Mydworth - Bei Ankunft Mord & Tod im Mondschein - Matthew Costello - E-Book
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Mydworth - Bei Ankunft Mord & Tod im Mondschein E-Book

Matthew Costello

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  • Herausgeber: beTHRILLED
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

In dem kleinen Dorf Mydworth geschieht selten etwas Aufregendes ... Aber das ändert sich, als der junge Adlige Sir Harry Mortimer in seinen Heimatort zurückkehrt. Der ehemalige Spion im Dienste seiner Majestät und seine amerikanische Frau Kat sorgen für reichlich Glamour in dem verschlafenen Örtchen! Doch der Glanz der großen weiten Welt zieht auch gewiefte Verbrecher an ... Die örtliche Polizei ist heillos überfordert und schon bald müssen sich Kat und Harry mit Juwelendieben herumschlagen und den Mord an einem Wilderer aufklären.

Dieses eBook enthält die Krimis: "Bei Ankunft Mord" und "Tod im Mondschein."

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Seitenzahl: 318

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Inhalt

Cover

MYDWORTH – Ein Fall für Lord und Lady Mortimer. Die Serie

Die Hauptfiguren

Über die Autoren

Titel

Bei Ankunft Mord (Band 1)

Prolog Sussex, England 1929

1. Heimkehr nach England

2. Die Sussex Downs

3. Willkommen in Mydworth

4. Ein Todesfall im Herrenhaus

5. Die Ankunft des Constable

6. Der Schütze

7. Das Ende der Befragung

8. Die Jagd nach dem zweiten Mann

9. Die Herrschaft und das Personal

10. Geheimnisse werden gelüftet

11. Der Hilfsgärtner

12. Weitere Enthüllungen

13. Markttag

14. Die Wahrheit über Alfred Coates

15. Zeit für Cocktails

16. Bereit zum Dinner

17. Gepackte Koffer

18. Drinks auf der Terrasse

Tod im Mondschein (Band 2)

Prolog

1. Häusliches Glück

2. Der Fall beginnt

3. Das Leben eines Wilderers

4. Ein Besuch beim Sergeant

5. Zwei halbe Pints im King’s Arms

6. Syds Geheimnis

7. Ehemalige Freunde

8. Ein Familienmensch

9. Auf in den Wald

10. Ein Mordmotiv?

11. Eine merkwürdige Kündigung

12. Häusliche Geheimnisse

13. Notlügen

14. Die Wahrheit tritt ans Licht

15. Gerechtigkeit

Impressum

MYDWORTH – Ein Fall für Lord und Lady Mortimer. Die Serie

Ein glamouröses Ermittlerduo, ungewöhnliche Verbrechen, schnelle Autos, schicke Kleider und rauchende Revolver – das ist Mydworth, die neue Serie von Matthew Costello und Neil Richards, den Autoren der britischen Erfolgsserie Cherringham. Sir Harry Mortimer, ehemaliger Spion im Dienste ihrer Majestät, ermittelt zusammen mit seiner umwerfenden Ehefrau Kat, die es mit jedem Bösewicht aufnehmen kann! Mydworth ist eine spannende Zeitreise ins England der 20er Jahre – für Fans von Babylon Berlin, Downton Abbey, und Miss Fishers mysteriösen Mordfällen.

Die Hauptfiguren

Sir Harry Mortimer (32) kehrt nach langer Zeit im Ausland in seinen Heimatort Mydworth zurück. Der Sohn der wohlhabenden englischen Adelsfamilie hat als Pilot im Ersten Weltkrieg gekämpft und war danach zehn Jahre offiziell im diplomatischen Dienst tätig – in Wirklichkeit aber arbeitete Harry für den britischen Geheimdienst. Bei einem Einsatz in Kairo trifft er die wunderschöne Amerikanerin Kat Reilly, die ebenfalls verdeckt für ihre Regierung arbeitet. Die beiden verlieben sich und heiraten nach einer stürmischen Romanze. Das ungleiche Paar beschließt, zusammen nach England zu ziehen, um zur Ruhe zu kommen und sich dort ein beschauliches Leben aufzubauen. Aber es kommt anders als geplant …

Kat Reilly (32) kommt aus einer anderen Welt als ihr adliger Ehemann. Sie stammt aus New York und ist in ärmlichen Verhältnissen in der Bronx aufgewachsen. Aber sie ist tough, intelligent und abenteuerlustig. Sie erkämpft sich ein Stipendium an der Universität, arbeitet im Ersten Weltkrieg als Krankenschwester auf den Schlachtfelder Frankreichs und wird dann vom amerikanischen Außenministerium rekrutiert. Ihr scharfer Humor und ihre modernen Ansichten bringen frischen Wind in das verschlafene Mydworth. Aber an ihre Rolle als Lady Mortimer muss sie sich erst noch gewöhnen …

Über die Autoren

Matthew Costello ist Autor erfolgreicher Romane wie Vacation (2011), Home (2014) und Beneath Still Waters (1989), der sogar verfilmt wurde. Er schrieb für verschiedene Fernsehsender wie die BBC und hat dutzende Computer- und Videospiele gestaltet, von denen The 7th Guest, Doom 3, Rage und Pirates of the Caribbean besonders erfolgreich waren. Er lebt in den USA.

Neil Richards hat als Produzent und Autor für Film und Fernsehen gearbeitet sowie Drehbücher für die BBC, Disney und andere Sender verfasst, für die er bereits mehrfach für den BAFTA nominiert wurde. Für mehr als zwanzig Videospiele hat der Brite Drehbuch und Erzählung geschrieben, u. a. The Da Vinci Code und, gemeinsam mit Douglas Adams, Starship Titanic. Darüber hinaus berät er weltweit zum Thema Storytelling. Bereits seit den späten 90er Jahren schreibt er zusammen mit Matt Costello Texte, bislang allerdings nur fürs Fernsehen.

Seit 2013 schreiben das transatlantische Duo Matthew Costello und Neil Richards die Serie CHERRINGHAM, in der inzwischen 34 Folgen erschienen sind. MYDWORTH ist ihr neues gemeinsames Projekt.

MATTHEW COSTELLONEIL RICHARDS

Bei Ankunft Mord& Tod im Mondschein

Aus dem Englischen von Sabine Schilasky

MATTHEW COSTELLONEIL RICHARDS

Bei Ankunft Mord

Aus dem Englischen von Sabine Schilasky

PrologSussex, England 1929

Lady Lavinia Fitzhenry blätterte um. Sie las den neuesten Roman des Amerikaners – Hemingway.

Immer wieder witzig, ein Buch von jemandem zu lesen, den man persönlich kennt – und mit dem man sogar den ein oder anderen Drink genommen hat.

Sie saß in ihrem Bett – Mydworth Manor war friedlich, und das Personal unten ging lautlos seinen Aufgaben nach.

So war Lesen eine reine Freude.

Lavinia hatte sich ein Glas Portwein mit hoch genommen, das leider schon leer war. Zudem war es spät genug, um allmählich das Licht zu löschen. Morgen stand ihr ein geschäftiger Tag bevor, denn bald würden Wochenendgäste aus London anreisen.

Was für ein Spaß! Klatsch, Musik und jeden Abend Cocktails vor dem Dinner!

Sie legte ihr Buch auf den Nachttisch und knipste das Licht aus. Sofort war das Schlafzimmer in Dunkelheit getaucht, und Lavinia schlummerte über dem Plänemachen fast ein. In diesem Moment …

Ein Geräusch.

Sie schlug die Augen auf.

Noch ein Geräusch: ein Rattern. Nicht nahe, sondern eindeutig irgendwo am anderen Ende des breiten Flurs hier oben im ersten Stock.

Und es klang wie eine Tür oder ein Fenster, die von einem Luftzug durchgerüttelt wurden. Nur dass es eigentlich eine ruhige Nacht war, in der sich kaum ein Lüftchen regte.

Da war es wieder! Ein lauteres Rattern.

Lavinia war niemand, der dasaß und abwartete. Ihr Leben lang hatte sie auf dieselbe Weise auf beängstigende Dinge reagiert: Wenn du dich vor etwas fürchtest, stelle dich ihm.

Sie schaltete das Licht wieder ein, war mit einer flinken Bewegung aus dem Bett, zog ihren Morgenmantel über und ging hinaus auf den Flur.

Sie stand regungslos vor ihrem Schlafzimmer und horchte.

Das Geräusch war verklungen.

Langsam bewegte sie sich den dunklen Korridor entlang und lauschte aufmerksam. Vorbei an der breiten Treppe, die hinunter in die Eingangshalle führte, in der den ganzen Abend Licht brannte – warm und beruhigend.

Sie ging weiter zu der Reihe von Gästezimmern, die ihre Besucher in wenigen Tagen bewohnen würden.

Hier blieb sie stehen. Alles war still.

Zeit, zurück ins Bett zu gehen, dachte sie und drehte sich um.

Da war ein Knacken. Das scharfe, spröde Geräusch von etwas, das im Zimmer gleich rechts von ihr einrastete.

Die Tür war geschlossen.

Natürlich war sie das – so, wie es sein sollte. Diese Zimmer waren schon seit Tagen geputzt und vorbereitet.

Lavinia griff nach dem Türknauf. Er fühlte sich kalt an.

Ein Drehen, ein hörbares Klicken, und die Tür ging auf. Lautlos trat sie ins Zimmer.

Ihre Augen hatten sich bereits an die Dunkelheit gewöhnt, sodass sie kein Licht machen musste, um festzustellen, dass hier alles in Ordnung war.

Die Tür zur Ankleide stand halb offen. Vage nahm Lavinia einen kühlen Luftzug aus dem Raum wahr. Eine Kälte, die dort nicht hingehörte.

Nachdem sie einmal tief Luft geholt hatte, öffnete sie die Tür weiter, ging hinein und sah … dass das Fenster sperrangelweit offen stand. Sie eilte hin, um es zu schließen und dieses nächtliche Abenteuer zu beenden.

Als sie das Fenster zuzog, blickte sie zum Rasen hinunter. Der Mond lugte zwischen zwei Wolken hervor.

Und Lavinia erstarrte.

Eine Gestalt ging langsam vom Haus weg auf den Wald zu.

Und während sie hinschaute, blieb die Gestalt stehen. Drehte sich um. Blickte zu ihr nach oben …

Lavinias Herz, das eben noch ruhig geschlagen hatte, pochte schneller. Sie wich vom Fenster zurück, dachte fieberhaft nach, welche Erklärung es hierfür geben könnte. Ihr fiel keine ein.

Sie trat erneut ans Fenster und spähte nach draußen.

Nun überkam sie beim Blick in die Dunkelheit eine unheimliche Vorahnung. Ein Gefühl, dass dieses Wochenende kein Spaß werden würde …

1. Heimkehr nach England

Kat Reilly beobachtete, wie ihr Mann Harry seine Augen gegen die Morgensonne abschirmte und das Entladen der Kanalfähre an der Pier von Newhaven betrachtete. Sie kannte ihn gut genug, um zu bemerken, dass er besorgt war.

Die Pride of Sussex hatte eine Stunde zu spät angelegt, und in der Hektik, die eingetreten war, als man versucht hatte, das Schiff zu wenden, hatte Kat bereits gesehen, dass ein Stück kostbare Fracht aus dem Netz gekippt und auf dem Kai zerschellt war.

Während das Dampfschiff schwarze Wolken in den Himmel rülpste, schwärmten lauter Lastwagen, Pferde- und Handkarren über den Kai, riefen Passagiere Anweisungen und versuchten Zöllner, das Geschehen zu dirigieren.

So viel zu der berühmten englischen Höflichkeit und dem Anstand, die sie bei dieser ersten Reise nach England erwartet hatte!

Sie musste jedoch zugeben, dass Sir Harry Mortimer wie immer ganz der ruhige, unerschütterliche britische Gentleman war – groß, schlank, das schwarze Haar länger denn je, das Jackett lässig über eine Schulter geworfen, ein weißes Baumwollhemd und dazu eine grellrote Krawatte. Es fehlte nur noch ein Tennisschläger, um das Bild abzurunden.

Oder vielleicht eher … ein Cricketschläger?

Er drehte sich zu ihr um. »Hm … ich spreche mal kurz mit diesen Burschen da drüben. Damit sie, ähm …«

Sie grinste. »Und wie willst du das machen?«

Harry lächelte umwerfend und nickte. »Meinst du, sie werden meinen Rat nicht dankend annehmen?«

»Oh doch, mit offenen Armen, ohne Frage. Das oder mit geballten Fäusten.«

»Nun, es ist mein Wagen, den sie gleich auf die Pier fallen lassen werden.«

»Dein Wagen?«

»Ah, richtig, verzeih. Die Macht der Gewohnheit. Ich meine, unser Wagen. Er mag zwar kein Bugatti sein, aber dieser Alvis ist mir verdammt viel wert.«

»Viel Glück. Also in New York legt sich keiner mit Schauerleuten an.«

»Tja, ich schätze, hier drüben sind wir ein klein wenig zivilisierter, hm?«

»Zivilisierter? Es ist neun Uhr, und ich warte immer noch auf den Kaffee, den du mir versprochen hast.«

»Wie wäre es, wenn wir en route an einem Wirtshaus halten und meine Rückkehr in die Heimat sowie deinen ersten Besuch hier mit einem richtigen Frühstück feiern?«

»Gibt es auch falsches Frühstück?«

»Ich vergesse immer, dass du noch nicht ganz in unserer Sprache zu Hause bist. Ich meine ›opulent‹. Mit allem Drum und Dran.«

»Klingt köstlich.«

Er grinste, und sie sah ihm nach, als er zu einem Mann mit Mütze und blauem Overall ging. So, wie der Mann die Hände in die Hüften stemmte, könnte er der Vorarbeiter sein – oder wie immer man hier jemanden nannte, der das Sagen hatte.

Nun gestikulierte Harry in Richtung ihres Wagens – dem wunderschönen, edlen Exemplar englischer Automobilbaukunst –, der in diesem Moment aus der Ladeluke gehievt wurde und bedenklich in den Seilen und Ketten schwankte.

Der Mann mit der Mütze nickte. Kein Lächeln. Doch Kat vermutete, dass Harry tat, was sie schon so oft bei ihm erlebt hatte. Ein paar Worte hier und da, und auf einmal wollten die Leute ihm helfen.

Kat war nicht sicher, ob er sich als »Sir« vorgestellt hatte, fragte sich jedoch, ob dieser :»Lord und Lady«-Kram bei den Hafenarbeitern gut ankommen würde.

Harry kehrte zu ihr zurück. »Alles astrein, ähm, ich meine, geregelt. Ich habe ihm eben erklärt, was unter der Plane versteckt ist, und gefragt, ob sie schon einmal solch einen Wagen ausgeladen haben.«

»Und?«

»Anscheinend zieht er Bentleys vor. Rolls-Royces auch, wenn es sein muss. Obwohl er sagte, falls ich ihm eine Probefahrt anbieten würde, würde er nicht ablehnen.«

»Ein Witzbold, hm?«

»Sehr bodenständig.«

»Tja, ich hätte ihm einfach etwas Geld zugesteckt.«

»Oh ja, hätte ich mir denken können. Das würde hier niemals wirken. Ein gestandener Profi wie er? Er würde das als Beleidigung auffassen.«

Was Kat bezweifelte. Zehn Jahre in den amerikanischen Botschaften von Istanbul bis Tokio hatten sie eines gelehrt: Eine Handvoll Dollar, und alles auf der Welt lief reibungslos.

Sie wandte sich um und sah, wie ihr Sportwagen ruhig heruntergelassen wurde. Und langsam, wie sie erfreut feststellte. Nun gab es also keinen Grund mehr zur Sorge.

Sie drehte sich wieder zu Harry, der beobachtete, wie ihre Gepäcktruhen ausgeladen wurden, um per Lastwagen nach Mydworth gebracht zu werden.

Anschließend würden sie zu ihrem neuen Zuhause fahren. Zumindest für Kat war es neu, für Harry nicht. Er war in Mydworth aufgewachsen und kannte jene Welt, ganz gleich, wie lange er fort gewesen war.

Plötzlich überwachte Harry das Ausladen nicht mehr.

»Hm«, brummelte er.

»Was ist?«, fragte sie, als er zu der Stelle sah, an der Wagen und Droschken vorfuhren, um Passagiere abzuholen.

Dort stand ein elegantes Auto. Kein Taxi, sondern ein sehr seriös wirkendes Gefährt. Und aus ihm stieg ein Mann in einer Chauffeursuniform, der nun in ihre Richtung blickte.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte sie ihren Mann.

»Weiß ich nicht. Aber ich denke, das werden wir gleich herausfinden.«

Der Fahrer hielt einen weißen Briefumschlag in den Händen. Er kam direkt auf sie zu, nein, er eilte sogar.

Harry bildete sich einiges auf sein gutes Gespür ein. Es hatte ihm 1918 am Himmel über Belgien gute Dienste geleistet, wie auch bei seinen diversen Auslandseinsätzen für das Außenministerium. Mehrmals hatte es ihn schon vor Schaden bewahrt. Einmal sogar … vor dem Tod.

Nun sagte ihm selbiges Gespür, dass der Umschlag, den der Mann brachte, eher keine guten Neuigkeiten enthielt.

»Sir Harry Mortimer?«

Es war weniger eine Frage als eine Bestätigung.

Harry nickte kurz. Er bemerkte, wie auch Kat alles interessiert beäugte. Vermutlich fragte sie sich, worum es hier gehen könnte.

Der Chauffeur hielt Harry den Umschlag hin. »Dringendes aus Whitehall, Sir. Ich soll warten.«

Harry nahm den Umschlag und grinste Kat verhalten zu. »Warten, hm? Und worauf?«

Er zog die eingesteckte, aber nicht verklebte Umschlaglasche auf und holte ein einzelnes Blatt heraus. Sowohl das Wappen als auch die Adresse waren ihm bekannt. Die Nachricht war erbärmlich kurz, allerdings auch sehr klar.

»Was ist das, Harry?«

Ihm entging nicht, dass seine Frau ein wenig besorgt klang. Als sie sich dem Hafen von Newhaven genähert hatten, hatte Harry ihr geschildert, wie ihr künftiges gemeinsames Leben in seiner Heimat aussehen würde. »Kein Umherziehen mehr für mich«, hatte er gesagt. »Eine nette, ruhige Bürotätigkeit in der Stadt, nur ein paar Tage die Woche am Schreibtisch, Lunch im Klub, und um fünf bin ich zu Hause, keine Hals-über-Kopf-Aktionen …«

Worauf sie mit »Das wage ich zu bezweifeln« geantwortet hatte.

Er holte tief Luft und überlegte, wie er sich vor dem drücken konnte, was man laut diesem Brief von ihm wollte.

Es tat sich keine Lösung auf, also drehte er sich zu Kat um.

Sie sah seinem Blick an, dass Harry nicht glücklich war. Es hatte nur Sekunden gedauert, den Brief zu lesen, doch was darin auch stehen mochte, ihr Mann war … nicht erfreut.

»Dringende Besprechung. Es klingt ein wenig kopflos, aber anscheinend wollen sie mich dabeihaben.«

»Ach ja? Wann?«, fragte sie. Obwohl … Da der Chauffeur schon hier war, konnte sie sich die Antwort denken.

»Jetzt gleich, wie es scheint.« Er wedelte mit dem Brief herum. »Hier steht etwas von ›Krise‹, und die Herren im Ministerium gehen mit derlei Ausdrücken gewöhnlich sparsam um. Also …«

»Jetzt?«

Sie schaute sich um und sah, dass in diesem Moment ihr Alvis auf der Pier aufsetzte. Zwei Männer begannen, die schweren Persennings abzunehmen, die den Wagen auf der Reise geschützt hatten. Ein Stück des Lacks in British Racing Green blitzte im Sonnenlicht.

»Wir wollten doch zusammen zu unserem neuen Zuhause fahren, oder nicht? Die Laster bringen alles andere.«

»Na ja, rein theoretisch stehe ich immer noch – du weißt schon – im Dienste Seiner Majestät.«

»Ja, und du solltest dich in einigen Wochen melden. Aber auch dann nicht für einen Vollzeitposten.«

Harrys Blick wanderte nach rechts. Seine unglückliche Miene brachte Kat beinahe zum Nachgeben. Beinahe.

»Sag diesem charmanten Herrn, dass wir Dinge zu erledigen haben. Du kannst sie morgen treffen.«

Und nun tat Harry etwas, womit er stets ihre kleinen Meinungsverschiedenheiten beendete.

Er trat einen Schritt auf sie zu, lächelte verhalten, aber äußerst warmherzig – genau wie an dem Silvesterabend in der britischen Botschaft in Kairo, als wir uns kennengelernt haben. Und er legte eine Hand auf ihre Schulter.

Für einen Moment gab es nur sie beide auf der Pier.

»Ich weiß. Aber was, wenn es um dich ginge? Zurück in New York? Irgendein Bursche vom Ministerium?« Er stockte, die Hand nach wie vor auf ihrer Schulter – und Kat wusste, wie es ausgehen würde. »Was würdest du tun? Was könntest du tun?«

Und langsam erwiderte sie sein Lächeln, während sie auf seine Hand an ihrer Schulter klopfte.

»Schon okay, Harry. Ich verstehe es. Die Pflicht ruft.«

»Genau. König und Vaterland. Da steht es uns nicht zu, nach dem Warum zu fragen. Und keine Sorge, wir nehmen die Limousine in die Stadt, und ich lasse uns von Alfie wieder herfahren, sobald die Besprechung zu Ende ist.«

Alfie musste noch jemand aus Harrys Leben sein, den sie bisher nicht kennengelernt hatte. Sein – wie hatte er ihn genannt? – »Offiziersbursche« während des Krieges.

Jemand der, wie Harry gesagt hatte, absolut loyal war und alles für ihn tun würde, sogar, ihnen ihr Londoner Quartier zu beschaffen.

»Höchstens ein paar Stunden, dann kommen wir gleich wieder her, holen unseren Wagen und fahren los. Mit ein bisschen Glück ist die Krise dann überstanden.«

Das war also Harrys Plan. Doch Kat hatte noch nie viel vom Herumsitzen und Warten gehalten. Nicht, wenn es etwas zu erledigen gab.

»Nein«, sagte sie lächelnd. »Ich habe eine bessere Idee.«

Nun war es an Harry, überrascht zu sein. »Hast du?«

Und Kat nickte.

2. Die Sussex Downs

Harry kannte Kat gut genug, um zu wissen, dass sie durchaus ihre eigenen Vorstellungen von den meisten Dingen hatte. Und ihr war jede Scheu fremd, sie zu äußern.

»Steig du in den Wagen, fahr nach London und geh in deine Besprechung«, sagte sie. »Löse die Krise.«

Er lachte. »Hier neigen wir dazu, uns Zeit zu lassen mit dem Regeln von Krisen.«

Er sah hinüber zu dem wartenden Fahrer, dann zu dem Lastwagen, der mit ihrem Gepäck beladen war und gerade losfuhr.

»Und ich«, sagte sie langsam, »fahre zu unserem neuen Heim.«

Das hätte ich ahnen müssen, dachte Harry. Der Alvis … »Ja, ähm … gut. Aber es ist Folgendes, Kat …« Sie sah ihn mit ihren unglaublich blauen Augen an. »Die Straßen hier sind teuflisch«, sagte er. »Höllisch eng, verstehst du? Und hin und wieder haben wir diese vertrackten Tunnel – und Eisenbahnbrücken, weißt du? Nur eine Spur und mit Gegenverkehr. Man riskiert Kopf und Kragen …«

Kat legte eine Hand auf seinen Arm. Und mit dieser Berührung hatte er die Diskussion schon verloren.

»Harry, ich bin auf Landstraßen rund um Kairo, Istanbul und Rom gefahren. Ich denke, ich werde mit euren Straßen hier zurechtkommen. Die Karte ist im Handschuhfach, stimmt’s?«

Er nickte, fand allerdings, es wäre einen letzten Versuch wert. »Und wir fahren auf der linken Seite. Bist du jemals links gefahren?«

»Links, rechts, ist doch alles dasselbe, nicht wahr? Ich finde zum Haus. Und ich sorge dafür, dass alles richtig ausgeladen und eingeräumt wird. Vielleicht lerne ich sogar diese Haushälterin kennen, von der du so viel erzählst.«

»Die liebe Maggie. Du wirst sie mögen.«

»Sicher, das werde ich. Also ist es entschieden.«

Für einen Moment stand Harry da. Er hatte hin und wieder verirrte Amerikaner auf den hiesigen Straßen gesehen. Ein Furcht einflößender Anblick.

»A-aber auf dem Land sind die Hecken und, nun ja, es gibt ein gewisses Protokoll, wer wen vorlässt …«

»Protokoll? Mit Protokollen kenne ich mich aus.«

Nun kam sie näher an ihn heran und senkte die Stimme. Eine Stimme, die ihn an ihre erste Begegnung erinnerte. Als er sich verliebt hatte.

»Ich schaffe das.«

Harry nickte, denn offenbar war die Diskussion beendet. »Na schön, tja, ich gehe dann lieber, hm? Pass auf dich auf. Ich nehme den ersten Zug nach Mydworth, den ich bekomme, und ein Taxi vom Bahnhof. Hoffentlich bin ich nicht allzu lange nach der Cocktailstunde zu Hause.«

»Oh ja, das hoffe ich auch … Der erste Abend im neuen Heim. Ich hatte mich darauf gefreut.«

»Ich mich auch. Tja …« Er sah zu dem Alvis und zurück zu Kat. Und küsste sie. Ihn kümmerte nicht, wer es sah. »Na gut. Ich muss mich beeilen.« Mit diesen Worten drehte er sich um und eilte zu dem offiziellen Wagen, wo bereits die Tür für ihn geöffnet worden war.

Als er sich auf die Rückbank setzte, konnte er Kat lächelnd an der Pier stehen sehen.

Ein letztes Mal winkte er ihr zu, dann fuhr der Wagen von der Pier weg und in Richtung London.

Irgendwo zwischen Newhaven und Mydworth fuhr Kat an den Straßenrand, um zu verschnaufen. Sie hatte Harrys Warnungen entschieden zu wenig ernst genommen.

Zunächst war es wie immer aufregend gewesen, am Steuer des großen Wagens zu sitzen. Die Straßen waren ausreichend breit, die Sonne schien am blauen Himmel, und das Meer glitzerte, als sie die Küste entlang westlich in Richtung Brighton fuhr. Es herrschte kaum Verkehr, abgesehen von langsam tuckernden kleinen Wagen, Lieferfahrzeugen, Bussen und Pferdefuhrwerken.

Alle fuhren gelassen an ihr vorbei und hupten kurz zum Gruß.

Dann kam Brighton, die Promenade mit den eleganten Hotels und Villen auf der einen Seite. Dort drehten sich die Leute zum kehligen Röhren des Alvis-Rennmotors um.

Sie liebte es. Der Wagen machte Eindruck.

Dies war England. Das England, von dem sie als Kind gelesen und das sie in zahlreichen Filmen gesehen hatte. Und sie, Kat Reilly – Tochter eines Barbesitzers aus der Bronx – fuhr nun in einem glänzend grünen Sportwagen durch die berühmten Orte wie ein Filmstar, mit Sonnenbrille und dem fliegenden Haar im warmen Wind.

Kat Reilly!

Bin ich noch Kat Reilly? Oder höre ich jetzt auf den Namen … Lady Mortimer? In der heutigen Zeit? Hm …

Darüber sollten sie sich später unterhalten. Vielleicht nach den Cocktails.

Dann aber, als sie ein wenig schneller als angemessen durch einen gemauerten Tunnel fuhr, hätte sie um ein Haar den Kühler des Sportwagens in den eines entgegenkommenden Busses gerammt. Der Fahrer funkelte sie erbost an, als er mit quietschenden Reifen auswich und sehr dicht an ihr vorbeisauste. Der kostbare Alvis war nur noch Zentimeter von der Mauer entfernt gewesen.

Mit klopfendem Herzen war Kat danach strikt auf der linken Seite geblieben. Hinter ihr hatte der Bus dichten Qualm ausgestoßen, und die Fahrgäste hatten sich zu ihr umgedreht. Ist der Wagen womöglich ein noch selteneres Phänomen als eine Frau am Steuer?

Nun, dachte sie beim Blick über ein Weizenfeld in der spätnachmittäglichen Sonne, eine Lektion habe ich schon mal gelernt: Eisenbahnbrücken in England können heikel sein.

Dann löste sie die Handbremse, trat aufs Gaspedal, schwang das Lenkrad herum und bog zurück auf die Straße. Im Rückspiegel saß sie Staubwolken, die von den hinteren Reifen aufstoben.

Harry schaute zum Parlamentsgebäude, als der Wagen über die Westminster Bridge glitt. Big Ben schlug eben fünf Uhr. Wie Kat sagen würde, »eine höllische Zeit für eine Besprechung«. Auf den Straßen wimmelte es bereits von Büroangestellten und Geschäftsleuten, die auf dem Weg nach Hause und ins Wochenende waren.

Harry war schon seit ein paar Jahren nicht mehr in London gewesen – sein Posten in Kairo war immer wieder um sechs Monate verlängert worden.

Und jetzt, als er die Busse mit den offenen Oberdecks sah, die sich zwischen den Taxis, Automobilen, Lastwagen, Motorrädern und Pferdefuhrwerken zum Parliament Square drängten, empfand er ein wohliges Kribbeln, weil er wieder Teil des Gewusels war.

Es gab viele großartige Städte auf der Welt, doch keine (bisher!) war so aufregend wie London. Zeitungsjungen riefen die Abendausgabe der Post aus. Ein alter Soldat spielte auf einer Zigeunergeige, seine Kappe umgedreht vor sich auf dem Pflaster. Ein Botenjunge sprang auf die hintere Plattform eines vorbeifahrenden Busses. Eine Gruppe kichernder Mädchen kaufte Eiskrem an einem Straßenkarren.

Wie er diese Stadt liebte!

Er konnte es nicht abwarten, sie seiner frisch angetrauten Frau zu zeigen – den ganzen hektischen Spaß hier, die Bars, Klubs, Restaurants, Theater, Cafés, die Oper, die Tanzveranstaltungen …

Kat würde das alles genauso lieben, das wusste er.

Und hatten sie sich erst in Mydworth eingelebt, würde er mit ihr herreisen und eine ganze Woche an seinem kleinen Wohnsitz in Bloomsbury verweilen, einige Partys besuchen und das Beste aus seinem neuen Leben des Teilzeitmüßiggangs machen.

Mit London und Mydworth hatten Kat und er das Beste zweier Welten gewonnen. Perfekt!

»Sir«, sagte der Fahrer – und Harry erkannte, dass sie in der King William Street angekommen waren, dem Haupteingang zum Außenministerium. Auch hier bewegte sich bereits ein steter Strom von Büroangestellten nach Hause.

Harry stieg flink aus. Zum Abschied nickte er dem Fahrer zu und blickte dem wegfahrenden Wagen nach, während er sich Jackett und Krawatte richtete. Beides war nicht so streng wie seine übliche Bürokleidung gehalten, aber damit mussten sie sich hier eben abfinden.

Er drehte sich um und schaute an dem enormen Gebäude nach oben, das sich von der Parliament Street bis zur Horse Guards Parade erstreckte.

Das Parlament und Downing Street konnte man vergessen … Dies hier war die wahre Schaltzentrale des British Empire.

Und nun, rein theoretisch, für die nächsten Jahre sein Arbeitsplatz.

Er stieg die Stufen hinauf, in entgegengesetzter Richtung zu den herausschwärmenden Angestellten, und grinste einem bekannten Polizisten zu, der am Eingang Wache hielt, die Hände auf dem Rücken verschränkt.

»Guten Abend, Arthur!«

»Sir Harry! Wie schön, Sie wieder bei uns zu sehen!«

»Ja, es ist wunderbar, zurück zu sein.« Abermals betrachtete Harry das Gebäude. »Dies hier hat mir fürwahr gefehlt. Und wie geht es Marjory und den Sprösslingen?«

»Ich kann nicht klagen, Sir.« Er schmunzelte. »Jedenfalls nicht zu sehr! Die Kleinen halten mich jung.«

»Oh ja, das tun sie gewiss.« Harry lächelte und ging durch die Drehtür in die prächtige Eingangshalle.

Mit ein wenig Glück, dachte er, bin ich um halb sieben hier raus, erwische den Sieben-Uhr-Zug von Victoria aus und bin um acht in Mydworth. Dann gibt es Gin-Tonics mit Kat im Garten des Dower House – dem kleineren Landhaus ganz nahe beim Herrenhaus der Familie, Mydworth Manor.

Kat musste gestehen, dass sie sich hoffnungslos verfahren hatte.

Die Straße, die sie genommen hatte, hatte sich in ausschweifenden Kurven immer höher in die dunkel bewaldeten Hügel gewunden, bis schließlich Lücken zwischen den Bäumen aufgetaucht waren und ein schwindelerregendes Plateau von hohem, fruchtbarem Farmland freigegeben hatten. Das Meer war ungefähr dreißig Meilen weit weg – ein Silberstreif in der Ferne.

Doch irgendwie war es falsch. Dies war auf keinen Fall die Strecke nach Mydworth.

Sie fuhr an den Straßenrand, schaltete den Motor aus und saß in der wohlig warmen Stille. Vorübergehend vergaß sie die Fahrt, die vor ihr lag, und ließ sich ganz von der englischen Landschaft einnehmen. Nur für ein paar Minuten, dachte sie.

Ihr fielen die Augen zu.

Hoppla, Kat, wach auf!

Sie schüttelte den Kopf und stieg aus dem Auto. Dann nahm sie die Karte vom Vordersitz und breitete sie vollständig auf der niedrigen Motorhaube aus, um zu ergründen, wie sie fahren musste.

Nach Mydworth konnten es nicht mehr als zehn Meilen sein, oder? Leider sahen die Straßen auf der Karte eher wie verdrehte Maschen in einem schlecht gestrickten Pullover aus, der sich aufzuribbeln begann.

Auf einmal hörte sie ein Grollen. Irgendeine Maschine.

Sie blickte von der Karte auf in die Nachmittagssonne. Für ein Land, von dem sie gehört hatte, es wäre ständig bewölkt und trübe, war der Himmel erstaunlich blau. Recht schön.

Die »grollende« Maschine kam in Sicht. Sie tauchte aus einem Feld mit hohem Weizen auf, nur wenige Meter von Kat entfernt.

Ein alter Traktor, rot mit rostiger, abblätternder Farbe. Er zog einen Holzkarren, in dem ein Schäferhund stand und über die Kante spähte. Der Traktor stieß graue Rauchwolken gen Himmel, und als er näher kam, nickte der Fahrer Kat zum Gruß zu.

Sie lächelte dem Mann mit der Mütze, dem Stoppelbart und der zweifelnden Miene zu. »Verzeihung, aber, ähm, ich frage mich …« Sie wies zu der Karte. Es war schwierig, sich über den Motorlärm verständlich zu machen. Lauter sagte sie: »Können Sie mir vielleicht … ähm … erklären …« Erneut zeigte sie auf die Karte und wurde noch lauter. »Ich will nach Mydworth!«

Der Mann, der sehr hoch über ihr saß, verlangsamte den bereits kriechenden Traktor, bis er stehen blieb. Dann schaltete er den Motor mit einem pfeifenden Keuchen aus.

»Amerikanerin, was?«, fragte er. »Was machen Sie denn hier?«

»Äh, ja, Amerikanerin, und was ich hier mache, ist … Ich versuche, nach Mydworth zu gelangen.«

»Mydworth?«, fragte er, als hätte er noch nie davon gehört. »Mydworth?«

Typisch, dachte Kat. Ich gerate an einen Mann, der noch nie seine Farm verlassen hat.

Sie wartete, während er sie musterte.

»Ist es weit?«, fragte sie. »Wenn Sie mir nur zeigen könnten …«

»Weit? Nein, ist nicht weit.« Der Mann schnaubte und blickte sich nach seinem Hund um, als wollte er sich vergewissern, dass der ihrer Unterhaltung folgte. »Aber Sie fahren in die falsche Richtung, so viel steht fest.«

Nicht gerade der hilfreichste Einheimische, den ich jemals getroffen habe, konstatierte Kat.

Dann jedoch kletterte er von seinem Traktor, bedeutete ihr mit einem Kopfnicken, ihm zu folgen, und ging auf die andere Straßenseite. Kat schaute zu dem Hund, der beschlossen hatte zu schlafen, und ging dem Farmer hinterher.

Er blieb am Straßenrand stehen und wies mit ausgestrecktem Arm über ein Weizenfeld zu einem Tal, das nur eine halbe Meile weit weg lag.

»Sehen Sie das da?«, fragte er. »Das ist Mydworth.«

Kat folgte seinem Arm mit ihrem Blick und sah hinunter ins Tal. Dort, zwischen sanften Hügeln, lag ein klassischer englischer Ort. Wie aus dem Bilderbuch.

»Das könnten Sie in fünf Minuten zu Fuß schaffen«, sagte er. »Wäre da nicht Ihr Automobil, was?«

Sie betrachtete den kleinen Ort: eine Ansammlung von Häusern und Straßen, ein paar Kirchtürme und in den Wiesen am Rand einige prächtige Herrenhäuser. Ein Fluss mäanderte träge hinunter ins Tal.

Etwa eine halbe Meile von der Ortsmitte gab es einen Bahnhof, aus dem in diesem Moment ein Zug in Richtung Hügel ratterte und dabei Dampf- und Rauchwolken in die Höhe schickte.

Das also ist Mydworth, dachte sie. Mein neues Zuhause.

Und plötzlich machte es ihr gar nichts mehr aus, dass sie sich verfahren hatte.

3. Willkommen in Mydworth

Harry sah den langen Konferenztisch hinab. Die Luft war von Zigarren verqualmt. Zwanzig oder mehr Außenpolitik-Experten jedweder Couleur waren hier, die Mienen ausnahmslos streng, die Stimmung gedämpft.

Das Durchschnittsalter ist mindestens fünfzig, dachte er. Womit ich der Jüngste im Raum wäre!

Am anderen Tischende las einer der Fernost-Handelsexperten laut aus einer Analyse der Kautschuk-Exporte und britischen Investitionstrends der letzten zehn Jahre vor.

Ist das ihr Ernst? Das soll dringend sein?

Würde sein Arbeitstag von nun an so aussehen? Endlose, langweilige Politikbesprechungen in fensterlosen, verqualmten Räumen?

Das will ich nicht hoffen! Falls doch, schmeiße ich das Ganze gleich wieder hin!

Verstohlen blickte er zu seiner Rolex Oyster. Beinahe sechs Uhr. Diese »Krisensitzung« ging jetzt schon seit einer Stunde, und bisher hatte er keine Ahnung, warum er hergebeten worden war.

Anscheinend gab es Gerüchte über einen kommunistischen Aufstand in Malaysia. Falls sie stimmten, würden die britischen Investitionen in der Gegend schnell in sich zusammenfallen, und es könnte Millionenverluste geben.

So, wie es aussah, gingen an der Börse bereits Gerüchte von einem Notfall um.

Doch Harry war Nahostexperte. Das Einzige, was er über Kautschuk oder Gummi wusste, war, dass sein geliebter Alvis mit Michelin-Reifen fuhr.

Was hat all dies mit mir zu tun, dachte er.

Er sah hinüber zu Sir Carlton Sinclair, dem Vorsitzenden – und Harrys Chef. Carlton bemerkte seinen fragenden Blick und hüstelte laut.

»Verzeihen Sie, Gentlemen, ich fürchte, Mortimer und ich haben eine weitere Besprechung in zehn Minuten. Daher müssen wir Sie bald verlassen.«

Harry nahm ein winziges Flackern in Carltons Augen wahr.

Noch eine Besprechung? Davon hat Carlton nichts erwähnt.

Doch auf einmal kam Harry der Gedanke, dass der wahre Grund, weshalb er nach London zitiert worden war, bald enthüllt werden würde.

»Sir Harry ist kürzlich aus Kairo zurückgekehrt, wo er – unter anderem – die Aufgabe hatte, ähm, nationalistische und kommunistische Vereinigungen im Auge zu behalten. Ich habe ihn in der Hoffnung hergebeten, dass wir alle von seiner Erfahrung profitieren können, auch wenn er sie in anderen Gefilden sammelte. Sir Harry, ich glaube, Sie haben eine kurze Vergleichsanalyse angefertigt …«

Oh nein, habe ich nicht, dachte Harry. Und das weißt du auch.

»Vielleicht könnten Sie uns kurz aufklären, bevor wir zu unserer nächsten Besprechung eilen?«

Harry lächelte und hoffte, dass er auf die Weise einige Sekunden schinden konnte, um seine nicht existente Analyse vorzubereiten. »Natürlich, Sir Carlton – und ich danke Ihnen vielmals für Ihre einleitenden Worte.«

Er schlug sein Notizbuch auf einer Seite auf, die eng beschrieben war (ein Vergleich von forellenhaltigen Flüssen nahe Mydworth, die er Kat im Herbst zeigen wollte), und strich einmal mit dem Finger über das Geschriebene, als müsste er sich an die besonders wichtigen Punkte erinnern.

»Meine Herren, ich würde gern mit ein wenig Hintergrundinformationen beginnen, sofern ich darf. Ich bin 1925 als diplomatischer Attaché nach Kairo gekommen …«

Kat fuhr langsam nach Mydworth hinein, wo das tiefe Brummen des Alvis in den engen Straßen hallte.

Die Bürgersteige waren beinahe leer, alle Läden geschlossen, die Rollos heruntergezogen und die Markisen eingeklappt.

Sie vermutete, dass die meisten Leute bereits zu Hause beim Abendessen saßen. Dem Dinner? Oder wie heißt das hier drüben?

Einige Automobile und hin und wieder ein Pferdekarren fuhren vorbei.

Sie gelangte zu einer kleinen Kreuzung. Nach links führte eine Kopfsteinpflasterstraße abwärts zu einem ferneren Flussufer.

Nach vorn verlief die Straße an einem Pub vorbei und verschwand hinter einer Biegung.

Beim Pub – dem King’s Arms – standen die Türen weit offen, und einige Arbeiter tranken Pints, genossen eine Pfeife und beobachteten nun neugierig die Fremde in dem grünen Sportwagen.

Da muss ich mal mit Harry hin, dachte sie. Jetzt gerade wäre ein Ale oder was immer sie dort für ein Bier trinken, genau das Richtige.

Sie schaute nach rechts: ein Marktplatz, wie es aussah, umgeben von mehreren Läden – Café, Bäckerei, Zeitungsladen. In einer Ecke befand sich eine Wassertränke für Pferde, außerdem eine Wasserpumpe. Und am anderen Ende stand ein hohes Gebäude, fast so hoch wie die Kirchtürme. Eine Art Rathaus, vermutete Kat.

Sie hielt kurz an, denn auf der Straße war es ruhig. Draußen vor dem Pub war niemand. Nun kramte sie die handgezeichnete Skizze hervor, die Harry ihr vor rund einem Monat angefertigt hatte – wobei er nicht damit gerechnet hatte, dass Kat sie nutzen würde, um allein zu ihrem neuen Heim zu finden!

Danach legte sie den Gang ein, fuhr über den Platz und eine andere Kopfsteinpflasterstraße einen sanften Hügel hinauf. Auf der anderen Seite sah sie noch mehr Geschäfte. Sie stellten die Grundausstattung dar, die man für das hiesige Leben brauchte: Metzger, Bäcker, Schuster, Schmied, Fischhändler, Milchgeschäft …

Die Häuser waren zweigeschossig mit winzigen Fenstern im ersten Stock und teils ein bisschen schiefen Giebeln. Sie wirkten sehr mittelalterlich.

Oben kam noch eine Kreuzung. Geradeaus ging es zu einer großen Kirche mit Friedhof. Und an einer Ecke befand sich noch ein Pub (natürlich). Das Green Man sah ein wenig vornehmer aus. Die Eingangstür war breit genug, dass man mit einem Auto hineinfahren könnte, und es gab sogar ein Restaurant.

Noch ein Blick auf Harrys Mappe, dann bog sie nach links und gleich wieder rechts auf einen Feldweg, der hinten um die Kirche herum und einen kleinen Hügel hinauf aus dem Dorf führte.

Falls sie die Karte richtig gelesen hatte, ging es hier zum Dower House. Und mit ein wenig Glück hatte Harrys Haushälterin Maggie alles vorbereitet, die Betten gelüftet, vielleicht ein Feuer gemacht und Kaffee auf dem Herd.

Kat lächelte. Schon jetzt fühlte sie sich wie zu Hause.

Harry wich den frühen Theaterbesuchern auf der Victoria Street aus und rannte in Richtung Bahnhof.

In zwei Minuten fährt der Zug! Oh Gott!

Vorbei an den Bussen, der Reihe wartender Taxis und in den Bahnhof Victoria Station, wo es von Leuten wimmelte. Die Luft stand vor Dampf und Rauch, die Zeitungsverkäufer und Gepäckträger riefen laut, Zugräder kreischten und Loks pufften.

Harry suchte die Gleisnummer auf der Anzeigetafel raus und rannte wieder los, durch die Menge der Pendler, im Bogen um einen fülligen Gepäckträger herum und musste beinahe eine Hockwende über einen leeren Karren machen.

In dieser Situation zahlte sich aus, dass er jahrelang Rugby gespielt hatte.

Wieder schaute er zur Uhr. Eine Minute noch.

Mit dem Ticket in der Hand rannte Harry auf den Bahnsteig, als eben der Pfiff ertönte. Die großartige Dampflok zischte, ruckelte und setzte sich in Bewegung.

Harry raste den Bahnsteig entlang, griff nach der ersten Tür, die er erwischte, riss sie auf und sprang. Von drinnen packte ihn jemand und half ihm nach oben.

Und nun war er drin, zog die Tür an dem Lederriemen zu und schloss das Fenster, um den Rauch und Dampf auszusperren.

Geschafft!

Er blickte sich in dem Abteil um und quetschte sich in eine Lücke auf dem modrigen Polster, wobei er den anderen Fahrgästen und dem alten Mann neben sich zunickte, der ein Stück rückte, um ihm mehr Platz zu machen.

»Danke, alter Knabe!«, sagte er zu dem Pendler mit Melone, der ihn ins Abteil gezogen hatte.

»Das war ziemlich knapp«, antwortete der Mann, nahm die Times hervor und faltete sie sorgsam auseinander.

Ja, offensichtlich. Ich muss mich erst wieder an die Eigenarten meiner Landsleute gewöhnen. Ist eine Weile her, dachte Harry. »Meine Frau bringt mich um, wenn ich nicht zum Dinner zu Hause bin«, sagte er.

Wie oft hatte er diesen Satz als Junggeselle von anderen Männern gehört und doch nie geglaubt, er würde ihn eines Tages über die Lippen bringen!

Ich bin verheiratet. Ist das nicht interessant? Und auch noch mit einer Amerikanerin!

»Du liebe Güte, ja«, sagte der alte Mann neben Harry. »Es ist erstaunlich, wie wenige solcher Morde je vor Gericht kommen.«

Offensichtlich genoss der Mann es, seine Zeitung zu lesen und dabei hin und wieder Kommentare dazu zum Besten zu geben.

Die anderen Passagiere lachten höflich, und Harry lächelte ihnen zu – doch sie hatten die Nasen bereits wieder in ihren Abendblättern vergraben.

Er wandte sich zum Fenster, um den vertrauten Weg seiner Heimkehr zu verfolgen.

Der Zug fuhr jetzt über die Themse, vorbei an der Chelsea Bridge. Zur einen Seite war Battersea Park zu sehen, wo Familien entspannt die frühabendliche Sonne auskosteten. Zur Linken befand sich eine enorm große Baustelle – vermutlich das Fundament für Londons großartiges neues Kraftwerk.