Mutter Erdes Burnout - Katrin Friedrich-Batteiger - E-Book

Mutter Erdes Burnout E-Book

Katrin Friedrich-Batteiger

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Beschreibung

"Ihr seid dabei, mein Vertrauen und die von mir geschenkte Freiheit nur noch für euch alleine auszubeuten. Ich denke, du bekommst eine Ahnung davon, wie es mir dadurch geht", murmelte Mutter Erde stockend und mit trockenem Mund. Die sechzehnjährige Soe kommt auf der Suche nach Informationen für ihr Referat über ihr Handy unerwartet in Kontakt mit der außerirdischen Mey. Diese fleht sie an um Hilfe für Mutter Erde, die kurz vor dem Zusammenbruch stünde. Nach anfänglichem Zaudern gelingt es Soe unter Meys Anleitung tatsächlich mit Mutter Erde zu sprechen. Was hat es auf sich mit dem vermeintlichen Burnout unseres Planeten? Sind es wirklich nur die Umweltverschmutzung und der Klimawandel, die ihm zusetzen? Kann Soe mit Hilfe von Achtsamkeit und meditativer Annäherung ihr bisher unbekannte Seiten von Mutter Erde kennenlernen? Durch das tiefere Verständnis deren Geheimnis lüften?

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Inhaltsverzeichnis

Frau Schnippelberger-Rotschilds Erziehungsanstoß

Pandy

Mey

Zweifel

Oma Gertrud

Mehr Gefühl, junge Dame

Die Reise beginnt

SÖV

Echslein

Papa

Wasser

Gordon

Wow

Des Referates Gliederung

Baum

Entsetzen

Trost

Konfrontation

Alleingang

Alleine

Verbunden

Hunger

Mutter Erdes Wald

Dunkelheit

Schmetterling

Hoffnung

Verzweiflung

Wo bin ich?

Krankenbesuch

Kranke Oma

Pläne

Aufbruch

Kloster

Mahendra

Nacht

Bestandsaufnahme

Kleine Freunde

Klare Worte

Es muss raus

Aufbruch

Rückkehr

Nachwort

Frau Schnippelberger-Rotschilds Erziehungsanstoß

Es hätte ein ganz gewöhnlicher letzter Schultag vor den Sommerferien werden können: ein bisschen Abschluss-Bla-Bla mit unserer attraktiven, rothaarigen Klassenlehrerin Frau Schnippelberger-Rotschild, der bei den meisten Mitschülern sehr beliebten Junglehrerin. Denn sie verstand es nur zu gut, mit ihren Späßchen und witzigen Sprüchen besonders den oft langweiligen Ethikunterricht aufzulockern.

Die sportliche, meist Jeans und T-Shirt tragende Lehrkraft fand ich bisher auch immer ganz ok. Jedoch störte mich ein wenig, dass sie durch das erst kürzlich abgeschlossene Referendariat ihre Autorität gegenüber uns, nicht mal zehn Jahre Jüngeren, immer mal wieder unter Beweis zu stellen versuchte.

Meine Mutter, die meine von ihr beklagte Lustlosigkeit am letzten Elternabend vehement bestritten hatte, meinte, sie wäre ein Typ Lehrerin, der zwei Generationen früher sicher eine Latzhose getragen hätte. Den Emanzipation-demonstrierenden Doppelnamen hatte sie ja immerhin.

Ich war damals richtig stolz auf Mama, dass sie mich ihr gegenüber verteidigt hatte. Obgleich ich zu Hause immer das Gefühl hatte, meiner Mutter nichts recht machen zu können: Tisch decken, Geschirrspüler ausräumen, Staubsaugen. Ja war ich denn ihre Hausangestellte? Konnte sie doch auch selbst machen, wenn sie abends nach der Arbeit nach Hause kam. Was ging mich das eigentlich an? Wer Kinder in die Welt setzt, muss damit rechnen, dass es so läuft.

Warum musste sie auch so sehr für unser altes, kleines Häuschen mit dem Gärtchen kämpfen? Nur weil es Papas Eltern vor Jahrzehnten gebaut hatten? Nur damit Oma auf ihrer Terrasse den ganzen Tag in ihrem Meditationssessel vor sich hin sinnieren konnte? Dafür die ganze Arbeit schultern? Also mir war das alles egal, solange ich ein eigenes Zimmer hatte, wo ich meine Ruhe haben konnte.

Sicher, niemand kann die Zukunft voraussehen. Ich unbedarftes junges Menschlein schon gar nicht. Und so hatte ich noch keinen blassen Schimmer davon, welche Wende mein Leben noch an diesem Tag nehmen würde. Aber irgendein besonderes Gefühl, das ich nicht zu deuten in der Lage war, war trotzdem unterwegs in mir.

Und so kribbelte es nervös in meinem Inneren, als Oma Gertrud mich beim Frühstück auffordernd fragte: „Na, Soe, wie wirst du deine Ferien verbringen? Hast du irgendetwas geplant? - Soe?"

„Stör mich doch nicht!“ Was wollte Oma schon wieder von mir? „Nachdem wir wieder mal nicht in Urlaub fahren, was soll ich da schon machen?"

„Schätzchen“, mischte sich Mama ein, „sei nicht unfair. Ich habe von meinem Chef keinen Urlaub bekommen, das habe ich dir doch schon gesagt. Und außerdem reicht das Geld sowieso nicht, da ich das Dach vorm Winter reparieren lassen muss!"

„Na also! Und was fragt ihr mich dann, was ich vorhabe?“, entgegnete ich genervt. „Also, nichts!“

Was für eine Perspektive. Wahrscheinlich würde ich die sechs Wochen in meinem Zimmer verbringen, Mama bei der Arbeit, abends todmüde. Und mit der langweiligen Oma Gertrud war sowieso kein Apfelbaum zu pflanzen. Also was sollten diese rhetorischen Gute-Laune-Mach-Fragen am frühen Morgen? War ich froh, als ich mich endlich auf den letzten Schulweg der zehnten Klasse machen konnte!

„Adieu, have a nice day", murmelte ich den beiden noch am Frühstückstisch sitzenden Vorgenerationen zu und Schwupps war ich weg.

Juhu, sechs Wochen keine Hausaufgaben, Auswendiglernen, Referate. Und von wo ich mit den Elftklässlern, die fast alle in Urlaub fuhren, chattete, machte ja kaum einen Unterschied. Musste ihnen ja nicht sagen, dass ich in meinem Zimmer saß. Meine Phantasie würde ihnen schon was Aufregendes zu berichten wissen. In diesen Gedanken gefesselt hatte mich mein Unterbewusstsein auf den Schulparkplatz geleitet. Die letzten vier Schulstunden und die Zeugnisausgabe würden mich umgehend erwarten.

„Naja, für deine Faulheit ein ganz gutes Zeugnis, Soe", würde Frau Schnippelberger-Rotschild sich einen ironischen Unterton sicher gleich nicht verkneifen können. Ich war mit fester Entschlossenheit darauf gefasst. Würde nicht ehrfürchtig einknicken vor ihr. Diese Blöße gäbe ich mir nicht, Frau Lehrerin, tut mir leid.

Meine Füße trugen mich über den Asphalt, den Kopf gesenkt über meinem Handy chattete ich angeregt mit Andy, dem bestaussehenden Elftklässler: „Waaaas? Dachte mit Angelina hast du längst Schluss gemacht", tippte ich ein. „Was schwärmst du jetzt wieder von der?" Ein entsetztes Emoticon unterstrich meine Verärgerung.

Doch seine Antwort saß: „Püppchen, die ist viel süßer als du, hast dir wohl Hoffnung auf mich gemacht?" Lach-Smiley. „Die sitzt nicht nur langweilig zu Hause, die hat was drauf!" Mistkerl, ging es mir durch den Kopf und dachte über eine passende Retourkutsche nach. Jetzt nur keine Schwachheit zeigen.

„Soe, hallo, könntest du mir bitte mal mit meiner Tasche helfen, mit den Krücken geht das so schwer", hörte ich eine Stimme von hinten rufen. Ausgerechnet Angelina! Andys Süße, das konnte doch jetzt nicht wahr sein!

„Trag sie doch selbst, gut für deine Armmuskeln", rief ich ihr zu. Kann ja ihren Andy anrufen... lasst mich doch alle in Ruhe! Und ich klickte Andy weg. Das ging viel einfacher als die hinter mir fluchende Angelina.

Aber auch Frau Schnippelberger-Rotschild ließ sich kurze Zeit später nicht abschalten, so sehr ich mir das auch wünschte. Ihre ärgerliche, ungewohnt laute Stimme brachte mich unbarmherzig zurück in die bittere Realität.

„Soe!“ Diesen Gesichtsausdruck holte sie nur in Ausnahmefällen heraus. Ich schluckte. Das Schuljahr war ja eigentlich gelaufen, konnte sie mir jetzt noch was, blitzte es mir durch den Kopf.

Ich sah sie unschuldig an.

„Ja, Frau Schnippelberger-Rotschild, bitte?", versuchte ich die Wogen äußerlich schon mal vorsorglich zu glätten. Obwohl ich noch keine Ahnung davon hatte, woher ihre starre Miene rührte.

„Findest du es gut, der verletzten Angelina deine Hilfe zu verweigern? Du weißt genau, dass sie zurzeit mit den Gehhilfen stark gehandikapt ist!"

Ah, daher wehte der Wind! Alte Petze, froh mir eins auszuwischen... „Wo war denn dein starker Andy?", konnte ich mir gerade noch verkneifen. „Die kümmert sich doch sonst auch nicht um mich", zischte es dann aber doch aus mir heraus.

„Das ist jetzt wohl nicht dein Ernst, Soe?" Autsch! Die Doppelname-Lehrerin schien ja wirklich wütend. "Du meinst, man hilft nur denen, die einem auch schon geholfen haben? Wo kämen wir da alle hin? Nein meine Liebe, so läuft unsere Gemeinschaft nicht! Schade, wenn ich dir das in meinem Unterricht noch nicht habe nahebringen können."

„Lassen Sie mich doch in Ruhe mit dieser dummen Kuh!“ Genervt wollte ich mein Handy aus der Tasche ziehen.

„Handy aus, ich rede mit dir!", war ihre äußerst harsche Reaktion.

Oh weh, ich merkte sofort: ich hatte sie unterschätzt. So laut hatte ich sie noch nie erlebt. Konnte sie mir nun noch was am letzten Schultag oder nicht? Sie konnte wohl...

„Weißt du was, ich halte es für angebracht, dass du dich mit deinem Verhalten mal näher auseinandersetzt. In Form eines Ferien-Sonder-Referates."

Mir schwante langsam der Ernst der Situation. Mist! Was käme jetzt? Ich hatte sie eindeutig nicht ernst genug genommen, die junge Lehrkraft.

„Du verfasst bis Ferienende eine Abhandlung mit dem Thema…“ Es arbeitete sichtlich in ihren Gedanken, sie wollte augenscheinlich etwas ganz Besonderes für mich finden. „‚Verantwortung und Verbindung zu anderen Wesen am Beispiel meiner Schulfächer Ethik, Erdkunde und Biologie‘ “, sagte sie schließlich in einem Tonfall, der einem Richterspruch ähnelte. „Soe, manchmal frage ich mich, ob du wirklich so desinteressiert und cool bist, wie du es nach außen trägst. Oder ob du nur eine Schutzfassade aufbaust? Es wird dir guttun, dich mal näher mit deiner Einstellung anderen gegenüber zu befassen.“

Und zur unruhigen Klasse gewandt rief sie schmunzelnd: „Wir freuen uns auf dein diesbezügliches Referat nach den Ferien!" Jegliche weitere Diskussion darüber blockte sie ab, indem sie sich wegdrehte, sodass ich ein Gnadengesuch vergessen konnte.

Mist! Mist! Mist! Diese alte Petze und die Doppelnamige, welch ein Teamwork hatten sie da gerade abgeliefert? Was sollte denn das für ein Thema sein? Verbindung zu anderen. Phh. Wer kümmerte sich denn um mein Wohlergehen? Allerhöchstens vielleicht meine kleine Dacheidechse.

Selten hatte ich Sommerferien so wutkochend begonnen. Hatte ich es doch morgens schon geahnt: dieser Tag würde anders werden. Aber so schlimm? War das fair? Wegen einer Schultasche? Hat die mich blöd hingestellt. Als ob ich ein Monster wäre.

Die Haustür konnte ehrlicherweise nichts dazu, aber sie knallte heute ins Schloss. Musste einfach sein.

Oh weh, Oma, die im Hausflur stand und mich ungläubig ansah, hatte ich dabei übersehen.

„Aber Soe, was ist denn los?"

„Hallo." Auf Diskussionen hatte auch ich nun überhaupt keine Lust. Erbarmungslos wie meine Lehrerin. Also schnell die Treppe hoch, die zweite Tür, die knallte, war die meines Zimmers und dann flog mein Rucksack ins Eck und dadurch krachte auch das offene Dachfenster zu.

Zum Glück nicht ganz, denn meine kleine Freundin Eidechse klemmte dazwischen und sah mich mit erschrockenen Augen groß an. Entschuldige meine Kleine! Schnell befreite ich das Tierchen. In Schockstarre ließ sie sich in meiner Hand streicheln. Sie war wohl physisch heil geblieben, Gott-sei-Dank, die Arme konnte ja nun wirklich nichts für die Schultragödie. Mir kamen Tränen.

„Sorry, kleine Maus, wollte dir nicht wehtun. Ich bin doch gar nicht so, aber im Moment versteht mich einfach keiner. Alle gegen mich. Jetzt soll ich auch noch so einen Aufsatz schreiben, von dessen Thema ich keine Ahnung habe. Verbindung zu anderen Wesen. Also zu dir fühle ich schon ein bisschen Verbindung, du hörst immer so schön zu.“

Aber sonst? Was soll das? Gut in meiner Social-App habe ich ganz viele "Freunde" geaddet. Naja, verbunden übers Handy, aber im Schulhof wollen die nichts von einem wissen. Ach Eidechslein, am liebsten rede ich mit dir, du verlangst nicht so doofe Sachen von mir wie Referate, Geschirr abräumen, Zimmer aufräumen oder gutes Benehmen gegenüber Mama, was Oma immer einfordert. Das nervt einfach nur. Sie selbst kennt doch auch nur ihr Zimmer.Weiß gar nicht, wie sie das alleine ohne Internet den ganzen Tag aushält. Todlangweilig. Alleine mit ihren Büchern oder Meditation. Hihi, wenn sie meditiert, könntest du dich auf ihren Schoß trauen, da bekommt die gar nichts mit, fällt mir nur gerade so ein.

Ein einsames Tränchen kullerte mir aus dem linken Auge und tropfte auf meine Hausechse. Ferien und doch keine. Wie sollte ich dieses Thema angehen? Traurig und zugleich wütend legte ich mich auf mein kuschliges Bett und sah Echslein nach, welches nach draußen auf sein sonniges Dach huschte und sich sicher gleich gemütlich mein Tränchenwasser auf ihrer zarten braun-grünlichen Haut von der Sonne trocknen lassen würde.

In meinem Kopf begannen sich die Gedanken zu überschlagen. Ich kannte das. Denn immer, wenn die Wut in meinem Bauch dermaßen von jemandem angestachelt worden war, hatte sie wohl einen direkten Draht in das Gehirnzentrum, das mir nun helfen musste. Ich würde Frau Schnippelberger-Rotschild eine sehr gute Arbeit abliefern, die sollte staunen! Und ich würde es möglichst schnell hinter mich bringen, damit mir der Rest der Ferien noch zum Chillen bleiben würde. Keine Ahnung wie, aber ich würde ihr etwas abgeben, das sich gewaschen hätte. Und während ich meine Pläne schmiedete, sah ich plötzlich Papa vor mir.

Mein lieber Papa, der vor einem Jahr seine endlosen Depressionen nicht mehr ertragen hatte können und sein Leben tragisch selbst beendet hatte. Mein lieber, lieber Papa.

Wie sehr vermisste ich ihn gerade. Er war vor seiner Krankheit immer tatkräftig gewesen, hatte Probleme angepackt, nichts vor sich hergeschoben. Wie ich das immer bewundert hatte. So wollte ich sein, wie mein gesunder Papa von einst. Der war mein toller Held. Nicht der durch Krankheit ausgebremste, schlecht gelaunte, in sich gekehrte.

Auch für Mama musste sein verändertes Wesen schwer zu ertragen gewesen sein. Alles alleine schultern. Und sie hatte seine Persönlichkeit und Liebe sicher nicht weniger vermisst als ich. Jedoch so etwas wie Mitleid konnte ich für sie nicht empfinden. Denn als Mutter musste man sich eben auch in schwersten Zeiten für sein Kind einsetzen, fand ich. Also sie sollte sich nicht beklagen…

Je länger ich so lag und an ihn und unsere Situation dachte, umso mehr fehlte er mir. Seine Stärke und Lebensfreude von früher. Er hätte mich jetzt angelacht und bei der Hand gepackt: „mein kleines Mädchen, dieser Frau Rotberger-Schnippelschild werden wir es zeigen, die wird staunen!“

„Ja Papi“, rief ich durch die Dachluke gen Himmel, „ich zeig dir, was ich von dir gelernt habe. Du wirst stolz sein auf mich und ich werde dir mein Referat widmen. Du sollst dich nicht dafür schämen müssen.“ Am liebsten hätte ich ihm eine E-Mail in den Himmel geschickt, aber da gab es ja kein Internet. Leider. So schickte ich ihm wenigstens meine liebevollen Gedanken und döste dabei wohl unbemerkt ein.

Irgendwas in mir musste aber doch sehr aktiv gewesen sein, während sich meine sonstigen Organe gemütlich dem Mittagsschlaf hingegeben hatten. Denn als ich mit meinen Augen wieder gen Dachluke blinzelte, stand der Rettungsplan zur Kreation eines guten Referates: Eine Informations-App musste her! Gab es doch sicher als Lösungsansatz meines Referat-Problems? Vielleicht hieß sie nicht „Schnippelberger-Rotschild-App“, aber es würde bestimmt etwas existieren. „Nachschlagewerk für geographisch-biologische Ethikfragen“ oder sowas? Da ich nicht wirklich eine Idee dazu hatte, wie ich im Store danach suchen sollte, würde ich mit geschlossenen Augen darauf tippen und mein Handy oder Papa aus dem Himmel oder wer weiß wer, würde bestimmt dafür sorgen, dass etwas Passendes erscheinen würde. Soweit traute ich mir schon zu, die Zukunft voraussehen zu können. Ich grinste. Allein diese prickelnde Idee wäre schon ein erfolgreiches Referat wert.

Pandy

„Na, Pandy, nun hör mal gut zu! Lass mich jetzt nicht im Stich, es ist ernst! Ohne deine Hilfe bin ich ein hilfloses Nichts, beziehungsweise werde von meiner lieben Frau Lehrerin dazu nach den Ferien gemacht", flüsterte ich meinem orangefarbig behüllten Handy beschwörend in sein Mikrofon. „Dann würde ich nicht mehr so viel Zeit mit dir verbringen dürfen. Das wäre doch auch schlimm für dich, oder? Und bald würdest du sicher einrosten“, kicherte ich.

Entgegen meiner Hoffnung spuckte es allerdings nicht auf der Stelle eine Lösung meines Problems aus. Sondern mit einem leisen Pieps erschien lediglich auf dem Display der Hinweis, dass es Feuchtigkeit abbekommen hätte und ich es deshalb nicht an Strom anschießen solle...

„Nun sei nicht so pienzig! So nass habe ich dir gerade nicht in deine Öffnung gehaucht", verdrehte ich genervt die Augen. Nun gut, das Jüngste war es beileibe nicht mehr, alte Leute wurden ja auch empfindlicher mit den Jahren. Warum nicht auch mein Pandy, das Papa mir kurz vor seinem Tod geschenkt hatte und das ich in seinem Gedenken "Pa"ndy nannte, wie Pa.

Sicher war es nie Papas Absicht gewesen, dass ich es eigentlich ständig in Gebrauch hatte. Er hatte mich immer wieder aufgefordert, den Kopf auch ab und zu wieder aufrecht mit Blick auf meine Umwelt zu tragen. Aber ich glaubte, er hatte schon damals geahnt, wie sehr es mir wichtig war, der digitalen Welt meiner Freunde zu folgen, um von ihnen anerkannt zu werden. Dafür hatte seine Generation viel Zeit vor dem Fernseher verbracht. Das hatte er auf meinen Protest hin nie geleugnet, wenn ich mal wieder beim Abendessen über dem Ding hing. Damals war mein kranker Vater vielleicht sogar erleichtert darüber gewesen, dass er mich in seiner Depression nicht unterhalten musste und seine Ruhe hatte.

Umso mehr war Pandy, ohne welches ich mich inzwischen tatsächlich einsam und leer fühlte, ein Erinnerungsstück an meinen Vater. Ich hätte es deshalb nicht gegen eins der supermodernen Modelle tauschen wollen.

Als es vor einem halben Jahr ‚gehackt‘ worden war und erst nicht mehr anging, hatte mich fast eine Panikattacke ereilt. Zum Glück hatte Mama das nicht mitbekommen. „Kind, du bist ja total abhängig von diesem Ding, ich werde es mal eine Woche wegschließen", hätte sie mir dann sicher gedroht. Ja, abhängig war ich wohl, aber eine Handy-Entziehungskur? Das wäre wie Gefängnis, ohne Kontaktmöglichkeiten zu meinen Mitschülern, das ginge zu weit!

Ich streichelte Pandy zart über den Rücken und die Feuchtigkeitswarnung verschwand. Ich musste an ein Baby denken, das sich beruhigte, wenn seine Mutter es an sich drückte und streichelte. Irgendwas Menschliches hatte mein treues Mobilgerät ja doch. Nach dem Hackerangriff war es ja nun auch etwas langsamer, ähnlich einem Menschen, der eine schwere Krankheit überstanden hatte.

„So du metallenes intelligentes Teil, was kannst du für mich tun?“

Ich schloss geheimnisvoll meine Augen, meine Fingerspitze nahm Anlauf und tippte blindlings auf den Store. Neugierig öffneten sich meine Augen...und?

Ich stöhnte auf: Es hatte eine App für "digitales Entrümpeln" aufgerufen.

„Das ist doch jetzt nicht dein Ernst", entfuhr es mir mit entsetztem Blick. „Da hätte ich ja gleich Mama fragen können. Die hätte mir Druck gemacht mit 'physischem‘ Entrümpeln meines Zimmers.“ Mein ernster Tonfall entsprach in etwa dem Frau Schnippelberger-Rotschilds von heute Morgen. Diesem Ton nach würde ich einst sicher auch eine gute Lehrerin abgeben können. Mama würde solche Pläne sicher nur zu gerne unterstützen. Ach was, von so viel Ernsthaftigkeit wollte ich jetzt nichts hören.

„Also Pandy, ich gebe dir noch eine Chance, es besser zu machen. Nun gib dir mal Mühe, sonst musst du nachsitzen, die ganze Nacht ohne Ladekabel“, drohte ich leise meinem Verbindungsteil zur digitalen Welt. Und mit geschlossenen Augen fuhr mein Finger wieder über die Frontseite, hin und her, scrollte hoch und runter, bevor er entschlossen antippte.

Voller Erwartung hielt ich meine Augen geschlossen und harrte der Dinge, die da kommen würden. Jetzt musste es klappen und irgendeine hilfreiche App sich öffnen. Mit ethisch-biologisch-geographischen Fakten und Weisheiten, die Frau Schnippelberger-Rothschild beglücken sollten.

Zu meinem Erstaunen begann Pandy zunächst ganz sanft in meiner Hand zu vibrieren, dann immer stärker und stärker und schließlich kamen immer lauter werdende Zischlaute aus dem Lautsprecher. Hilfe, was war denn das? Erschrocken öffnete ich die Augen und zu meinem Entsetzen wirbelte ein buntes Farbspektakel über den Bildschirm.

Automatisch drückte mein Zeigefinger auf die Home Taste, um das Ungeheuerliche zu stoppen. Aber es nützte nichts. Es ließ sich nicht beruhigen, auch nicht mit Zureden oder über den Rücken streicheln. Das „Baby“ gehorchte der Mutter nicht und schrie weiter...

Auch der „Aus-Knopf" verweigerte jeglichen Dienst! Zum Teufel, was war los mit Pandy? Ich war entsetzt und bekam es mit der Angst zu tun. Noch dazu hatte ich ja keine Ahnung, worauf ich geklickt hatte, denn meine Augen hatte ich ja geschlossen gehabt. Was sollte ich denn jetzt machen?

Pandy, Kleines, beruhig dich doch bitte! Bitte, bitte. Tränen kamen mir in die Augen.

Sah ich da im Augenwinkel nicht gerade mein kleines Echslein aus Angst vor einer neuen Tränenattacke auf das Dach entschwinden? Egal, Pandy brauchte mich gerade dringender denn je! Beruhig dich bitte!

Und wirklich, allmählich wurde das Vibrieren und Zischen schwächer und das wirre Farbenspiel des Displays nahm mehr und mehr Formen an, die sich allmählich in ein unbekanntes Frauengesicht verwandelten.

Mey

Erstaunt führte ich Pandy näher an meine feuchten Augen heran. Eine blondgelockte, junge Frau, fast noch junges Mädchen, sie mochte Anfang zwanzig sein, lächelte mich gequält an.

„Soe, hallo, bitte erschrecke dich nicht, auch wenn du gerade gar nicht verstehen kannst, was hier vor sich geht. Bitte klicke mich nicht weg und lass dir meinen Auftritt erklären.“

Huch, wer war denn das? Eine App, die meinen Namen kannte? Selbst das sprechende Navi meiner Mutter redete mich nie mit Namen an, auch wenn es sonst recht viel wusste.

Ich traute dieser Situation nicht. Welche neue betrügerische Masche könnte das sein? Aber immerhin klang die Stimme der Unbekannten recht freundlich, wenn auch dringlich, sodass ich erst mal weiter lauschte und die Frau mir näher ansehen wollte. Das Display zeigte jedoch nur ihren Kopf.

„Soe, bitte, ich werde dir alles erklären, bitte hör mir zu“, beschwor mich die Fremde. Sie schien unter einem enormen Druck zu stehen. „Ich brauche so dringend deine Hilfe und bin glücklich, dass ich zu dir durchdringen konnte, endlich, es ist wirklich ernst!“

„Hä? Ich versteh nicht, was du von mir willst. Ich wollte doch Infos von meinem Handy und jetzt rutschst du mir dazwischen und störst mich bei meinen Recherchen. Oder kannst du mir etwa etwas über biologisch-geographisch-ethische Verknüpfungen erzählen?“

Jetzt schien die junge Dame überrascht.

„Soe, hör zu, ich werde dir jetzt manches versuchen zu erläutern. Klar, dass du keine Ahnung hast, um welch unglaublich ernste Lage es geht. Ich brauche deine Hilfe. Bitte, klick mich auf keinen Fall weg, denn dann müsste ich mit Gewalt alles daransetzen, diesen Zugang zu dir wieder zu aktivieren und ich weiß nicht, ob das dein Handy nicht überlasten würde. Es ist die einzige Möglichkeit für mich nicht Irdische mit dir zu reden, glaub mir!“

Ich verstand gar nichts mehr…

„Wer bist du denn überhaupt?“

„Du, nun hör mal zu! Also, ich heiße Mey und bin nicht von deiner Erde.“

Na das wurde ja immer schöner. Nahm mich da jemand gehörig auf den Arm? Vielleicht ein hinterhältiger Spaß von Andy und seiner Angelina? Doch wegklicken?

„Glaub mir das jetzt einfach mal, ich werde es versuchen, dir zu erklären: Ich bin aus dem großen Universum und von unserem obersten, nach euren Worten, CEO, geschickt, weil sich eine sehr ernste Situation für uns alle entwickelt hat. Guck nicht so ungläubig! Ich werde dir noch viel mehr für dich Unglaubliches erzählen. Kannst du mir jetzt einfach mal vertrauen?“

„Naja, mit vielen Außerirdischen hatte ich noch keine Handychats, wo soll da mein Vertrauen herkommen?“, murmelte ich ironisch und zog meine Augenbrauen fast bis hoch zu meinem Papa im Himmel. Auch wenn er so weit weg von mir war, so zählte er doch immer noch zu den Irdischen und nicht zu den Universellen, ging es mir durch den Kopf.

Meine Gefühle schwankten zwischen Unglauben, Unbehagen und Neugier. Woher wusste Mey meinen Namen?

„Dein Handy ist gehackt worden, richtig?“

„Richtig!“ Was wusste die noch alles über mich? Mir wurde noch unbehaglicher.

„Nur durch dieses ganz spezielle digitale Leck, das dein Mobilteil erwischt hat, kann ich überhaupt über dein Handy Kontakt zu dir aufnehmen. Analog ist immer eine Schranke zwischen uns Nichtirdischen und euch Menschen. Das ist ein gewisser Schutz, damit ihr euch nicht einmischen könnt in universelle Angelegenheiten. Du kennst doch euch Menschen! Da gibt es einige, die meinen, Gott oder CEO oder wer immer sein zu wollen. Ihr habt ja keine Vorstellung von dem, was sich außerhalb von euren Wahrnehmungen im Hintergrund abspielt. Aber nun ist eine Situation eingetreten, in der wir die Hilfe der Menschen brauchen. Oder besser gesagt, deine Hilfe. Weil du die einzige Person bist, mit der ich durch dieses Loch in deinem Handy in Kontakt treten kann und die außerdem das erforderliche SÖV-Merkmal in sich trägt. Auch wenn es noch in weitgehend passivem Modus liegt.“

Ich traute meinen Ohren nicht und versuchte irgendwie zu verstehen, von was sie da eigentlich sprach.

„Hä, SÖV? Ich trinke doch nicht. Klingt fast wie GESÖFF! Was willst du von mir? Kannst doch auch mit anderen über mein Handy sprechen."

"Nein das geht gerade nicht, weil dein Pandy nur auf dich fixiert ist und nur dir vertraute Nachrichten weitergeben kann. Ein anderer Mensch könnte diese besonderen Wellen nicht entschlüsseln. Das kannst nur du, weil du Pandy so gut kennst. Und kaum andere Menschen tragen SÖV in sich, welches später entscheidend werden wird. Du hast wegen dieser zwei gleichzeitig vorhandenen Faktoren fast ein Alleinstellungsmerkmal. Du kommst aus der Sache einfach nicht raus. Verantwortung nennt man das. Die wirst du übernehmen müssen."

„Sag mal, bist du irr oder was?", erwiderte ich genervt.

„Nein, ich habe keinen Körper und Gehirn wie du. Ich bin ein universelles Wesen, das habe ich dir nun schon oft genug erklärt. Das Handy transformiert meine Ausdrucksformen in eine Form, die du sehen und verstehen kannst. Genau deshalb kann ich auch nicht irr werden.“

Das wurde ja immer toller. Jetzt kam sie mir auch noch auf die altkluge Tour! Meine Augen waren bestimmt weit aufgerissen, mein Gesicht traute sich gerade keine Regung zu. Bis ich schließlich schlucken musste, um meine austrocknende Kehle zu befeuchten.

„Wofür brauchst du denn angeblich meine Hilfe?“, fragte ich dann ungläubig.

Da klopfte es plötzlich leise an der Tür und bevor ich antworten konnte, schaute Oma Gertrud ins Zimmer. Ich konnte gerade noch das Frauengesicht auf mein Bett werfen, damit Oma es nicht sehen konnte.

„Soe, geht es dir gut? Hast du dich ein bisschen beruhigt? Was war denn los vorhin? Irgendwas in der Schule schiefgelaufen? Dein Zeugnis etwa? Das wäre doch nicht schlimm!" Oma konnte einfach nur nerven, wie heute früh schon am Frühstückstisch.

„Oma, lass mich doch in Ruhe. Kannst du nicht ein einziges Mal warten, bis ich antworte? Kommst einfach in mein Zimmer", schrie ich sie an. Für Omas fürsorgliche Nachfrage hatte ich gerade gar keinen Nerv. Ich war total durcheinander.

„Entschuldigung", murmelte Oma, „wollte nur wissen..."

„Lass einfach gut sein! Ich melde mich schon, wenn ich was von dir brauchen sollte", wies ich ihr mit meinen Augen den Weg nach draußen. Und mit traurigem Blick und einem lauten Seufzer schloss sie die Tür.

Sogleich befreite ich Mey aus der Kopfüber-Bettlage und sprach leiser zu ihr, damit Oma nichts mitbekam, falls sie doch noch vor der Tür lauschte.

„So, was willst du nun von mir? Ich muss mich jetzt bald meinem Referat widmen. Mach es also kurz!"

„Sag mal, Soe, wie lieblos gehst du denn mit deiner Oma um? Magst du sie denn gar nicht? Sie war doch sehr besorgt um dich. Ganz ehrlich, wenn ihr Menschen alle so seid, dann verstehe ich, warum Mutter Erde in einen so schlechten Zustand geraten ist. Ihr spürt einfach nicht, in welche Gefahr ihr euch alle dadurch bringt."

„Mutter Erde? Ich kenne die Erde, unsere Wohnkugel, aber wieso Mutter Erde? Und wieso geht es ihr schlecht? Meinst du den Klimawandel?", fragte ich genervt und wiederholte kichernd: „Mutter Erde!"

„Mutter Erde beschreibt, dass sie nicht einfach nur eine 'Wohnkugel' ist, wie du das nennst. Dann wäre sie nur ein großer Haufen zusammengepresster Sand. So wie es noch viele unbewohnte Sterne und Planeten im Universum gibt. Hast du dich noch nie gefragt, wieso euer Heimatplanet so anders, so wunderbar ist?"

„Nein, habe ich nicht. Ist halt einfach so. Was soll ich mir darum Gedanken machen, kannst du mir das vielleicht mal verraten?" Ich verdrehte die Augen, aber ein bisschen neugierig war ich ehrlicherweise doch auf ihre Antwort. Sie schien ja schon Vieles zu wissen, wovon ich keinen blassen Schimmer hatte.

„Na ganz einfach: Im Gegensatz zu den Erdklumpen hat eure Mutter Erde eine Seele, die sie zu eurer Mutter macht."

„Eine Seele?", platzte es aus mir heraus. „Nun mach aber mal langsam, du klingst ja schon wie meine Lehrerin. Die Frau Schnippelberger-Rothschild, weißt du, die für die ich eigentlich jetzt gerade mein Referat schreiben sollte. Aber wenn du ja so viel weißt über Seelen und Erde und so, dann könntest du das vielleicht für mich verfassen?“, fragte ich herausfordernd.

„Ich kenne deine Lehrerin, wie ich euch alle kenne, eben von der anderen Seite aus. Und ich denke, sie ist auf einem guten Weg, dir das ein oder andere Wichtige näher zu bringen, wovon du denkst, es ginge dich nichts an. Weißt du, CEO hat einst Mutter Erde vertrauensvoll freie Hand gegeben für ihre neuartige Idee, den Erdklumpen, wie du es nennst, zu beseelen. Keiner wusste wie das genau aussehen sollte oder ausginge.“

„Großartig, was willst du mir denn noch alles verkaufen? Ist ja unglaublich!"

„Soe, ich weiß, dass du das noch nicht verstehst und vor allem fühlst. Aber ich werde dir das beibringen, denn du wirst es brauchen, um Mutter Erde zu retten."

„Ich? Mutter Erde retten?" Meine Augen fühlten sich schlagartig mindestens so groß an wie unsere Erdkugel.

„Ja, sie ist sehr krank. Natürlich auch ihre Physis, in Form von Klimawandel und Umweltverschmutzung und so was, klar. Davon hast du ja hoffentlich schon eine Ahnung, oder? Aber viel schlimmer ist ihr mentaler Zustand: sie hängt in den Seilen, wie ihr sagen würdet. Wahrscheinlich, weil die respektvolle Verbindung zwischen ihren Elementen immer schwächer wird. Fast jeder denkt doch heute, Einzelkämpfer sein zu können. Und wendet sich somit von dem Gemeinsamen ab. Aber so geht es nicht. Ihr werdet nur immer sturer und egoistischer. Nur weil sie so schön für euch gesorgt hat, meint ihr, ihr könntet alles alleine. Vermutlich steht sie kurz vor dem Burnout!"

„Burnout?", meine Augen mussten wieder rollen, sie mussten einfach. „So ein Quatsch. 'Burnout', das hatte mein Papa in seiner schweren Depression. Aber ein Erdklumpen kann doch keine Depression erleiden", lachte ich auf. „Was erzählst du für einen Blödsinn, Mey? Such dir dafür doch ein anderes Hackerhandy und lass mich da raus."

Nun wurde Meys Stimme ärgerlicher.

„Soe, ich dachte, ich hätte mich verständlich ausgedrückt. Ich brauche dich! Wir alle brauchen dich. Wenn Mutter Erde aus dem Depriloch nicht rauskommt, dann geht hier das Licht aus! Burnout!! Verstehst du?? Dann funktioniert kein 'Leben' mehr. Ich werde dir das noch näher erklären, wenn du dich beruhigt hast."

„Ach, ja?", retournierte nun auch mein Tonfall sehr schnippisch.

„Dann wird CEO das Projekt Erde für gescheitert erklären und keine neuen Sternversuche zulassen. Mir hat er übrigens auch in Aussicht gestellt, dass ich einst einen zum Leben erwecken darf. Natürlich nur, wenn hier alles gut läuft." Das Strahlen ihrer Augen bei diesen Worten erhellte mein Display. "Aber darum geht es jetzt nicht. Du musst sie vor allem um eurer selbst willen retten!“

„Warum machst du das verdammt noch mal nicht selbst? Dann hast du schon mal Übung für deinen eigenen Stern. Heißt der dann ‚Mey-Star‘? Menschen würde ich mir da aber keine draufsetzen. Siehst ja wie undankbar die sich entwickeln." So langsam verlor auch ich die Geduld.

„Soe, ein letztes Mal: Mutter Erde kann nur von einem irdischen Teil erreicht werden. Ich kann dir allenfalls dazu verhelfen, dass du lernen kannst, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Ich selbst kann es nicht. Das geht einfach nicht. Nur du vermagst das. Ich werde dich aber unterstützen."

„Ach, was du da alles faselst. Wie soll das denn gehen?"

Es nervte gerade wieder alles. Ich wollte nur noch raus aus dieser Situation. Diese stellte mal wieder ungewollte Ansprüche und Erwartungen an mich. So wie Mama oder Frau Schnippelberger-Rothschild. Immer dasselbe. Aber dies hier nahm Dimensionen an, die mich überforderten.

„Lass mich doch einfach in Ruhe mein Referat schreiben."

„Ok, Soe, für heute ist es, glaube ich, auch genug. Du musst jetzt erst mal in Ruhe alles verdauen und überdenken. Aber vergiss nicht: die Zeit drängt! Lange hält unsere Gute nicht mehr durch. Lass die App im Hintergrund auf Pandy geöffnet, damit ich mich morgen wieder melden kann und dies keine Gefahr für das Mobilteil darstellt. Schlaf gut, Soe, sei gewiss, es wird nicht nur eine unwillkommene Aufgabe für dich sein. Sondern ich bin sicher, dass du deine liebe Mutter Erde, die so viel unbemerkt für dich tut, auf eine besondere Art lieben und verstehen lernen wirst. Denk darüber nach. Ciao!"

Und mit einem leisen Zischen wurde der Bildschirm dunkel, als ob nichts gewesen wäre. Ungläubig schaute ich durch den sonnendurchfluteten Raum mit den Spinnweben an der Dachluke und zu meinem neugierigen Echslein. Es schaute mich mit großen Augen an, als ob es alles mitbekommen hätte. Ich glaube, das kleine Tierchen hatte noch keine Ahnung davon, was es mit SÖV zu tun haben würde. Und mit Mey und der ganzen Geschichte, die sich da vor mir auftat.

Zweifel

Ich konnte es immer noch nicht fassen. War das eventuell nur ein doofer Witz meiner Mitschüler gewesen? Ich kratzte mir nervös den Hinterkopf und schlug dann sanfter meine Hände vor mein ungläubiges Gesicht.

„Echslein, was war das nur gerade? Was soll ich denn jetzt machen? Wenn die sich morgen wieder so wichtigmacht? Meine Freunde kann ich nicht fragen, denn sollte es wirklich ein dummer Scherz gewesen sein, dann lachen die mich doch aus! Und das würde sich in unseren Socialmedia blitzschnell verbreiten. Wäre das peinlich! Diese Blöße darf ich mir nicht geben.“

Verzweifelt lief ich kopfschüttelnd in meinem Zimmer auf und ab. Am liebsten wollte ich das einfach alles vergessen. Wohin sollte diese Begegnung mich führen? Mey hatte das nur sehr vage angedeutet.

Ich hatte heute früh wohl richtigerweise dieses ungute Gefühl gehabt. Jetzt hatte ich eine Idee davon bekommen, warum. Hätte ich geahnt, was gerade seinen Anfang nehmen sollte, hätte ich morgens meine Bettdecke über den Kopf gezogen und den ganzen Tag verschlafen. Vielleicht sogar Pandy ganz ausgeschaltet, was normalerweise kaum geschah?

Aber ich hatte es nicht getan. Und so saß ich nun drin in diesem Schlamassel. Und wer auch immer nun meinte, meine Hilfe zu brauchen und wie diese aussehen mochte: durfte ich mich verweigern? Das hatte mir Frau Schnippelberger-Rothschild ja einprägend mit auf den Weg in die Ferien gegeben. Sollte darüber nachdenken... JAAAA, Frau Lehrerin, das tat ich ja nun ganz brav! Wenn auch in ganz anderem Zusammenhang. 1:0 für sie.

Irgendwie hatte auch Mey mir ein unerwartetes Tor verpasst: gegen meinen Willen arbeitete mein Gehirn auf Hochtouren! SÖV, was sollte das für ein Merkmal sein, das in mir angeblich schlummerte? Nie was davon gehört, geschweige denn, gespürt. Sollte es doch ruhig weiter in mir schlafen. Bisher hatte es mich nie gestört.

Mein Blick blieb an meinem Gemälde aus dem Kunstunterricht hängen, das seit zwei Jahren an der Wand neben der Dachluke hing. Ich hatte mich so daran gewöhnt, dass es mir kaum noch auffiel. Aber jetzt blieben meine Augen daran kleben.

Naja, ein Kunstwerk war es eigentlich nicht, malen konnte ich nie gut. Aber seine bunten Farben fand ich immer noch schön. Es zeigte mich im Mittelpunkt eines Kreises stehen, der von anderen Lebewesen gebildet wurde. 'Ich, der Mittelpunkt meiner Welt', hatte das Thema unseres Zeichenlehrers damals geheißen.

War ich das Zentrum von allem? Das, was Mey da von sich gegeben hatte, hatte ganz anders geklungen. So viel hatte ich ihren Andeutungen entnehmen können. Auch wenn mir das mit der Mutter Erde immer noch spanisch oder universell vorkam. Mey und ihre Gedanken waren fremd für mich. Kein Wunder, war sie doch nach ihrer Aussage nicht irdisch. Ich kicherte: "Mey, so leid es mir tut, aber auf meine Malerei passt du nicht drauf, lebst außerhalb des Kreises und müsstest somit irgendwo neben der Leinwand auf der Wand kleben. Hast dich ja selbst zum Außenseiter deklariert. Aber wieso können mich deine Gedanken trotzdem so aus dem Tritt bringen?"