sehen. Das ist dieser Stevie. Kein so netter Zeitgenosse. Der arbeitet bei uns im Schichtdienst.«
Loebell sah zu dem untersetzten Mann, der einen sehr ungepflegten Eindruck machte. Er trug ein fleckiges T-Shirt, Shorts und auf dem Kopf ein altes Baseballcap. Stevie sprang schon an Bord, noch bevor Kapitän Jonny angelegt hatte, man schien sich zu kennen. Er ging in den Führerstand, die beiden begannen eine lebendige Unterhaltung, während das kleine Boot wieder Kurs stadtauswärts nahm.
Lisi kam zurück zu Fleurs Idee. »Und worum geht es nun bei deinem neuen Projekt, Fleur?«
»Eine Nachtwanderung im menschenleeren Schloss, in völliger Dunkelheit.«
Loebell war entsetzt, Lisi begeistert. »Oh, Gott. Das ist ja der Hammer. Im Neuen Palais? Allein? Nachts?«
Fleur nickte. Loebells Augenlid zuckte vor Protest. Früher auf Klassenfahrten war es immer seine Taschenlampe gewesen, die bei Nachtwanderungen nicht funktioniert hatte. Und es war ebenfalls immer er gewesen, der auf einer Düne oder im dunklen Gebüsch verloren ging. Loebell hasste Nachtwanderungen. »Schöne Idee. Aber diese Woche ist bei euch im Neuen Palais auch der Pressetermin zur Tresor-Öffnung. Zwei Themen binnen einer Woche werden wir niemals ins Blatt kriegen, der Chef ist da sehr eigen. Schieben wir die Nachtwanderung lieber in die nächste Woche?«
Lisi schüttelte den Kopf. »Freddy, das ist Blödsinn. Der Tresor ist offiziell und die Nachtwanderung inoffiziell. Natürlich können wir beides diese Woche machen. Fleur, du bist genial. Das ist eine großartige Idee, wir sind dabei.«
»Ich danke euch, dass ihr so spontan seid, das wäre vom Timing her perfekt. So kriege ich diese Führung vielleicht noch in das Programm für die neue Saison. Oh, könnten wir noch Tuan fragen? Dann wäre auch jemand von der jungen Zielgruppe dabei?«
Loebell lächelte gequält. Wenn ich eh nicht zur Zielgruppe gehöre, wozu brauchen sie mich dann, dachte er. Aber er hielt auch jetzt lieber den Mund.
Fleur musste seine Gedanken gelesen haben. »Du scheinst ja nicht so begeistert zu sein, Frederik?«
»Ach was«, antwortete Lisi und winkte ab. »Freddy ist seekrank. Der verträgt den starken Seegang hier nicht.« Loebell griff schnell zur Reling.
»Verstehe.« Fleur sah zum Fluss. Das Wassertaxi tuckerte gemächlich über den Templiner See, der glatt und ruhig vor ihnen lag. Keine Welle weit und breit.
Lisi und Loebell standen auf dem Steg des Campingplatzes und blickten dem Wassertaxi nach. Fleur winkte ihnen vom Heck zu, während das Boot von Kapitän Jonny auf das gegenüberliegende Ufer zuhielt. Hinter hohen Bäumen konnten sie die gelbe Fassade von Schloss Caputh erkennen.
Loebell drehte sich zu dem großen Schild, das am Anleger hing: »Willem Zwo – Camping wie bei Kaisers«. Am Ende des Stegs lag die Terrasse einer kleinen Gaststätte in der prallen Sonne. Dahinter erstreckte sich die Halbinsel mit dem Campingplatz. Weiße Wohnwagen und Caravans, wohin das Auge reichte. Die erste Reihe hatte direkten Zugang zum Wasser. Loebell sah kleine Buchten, bunte Gummiboote und planschende Kinder. Am Ufer herrschte schon Hochbetrieb, nur die Gaststätte war menschenleer.
Er setzte seinen Wilhelm auf den Boden. Der Dackel reckte und streckte sich, bevor er wedelnd jede Holzbohle einzeln beschnüffelte und hinter Lisi über den Steg stolzierte. Einige Meter vor ihr ging Fleurs unliebsamer Kollege, der mit ihnen hier ausgestiegen war. Loebell stutzte, denn der Mann zog sich im Gehen das T-Shirt aus. Zwar war es schon recht warm, Loebell fand das dennoch merkwürdig. Und er hätte schwören können, dass der Mann auch die Hose fallen ließ, bevor er zwischen zwei Wohnwagen verschwand. Aber vielleicht spielte die Vormittagshitze Loebell gerade einen Streich.
»Ich brauche erst mal eine Pause.« Lisi steuerte die leere Terrasse an. »Eine kurze Stärkung, ein kleines Bierchen, da hat Hien sicher nichts dagegen. Kommst du?« Sie winkte Loebell hinter sich her, er hatte ja die Tüten. »Waltraud ist bestimmt im Büro auf der anderen Seite.«
»Wer ist Waltraud?«
»Die Chefin vom Janzen, mit der ich telefoniert habe.« Lisi setzte sich an einen Tisch.