Mr. CEO - Vi Keeland - E-Book
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Vi Keeland

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Beschreibung

Ireland St. James hat es endlich als TV-Reporterin geschafft und moderiert die begehrten Morgennachrichten. Bis ihr schmieriger Boss ein privates Urlaubsvideo als Vorwand nutzt, sie wegen ungebührlichen Verhaltens zu feuern. Zusammen mit einer Flasche Rotwein schreibt Ireland sich ihre ganze Wut von der Seele und schickt die undiplomatische E-Mail kurzerhand an den Boss ihres Bosses ihres Bosses: Grant Lexington – CEO des milliardenschweren Unternehmens Lexington Industries. Lange hat es niemand mehr gewagt, ihm so unverblümt die Meinung zu sagen. Und lange hat ihn eine Frau nicht mehr so fasziniert ...

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Buch

Ireland St. James hat es endlich als TV-Reporterin geschafft und moderiert die begehrten Morgennachrichten. Bis ihr schmieriger Boss ein privates Urlaubsvideo als Vorsatz nutzt, sie wegen ungebührlichen Verhaltens zu feuern. Zusammen mit einer Flasche Rotwein schreibt Ireland sich ihre ganze Wut von der Seele und schickt die undiplomatische E-Mail kurzerhand an den Chef oder den Chef eines Chefs eines Chefs:

Grant Lexington – CEO des milliardenschweren Unternehmens Lexington Industries. Lange hat es niemand mehr gewagt, ihm so unverblümt die Meinung zu sagen. Und lange hat ihn eine Frau nicht mehr so fasziniert …

Weitere Informationen zu Vi Keeland

sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin

finden Sie am Ende des Buches.

Vi Keeland

Mr CEO

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Babette Schröder

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »Inappropriate«.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstveröffentlichung Juli 2021

Copyright © der Originalausgabe by Vi Keeland

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2021

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Redaktion: Antje Steinhäuser

MR · Herstellung: kw

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-27814-4V001

www.goldmann-verlag.de

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Ohne Regen

Keine Blumen

1. Kapitel

Ireland

Gott, geht es mir beschissen.

Ich hob den Kopf vom Kissen und verzog das Gesicht. Genau aus diesem Grund trank ich nur selten. Ein heftiger Kater und ein Wecker, der um halb vier Uhr morgens klingelte, waren keine guten Bettgenossen. Ich tastete auf dem Nachttisch nach meinem Telefon und schaffte es irgendwie, den nervigen Alarm auszuschalten.

Zehn Minuten später ging der Lärm aufs Neue los. Stöhnend wälzte ich mich aus dem kuscheligen Bett und schleppte mich in die Küche, um mir einen dringend benötigten Kaffee und eine Ibuprofen zu besorgen. Wahrscheinlich musste ich mir auch die Augen kühlen, um heute Morgen in der Sendung wenigstens halbwegs passabel auszusehen.

Als ich gerade dabei war, dampfenden Kaffee in einen Becher zu füllen, fiel mir plötzlich wieder der Grund für den gestrigen Rausch ein. Wie zum Teufel hatte ich das nur vergessen können?

Der Brief.

Dieser verdammte Brief.

»Autsch! Mist!« Der heiße Kaffee schwappte über den Becherrand, und ich verbrühte mir die Hand.

»Mist … autsch … Mist!«

Ich hielt die Hand unter kaltes Wasser und schloss die Augen. Was zum Teufel hatte ich getan? Ich wollte zurück ins Bett kriechen und alles vergessen.

Doch stattdessen stürmten alle Einzelheiten des gestrigen Tages wie ein Tsunami auf mich ein. Eine Stunde nachdem ich aus einem einwöchigen paradiesischen Urlaub heimgekehrt war und meinen Koffer in die Wohnung gerollt hatte, brachte ein Kurier mir einen Brief.

Gefeuert. Mit einem offiziellen Schreiben.

Einen Tag bevor ich nach meinem Urlaub zur Arbeit zurückkehren sollte.

Mir war übel. Seit meinem vierzehnten Lebensjahr war ich noch nie arbeitslos gewesen. Ganz zu schweigen davon, dass es das erste Mal war, dass ich ein Unternehmen nicht auf eigenen Wunsch verließ. Ich drehte den Wasserhahn zu, ließ den Kopf hängen und versuchte, mich an den genauen Wortlaut des verfluchten Briefes zu erinnern.

Liebe Ms Saint James,

wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Arbeitsverhältnis bei Lexington Industries mit sofortiger Wirkung endet.

Das Arbeitsverhältnis endet aus den folgenden Gründen:

– Verstoß gegen Verhaltenskodex 3-4. Sexuelle Nötigung und unsittliches Entblößen.

– Verstoß gegen Verhaltenskodex 3-6. Nutzung des Internets und/oder anderer Medien zu sexuellen Handlungen oder anstößigem Verhalten.

– Verstoß gegen Verhaltenskodex 3-7. Andere Formen sexuell unmoralischen oder anstößigen Verhaltens.

Eine Abfindung wird nicht fällig, da die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus triftigem Grund erfolgt. Sie erhalten innerhalb von dreißig Tagen ein Schreiben, aus dem der Status Ihrer Vorsorgeleistungen hervorgeht. Der Versicherungsschutz bleibt für die vom Staat New York festgelegte Zeit bestehen.

Die Personalabteilung kümmert sich um Ihren letzten Gehaltsscheck und wird mit Ihrem Vorgesetzten regeln, dass Ihnen Ihre persönlichen Sachen zugeschickt werden.

Wir bedauern diesen Vorfall und wünschen Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft.

Mit freundlichen Grüßen

Joan Marie Bennett

Leiterin Human Resources

Dem wattierten Umschlag hatte ein USB-Stick beigelegen, auf dem sich ein dreißig Sekunden langes Video befand, das eine meiner Freundinnen am Strand aufgenommen hatte. Mir stieg brennend die Galle hoch, und zwar nicht, weil ich meinem Körper vermutlich eine Alkoholvergiftung zugemutet hatte.

Die letzten neun Jahre war meine Arbeit mein Leben gewesen. Und irgendein albernes unscharfes Video hatte alles, für das ich mir den Arsch aufgerissen hatte, wie eine Rauchwolke verpuffen lassen.

Puff. Leb wohl, Karriere.

Ich stöhnte.

»Gott! Was zum Teufel soll ich nur machen?«

Aufrecht stehen war eindeutig nicht die richtige Antwort, darum ging ich mit meinem pochenden Schädel ins Schlafzimmer und kroch zurück ins Bett. Ich zog mir die Decke über den Kopf und hoffte, dass die Dunkelheit mich bei lebendigem Leib verschlingen würde.

Schließlich schlief ich noch mal ein. Als ich einige Stunden später wieder aufwachte, fühlte ich mich etwas besser. Allerdings nur so lange, bis mir klar wurde, dass ich mich nur an die Hälfte der Ereignisse des gestrigen Abends erinnert hatte.

Meine Mitbewohnerin und beste Freundin Mia schenkte mir einen Becher Kaffee ein und wärmte ihn in der Mikrowelle auf. Sie sah selbst ziemlich verkatert aus.

»Wie hast du geschlafen?«, fragte sie.

Ich stützte die Ellbogen auf den Tisch, hielt meinen Kopf mit den Händen halbwegs hoch und blinzelte sie aus einem Auge an.

»Was denkst du wohl?«

Sie seufzte. »Ich kann immer noch nicht fassen, dass man dich gefeuert hat. Du hast einen Vertrag. Ist es überhaupt legal, jemanden wegen etwas zu entlassen, das die Person gar nicht während der Arbeit getan hat?«

Ich nippte an meinem Kaffee. »Anscheinend. Ich habe deshalb eben mit Scott gesprochen.« Ich hatte meinen Stolz hinuntergeschluckt und meinen Ex angerufen. Er war ein Mistkerl und der Letzte, mit dem ich sprechen wollte, aber er war auch der einzige Anwalt in meinen Kontakten. Leider hatte er mir bestätigt, dass das Handeln meines Arbeitgebers vollkommen legal war.

»Es tut mir sehr leid. Ich hatte keine Ahnung, dass ein Tag am Strand solche Folgen haben kann. Das ist alles meine Schuld. Schließlich war es meine Idee, an den Nacktbadestrand zu gehen.«

»Das ist nicht deine Schuld.«

»Was zum Teufel hat sich Olivia nur dabei gedacht, das Video auf Instagram zu posten und uns alle zu markieren?«

»Ich glaube, nach den Piña Coladas mit dem Extraschuss Rum, die uns dieser süße Typ in der Bar serviert hat, hat sie überhaupt nichts mehr gedacht. Aber ich verstehe nicht, wie mein Arbeitgeber davon erfahren hat. Sie hat meinen privaten Account markiert – den von Ireland Saint James –, nicht meinen offiziellen Ireland Richardson Account, den der Sender für mich pflegt. Oder wohl eher gepflegt hat. Woher wissen die das also überhaupt? Ich habe heute Morgen meine Einstellungen überprüft, um sicherzugehen, dass ich sie nicht irgendwie auf öffentlich geändert habe – aber das habe ich nicht.«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht folgt jemand aus deinem Unternehmen einer von uns, die einen öffentlichen Account hat.«

Ich schüttelte den Kopf. »Vermutlich.«

»Hat dieser Idiot wenigstens auf deine E-Mail geantwortet?«

Ich legte die Stirn in Falten. »Welche E-Mail?«

»Erinnerst du dich nicht?«

»Offensichtlich nicht.«

»Die du eurem CEO geschickt hast.«

Ich riss die Augen auf. Oh, Mist. Das wurde ja immer besser.

Anscheinend war der Tiefpunkt noch nicht erreicht.

Gefeuert.

Keine Abfindung.

Und das eine Woche nachdem ich die zweite und größte Rate für den Bau meines ersten Eigenheims bezahlt hatte.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ich ein gutes Zeugnis von meinem derzeitigen Arbeitgeber bekam? Gleich null, nachdem ich betrunken meinem Ärger Luft gemacht und dem Typen im Elfenbeinturm gesagt hatte, was ich von ihm und dem Unternehmen hielt.

Toll.

Einfach nur toll.

Toll gemacht, Ireland!

Nachdem ich den Großteil meiner Ersparnisse für das Grundstück in Agoura Hills angezahlt und großzügig eine ganze Woche lang den Alkohol für den Junggesellinnenabschied in der Karibik bezahlt hatte, blieben mir ungefähr noch tausend Dollar. Noch dazu würde meine Mitbewohnerin, die bislang die Hälfte der Miete beigesteuert hatte, heiraten und ausziehen.

Aber … keine Sorge, Ireland. Du findest schon einen neuen Job.

Wenn die Hölle zufriert.

Die Medienbranche war ungefähr so nachsichtig wie mein Bankkonto nach einem Tag in der Shoppingmall.

Ich war am Arsch.

Total am Arsch.

Um über die Runden zu kommen, würde ich wieder als freie Journalistin für Zeitungen schreiben müssen, die mich wortweise bezahlten, und zwar in Penny-Beträgen. Diese Phase meines Lebens sollte eigentlich vorbei sein. Ich hatte alles gegeben und fast zehn Jahre lang sechzig Stunden in der Woche gearbeitet, um dorthin zu gelangen, wo ich jetzt war. Diesen Platz durfte ich nicht einfach kampflos aufgeben.

Ich musste zumindest versuchen, die Sache wieder hinzubiegen – zumindest so weit, dass ich ein gutes Zeugnis bekam. Also holte ich tief Luft, benahm mich wie ein großes Mädchen und klappte meinen Laptop auf, um meiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen, was ich dem CEO von Lexington Industries geschrieben hatte. Vielleicht war es ja gar nicht so schlimm, wie ich dachte. Ich klickte auf meine gesendeten E-Mails und öffnete die Nachricht.

Lieber Mr Jong-un,

Ich schloss die Augen. Mist. Diese Hoffnung hatte sich erledigt. Aber vielleicht verstand er meinen Humor ja nicht und dachte, ich hätte einfach nur seinen Namen falsch geschrieben. Das wäre doch immerhin möglich, oder?

Widerwillig las ich weiter und hielt dabei den Atem an.

Ich möchte mich in aller Form für meine kleine Indiskretion entschuldigen.

Okay … kein schlechter Anfang. Das war gut. Das war sogar sehr gut.

Hätte ich doch nur hier aufgehört zu lesen.

Mir war offen gesagt nicht klar, dass ich für einen Diktator arbeite.

Autsch.

Gott, ich bin so eine Idiotin, wenn ich zu viel trinke. Ich stieß lautstark die Luft aus und riss das Pflaster ab.

Ich hatte angenommen, dass ich in meiner Freizeit das Recht hätte zu tun, was mir gefällt. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich nicht mit einem Silberlöffel im Mund geboren worden und arbeite hart. Darum habe ich es verdient, ab und an ein bisschen die Sau rauszulassen. Wenn ich in einem rein privaten Mädelsurlaub die Chance habe, meinen Titten etwas Sonne zu gönnen, dann mache ich das. Ich habe nicht gegen irgendein Gesetz verstoßen. Es war ein Nacktbadestrand. Ich hätte ganz nackt sein dürfen, aber ich habe mich für oben ohne entschieden. Denn seien wir ehrlich – ich habe tolle Titten. Wenn Sie das »anstößige Video« gesehen haben, das mir Ihre verklemmte Personalleiterin auf einem USB-Stick zusammen mit dem beknackten Kündigungsschreiben geschickt hat, dürfen Sie sich glücklich schätzen, einen Blick auf sie erhascht zu haben. Vielleicht überlegen Sie sogar, das Video zu Ihrer Pornosammlung dazuzunehmen.

Ich habe mir über neun Jahre lang für Sie und Ihre blöde Firma den Arsch aufgerissen. Fahren Sie beide zur Hölle.

Sie können mich mal,

Ireland Saint James

Die Dinge wieder hinzubiegen würde sich deutlich schwieriger gestalten als erhofft. Aber davon durfte ich mich nicht abschrecken lassen. Vielleicht hatte el presidente meine erste E-Mail ja noch gar nicht gelesen. Ich könnte ihm eine zweite E-Mail schreiben und ihn bitten, die erste zu ignorieren.

Wenn ich irgendeine Chance auf einen neuen Job in der Branche haben wollte, brauchte ich ein gutes Zeugnis. Da man meine Privatsphäre verletzt hatte, konnte man sich zumindest neutral verhalten. Mir brach der Angstschweiß aus, und ich kaute auf meinem Fingernagel. Ich war mir nicht zu schade zu betteln. Darum kopierte ich die E-Mail-Adresse des CEO, öffnete eine neue Nachricht und fügte sie in die Adresszeile ein. Hier war Eile geboten.

Doch als ich gerade zu schreiben begann, meldete mein Laptop die Ankunft einer neuen E-Mail. Ich klickte sie an, und als ich die Absenderadresse las, blieb mir fast das Herz stehen: [email protected]

Oh Gott!

Nein.

Ich versuchte zu schlucken, doch plötzlich war mein Mund ganz trocken. Das war nicht gut. Ich wusste nur nicht, wie schlimm es war.

Liebe Ms Saint James,

vielen Dank für Ihre E-Mail … die dieser Typ, der mit einem Silberlöffel im Mund geboren wurde, um zwei Uhr morgens gelesen hat, weil ich noch im Büro war und gearbeitet habe. Der Ton Ihres Briefes – und dass er von grammatikalisch-stilistischen Fragwürdigkeiten nur so wimmelt, und das bei einer ausgebildeten Journalistin – lässt vermuten, dass Sie betrunken waren. Sollte dies der Fall sein, müssen Sie nun wenigstens nicht mehr morgens früh aufstehen. Gern geschehen.

Zu Ihrer Information, ich habe das besagte Video nicht gesehen. Aber sollte mir in meiner Pornosammlung das Material ausgehen, krame ich es vielleicht aus meinem Papierkorb – zusammen mit dem Standardzeugnis, das Ihr Vorgesetzter Ihnen eigentlich ausstellen wollte.

Mit freundlichen Grüßen

Richie Rich

Ich stieß die Luft aus, die ich angehalten hatte. Oh, Mist.

2. Kapitel

Grant

»Mr Lexington, soll ich Ihnen etwas zum Mittagessen bestellen? Ihr Zwei-Uhr-Termin hat gerade angerufen, dass er sich um eine halbe Stunde verspätet, darum haben Sie eine kleine Lücke.«

»Warum können die Leute nie pünktlich sein?«, knurrte ich und betätigte den Knopf der Gegensprechanlage, um meiner Assistentin zu antworten. »Können Sie mir bitte eine Scheibe Weizenvollkornbrot mit Bio-Truthahn und einer Scheibe laktosefreiem Käse besorgen? Und sagen Sie denen, dass ich wirklich nur eine Scheibe Käse möchte. Bei der letzten Bestellung in dem Laden muss der Typ, der mein Sandwich gemacht hat, aus Wisconsin gewesen sein.«

»Ja, Mr Lexington.«

Ich öffnete meinen Laptop, um meine E-Mails zu checken, da meine ununterbrochenen Meetings nun doch wieder einmal unterbrochen waren. Als ich das Eingangsfach auf wichtige Nachrichten durchsah, sprang mir ein Name ins Auge: Ireland Saint James. Die Frau war offensichtlich eine Trinkerin oder verrückt, möglicherweise auch beides. Wobei ihre E-Mail amüsanter gewesen war als die Hälfte des banalen Krams, der mich sonst erwartete. Also öffnete ich sie.

Lieber Mr Lexington,

würden Sie mir glauben, dass jemand meinen E-Mail-Account gehackt und Ihnen unter meinem Namen diese alberne Nachricht geschickt hat?

Wohl kaum. Wenn man überlegt, wie gebildet, intelligent, fleißig und erfolgreich Sie sind.

Trage ich zu dick auf?

Tut mir leid. Aber ich habe eine Menge wiedergutzumachen.

Besteht irgendeine Chance, dass wir noch mal neu anfangen können? Sie müssen wissen, dass ich, anders als Sie wahrscheinlich vermuten, nicht oft trinke. Als mir äußerst unerwartet ein Kündigungsschreiben ins Haus flatterte, brauchte ich gar nicht viel Alkohol, um meinen Kummer darin zu ertränken. Und offenbar auch meinen Verstand.

Also, wenn Sie immer noch lesen, danke ich Ihnen. Hier kommt der Brief, den ich Ihnen eigentlich hätte schreiben sollen:

Lieber Mr Lexington,

ich schreibe Ihnen mit der Bitte um Unterstützung, da mir, wie ich glaube, zu Unrecht gekündigt wurde. Sie müssen wissen, dass ich seit neuneinhalb Jahren mit vollem Engagement für Lexington Industries tätig bin. Ich habe als Praktikantin angefangen und mich über verschiedene Positionen in der Nachrichtenredaktion schließlich zu meinem Wunschposten als Fernsehmoderatorin hochgearbeitet.

Nun war ich mit acht Frauen im Urlaub, den ich dringend brauchte, und habe mit ihnen einen Junggesellinnenabschied gefeiert. In unserem Hotel gab es einen abgetrennten Nacktbadestrand. Obwohl ich im Allgemeinen keine Exhibitionistin bin, habe ich mich meinen Freundinnen angeschlossen und mich ein paar Stunden oben ohne gesonnt. Davon wurden einige harmlose Aufnahmen gemacht, die ich nirgendwo gepostet habe, auch mein Künstlername wurde nicht markiert. Doch bei meiner Rückkehr fand ich ein Kündigungsschreiben vor, weil ich mit meinem anzüglichen Verhalten gegen die Regeln der Firma verstoßen hätte.

Obwohl ich durchaus verstehe, warum es ein Regelwerk gegen anstößiges Verhalten gibt, bin ich zutiefst davon überzeugt, dass es nicht dazu geschaffen wurde, Lexington Industries vor meinem Verhalten in einem privaten Urlaub an einem Privatstrand zu schützen. Von daher bitte ich Sie höflichst, das Regelwerk und die Beendigung meiner Anstellung noch einmal zu überprüfen.

Hochachtungsvoll,

Ireland Saint James (Künstlername Ireland Richardson)

Saint James. Woher kenne ich den Namen? Er war mir schon in der ersten E-Mail vertraut vorgekommen, darum hatte ich sie im Firmenverzeichnis nachgeschlagen. Doch sie gehörte zur Nachrichtenredaktion, die meine Schwester führte und die ich mied wie die Pest, seit ich vor eineinhalb Jahren nach dem Tod meines Vaters zum CEO aufgestiegen war. Politik, Meinungsmache und Bürokratie waren nicht mein Ding. Obwohl ich mich CEO nannte, kümmerte ich mich überwiegend um die finanziellen Belange von Lexington Industries.

Ich suchte die erste E-Mail heraus, die ich von Miss Saint James erhalten hatte, und las sie noch mal. Während die neue sicherlich angemessener war, fand ich die erste unterhaltsamer. Sie hatte die Nachricht mit Sie können mich mal … beendet, worüber ich tatsächlich hatte lachen müssen. So sprach niemand mit mir. Seltsamerweise fand ich das ein bisschen erfrischend. Ich hatte das merkwürdige Bedürfnis, mich bei ein paar Drinks mit Miss Richardson zu unterhalten. Sie hatte eindeutig meine Neugier geweckt. Erneut drückte ich den Knopf der Gegensprechanlage.

»Millie, könnten Sie unten in der TV-Abteilung anrufen und den für die Morgennachrichten zuständigen Produzenten verlangen? Ich glaube, es müsste Harold Bickman oder Harrison Milton sein. Einer von denen.«

»Natürlich. Möchten Sie, dass ich einen Termin für Sie vereinbare?«

»Nein. Ich hätte nur gern die Personalakte von einer der Angestellten aus der Abteilung – Ireland Saint James. Ihr Künstlername ist Ireland Richardson.«

»Ich kümmere mich darum.«

»Danke.«

Mein Nachmittagstermin dauerte nur fünfzehn Minuten. Nicht nur, dass der Typ eineinhalb Stunden zu spät auftauchte, er war auch noch vollkommen unvorbereitet. Mit Leuten, die meine Zeit nicht zu schätzen wussten, hatte ich keine Geduld. Darum beendete ich das Ganze kurzerhand und verließ den Konferenzraum, nachdem ich ihm gesagt hatte, er solle meine Nummer aus seinen Kontakten löschen.

»Ist alles in Ordnung?« Millie sah auf, als ich an ihrem Schreibtisch vorbeieilte. »Brauchen Sie noch etwas aus Ihrem Büro?«

»Mein Meeting ist zu Ende. Sollte jemals wieder jemand von Bayside Investments anrufen, wimmeln Sie ihn ab.«

»Äh … ja, Mr Lexington.« Millie stand auf und folgte mir mit einem Notizblock in mein Büro. »Ihre Großmutter hat angerufen. Ich soll Ihnen ausrichten, dass sie keine Alarmanlage braucht und den Monteur wieder fortgeschickt hat.«

Kopfschüttelnd ging ich um meinen Schreibtisch herum. »Toll. Einfach toll.«

»Ich habe Ihnen Miss Saint James’ Akte besorgt und ausgedruckt. Sie liegt in einer Mappe auf Ihrem Schreibtisch. In der Datei der Personalabteilung befand sich auch ein Video, das ich Ihnen per E-Mail weitergeleitet habe.«

»Danke, Millie.« Ich setzte mich an meinen Schreibtisch. »Würden Sie bitte die Tür schließen, wenn Sie gehen?«

Herrgott. Ich erinnerte mich an sie. Es war lange her, aber ihre Geschichte vergaß man nicht so schnell. Als Ireland Saint James eingestellt wurde, hatte mein Vater noch die Unternehmensleitung innegehabt. Ich saß in seinem Büro, als Millie ihm die Akte von Ireland Saint James brachte. Er hatte ihre Geschichte als Beispiel genutzt, um mir zu erklären, welche Entscheidungen man manchmal zum Schutz des Unternehmens treffen musste.

Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück. Bei jedem Angestellten wurde ein Hintergrund-Check durchgeführt – wie gründlich, hing von der jeweiligen Position ab. Je mehr jemand in der Öffentlichkeit stand, desto eher konnten Name und Gesicht dem Ruf der Firma schaden, also sahen wir umso genauer hin. Normalerweise übernahmen die Personalabteilung und ein externes Detektivbüro diese Aufgabe. Wenn eine Person sauber war, wurde sie mit Genehmigung des Abteilungsleiters eingestellt. Das obere Management war daran meist nicht beteiligt – es sei denn, jemand erwies sich als mögliche Bedrohung unseres Namens und ein Abteilungsleiter wollte demjenigen dennoch ein Angebot machen. Dann wurde die Akte nach oben geschickt.

Ireland Saint James. Ich rieb nachdenklich mein Kinn. Ihr Vorname war etwas ungewöhnlich, vermutlich kam er mir deshalb bekannt vor. Obwohl ich von dem ganzen Mist, der vor zehn Jahren passiert war, ziemlich viel ausblendete.

Ich blätterte durch ihre Personalakte – die Informationen über sie umfassten kaum eine Seite. Doch die Akte musste zwei Zentimeter dick sein.

UCLA-Bachelor in Kommunikation, Nebenfach Englisch. Besuch der Journalistenschule in Berkeley mit einem Master-Stipendium für investigativen Journalismus. Nicht schlecht. Nie festgenommen und nur ein Ticket wegen Falschparkens. Vor achtzehn Monaten, als sie ihre heutige Position erhalten hatte, war sie ein weiteres Mal überprüft worden. Sie schien mit einem Anwalt zusammen zu sein. Alles in allem waren die Informationen über sie unauffällig – sie war eine vorbildliche Angestellte und aufrechte Bürgerin. Was man von ihrem Vater allerdings weniger behaupten konnte …

Die nächsten fünfzig Seiten handelten überwiegend von ihm. Er war ein einfacher Security-Mitarbeiter in einer Wohnanlage hier in der Stadt gewesen – doch die Zeitungsberichte konzentrierten sich auf die Zeit nach dieser Anstellung. Ich blätterte die Artikel Seite für Seite durch und überflog sie, bis ich auf ein Foto von einem kleinen Mädchen stieß. Als ich genauer hinsah, bestätigte die Bildunterschrift, dass es sich um Ireland handelte. Auf dem Bild musste sie neun oder zehn Jahre alt gewesen sein. Aus irgendeinem Grund starrte ich auf das Foto wie auf einen schrecklichen Verkehrsunfall. Sie weinte, und eine Polizeibeamtin hatte ihr eine Hand um die Schultern gelegt und führte sie aus dem Haus.

Gut gemacht.

Gut gemacht, Ireland – dass du es nach diesem Start so weit gebracht hast.

So beschissen es auch war, ich lächelte über das Bild. Es hätte für sie alles leicht ganz anders laufen können. Jetzt ergab es einen Sinn, dass sie mir ein zweites Mal geschrieben hatte – sie war eine Kämpferin.

Erneut betätigte ich die Gegensprechanlage an meinem Schreibtischtelefon, und Millie meldete sich.

»Ja, Mr Lexington.«

»Könnten Sie mir bitte einige aktuelle Ausschnitte aus den Morgennachrichten mit Miss Saint James besorgen? Im Fernsehen tritt sie als Ireland Richardson auf. Lassen Sie sich einen Link aus dem Archiv hochschicken.«

»Sehr gern.«

Wenn ich gewusst hätte, dass die TV-Abteilung solche Schätze barg, hätte ich ihr vielleicht mehr Beachtung geschenkt. Oder ich hätte zumindest die Morgennachrichten gesehen.

Ireland Saint James war eine Wucht – große blaue Augen, sandblondes Haar, volle Lippen, weiße Zähne, die häufig zu sehen waren, weil sie viel lächelte. Sie erinnerte mich an eine jüngere Version dieser großen Schauspielerin aus dem letzten Mad Max-Film.

Ich sah drei ganze Sendungen, bevor ich wieder auf die E-Mail klickte, in der Millie mir vorhin das Video aus Irelands Personalakte geschickt hatte. Als ich es öffnete, begrüßten mich drei Paar Titten. Ich wich zurück. Eindeutig keine Nachrichten. Die Frauen waren am Strand, trugen nichts als knappe Bikinihöschen und nippten an Drinks, die sie mit einem Strohhalm aus Kokosnüssen tranken. Ich zwang mich, den Blick hoch auf ihre Gesichter zu richten – keine von ihnen war Ireland. Doch einige Sekunden vor dem Ende des kurzen Videos ging eine Frau über den Strand. Weil ihr Haar nass war, wirkte es dunkler, aber das Lächeln war unverkennbar Irelands.

Bei den anderen Frauen hatte ich zuerst auf ihre Körper gesehen, doch erst als das Video zu Ende war und auf Ireland stehen blieb, richtete ich bei ihr den Blick nach unten – und das nicht, weil ihr Körper nicht beeindruckend war. Ihre Brüste waren voll und natürlich, sie passten zum Rest der üppigen Kurven. Doch es war ihr Lächeln, das in mir das warnende Gefühl auslöste, ich sollte mir eine Rüstung anziehen.

Ich rutschte auf meinem Stuhl vor und sprang mit dem Cursor zu dem X in der Ecke, um das Video zu schließen. Sie hatte zwar vorgeschlagen, es meiner Pornosammlung hinzuzufügen, aber ich wollte nicht respektlos sein und bestimmt keinen Steifen bekommen, indem ich mir ein Dutzend Mal ihr Video anschaute – egal wie sehr es meine verdorbene Seite auch reizen mochte. Wenn sie es mir von sich aus geschickt hätte, wäre es allerdings vielleicht etwas anderes.

Ich drehte mich in meinem Schreibtischstuhl um und sah aus dem Fenster. Ireland Saint James. Du scheinst ein ganz schön harter Brocken zu sein. Eine Frau, von der ich mich eindeutig fernhalten sollte, so viel stand fest. Doch es reizte mich, mehr zu erfahren. Einige Minuten lang rang ich mit mir, ob ich mich weiter mit der Sache befassen und mir vielleicht ihre Version der Geschichte anhören sollte. Aber warum sollte ich das tun?

Weil ich neugierig auf Ireland Saint James war, darum.

Oder aber, weil ich dafür sorgen wollte, dass in meinem Unternehmen faire Bedingungen herrschten?

Oder weil sie ein bezauberndes Lächeln hatte, einen umwerfenden Körper und eine beschissene Lebensgeschichte, die meine Neugier weckte?

Nach einigen Minuten kannte ich die Antwort. Alle Alarmglocken in meinem Kopf schrillten und sagten mir, dass ich die E-Mails löschen und die Personalakte durch den Schredder jagen sollte. Das war vernünftig … eindeutig die richtige professionelle Entscheidung. Doch …

Ich drückte die Leertaste, um mein Laptop aus dem Ruhezustand zu wecken, und öffnete eine neue E-Mail.

Liebe Ms Richardson,

nach neuerlicher Prüfung …

3. Kapitel

Ireland

Harold Bickman ist ein richtiger Mistkerl.

Ich liebte meinen Job, aber meinen Chef würde ich nicht vermissen. Der Mann war ein Drecksack. Im Grunde war er von Anfang an kein Fan von mir gewesen. Ich hatte herausgefunden, dass er den männlichen Gegenpart zu mir eingestellt hatte – der über weniger Erfahrung verfügte und erst kürzer zum Unternehmen gehörte als ich – und ihm zwanzig Riesen mehr zahlte als mir. Darauf hatte ich ihn auf professionelle Weise hingewiesen, woraufhin er mir erklärte, dass es Pro und Contra für jeden Angestellten und jede Position gebe. Ich solle mir keine Sorgen machen, ich würde die Vorteile von Jack Dorphman schon bald erkennen – zum Beispiel, wenn ich womöglich eines Tages das tolle Mutterschutzprogramm des Unternehmens nutzen würde.

Ich hatte bei der Personalabteilung offiziell Beschwerde eingelegt und daraufhin dasselbe Gehalt bekommen wie mein Kollege. Seither betrachtete Harold Bickman mich unwiderruflich als Verräterin. Wir hatten einen Weg gefunden, möglichst konfliktfrei zusammenzuarbeiten – indem wir uns weitestgehend aus dem Weg gingen. Mit seiner heutigen E-Mail bewies er jedoch erneut, was für ein Vollpfosten er war. Und mein Bauchgefühl sagte mir, dass er dafür gesorgt hatte, dass der Sender dieses Oben-ohne-Video in die Finger bekam. Der Kerl wollte meinen Job unbedingt Siren Eckert geben.

Kleiner Exkurs: Siren war ihr richtiger Name, kein Künstlername. Was hatten sich ihre Eltern nur dabei gedacht? Nun ja, egal …

Harold Bickman, vierundfünfzig, ein übergewichtiger Glatzkopf, der nach altem Käse roch, war nicht das schärfste Messer in der Schublade, wenn es um Frauen ging. Ich wette, er glaubte, bei Siren eine Chance zu haben – bei der vierundzwanzigjährigen ehemaligen Vize Miss Seattle –, nur weil sie ihm schöne Augen machte. Ich wette, er dachte auch, ich würde den Anweisungen in seiner E-Mail folgen.

Liebe Ms Richardson,

angesichts der unglücklichen Ereignisse und Ihres Abschieds von Broadcast Media fordere ich Sie auf, am Donnerstag, dem 29. September um 10:00 Uhr, Ihre persönlichen Sachen aus dem Büro abzuholen. Ich vertraue darauf, dass Sie sich während Ihres Besuchs professionell verhalten. Da Ihr Dienstausweis und Ihre Zugangskarte zum Gebäude deaktiviert wurden, müssen Sie sich beim Sicherheitsdienst melden.

Mit freundlichen Grüßen

H. Bickman

Im Ernst? Am liebsten wäre ich durch meinen Laptop gekrochen und hätte den Mann erwürgt. Bei der Vorstellung, dass er die »unglücklichen Ereignisse« womöglich gesehen hatte, verzog ich das Gesicht. Wahrscheinlich hatte er sich einen runtergeholt, während er sich zweiundzwanzig Sekunden lang das Video der barbusigen Frauen angesehen hatte, und war dann zu Siren hinübergegangen, um ihr meinen Job anzubieten.

Gott, das einzig Gute an meiner Kündigung war, dass ich dem Mann am Donnerstag endlich sagen konnte, was ich von ihm hielt. Wobei diesem Schlappschwanz zuzutrauen war, dass er durch Abwesenheit glänzte, wenn ich »meine persönlichen Sachen« abholte.

Seufzend klickte ich auf das Symbol für den Papierkorb, um Harold ein für alle Mal loszuwerden. Doch als ich gerade meinen Laptop zuklappen wollte, sah ich, dass ich noch eine E-Mail erhalten hatte. Von Grant Lexington. Neugierig öffnete ich sie.

Liebe Ms Richardson,

nach neuerlicher Prüfung Ihrer Akte bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Beendigung Ihres Beschäftigungsverhältnisses berechtigt war. Allerdings werde ich mit Ihrem direkten Vorgesetzten sprechen und vorschlagen, Ihnen ein wertfreies Zeugnis über Ihre Leistungen auszustellen.

Mit freundlichen Grüßen

Grant Lexington

Na super – Harold sollte ein wertfreies Zeugnis verfassen. Wahrscheinlich hätte ich meinen Laptop zuklappen und mich beruhigen sollen. Doch die letzten achtundvierzig Stunden hatten mich zum Sieden gebracht. Darum schrieb ich zurück und verzichtete auf eine Anrede oder irgendwelche Formalitäten.

Toll. Harold Bickman hasst Frauen fast genauso sehr, wie wenn jemand in seiner Gegenwart ständig mit dem Fuß auf dem Boden herumtippt. Oh … es sei denn, er meint, er hätte eine Chance, sie zu knallen – wie bei meiner Nachfolgerin.

Vielen Dank auch.

Zwei Tage später, am Donnerstagmorgen, traf ich nicht weniger verbittert am Büro ein. Ich war jedoch fast fünfundvierzig Minuten zu früh, da ich nicht wusste, wie lange ich im Berufsverkehr für die Fahrt brauchen würde. Wenn ich morgens um halb fünf zur Arbeit gefahren war, waren die Straßen leer gewesen. Da ich Bickman durchaus zutraute, dass er mich nicht früher hereinließ, ging ich noch ins Café nebenan. So konnte ich mich mental darauf vorbereiten, meinen Schreibtisch auszuräumen und ihm zu begegnen.

Ich bestellte einen koffeinfreien Kaffee, da meine Nerven ohnehin schon blanklagen, und setzte mich an einen Ecktisch. Immer, wenn ich mich gestresst fühlte, sah ich mir Instagram-Videos aus der Ellen-Show an. Die brachten mich zum Lachen, und das entspannte mich. Ich klickte auf einen lustigen Clip, in dem Billie Eilish Melissa McCarthy erschreckte, und lachte laut auf. Als ich am Ende des Videos von meinem Smartphone aufsah, stellte ich überrascht fest, dass ein Mann neben mir stand.

»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?«

Ich musterte ihn von oben bis unten. Groß, umwerfend, teurer Anzug … wahrscheinlich kein Serienkiller. Andererseits hatte mein Ex auch immer perfekt geschnittene Anzüge getragen.

Ich blinzelte. »Warum?«

Der Mann schaute erst nach links, dann nach rechts. Als er mir wieder seine graugrünen Augen zuwandte, meinte ich ein kaum wahrnehmbares Zucken im linken Mundwinkel zu bemerken.

»Weil alle anderen Plätze besetzt sind.«

Ich sah mich im Raum um. Oh, Mist. Inzwischen waren tatsächlich alle Plätze belegt. Ich nahm meine Tasche vom Tisch und nickte. »Sorry. Ich habe nicht mitbekommen, dass es so voll geworden ist. Ich dachte … Ach, vergessen Sie’s. Bitte, setzen Sie sich.«

Wieder zuckte der Mundwinkel kaum merklich. Hatte er einen Tick oder amüsierte er sich über mich?

»Ich habe Entschuldigen Sie gesagt, aber Sie haben mich nicht gehört. Sie waren ganz vertieft.«

»Oh. Ja. Jede Menge Arbeit. Bin ziemlich beschäftigt.« Ich klickte auf das Display, um YouTube zu schließen, und öffnete meine E-Mails.

Der attraktive Kerl knöpfte sein Sakko auf und setzte sich auf den Platz mir gegenüber. Er führte seinen Kaffeebecher an die Lippen. »Die Sendung mit Will ist mein persönlicher Favorit.«

Ich zog die Brauen zusammen.

Er grinste. »Smith. Bei Ellen. Ich habe zufällig mitbekommen, was Sie gesehen haben. Sie haben gelächelt. Sie haben übrigens ein sehr hübsches Lächeln.«

Mir schoss die Hitze in die Wangen, aber nicht wegen des Kompliments. Ich verdrehte die Augen. »Okay, ich habe gelogen. Ich habe nicht gearbeitet. Sie hätten mich nicht darauf ansprechen müssen.«

Sein kleines Grinsen wurde breiter, doch es hatte immer noch etwas sehr Überhebliches.

»Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie ein arrogantes Lächeln haben?«, fragte ich.

»Nein. Aber andererseits habe ich in den letzten beiden Jahren auch nicht allzu viel gelächelt.«

Ich legte den Kopf schief. »Das ist schade.«

Sein Blick glitt über mein Gesicht. »Warum haben Sie also gelogen und gesagt, dass Sie arbeiten?«

»Ehrlich?«

»Klar. Versuchen wir es mal damit.«

Ich seufzte. »Es war ein Reflex. Ich habe kürzlich meinen Job verloren, und ich weiß nicht … Ich glaube, ich kam mir wie ein Loser vor, hier zu sitzen und Ellen zu schauen.«

»Was machen Sie beruflich?«

»Ich bin Nachrichtensprecherin bei Lexington Industries – oder zumindest war ich das bis vor ein paar Tagen. Ich hatte die Morgensendung.«

Mr Lächelt-Nicht-Oft reagierte anders als die meisten Leute, wenn ich erzählte, dass ich beim Fernsehen arbeitete. Normalerweise zogen sie die Augenbrauen hoch und stellten mir eine Million Fragen. Doch es klang wesentlich glamouröser, als es war. Der Mann auf der anderen Tischseite schien allerdings nicht sehr beeindruckt zu sein. Oder zumindest zeigte er es nicht. Was ich merkwürdig fand.

»Und was tun Sie, dass Sie so einen schicken Anzug tragen und dennoch so lässig im Café sitzen können um …« Ich sah auf die Uhr auf meinem Smartphone. »… Viertel vor zehn am Vormittag?«

Das kleine Zucken kehrte zurück. Er schien meinen Sarkasmus zu mögen.

»Ich bin CEO eines Unternehmens.«

»Beeindruckend.«

»Eigentlich nicht. Es ist ein Familienunternehmen. Darum habe ich nicht ganz unten angefangen.«

»Vetternwirtschaft.« Ich trank von meinem Kaffee. »Sie haben recht. Jetzt bin ich deutlich weniger beeindruckt.«

Wieder lächelte er. Wenn er die Wahrheit sagte und er das nicht oft tat, war es verdammt schade … denn diese vollen Lippen und das freche Lächeln konnten Herzen zum Schmelzen bringen und Pokerspiele gewinnen.

»Erzählen Sie mir von Ihrer Kündigung«, sagte er. »Das heißt, nur wenn Sie sich nicht wieder um die ganze Arbeit auf Ihrem Telefon kümmern müssen.«

Ich lachte. »Das ist eine lange Geschichte. Ich habe etwas getan, von dem ich dachte, es sei harmlos, aber es hat sich herausgestellt, dass es gegen die Unternehmenspolitik verstößt.«

»Und sonst sind Sie eine gute Mitarbeiterin?«

»Ja, ich habe mir über neun Jahre den Hintern aufgerissen, um dorthin zu kommen, wo ich war.«

Er musterte mich und trank noch einen Schluck Kaffee. »Haben Sie versucht, mit Ihrem Chef zu sprechen?«

»Mein Chef wollte mich schon seit Jahren loswerden – seit ich mich darüber beschwert habe, dass er dem männlichen Pendant zu mir mehr bezahlt als mir.« Was mich daran erinnerte, dass ich ins Büro musste, um diesen Dreckskerl zu sehen. »Ich muss gehen. Besagter Chef wartet darauf, dass ich meinen Schreibtisch leer räume.«

Mr CEO rieb sich das Kinn. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich Ihnen einen kleinen Rat gebe? Ich habe oft mit Personalangelegenheiten zu tun.«

»Nur zu.« Ich zuckte die Schultern. »Das kann ja nicht schaden.«

»Sich an jemandem zu rächen, weil er sich über eine ungleiche Bezahlung zwischen den Geschlechtern beschwert hat, ist illegal. Ich schlage vor, Sie machen einen Termin mit der Personalabteilung und legen Beweise für Ihre Behauptung vor. Für mich hört es sich an, als sollte es eine Untersuchung geben, und vielleicht könnte dann Ihr Chef derjenige sein, der hier Ellen-Videos schaut.«

Hä?Scott hatte nichts davon gesagt, dass Rache illegal war, als ich ihm erzählt hatte, was passiert war. Doch das überraschte mich nicht. Er war zu sehr damit beschäftigt, mir Vorträge zu halten, weil ich oben ohne am Strand gewesen war.

Ich stand auf. »Danke. Vielleicht mache ich das.«

Der attraktive Mann stand ebenfalls auf. Er starrte mich an und wirkte, als wollte er noch etwas sagen, müsse jedoch erst die richtigen Worte finden. Ich wartete, bis es peinlich wurde.

»Also … war nett, Sie kennenzulernen«, sagte ich schließlich.

Er nickte. »Ebenso.«

Ich machte mich auf den Weg, blieb jedoch stehen, als er sagte: »Würden Sie … nachher mit mir zu Mittag essen? Nachdem ich nun weiß, dass Sie arbeitslos sind, können Sie sich nicht damit herausreden, dass Sie zu viel zu tun haben.«

Ich lächelte. »Danke. Aber ich glaube, lieber nicht.«

Mr CEO nickte und setzte sich wieder.

Ich verließ das Café, ohne genau zu wissen, warum ich abgelehnt hatte. Natürlich konnte ein Fremder gefährlich sein. Aber ihn an einem öffentlichen Ort zum Mittagessen zu treffen, war nicht gefährlicher, als wenn ich mit einem Typen ausging, den ich in einer Bar kennengelernt hatte. Und das hatte ich schon getan. Wenn ich ehrlich war, fand ich den Mann etwas einschüchternd – so ähnlich wie Scott am Anfang. Er sah einfach zu gut aus und war zu erfolgreich, und, nun ja, bei einem solchen Typen war ich einfach vorsichtig.

Doch das war dumm. Der Mann war richtig sexy, und mein Vormittag würde beschissen genug werden. Warum sollte ich nicht die Chance nutzen und mich mit ihm zum Mittagessen treffen?

Ich blieb abrupt auf der Straße stehen, sodass jemand von hinten in mich hineinrannte. »Sorry«, sagte ich.

Der Typ zog eine Grimasse und ging um mich herum. Ich eilte ins Café zurück. Der CEO war aufgestanden und nahm seinen Becher, als wollte er gehen.

»Hey, Mr CEO, Sie sind doch nicht etwa ein Serienkiller, oder?«

Seine Brauen schossen nach oben. »Nein, kein Serienkiller.«

»Okay. Dann habe ich meine Meinung geändert. Ich gehe mit Ihnen zu Mittag essen.«

»Also, jetzt bin ich aber froh, dass ich nicht randaliert habe.«

Ich lachte und grub in meiner Tasche nach meinem Handy. »Geben Sie Ihre Nummer ein, dann schicke ich Ihnen meine Kontaktdaten.«

Er tippte in mein Handy, und ich schickte ihm meine Visitenkarte. Als das Telefon in seiner Hand vibrierte, sah er auf das Display. »Ireland. Schöner Name. Passt.«

Ich schaute auf mein eigenes Display, aber er hatte keinen Namen eingegeben. »CEO? Sie verraten mir nicht Ihren Namen?«

»Ich dachte, ich halte die Spannung bis zum Mittagessen.«

»Hmmm … Okay. Aber ich vermute, Sie haben so einen überkandidelten CEO-Namen, der zusammen mit einem Treuhandfonds von einer Generation zur nächsten vererbt wird.«

Er lachte. »Ich bin froh, dass ich heute hier einen Kaffee getrunken habe.«

Ich lächelte. Ich auch. »Ich schreibe Ihnen später wegen des Mittagessens.«

Er nickte. »Ich freu mich drauf, Ireland.«

Ich verließ das Café und machte mich in wesentlich besserer Stimmung auf den Weg ins Büro. Vielleicht würde der heutige Tag ja doch nicht so schlimm werden …

»Im Ernst? Sie konnten noch nicht mal abwarten, bis ich meinen Schreibtisch ausgeräumt habe?«

Unser Büro war groß, ein offenes Quadrat, in der Mitte Kabinen und am Rand einzelne aquariumsartige Glasbüros. Der Sicherheitsdienst hatte mich wie eine Gefangene zu Bickmans Büro begleitet, und auf der anderen Seite des großen Raums konnte ich sehen, wie Siren Kartons aus ihrer Kabine in mein Büro schleppte.

Bickman zerrte an seiner Gürtelschnalle und zog die Hose, die ihm unter dem Bauch hing, nach oben. »Machen Sie keine Szene, oder ich packe Ihren Mist eigenhändig für Sie ein.«

Ich setzte eine finstere Miene auf und tippte mit dem Fuß, während ich sprach. »Hoffentlich zahlen Sie ihr wenigstens den gleichen Lohn wie einem Mann mit derselben Ausbildung und Erfahrung. Ach, Moment … das dürfte schwierig werden, denn ein Mann mit ihrer Qualifikation würde in der Postabteilung arbeiten.«

Er drückte ein paar Tasten auf seinem Telefon und sah zu meinem Büro hinüber, während er über die Freisprecheinrichtung sagte: »Ireland ist hier, um ihr Büro auszuräumen. Vielleicht lassen Sie sie einen Moment allein und richten Ihr neues Büro fertig ein, wenn sie weg ist.«

»Ja, Mr Bickman.«

Ich rollte mit den Augen. Ja, Mr Bickman.

Dieser Mistkerl machte eine Geste und schickte mich hinaus, damit ich tat, was ich tun musste. »Lassen Sie sich nicht zu lange Zeit.«

Angewidert wandte ich mich zum Gehen, blieb dann jedoch stehen und kehrte noch mal zurück. Ich hatte noch nicht entschieden, ob ich mich an die Personalabteilung wenden würde, weil er mich aus Rache gefeuert hatte. Ich konnte nicht beweisen, dass Bickman das Video in Umlauf gebracht hatte, was der Auslöser für meine Kündigung gewesen war. Und ich wusste, dass es ihn kein bisschen kratzen würde, wenn ich ihm drohte. Dennoch sollte er sich beschissen fühlen, damit es mir besser ging.

Ich ging zurück in sein Büro und schloss leise die Tür hinter mir, um ihm ein paar passende Worte zum Abschied zu sagen.

»Sie haben seit Jahren nach einem Grund gesucht, mich zu feuern. Doch das war schwierig, weil ich eine vorbildliche Mitarbeiterin war und unsere Quoten stetig nach oben gingen, seit ich zur Sendung gekommen bin. Schließlich haben Sie einen Grund gefunden. Ich weiß nicht, wie Sie es gemacht haben, aber ich weiß, dass Sie dafür gesorgt haben, dass die Personalabteilung das Video in die Finger bekommt. Haben Sie eigentlich eine Kopie für sich behalten? Hoffentlich, denn das ist der einzige Hintern, den Sie in diesem Büro jemals sehen werden. Von meiner unqualifizierten Nachfolgerin, die gerade mal mit der Highschool fertig ist, bekommen Sie mit Sicherheit kein Stück Haut zu sehen. Sie glauben, dass sie Sie mag, aber sie vögelt mit dem neuen Praktikanten aus der Anzeigenabteilung. Ach, und erinnern Sie sich an Marge Wilson – die geschiedene Zeitarbeiterin mittleren Alters, die Sie auf der Weihnachtsfeier vor ein paar Jahren betrunken gemacht haben? Die, von der Sie meinten, niemand wüsste, dass Sie mit ihr nach Hause gegangen sind?« Ich lächelte und wedelte mit dem kleinen Finger. »Also, wir wissen alle Bescheid. Ihr Spitzname für Sie war Raupe.«

Ich öffnete die Tür, atmete einmal tief durch und ging in mein Büro, um neun Jahre meines Lebens auszuräumen.

Buchstäblich drei Minuten später stand der Sicherheitsdienst im Raum und Bickman direkt dahinter.

Ich legte die letzten Sachen aus der obersten Schublade in einen Karton und starrte ihn wütend an. »Ich bin noch nicht fertig.«

»Sie hatten lange genug Zeit. Wir haben zu arbeiten.«

Während ich die zweite Schublade öffnete, um weiter einzupacken, murmelte ich leise vor mich hin: »Gott, du bist so ein Idiot, Raupe!«

Anscheinend hatte ich nicht leise genug gemurmelt. Bickmans Gesicht lief rot an, und er zeigte auf den Ausgang. »Raus! Raus hier!«

Ich riss die zweite Schublade aus dem Schreibtisch und entleerte den Inhalt kurzerhand in den Karton. Mit den anderen zwei Schubladen verfuhr ich ebenso und warf sie anschließend auf die Besucherstühle. Ich schnappte mir die gerahmten Fotografien vom Schreibtisch und mein Zeugnis von der Wand und schleuderte alles in den Karton.

Die zwei uniformierten Security-Mitarbeiter, die Bickman gerufen hatte, schienen sich ziemlich unwohl zu fühlen.

Ich lächelte dem einen traurig zu. »Ich gehe, damit Sie sich nicht weiter mit diesem Idioten abgeben müssen.«

Die Männer folgten mir zu den Aufzügen und stiegen mit mir zusammen in die Kabine. Immerhin war Bickman so vernünftig, uns nicht zu folgen, doch als wir im Erdgeschoss ausstiegen, trat er aus dem Nachbarfahrstuhl.

Kopfschüttelnd ging ich weiter. »Ich glaube, zwei Security-Mitarbeiter genügen. Sie müssen mich nicht begleiten, Bickman.«

Dennoch folgte er mir in einigem Abstand. In der Haupthalle hielten sich eine Menge Menschen auf, und ich beschloss, mich mit einem Knall von ihm zu verabschieden. Ich blieb stehen und drehte mich zu Bickman um, dann stellte ich den schweren Karton vor mir auf dem Boden ab, zeigte mit dem Finger auf ihn und rief aus vollem Hals: »Dieser Mann nutzt seine Position aus, um sich Frauen gefügig zu machen. Er hat mich gerade gefeuert und meinen Job einem jungen Mädchen gegeben, weil er meint, sie würde zum Dank die Beine breit machen. Ich glaube, er hat noch nichts von #MeToo gehört.«

Bickman stürzte vor und packte mich am Ellbogen. Ich riss mich los.

»Fassen Sie mich nicht an.«

Als er merkte, dass die Leute ihn beobachteten, wich er ein Stück zurück und eilte zurück in Richtung Fahrstühle.

Ich musste unbedingt hier weg, bevor der Sicherheitsdienst noch die Polizei rief. Also atmete ich einmal tief ein, hob meinen Karton wieder hoch und marschierte hoch erhobenen Hauptes auf die Glastüren zu. Doch … dort kam mir mit langen Schritten ein Mann entgegen. Ich zögerte, als ich sein Gesicht sah. Sein äußerst wütendes Gesicht.

»Behalten Sie Ihre verdammten Hände bei sich«, bellte er Bickman über meine Schulter hinweg an.

Mr CEO.

Toll. Na super. Der erste Typ seit Monaten, den ich einigermaßen interessant fand, musste natürlich genau in dem Augenblick in das Gebäude marschieren, in dem ich eine Szene machte und mich wie eine Irre aufführte. Das Timing hätte nicht schlechter sein können. Andererseits passte es zum Rest dieses miesen Tages.

Der Stress der letzten Tage war offenbar einfach zu viel gewesen, und ich bekam einen Lachanfall. Erst lachte ich nur laut auf, dann schnaubte ich, und schließlich lachte ich aus vollem Hals, als hätte ich den Verstand verloren. Ich versuchte, mir den Mund zuzuhalten, konnte aber nicht aufhören und stieß zwischen hysterischen Lachern hervor: »War ja klar, dass ich Ihnen hier begegne. Ich schwöre, ich bin eigentlich nicht so. Ich hab nur ein paar wirklich schlimme Tage hinter mir.«

Der CEO starrte weiter über meine Schulter. Seine Miene wirkte ziemlich furchteinflößend – der Kiefer war angespannt, die Muskeln in seinen Wangen zuckten, und seine Nasenflügel blähten sich wie bei einem Stier. Ich drehte mich um, folgte seinem Blick und sah, dass Bickman wieder auf uns zukam, anstatt sich zu entfernen.

Seufzend schloss ich die Augen, die Szene war offenbar noch nicht vorbei. »Ich würde es verstehen, wenn Sie mich jetzt nicht mehr zum Mittagessen einladen wollen.«

Der Blick des Mannes sprang zu mir, dann zu Bickman und wieder zu mir. »Ehrlich gesagt, würde ich immer noch sehr gern mit Ihnen essen gehen. Aber ich fürchte, das werden Sie jetzt nicht mehr wollen.«

4. Kapitel

Grant

»Mr Lexington, wie schön, Sie zu sehen.«

Ireland drehte den Kopf von links nach rechts. Wenn ich im Zweifel gewesen war, ob sie vorhin im Café gewusst hatte, wer ich war, bestätigte mir ihre verwirrte Miene nun, dass sie tatsächlich keine Ahnung gehabt hatte.

»Wie hat er Sie gerade genannt?«

Bickman erschien neben Ireland, und ich starrte ihn wütend an. »Lassen Sie uns einen Moment allein. Ich muss mit Miss Saint James sprechen.«

Irelands Augen blitzten. »Sie Mistkerl. Sie wussten die ganze Zeit, wer ich bin?«

Bickman stand immer noch hinter ihr, als hätte ich ihm nicht gerade gesagt, dass er sich verziehen sollte. »Haben Sie nicht verstanden, was ich gesagt habe?« Ich sah ihn finster an.

»Tut mir leid, Mr Lexington. Natürlich. Ich gehe wieder in mein Büro. Ich bin im elften Stock, falls Sie mich brauchen.«

Ja. Du hast schon genug getan. Ich wies die Security-Männer an, auf ihren Posten zurückzukehren, und wollte Ireland den Karton abnehmen. »Lassen Sie mich das nehmen.«

Sie zog ihn jedoch zur Seite. »Sie sind Grant Lexington?«

»Ja.«

»Und Sie wussten im Café, wer ich bin?«

Ich schluckte. »Ja.«

»Gott, ich habe einem Lügner meine Nummer gegeben. Das ist schlimmer als einem Serienkiller.«

»Ich habe Sie nicht angelogen.«

»Nein, Sie vergaßen nur zu erwähnen, dass Sie der Chef vom Chef meines Chefs sind.« Der Karton begann zu rutschen, fast hätte sie ihn fallen gelassen. »Oh Gott! Die E-Mails! Wir haben uns E-Mails geschrieben, und Sie fanden es nicht erwähnenswert, mir zu sagen, wer Sie sind, obwohl Sie wussten, wer ich bin?«

»Als ich wegen des leeren Platzes an Ihren Tisch gekommen bin, wusste ich zuerst noch nicht, wer Sie sind. Aber ich hätte es Ihnen beim Mittagessen gesagt …«

Sie schüttelte den Kopf. »Mittagessen? Sie können mich mal. Ihre ganze verdammte Firma kann mich mal.«

Ireland ging um mich herum und stolzierte Richtung Tür.

»Ireland!«, rief ich ihr hinterher, doch sie ging unbeirrt weiter. Wahrscheinlich sollte ich meinen Kopf untersuchen lassen, aber wie sie Bickman vorgeführt und mir die Meinung gegeigt hatte, machte mich hart. Das war sogar noch besser als der Anblick ihres sexy Hinterns, während sie das Gebäude verließ.

Lächelnd schüttelte ich den Kopf. Vielleicht waren wir beide ein bisschen verrückt. »Dann rufe ich Sie später wegen des Mittagessens an«, rief ich ihr hinterher.

Ohne sich umzudrehen, hob sie eine Hand und zeigte mir den Mittelfinger.

Ich lachte.

Mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich Ireland nicht zum letzten Mal gesehen hatte, aber jetzt musste ich mich dringend um andere Angelegenheiten kümmern.

»Mr Lexington, wie schön, Sie zu sehen. Es tut mir leid, dass Sie die unangenehme Situation in der Halle miterleben mussten. Eine frisch entlassene Angestellte war verärgert und hat eine Szene gemacht.«

Eine junge Frau steckte den Kopf in Bickmans Büro. Sie bemerkte mich nicht gleich, weil ich direkt neben der Tür stand. »Darf ich wieder in mein Büro zurück …« Als sie mich entdeckte, verstummte sie. »Oh, tut mir leid, ich wollte nicht stören. Ich habe nicht gesehen, dass Sie nicht allein sind.«

»Schon okay«, sagte ich mit einem Nicken.

Bickman stellte uns vor. »Siren, das ist Grant Lexington. Er ist Vorstandsvorsitzender und CEO des Unternehmens, dem unser kleiner Sender gehört.«

»Oh, wow!«, sagte sie.

Ich reichte ihr die Hand. »Freut mich, Sie kennenzulernen.«

Bickman streckte die Brust raus. »Siren ist gerade zur Moderatorin befördert worden.«

Das ist also die unqualifizierte Frau, wegen der Ireland sich so aufgeregt hat?

Bickman erklärte der Frau, sie könne ihr neues Büro beziehen, und ich beobachtete, wie sein Blick auf ihren Hintern fiel, als sie sich umdrehte. Sobald sie außer Hörweite war, ließ ich mir meinen Verdacht bestätigen.

»Ist das die Nachfolgerin von Miss Saint James?«

Dieser Idiot schien auch noch stolz zu sein. »Ja. Sie hat einen Abschluss aus Yale und …«

Ich schnitt ihm das Wort ab. »Wie sind Sie an das Urlaubsvideo von Miss Saint James gekommen?«

»Wie bitte?«

»Muss ich langsamer sprechen? Wie. Sind. Sie. An. Das. Urlaubsvideo. Von. Miss Saint James. Gekommen?«

»Ich … äh … habe es auf Social Media gesehen.«

Ich zog eine Augenbraue hoch. »Auf ihrem öffentlichen Social-Media-Account?«

»Nein, ihrem privaten Instagram-Account.«

»Dann sind Sie Social-Media-Freunde? Sonst könnten Sie doch nicht sehen, was sie auf ihrem privaten Account postet?«

»Ja. Also, eigentlich nicht ich. Aber ich habe Zugang zu einem Account, mit dem sie befreundet ist.«

»Wie das?« Allmählich verlor ich die Geduld.

»Ich habe einen Social-Media-Account auf den Namen einer ehemaligen Angestellten eingerichtet. Ein Grundprofil.«

»Heißt das, Sie stalken unter falschem Namen die privaten Social-Media-Accounts Ihrer Angestellten?«

Bickman zog an seinem Krawattenknoten. »Nein. Nur die der schwierigen.«

»Der schwierigen?«

»Ja.«

Mehr brauchte er mir nicht zu sagen. Ireland hatte nicht übertrieben. Dieser Typ war wirklich ein widerlicher Kerl. Ich ging zu seinem Schreibtisch, nahm den Hörer vom Telefon und drückte ein paar Tasten. Als sich der Sicherheitsdienst meldete, sagte ich: »Hier spricht Grant Lexington. Könnten Sie bitte in den elften Stock hochkommen? Ich habe einen Angestellten entlassen, der aus dem Gebäude hinausbegleitet werden müsste.«

Als ich auflegte, schien Bickman noch nichts begriffen zu haben.

Ich stemmte die Hände in die Seiten. »Sie sind gefeuert. Sie haben Zeit, bis der Sicherheitsdienst hier ist, um Ihren Schreibtisch zu räumen. Ich bin mir sicher, das ist mehr Zeit, als Sie Miss Saint James eingeräumt haben.«

Die Dumpfbacke blinzelte ein paarmal. »Wie bitte?«

Ich beugte mich vor und sprach langsam: »Welchen Teil von Sie sind gefeuert haben Sie nicht verstanden?«