Nach dem Winter - Katharina Reger - E-Book

Nach dem Winter E-Book

Katharina Reger

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Beschreibung

Niemals hätte der Hirtenjunge Edwin gedacht, was auf ihn zukommen würde, als er den verletzten Paluk Fibus trifft. Zusammen fliehen sie vor der drohenden Macht der dunklen Nacht durch die fantastischen Welten des ungeborenen Landes zur Siedlung der Wichte. Doch die Füchse folgen dicht hinter ihnen ...

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Inhalt

Ein sonderbarer Gast

Die Höhle, die Alte

Die Ebene und die Macht der dunklen Nacht

Krypta und ihre Schwestern

Das Herz und die Rosen

Die Siedlung

Der Traum und das Pferd

Der Fuchs mit dem gelben Tuch

Der Karpfen

Ein sonderbarer Gast

Die Lande sind erfüllt von der angenehmen Stille des Winters. In der Ferne wirken die Berge wie große Riesen. Sie sind gehüllt in weiße Gewänder aus Schnee. Die verschneiten Gipfel der Berge glänzen in der morgendlichen Sonne wie golden. Einzelne Schneeflocken fallen vom Himmel herab. Es ist, als ob jede dieser Flocken einen leisen Ton mit sich bringt. Nach und nach legt sich über das Land eine sanfte Melodie. Eine Schar Krähen fliegt vorüber.

Die Sonne schickt ihre wärmenden Strahlen hier in die Niederungen der Talsenke und der Schnee glitzert bunt in allen Farben. Ein Gebirgsbach plätschert die Hänge hinab und formt an seinen Ufern kleine Kreaturen aus Eis. Die winterliche Luft ist beißend kalt. Hie und da spitzt ein leuchtend hellgrüner Grashalm aus dem Schnee. Im Tal ziehen zwei Wichte ihre Schlitten. Sie suchen nach Kleingetier, wie Enten, Rebhühnern und Kaninchen, die in ihre Fallen gegangen sind.

»Du sollst nicht trödeln!«, schimpft der größere Wicht.

Die Wichte frösteln sehr. Der Atem friert an ihren Bärten fest, so kalt ist es. Die Wichte haben dicke Mäntel an, rote Mützen auf und tragen Schneeschuhe aus Seegras und Ästen geflochten. Mit den Schneeschuhen stapfen sie knirschenden Schrittes über einen gefrorenen Teich. Der große Wicht sägt in die Eisdecke des Teiches ein Loch. In das Loch gibt er getrocknete Würmer an Schnüren befestigt. Er setzt sich in den Schnee und wartet auf den ersten großen Fisch am Angelhaken.

»He! Deine Angelschnur wackelt!«, freut sich der kleine Wicht.

Vorsichtig zieht der große Wicht an der Angelschnur. Ein kräftiger Widerstand zerrt gegen das Ziehen. Abrupt lässt es los, das kräftige Ziehen an der Schnur. Der Wicht plumpst auf seinen Hintern und hinterlässt einen ulkigen Abdruck im Schnee. Der Abdruck sieht aus wie ein dicker, kleiner Engel.

»Das war kein gewöhnlicher Fisch!« Der kleine Wicht streicht sich über den Bart, an den kleine Eiszapfen gefroren sind.

»Das Ungetüm ist mir entwischt! Das Zerren an der Schnur war viel zu kräftig für einen Fisch. Das Tier hatte mindestens die Kraft eines Seehundes!«, rümpft der große Wicht die Nase.

Unter der Eisdecke sucht sich das fischige Tier einen Weg durch einzelne Eisschollen, die im eiskalten Wasser taumeln.

»Hast du das Tier gesehen? Es hat sich wieder losgerissen!«, meint der große Wicht.

»Lass uns gehen, mir ist kalt!« Der kleine Wicht reibt sich die Hände.

Ein Eichhörnchen springt zwischen den von Schnee verstaubten Baumkronen umher. Mit jedem seiner Sprünge schüttelt es Schnee vom Baum. Das Eichhörnchen scharrt im Schnee und verschwindet in einer Mulde. Sein buschiges rotes Schwänzchen ist kaum zu sehen. Aus der Mulde heraus springt das Eichhörnchen an einen Ast und knabbert an einer Nuss.

»Wir müssen in die Siedlung!« Der große Wicht zupft an seinem Mantel.

»In die Siedlung?«, fragt der kleine Wicht.

Die Wichte packen ihre Schlitten und ziehen los, zurück in ihre Siedlung, die weit hinter den Bergen liegt. Ein Sturm braut sich zusammen. Die Wolken am Himmel quellen zu grauen, flauschigen Bauschen auf und werfen ein bewegtes Schattenspiel an den Schnee. Ein glitzernder Schleier aus Eis zieht durch das Unterholz und nimmt die Sicht auf die Schattenwesen. Von überall her zieht der Wind aus Nischen und Verästelungen ein eigenartiges Sausen, wie Pfeifen. Das sausende Windgetöse wirbelt in die mit Schnee beladenen Bäume und ein Schneegestöber tanzt über die weiten, weißen Felder. Ein neuer Klang klingt klein und Äste knacken. Schwere, satte Flocken schneien jetzt unentwegt und bündeln sich mit dem kalten Wind zu einem dichten und undurchdringlichen Sturm aus Schnee und Eis. Zwischen den weitläufigen, starken Armen eines Wurzelstockes im Geröll vor der Waldlichtung suchen die zwei kleinen Wichte Schutz vor dem Sturm.

Der kleine Wicht zieht seine Mütze tief ins Gesicht. Der tosende Wind pfeift ihm schrill um die Ohren und züngelt zu ihm hin wie eine Katze, die mit ihren Pranken in ein Mäuseloch tastet, um die Maus zu fassen. Endlich legt der Sturm sich und die Wichte kriechen aus ihrem Versteck hervor, klopfen den Schnee von ihren Mänteln.

»Bei dem Tage meines alten Bartes! Der Himmel war so dunkel, als wäre es fast Nacht!«, stammelt der große Wicht.

Die Wichte packen ihre Sachen und gehen ihrer Wege, dahin, woher sie am frühen Morgen gekommen waren. Hier im Wald wollen sie nicht länger bleiben.

Die kalten Tage des Winters sind gezählt. Es wird Frühling. Drei sehr große Frauen schreiten aus den Bergen. Sie tragen Trachten und bunte Kopftücher. Die Frauen blicken gebannt in den Schnee, der in bizarren Formen schrumpft. Ihre hilflosen, stummen Blicke zeigen, sie haben keine Macht über dieses Tun, das die Natur hier bietet. Die Blicke der Frauen sind müde. Mit Rasseln, Stöcken und geschnitzten Fratzen machen sie viel Krach, um den Winter zu verscheuchen. Sie wecken den Wald aus dem Winterschlaf. Von den Bäumen fallen matschige, schmelzende Tautropfen, die im Echo des Waldes einer nach dem anderen leise klingen. Die Frauen streifen ihre mit bunten Blumen bedruckten Kopftücher ab und werfen sie in den weißen Schnee.

»Ihr Blumen, löst euch aus den Tüchern! Bringt den Frühling«, spricht eine der Frauen mit sanfter Stimme.

Im Schnee leuchten die bunten Blumen der Tücher kräftig in verschiedensten Farben, wie rot, violett, grün und gelb. Ein eigenwilliger Zauber aus Funken sammelt sich über den Tüchern. Die Funken sprühen, bilden einen Kreis, der sanft zerstäubt und auf den Boden sinkt, dort wo die Tücher sind. Aus den Tüchern lösen sich die Farben und sickern in den weißen Schnee. So weit das Auge reicht, sprießen bunte Flecken aus dem Schnee. Wie ein weißes Taschentuch, das die bunte Tinte saugt, so saugt der Schnee die Farben der Tücher.

Der Schnee füllt sich nach und nach mit den bunten Farben. Aus den bunten Flecken winden und drehen sich Unmengen an Blumen. Ganze Blumenbeete tun sich hervor. Kein Schnee ist mehr zu sehen. Die erste warme Frühlingssonne schmilzt den restlichen Schnee und die Erde, die nach Frühling riecht, zeigt, was sie zu bieten hat. Die Wiesen vor dem Wald strahlen in frischem Grün und verwandeln sich in kleine Blumenteppiche. An den Hängen sprießen Schneeglöckchen, Dotterblumen, Gänseblümchen, Veilchen, Krokusse und Tulpen. Die Blumen strecken sich im Sonnenlicht. In voller Blüte riechen sie satt nach frischen, herrlichen Gerüchen. Diese eitlen Blumen zeigen sich in einer frechen, stolzen Pracht und kokettieren, wer die Schönste sei. Die erste Frühlingssonne des neuen Jahres scheint nur für sie. Die Pflanzen saugen unermüdlich mit den jungen Wurzeln das frische Tauwasser. Die Bäume ziehen den neuen Saft in die dünnen, zarten, grünen Triebe und in die ersten dicken Knospen. Der Winter ist gegangen. Väterchen Frost sagt adieu.

Die drei großen Frauen haben den Frühling gebracht. In den Wiesen zeigt sich eine Blumenpracht in den Farben des Regenbogens. Der Regenbogen scheint sich in die Erde gegraben zu haben und will sich nun in Gestalt der Blumen aus der Erde winden. Die drei Frauen winken, wenden sich zufrieden ab und wandern langsam zurück in die Bergwelt hinein.

Am Waldanger arbeiten im Tal fünf kleine Wichte. Sie sägen Holz für einen Bienenstock, der rechtzeitig für diesen Sommer aufgestellt wird. Ihre Bienen sollen auch dieses Jahr wieder gut versorgt sein und möglichst guten Honig machen.

Ein Reiter hoch zu Ross kommt des Weges geritten.

»Verstecken wir uns!«, flüstert der größte unter den Wichten.

Die fünf Wichte huschen hinter eine Hecke.

»Wer ist das?«, flüstern die Wichte, die den Reiter beobachten.

Die Wichte kriechen aus dem Busch heraus.

»He, ihr da! Seid gegrüßt! Ich muss euch warnen! Nicht weit von hier sind Bärenspuren! Die Spuren sind noch frisch!«, weiß der Reiter hastig zu berichten.

»Ach, du erzählst Quatsch!«, lachen ihn die Wichte aus.

Wie sie so lachen, raschelt es im Gebüsch.

»Hört ihr es! Der Bär ist los!«, räuspert sich der Reiter.

Tatsächlich, ein riesiger Bär tappt aus dem Gebüsch. Er stellt sich auf seine Hinterpfoten, steht so aufrecht und brüllt. Das Pferd des Reiters erschrickt von dem Gebrülle, wirft den Reiter ab und galoppiert weg. Die Wichte indes sind auf die Eiche neben dem Bienenstock geklettert. Der Bär geht direkt zu dem Reiter, der am Boden liegt.

»Oh je, oh je! Der Bär wird ihm doch nichts tun?«, jammern die Wichte.

Zum Glück haben die Kleinen ein Seil dabei. Sie werfen dem Reiter das eine Ende herab. Der Bär kommt näher und näher.

»Halte dich daran fest!«, schreit ein Wicht dem Reiter zu.

Der Reiter packt das Seil und schwups, hieven ihn die fünf nach oben in den Baum. Der Reiter ist froh, dass er gerettet ist. Und wo ist eigentlich der Bär? Der tappt unten auf allen Vieren schnurstracks auf ein Blätterfeld zu, in dessen Mitte ein Topf mit Honig steht. Der Bär versucht mit seiner Vordertatze den Honigtopf zu greifen. Es kracht und eine große Staubwolke steigt auf. Der Bär ist in ein Loch gestürzt.

»Ha, ha, ha!«, freuen sich die Wichte und klettern vom Baum herab.

»Jetzt geht mir ein Licht auf! Ihr habt eine Falle gebaut und genau gewusst, dass es hier Bären gibt!«, ärgert sich der Reiter.

Der Reiter springt vom Baum und klopft seine Kleidung zurecht.

»Wir bauen jedes Jahr eine Bärenfalle! Der Bär klaut sonst unseren Honig!«, wissen die Wichte.

Den Bären hieven sie, in einem Netz gefangen, in eine sperrige Holzkiste. Die Kiste mit dem Bären bringen die Wichte in die Siedlung. Dort wollen sie ihn zähmen und tanzen lassen. Der Reiter zieht sich eine dunkle Kutte weit bis über die Augen, dass er nicht zu erkennen ist. Er pfeift seinem Pferd, das schnell angeritten kommt. Wortlos schwingt der Reiter sich auf sein Pferd und reitet geschwind, mit schwarzen, wallenden Gewändern, in die Dunkelheit des Waldes, verschwindet darin, als sei die Finsternis im Wald dem Reiter das, was ihn ausmacht.

Die Dunkelheit des Waldes scheint das zu sein, wohin er zurück muss, was ihm Anlass gibt, sich hier umzusehen. Die Wichte nebenan schäkern und lachen, freuen sich, dass der Bär gefangen ist. Sie beachten den Reiter nicht.

Vor dem Wald treibt ein Junge seine Ziegen auf eine Wiese, setzt sich in die Wiese und pflückt den Löwenzahn. Die Blumen kann er kaum in den Händen halten. Er legt die Blumen nieder und schlingt eine an die andere, bis er eine schöne Blumenkette geflochten hat.

Ein paar Gänse huschen aufgebracht zu den jungen Brennnesseln und knabbern hungrig an diesen.

»Hallo, ist da jemand? Hört mich jemand?« Der Junge hört ein Sausen.

Ringsherum ist nichts zu sehen.

»Hallo!«, ruft der Junge.

»Hallo!«, klingt es in einer flirrenden, zu hohen Stimmlage zurück. Es ist sein Echo.

Inmitten eines Sonnenstrahls, der sich durch den Nebel einen Weg bahnt, sitzt auf einem kleinen Fels ein ulkiger Vogel. Der Vogel hat einen langgezogenen Schatten neben sich und sitzt ganz still. Den Vogel hat der Junge längst entdeckt. Der Vogel ist nicht scheu. Einer seiner Flügel hängt herab. Hat der Vogel sich verletzt?

»Hallo! Wer bist du? Ich heiße Fibus. Du hast die Zeit überdauert, nicht wahr?«, mit leicht gedrehtem Köpfchen blickt der Vogel frech zu dem Jungen hin.

»Was soll das heißen … die Zeit überdauert? Wieso kannst du sprechen?«, zischt der Junge leise wütend.

»Bist du aus der Welt, wie die Ziegen?«, fragt Fibus.

Fibus torkelt zu dem Jungen hin, streicht ihn mit seinem Flügel vorsichtig am Bein und kratzt sich verlegen mit seinem kleinen Krallenfuß am Kopf. Sein Blick ist, als ob er etwas zu verheimlichen hat. Aus seinen Augen spricht ein seltsames Unbehagen.

»Was, wie, Fibus? Bist du ein Vogel?« Der Junge weicht einen Schritt zurück.

»Wie heißt du?«, will der kauzige Vogel wissen.

»Wie ich heiße? Edwin!«, lenkt Edwin trotzig ein.

»Oben in der Baumkrone habe ich mir einen Flügel verletzt und bin auf die Erde geplumpst. Hast du meinen Schwarm gesehen?«, zwitschert Fibus heiser.

Edwin und Fibus sehen sich an und ihre Blicke versinken zueinander in einen gemeinsamen Blick. Fibus ist von kleiner Gestalt, hat schwarze Augen, braun-rot geschecktes flaumiges Gefieder, orangene Entenfüße und einen kleinen gelben Schnabel. Dieser Vogel sieht aus wie ein zu groß geratenes Eulenküken, ein bisschen anders.

Ein seltsames Tier ist das. Den Kopf wendet das Tier wie eine Adlermutter, der nichts entgeht, die wach und gleichzeitig eben sehr müde ist. Fibus gackert vor sich hin. Edwin lauscht angestrengt auf Fibus, versteht ihn aber nicht.

»Was bist du für ein Vogel? Einen Vogelschwarm habe ich nicht gesehen«, antwortet Edwin.

Dieser Vogel gibt mit seinem Blick etwas zu Edwin, das in Edwins Gemüt einen warmen Platz einnimmt. Fibus will mit seinen Blicken warnen oder lenken, weglenken, weg von dieser Wiese hier. Edwin wendet sich verunsichert ab. Ein Wind wirbelt etwas Staub auf und Edwin kneift die Augen zu. In der Dunkelheit der Lider starrt er in eine Finsternis, in der winzigste Funken sind. Die Funken nähern sich, werden größer und finden in dem dunklen Raum, der einzusehen ist, schier keinen Platz. Danach werden sie wieder klein und schwirren in der Ferne wie ein Schwarm Vögel, der von einem dunklen Platz wegfliegt.

»Wo ist Fibus?« Edwin blinzelt vorsichtig mit den Augen.

Fibus ist weg und im Sand sind keine Abdrücke. Edwin blickt um sich. Weder vor ihm noch in den Büschen, auch nicht in der Baumkrone, nirgends ist Fibus zu sehen. An einer Lichtung vor dem Wald ist Fibus auf einen Felsen gehüpft, hat sein Köpfchen zur Morgensonne gedreht und wärmt sich an den ersten Sonnenstrahlen des Tages.

»Die Gestalten der Finsternis gehen nachts auf Jagd. Ich rieche sie. Ist es einigermaßen hell, werden sie uns nichts tun. Die Zeit vergeht zu langsam und lockt die Tiere. Die Füchse sind gefährlich! An der anderen Seite des Baches, im Morast, sehe ich einen der Füchse lauern. Los, schleichen wir uns durchs Dickicht in den Wald! Schau hinter dich in die Finsternis des Waldes! Siehst du sie? Hörst du den tiefen, dumpfen Ton, der leise durch die Lande zieht? Der Ton gibt an, dass die Füchse sich in Rudeln zur Jagd sammeln.« Fibus schaut sich um.

Der eigenwillige Ton klingt klar und fein. Der Ton wird noch leiser und erlischt. Edwin hätte nicht gedacht, der Ton sei von Tieren. Die Füchse sind nirgends zu sehen.

»Was ist das? Dicht hinter uns raschelt es im Geäst. Mach doch was!«, aufgeregt zupft Edwin Fibus an einem seiner Flügel.

Die Ziegen eilen mit viel Gemecker in den Wald.

»Du musst mir folgen! Die Füchse werden uns nicht kriegen. Nimm dich in Acht! Tue stets, was ich dir sage! Ich dulde keine Widerrede. Das kostet uns nur Zeit. Jede vergeudete Minute kann uns zum Verhängnis werden. Wir müssen in den Wald. Dort finden uns die Füchse nicht! Drüben am anderen Ufer des Bachlaufes siehst du sie im Wasser. Sind die Füchse durch den Bach geschwommen, werden sie hier sein!«, wispert Fibus.

Edwin rennt schnell hinter Fibus her. Sein Blick richtet sich kurz zurück, kein Fuchs folgt ihnen. Kröten springen neben die Wurzelstöcke einer Weide. Schlingpflanzen durchdringen mit ihrem Blattwerk den Wald. Der Boden des Waldes ist durchsetzt mit vielen, großen Pfützen. Oben in den Baumwipfeln ist lautes Vogelgezwitscher zu hören. Eidechsen und Schnecken zeigen sich am Wegesrand.

Die Luft ist satt und klar im Wald. Dutzende Moosarten säumen den Waldboden. Dachs und Hasen verstecken sich in ihren Bauten. Eine paar scheue Rehe springen erschrocken ins Gebüsch. Ein Bach schlängelt langsam fließend durch das dichte Unterholz. Das Wasser im Bachlauf wirbelt sich teilweise zu kleinen Strudeln. Am Ufer springen Frösche ins Wasser und ein schwerer Ast treibt im Bach. An den Ufern des Baches liegt eine eigentümliche Stille, eine sanfte Ruhe. Edwins Ohren lauschen dem stillen Treiben des Baches, wie Äste knacken, und den kleinen Wellen, die an die Sandbänke des Baches treiben. Fischreiher verschwinden mit roten, langen Beinen im dichten Schilf. Angeschwemmte Wurzeln unzähliger Weiden säumen die Ufer. Aus dem Wald jault es. Ein Jaulen, wie Hunde, oder sind es Waldgeister, Zwerge und Kobolde?

»Im Wald gibt es allerlei seltsame Geschöpfe!« Fibus hopst unerschrocken weiter des Weges.

Unbeirrt folgt ihm Edwin. Am Weg zieht sich eine Schildkröte in ihren Panzer zurück und die Bäume sind mit vielen verschlungenen Lianen verwachsen. Oben in den Baumkronen sitzen bunte Vögel und putzen eifrig ihr Gefieder. Bienen surren, Frösche quaken und Schmetterlinge landen auf den Blüten neben einem Teich.

»Wo sind wir hier?«, fragt Edwin erstaunt.

»Folge mir! Wir finden in deine Welt zurück! Solange du bei mir bist, passiert dir nichts! Vertraue mir!« Fibus bietet einen seiner Flügel zum Handschlag an.

»Wir sind von nun an in einem anderen Land, dem ungeborenen Land. Mehr kann ich dir nicht sagen. Los, bevor uns die Füchse wieder wittern!« Fibus winkt Edwin zu sich.

Die Sonne spiegelt sich auf der Wasseroberfläche eines Teiches, Blütenduft durchtränkt die Luft und eine Ameisenkolonie bahnt sich, fleißig eine Ameise um die andere, ihren Weg zu einem meterhohen Bau.

Edwin und Fibus stapfen durch den Bach. Kleine Fische zischen hie und da aus dem Bachlauf, schnappen sich die Fliegen und die blau schimmernden Libellen, die knapp und leise flatternd über der Wasseroberfläche fliegen. Je mehr die Sonne ihre Bahn gegen Mittag zieht, desto wärmer wird es. Auf trockenem Boden hopst Fibus furchtbar schnell, Edwin kann ihm kaum folgen. Dicht an dicht stehen hohes Gras und meterhoher Farn. Eine winzige Waldmaus sucht sich einen Weg durch das Gras und fiept aufgeregt. Das Gras ist viel zu dicht, um einen Weg zu finden.

»Es ist noch nicht Nacht! Wir müssen zu den Wichten. In ihrer Siedlung sind wir vor den Füchsen der Ebene sicher!«, quakt Fibus.

Edwin hat sich ein paar große Blätter gepflückt und hält sie sich über den Kopf. Erst regnet es einzelne, dicke Wassertropfen. Danach prasselt ein kurzer, kräftiger Regen herab. Der Regen nimmt die Gerüche einfach weg.

»Regnet es, verliert sich unsere Spur für die Füchse«, denkt Edwin.

Nach einer Weile beruhigt sich der Regen. Kurze Zeit später scheint die Sonne wieder. Fibus kriecht aus einem alten Fuchsbau hervor. Er spreizt seine Flügel und wendet sie gegen das Sonnenlicht, um die nass gewordenen Flügel zu trocknen. Fibus flattert aufgeregt mit den Flügeln. Zusehends machen ihm Fliegen zu schaffen.

Hektisch springt Fibus von einem Bein auf das andere und flattert mit den Flügeln, um die Fliegen loszuwerden. Die kleinen Quälgeister lassen nicht von ihm ab. Kaum hat er mit seinem Flügel die Viecher weggewedelt, setzen sie Sekunden später wieder ihre winzigen Rüssel an den Schnabel und schlürfen von den klebrigen Fruchtresten, die Fibus von seiner letzten Mahlzeit an dem Schnabel kleben hat.

»Ah! Die Fliegen lassen mich nicht in Ruhe! Die piksen und das juckt!«, jammert Fibus.

Wild gestikulierend patscht Fibus, um die Fliegen zu verscheuchen. Anstatt sie loszuwerden, werden es mehr und mehr Fliegen, die ihn piksen. Edwin wirft sein Mäntelchen dem kleinen Vogel über.

»Ah, igitt, igitt! Was für ein scheußliches Mäntelchen!« Fibus schlüpft in das Mäntelchen.

»Was zierst du dich? Ist dir mein Mantel nicht gut genug? Sei froh, dass du die lästigen Fliegen los bist!«, keift Edwin.

»Die Fliegen hätte ich geschnappt. Ich bin ein Vogel! Jetzt hast du sie verjagt, mit deiner Kutte. Ich picke sowieso lieber Körner als Fliegen.« Die Fliegen lassen von Fibus ab.