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Von Berlin in die USA
Moritz und Franz Wagner sind internationale Basketballprofis und Weltmeister. Ihre Mutter Beate Wagner beschreibt, wie sie auf ihren großen Traum hingearbeitet haben und was sie brauchten, um erfolgreiche Basketballer zu werden. Sie spricht mit Wegbegleitern und Coaches und natürlich kommen auch Moritz und Franz immer wieder selbst zu Wort.
Ein ganz persönlicher Einblick in das Privat- und Sportlerleben zweier NBA-Stars.
»Diese Perspektive bekommt man selten. Was machen eigentlich die Eltern durch, wenn das Kind Talent zeigt und auf dem Weg zum Sportstar ist? Geschweige denn, wenn man zwei davon hat! Eine durch und durch sympathische Familie.«
ANDREA PETKOVIĆ, ehemalige Tennisspielerin und Spiegel-Bestsellerautorin
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Seitenzahl: 353
Zum Buch:
Moritz und Franz Wagner sind internationale Basketballprofis und Weltmeister. Ihre Mutter Beate Wagner beschreibt, wie sie auf ihren großen Traum hingearbeitet haben und was sie brauchten, um erfolgreiche Basketballer zu werden. Sie spricht mit Wegbegleitern und Coaches und natürlich kommen auch Moritz und Franz immer wieder selbst zu Wort.
Ein ganz persönlicher Einblick in das Privat- und Sportlerleben zweier NBA-Stars.
»Diese Perspektive bekommt man selten. Was machen eigentlich die Eltern durch, wenn das Kind Talent zeigt und auf dem Weg zum Sportstar ist? Geschweige denn, wenn man zwei davon hat! Eine durch und durch sympathische Familie.«
ANDREAPETKOVIĆ, ehemalige Tennisspielerin und Spiegel-Bestsellerautorin
Zur Autorin:
Beate Wagner ist Ärztin (Studium der Humanmedizin an der Charité in Berlin), Wissenschafts- und Medizinjournalistin und Mutter von Moritz und Franz. Seit über 20 Jahren schreibt sie über Gesundheit, Psychologie, Medizin, Ernährung und Sport. Zudem ist sie Achtsamkeitstrainerin.
Sie beschäftigt sich mit Themen wie Potenzialentwicklung, Talentförderung, Mentaltraining, Sport- und Persönlichkeitspsychologie. Privat liebt Beate Wagner Laufen, Wandern, Yoga und Meditation, in der Welt unterwegs sein und lesen. Sie lebt mit ihrem Ehemann in Berlin. Während der Saison 22/23 verbrachte sie ein halbes Jahr zusammen mit ihren Söhnen in Orlando.
Beate Wagner
Moritz & Franz
Wagner
Glanz in ihren Augen
Große Träume, ihr Weg in die NBA und zum Weltmeistertitel
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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.
© 2024 Ariston Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Alle Rechte vorbehalten
Redaktion: Evelyn Boos-Körner
Umschlaggestaltung: wilhelm typo grafisch, Zürich unter Verwendung von Fotos von PhilippReinhard.com (Umschlagvorderseite) und © picture alliance (Tilo Wiedensohler/camera4 | Tilo Wiedensohler) (Umschlagrückseite)
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN: 978-3-641-31521-4V003
Für meine drei Jungs: Axel, Moritz und Franz
»Even when it’s not pretty or perfect. Even when it’s more real than you want it to be. Your story is what you have, what you will always have. It is something to own.«
Michelle Obama
Inhalt
Prolog
TEIL 1Wie es ist
Leben in Florida
Magic Mom
Die Brüder
TEIL 2 Wie es war
Die junge Familie
Die ersten Tore
Eltern on fire
TEIL 3 Immer weiter
Erwachsen werden am College
Auf die große Bühne
Im Hier und Jetzt
Deutschland, einig Basketballland
Weltmeister!
TEIL 4 Wenn alles zusammenkommt
Glückliche Fügung
Epilog
Dank
Bildnachweis
Anmerkungen
Prolog
Überall stehen Koffer herum. Auf dem Tisch liegen Avocado-Schiffchen und andere Frühstücksreste, dazwischen Hunderte unterschriebene Autogrammkarten und ein Stift. Die Wohnung sieht aus wie eine Rumpelbude. Auf dem Sofa ein Turnier-Trikot, riesige Schuhe und ein brauner Lederball. Sonst ist die Bühne leer. Der Vorhang zu. Das WM-Sommertheater abgedreht. Die Jungs sind weg. Über alle Berge. Zurück zum Flughafen und in die USA.
Kein Türknallen, kein Lachen mehr aus den hinteren Gemächern. Kein Hip-Hop mehr aus dem Bad. Nur noch ein hohles Plastik-Schlurfen aus der Küche. Axel macht Kaffee. Er ist mein Mann. Ich habe ihn am ersten Tag unseres Medizinstudiums an der Berliner Charité kennengelernt. Seitdem teilen wir unser Leben. Uns verbinden starke Gefühle, viele wunderbare Erlebnisse, schwierige Erfahrungen. Und unsere Söhne Moritz und Franz. Statt die Füße anzuheben, zieht er jetzt seine Hausschuhe über das Parkett – das mir so vertraute Axel-Geräusch. Ich liege ermattet auf dem Bett. Warte auf meinen zweiten Kaffee heute Morgen. Starre in den Herbst vor dem Fenster und versuche, zu verstehen, was passiert ist. Es ist verrückt, denke ich. Crazy! Aber es ist wahr: Moritz und Franz sind Weltmeister.
Das »Wunder von Manila« stand in allen Zeitungen. Es ist das Happy End von fünf Wochen Ausnahmezustand, das Endergebnis der Basketball-Weltmeisterschaft 2023. Unsere Söhne haben gehörig mitgemischt, und auch wir Eltern waren mittendrin. Wir sind mit nach Japan und auf die Philippinen gereist. Haben angefeuert, mitgefiebert, geschwitzt, gezittert, unterstützt, vor Aufregung nicht geschlafen. Am Ende geheult vor Freude. Wir waren im WM-Tunnel. Eine Zeit voller Superlative (acht Spiele, acht Siege) und Gegensätze (Luxushotel inmitten der Slums von Manila). Am letzten Abend ist ein Traum wahr geworden: Das deutsche Nationalteam hat die Goldmedaille geholt, die Welt mit seinem Teamspirit verzaubert, hierzulande einen Basketball-Hype ausgelöst. Deutschland ist Basketball-Weltmeister! Zum ersten Mal überhaupt in der Sportgeschichte.
Ich liege also da, mein Gehirn hat einen Sprung in der Platte. Immer wieder führt es mich auf den Basketballcourt der Mall of Asia Arena in Manila. Zu dem Moment, als hier die deutsche Nationalmannschaft im Finale Serbien mit 83:77 besiegt hat. Nach dem Abpfiff rasten die Jungs aus, springen in die Höhe, fallen zu Boden und übereinander her. Ein Knäuel glücklicher Basketballer. Auch auf den Rängen gibt es kein Halten mehr. Menschen springen von ihren Plätzen. Weinen, schreien, umarmen sich. Die geschlagenen, serbischen Spieler ziehen vom Feld. Dann die Siegerehrung. Die Jungs zählen »eins, zwei, drei«. Dennis Schröder reckt den Pokal in die Höhe. Es regnet goldene Konfetti. Laut ertönt »We are the Champions«. Die ganze Halle grölt.
Danach wird es unübersichtlich. Nun stürmen auch Kinder, Fotografen, Ehefrauen auf den Court. Es ist ein wildes Fest. In der Menge sehe ich Moritz, der auf mich zuläuft. Ich stehe immer noch hinter der Bande, seit Minuten wie angewurzelt, wie gelähmt durch das Unfassbare vor mir. »Jetzt hör mal auf zu heulen und komm her«, schreit er in meine Richtung und streckt seinen Arm aus. Der ganze Moritz ist ein einziges Strahlen.
Ich klettere über die Bande. Plötzlich stehe ich auch auf dem Feld. Schaue an meinem roten Kleid hinab (ab sofort mein Weltmeisterkleid), sehe meine Turnschuhe auf dem goldübersäten Parkett, die Leute, die um mich herum tanzen, sich in den Armen halten. Ich höre die Kameras klicken und wie noch immer die Siegerhymne durch die Arena schallt. Ich spüre, wie Tränen über meine Wangen fließen, auf der Haut kitzeln und meine Schminke läuft.
Irgendjemand drückt mir den Pokal in die Arme. Er ist krass schwer. Dann schließen mich Moritz und Franz und auch Axel in ihre langen Arme. Wir halten uns für ein paar Momente ganz fest. Alles fühlt sich warm, fließend und stimmig an. Es fällt eine riesige Anspannung von mir ab. Ich spüre pure Freude, unendliche Dankbarkeit, ein wirklich – für diesen Moment – ungetrübtes Glück! Euer, unser Weltmeister-Moment. Ich werde ihn von jetzt an in mir tragen. Ich werde mich immer daran erinnern. I feel blessed. Ich fühle mich gesegnet. Große Worte, aber sie sind absolut angemessen.
Hier auf dem Bett kann ich mich, wie auf Knopfdruck, immer wieder in dieses Gefühl zurückbeamen. Ein fantastischer Flashback, willentlich abrufbar. Ich greife zum Handy, um mich von der Realität der Bilder in meinem Kopf zu überzeugen. Es ploppen Videos, SMS, Fotos auf. Es stimmt alles. Moritz und Franz sind World Champions.
Franz und Moritz sind tatsächlich Weltmeister, sie jubeln, wir jubeln mit ihnen. Ich schaue rum im Schlafzimmer, sehe die Kinderbilder an der Wand, denke an all die Sachen, die in der Küche noch von den Jungs rumliegen – und bin drin im nächsten Flashback. Jetzt scrolle ich durch all die Bilder der letzten Jahre, durch meine Erinnerungen. Alles ging so schnell. Niemand konnte ahnen, dass die Träume unserer Söhne wahr werden könnten. Gerade erst waren wir in Manila und auf Okinawa, doch auch davor ist schon so viel passiert. Ein Gedanke folgt auf den nächsten, ein Ort in meinem Kopf löst den anderen ab: Berlin, Ann Arbor, Los Angeles, Washington, irgendwann Orlando. Mir kommt eine verrückte Szene nach der anderen in den Sinn.
Manhattan Beach, Kalifornien, 2018. Wir haben keine Wahl. Wir brauchen heute eine Matratze. Wir hieven sie auf das Dach. Sie hängt schief, ist riesig und steht über. Das kleine rote Mietauto verschwindet darunter. Wir ruckeln an dem weißen Monstrum. Quetschen uns auf die Sitze. Durch die Fenster hängen vier Strippen nach innen. Grün, faserig und so dünn, dass man sie kaum greifen kann. Als Paketschnüre sind sie sicher geeignet. Aber um eine Kingsize-Matratze zu halten?
Wir fahren los. Auf die Susan Street, dann weiter Richtung I-405 North. Wie eine Schildkröte über den Highway bis nach Manhattan Beach. Von Anaheim dauert das eine Dreiviertelstunde. Der Fahrtwind drückt gegen die Matratze. Ich habe panische Angst. Gleich wird sie nach vorne rutschen, dann können wir nicht mehr durch die Frontscheibe gucken, fürchte ich. Oder sie fliegt nach hinten, dann gibt es einen fiesen Unfall. Ich sehe schon die Schlagzeile: »German Mattress Crash!« Wir ziehen fester an der Strippe. Axel fährt. Franz lacht. Ich weine. Moritz filmt.
Der Matratzentransport nach Manhattan Beach markiert den Auftakt von Moritz’ Karriere als Profibasketballer in der NBA. Die National Basketball Association steht für großen Sport, riesige Arenen, sehr viel Geld und smarte Agenten. NBA steht für: »Du hast es geschafft!« Eine Matratze von Ikea auf einem Mietauto passt da nicht ins Bild.
Manhattan Beach liegt in der South Bay, eine knappe Stunde Fahrt von Downtown Los Angeles entfernt. Der Pier ist bekannt für sein tolles Aquarium. Das beste Frühstück gibt es in Uncle Bill’s Pancake House. Manhattan Beach steht aber vor allem für vier Meilen feinsten weißen Strand, teure Villen in der ersten Reihe, Surfer und Palmen. Hier wohnen jede Menge VIPs: Models wie Rachel Hunter, Schauspieler wie Owen Wilson oder Benjamin McKenzie, und hier wohnen auch viele Beachvolleyballer und Basketballprofis.
Unser Sohn Moritz ist noch kein Glamour-Schwergewicht. Aber seit ein paar Wochen ist er NBA-Spieler. Einer von im Schnitt mehr oder weniger 500 professionellen Basketballern der besten Liga der Welt.1 Moritz hat ein Händchen dafür, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein. Warum also nicht nach Manhattan Beach ziehen? Seine Wohnung – es ist die erste eigene überhaupt – liegt zwei Gehminuten vom Strand entfernt. Vom Balkon aus sieht man das Blau des Wassers. Wenn man sich auf die neue Matratze legt und die Augen schließt, hört man das Rauschen des Pazifiks. Ein Traum ist wahr geworden.
Augen schließen. Wahrnehmen. Sortieren. Ist das wirklich wahr? Wo führt das alles noch hin? In den letzten Jahren habe ich das oft gemacht. Denn die waren voller unglaublicher Momente, in immer kürzeren Abständen. Die vielen Höhepunkte in den noch jungen Leben unserer Söhne haben uns dorthin gebracht, wo wir heute sind. Und unser Miteinander mit Moritz und Franz hat uns zu den Menschen gemacht, die wir heute sind. Gemeinsam haben wir eine lange Reise zurückgelegt.
Auf das Matratzendrama folgt der nächste Flashback, wieder sitze ich in einem Mietauto. Dieses Mal entspannter, ohne Strippen in der Hand. Ohne sperrige Last. Nur mit Axel am Steuer neben mir, eine siebenstündige Autofahrt vor uns. Genug Zeit, um gemeinsam Revue passieren zu lassen, was bis Ende dieses Jahres 2022 so alles passiert ist bei uns. Axel und ich fahren nach Key West. Ein Paradies am Ende einer Kette von 200 Koralleninseln in Florida, der südlichste Punkt der USA und einst Zuhause von Tennessee Williams und Ernest Hemingway. Wir wollen dort zu zweit dieses Jahr abschließen. Die letzten Jahre rekapitulieren, bevor Axel wieder nach Berlin fliegt.
Bis eben haben wir noch im Haus der Jungs in Orlando/Winter Park gefrühstückt. Dann sind sie für zehn Tage an die Westküste der USA aufgebrochen. Auswärtsfahrt mit ihrem Club Orlando Magic, für den die beiden nun die zweite Saison zusammen spielen. Wenn sie von dem Roadtrip zurückkehren, wird ihr Vater längst wieder in Deutschland sein.
Je mehr im Leben passiert, desto schneller scheint es zu vergehen. Meine letzten Jahre sind gerast. Wo fange ich an, wenn ich davon erzählen will? Am besten hier, auf der Straße nach Key West. Der morgendliche Verkehr auf dem Florida Turnpike ist entspannt. Rechts und links Wiese, mal ein Tümpel (wahrscheinlich mit Alligatoren drin), Grasland, Sumpf bis zum Horizont. Es geht immer nur geradeaus. In Fort Lauderdale wird es trubeliger, hinter Miami traumhaft. Wir fahren auf dem Overseas Highway praktisch durch den türkisfarbenen Ozean, rechts und links nur Wasser. Eine kleine Insel nach der anderen, über 42 Brücken nach Key West.
Vor zwölf Jahren waren Axel und Moritz schon einmal hier. Der Anlass damals: die Jugendweihe von Moritz. Die Jugendweihe ist eine ostdeutsche Tradition, die den Übergang vom Kind zum Erwachsensein feiert, das säkulare Pendant zur Konfirmation. Eine christliche Konfirmation kam für uns nicht infrage. Wir leben mitten im ehemaligen Ostteil von Berlin – in einem atheistisch geprägten Umfeld. Wir haben unsere Kinder nicht taufen lassen. Wir sind keine Kirchgänger, höchstens mal an Weihnachten. Als sich Moritz’ Klasse gesammelt zur Jugendweihe anmeldet, kommen wir ins Grübeln. Denn einen feierlichen Moment für sein Erwachsenwerden wünschen wir uns schon. Also entscheiden wir, dass wir mit Moritz und unserer ganzen Familie auch eine Jugendweihe feiern werden. Mit einer Reise nach Florida als Geschenk. Moritz war damals 15 und NBA-Fan. Der Höhepunkt der Reise stand längst fest: einmal ein NBA-Spiel erleben, vielleicht sogar ein Play-off-Spiel?
In Old Town Key West angekommen, suchen wir das Hotel von damals: Pastellfarbenes Holzhaus, Innenhof, kleiner Pool, Palmen, karibische Atmosphäre, so hat es damals ausgesehen, sagt Axel. Ihm fällt die warmherzige Köchin ein, die morgens Frühstück gemacht und bei der Abreise mit kubanischem Akzent zu Moritz gesagt hat: »Make your daddy proud!« Wir finden das Hotel nicht. Die Innenhöfe der Holzhäuser sehen alle gleich aus. Aber die Erinnerung an das nette Pläuschchen beim Frühstück bleibt. An das erste NBA-Spiel, das Moritz und Axel live gesehen haben. »Die Miami Heat waren damals Moritz’ Wunsch«, erinnert sich Axel auf dem Spaziergang zum Southernmost Point, dem südlichsten Punkt der kontinentalen USA. »Zu der Zeit spielten dort LeBron James, Dwyane Wade und Chris Bosh. Ich hatte ganz schön Stress mit den Terminen und Karten, ich musste noch mal umbuchen.«
Letztendlich waren die beiden dann beim ersten Eastern Conference Finals Game: Boston Celtics gegen Miami Heat. »Es war aufregend«, erinnert sich Axel. »Wir hatten damals noch gar keine Ahnung. Ich hab zum Beispiel sogenannte Nosebleed Seats gekauft, also Tickets ganz oben.« Nosebleed Seats bedeutet »Nasenbluten-Sitze« – und bezieht sich auf Bergsteiger, die in großer Höhe eben oft Nasenbluten bekommen. Die Karten kosteten damals schon 165 Dollar. Pro Stück! »Fand ich ziemlich teuer. Wir mussten ja auch noch irgendwo schlafen und essen«, so Axel. »Der Junge war in einem Alter, in dem er ständig Hunger hatte. Und wir wollten noch rumreisen in Florida, bestimmte Basketballschuhe und das eine oder andere Team-T-Shirt, auch für Franz, kaufen. Da kam einiges zusammen.« Das Spiel hat an dem Abend Miami Heat gewonnen. »Legendärer Dunk von LeBron James nach Assist von Dwyane Wade«, erinnert sich Axel. »Wir waren natürlich sehr früh da und haben alles aufgesogen wie Schwämme. Moritz’ Augen strahlten den ganzen Abend, ein absolutes Highlight, ein tolles Erlebnis für ihn.« Axel guckt nachdenklich. »Und für mich auch. Für uns.«
Für Axel war die ganze Sache kein Selbstläufer. Er ist im Osten aufgewachsen, war selbst Handball-Jugendnationalspieler, das erste Mal 1993 kurz nach der Wende in den USA. »Ich habe mir damals einen Traum erfüllt«, sagt er heute. Dem amerikanischen Lifestyle und der dollarschweren Branche des Sportentertainments stand er aber eher skeptisch gegenüber. Gleichzeitig hat ihn die Weite, die Natur, das Abenteuer, das Versprechen von Freiheit in den USA immer angezogen. Die Reise mit Moritz war vor allem durch Moritz’ Freude ein tolles Vater-Sohn-Erlebnis.
Kürzlich fand ich zufällig Fotos von der Reise. Auf den Bildern sieht man Moritz mit all den Cheerleadern. Die Halle von außen. Vater und Sohn glücklich vor der Arena. Niemals hätten wir damals gedacht, dass wir alle noch mal eine NBA-Arena von innen sehen würden. Geschweige denn, dass unsere Kinder selbst einmal dort spielen würden.
Als Axel und Moritz wieder zu Hause in Berlin eintreffen, scheint ein Bann gebrochen. Die NBA, College-Basketball und die Idee einer Zukunft als Sportler in den entfernten USA sind fortan präsent bei uns. So oft wie möglich gucken Moritz, Axel und Franz jetzt NBA. Ab und an verfolgen sie auch die Spiele der Wolverines, dem College-Team der University of Michigan. Ich sehe sie zu dritt auf dem schwarzen Sofa vor dem kleinen Laptop sitzen, höre die amerikanische TV-Moderatorenstimme im Hintergrund. Für mich ist das zu dem Zeitpunkt noch eine sehr fremde Welt. Realer wird Basketball bei uns zu Hause. Moritz geht jetzt täglich zum Training, bei Alba und im Landeskader. Der Sport bestimmt seinen Alltag.
Auch Franz ist mittlerweile Basketballer – und liebt das Spiel vom ersten Tag an. Es vergeht kein Wochenende mehr, keine Ferien mehr ohne Kadertraining, ohne Alba, ohne irgendein Turnier. Und auch nicht ohne den Traum von der NBA. Moritz erinnert sich genau, wann er ihn zum ersten Mal geträumt hat. »Ihr habt mir ein gefälschtes Jersey von Kevin Garnett zu Weihnachten geschenkt. Damit bin ich dann zum Training gegangen. Da wusste ich, dass ich in die NBA will. Da war ich vielleicht zwölf.«
Ich habe nur noch verschwommene Erinnerungen an diese Geschenke. Auf jeden Fall hat sie Axel damals gekauft. Ich fühlte mich in Sachen Basketball noch nicht kompetent. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wer Kevin Garnett ist. Auch Franz bekommt damals ein Jersey. Von LeBron James – damals Spieler der Cleveland Cavaliers. Auch Franz erinnert sich genau, wann er den Entschluss fasste, dass er einmal NBA-Spieler werden will: Sein Freund Vincent hatte ihm eine Videokassette mit einer Dokumentation über Dwyane Wade zum Geburtstag geschenkt. Nachdem er die gesehen hatte, war es um ihn geschehen. »Ich glaube, wir waren neun«, erinnert sich Franz. »Vincent hat mich auch das erste Mal mit zum Basketball genommen. Er spielt heute aber nicht mehr.«
Moritz und Franz tragen ihre Jerseys. Sie spielen immer besser. Sie wachsen zu jungen Männern heran. Trotzdem vergehen noch Jahre, in denen die NBA mehr Traum als Zukunftsvision bleibt. Aus mehreren Gründen. Zunächst die Größe. Wir waren zwar immer eine raumgreifende Familie. Bei unseren Freunden hießen wir »Familie laut«, die beiden anderen Familien hießen »Familie spät« und »Familie irgendwie«. Vor allem sind wir aber auch alle Spätentwickler. Im Vergleich zu ihren Vereinskollegen entwickelten sich Moritz und Franz also relativ spät zu körperlich sehr großen Spielern. Moritz misst heute mit Basketballschuhen 2,11 Meter, Franz 2,08 Meter. Zumindest bei Moritz schien lange niemand vorauszusehen, dass er bald für eine Profikarriere geeignet sein könnte.
Die NBA ist sehr weit weg von Deutschland. In meinem Kopf als Mutter, die damals noch nicht viele Berührungspunkte mit der Liga hatte. Und für die sich die tatsächliche Entfernung bis heute nicht gut anfühlt. Mann, sind die Kids weit weg, denke ich dann oft! Zehn Stunden Flug brauche ich, um sie zu sehen. Aber auch in den Köpfen vieler Coaches und Funktionäre hierzulande scheint die NBA nicht präsent zu sein. Sie ist eine gedankliche und tatsächliche Unmöglichkeit. Nichts, wovon man träumt, und erst recht nichts, was man tut. Verständlich, weil dieser Weg nur sehr selten gegangen wird. Verständlich auch, dass kein deutscher Club ein aufwendiges Jugendprogramm unterhält, damit die dort ausgebildeten Talente danach in die USA verschwinden. In der NBA Basketball zu spielen, ist nur eine Möglichkeit – die unwahrscheinlichste. In Europa und der deutschen Bundesliga als Profibasketballer zu spielen, ist eine andere. Und auch die passiert selten genug.
Ich hätte es trotzdem schön gefunden, wenn den Kindern, die für Basketball schwärmen, alle Optionen aufgezeigt worden wären. Doch auch bei Alba Berlin war es damals – zumindest nach unserem Erleben – nicht so gern gesehen, wenn die Kinder von der NBA sprachen oder gar NBA-Socken trugen. Wer das tat, galt bei so manchem Trainer als unrealistischer Träumer. »Du traust es dich nicht, auszusprechen, dass du diesen Traum hast«, sagt Moritz heute und lacht. »Als Kind zu sagen, dass man in die NBA geht, da kommt man in Deutschland schon ins Gefängnis.«
Moritz war innerlich längst auf dem Weg. Er überragte bald alle Teamkollegen – mit 16 Jahren wuchs er 20 Zentimeter in einem Jahr. Und er spielte immer besser. 2014 wurde er mit der NBBL Deutscher Meister. Im Oktober 2014 gab er sein Debüt mit den Alba-Profis in der Mercedes-Benz Arena. Ich habe bisher nicht viele Spiele meiner Kinder verpasst – dieser Abend gehörte leider dazu. Ich war mit meinen Freundinnen am Scharmützelsee. Axel hat mir die wichtigsten Spielszenen aber über das Handy geschickt. Ich hatte alles, was ich brauchte, um zu verstehen: Es war ein großartiger Start für Moritz ins Profidasein. Ab und an spielte er nun auch in der EuroLeague. Mit der Nationalmannschaft gewann er 2014 die U18-Europameisterschaft (B-Gruppe) in Bulgarien.
Heute, gut zehn Jahre später, tragen Moritz und Franz NBA-Jerseys mit ihren eigenen Namen auf dem Rücken. Ich brauche selbst den Kalender und die Bilder, um nachzuvollziehen, was zwischenzeitlich alles passiert ist – viele Monate und Jahre, in denen öffentlich niemand ausspricht, was bei uns zu Hause immer konkreter wird: eine Zukunft als Profibasketballspieler. Nach einer schmerzhaften Niederlage mit der JBBL in Leverkusen – ich erinnere mich an eine stundenlange, schweigsame Rückfahrt mit anderen Eltern – spricht Moritz dann aber klar und deutlich aus, worüber er schon nächtelang gegrübelt hatte: »Ich will ans College und von dort den Sprung in die NBA schaffen.« Wir beratschlagen, wie wir ihm dabei helfen können. Axel kümmert sich. Durch einen Zufall gibt es einen Kontakt zu einem ersten Agenten.
Natürlich ist so ein Wunsch – das war uns damals schon klar – erst einmal nur ein abstrakter Wunsch, der nicht automatisch Realität wird. Der Sprung für Europäer ans College ist aus mehreren Gründen riskant und schwer. Viele Jungs, die ihn nicht schaffen, sind körperlich unterlegen, nicht athletisch genug. Andere sitzen nur auf der Bank, weil die Konkurrenz zu groß ist oder sie zu wenig Durchsetzungskraft haben. Oder der Coach glaubt nicht an den Spieler. Manchmal ist auch der Wechsel in das andere Land ein Kulturschock. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, braucht Mut und Glück. Wie unwahrscheinlich und glücklich der Weg für unsere Kinder war, habe ich erst richtig verstanden, als ich für dieses Buch recherchiert habe.
Wir grübeln nächtelang, reden mit Moritz, lesen, grübeln weiter, ob es eine gute Idee ist, dass Moritz in die USA wechselt und sich der großen Konkurrenz der Highschool-Spieler um ein Athletenstipendium aussetzt. Wir waren doch erst einmal nur froh, dass das Kind mithilfe des Sports ohne größere Vorkommnisse durch die Pubertät kommt. Sollte daraus jetzt ein Auslandsjahr am College werden? Oder gar zwei, drei, vier? Sollte er, mit gerade 18, bei uns ausziehen? Wollten wir das? Wie aber könnte der Weg sonst aussehen? Auf eine erste Euphorie folgten Zweifel. In Deutschland ist es schließlich nicht üblich, nach der Schule weiter auf hohem Niveau Basketball zu spielen und gleichzeitig zu studieren. Die einzige Alternative wäre also gewesen, dass Moritz einen Ausbildungsvertrag für vier Jahre bei Alba Berlin unterschreibt – und nicht studiert.
Wir sprechen mit Leuten aus der Szene, mit Freunden. Lassen uns von dem damaligen Sportdirektor bei Alba, Mithat Demirel, verunsichern. Er legte uns eine Liste mit europäischen Talenten vor, die es alle nicht geschafft haben. Wir halten schließlich an Moritz’ Plan fest. Wir lieben seine Neugierde. Seinen Tatendrang, seine positive Sicht auf die Welt, sein Vertrauen in sich selbst. Wir freuen uns, dass es eine Möglichkeit gibt, seinen Sport und ein Studium an einer angesehenen amerikanischen Universität samt College-Erlebnis zu verbinden. Wir sind überzeugt: Der Weg ist das Ziel. Egal, wohin er führen wird, es wird gut werden. Mit Freunden stoßen wir genau darauf an.
Es kommt, wie Moritz es sich wünscht: Zur Saison 2015/16 erhält er ein Sportstipendium in Michigan. Er wird College-Spieler der Michigan Wolverines und Student an der University of Michigan in Ann Arbor. Ich muss damit klarkommen, dass mein großes Kind aus- und sehr weit wegzieht. Das ist hart. Auch für unseren »Freshman« ist das erste Jahr schwierig. Er bekommt nur wenig Spielzeit. Sein Englisch ist noch nicht perfekt. Er ist weit weg von allem Vertrauten, von zu Hause, von seiner Freundin. Mit der Zeit lebt er sich aber ein und beginnt, sich wohlzufühlen. Als er nach der Saison das erste Mal wieder nach Hause kommt, strahlt er und chattet ununterbrochen mit seinen neuen, amerikanischen Freunden. Er scheint angekommen in der College-Welt von Ann Arbor. Ich sehe, wie Moritz an der Herausforderung wächst. Wir sind jetzt immer weniger unsicher, wir sind stolz auf ihn. Ich kann jetzt besser darauf vertrauen, dass er sich richtig entschieden hat. Wir gewöhnen uns daran, dass Moritz’ Leben zunehmend speziell wird, es wird besonders. Dass er tatsächlich auf dem Weg zum Profibasketballer ist. Dass er bald im internationalen Rampenlicht stehen könnte. Dass auch unser Leben sich dadurch verändern würde.
Doch das ist nur die eine Geschichte, die andere spielt in Berlin. Franz, gerade 13 und damit viereinhalb Jahre jünger als Moritz, wächst heran und wird in großen Schritten ebenfalls zum Basketballer. Er gilt bundesweit als großes Talent, vielleicht seit Langem als das größte in Deutschland. Wir Eltern – jetzt schon nicht mehr ganz so grün hinter den Ohren – begleiten ihn, wie wir es immer auch mit Moritz gemacht haben. Wir versuchen, trotz der vielen Erfolgsmeldungen weiter ruhig zu bleiben und vor allem im Kontakt mit Franz. Auch in seinem jungen Leben überschlagen sich bald die Ereignisse.
Auch Franz spielt immer besser, durchläuft alle Stationen bei Alba. Mit 16 löst er Moritz als jüngsten Alba-Spieler in der Bundesliga ab. Auch Franz geht mit Axel auf eine Vater-Sohn-Reise zur Jugendweihe. Ihn zieht es nach San Francisco. Dort haben die beiden das große Glück, das siebte Spiel der Western Conference Finals sehen zu können, Golden State Warriors gegen Oklahoma City. »Durch Moritz waren wir der NBA zu dieser Zeit schon viel näher«, erinnert sich Axel an die Reise nach Kalifornien. »Wir kannten jetzt alle NBA-Spieler. Alles war so irre. Weil wir ja wussten, dass auch Moritz sich bald für den NBA Draft anmelden würde. Dass die NBA also bald Teil auch unseres Lebens sein könnte.« Im Vergleich zu Key West und der ersten Jugendweihe-Reise ist Axel mittlerweile vertraut mit der NBA, mit dem Dasein als Basketballvater in den USA. Er ist jetzt offen für alles, entspannt und kann sich sogar vorstellen, in diesem Kosmos vielleicht selbst zeitweise mal zu leben.
Wieder zu Hause geht es bei Franz munter weiter. Er wird Deutscher Meister mit der NBBL und wertvollster Spieler des Turniers (MVP, Most Valuable Player). In der Basketball-Bundesliga ist er mit 17 Jahren außerdem der beste deutsche Nachwuchsspieler unter 22. Mit den Profis wird er Vizemeister. Auch international hat man ihn auf dem Radar. Ich habe Mühe, hinter allem herzukommen.
Im Juni 2018 begleite ich ihn zum »Top 100 High School Basketball Camp« nach Virginia, einem Nachwuchscamp für die weltweit 100 talentiertesten Basketballspieler eines Jahrgangs. Franz ist jetzt 15 und als einer von nur fünf Europäern eingeladen. Die Woche werde ich nie vergessen. Zum ersten Mal bekomme ich ein Gefühl dafür, was es heißt, in den USA als Basketballer groß zu werden. Ich sehe die langen, kräftigen jungen Männer, alle in Joggingklamotten und in riesigen Sneakern, im Gesicht oft noch Kinder. Die meisten sind an ihren heimischen Highschools bereits Basketballstars. Die Mädchen verehren die Jungs, die schon längst kein normales Teenagerleben mehr leben. Sie alle haben das Ziel, in die NBA zu kommen. Der Statistik zufolge, das lerne ich hier, wird das 14 von den 100 Jungs gelingen, die am Camp teilnehmen. Und das sind bereits die besten der Zehntausenden von amerikanischen Highschool-Spielern, die das wollen. Denn es ist zum einen sehr schwer, überhaupt eine professionelle Karriere als Basketballer zu beginnen: Geschätzt schaffen es nur 3,5 von 100 Highschool-Basketballern aufs College – was die Voraussetzung für die NBA ist2. Nur 1,2 Prozent der College-Basketballer erreichen dann weiter die NBA3.
Ich bin heilfroh, dass ich Franz nach Virginia begleitet habe. Denn auch wenn er dort wie immer souverän Basketball spielt – die Stimmung ist doch ziemlich fremd für uns beide. Wir sind froh, dass wir unsere ersten basketballerischen Amerika-Erfahrungen miteinander teilen können. In Workshops lerne ich andere Mütter und Väter kennen, wir werden auf das Dasein als potenzielle NBA-Eltern vorbereitet. Wie passend für mich, schließlich steht Moritz Versuch, in die NBA zu kommen, kurz bevor. Franz und ich werden von Virginia direkt dorthin nach New York fliegen. Moritz selbst tourt gerade noch durchs Land, stellt sich bei verschiedenen Teams vor, durchläuft diverse Interviews und Fitnesstests auf der sogenannten NBA-Combine. Die NBA-Combine ist eine mehrtägige Show, bei der die künftigen NBA-Spieler physisch und mental auf Herz und Nieren geprüft werden.
Eine Woche später treffen wir uns dann alle in Big Apple. Franz und ich treffen aus Virginia ein, Moritz von der Combine, Axel aus Berlin. Unser Boutiquehotel liegt in 355 West 16th Street in dem hippen Meatpacking District. Es heißt Dream Downtown. Die Woche fühlt sich wahrlich wie ein Traum an. Doch es ist keiner, alles passiert wirklich.
Wir floaten durch New York City. Tagsüber schlendern wir über die High Line, eine stillgelegte Hochbahntrasse mitten in Manhattan, oder wir lunchen im Chelsea Market. Manchmal hänge ich auch einfach mit kühlem Getränk in der fancy Hotellobby auf der braunen Ledercouch ab, hinter mir an der Wand eine riesige US-Flagge aus Getränkedosen, über mir der gläserne Hotelpool der ersten Etage. Schaut man hoch, funkelt die Sonne durch das blaue Wasser, ab und an schwimmen Beine vorbei.
Abends wartet eine schwarze Limousine vor dem Hotel. Sie bringt uns mal zu einer Party der NBA-Spielergewerkschaft, die auch das Top 100 Camp in Virginia ausgerichtet hat. Mal zum Union Square, wo wir mit Moritz’ Agent Joe essen. Oder wir sind beim Dinner am Broadway mit Kim Bohuny, die bei der NBA Senior Vice President für die internationalen Basketballgeschäfte ist. Ich sitze direkt neben der blonden, elegant gekleideten New Yorkerin. Sie spricht viel zu schnell, ist aber zugewandt und bestellt alles, was die Karte so hergibt. Wir sitzen in ihrem eigenen italienischen Restaurant. Die NBA-Managerin schwärmt von Moritz – so als sei der bereits längst in der NBA. Und sie redet fröhlich auf Franz ein – so als wäre er der nächste sichere NBA-Kandidat.
Aber erst mal steht ja nun der Draft4 von Moritz bevor. Der 21. Juni 2018 beginnt mit viel Sonnenschein, doch wir haben keine Zeit rauszugehen. Der Tag ist straff durchgetaktet: Mittags sitzen wir beim NBA Welcome Lunch und schütteln NBA-Chef Adam Silver die Hand. Nach einem kurzen Mittagsschlaf im Hotel höre ich Stimmen und einen Rollkoffer auf dem Flur. Der Designer von Moritz’ Outfit ist im Anmarsch. Gut gelaunt verteilt er den Inhalt seines silbernen Metallkoffers über den Teppich: verschiedene Gucci-Sneaker in US-Größe 16, Accessoires. Vorsichtig packt er dann Moritz’ hellblauen Maßanzug aus – und zeigt uns das gute Stück und die Logos von Michigan und Alba, die er kunstvoll im Innenfutter eingearbeitet hat. Ich stehe mit Franz in einer Ecke des Zimmers – und staune leise vor mich hin. Moritz macht Anprobe. Unser Kind steht vor dem großen Spiegel, wir alle drum herum. Der Anzug passt perfekt. Moritz strahlt. Ich bin stolz.
Auch in unserm Zimmer wird jetzt wild geföhnt, geschminkt, gestylt. Auf dem Bett Kleider, Taschen, Lippenstift. Ich schlüpfe in mein in Nude glänzendes, schulterfreies Kleid, das ich erst vor wenigen Wochen im Lafayette in der Friedrichstraße in Berlin gekauft habe, zusammen mit Axel und Champagner in der Umkleidekabine. Ich stehe vor dem Spiegel, bin plötzlich unsicher. Passen die roten Pumps wirklich? Ich sehe ganz schön aufgestylt aus, denke ich, irgendwie voll amerikanisch das alles. Oh my God! Aber es gibt kein Zurück. Ich will auch gar nicht zurück. Es ist ein Rausch, all der Glamour, das Licht, die Öffentlichkeit, neu und unbekannt die große Bühne. Gleichzeitig ist alles sehr vertraut. Wir sind zusammen. Es geht um unser Kind. Es ist Moritz’ Nacht, und wir begleiten ihn. Was soll schon passieren?
Unser Fahrer wartet schon. Ich muss mich immer wieder kneifen. Allein, dass wir einen Fahrer haben! Mir dämmert, dass für uns gerade eine neue Zeit in einer anderen Welt anbricht. Im Auto ist es eng und warm, die Stimmung jetzt angespannt. Jetzt ist auch Joe dabei, Moritz’ Agent. Der feine, elegante Mann, Anfang 40, erinnert mich in seinem Anzug an Barack Obama. Er sitzt vorn, dreht sich immer wieder mal nach hinten um und lacht. Er telefoniert die ganze Zeit. Ich höre nur seine warme Stimme murmeln, er kennt das Geschäft lange, und solange er lacht, wird alles gut sein. Wir fahren quer durch Manhattan, es ist überall voll, Autogehupe, Menschen, die vor unserem Auto über die Straße laufen. Dann passieren wir die Brooklyn Bridge, erreichen das Barclays Center in Brooklyn. Zu einem schnellen Imbiss mit deutschem Bier treffen wir in der Nähe der Arena Moritz’ Coach John Beilein und das gesamte Coach-Team aus Michigan. Dann laufen wir zu Fuß rüber zur Arena. In der Basketballhalle sind schon Himmel und Menschen. Vor der Bühne ist der sogenannte »Green Room« abgetrennt. An Tischen sitzen dort die Familien der sogenannten Lottery-Picks – die Spieler, die zuerst ausgewählt werden.
Wir verteilen uns rechts der Bühne, etwas erhöht, über zwei Ränge nebeneinander, insgesamt sind wir etwa 25 Leute. Familie, Freunde, alle Menschen, die Moritz an diesem großen Tag um sich haben will. Moritz nimmt vorne am Gang Platz. So kann er schnell zur Bühne, wenn er aufgerufen wird. Joe sitzt direkt neben ihm. Die Arena ist in blaues Licht getaucht. Der NBA-Chef Adam Silver tritt auf die Bühne. Die Show beginnt. »With the first pick of the NBA Draft the Phoenix Suns select …«, schallt seine Stimme durch die Halle. Ein Spieler nach dem anderen tritt nach vorn, schnappt sich die Mütze seines neuen Teams, schüttelt dem NBA-Chef die Hand, spricht drei Sätze in die Kamera. Auf dem Riesenscreen taucht der Spieler in Übergröße auf – es folgt ein kurzes Porträt, Musik. Für jedes Team und seinen neuen Pick sind fünf Minuten eingeplant. Dann geht es weiter mit dem nächsten Spieler. Fünf Minuten, die das Leben jedes einzelnen Spielers und seiner Familie komplett verändern werden.
Wir staunen, warten. Es ist hier so kalt wie in einem Kühlschrank. Die Aircondition läuft auf Hochtouren. Laura, eine Freundin von Moritz, nickt kurz ein. Ihre Erschöpfung kann ich nachvollziehen. Dass sie schlafen kann, ist für mich rein physisch nicht vorstellbar. Ich zittere von der ersten Minute an, wahrscheinlich auch, weil ich aufgeregt bin. Mir ist kalt, ich habe Durst. Irgendjemand holt Wasser. Mittlerweile sind mindestens zwei Stunden vergangen. Ein Pick nach dem anderen wird aufgerufen. »Ab dem 18. Pick könnte es was werden, also hör so langsam genauer hin«, flüstert mir Franz zu. Gerade verlässt Aaron Holiday die Bühne, Pick 23 und von den Indiana Pacers gezogen.
Dann wird es plötzlich unruhig in unserem Rang. Joe spricht leise in sein Handy. Schaut zu Moritz, redet weiter, schaut wieder rüber, lacht. Moritz beugt sich vornüber, hält sich die Hände vors Gesicht. Verharrt in dieser Position. Ich sehe im Augenwinkel, dass sich ein Kamerateam nähert. Jetzt wieder Adam Silvers Stimme: »With the 25th pick the Los Angeles Lakers select …« Tatsächlich? Mir stockt der Atem. »… Moritz Wagner!«
Es ist passiert. Wie großartig, unfassbar! Moritz erhebt sich. Strahlt. Wischt sich ein paar Mini-Tränchen aus dem Gesicht. Wir stehen alle auf. Er quetscht sich weiter in den Rang, kommt auf uns zu, umarmt erst mich, dann Axel, Franz, all seine Freunde. Jetzt schießt mir auch Wasser in die Augen. Ich bin gerührt. Ich weiß nicht, wohin mit meiner Freude. Als Moritz wieder zurückkommt, halte ich mich noch mal kurz an seinem Arm fest. So wie eine Mutter ihr Kind, das seine ersten Meter allein auf dem Fahrrad fährt, noch festhält, obwohl es schon sehr sicher auf seinem Weg raus in die Welt ist. Aber er muss weiter, zurück zu Joe, der vorne wartet. Mein Baby, das schon längst kein Baby mehr ist. Sondern seit einer Minute NBA-Spieler. Überhaupt ist er schon weg, läuft die Treppe runter in Richtung Bühne. Moritz macht seinen Weg. In diesem Moment erfüllt sich sein Lebenstraum. »I am speechless«, wird er später im Interview sagen. »Mir fehlen die Worte.«
Der NBA Draft findet jedes Jahr im Juni statt. Hunderte Anwärter bewerben sich. Gerade mal 60 Jungs schaffen es, von einem NBA-Team ausgewählt zu werden. 30 Spieler in der ersten Runde, 30 in der zweiten. Die meisten sehnen diesen Moment seit ihrer Kindheit herbei. Für viele Familien ändert sich mit der Aufnahme in die NBA alles. Die Eltern kündigen ihre Jobs, ziehen zu ihrem Youngster, kaufen Häuser und Luxushandtaschen, übernehmen das Management der Millionen des jüngst gekürten Sprösslings. Bei uns ist das anders. Wir werden erst mal schauen, wie sich alles anfühlt. Wir werden die neue Situation auf uns zukommen lassen. Wir haben keine Eile und keinen Druck, etwas zu verändern in unserem Leben. Es wird alles so kommen, wie es kommen soll. Das Wichtigste ist, dass Moritz sich in der neuen Welt einfindet. Wir wollen achtgeben, dass er als NBA-Spieler, vor allem aber als Mensch, glücklich wird.
Die Draft-Nacht wird eine wilde Party. Wir stoßen mit Champagner aus riesigen Eiskübeln an. Über Stunden strömen immer mehr, unübersichtlich viele, junge, mir unbekannte Leute durch die Tür des Nachtclubs. Alles Freunde von Moritz, die angereist sind aus Berlin, aus Michigan, von überallher. Auf der Rückfahrt, es ist bereits früher Morgen, sitze ich hinten im Taxi, im Arm von Axel. Ich bin beschwipst. Wir sind ruhig, erschöpft, »müde vom Glücklichsein«, wie Moritz diesen Zustand mal beschrieb. Ich lasse den Blick aus dem Fenster in die Dunkelheit schweifen. Wir fahren wieder über die Brooklyn Bridge. Ich denke an all die Menschen zu Hause in Deutschland, die extra nachts aufgestanden sind, für Moritz und seinen Moment. Die Lichter von Manhattan funkeln.
Die Woche in New York fühlt sich an wie ein ganzer Monat. Und sie geht doch irgendwann zu Ende. Wir fliegen zurück nach Berlin, Moritz nach Los Angeles. Der Alltag geht wieder los. Es kommt mir vor wie ein langer Kater. So einfach ist das dann nämlich doch alles nicht. Moritz verletzt sich gleich nach ein paar Tagen am linken Knie und Knöchel. Das erste Hochgefühl weicht der harten Realität. Die Los Angeles Lakers sind kein einfaches Terrain für einen Rookie. Auch wir in Berlin tun uns schwerer als gedacht mit der großen Veränderung. Das eine Kind haben wir gefühlt gerade an die Glitzerwelt in Los Angeles verloren, das andere ist ebenfalls auf dem Sprung raus aus dem Nest.
Es kommt der Herbst. Wir brauchen Ruhe und versuchen, ein bisschen Normalität in unser Leben einkehren zu lassen. Das fällt schwer. Schließlich liegen schon wieder neue Pläne auf dem Tisch. Eine nächste Lebensentscheidung steht an, dieses Mal bei Franz. Wie soll es weitergehen nach dem Jahr als jüngster Alba-Bundesligabasketballer, der er war? Ähnlich wie bei Moritz stehen zwei Optionen im Raum: einen Vertrag bei Alba in Berlin zu unterschreiben. Oder wie Moritz nach Michigan zu gehen. Franz entscheidet sich für Letzteres. Auch Franz wird 2019 ein Michigan Wolverine.
In der Studentenstadt Ann Arbor angekommen, hat er einen guten Start. Gleich in seiner ersten Saison entwickelt er sich zu einem Leistungsträger des Teams. In der zweiten Saison startet er bei jedem Spiel. Franz genießt es, Student und jung zu sein. Er ist zu einem ausgelassenen, selbstbewussten jungen Mann herangewachsen. Er hat viele Freunde, ist verliebt und geht auch mal feiern. Wie Moritz liebt auch Franz Ann Arbor, das spüre ich bei unseren häufigen Besuchen. Dann überrascht er uns bei einem Facetime-Call im Mai 2021. Das Gespräch ist schon fast beendet, als Franz noch mal ansetzt: »Ich melde mich übrigens zum NBA Draft 2021 an«, sagt er einfach so dahin. »Ah, okay, alles klar«, höre ich mich betont lässig antworten. Ich will verbergen, dass mein Herz gerade heftig schlägt. »Das ist ja spannend.«
Prinzipiell hat uns Franz’ Entscheidung – nach nur zwei Jahren und damit noch jünger als Moritz –, vom College in die NBA zu gehen, nicht überrascht. Ich weiß, dass er lange überlegt und es sich nicht leicht gemacht hat. Deshalb freue ich mich. Gleichzeitig bin ich richtig traurig. Er war doch gerade in Ann Arbor mit allem so glücklich, so unbeschwert, so lebensfroh. Soll das schon alles wieder vorbei sein? Ich erinnere mich, wie ich in seinem Alter so drauf war. Ich habe erst mit 22 überhaupt angefangen zu studieren. Bis dahin hatte ich nur Unfug im Sinn, bin gereist, habe gefeiert, bin durch die Gegend gefloatet. Er beschließt nun mit gerade 20, in die Berufswelt einzutreten, einen ersten Vertrag zu unterschreiben. Braucht er nicht auch noch ein bisschen Zeit, um in den Tag hineinzuleben, nicht zu wissen, wo es langgeht? In den Wochen nach dem Facetime-Call und seiner Entscheidung haben wir noch viel, oft und ehrlich über Zweifel, Abschied und seine Ziele gesprochen. Das hat uns allen gutgetan und Franz vielleicht auch bestärkt, dass er den richtigen Weg zum richtigen Zeitpunkt geht.
Wir fahren also wieder nach New York, zum nächsten Draft. Franz wird am Abend als achter Pick von den Orlando Magic ausgewählt werden. Es gibt mehrere Brüderpaare in der NBA. Für uns als Familie ist es trotzdem besonders, innerhalb von drei Jahren zweimal zu diesem Event eingeladen zu sein. Dieses Mal liegt das Hotel am Times Square. Unsere zweite Draft-Woche fühlt sich sonst aber ähnlich an wie die erste. Wieder ist alles ein großer Rausch, wieder gehen wir zum NBA Welcome Lunch. Es findet immer mittags vor dem Draft statt. Im seidenen Jumpsuit und wie beim ersten Draft in meinen roten Pumps (Glücksbringer) stehe ich an dem festlich eingedeckten Saal im Westin Hotel in der 8th Avenue. Wieder kommt Adam Silver und schüttelt uns die Hand. Er schaut in die Runde. Er erinnert sich. »Was macht ihr hier schon wieder?«, fragt er mich und lacht. »Du solltest ein Buch über eure Familie schreiben.« Alles klar. Warum eigentlich nicht, denke ich. Schließlich bin ich Journalistin. »Gute Idee, mach ich. Ich werde mal schauen«, sage ich. Ich werde ein Buch über Moritz und Franz schreiben. Über uns.