Mutter der Drachen - Sarah K. L. Wilson - E-Book

Mutter der Drachen E-Book

Sarah K. L. Wilson

5,0

Beschreibung

Baby-Drachen machen oft eine Menge Ärger! Eine epische Trilogie über ein junges Mädchen und ihren geliebten Baby-Drachen. Von der US Bestseller Autorin Sarah K. L. Wilson Die sechzehnjährige Seleska wollte eigentlich keinen Ärger machen, als sie ein Drachenbaby am Strand rettete. Immerhin war sie als Kind von einem Drachen gerettet worden, und bedeutete das nicht, dass sie den Drachen etwas schuldig war? Aber jetzt hat ihr neuer Drachenfreund sie in große Schwierigkeiten gebracht, und wenn sie nicht einen Weg findet, ihm zu helfen, könnte die ganze Welt untergehen. Die Magie schwindet langsam aus ihrem Land, und mit ihrem Verlust tauchen Feinde auf, die jeden Rest der Magie an sich reißen wollen, auch die Drachen. Könnten Seleska und ihr Babydrache der Schlüssel sein, um die Drachen zu retten?

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MUTTER DER DRACHEN

DIE DRACHENSCHULE

BUCH 9

SARAH K. L. WILSON

INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Ohne Titel

1

Ich stand an der zerklüfteten Küste unserer Insel, blickte auf das türkisfarbene Meer und träumte von den Drachen, die direkt unter der Wasseroberfläche schwammen und deren blaue Schuppen das Sonnenlicht reflektierten. Ich hatte sie dort schon einmal in Wirklichkeit gesehen, als sie mich und meinen Beschützer - Ramariri – vor dem Ertrinken gerettet hatten. Er war an diesem Tag so mutig und stark gewesen. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass der goldene Drache, der darum rang, mich in Sicherheit zu bringen, im Sterben gelegen hatte.

Und jedes Jahr an meinem Geburtstag spazierte ich zur Küste, so wie heute, blickte auf das weite Meer hinaus und dachte an Ramariri und daran, was er für mich getan hatte - wie er sein Leben gegeben hatte, um ein sechsjähriges Waisenkind in Sicherheit zu bringen.

Irgendwie würde ich sicherstellen, dass sich sein Opfer gelohnt hatte.

Ich trug meine Lieblingsstiefel mit Absatz - völlig untauglich für den Strand. Was Ramariri wohl von denen gehalten hätte? Manchmal glaubte ich immer noch, den Widerhall seiner Stimme in meinem Kopf zu hören.

Möwen schrien über mir, unterbrachen meine Träumerei und ich seufzte. Ich sollte noch vor dem Abendessen in mein Dorf zurückkehren. Meine Adoptiveltern hatten eine Überraschungsfeier für mich geplant.

Ich hatte schon lange geahnt, dass sie eine planten. Ich hatte sogar mein überraschtes Gesicht geübt, um ihnen eine Freude zu machen. Ich versuchte es noch einmal. Konnte ich sie täuschen? Ich versuchte es noch einmal, diesmal etwas zurückhaltender.

Ich hörte ein Geräusch, das fast wie ein Lied klang, fast, als rief es nach mir, und ich sah wehmütig aufs Meer hinaus. Manchmal, wenn ich alleine war, glaubte ich zu hören, wie das Meer mich rief, mit einem Sirenenklang, der so schön war, dass ich ihn kaum ignorieren konnte.

Und ich hörte noch ein anderes Geräusch.

Ich neigte meinen Kopf zur Seite und lauschte. Was war das?

Stirnrunzelnd näherte ich mich dem Felsen vor mir.

Ich sollte wirklich nach Hause. Aber dann würde ich mich den ganzen Abend fragen, was ich hier am Strand verpasst hatte.

Die Felsen hier waren zerklüftet, und ich schlängelte mich vorsichtig zwischen ihnen hindurch. Die Absätze meiner Stiefel machten die Sache nicht gerade leichter.

Da war es wieder - das gleiche Geräusch!

Ich folgte ihm, aber sah nichts außer Felsen. Vielleicht lag irgendwo eine verletzte Möwe, die dieses seltsame Geräusch machte. Ich sah hinter dem nächstgelegenen großen Felsen nach, aber auch dort war nichts. Das Geräusch ertönte wieder.

Und jetzt klang es fast so, als würde es sich mit dem leisen Gesang vermischen, den ich immer hörte, wenn ich in der Nähe des Meeres war.

Wie seltsam.

Ich sah hinter den nächsten großen Felsen. Auch dort war nichts zu sehen. Ich sollte zurückgehen. Aber ein wenig wollte ich mich noch umsehen.

Ich bahnte mir einen Weg zum nächsten mannshohen Felsen und blickte dahinter.

Ich trat auf Glasscherben, die am Boden umherlagen. Aber es waren nicht die flaschengrünen, die ich gewohnt war. Es waren große, gebogene Scherben aus rauchblauem Glas.

Was das wohl einmal gewesen war? Glas war auf den Havenwind-Inseln so selten, dass niemand es zerbrechen und dann einfach im Sand liegen lassen würde. Ich beugte mich hinunter, hob eine Scherbe auf und hielt sie gegen das Licht.

Transparente Regenbögen liefen geschwungen an den Kurven des Glases entlang. Das zartblaue Glas ließ alles, was ich durch es hindurch sah, friedlich aussehen, wie unter Wasser.

Da war wieder dieses Geräusch zu hören.

Und zwar ganz nahe! War es jetzt auf der anderen Seite des Felsens? Auf der Seite, auf der ich eben noch gestanden hatte?

Schnell eilte ich um den Felsen herum, aber jetzt kam das Geräusch wieder von der Seite mit den Glasscherben. Ich runzelte die Stirn, deutete die eine Richtung an, rannte dann aber in die andere um den Felsen herum.

So!

Ein winziges Wesen, nicht größer als ein Kätzchen, saß zwischen den Glasscherben und blickte mich mit großen, perlweißen Augen an. Seine winzigen Flügel waren eng aneinandergeschmiegt und mit den kleinen, roten Pausbacken sah es überrascht aus. Es war blau wie das Meer und hatte seinen Schwanz schützend um seine Füße geschlungen.

Ein Drache.

Ein winziges Drachenjunges.

Ich keuchte vor Freude und ließ mich in die Hocke fallen.

"Hallo, kleiner Mann!" sagte ich und griff langsam nach ihm, um ihn zu streicheln.

Er stürzte sich auf meine Finger und ich zuckte zurück, aber die Flamme war nicht heiß genug, um mich zu verbrennen. Kichernd griff ich wieder nach vorne und wollte seinen Kopf streicheln, aber er sprang nach vorne, landete auf meinem Arm und krabbelte zu meiner Schulter hoch.

Ich lachte, und Freude und Überraschung machten sich in mir breit.

"Da habe ich also meine Überraschung!" sagte ich und fuhr mit dem Finger über seinen kleinen Kopf. "Wo sind deine Eltern? Gibt es hier noch mehr blaue Drachen?"

Aber ein ausgewachsener Drache versteckte sich wohl kaum zwischen diesen Felsen.

Ich stand auf Zehenspitzen und blickte auf den Ozean, die felsige Küste und die Baumgrenze, aber da waren keine dampfenden Schnauzen oder geplusterten Flügel. Keine Flammen und kein Schwefelgeruch. Keine Stimmen, die in Gedanken zu mir sprachen.

"Drachen?" rief ich. "Sind hier irgendwelche Drachen?"

Stille. Hier gab es nur mich und einen hilflosen kleinen Drachen, der an meinem Ohr kaute.

In der Ferne sah ich, wie die große Flagge am hohen Fahnenmast in der Mitte des Dorfes entrollt wurde.

Meine Feier. Wenn ich nicht bald auftauchte, machten sich alle Sorgen um mich. Ich musste mich beeilen. Und ich musste mir etwas für das Drachenjunge einfallen lassen.

"Dann geh schon", drängte ich. "Zurück zu deiner Mama."

Ich setzte ihn am Sand ab, aber er flitzte sofort wieder zu meiner Schulter und versteckte sich unter meinem Haar.

"Es ist besser, wenn du mit deiner eigenen Art zusammen bist", sagte ich. "Da bist du sicherer."

Ich versuchte erneut, ihn von meiner Schulter zu befreien, aber er hielt sich fest, seine winzigen Krallen bohrten sich in meine Schulter und sein Schwanz kringelte sich um meinen Hals.

Es waren keine Drachen, die seine Eltern hätten sein können, in der Nähe. Es gab niemanden, der sich um ihn kümmerte, außer mir, und er schien fest entschlossen, bei mir zu bleiben. Seufzend traf ich eine Entscheidung. Unter meiner Aufsicht wurde kein Drachenjunges ausgesetzt!

"Wie soll ich dich nennen?" fragte ich und warf mein langes blondes Haar über meine Schulter, um es vor seinen kauenden kleinen Zähnen zu schützen. Sein Schwanz schlang sich um meinen Hals und er kauerte sich winselnd auf meine Schulter. "Und wo in aller Welt soll ich dich verstecken?"

Denn ich konnte ihn definitiv nicht ins Dorf bringen.

Keinen blauen Drachen.

Nicht, wenn ich wollte, dass er lebte.

2

Ich erreichte den Rand meines Dorfes und hörte bereits Gesang und Gelächter. Die Fischerbojen meines Vaters hingen an einer Leine, wo er sie heute repariert hatte, und ihre Glaskugeln blitzten im Nachmittagslicht. Er verlor wohl nicht so viele Angeltage, wie er befürchtet hatte.

Die Netze waren zwischen den Bäumen aufgespannt, wo ich den Morgen damit verbracht hatte, Löcher zu flicken und Verhedderungen aufzulösen. Der Geruch von gebackenem Fisch und Gemüse erfüllte die Luft, ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen und den Bauch des Drachenjungens an meiner Schulter knurren. Für das Fest waren Laternen aufgehängt und ein Feuer entzündet worden, und als ich um die Ecke unserer Hütte sah, konnte ich sehen, dass der Großteil des Dorfes bereits versammelt war, obwohl es noch nicht dunkel war.

Doch wo sollte ich den kleinen Drachen verstecken?

"Seleska!"

Ein Flüstern ließ mich aufschrecken.

Wer…?

Ich wirbelte herum, aber es war nur Heron, der Schmiedelehrling. Er grinste, seine weißen Zähne schimmerten im Nachmittagslicht unter seiner dunklen Haut und seinen warmen braunen Augen.

"Stellst du dich für dein eigenes Fest an?", fragte er neckisch. Er trat einen Schritt vor, wie immer bewegte er sich vorsichtig. Seine Arme und sein Rücken waren in den letzten Jahren seiner Ausbildung kräftiger geworden und ich hatte gesehen, wie er mit bloßen Händen Stahlstangen verbogen hatte. Aber er war immer sanft zu mir, als befürchtete er, mich zu verletzen.

"Vielleicht", sagte ich und zog mein Haar weiter nach vorne, um den Drachen zu verstecken. Er brauchte einen Namen. Ich konnte ihn nicht einfach nur "Drache" nennen.

"Du weißt, dass es eine Überraschung sein soll", stichelte er. "Aber niemand kann Seleska überraschen, weil sie immer alle Geheimnisse erfährt."

"Die Stiefel waren eine Überraschung", sagte ich. Ich hatte wahrscheinlich schon tausendmal erwähnt, dass ich gerne Stiefel mit hohem Absatz hätte, so wie die, die ich bei einer Dame in Abergande gesehen hatte, aber niemand hatte mir je zugehört - bis ich heute Morgen ein Paar Stiefel mit eisenbespickten Absätzen vor meiner Haustür gefunden hatte. Ich wusste genau, wer sie mir geschenkt hatte. Es gab nur eine Person im Dorf, die mir so viel Nachsicht entgegenbrachte. Ich warf ihm meinen unschuldigsten Blick zu. "Glaubst du, die hat mir ein Drache gebracht?"

"Ich glaube, du hast Freunde, von denen du gar nicht weißt, dass du sie hast", neckte er mich, aber dann verzog sich sein Gesicht ein wenig.

"Geht es dir gut?" fragte ich, trat vor und berührte tröstend seinen Arm. "Heron?"

Er erstarrte und seine Augen waren plötzlich vor Schreck weit aufgerissen. "Seleska!"

"Was? Geht es dir gut?"

"Seleska", wiederholte er, seine Stimme war heiser. "Was ist das auf deiner Schulter?"

Ich spürte, wie mir heiß wurde. Ich biss mir auf die Lippe, bevor ich antwortete.

"Warte! Reg dich nicht auf, Heron."

"Seleska", er sah sich um, bevor er mir so nahe kam, dass seine Stirn fast meine berührte. Schock und Sorge erfüllten seine Züge, aber seine Stimme blieb sanft: "Ist das ein Drache auf deiner Schulter?"

"Vielleicht", sagte ich und gab nichts zu, obwohl ich genau wusste, was da unter meinem dichten blonden Haar schnarchte.

"Ein Blauer Drache? Die Art, die Fischerboote unter Wasser zieht und Seeleute tötet? Der Grund, warum wir kaum Besuch aus dem Ausland empfangen? Der Grund, warum wir nicht zur See fahren? DieseArt von Drache?"

"Ein Drache hat mich gerettet", protestierte ich mit leiser Stimme.

"Ein goldener Drache, Seleska, und das ist etwas anderes! Wir haben alle die Geschichte gehört. Er war freundlich und großzügig und hat ein kleines Mädchen - dich – gerettet und sie zu Renny und Halana gebracht, die über den Verlust ihres kleinen Mädchens Adrina sehr traurig waren. Aber das war kein blauer Drache, Seleska! Blaue Drachen singen Seeleute in den Tod, denn ihr Lied ist so süß, dass die Männer sich ins Wasser stürzen, um mehr zu hören. Du weißt, dass sie hinter deiner Seele her sind, wenn du anfängst, ihr Lied zu hören. Hast du schon Drachenlieder gehört, Seleska?"

So besorgt hatte ich ihn nie zuvor gesehen. Es war beinahe entzückend zu sehen, wie sein hartes Gesicht vor Sorge weiche Züge annahm.

Aber er brauchte sich keine Sorgen zu machen. Es war nur ein Drachenjunges. Welchen Schaden konnte es anrichten? Außerdem wollte ich nicht auf die Frage antworten, ob Drachen für mich sangen. Ich wollte nicht zugeben, dass sie schon immerfür mich gesungen hatten.

"Die blauen Drachen haben Ramariri in der Luft gehalten, als er mich gerettet hat. Sie haben ihn gestützt, damit er nicht ertrinkt, als ihm die Kraft ausgegangen ist. Ich habe sie gesehen, Heron!"

"Ich weiß nicht, was du gesehen hast, Seleska, aber du musst diesen kleinen Drachen melden."

"Wenn ich ihn bei den Dorfältesten melde, werden sie ihn nach Abergande bringen", sagte ich. Das wollte ich nicht. Ich war diejenige, die ihn gefunden hatte. Und er mochte mich offensichtlich. Ich musste ihm helfen, so wie Ramariri mir geholfen hatte. Ich schuldete diesem kleinen blauen Drachen Hilfe. Denn als ich Hilfe gebraucht hatte, hatte Ramariri sich nicht abgewandt, obwohl er gewusst hatte, dass es sein Leben kostete. Außerdem war der kleine Kerl frisch geschlüpft und allein. Er brauchte mich.

"Und wäre das so schlimm?" fragte Heron und löste sich von mir, doch ließ den Drachen nicht aus den Augen.

"Hilf mir einfach, ihn für heute Nacht zu verstecken, Heron. Bitte!" flehte ich.

"Und was dann?", fragte er misstrauisch.

"Und dann werden wir darüber reden, was zu tun ist", versprach ich. Und ich würde einen Weg finden, ihn davon zu überzeugen, dass wir dem Drachen helfen mussten und ihm nicht wehtun durften.

Er seufzte. "Es wäre besser, wenn wir ihn einfach melden würden."

Ich setzte einen kleinen Schmollmund auf. "Es ist mein Geburtstag. Bitte?"

Er seufzte und verdrehte die Augen. "Nur für heute Abend. Komm schon."

Mein Lächeln strahlte wahrscheinlich heller als das Lagerfeuer, das auf dem Dorfplatz brannte. Ich fühlte mich so leicht, dass ich über den Ozean hätte laufen können. Bis morgen würde ich das perfekte Argument für Heron finden, damit der Drache bleiben konnte.

Und ich hatte den perfekten Namen für ihn.

Ich würde ihn Feuerball nennen.

Nasataa.

Eine kleine Stimme flüsterte in meinem Kopf. War das eine männliche Stimme? Sie hörte sich so an. Mit großen Augen erkannte ich, dass es dieser kleine schnurrende Feuerball war. Und er hatte bereits einen Namen.

Nasataa.

3

"Sechzehn! Kaum zu glauben, dass du schon zehn Jahre bei uns bist", sagte meine Adoptivmutter, küsste mich auf die Stirn und verlieh ihrem sonnengebräunten Gesicht ein Lächeln. Seit dem Tag, an dem sie mich am Strand gefunden hatte, war sie immer liebevoll und freundlich zu mir gewesen.

"Wir sind stolz auf dich", sagte mein Adoptivvater. Renny war ein Mann weniger Worte, aber die, die er sagte, bedeuteten immer etwas. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, und er strahlte eine Wärme aus, wie ein Lagerfeuer.

Die Nacht brach über unsere Feier herein und wir saßen um die Tische oder das große Lagerfeuer herum, die Bäuche voller Fisch und Obst und die Herzen voller Glück. Es war, als wäre die Welt für immer in Ordnung, als wäre das Leben für immer glücklich und zufrieden. Sogar der Wind wehte warm und lau, und die Bäume wiegten sich sanft, als tanzten sie mit uns.

"Morgen kommst du mit mir nach Abergande", sagte mein Vater.

"Abergande?" ich riss die Augen auf. Es war ein seltenes Vergnügen, zum Hafen zu reisen. Ich liebte den Trubel in der Stadt. Es gab Stände, die Schmuck, Bänder und bunte Stoffe verkauften. Es gab Musik und Tanz und Menschen aus allen Teilen der Havenwind-Inseln. Vielleicht sah ich sogar ein Schiff! Ich hatte mal eins gesehen. Und obwohl die Menschen hier sie fürchteten, sehnte ich mich immer noch nach Nachrichten von einem Zuhause weit weg an einem Ort voller Bäume und dem Geruch von Zimt - ein Ort, von dem ich immer noch die meisten Nächte träumte. Dies hier war mein neues Zuhause, aber dieser Ort bedeutete mir immer noch etwas.

"Du musst die Muschelketten verkaufen, die du den ganzen Sommer über gemacht hast, und neues Material kaufen", sagte meine Mutter. "Und dein Vater hat zugestimmt, Heron dorthin zu bringen, damit er seine Ausbildung fortsetzen kann."

"Er geht?" Mein Blick schoss zu Heron, der mit zwei anderen Jungen aus dem Dorf scherzte. Seine Augen funkelten im Feuerschein, als er zu mir herüberblickte. Ich spürte, wie ich errötete und drehte mich wieder zu meiner Mutter um.

Meine Mutter lächelte freundlich und antwortete schulterzuckend. "Der alte Dapnee hat keine Arbeit für einen weiteren Schmied und Herons Lehrzeit ist fast vorbei. Er wird bald gehen müssen."

Warum fühlte sich der Wind plötzlich kalt an? Ich fröstelte, schlang meine Arme um mich und warf noch einmal einen Blick auf Heron, der die anderen Jungen überragte und dessen dicke Muskeln im Feuerschein glänzten. Er ging nach Abergande und ich blieb hier. Mit wem würde ich jetzt scherzen? Wer würde mit mir am Strand Muscheln sammeln? Wer würde mir helfen, Drachenjungen zu verstecken?

Ich kaute auf der Innenseite meiner Wange.

Meine Mutter nahm mich am Arm.

"Mach dir keine Sorgen, Seleska. Genieße den Rest des Festes. Du kannst deinem Freund nachtrauern, wenn er weg ist."

Ich lächelte, aber glücklich war ich nicht. Ohne Heron wäre das Dorf öde und leer.

"Ich glaube, ich gehe ein bisschen spazieren", sagte ich und rutschte von der Bank.

"Sieh nur zu, dass du innerhalb einer Stunde im Bett bist", erinnerte mich meine Mutter. "Morgen wird ein langer Reisetag!"

Ich nickte und lächelte sie immer noch beruhigend an, aber meine Augen waren glasig. Wollte Heron wirklich gehen?

Ich schlich mich durch die Nacht und meine Füße trugen mich fast ohne nachzudenken zur Schmiede. Wir hatten Nasataa dort versteckt, und eigentlich sollte jemand nach ihm sehen. Ich nahm ein großes Stück Obst in die Hand und schnappte mir einen Holzbecher mit Wasser und ein Stück Fisch und flehte innerlich, dass mich niemand bemerkte.

Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und schlich mich in das kleine Gebäude. Was hatte Heron sich nur dabei gedacht? Mich zu verlassen, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren!

Die Glut im Hochofen war immer noch heiß. Ich schlich mich zu Nasataas Versteck dahinter. Seine kleine Brust hob und senkte sich, während er an das heiße Metall gekuschelt schlief.

Es ging ihm gut. Und er war immer noch hier. Ich griff in meine Gürteltasche und holte die Fisch- und Obstreste heraus, die ich mitgebracht hatte, und legte sie vor seine schnarchende Schnauze. Ich stellte den Becher mit Wasser daneben. Wenn er aufwachte, würde er hungrig sein. Und einsam. Ich musste dafür sorgen, dass ich morgen früh als Erste hier war, um ihn zu holen. Ich musste einen Weg finden, ihn irgendwie bei mir zu verstecken.

"Seleska?" Herons kehliges Flüstern durchbrach den ruhigen Moment und ich wischte mir hastig die letzte Träne weg.

"Ja?" Ich antwortete und versuchte, nicht verletzt zu klingen. Er hätte es mir sagen sollen.

"Ich wollte dir sagen, dass ich gehe."

"Und was? Ist dir die Zunge herausgefallen?"

Ich konnte ihn kaum sehen, weil nur die Glut der Schmiede den Raum erhellte. Er war kaum mehr als ein Schatten, aber seine Stimme war heiser und gefühlvoll.

"Es ist mir so schwergefallen, es zu sagen."

"Wie lange weißt du es schon?"

"Monate, denke ich."

Seit Monaten! Er wusste es seit Monaten!

Das Schweigen zwischen uns zog sich in die Länge, bis er es schließlich wieder brach, diesmal mit einem sanfteren Ton in der Stimme.

"Vielleicht solltest du den kleinen Kerl freilassen. Du kannst ihn morgen nicht mitnehmen."

Er hatte wahrscheinlich recht. Aber was, wenn er nicht auf sich selbst aufpassen konnte? Was, wenn er einfach am Strand herumirrte und sich verirrte oder verhungerte? Was, wenn er dachte, dass ihn niemand liebte? Was, wenn er sich verlassen fühlte? Als wäre er von seinem einzigen Freund einfach abserviert worden, um Abenteuer zu erleben? Mein Herz sank mir in der Brust und mein Atem ging schwer.

"Er ist frei. Er hat sich entschieden, bei mir zu bleiben."

Ich würde morgen mit ihm zum Strand gehen und sehen, ob er gehen wollte, aber wenn nicht, würde ich ihn nicht im Stich lassen. Ich fand schon einen Weg, ihn bei mir zu verstecken. Und so schwer war er auch nicht. Ich würde ihn einfach mit mir nach Abergande tragen müssen. Ichwar nicht diejenige, die ihre Freunde ohne Vorwarnung im Stich ließ.

"Es tut mir leid, dass ich es dir nicht gesagt habe", sagte Heron niedergeschlagen.

"Mir tut es auch leid, dass du es nicht gesagt hast", sagte ich und streichelte Nasataa sanft über seinen schlafenden Kopf, bevor ich aufstand und an Heron vorbei zur Tür ging. Ich öffnete sie und versuchte zu überlegen, wie ich den Schmerz in meinem Herzen am besten ausdrücken konnte. "Ich wünschte, du hättest mir genug vertraut, um es mir zu sagen."

Ich hörte, wie Heron der Atem in der Kehle stockte, aber ich wollte nicht auf seine Antwort warten. Es war alles einfach zu schmerzhaft und emotional. Ich brauchte etwas Schlaf und Zeit, um meine Gefühle zu verarbeiten. Ich schlüpfte in die samtene Nacht und folgte dem Kerzenschein in den Fenstern der Hütte meiner Familie.

4

"Halt still!" zischte ich Nasataa an.

Der kleine Drache bewegte sich viel zu viel. Und er wurde von Kilometer zu Kilometer schwerer. Die einzige Möglichkeit, von unserem kleinen Dorf in die Stadt Abergande zu gelangen, war zu Fuß. Alle Pferde des Dorfes – also die beiden Pferde von Jamrie und Esconse - waren damit beschäftigt, Zuckerrohr zu transportieren, und der Esel war mit der Ernte der Zuckeräpfel beschäftigt. Also liefen wir.

Der Weg verlief knapp innerhalb der Baumgrenze entlang des Strandes und bot den Reisenden Schatten und Schutz, und doch konnten wir ihm leicht folgen, da wir uns am Meer orientieren konnten. An jedem anderen Tag wäre ich in die Schönheit des Weges vertieft gewesen – wie die bunten Blumen von den Ranken hingen und die Luft mit Düften erfüllten, wie die Wellen des Ozeans an die Küste schlugen, meinen Geist einlullten und mein Herz höher schlagen ließen, und wie die sanfte Brise nach Salz roch.

Heute war ich zu abgelenkt.

Ich hatte Nasataa in meine Tasche mit Muschelketten und Armbändern gesteckt, nachdem er sich geweigert hatte, ins Meer.

"Bitte", hatte ich gefleht. "Bei anderen Drachen ist es sicherer für dich!"

Aber er war meinen Arm hochgeklettert, hatte seine Krallen in meine Schulter gegraben und sich geweigert, sich zu rühren. Und seine riesigen Augen waren so süß, dass sie mein Herz zum Schmelzen brachten. Wie hätte ich zu diesen Augen nein sagen können?

Die Muschelketten die ich dabeihatte, wollte ich in Abergande verkaufen. Niemand würde meine Tasche weiter beachten und bemerken, dass sie schwerer war, als sie sein sollte, also war es ein narrensicherer Plan. Zumindest hatte es so ausgesehen, als ich das Drachenjunge am Morgen in die Tasche gesteckt hatte. Jetzt, Stunden später, wurde die Tasche von Stunde zu Stunde schwerer und Nasataa wollte einfach nicht stillhalten!

Ich schnaufte, rückte die Tasche zurecht und knickte fast am Absatz meiner Stiefel um. Hübsch waren sie. Aber praktisch waren sie nicht.

"Wenn wir in Abergande ankommen, habe ich im Tanzenden Delfin etwas zu erledigen", sagte mein Vater. Er hatte den ganzen Morgen geschwiegen und schien die Spannungen zwischen mir und Heron nicht zu bemerken. "Ich gehe davon aus, dass du den Markt finden und den Verkauf deiner Muscheln abwickeln kannst?"

"Natürlich", sagte ich mit einem Lächeln.

Ausgezeichnet! Ich konnte frei durch die Stadt streifen, ohne beaufsichtigt zu werden. Ich konnte meine Muschelketten verkaufen und mir alles kaufen, was ich brauchte. Ich konnte es kaum erwarten! Ich hatte noch nie die Gelegenheit gehabt, Abergande auf eigene Faust zu durchstreifen! Außerdem konnte ich Nasataa füttern und ihn rauslassen, damit er tun konnte, was kleine Drachen eben so taten, ohne dass neugierige Augen ihn beobachten.

"Wir nehmen uns dort ein Zimmer, also komm zu mir, wenn du fertig bist", sagte mein Vater. Er zog einen Handkarren, mit dem er seine Waren zum Markt transportierte. Meistens verkaufte er Fische, aber er stellte auch Musikinstrumente aus Schilfrohr her, und diese Instrumente hatte er heute dabei. Wenn wir Glück hatten, erzielten wir beide gute Preise und hatten genug, um uns mit dem Nötigsten einzudecken, das unser Dorf nicht herstellen konnte.

"Ich kann mit dir zum Markt gehen", schlug Heron vor und versuchte zu ignorieren, wie wütend ich auf ihn war. "Er liegt auf dem Weg zur Weißkopf-Schmiede, wo ich meine Lehre fortsetzen werde."

Diese Worte fühlten sich wie ein Brandzeichen auf meiner Haut an. Weißglühend und schmerzhaft. Ich blinzelte die Tränen weg und weigerte mich, ihn anzusehen. Er hatte es mir nicht gesagt. Alle anderen hatten es gewusst, aber mir hatte er nichts gesagt.

Herons Familie und Freunde verabschiedeten ihn mit Geschenken und Umarmungen. Seine Abreise war für keinen von ihnen eine Überraschung.

Ich zog mich hinter dem Wagen meines Vaters zurück und ignorierte ihn. Es tat zu sehr weh, mit ihm zu reden. Es tat weh, weil ich wusste, dass dies meine letzte Chance war und es so viel zu sagen gab, aber meine Zunge wollte die Worte einfach nicht formen. Stattdessen griff ich in meine Tasche und streichelte Nasataas Kopf mit einem Finger. Er biss zu, ich zuckte zusammen und sah mich schnell um, um sicherzugehen, dass es niemand gesehen hatte.

"Seleska", flüsterte Heron und fiel zu mir zurück. "Bitte sei nicht sauer."

"Ich bin nicht sauer", murmelte ich. Ich rückte meine Tasche zurecht und schob Nasataas Schnauze heimlich zurück.

"Ich werde alle paar Monate nach Hause kommen und euch alle besuchen."

Monate!

Er seufzte. "Was sollte ich denn tun? Aufhören, als Schmied zu arbeiten? Ich habe dieses Handwerk jahrelang gelernt, ich kann gar nichts anderes!"

"Natürlich nicht."

"Was hast du denn gedacht? Dachtest du, ich würde immer in unserem Dorf bleiben?"

"Nein."

"Was dann?"

Ich stolperte über eine Wurzel und er fing meinen Arm auf und stabilisierte mich. Meine Augen waren zu verheult, um den Weg richtig erkennen zu können.

"Ich denke", sagte ich und versuchte mein Gleichgewicht wiederzufinden. "Ich denke, ich habe einfach gehofft, dass du mich mitnimmst, wenn du auf ein Abenteuer gehst. Ich schniefte und wischte mir über die Augen. "Aber ich denke, ich muss mir meine eigenen Abenteuer suchen. Und ich werde sie selbst erleben müssen."

Ich tätschelte meine Tasche, wo Nasataa an meiner Hüfte schnüffelte. Vielleicht hatte ich einen neuen Freund, mit dem ich auf Abenteuer gehen konnte. Vielleicht blieb er bei mir.

"Hab dich nicht so, Seleska", sagte Heron und hob mein Kinn mit einem Finger an, damit ich ihn ansah. "Ich werde zurückkommen. Eines Tages werden wir Abenteuer erleben."

"Sicher", sagte ich. Aber ich wusste, dass es ein dummes Versprechen war. Er würde in Abergande andere Freunde finden. Er würde seine ganz eigenen Abenteuer erleben. Und ich würde in unserem kleinen Dorf leben, Muschelketten herstellen und mich den Rest meines Lebens nach mehr sehnen.

Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht würden Nasataa und ich ins Wasser tauchen und herausfinden, wer oder was genau dort für mich sang.

Und mit diesem Gedanken begann das Lied wieder, lauter als je zuvor, und zog mich zum Wasser.

5

Abergande raubte mir wie bei jedem Besuch den Atem.

Wir bogen von unserem Pfad in die kleine Bucht am Meer und ich konnte mich kaum sattsehen. Wohnhäuser, Gaststätten, Tavernen und Läden standen dicht beieinander. Sie standen auf hohen Holzpfählen, um sie vor Stürmen und Überschwemmungen zu schützen und um die kriechenden und wuselnden Kreaturen in diesem Teil der Insel fernzuhalten. Holzstege schlängelten sich von einem Gebäude zum nächsten und dienten als Straßen für die Händler und Bürger der Stadt. Ein Schrei meines Vaters riss mich aus meinen Gedanken.

Es gab nur wenig, das Renny aufregen konnte. Ich folgte seinem Blick zu einem Schiff mit weißen Segeln, das im tieferen Wasser der Bucht lag, und auch mir stockte der Atem. Ein Schiff? Hier?

Jeder wusste, dass die Havenwind-Inseln keine Schiffe aufnahmen. Jeder wusste, dass wir keine Fremden aufnahmen - obwohl ich vor zehn Jahren aufgenommen worden war, das Waisenkind, das von Feinden, die es nicht kannte, bis an die Küsten dieser Inseln gejagt worden war.

Aber das hier war anders. Das war ein richtiges, großes Schiff. Das war höchst ungewöhnlich.

Ich hatte kein Schiff mehr gesehen, seit ich ein kleines Kind war, und die schiere Größe des Schiffes - selbst aus der Distanz - raubte mir den Atem. Unser ganzes Dorf könnte auf diesem Schiff leben.

Mein Vater und Heron erstarrten beide und tauschten verwirrte Blicke aus.

"Es ist nur ein Schiff", sagte Heron.

Mein Vater schüttelte den Kopf und schürzte besorgt die Lippen, aber er sagte nichts weiter, und so folgten wir weiter dem Weg in die Stadt.

"Sei vorsichtig auf dem Markt", sagte er leise zu mir, als wir das Gasthaus erreichten. "Lass dir nicht zu viel Zeit, ich will mir keine Sorgen machen."

"Ich werde vorsichtig sein", versicherte ich ihm.

Ich folgte Heron vorsichtig über die Promenade zum Markt. Abergande war ein aufregender Ort. An einer Ecke führte ein Feuerwerfer seine Tricks vor und spuckte für ein paar Münzen Feuer in die Menge. Ich konnte mir im Vorbeigehen ein Lachen nicht verkneifen.

"Ich wette, du kannst ihn in der Schmiede gebrauchen!" scherzte ich zu Heron.

"Das Feuer ist nicht heiß genug", sagte Heron mit unruhiger Stimme.

"Geht es dir gut?"

"Ich bin nur nervös." Er lächelte mich verschmitzt an. "Ich habe noch nie außerhalb unseres Dorfes gelebt. Ich kenne hier niemanden. Ich werde meine Familie und meine Freunde vermissen."

"Du kannst ruhig bleiben", sagte ich, warf einer lächelnden Frau am Obststand eine Münze zu und schnappte mir zwei Mangos. Ich steckte eine in meine Tasche, in der Hoffnung, dass sie Nasataa ruhigstellte, und biss in die andere. Wie würde es wohl sein, auf einer Insel ohne Mangos zu leben? Angeblich gab es auf einigen Inseln keine Mangos. Das Essen dort musste sehr fade sein.

"Ich kann nicht, Seleska", sagte er, blieb stehen und nahm meine beiden Hände so plötzlich in seine, dass ich dachte, er sagte gleich etwas Wichtiges. Er biss sich auf die Lippe, sein Blick war plötzlich nervös. Er brachte kein Wort heraus.

Ein großer, stämmiger Mann trat aus der Menge hervor und grinste. Er war einen Kopf größer als alle anderen Umstehenden außer Heron und seine Schultern waren noch breiter. Sein ungepflegtes Gesicht glänzte vor Schweiß und er klopfte Heron auf die Schulter, dass es ihn beinahe umwarf.

"Da bist du ja, Lehrling! Ausgezeichnet! Dann wollen wir mal sehen, wie du zurechtkommst. Ich bin sehr froh, dass ich Hilfe bekomme. Das Schiff ist heute Morgen angekommen und mit ihm Aufträge für alle möglichen Reparaturen, die sie an Bord nicht erledigen können."

"Ist das erlaubt?" fragte ich. "Ich dachte, Schiffe dürfen nicht an die Havenwind-Inseln anlegen."

Er schnaubte. "Erlaubt oder nicht, das kann ich nicht sagen, aber ich weise keine Geschäfte ab. Verabschiede dich von deiner Freundin, Heron, und lass uns an die Arbeit gehen!"

Heron beugte sich zu mir, küsste mich so schnell auf die Wange, dass es mir den Atem raubte, und dann verschwand er mit einem letzten Lächeln hinter dem Schmiedemeister durch die Menschenmenge.

Ich weinte nicht. Wirklich nicht. Ich hatte nur Staub in meinen Augen. Das passierte eben, wenn man auf der Straße unterwegs war.

Ich brauchte einen Moment, um mich zu sammeln. Heron hatte seine Entscheidung getroffen. Das war sein gutes Recht. Ich hatte nicht vor, an ihm zu hängen wie eine Klette. Außerdem warteten meine eigenen Abenteuer auf mich. Ich musste nur noch herausfinden, welche.

In meinem Kopf entstand ein Bild von Nasataa und mir, wie wir unter den Wellen zu einer Schatztruhe schwammen. Woher stammte das? Ich hatte das seltsame Gefühl, dass der Gedanke gar nicht von mir kam.

Ich keuchte und ein erfreutes Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Das war Nasataa! Hatte er mir dieses Bild in den Kopf gesetzt?

War das normal für Drachen?

Mit einem Lächeln schritt ich die Uferpromenade entlang zu dem kleinen Schmuckstand, der immer meine Waren kaufte - Lady Zadar.

"Noch mehr Halsketten für mich, Seleska?", fragte sie lächelnd, und richtete das bunte Kleid zurecht, das sie immer trug.

"Natürlich, Lady Zadar!" sagte ich, griff nach den Muschelketten in meiner Tasche und ließ dabei höchste Vorsicht walten, um Nasataa nicht zu verärgern. Ein winziger Kniff in meine Hand ließ mich zusammenzucken, aber ich versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen, und ehe ich mich versah, waren alle Arbeiten der letzten zwei Monate auf dem Tisch verteilt und Lady Zadar zählte und bewertete und rechnete aus, was sie zu zahlen bereit war.

Von etwas weiter oben auf der Promenade, wo drei Straßen zu einem Platz zusammenliefen, tönte Jubel. Mein Blick schweifte zu einer Menschenmenge, die sich dort versammelt hatte. Ich konnte grob verstehen, was sie sagten. Jemand in einem weißen, wogenden Hemd und engen Hosen stand auf der Bank in der Mitte des Platzes und gestikulierte wild beim Sprechen.

"Wer ist das?" fragte ich Lady Zadar.

Mit blassem Gesicht antwortete sie. "Heute Morgen hat ein Schiff angelegt. Das ist der Anführer der Leute, die an Land gekommen sind."

Ich spürte, wie sich etwas an meiner Seite bewegte.

"Warum macht er so einen Aufstand auf dem Platz? Wissen die Ältesten, dass er das tut?" fragte ich, aber bevor sie antworten konnte, hörte ich meinen Namen von der Promenade her.

"Seleska!" Mein Vater rannte auf mich zu, die Augen vor Schreck weit aufgerissen. Ich sah mich um. Was war los? Niemand war hinter ihm her.

Oh nein! Nasataa lief die Uferpromenade entlang.

Ich ließ meine Waren zurück und rannte ihm hinterher. Er befand sich am Rande der Menge und ich musste mich zwischen den Leuten hindurchquetschen, um ihn durch ihre Reihen zu verfolgen.

"Nasataa!" rief ich leise und versuchte, keine Aufmerksamkeit zu erregen, während ich mich zwischen die Leute in der Menge zwängte. Niemand hatte ihn bisher bemerkt - was für eine Erleichterung! Aber ich fühlte mich schlecht, weil ich den Ruf meines Vaters ignoriert hatte.

"Seleska!" Er klang besorgt.

Da war er! Der kleine Schlingel war auf ein Fass geklettert und hatte sich auf die Hinterbeine gestellt. Wieso hatte ihn noch niemand bemerkt? Ich packte ihn schnell, kämpfte gegen seine bockenden Tritte an und stopfte ihn zurück in die Tasche und zurrte die Lederriemen fest. Wenn er herumlaufen wollte, konnte er das gerne tun - irgendwo an einem einsamen Strand. Hier würde ihn jemand schnappen und wahrscheinlich töten.

"Bleib da drin!" zischte ich. Er brachte uns noch beide in Schwierigkeiten.

"Seleska!"

Ich drehte mich um und suchte nach meinem Vater, jetzt, da ich den Drachen wieder unter Kontrolle gebracht hatte, aber noch bevor ich etwas rufen konnte, zog mich etwas an meinen langen Haaren nach hinten.

"Aua!" rief ich und stolperte zurück. Dann packte mich jemand am Arm, wirbelte mich herum und zerrte mich in Richtung des Platzes. Ich klammerte mich an meine Tasche. War Nasataa da drin in Ordnung?

Ich sah ein Bild im Kopf, wie der kleine Drache unverletzt, aber gereizt an den Seiten meiner Ledertasche Feuer spie.

Die Hände schoben mich immer weiter nach vorne und ich konnte meinen Vater immer noch in der Ferne schreien hören.

"Das ist sie - die Fremde, die vor Jahren hierhergekommen ist!", rief jemand in der Menge.

"Wa…", begann ich, aber weitere Hände, die mich nach vorne schoben, unterbrachen mich.

"Wenn ihr ihretwegen gekommen seid, nehmt sie und verschwindet!"

"Entschuldigung", versuchte ich es erneut. "Ich gehe nirgendwo hin!"

Ich erkannte die Gesichter nicht. Es waren keine Leute aus meinem Dorf. Woher kannten sie mich? Warum drängten sie mich zu den grimmig dreinblickenden Fremden?

Einer der Fremden packte mich am Arm. Ich wehrte mich gegen seinen Griff, aber er schien es nicht einmal zu bemerken.

Der Anführer der Gruppe sprang von seiner Bank herunter. Sein Gesicht war von der Sonne gebräunt, aber er hatte eine helle Hautfarbe als die Inselbewohner - genau wie ich. Und unter der Narbe, die von der Augenbraue bis zum Kinn verlief, sah er mich triumphierend an.

"Perfekt. Wir werden sie mitnehmen."

6

"Ihr könnt sie nicht mitnehmen!", brüllte mein Vater und stürmte durch die Menge.

Mir wurde schlecht. Diese Typen wollten mich entführen, mein Vater brachte sich für mich in Gefahr und wenn nun auch noch jemand den Drachen fand, wäre die Katastrophe perfekt!

"Ich fürchte, da liegst du falsch", sagte der Anführer. "Das ist Prinzessin Seleska von Tambrel und sie kommt mit uns."

"Ich fürchte, du irrst dich", sagte mein Vater. "Das ist meine Tochter. Und sie heißt Palaia. Sie wird nirgendwo hingehen."

Mit entschlossenem Blick verschränkte er die Arme vor der Brust. Er wusste ganz genau, dass ich einmal eine Prinzessin gewesen war. Aber das bedeutete nicht, dass das irgendjemand anderen etwas anging.

Ich biss mir auf die Lippe und sah mich um. Die Menge zog sich zurück. Niemand stellte sich auf die Seite meines Vaters. Und es waren acht dieser Seemänner in weiten weißen Hemden. Sechs stämmige Männer und zwei Frauen mit tätowierten Armen und wettergegerbten Gesichtern. Sie alle machten den Eindruck, als wären sie mit allen Wassern gewaschen.

Und alle waren sie bewaffnet.

"Es ist gut, Renny", sagte ich mit leiser Stimme. Ich wollte nicht, dass er verletzt wurde. Diese Typen konnten ihn töten. Und das hätte meiner Mutter das Herz gebrochen. Sie war bereits sehr traurig über den Verlust ihrer einzigen Tochter gewesen, kurz bevor sie mich adoptiert hatten. Jetzt meinen Vater zu verlieren, wäre zu viel für sie. "Ich komme schon klar."

"Was habt ihr mit ihr vor?", fragte mein Vater mit belegter Stimme.

"Nun", sagte der hellhaarige Mann, "für den Anfang wollen wir sicherstellen, dass wir mit ihr richtig liegen. Bringt das Fass hierher!"

Zwei der Seemänner schnappten sich eine der Regentonnen von der Uferpromenade und zogen sie zu uns. Was hatten sie damit vor?

"Ihr müsst erst an mir vorbei!" schrie mein Vater und stürzte sich nach vorne. Er musste verrückt geworden sein.

Ich liebte ihn dafür, auch wenn es mir im Herzen wehtat, als einer der Seemänner ihm eine Faust in den Bauch rammte und ein anderer ihm auf den Kopf schlug.

"Papa!" Ich keuchte. Ich nannte meinen Vater fast nie so, aber mitanzusehen, wie er zusammengeschlagen wurde, ließ es mich über die Lippen bringen.

Er stolperte nach vorne und ein dritter Seemann fing ihn auf, packte seinen Arm und drehte ihn hinter seinem Rücken um.

"Warum siehst du uns nicht einfach zu, hmm? Vielleicht lernst du etwas", lachte der Seemann.

Diejenigen, die mich festhielten, schoben mich mit einem Ruck nach vorne zum Fass. Was wollten sie tun, mich baden? Die Menge um uns herum schwieg. Keiner kam hinzu, um meinem Vater zu helfen. Keiner hatte ein Wort gesagt.

Sie waren alle stille Zuschauer und warteten darauf, was passierte. Wie würden sie sich fühlen, wenn ich ihre Tochter, Schwester oder Freundin wäre? Wären sie immer noch so schweigsam?

"Lasst meinen Vater in Ruhe!" forderte ich, aber niemand würdigte mich auch nur eines Blickes.

"Gleich wissen wir es", sagte der Anführer und sie schoben mich an den Rand des Fasses und lehnten mich über das Wasser. "Hoffe, dass wir Recht haben und dass du wirklich Prinzessin Seleska bist. Sonst ersäufst du gleich."

Ich schrie, doch merkte rasch, dass ich mir den Atem wohl besser sparen sollte. Ich atmete so tief ein, wie ich konnte, bevor eine starke Hand meinen Kopf unter die Oberfläche drückte und mich dort festhielt. Wie wild schlug ich an die Wand des Fasses.

Panik verdrängte alles andere aus meinem Kopf. Was wollten sie damit beweisen? Dass sie mich vor allen Leuten ertränken konnten? Nun, das konnten sie! Schön für sie! Sie waren größer und stärker und oh - Himmel und Sterne!

Meine Lunge brannte und flehte mich an, Luft zu holen. Hinter meinen geschlossenen Augenlidern sah ich rot. Bitte, bitte lass mich raus!

Ich wehrte mich heftig, doch ich wurde immer schwächer. Ich wand mich und ruckte, aber in meinem Kopf drehte sich alles und mir wurde schwarz vor Augen.

Ich war dabei zu sterben.

Der Schmerz war zu groß. Ich konnte mich nicht mehr wehren.

Ein Bild tauchte in meinem Geist auf, ich schwamm neben Nasataa tief unter den Wellen, fast so, als flehte der kleine Drache mich an, loszulassen und einfach das Wasser zu atmen.

Wenn ich das nur tun könnte! Aber das war Wahnsinn.

Ich wurde immer panischer, denn der Schmerz war jetzt so stark und die Sehnsucht nach Sauerstoff so verzehrend, dass die Gedanken aus meinem Kopf verschwanden. Ich war dabei zu sterben.

Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten.

Ich atmete einen großen Schluck Wasser ein.

Die Schwärze wich und der Schmerz ließ nach.

Oha. Was? Atmete ich wirklich Wasser? Ich riss die Augen auf.

Nasataa hatte gewusst, dass ich das konnte. Woher?

Bevor ich weiter nachdenken konnte, zogen mich starke Hände aus dem Fass, zerrten an meinem Arm und zogen mich hoch.