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Kult-Regisseur Rudi Dolezal, für seinen Film "Freddie Mercury - The Untold Story" bei den GRAMMYs ausgezeichnet, ist Preisträger zahlreicher internationaler Film-, Musik- und TV-Awards und drehte mit Stars auf der ganzen Welt: The Rolling Stones, Whitney Houston, Lionel Richie, Bruce Springsteen, Michael Jackson, Falco u.v.m. Zu Queen und Freddie Mercury, für die Dolezal insgesamt 32 Musikvideos produzierte, bestand von Anfang an eine ganz besondere Verbindung. In "My Friend Freddie" erzählt Rudi Dolezal Geschichten, die er noch nie erzählt hat. Vom ungewöhnlichen Beginn einer Freundschaft, die ein Leben lang halten sollte, über viele private Erlebnisse bis hin zum letzten Mal, als Freddie vor einer Kamera stand. Vor seiner Kamera.
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Seitenzahl: 272
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My Friend Freddie
von
Rudi Dolezal
mit Simone Sabel
© 2022 Archive Productions LLC
Autor: Rudi Dolezal
www.myfriendfreddie.com
Verlagslabel: Darling Books
ISBN Softcover: 978-3-347-64735-0
ISBN E-Book: 978-3-347-64736-7
Lektorat: Simone Sabel (www.formulingo.de)
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.
Für Ruby und Benny –
Sonnenschein meines Lebens.
Inhalt
So etwas wie ein Vorwort
Wie wird man Videoregisseur von Queen und Freddie Mercury?
Ein Traum wird wahr: Regie beim Video „One Vision“
Freddie, der Philosoph („One Vision“ Re-Shoot)
Freddies Geburtstagsparty in München – „The Black And White Party” wird mitgefilmt – „Living On My Own”
Der dümmste Clubbesitzer der Welt
Freddies Zähne
Die Idee zu „Magic Years“ entsteht
„Was machst du nächste Woche?“ – „Friends Will Be Friends“
Der „Inner Circle“
Crazy Hat Party – Freddie macht Bett für mich und Suzie
„Teeth, Hair & Nose“ – Die Supergroup von Freddie mit Rod Stewart und Elton John
„The Invisible Man“ – Auf allen vieren mit Freddie Mercury – Koks unterm Tisch
Vier gegen Willi – Die Vagina der Barbara
Queen gibt Party für Gerry Stickells – Kostenvoranschlag aus dem Bordell
Videodreh „Time“ – Elf Schwule und ich in der „Time-Suite“
Freddie über Sex und Liebe oder „Darf ich vorstellen: Mein Ehemann“ (Jim Hutton)
Videodreh „Breakthru“ – Der Tunnel wurde zum Verhängnis
Begegnungen mit Mary Austin
„The Miracle“ – Vier kleine Buben spielen Queen
Peter Freestone – Das Mädchen für alles
„Ping Pong“ zwischen Freddie und Rudi
„Innuendo“ – Keine Videos mehr mit Freddie … und dann doch!
Hat Freddie AIDS? – Ein Abend mit Barbara Valentin
War Elton John der Gorilla?
Affengeil – Das Geheimnis wird gelüftet
Der Kuss von Freddie Mercury
Freddie‘s last take – Die letzte Szene eines Superstars vor der Kamera und warum ich erst nach seinem Tod begriff, warum er den „letzten Take“ unbedingt noch einmal drehen wollte
Die perfekte Illusion: Freddie Mercury und David Bowie performen live „Under Pressure“
Untold Stories über „The Untold Story”
Absolutely Backstage beim Freddie Mercury Tribute Concert
Rudis 40. Geburtstag – Als Queen ein Konzert für Rudi spielten
Als das Sterben begann
Danke, Freddie!
EPILOG – Freddie’s last words
Fußnoten
Nachbemerkung und Danksagung
ANHANGFilme und Videos von Rudi Dolezal für Freddie Mercury & Queen (Auswahl)
Credits – Fotos und Visuals
Namensregister
So etwas wie ein Vorwort …
Ich war eigentlich nie ein Queen-Fan und schon gar keiner von Freddie Mercury – bevor ich ihn kennenlernen durfte. Nie hätte ich mir 1971 gedacht, einmal mit einer der größten Bands der Rockgeschichte und damit mit einem der charismatischsten Superstars der Welt arbeiten zu dürfen. Meine Band waren immer die Rolling Stones – schmutzig, dreckig, frech und eine Gitarre von Keith Richards, die in den Unterleib geht.
Als Anfang der 80er Jahre ein Angebot von der Plattenfirma kam, Queen-Sänger Freddie Mercury in München zu interviewen, sagte ich trotzdem zu. Immerhin waren Queen damals – wie heute – eine der erfolgreichsten Bands der Welt. Freddie Mercury eilte der Ruf voraus, Fernsehinterviews zu hassen. Ich machte mich also mit meinem TV-Team auf den Weg nach München und hatte ehrlich gesagt schweißige Hände, denn Freddie Mercury eilte auch der Ruf voraus, ein sehr schwieriger Interviewpartner zu sein. Es sollte ganz anders kommen.
Das Interview mit ihm – ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen – fand in einer Bauernstube des Hilton Hotels am Tucherpark in München statt. Vom ersten Augenblick an klickte es zwischen uns beiden. Wir waren uns sofort sympathisch.
Das Eis war schnell gebrochen.
Es folgte das – inzwischen legendäre – „Prostitute Interview“ und der Startschuss für eine jahrelange Zusammenarbeit.
Auch darüber erzähle ich in diesem Buch, das wirklich „nur“ meine Geschichte mit Freddie beschreibt. Sie finden hier, in „My Friend Freddie“, keine vollständige Biografie, nicht Freddies lückenlos recherchierte Fakten und komplette History, sondern meine Geschichte – die Geschichte eines langhaarigen Hippies, der aus dem 9. Wiener Gemeindebezirk auszog, die Welt als Videoregisseur und Musikfilmer zu erobern. Mitgenug Frechheit, Naivität und Chuzpe, um selbst einem Freddie Mercury nach diesem ersten Interview zu sagen: „Ich schicke dir eine Kopie meines TV-Beitrages, und wenn du mal einen wirklich guten Video-Regisseur brauchst …“. Und gab ihm meine Visitenkarte. Freddie nickte höflich.
Einige Monate später stand ich als österreichischer Jungfilmer mit Freddie für Queen Productions im Studio – als Regisseur eines offiziellen Queen-Videos, das weltweit für Furore sorgen sollte. Wow.
Die Chuzpe hatte sich gelohnt.
Und die Naivität hatte mich davor bewahrt, darüber nachzudenken, dass Freddie und Queen bis dahin ausschließlich mit englischen und amerikanischen Spitzenregisseuren wie David Mallet für ihre Videos arbeiteten und daran zu zweifeln, dass diese weltberühmte Band ausgerechnet auf einen Hippie aus dem Wiener Alsergrund gewartet hat. Aber Freddies Blick am Ende des ersten Interviews in dieser Bauernstube am Tucherpark in München hat mir irgendwie signalisiert: „Go for the impossible, Rudi!“ – „Rudi, versuch das Unmögliche!“
Die Beziehung zwischen Freddie und mir sollte im Laufe der Jahre eine ganz besondere werden. Nicht nur, dass er mich sozusagen zu seinem „Leibfilmer“ machte, wir wurden auch Freunde. Als Freund über meinen Freund ein Buch zu schreiben, ist nicht einfach.
Ich habe mir mehr als 25 Jahre Zeit gelassen.
Ich erzähle in diesem Buch Geschichten, die ich noch nie erzählt habe. Was hinter den Kulissen von Videodrehs stattfand, wie ich mit und für Freddie um die halbe Welt, von London bis New York, von Indien bis Rio de Janeiro, von Sansibar bis Montreux reiste … Freddie on Tour, Freddie privat, Freddie, der Schelm, Freddie, der Gönner … Freddie beim allerletzten Interview, das er je vor einer Kamera gab - vor meiner Kamera.
Und genauso wie an das erste Interview mit ihm erinnere ich mich auch an den fürchterlichen Anruf seines Managers Jim Beach, als er mir mitteilte, dass Freddie gegangen ist.
Obwohl – für mich ist Freddie immer noch da. Allgegenwärtig. Präsent. Nicht nur in seinen Songs und in meinen zahllosen Videos (viele davon mit meinem langjährigen Partner Rossacher), Bilddokumenten, Dokumentationen, Interviews … Nein. Freddie war neben Frank Zappa und Keith Richards mein bester Ratgeber, Mentor, Ermutiger.
Ich spüre ihn bis heute bei wichtigen Projekten, wenn er sagt: „Never try to be second best“ („Vesuch nie, nur Zweitbester zu sein“). Ich habe ihn im Ohr als Ermahner, bevor ich einen Fehler machen würde, wenn er sagt: „This is too clever, Rudi!“ …
Und zugleich vermisse ich ihn. Ich vermisse ihn so sehr. Jeden Tag. Seinen Witz, seine Intelligenz, seine Radikalität, sein Kunstverständnis, seinen Exzess.
Verzeihen Sie, werter Leser, wenn dieses Buch auch ein bisschen die Bewältigung des Verlusts eines Freundes geworden ist.
Und Freddie würde jetzt sagen: „Now, get on with it, Rudi, I’m getting bored!"
Viel Spaß beim Lesen meiner Geschichten über einen der außergewöhnlichsten Menschen, die ich je treffen durfte.
This is foryou, Fred.
KAPITEL 1
Wie wird man Videoregisseur von Queen und Freddie Mercury?
Man fragt mich oft, wie es dazu kam, dass der Dolezal für Queen arbeitet. Was immer die jeweiligen Frager sich da groß als Antwort erhoffen, ich enttäusche sie immer. Denn es war weder ein großer Plan (und wenn, dann nicht von mir) noch ein gelungener Coup. Es war kein raffiniertes Anschleichen, kein unermüdliches Netzwerken, kein endloses Auflauern, kein penetrantes Lästigsein. Der Schlüssel war ein unscheinbares Wörtchen, das eine enorme Wirkung hatte. „Dranbleiben“ heißt das Wörtchen, einfach nur dranbleiben. An den Dingen, die man erreichen will, und überhaupt: am Leben.
Ich habe damals, Anfang der 1980er Jahre, für das österreichische Fernsehen gearbeitet: „Ohne Maulkorb“*1) hieß die Sendung, wer sich noch erinnern kann. Wer nicht, darf sich das genauso vorstellen, wie es klingt: Wir waren eine Jugendredaktion und wollten uns den Mund nicht verbieten lassen. Und natürlich ging es darin viel um Musik.
Irgendwann stand eine Geschichte in München an. Christine Feldhütter (damals noch Christl Hruska), die Presse-Lady des Platten-Labels EMI, meinte, Queen seien in der Stadt und für ein Interview zu haben. Es ging um einen relativ unbedeutenden Fernsehbericht über die ganz und gar nicht unbedeutende Band Queen. Also klang es definitiv interessant. Da „Ohne Maulkorb“ damals die einzige Sendung in Österreich war, die sich mit Popmusik im Fernsehen befasste, machte ich zwei bis vier Interviews mit Popstars pro Monat. Auch den Musikbeitrag gestaltete meistens ich oder mein späterer Partner Hannes Rossacher. Queen bekam ich.
Allzu viel war vom Management vorab nicht zugesagt. Es gab eine Fotosession zu filmen (gähn), zwei Interviews – eines mit dem Queen-Gitarristen Brian May (interessant), eines mit Freddie Mercury (sehr interessant) – und ein Pressegespräch (gähn). Ich sagte zu. Die beiden Gähn-Punkte auf der Agenda machten mich ein bisschen nervös. Erstens stellen fade Fotosessions und öde Pressegespräche wahrlich keine filmische Reifeprüfung dar, und zweitens werden aus derart langweiligen Ereignissen selten packende Szenen. Das musste ich also mit dem Interview wettmachen. Mit entsprechend gemischten Gefühlen und einem bescheidenen Filmteam, bestehend aus einem Kameramann und einem Techniker für den Ton, stieg ich in den Bus nach München.
Es war, wie ich befürchtet hatte. Die Fotosession wurde nahe des In-Lokals P1 in der Prinzregentenstraße 1 gefilmt und dauerte keine fünf Minuten. Die Pressekonferenz fand drinnen im P1 statt und war ähnlich enttäuschend. Die einzige Überraschung war die mir damals unbekannte Barbara Valentin, die sich am Rande der Pressekonferenz in Szene setzte. Für die Interviews mit Freddie und Brian wechselten wir ins Hilton am Tucherpark – ein Hotel, das in den nächsten Jahren mein neues Zuhause werden sollte. Aber davon hatte ich damals natürlich noch keinen blassen Schimmer.
Brian May war sehr höflich, präzise und ehrlich gesagt wenig spannend. Später, als wir uns viel besser kannten, sagte ich ihm einmal, dass ich es schätzte, wenn man mir meine Fragen so ehrlich und ausführlich beantwortete wie er, rein menschlich.
Aber als Interviewer und Regisseur wäre es mir lieber, er würde da und dort eine Story erfinden, die dafür spannend war.
Freddie Mercury war eine ganz andere Geschichte. Ich betrat den braunen, holzvertäfelten Raum im bäuerlichen Design, ich glaube es war eine Bar. Vollgestopft mit einer Entourage aus Assistenten, Pressemanagern, einer Maskenbildnerin und jemandem, den ich damals noch nicht kannte, und der sich als Produzent namens Mack vorstellte. Irgendwo mittendrin stand Freddie. Er nahm ein durchsichtiges Getränk zu sich, das ich fälschlicherweise für Wasser hielt. Später wurde mir klar, es muss Wodka gewesen sein. Freddie liebte Wodka. Es war fünf am Nachmittag, und ich war das letzte Interview des für Freddie sehr langen und anstrengenden Medien-Tages. Er trug ein weißes Unterleibchen und Jeans, und wir verstanden uns von Anfang an blendend. Es war genau das Interview, das die langweiligen Stellen für meinen Film wettmachte!
Freddie nahm einen Schluck aus seinem Glas und drehte sich zu mir um. „Ich habe heute den ganzen Tag Scheiß-Interviews geben müssen“, sagte er. „Du bist der Letzte, mit dem ich spreche, und weil ich froh bin, dass es bald vorbei ist, bekommst du jetzt das beste Interview, Darling!“ – Und er hielt Wort. Seine Sprüche waren das, was man kernig nennt. Freddie sagte Dinge wie „Ich bin eine musikalische Hure.“ Oder: „Wenn die Leute meine Platten einmal nicht mehr kaufen sollten, werde ich Strip-Artist.“ Ich hakte nach: „Zu welcher Musik würdest du dich ausziehen?“ Freddie setzte das Grinsen eines Schelms auf und antwortete: „Zu meiner.“ Er legte den Kopf schief. „Zu allen Songs, die ich geschrieben habe – dafür habe ich sie ja eigentlich geschrieben!“ Er brach in das Lachen aus, das ich noch so gut kennenlernen würde. Als er sich beruhigt hatte, fügte er hinzu, als würden wir einander schon eine Ewigkeit kennen: „You believe that – you believe anything!“ (Wenn du das glaubst, glaubst du alles!) Das Eis war gebrochen.
Der Jung-Hippie Dolezal aus dem 9. Wiener Gemeindebezirk, kurz bevor er das „Prostitute-Interview“ mit Freddie drehte
Die Geschichte war im Kasten, wir packten die Kameras ein. Wir verabschiedeten uns, und ich versprach, sobald der Beitrag fertig sei, eine Kopie davon nach London zu schicken. Man möge sich erinnern: Das war damals die Zeit von VHS-Kassetten – kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Wie auch immer, solche Floskeln hörten alle Künstler von allen Fernsehredakteuren, aber keiner hielt sich dran. Neunundneunzig von hundert TV-Journalisten haben sich niemals die Mühe gemacht, tatsächlich eine Kopie zu ziehen, sie in ein Kuvert zu stecken, eine Adresse draufzuschreiben und sie auf die Post zu tragen … Ich war der Hundertste. Ich wollte mehr. Freddie und ich hatten uns wirklich gut verstanden, und ich bildete mir ein, eine Chemie zwischen uns zu spüren. Bei diesem kleinen TV-Beitrag für „Ohne Maulkorb“ erkannte ich: Freddie und ich sind auf einer Wellenlänge. Jetzt dranbleiben, Dolezal!
Bitte, die Wahrscheinlichkeit, damals als Österreicher von Queen für einen Job als Regisseur engagiert zu werden, war ungefähr so groß wie für Nordkorea 1985, Fußballweltmeister zu werden. Ich habe es trotzdem probiert. Ich ließ von meinem Beitrag eine VHS-Kassette herstellen, setzte mich hin und beschriftete das Etikett penibel selbst, auf einer Reiseschreibmaschine, mühsam mit meinem Zwei-Finger-System. Als ich endlich Name, Adresse und, ganz wichtig, die Telefonnummer (es war ja noch die Zeit der Festnetze) eingetippt hatte, schickte ich das Päckchen nach London, an das Management von Queen.
So weit, so gut.
Einige Zeit später rief mich Jim Beach an, der Manager von Queen.
„Spreche ich mit Rudi Dolezal?“
„Ja, am Apparat.“
Jim räusperte sich.
„Du hast uns da so ein Päckchen geschickt mit einer Kassette von dem Queen-Beitrag, den du in München gedreht hast samt den Interviews mit Freddie und Brian – hat uns ganz gut gefallen.“
„Das freut mich.“
„Arbeitest du exklusiv für das österreichische Fernsehen oder auch als Freelancer?“
Jim Beach wurde im Laufe unserer Zusammenarbeit zu einem väterlichen Freund und ist es bis heute geblieben – aber damals hat es schon etwas gedauert, bis ich richtig registriert habe, wer da grad dran war – und bei dieser Frage verstand ich zunächst überhaupt nicht, was er meinte. Noch bevor ich antworten konnte, fuhr Jim fort. Er wollte wissen, ob ich nach München kommen wolle, ich sei in der engeren Auswahl, das neue Queen-Video zu drehen.
Mir wäre fast der Telefonhörer aus der Hand gefallen. Ich hatte den Anruf im Vorbeigehen abgenommen … wo ich da eigentlich hin wollte, hatte ich allerdings in der Sekunde vergessen. Ich ließ mich auf einen Sessel sinken. Die weltberühmte, große Band Queen rief beim kleinen Rudi Dolezal wegen eines Videos an. Queen, die mit einem Fingerschnippen die besten und berühmtesten Regisseure der Welt, meistens aus England oder den USA, engagieren konnten, kontaktierten mich in meiner Junggesellenwohnung im sechzehnten Wiener Gemeindebezirk, weil sie möglicherweise mit mir arbeiten wollten!
„Ja“, sagte ich, „gern.“
Dann buchte ich den nächsten Flug nach München. Ich wäre auch auf allen vieren hin gekrochen.
Was war passiert?
Ich habe später noch oft mit Jim Beach, Freddie und der Band über diesen Anruf geredet. Nach meinem heutigen Wissensstand waren da mehrere Dinge zusammengekommen:
Punkt eins und allen voran die VHS-Kassette mit der Kopie meines Beitrags für „Ohne Maulkorb“. „Uns gefiel was wir sahen“, sagte Freddie später, „du hast aus wenig Möglichkeiten viel gemacht. Der Beitrag war geschickt zusammengestellt und vor allem sehr rhythmisch geschnitten, und die Interviews zeichneten sich durch Fragen abseits der Routine aus. Wir dachten uns: der Junge ist gut.“
Das waren aber viele andere Regisseure auch.
Punkt zwei auf der Liste der Dinge, die da so gut zusammenspielten: Queen waren in diesem Jahr die großen Stars von „Live Aid“. „Live Aid“, muss man dazu wissen, war von Bob Geldof organisiert worden, auch er wurde später ein Freund von mir. Es sollte ein weltweiter Aufschrei werden. Ein Aufruf für die erste Spendenaktion gegen die Hungersnot in Äthiopien. Dafür hatte er die größten Popstars der Welt gewonnen. Gleichzeitig fanden im WembleyStadion in London und im John F. Kennedy Stadium in Philadelphia Riesen-Konzerte mit einem Staraufgebot statt, das es bisher noch nie auf einer Bühne und schon gar nicht im Fernsehen gegeben hatte. Mit dabei: David Bowie, Elton John, Mick Jagger, Bob Dylan, Paul McCartney, The Who, Led Zeppelin, Dire Straits, Sting, Santana, Madonna, Status Quo, Tina Turner, Eric Clapton, Phil Collins, U2, Black Sabbath, The Beach Boys, Simple Minds, Sade, Duran Duran, Judas Priest, Bryan Adams und viele mehr. Im Nachgang gab es verschiedene Meinungen dazu, wie musikalisch wertvoll dieser Abend wohl gewesen sei. Einige Kritiker meinten, dass Geldofs Idee einer „Jukebox“ im Fernsehen nur bedingt funktioniert habe. Das Konzept, wonach eine Star-Band nach der anderen ihre Hits spielte, habe nur einige Höhepunkte hervorgebracht, zum Beispiel das Duett von Mick Jagger und David Bowie oder den Auftritt von Bob Dylan mit Keith Richards und Ron Wood von den Rolling Stones – und natürlich: Queen. Denn über eines gab es überhaupt keine geteilten Meinungen: Queen war die beste Band der „Live Aid“ Show. Freddies Performance gilt bis heute als einer der großen Momente der Popgeschichte, dabei dauerte der Auftritt von Queen keine dreißig Minuten. Aber die Art, wie er das Publikum im Stadion und an den TV-Schirmen begeisterte, war einfach einzigartig. Für viele Hungernde in Afrika war es jedenfalls lebensrettend. Der Spendenaufruf erreichte weltweit eine Milliarde Menschen – so wurde die Einschaltziffer von „Live Aid“ geschätzt.
Wie ich später erfuhr, fand sofort nach diesem Triumph die interne Diskussion mit Manager Jim Beach statt, diesen Erfolg auch für die QueenKarriere zu nutzen. Aufmerksamkeit wie diese lässt man nicht einfach so verpuffen im Showbusiness, man legt was nach. Allerdings gab es da ein Stolpersteinchen. Denn eigentlich hatten die vier eine Queen-freie Zeit vereinbart. Wenn ich mich recht erinnere, hatte John Deacon eine Weltreise geplant, Brian May Urlaub mit der Familie, Roger Taylor einen Bootstrip mit Freunden und Freddie ein Solo-Album. Anders gesagt: Keiner hatte Zeit für Queen.
Punkt drei, der mir Jims Anruf bescherte, stand damit in direktem Zusammenhang und war ein rein geografischer. Wien lag nahe bei München. Und dort hatte ich einen Fürsprecher namens Mack. Weil die Zeit knapp war, gab es bloß ein paar wenige Tage in München, an denen es sich ausging, dass alle Bandmitglieder zusammenkommen konnten. Es reichte gerade, um gemeinsam einen Song zu schreiben, ihn aufzunehmen und zugleich ein Video zu drehen. Im Musicland Studio in München. Und dort saß Mack, jener Produzent aus der Bauernstuben-Bar im Hilton am Tucherpark, der mittlerweile meine österreichischen Fernsehbeiträge über Leute wie Frank Zappa, Tom Waits, David Bowie oder die Stones gesehen hatte und ein gutes Wort für mich bei Queen einlegte. (Danke, Mack!)
Aber all das wusste ich noch nicht, als mir in Wien der Telefonhörer fast aus der Hand fiel, weil Jim Beach mich fragte, ob ich nicht nach München kommen könnte.
Ich fuhr also nach München zum Treffen mit dem Queen-Manager, wieder im Park Hilton Hotel.
„Also“, sagte Jim Beach, „das ist unser Plan: Das gesamte Video soll während der Recording Session im Tonstudio gedreht werden. Geh jetzt bitte hinunter ins Restaurant, mach dir Gedanken und gib mir in zwei Stunden ein detailliertes Budget.“
„Ja“, sagte ich, „gern.“
Ich ging hinunter, setzte mich an einen Tisch im Hotelrestaurant. Ich weiß noch genau, was ich an diesem Tag anhatte. Eine fürchterliche Latzhose mit indischem Hemd darunter. Ein Aktenkoffer hätte weder dazu noch zu meinen langen Haaren gepasst, ganz abgesehen davon, dass in meinen Augen nur Business-Arschlöcher solche Koffer hatten. Eine alte Army-Umhängetasche mit einem Peace-Zeichen war mein Markenzeichen. Ich hatte zum damaligen Zeitpunkt alleine, ohne Produktionsleiter, noch niemals ein internationales Budget auf Englisch erstellt – es war auch die Zeit, in der es noch keine Computer-Programme, Laptops oder iPads gab, kaum zu glauben. Ich hatte Papier und Bleistift und keine Ahnung. Nicht zu reden davon, dass so ein Budget etwas ist, das selbst geübte Profis nicht in ein paar Minuten in einem Restaurant aus dem Ärmel schütteln können. Man braucht dafür eine Vielzahl an Informationen, Kostenvorschläge, Preisvergleiche etc. Seriös reden wir da von einer Arbeit von zwei Tagen. Ich hatte zwei Stunden … Die sich noch dazu enorm verkürzten, weil ich immer wieder dachte: Hoffentlich bin ich nicht zu teuer, hoffentlich ist kein Mitbewerber billiger. Ich will unbedingt dieses Queen-Video drehen. Ich würde dafür bezahlen, ein Queen-Video drehen zu dürfen!
Mit ca. 25.000 DM*2) Budget traute ich mich wieder hinauf in Jims Zimmer. Mit denselben schweißigen Händen, die ich hatte, als ich Freddie zum ersten Mal traf, legte ich meine Kalkulation auf den Tisch bei der Sitzecke. Jim nahm das Blatt und studierte es. Minutenlang. Mir kam es vor wie Stunden.
Scheiße, dachte ich, dort hätte ich noch etwas abziehen können … da hätte ich … und überhaupt. Im Geiste drehte ich die Zahlen, die ich mir da aus den Eingeweiden geleiert hatte, immer wieder um. Dann sah Jim Beach mich an und sagte:
„Okay, du hast den Job.“
Viel später hat mir Jim mal gestanden, er habe noch nie in seinem Leben so ein billiges Budget für so viel Aufwand bekommen.
Mein guter Preis gab den letzten Ausschlag. Was ich aber bis heute charmant finde: Es war kein Agent oder Manager, kein tolles Showreel und keine teure Broschüre, die mir die erste Zusammenarbeit mit Queen verschafften. Es war das, was ich von Anfang an gespürt hatte: Ein persönliches Gefühl zwischen Freddie und mir. Und der Umstand, dass ich Wort gehalten und ihnen das Ergebnis meiner Arbeit geschickt hatte.
Diese mickrige VHS-Kassette, mit der alles begann.
KAPITEL 2
Ein Traum wird wahr: Regie beim Video „One Vision“
Be careful what you wish for …, sagt ein englisches Sprichwort. Sei vorsichtig, was du dir wünschst, es könnte in Erfüllung gehen! Na ja, für Vorsicht war es quasi zu spät – Jetzt hatte ich ihn, den Auftrag für ein offizielles Queen-Video. Das allein war schon der Wahnsinn, aber mir war sofort klar, dass es da noch um weit mehr ging, als nur ein Video. Das war eine Riesen-Chance, eine Visitenkarte für meine Arbeit abzugeben – weltweit. Queen-Videos wurden damals, 1985, rund um den Globus auf allen TV-Stationen gesendet, und in der internationalen Musikbranche wurde der jeweils neue Clip der Band unverzüglich mit Argusaugen begutachtet. Schließlich waren Queen die Vorreiter für Musik-Videos. Mit „Bohemian Rhapsody“ hatten sie sozusagen das Genre erfunden, es definiert und es schließlich zu neuen Höhen und neuer Bedeutung hochstilisiert. Mein Selbstbewusstsein und meine Chuzpe, die ich in positive Energie hatte umwandeln können, um den Auftrag zu bekommen, war Zweifeln und Nervosität gewichen. Würde ich der Herausforderung gewachsen sein? Hatte ich mir zu viel zugetraut? Würde ich gar an der Aufgabe scheitern? Ekelhafte Fragen! Noch dazu durfte ich niemanden etwas von dieser Unsicherheit merken lassen. Schon gar nicht Jim Beach. Manager riechen so was. Und ich hatte Angst, dass er die Sache mit DoRo (so hieß die gemeinsame Filmproduktionsgesellschaft von Hannes Rossacher und mir) dann hurtig wieder abblasen würde, um einen Queen-erfahrenen Regisseur wie zum Beispiel David Mallett auf den Job zu setzen. Ich musste also cool spielen, obwohl sich in mir Zweifel und Zuversicht ein heftiges Duell lieferten, bei dem manchmal der eine, dann wieder die andere die Oberhand gewann.
Die Gründe für meine Nervosität waren vielfältig und bisweilen erdrückend: Ein Video in einem erfahrungsgemäß schlecht beleuchteten Tonstudio zu drehen, ist für einen visuellen Menschen ein Albtraum. Nur wenige Tage zur Verfügung zu haben, macht die Sache nicht leichter. Und mit unberechenbaren Weltstars zu arbeiten, geht unweigerlich an die Grenzen. Außerdem gab es keine Möglichkeit, sich mit der Band vorher ausführlich zu besprechen. Wir sollten Queen erst am ersten Drehtag persönlich zu sehen und gleichzeitig zu filmen bekommen. Unter all diesen Umständen dennoch so zu überzeugen, dass es nicht das einzige Queen-Video bleiben würde, das ich drehen durfte, war meine Mission. Momentan kam es mir vor wie eine Mission Impossible.
Um es einmal klar auszusprechen: Natürlich war alleine der Umstand, ein Video mit Freddie Mercury & Queen drehen zu dürfen, schon eine Sensation und eine unglaubliche Ehre, die mir damals in meinem jugendlichen Übermut nicht ansatzweise in ihrem vollen Ausmaß bewusst war. Allein eine Fußnote in der Geschichte von Queen, einer der wichtigsten Bands der Welt, mitschreiben zu können, war jedenfalls ein Traum. Hippies aus dem neunten Wiener Gemeindebezirk, wie ich einer war, kamen normalerweise nicht einmal in die Nähe einer solchen Chance. Die Zuversicht bekam gerade wieder Oberhand in mir. Immerhin – so versuchte ich in diese Richtung weiterzudenken – war ich bisher ja nicht in Hinterhöfen unterwegs gewesen. Drei Jahre zuvor hatte ich mein erstes Video für die Stones gedreht, aber selbst in der Arbeit mit Mick Jagger, genauso wie mit Falco oder Ambros, war ich es gewohnt, zumindest eine Vorbesprechung zu haben. Auszuloten, was der Künstler denkt. Was er sich erwartet. Was er sich von mir erwartet. Um dann möglichst punktgenau produzieren zu können. Das alles fiel hier weg. Das Video „One Vision“ war zu einem Video-Blind-Date geworden.
Ich musste mich also in Queen hineindenken. Das beruhigte mich kurz. Im Hineindenken war ich nicht schlecht. Aber schon meldeten sich die Zweifel wieder zu Wort. Denn in diesem Fall war Denken nicht genug. Ich musste Hellseher sein. Handeln, ohne Queen wirklich zu kennen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich nur je ein Interview mit Freddie und Brian geführt. Roger Taylor und John Deacon hatte ich überhaupt noch nicht wirklich gesehen, außer kurz beim Filmen der Fotosession, aber das zählte nicht für eine Produktion wie diese. Wie könnten die ticken? Was könnten die gut finden? Was würden sie von mir erwarten? Und überhaupt: Was erwartet die Welt von einem Queen-Video? Fragen hatte ich genug. Ich hätte lieber schon die Antworten gehabt.
Ich begann mich auf das zu konzentrieren, was ich wusste. War nicht viel. Der Drehort stand fest: ein Ton-Studio, konkret das Musicland. Das war eine Vorgabe, Punkt. Aus Zeitgründen war nichts anderes infrage gekommen. Ein Ton-Studio! Das, wie der Name schon sagt, nicht fürs Filmen gebaut war. Das schränkte uns kreativ enorm ein. Schlimmer, dachte ich, wäre nur noch, im Dunkeln zu drehen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt zwar schon mit Wolfgang Ambros, Falco und Georg Danzer in Tonstudios gedreht, aber dabei hatte es sich um reine Dokumentationen gehandelt. Das war etwas völlig anderes. Außerdem: Es war die Zeit der aufwendigen, manchmal gar surrealen Videoclips als neue Kunstform. Talking Heads mit “Road To Nowhere“, Peter Gabriel mit “Sledgehammer“ oder Laurie Anderson mit „O Superman“ ließen grüßen. Einen anspruchsvollen Videoclip, noch dazu für die ganze Welt, in einem Ton-Studio drehen zu müssen, war ungefähr so, wie mit einem Dreirad an der Tour de France teilnehmen zu müssen, und trotzdem gewinnen zu wollen. Es war … verrückt!
Control Room Musicland Studios: Gefilmt wird alles, was passiert – auch Scherze von Freddie & Queen (links hinten: Kameramann W. Simon – am Mischpult, sitzend: Regisseur R. Dolezal)
Aber mit Fürchten ist es nicht getan, dachte ich schließlich. Die Angst ist immer der schlechteste Ratgeber. Ideen mussten her, und zwar schnell. Ein Konzept musste erstellt werden – zur Not eben ohne die Künstler. Höllisch nervös war ich immer noch, keine Frage. Andererseits spürte ich irgendwie, dieser Herausforderung gewachsen zu sein. Das Treffen mit Freddie beim ersten Interview wirkte noch nach, als Bestätigung und Ermutigung.
Nachdem ich meinen Entschluss gefasst hatte, war auch das Konzept schnell klar: Freddie und Queen so zu zeigen, wie sie noch nie jemand gesehen hatte – backstage, hinter den Kulissen. Das Studio sollte gewissermaßen zur Bühne werden.
Dazu wollten wir (mein Partner Hannes Rossacher, die Kameramänner Wolfgang Simon und Peter Röhsler und ich) das gesamte Musicland Studio so ausleuchten, dass wir Queen in jeder Situation filmen konnten, ohne jeweils umleuchten zu müssen. Wir wollten in der Lage sein, spontan authentische Situationen einfangen zu können, wie sie wirklich passierten: wenn die Bandmitglieder Texte schreiben, die Melodie komponieren, wenn sie herumalbern oder diskutieren, wenn sie Pause machen und natürlich während der Ton-Aufnahmen als Sync-Performance, also wenn sie den Song einspielen.
Die Möglichkeiten waren begrenzt, ja. Aber ich hatte den unbändigen Ehrgeiz und Willen, sie zu nutzen und etwas Außergewöhnliches daraus zu machen. Ich wollte Queen verblüffen, Jim Beach überraschen und Freddie recht geben, der mir beim ersten Treffen das Gefühl vermittelt hatte: Du hast keine Chance, aber nutze sie! Und ich nahm mir Folgendes vor: Da wir visuell so begrenzt waren, wollte ich mehr als alle anderen internationalen Videos der Zeit von der Musik ausgehen, was Schnittrhythmus und Bildsprache betraf. Besser sein, mehr auf dem Punkt. Ich sah mich als Musiker, meine Instrumente waren die Kamera und der Schnittrhythmus. Und ich überlegte mir Bildteilungen, sogenannte Splits für Parallelhandlungen. Soweit die Theorie.
Die Dreharbeiten selbst sollten mich dann noch vor die eine oder andere Herausforderung stellen. Denn: Musiker, und vor allem Weltstars, werden grundsätzlich nicht so gerne beim Kreativprozess gefilmt. Ich musste mir daher mit meinem Team erst eine Vertrauensbasis mit Freddie, Brian, Roger und John erarbeiten. Außer meinen zehn Minuten-TV-Bericht aus „Ohne Maulkorb“ kannten Queen bisher praktisch nichts von meiner Arbeit als Videoregisseur. Ja, vermutlich hatten sie “Rock Me Amadeus“ mit Falco gesehen, und Jim hatte ihnen gesagt, dass das Video von DoRo sei. Vielleicht kannten sie auch mein Video mit den Stones zu „Time Is On My Side“. Aber diese Clips hatten keine wie immer geartete Vorbildfunktion für „One Vision“. „Rock Me Amadeus“ war mit Schauspielern inszeniert. „Time Is On My Side“ basierte auf Archivmaterial und einer Live-Performance – komplett unterschiedliche Konzepte also … Es würde nicht einfach werden.
Freddie bei den Dreharbeiten zum Video „One Vision“: „Fried Chicken!“
Schließlich war es ausgerechnet Freddie, der es mir leicht machte. Bei den Dreharbeiten war er zugänglich, verständnisvoll und unkompliziert. Ich hatte das Gefühl, er wollte genauso wie ich, dass ich es schaffe. Er erinnerte die anderen Queen-Mitglieder, wenn sie maulten, immer wieder an das Konzept, dass wir ja alles ungeschminkt, also backstage, zeigen wollten. Er half mir. Er war mein Partner. Er war mein Verbündeter. Zumindest, was die Arbeit am Video betraf.
Die Arbeitsteilung mit Hannes Rossacher passte ideal dazu. Ich war der Kommunikator, derjenige, der alle Ideen, Vorhaben an Freddie und die Band herantrug und besprach. Hannes hielt sich im Hintergrund und behielt den Überblick. Die Dreh-Tage im Musicland liefen zunächst gut und dann immer besser. Es gelang eine Reihe interessanter Szenen, die auch alle im finalen Video zu sehen sind: Freddie, der mit Roger und Brian im Regieraum am Text feilt. John, der im Vorraum sein Bass-Thema übt. Brian, der am Flipper spielt. Roger, der um das Schlagzeug tanzt wie bei einem Veitstanz oder John der – zur Verwirrung der Zuseher – plötzlich den Bass beiseite stellt und sich ans Schlagzeug setzt, um perfekt mitzuspielen.
Freddie begann auch, von sich aus immer mehr lustige Szenen anzubieten. Er mimte den Erschöpften und tat mit nacktem Oberkörper so, als sinke er am Ende seiner Kräfte auf eine Bank. Hinzu kamen unübliche Kreativ-Ideen von uns – über die typischen Tonstudio-Szenen hinaus. Der Beginn des Songs hatte zum Beispiel eine seltsame Ton-Collage, die mich zu einem surrealen Kamera-Gang hinunter ins Studio inspirierte. Das Musicland Studio befand sich im Kellergeschoss des Münchner Araballa-Hauses und war nur über eine lange Treppe nach unten zu erreichen. Es wirkte, als würde man in die Unterwelt hinabsteigen. Dazu stellte ich mir Bildüberblendungen in Zeitlupe vor.
Anderes Beispiel: Bei einem Freddie-Gesangs-Solo im Mittelteil verdunkelten wir das Aufnahmestudio.
Freddie stand nur in einem Spot. Die dynamische Hand-Kamera von Wolfgang Simon ging permanent dreihundertsechzig Grad um ihn herum und wurde dabei immer schneller. Es war Freddies Idee gewesen und sollte im finalen Video ein geiler optischer Moment werden. Denn später, während eines gemeinsamen Abendessens beim Italiener, hatte Freddie noch einen weiteren guten Einfall für eben diesen Solo-Teil: Queen besaß die Rechte an ihrem legendären Live-Konzert bei „Rock in Rio“, wo sie vor mehr als 300.000 Zuschauern aufgetreten waren. „Nimm doch die beeindruckenden PublikumsSchüsse von Rio“, sagte Freddie nach dem zweiten Grappa, „und blende sie über das Schwarz – so als würde ich einerseits allein, andererseits vor Hundertausenden diesen Mittelteil singen!“
Großartig. Das Konzept wuchs und wurde immer größer und immer mehr zu einer echten Kollaboration Queen & DoRo.
Dieser Italiener war so etwas wie unser Wohnzimmer mit Kantine, wo wir meistens nach den Dreharbeiten zu Abend aßen. Als Restaurant war es zwar ein öffentlicher Ort, aber irgendwie doch ziemlich privat. Einmal erkannte ein vorbeigehender Münchner Freddie und kam schüchtern an unseren Tisch, um ein Autogramm von ihm zu erbitten. Freddie, den ich später immer wieder dabei beobachtete, wie ungern er Autogramme gab, unterschrieb freundlich auf einer Serviette, reichte sie dem jungen Mann und sagte: „Here you are, Darling. And now fuck off!“ So war er: freundlich und liebenswert im Grunde seines Herzens, aber immer ehrlich und direkt.
Nach einigen Tagen fühlte es sich an, als würden wir uns schon seit Jahren kennen und hätten schon viel zusammen gearbeitet. Ich hatte die Nuss geknackt. Dachte ich. Die große Überraschung für „One Vision“ sollte erst folgen. Aber in diesem Moment, nach