NACHTS - Luzie Irene Pein - E-Book

NACHTS E-Book

Luzie Irene Pein

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Beschreibung

Alltagsgeschichten Reale mit fiktiven Geschehnissen vereint Träume in Texten verarbeitet

Das E-Book NACHTS wird angeboten von BoD - Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Liebe, Leidenschaft, Erinnerungen, Träume, Fantasie, nachts

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Seitenzahl: 161

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Dieses Werk, einschließlich alle seiner Texte, ist urheberrechtlichgeschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung der Verlage, Herausgeber und des Autors unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherungen und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Personen und Handlungen in diesen Geschichten sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

INHALT

Augenwischerei

Ausritt in der Nacht

Beschützt

Ein Kuss in der Nacht

Kleinkrieg in der Zulassungsstelle

Lippenbekenntnis beim Tanztee

Mit-Leids-Tour

Nur ein Blätterrauschen

Sag niemals nie

Schaffe - schaffe Häusle baue

Traum Job

Trude Rumpel findet das Glück

Wer sich die Suppe einbrockt

Geschichtsbuch

Ich lese jeden Tag

In offenen Gesichtern

Sie erzählen Geschichten

In grauen - bunten Kapiteln

Spiegeln den Inhalt wider

Je nach Hintergrund

Ich lese jeden Tag

In geöffneten Büchern

Viele viele

sind noch nicht zu Ende gelesen

©Luzie Irene Pein

Augenwischerei

Endlich Wochenende.

Die Wohnung ist geputzt und die Lebensmittel vom Einkauf sind im Kühlschrank verstaut. Für mich allein benötige ich nicht viel. Es sei denn, mein Sohn möchte mit mir essen, was relativ selten vorkommt. Egal, ich habe immer eine Reserve. Gemüse und Gemüsesuppen, natürlich von frischen Zutaten. Gekocht und in Portionen eingefroren. Meine Lieblingssuppe ist die Hühnersuppe. Huhn, Hohe - oder Querrippe dazu, Suppengemüse, ein Lorbeerblatt, in der Pfanne geschwärzte Zwiebeln mit Schale, das gibt der Brühe mehr Farbe, ein wenig Ingwer, geschält, und eine Prise Muskatnussblüte. Salz darf nicht vergessen werden.

Ab und zu den Schaum abschöpfen, damit die Kraftbrühe klar bleibt.

Hühnersuppe, ein kulinarisches 'Highlight'.

Oh, mein Magen meldet sich.

Was esse ich denn jetzt? Eine Stulle mit Rübenkraut, die habe ich als Kind schon gern gegessen. Das weckt Erinnerungen in mir.

Ob ich wohl noch in den Garten gehe und Unkraut jäte? Die Fenster müssten auch mal wieder geputzt werden. Nein, dann kann ich mit dem Hausputz von vorn anfangen.

Irgendetwas berührt zärtlich meine Wangen, als ich die Tür öffne und in den Garten schaue. Eine angenehme Brise fächelt mir warme Luft in mein farbloses Gesicht. Die Lichtstrahlen der Herbstsonne fallen durch die vom Wind schaukelnden Äste und tänzeln auf meiner Haut. Sie laden mich ein, den Tag mit ihnen zu verbringen.

Schnell meine Jeans anziehen und eine leichte Jacke mitnehmen, falls es sich abkühlt. Vorsichtshalber lege ich mir den Regenschirm ins Auto, obwohl es gar nicht danach aussieht und auch kein Niederschlag angekündigt ist.

Ab ins Auto, die Arbeit läuft nicht weg. Schnell muss ich noch tanken. Der Tank meines alten Ford Fiesta ist fast restlos leer. Aber mein schnuckeliges, kleines, silbergraues Gefährt bringt mich noch überall hin, und wenn es aus der Waschanlage kommt, glänzt es noch richtig schick. In einem größeren Auto würde ich mir wegen meiner Körpergröße auch verloren vorkommen.

Ich fahre aus der Stadt. Obwohl ich eher am Stadtrand wohne, muss ich doch fast am Zentrum vorbeifahren.

Nach ungefähr zwanzig Kilometern verlasse ich die Landstrasse und biege links ab. Ein kleines Wäldchen an einem Hügel sieht recht einladend aus, und so entschließe ich mich, dort anzuhalten und mir ein lauschiges Plätzchen suchen, um mich von der Hektik der Stadt und meinem Stress auszuruhen. Nur ein wenig abschalten, Landluft atmen, die Seele baumeln lassen. Einfach eins sein mit der Natur. Gott sei Dank habe ich keine High Heels an, sondern meine flachen Schuhe mit den Einlagen vom Orthopäden - angeblich ist ein Bein kürzer ist als das andere - die Schuhe sind halt zweckmäßig. Flachlandtreter eben und für den Schotterweg zum Berg hinauf sehr geeignet.

In meiner Sturm- und Drangzeit gab es eine andere Bezeichnung für die hochhackigen Schuhe. Stöckelschuhe nannte man sie, und sie waren genauso unbequem wie heutzutage. Knochenbrüche, Verstauchungen waren die kleineren Übel, wenn man mit diesen Pumps umknickte. Zum Tanzkleid, ja, da sahen sie perfekt aus. Nostalgie überfällt mich, ich muss kichern.

Leider habe ich nie einen Tanzkurs besucht, aber das ist eine andere Geschichte.

Dazu fällt mir gerade ein, dass wir zu meiner Schulzeit eine sehr neugierige, eifersüchtige Nachbarin hatten, die keine Kinder bekommen konnte. Vor meinem Schulabschluss fragte sie meine Mutter, als sie unseren Vorgarten harkte, wann ich wohl meine ersten Stöckelschuhe und eine Dauerwelle bekommen würde. Meine Mutter antwortete nur mit einem Kopfschütteln und ließ sie stehen. Keine Antwort ist bekanntlich auch eine Antwort.

Die Nachbarin verschwand eingeschnappt und Po wackelnd in ihrem Hauseingang. Meine Mutter lächelte amüsiert und kam ins Haus.

Ich gehe weiter, einen kleinen Feldweg hoch und sehe eine Bank dort oben am Waldrand. Es ist ein sogenannter Mischwald. Nadel- und Laubbäume haben sich hier heimisch niedergelassen oder sind bewusst angepflanzt worden. Wälder sind die grüne Lunge unserer Erde, die unser Klima regulieren, Sauerstoff produzieren, ohne den wir nicht existieren können.

Leider werden viel zu viele Ur- und Regenwälder vernichtet, für die Möbelindustrie, für Papier, Kosmetika, um nur einige Beispiele zu nennen. Sie werden vermeintlich gewinnbringend verarbeitet. Riesige Flächen werden gerodet und zu Rinderweiden nutzbar gemacht, damit alle Welt saftige Steaks kaufen kann. Es wird Raubbau mit unseren natürlichen Schätzen betrieben. Vor allem in den Ländern, in denen es noch Ureingesessene, exotische Pflanzen und Tiere zu erkunden gibt.

Sauerstoff wird auch von Algen in den Meeren erzeugt.

Meine Gedanken schweifen ab. Ich bin doch hierhergefahren, um zur Ruhe zu kommen. Und jetzt das. Liegt es an der Landschaft, dem Frieden, den ich suche und hier finden möchte? Wendet sich mein inneres Schweigen in unbeantwortete Fragen, die ich mir selbst stelle?

Stopp, ich zwinge meine Gedankenflüge zum Anhalten, will sie nicht in ihren Einfällen behindern, nur zu einer kurzen Pause überreden. Ich sehe ausgedehnte Grünflächen am Hang, auf denen Pferde und Kühe nebeneinander in Eintracht grasen. Diese Stille, kein Lufthauch weht. Ich setze meine Sonnenbrille ab, weil sie mir den Blick auf die wunderbare Schöpfung der Natur verdunkelt.

In den Wipfeln der Bäume, die für sich die Farbpalette der Jahreszeit bereits in Anspruch genommen und ihre Blätter in Weinrot und Goldgelb eingetaucht haben, zwitschern Vögel um die Wette. Über ihnen strahlt die goldene Sonne am azurblauen, wolkenlosen Himmel. Gibt es was zu gewinnen? Oder sind sie einfach nur glücklich und mit sich im Reinen? Sie führen ein freies Leben, können sich von den Aufwinden tragen und in ferne Welten gleiten lassen. Im Gegensatz zu uns Menschen, die teilweise nur nach der Uhr leben, immer und überall funktionieren und stets für die Belange anderer bereit sein müssen. Ich beneide die Stars der Lüfte, träume oft, dass ich mit ausgebreiteten Armen über den Dächern fliege und mir die Menschen von oben ansehe. Manchmal komme ich aber auch nicht so hoch. Ich habe den Sinn noch nicht wirklich erkannt, aber in Traumbüchern darüber gelesen.

Natürlich gibt es, wie so oft in wissenschaftlichen Büchern, verschiedene Meinungen der Psychoanalytiker. Egal, ich lausche dem lieblichen Klang der Melodien, meine Schritte werden leichter, meine Gemütslage passt sich ihnen beschwingt an.

So, jetzt noch um die kleine Schonung herum. Die Landschaft liegt vor mir, noch schöner, als ich mir eben ausgemalt habe. Flimmerndes Licht ergießt sich auf eine sattfarbene Wiese mit vielen bunten Wildblumen. Ein Wildbach schlängelt sich in seinem Strombett den Abhang hinunter und mündet in dem Dorfweiher. In dem kristallklaren Wasser spiegeln sich die Umrisse der dunklen Tannen, die am Ufer stehen.

Meine Nasenflügel vibrieren bei dem Duft von frisch geschnittenem Gras auf einem angrenzenden Weideland. Ich ziehe den Geruch gierig ein. Ein Geschenk der Natur. Ich nehme es dankbar an, atme tief ein und aus. Reine Luft strömt in meine Lungenflügel und lässt mich das erste Mal seit langer Zeit wieder frei durchatmen.

Ich darf nicht vergessen, den Rasen zu Hause dringend zu mähen. Hätte ich ein Stofftaschentuch dabei, würde ich einen Knoten hinein machen. Pech. Papiertaschentuch geht nicht, wenn ich es benutze und wegwerfe, entsorge ich auch meine Gedächtnisstütze.

Was ist das? Ich höre eine schrille Stimme, die meinen Gehörsinn reizt und sogar den Tinnitus in meiner rechten Ohrmuschel übertönt. Sie ist laut und bestimmend. Auch hier gibt es scheinbar Streit zwischen Eheleuten, Eltern und Kindern.

Das muss ich mir nicht auch noch antun. In den letzten Wochen habe ich meine Kraft völlig aufgebraucht. Mein Akku ist leer. Zu viele Erinnerungen, Albträume haben meine Gemütsruhe gestört.

Ich stutze. Eine zierliche Person sitzt mittig auf einer morschen, halb verfallenen Holzbank, die jeden Moment zusammenbrechen könnte. Ihr weißes, halblanges seidiges Haar glänzt im Sonnenlicht und rahmt ihr kleines Gesicht bildhaft ein.

Ein modischer glatter Haarschnitt wird von einem schwarzen Samtkragen gestützt, keine Hausfrauendauerwelle, die ich oft bei älteren Frauen sehe. Die Jacke ihres hellgrauen Kostüms hängt locker über ihren schmalen Schultern und dem gekrümmten Rücken. Sie sieht darin so zerbrechlich aus. Weiße, zarte Spitze, die aus den Ärmeln der viel zu großen Kostümjacke heraus schimmert, ziert ihre knöchernen Hände. Sonnenstrahlen lassen Altersflecken auf der Haut aufleuchten. In der einen Hand hält sie einen Gehstock und bewegt ihn recht schwungvoll in alle Richtungen.

Ich schätze ihr Alter auf achtzig oder neunzig Jahre.

Sie unterhält sich sehr angeregt, aber ich kann nicht erkennen, mit wem. Außer ihr und mir ist niemand anwesend. Sitzt da jemand im Gebüsch hinter der Bank? Nein, ich sehe nichts. Ist sie verwirrt? Wie kommt sie hierher?

Die betagte Dame betrachtet mich, nickt, spricht ununterbrochen weiter.

„Siehst du", sagt sie und deutet mit dem unförmigen Zeigefinger der rechten Hand auf ein großes, weiß gestrichenes Haus, das von einer hohen Hecke aus Lebensbäumen eingezäunt geradeaus unten am Ortsrand steht. So, wie es aussieht, ist es ein gepflegtes Haus mit Schieferdach und Dachrinnen aus Kupfer. Angestrahlt, flirrend, wie meine alte Kupferkanne, wenn sich die Lichtstrahlen durch die Butzenscheiben in meinem Wohnzimmer mit ihr vergnügen und bunte Bildstreifen darauf zaubern.

„Genau wie du damals, als du mit deinem Mofa ohne Kopfschutz gefahren bist. Dein Enkel ist ebenso forsch, ein Wildfang. Du wolltest mir mit dem gefährlichen Fahrstil imponieren, nicht auf deine Eltern und schon gar nicht auf mich hören und fühltest dich mit deinen siebzehn Jahren schon erwachsen. Dann bist du gestürzt. Bruchlandung. Kannst froh sein, dass ich dich auch mit deiner krummen Nase geheiratet habe."

Ich bin irritiert. Diese liebenswerte, ältere Dame spricht über ihre Vergangenheit.

Aber Enkelkind? Urenkel erscheint mir sinniger. Ich sehe kein Kind dort unten auf der Straße. Vielleicht ist der Junge, über den sie gerade schimpft, ja schon wieder im Haus?

Sie sieht mich an und bittet mich, neben sich Platz zu nehmen. Hoffentlich hält die von Holzwürmern oder anderen Insekten durchlöcherte Bank das aus und kippt nicht um. Ich setze mich zu ihr. Gott sei Dank. Die Bank ist fest am Erdboden verankert und wackelt nur ein wenig.

„Oh, Männer, meinen, sie hätten die Weisheit mit der Muttermilch aufgesogen. Hängen dauernd am Rockzipfel der Gebärerin. Als Kind wollen sie alles für sich beanspruchen und wenn sie es nicht bekommen, schmollen sie. Ohne uns Frauen bleiben sie kleine Jungs, albern und hilflos. Wenn sie erwachsen sind, ändert sich erst recht nichts."

Ihr Blick wandert wieder zu ihrer linken Seite.

„Schau mich nicht so an. Man sagt doch, in jedem Manne steckt noch ein Kind. Im Alter wird das noch schlimmer. Das nennt man dann Altersstarrsinn. Schauen jedem Weiberrock hinterher, aus nostalgischen Gründen, falls sie sich noch erinnern können."

Die Frau dreht sich wieder zu mir und spricht mich an.

„Sind Sie neu hier, ich habe Sie noch nie gesehen?"

Ich antworte, dass ich aus der Stadt käme, um hier an diesem schönen Fleckchen Erde ein wenig auszuspannen, mal für eine Weile Abstand von dem ganzen Trubel zu nehmen, der sich alltäglich in Firmen, Familien und überall auf den Straßen abspiele.

Auch hier möchte ich mich nicht in Streitigkeiten einmischen.

„Ach, ja", sagt sie und schaut auf den leeren Platz neben sich, „siehst du, mein Herz, es kommen immer noch Leute in unser schönes Dorf, unsere kleine heile Welt, um Ruhe zu finden. Es ist ja auch sehr idyllisch hier. Da, jetzt ist es passiert! Nun liegt er auf der Nase. Es gibt doch Sturzhelme. Warum setzt er keinen auf? Verstehe, die neumodische Frisur sitzt dann nicht mehr. Eitelkeit ist euch Männern ja angeboren."

Ich sehe nichts auf der Straße, nur einen Trecker mit Anhänger, der sich langsam durch die engen Kurven der Straßen von einem Haus zum anderen quält. Die Mitarbeiter der Stadt-Gärtnerei holen den Baum- und Strauchschnitt ab, um ihn zur Kompostierungsanlage in die benachbarte Kreisstadt zu transportieren. Sie sind wohl schlecht gelaunt, denn ich höre ihr lautes Gezeter bis hier herauf.

Vielleicht wäre ich ja auch genervt, wenn ich am Samstag so eine Arbeit verrichten müsste. Da geht es mir ganz gut, obwohl ich zu meiner Rente auch noch hinzuverdienen muss. Na ja, der Rubel muss rollen. Ab und an möchte ich mir auch mal etwas gönnen, eine Tasse Kaffee in angenehmer Atmosphäre und dabei mit netten Leuten plaudern.

Derjenige, der in dieser Zeit einen Job hat, ist froh. Es gibt genug Arbeitskräfte, die nur über eine Zeitarbeitsfirma in einem Betrieb arbeiten und nicht wissen, ob sie dort eine Festanstellung bekommen. Viele stecken dadurch in der Warteschleife fest, wie bei einem Telefonanbieter. Und was ist da mit Familienplanung, mit Alleinerziehenden mit Kind?

„Weißt du noch, mein Lieber, als wir hier aufgewachsen sind? Kaum Häuser, nur Felder, die von den Bauern beackert wurden. Ja, abgerackert haben sie sich alle. Geschunden für ein bisschen Speck, den sie auch auf den eigenen Rippen gebrauchen konnten. Leider hat es nicht funktioniert. Sie brauchten keine Schlankheitskur, denn die schwere Arbeit verbrannte jede Fettzelle ihres Körpers. Die Pfunde purzelten von allein herunter. Kalorien. Joule. War das eine Krankheit? Niemand hätte mit diesen Begriffen etwas anfangen können. Abends krabbelten ihre bleiernen Beine von allein ins Bett."

Ein verschmitztes Lächeln huscht über ihre eingefallenen Wangen.

„Schönes Bild, die langen Unterhosen mit dem Latz vorne zum Aufknöpfen, die nur alle paar Tage gewechselt wurden. Montags war Waschtag. In jedem Haus roch es nach Lauge von Kernseife, die wurde aus Knochen von Tieren hergestellt. Igitt."

Ihr Gesicht verzerrt sich angeekelt zu einer Grimasse.

„Die Wäscheleinen in den Gärten bogen sich unter der Last der bunten Kochwäsche. Nicht jeder hatte das Geld, um sich die weiße Seidenbrokat-DamastBettwäsche zu kaufen. Nur die begüterten Bauern konnten ihren Töchtern die so genannte Aussteuer für die Hochzeit bezahlen. --- Was? Ich soll nicht so laut über die Leute reden? Viele besaßen damals überhaupt nichts. Einige, die keinen Grund und Boden aufweisen konnten, waren als Magd oder Knecht bei Großbauern in Stellung und wohnten auch da. Im Winter wurde viel Zeit im warmen Bett verbracht, es gab noch keinen Fernseher. Alle mussten Brennholz sparen. Kohle und Briketts waren nicht bezahlbar. In dieser Zeit sind viele Kinder geboren worden, und dadurch bekamen die Mütter noch mehr Pflichten auferlegt. --- Du hast richtig gehört, die Frauen hatten doch die meiste Arbeit. Wenn ich an meine Mutter denke, was sie alles geleistet hat. Sie verrichtete ihren Dienst bis zur Erschöpfung. Ihr Körper war am Ende ausgezehrt und verbraucht. Lebensfreude und den Ausdruck Lebensqualität kannte meine Mutter nicht."

Die Dame hustet, atmet schwer und sackt in sich zusammen. Das Gespräch, obwohl nur sie allein redet, strengt sie sehr an.

Jetzt sieht sie noch kleiner und hilfloser aus, als vorher. Was mache ich? Ist denn hier wirklich niemand, außer ihr und mir? Sie schaut mir ins Gesicht, als hätte ich sie bei irgendetwas ertappt. Dann lenkt sie ihren Blick auf ihre Füße. Ich folge ihrem Augenspiel. Sie trägt selbst gestrickte, bunte Wollsocken und versteckt sie schnell in den viel zu großen, grau-schwarz-karierten Filzpantoffeln. Das sind eindeutig Männerhausschuhe.

Ein seltsames Gefühl überkommt mich. Ist sie aus irgendeinem Haus, vielleicht sogar Heim, weggelaufen? Das Beste wird sein, ich nehme sie mit zu meinem Wagen, fahre hinunter in den Ort und frage die Bewohner, ob jemand diese kleine Frau kennt.

„Das wollten wir nicht", erzählt sie weiter, „hatten andere Pläne, studieren, in die weite Welt hinaus, andere Kulturen kennen lernen und natürlich Spaß haben. Kinder wollten wir vorerst auch nicht, darum haben wir auch verhütet. Macht das die Jugend heute auch?"

Ihr Blick ist geradeaus gerichtet.

Will sie jetzt von mir eine Antwort? Was soll ich ihr sagen, da ihr Mann anscheinend anwesend ist. Ich zucke mit den Schultern, nicke verlegen und schaue zur Sonne hinauf. Diese wohltuende Wärme auf meinem Gesicht; und ich tauche für einen Moment in ein Flammenmeer ein, dessen heiße, wogende Wellen, meinen gestressten Körper durchströmen. Was für ein berauschendes, erregendes Gefühl.

„Gut", sagt sie und spricht wieder mit ihrem Mann, „war auch besser so, denn als du in den Krieg ziehen musstest, wäre ich mit einem Kind allein zurückgeblieben. Und die Leute redeten immer, obwohl viele was zu verbergen hatten. Illegitime Kinder von Bauern und deren Mägden, da gäbe es einige Geschichten zu erzählen. Über uns nicht. --- Ja, sicher haben wir noch vorher geheiratet, du musstest ja zur Front. Hast du das alles schon vergessen? Wie kann man das? Ich weiß es noch wie heute. Du hast heimlich einen Walzer geübt, weil du dich beim Hochzeitstanz nicht blamieren wolltest. Hat mir deine Mutter ins Ohr geflüstert. Reg dich nicht auf, es ist doch schon so lange her. Du kanntest sie doch. Man konnte ihr nichts anvertrauen. --- Bist ja immer auf dem Schützenfestball bei mir auf den Füßen gestanden. Konntest nicht mal den Takt halten, darum wollte ich nicht mehr mit dir tanzen. Aber geliebt, lieb gehabt, haben wir uns. Sag jetzt nicht, dass das nicht stimmt. Die Schmetterlinge in unseren schmächtigen Bäuchen kribbelten ganz schön. So, wie du immer hinter mir her geschaut hast mit deinen blauen Kullern. Ich habe schon wahrgenommen, dass du etwas von mir wolltest."

Ihr gebeugter Rücken bäumt sich ein wenig auf, ihre dunkel geränderten, zusammengekniffenen und tief liegenden Augen zucken schmerzlich, als sie in die Richtung sieht, in der sie ihren Mann wähnt. Ihre schmalen, farblosen und spröden Lippen bemühen sich zitternd um ein Lächeln. Eine Träne rinnt über ihre hohle Wange. Eine Perle, in der sich alle Farben eines Regenbogens vereinen, schimmert auf der matten, bleichen Haut. Sie lässt sie laufen, sich ihren Weg suchen. Wie anmutig sie aussieht.

War das, ist das, Liebe? Über den Tod hinaus? Ein winziger Tropfen, der mein Innenleben noch mehr durcheinanderwirbelt. Mein Herz rast, das Blut fließt glühend durch meine Adern. Dieses überwältigende Gefühl von Verliebtsein habe ich auch kennen lernen, leben dürfen. Es war einmal.

Was würde sie tun, wenn ich sie jetzt einfach in den Arm nähme? Nicht aus Mitleid, nein, denn sie erinnert mich an ...

Ich muss plötzlich an meine geliebte Oma denken. Wir sind sehr innig miteinander umgegangen. Meine Oma war immer für mich da, wenn ich sie brauchte und sie brauchte mich.