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In diesem Buch wird das Konzept der dialogischen Kunst- und Kulturvermittlung theoretisch dargelegt und anschaulich anhand von Praxisbeispielen erläutert. Anderen Menschen einen zunächst fremden Sachverhalt zu erklären oder mit ihnen über scheinbar Bekanntes ins Gespräch zu kommen, ist nicht immer einfach. Für eine verständliche, nachvollziehbare, aber auch lebendige und anschauliche Vermittlung sind bestimmte Techniken der Gesprächsführung, des Dialogs, der verbalen und nonverbalen Kommunikation sowie Kenntnisse über Motivation und Verhalten der Besucher erforderlich. Wenn Vermittlung einen Lern- und Bildungsprozess anstrebt, muss sie sich von traditionellen Vermittlungskonzepten verabschieden und sich einer zeitgemäßen Didaktik und neuen Lerntheorien öffnen. Die Emanzipation und Wertschätzung des Besuchers kann nur in einer dialogischen Werkbetrachtung erfolgen. Der/die Vermittler/in muss daher gemeinsam mit dem Besucher das Werk/die Exponate in den Mittelpunkt einer systematischen Befragung stellen. Eine solche dialogische Befragung verlangt nach Vermittlern, die sich als Moderatoren gemeinsamer Erkenntnisprozesse verstehen. Nur durch ein individuelles, respektvolles und wertschätzendes Eingehen auf Fragen, Vorurteile und Einstellungen zum Objekt und seinem Kontext kann der Besucher erreicht und eine Auseinandersetzung und ein nachhaltiges Lernen ermöglicht werden. Diese Form der Vermittlung erfordert eine andere, dem Besucher zugewandte Haltung und eine veränderte Kommunikation. Diese Form der Vermittlung ist erlernbar, erfordert aber ein intensives Training und die Bereitschaft, die Wahrnehmung der Besucher ernst zu nehmen.
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Seitenzahl: 63
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„Der Andere könnte Recht haben.“
Hans-Georg Gadamer
„Ich habe keine Lehre. Ich zeige nur etwas. Ich zeige Wirklichkeit, ich zeige etwas an der Wirklichkeit, was nicht oder zu wenig gesehen worden ist. Ich nehme ihn, der mir zuhört, an der Hand und führe ihn zum Fenster. Ich stoße das Fenster auf und zeige hinaus. Ich habe keine Lehre, aber ich führe ein Gespräch.“
Martin Buber
Das dialogische Prinzip
Theoretische Vorüberlegungen
Zur aktuellen Situation in der Kunstvermittlung
Dialog für mehr Besucherorientierung
Etymologische Bedeutung
Pädagogische Settings
Warum kommen Besucher in das Museum?
Ästhetik und subjektive Wahrnehmung – und warum der Dialog für die Kunstvermittlung so sinnvoll ist
Selbstbestimmung
Sprechen über Kunst
Dialog als Hinwendung zum Gegenüber
(Neo-)Sokratische Gesprächsmethode
Dialogkultur des Vermittlers: Das Lenkungs-Repertoire
Gesprächsführung nach Carl Rogers
Die Prinzipien einer dialogischen Vermittlung
Polylogische Vermittlung
Fragen, um die es in der Kunstvermittlung wirklich geht
Wie schaffe ich eine und kommunikative Atmosphäre?
Fragen stellen im dialogischen Setting
Dialogische Moderation am Werk
Werk-/Objektorientierung – Bildhaftes Vermitteln
Von der Frage zum Gespräch – zur Gruppenmoderation
Nonverbale Kommunikation – Die Bedeutung der Körpersprache
Kommunikationsregeln nach Ruth Cohn
Stimmausdruck und Sprechgestaltung
Umgang mit Störungen im Besucherkontakt
Literatur
In diesem Sinne setzt seit 15 Jahren das Institut kunstunddialog auf den Ansatz des Dialogs – als erkenntnisgenerierendes Gespräch in der Kunst- und Kulurvermittlung.
kunstunddialog schult Museumspersonal und Kunst- und Kulturvermittler in der dialogischen Kommunikation mit Besuchern. Es geht nicht darum, den Besucher nur zu befragen oder ihn zu „nötigen“, über seine Eindrücke zu sprechen, sondern darum, eine Gesprächskultur zu schaffen, in der jeder Besucher auf seine eigene Art und Weise, unter Berücksichtigung seiner individuellen Neigungen, Gefühle und Interessen, Lust bekommt, sich am Gespräch über das Kunstwerk oder an der Debatte über den Gesamtzusammenhang zu beteiligen..
Die Aufgabe des Vermittlers - des Dialogbegleiters - ist es, eine „angstfreie“ Atmosphäre zu schaffen, in der jeder Besucher sich zeigen kann, eigene Unsicherheiten, Befindlichkeiten, Hin- und Abwendungen transparent machen kann und das Gefühl bekommt, dass auch er mit seinem Wissen, Denken und Fühlen in Bezug auf das Kunstwerk/Objekt genau richtig liegt und darüber hinaus vom Vermittler ernst und wichtig genommen wird.
Vor dem Hintergrund eines stärkeren Partizipationswunsches auch im Kulturbereich und einem immer lauter werdenden Ruf nach mehr Mitbestimmung und Mitsprache seitens der Besucher, müssen auch die Museumsmitarbeiter neue Kommunikations- und Gesprächsführungstechniken erlernen, um diesem Anspruch gerecht zu werden.
„Dialogisches Leben ist nicht eins, in dem man viel mit Menschen zu tun hat,
sondern eins, in dem man mit den Menschen, mit denen man zu tun hat, wirklich zu tun hat.“
Martin Buber
Das dialogische Prinzip
„Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind, wir sehen sie, wie wir sind.“
Aus dem Talmud
Wenn ein Bild – wie es im Volksmund heißt – mehr sagt als tausend Worte, wird die Vergeblichkeit aller Versuche offensichtlich, ihm im Sprechen gleichzukommen. Das visuelle Werk entzieht sich letztlich der begrifflichen Bestimmung und beweist seine Unerreichbarkeit und zugleich Unerschöpflichkeit: Bilder zeigen mehr als selbst die eloquentesten Interpreten darzulegen vermögen, ja mehr sogar als ihre Schöpfer auszudrücken versuchten.
Damit ihr Reichtum und ihre Rätselhaftigkeit die Betrachter am End nicht verstummen lassen, sondern zum unbefangenen, umkreisenden Reden inspirieren, werden an den ihnen gewidmeten Ausstellungsorten neue Wege der Vermittlung erprobt.
Museen treten in den Dialog und etablieren alternative Veranstaltungsformate, die das Gespräch mit den Gästen in den Mittelpunkt stellen. In der Kommunikation untereinander über die Kunst – so der Leitgedanke – kann man sich ihr ungleich weiter annähern als im einsamen Sinnieren oder fraglosen Zuhören.
Die Verfechter des dialogischen Gedankens müssen sich jedoch gegen vielfältige Barrieren durchsetzen, gegen persönliche und institutionelle, gegen Konventionen und Traditionen. Denn das am weitesten verbreitete und meistgenutzte Vermittlungsformat in Museen ist nach wie vor die Führung von Exponat zu Exponat.
Auf der Seite der Kulturinstitutionen bietet die Führung den ökonomischen Vorteil eines vergleichsweise geringen Aufwands an Zeit, Energie und Material, um ein großes Publikum zu erreichen. Auf der Besucherseite besticht sie nach wie vor durch die hohe Bequemlichkeit des Inhaltskonsums und das Versprechen, einen mündlichen, frei formulierten und dennoch scheinbar wissenschaftlich fundierten Überblick über alle relevanten Aspekte der besuchten Ausstellung zu erhalten.
Im Gegensatz zu ihrer nach wie vor ungebrochenen Beliebtheit im Museumsmanagement und teilweise auch bei den traditionellen Museumsbesuchern erfährt die klassische Führung in Fachkreisen und auch beim jüngeren Publikum seit einigen Jahren eine enorme Abwertung. Sie steht inzwischen zu sehr im Verdacht, eher einer elitären Wissensvermittlung zu dienen als einer erkenntnisgenerierenden und zeitgemäßen Kunst- und Kulturvermittlung, die auch das Wissen und die Wahrnehmung des Betrachters einbezieht.
Eine zeitgemäße Vermittlung dagegen muss statt bildungsbürgerlicher Monologe besucher- und zielgruppenorientierte Dialoge initiieren. Der Hintergrund für ein solches Umdenken ist spätestens seit den 1990er Jahren im Zuge der Anerkennung konstruktivistischer Lerntheorien, der Ausdifferenzierung des musealen Bildungsauftrags und der Entstehung der (institutions-)kritischen Kunstvermittlung entstanden (vgl. Maturana/Varela, 1990; Mörsch, 2012).
„Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“
Martin Buber
In der aktuellen Praxis haben seither - neben aktivierenden, spielerisch-assoziativen und interdisziplinären Methoden sowie dem rasant wachsenden medialen Angebot - Gesprächsformate Konjunktur: Museen laden zu Sonderveranstaltungen wie Kunstsprechstunden, Diskussionsrunden, Künstlerdialogen oder geselligen Tischgesprächen ein. Die Gäste werden von im Ausstellungsraum umhergehenden und als „Live Speaker“, „Ask Me“, „Cicerone“ oder „Talking Label“ gekennzeichneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in kurze, persönliche Gespräche über einzelne Objekte verwickelt. Und auch im Standardsetting der Führung von Exponat zu Exponat wird zunehmend Wert auf kommunikative Interaktion gelegt, um auch in heterogenen Gruppen jedem Gast gerecht zu werden.
Damit einher geht ein Rollenwandel der Vermittler, die nicht mehr als referierende Lehrmeister, sondern als moderierende Ausstellungsbegleiter auftreten. Sie eröffnen Freiräume, indem sie sich vom eigenen bzw. akademischen Wissensstand als alleinigem Maßstab lösen, Inhalte und Instrumente flexibel an die Anwesenden anpassen, Bedürfnisse und Beiträge dynamisch aufnehmen, Denk- und Sichtweisen demokratisch einbeziehen sowie Diskurs und Inszenierung kritisch hinterfragen.
„Rede, damit ich Dich sehe.“
Sokrates
Einerseits gilt der Dialog als die Antwort schlechthin auf das Bedürfnis nach mehr Besucherorientierung, andererseits gelingt seine tatsächliche Umsetzung längst nicht überall und oft nur partiell. Dies liegt zum einen an schwelenden Vorbehalten seitens der Kunstszene, die inhaltsleeres Geplänkel vermutet, und seitens des Publikums, das die ungewohnte Deutungshoheit scheut, zum anderen an fehlenden Voraussetzungen bei den Vermittlern selbst, die sich erst auf die Moderation offener Gespräche einlassen und entsprechende Haltungen und Methoden verinnerlichen müssen. Um der Dialogorientierung in der Kunstvermittlung gerecht zu werden und eine weitere Professionalisierung voranzutreiben, sind in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum verschiedene Weiterbildungsprogramme mit einer speziell besucherorientierten Ausrichtung entstanden.
In diesem Feld hat sich auch das von Antje Lielich-Wolf gegründete Institut kunstunddialog – Institut für Kunstvermittlung und Weiterbildung etabliert, welches sich speziell mit der kommunikativen und im Besonderen mit der dialogischen Kompetenz von Kunst- und Kulturvermittlern befasst. kunstunddialog vertritt eine dialogische Vermittlungsdidaktik und gründet sein Konzept auf die neosokratische Methode von Leonard Nelson (1882 - 1927) und Gustav Heckmann (1889 - 1996), die auf die von Platon (428 v. Chr. - 348 v. Chr.) überlieferte „Hebammenkunst“ des antiken Philosophen Sokrates (469 v. Chr. - 399 v. Chr.) zurückgeht. Sokrates verstand die sogenannte Mäeutik als „Geburtshilfe“ und verhalf seinen Schülern durch beharrliches Fragen zur Geburt eigener „geistiger“ Kinder. In diesem Sinne versucht auch der dialogische Ansatz, den Prozess der Kunsterkenntnis bei den Besuchern zu initiieren und weniger zu erzählen, was die Erkenntnisse sein könnten..
Dabei nimmt kunstunddialog