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In "Napoleon Bonaparte" zeichnet Alexandre Dumas ein vielschichtiges Porträt des korsischen Generals und späteren Kaisers der Franzosen. Geschrieben 1831, als die Erinnerung an die napoleonische Ära noch lebendig war, verbindet das Werk historische Fakten mit der für Dumas charakteristischen erzählerischen Kraft. Ohne den Anspruch strenger wissenschaftlicher Genauigkeit zu erheben, schafft Dumas eine Romanbiografie, die den Leser in die turbulente Epoche eintauchen lässt. Mit lebhaften Dialogen und spannender Prosa schildert er Napoleons Aufstieg vom Artillerieoffizier zum Kaiser und beleuchtet dabei sowohl seine militärischen Erfolge als auch seine Rolle als Reformer und Gesetzgeber. Als Zeitgenosse Napoleons verleiht Dumas dem Werk eine besondere Authentizität. Er vermittelt ein Gefühl für die Atmosphäre des revolutionären und post-revolutionären Frankreichs und die ambivalenten Reaktionen, die Napoleon bei Zeitgenossen auslöste. Obwohl dem Autor nicht die umfangreichen Quellen der modernen Geschichtsforschung zur Verfügung standen, gelingt es ihm, Napoleons komplexe Persönlichkeit zu ergründen und die Faktoren hinter seinen Erfolgen und Niederlagen zu analysieren. Diese Biografie bietet einen fesselnden Einblick in das Leben und die Zeit einer der einflussreichsten Figuren der europäischen Geschichte, erzählt durch die Feder eines der größten französischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts.
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Seitenzahl: 310
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Alexandre Dumas (der Ältere)
Napoleon Bonaparte
Das Leben Napoleons in einer Biographie von Alexandre Dumas
Copyright © 2024 Novelaris
ISBN: 978-3-68931-042-4
Vorwort
Napoleon Bonaparte
Der General Bonaparte
Bonaparte Erster Konsul
Kaiser Napoleon
Napoleon auf der Insel Elba
Die Hundert Tage
Napoleon auf St. Helena
Nachschrift des Übersetzers
Schon trennt uns ein Jahrhundert von der Zeit, als Napoleon Bonaparte, bald vernichtend, bald befruchtend, anderthalb Jahrzehnte den Brennpunkt des europäischen Lebens bildete, aber die Flut der sich mit seiner Person beschäftigenden Schriften ist keineswegs versiegt. Gerade in neuester Zeit erleben wir ja nicht nur auf dem Gebiet des Französischen, sondern auch des deutschen Schrifttums eine wahre Napoleon-Renaissance. Immer wieder lockt der Zauber seiner überragenden Persönlichkeit zu neuen Versuchen, mit der Feder seinen Riesenspuren zu folgen, mehr oder minder scharfsinnig die Quellen seiner Erfolge und Misserfolge aufzudecken, sein Genie und seine Denkart zu zergliedern, das erschütternde Schauspiel seines kometenartigen Auftauchens und Erlöschens zu schildern und den Erben und Vollender der großen Revolution als Sämann neuer Keime aufzuzeigen. War es zunächst mehr ein leidenschaftlicher Kultus, der in kleinlich beengender, tatenloser Zeit ihm, der verkörperten Tatkraft, Weihrauch bot, so trat doch allmählich immer sieghafter die nüchterne Forschung und kritische Betrachtung in ihr Recht. Immer wieder lockt der Zauber seiner überragenden Persönlichkeit zu neuen Versuchen, mit der Feder seinen Riesenspuren zu folgen, mehr oder minder scharfsinnig die Quellen seiner Erfolge und Misserfolge aufzudecken, sein Genie und seine Denkart zu zergliedern, das erschütternde Schauspiel seines kometenartigen Auftauchens und Erlöschens zu schildern und den Erben und Vollender der groben Revolution als Sämann neuer Keime aufzuzeigen. Als Alexandre Dumas der Ältere, Sohn eines der verwegensten Generale des ersten Kaiserreichs, durch eine Lebensgeschichte Napoleons die heroische Zeit des Schlachtenkaisers ins Gedächtnis rief, gab es noch nicht die dem heutigen Forscher zu Gebote stehende Menge von Werken, die uns über alle Einzelheiten von Napoleons Laufbahn unterrichten, seine Schlachten und Kriegszüge kritisch erörtern und Einblicke in sein Seelenleben eröffnen. Es war ja Dumas auch nicht darum zu tun, ein Werk zu liefern, das den Ansprüchen gelehrter Kritiker genügen könne, sein Buch ist wie ein wehmütiger Sehnsuchtsseufzer des französischen Volkes nach der entschwundenen Herrlichkeit der ruhm- und glanzvollen Kaiserzeit und nach dem Manne, der nicht nur die Massen, sondern auch die erlesenen Geister – und zwar keineswegs nur solche in Frankreich – in seinen Bann zwang. Gerade hierdurch erhält nun diese mit allen Vorzügen Dumasscher Darstellungskunst ausgestattete Biographie ihren besonderen historischen und kulturhistorischen Wert, und der Verlag verdient Anerkennung dafür, dass er in der napoleonischen Zentenarzeit auch diesen in Vergessenheit geratenen Zeugen hat auferstehen lassen.
Der Übersetzer hat sich gestattet, hin und wieder, wo Dumas’ Zahlen, Daten usw. mit den Ermittlungen neuerer Forschung zu sehr auseinanderklaffen, zu verbessern oder eine berichtigende Anmerkung einzufügen. Dumas ist zumeist Napoleons eigenen Angaben über die Stärke- und Verlustziffern der einzelnen Schlachten gefolgt, Napoleon aber betrachtete seine Berichte nur wie jedes andere Rüstzeug als Mittel zur Erreichung weiterer Erfolge, er, der mit unübertroffener Meisterschaft und Unbedenklichkeit dem Talleyrandschen Ausspruch gemäß handelte, die Worte seien nicht da, den Willen auszudrücken, sondern zu verhüllen – er, der selbst das Wort geprägt hat: „Die Lüge, einmal geboren, stirbt nicht.“
Am 15. August 1769 wurde zu Ajaccio ein Kind geboren, das von seinen Eltern den Namen Bonaparte, vom Himmel den Namen Napoleon erhielt.
Die ersten Tage seiner Jugend verflossen inmitten der fieberhaften Gährung, wie sie auf Revolutionen zu folgen pflegt. Korsika, das seit einem halben Jahrhundert von Selbständigkeit träumte, war soeben halb erobert, halb verkauft worden und aus Genuas Sklaverei nur entronnen, um in die Gewalt Frankreichs zu fallen. Paoli, bei Ponte-Nuova besiegt, suchte mit seinem Neffen und seinen Brüdern eine Freistatt in England, wo ihm Alfieri seinen Timoleon widmete. Der Neugeborene atmete die schwüle Luft gegenseitigen Bürgerhasses ein, und die Glocke, die zu seiner Taufe läutete, zitterte noch von Sturmsignalen.
Karl Bonaparte, sein Vater, und Lätitia Ramolino, seine Mutter, die beide von patrizischem Geschlecht waren und aus dem reizenden oberhalb Florenz gelegenen Dorfe San-Miniato stammten, waren zuerst Paolis Freunde gewesen, hatten aber dann dessen Partei aufgegeben und französischem Einfluss Gehör geschenkt. Daher war es ihnen ein leichtes, von Herrn von Marboeuf, der als Gouverneur auf die Insel zurückkehrte, wo er zehn Jahre zuvor als General gelandet war, eine günstige Fürsprache zu erhalten, um den jungen Napoleon in die Militärschule von Brienne zu bringen. Das Gesuch wurde bewilligt, und nicht lange darauf wurde in der Liste der Zöglinge von Brienne folgender Eintrag gemacht:
„Heute, den 23. April 1779, ist Napoleon Buonaparte, neun Jahre, acht Monate und fünf Tage alt, in die Königliche Militärschule zu Brienne-le-Château eingetreten.“
Der neue Ankömmling war also ein Korse, das heißt: er kam aus einem Lande, das noch heutzutage mit so kraftvoller Beharrlichkeit gegen die Zivilisation ankämpft, dass es seinen Charakter, wenn auch nicht seine Unabhängigkeit bewahrt hat. Er redete nur die Mundart seiner Heimatinsel; auch war ihm die dunkle Hautfarbe die von der mittägigen Sonne eingeätzt wird, und das düstere, durchdringende Auge des Bergbewohners eigen.
Das war mehr als hinreichend, um die Neugier seiner Kameraden zu erregen und ihre angeborene Unbändigkeit noch zu verschärfen, denn die Neugier der Jugend ist höhnisch und unbarmherzig. Einen Professor, namens Dupuis, dauerte der arme Verlassene; er gab sich die Mühe, ihm Privatstunden in der französischen Sprache zu geben, und nach drei Monaten war der Knabe schon so weit vorgeschritten, dass er daran gehen konnte, die ersten Elemente der lateinischen Sprache zu erlernen. Aber gleich von Anfang an trat bei ihm der Widerwille hervor, den er stets gegen die toten Sprachen beibehielt, während sich anderseits seine Begabung für mathematische Wissenschaften schon in den ersten Lehrstunden bemerkbar machte. Die natürliche Folge hiervon war, dass er die mathematischen Aufgaben für seine Kameraden zu lösen pflegte, und diese ihm dafür die humanistischen Arbeiten und Übersetzungen fertigten, die ihm ein Gräuel waren.
Eine gewisse Vereinsamung, in der sich der junge Napoleon eine Zeitlang infolge der anfänglichen Unmöglichkeit, seine Gedanken mitzuteilen, befand, errichtete zwischen ihm und seinen Schulgenossen eine Schranke, die nie ganz verschwand. Indem aber dieser erste Eindruck in ihm eine peinliche Erinnerung, die fast wie Abneigung aussah, zurückließ erzeugte er jenen frühreifen Menschenhass, der ihn zu einsamen Vergnügungen hinzog, während manche darin die prophetischen Träume des werdenden Genies zu sehen vermeinten. Übrigens verleihen verschiedene Umstände, die bei anderen kaum Beachtung gefunden hätten, den Erzählungen solcher Geschichtsschreiber einige Wahrscheinlichkeit, die da meinten, dem wunderbaren Leben des Mannes müsse auch eine außerordentliche Kindheit entsprechen.
Mit Vorliebe beschäftigte sich der junge Bonaparte in seiner Freizeit mit der Bearbeitung eines kleinen umzäunten Landstückes. Von Neugierde getrieben, stieg eines Tages einer seiner jungen Kameraden, um zu sehen, was er so allein in seinem Gärtchen mache, auf den Zaun und sah, dass er eifrig Kieselsteine nach taktischen Gesetzen ordnete, wobei die militärische Rangordnung durch die Größe der Steine bezeichnet wurde. Da der unbefugte Lauscher ein Geräusch machte, wandte sich Bonaparte um und rief dem Mitschüler ärgerlich zu, er solle hinuntersteigen. Dieser spottete aber über den kleinen Strategen, der nun, doppelt ergrimmt, den größten Stein ergriff und dem Spötter mitten auf die Stirn schleuderte, so dass er, nicht ungefährlich verletzt, hinabstürzte.
Fünfundzwanzig Jahre später, das heißt, als er sich auf dem Gipfel seines Glückes befand, meldete man Napoleon einen Bittsteller, der sich als seinen Schulkameraden bezeichnete. Da sich Betrüger mehr als einmal dieses Vorwandes bedient hatten, um zu ihm zu gelangen, befahl Napoleon seinem Adjutanten, nach dem Namen dieses alten Mitschülers zu fragen. Aber der Name erweckte keine Erinnerung in Napoleon, weshalb er sagte: „Gehen Sie noch einmal hin und fragen den Mann, ob er mir keinen Umstand anführen könnte, der meine Erinnerung weckte!“ Der Adjutant tat, wie ihm befohlen, und kam mit der Nachricht zurück, dass der Fremde, statt aller Antwort, auf eine Narbe an der Stirn gewiesen habe. „Ah! jetzt erinnere ich mich.“ sagte der Kaiser, „ich habe ihm einen Obergeneral an den Kopf geworfen! …“
Während des Winters von 1783 auf 1784 fiel eine solche Masse Schnee, dass jede Erholung im Freien unmöglich war. Bonaparte, der so wider Willen genötigt war, seine sonst der Gartenbeschäftigung gewidmeten Stunden inmitten des ungewohnten Lärms seiner lustigen Kameraden zuzubringen, schlug vor, einen Ausflug zu machen und mit Schaufeln und Spaten eine befestigte Stadt anzulegen, die dann von einem Teile angegriffen, von dem anderen verteidigt werden sollte. Der Vorschlag war zu lockend, als dass man ihn hätte verwerfen können. Natürlich wurde der Urheber des Plans zum Anführer einer Partei erwählt. Seiner Tatkraft konnte die belagerte Stadt nicht widerstehen, sie wurde nach heldenhaftem Widerstand der Feinde genommen. Schon am nächsten Tage schmolz der Schnee; aber diese neue Art des Zeitvertreibs ließ im Gedächtnis der Schüler eine tiefe Spur zurück. Als Männer erinnerten sie sich gern dieses Kinderspiels und wenn sie die Mauern so vieler Städte vor Napoleon fallen sahen, mussten sie der Schneewälle gedenken, die Bonaparte mit ihnen erstiegen hatte.
Wie Bonaparte älter wurde, entwickelten sich die ursprünglichen Ideen, deren Keime schon lange in ihm lagen, und ließen die Früchte ahnen, die sie eines Tages bringen sollten. Verhasst war ihm der Gedanke an die Unterwerfung Korsikas durch Frankreich, die ihn, den einzigen Korsen in der Schule, als Besiegten unter Siegern erscheinen ließ. Als er einmal bei einem Beamten der Anstalt zu Mittag speiste, sprachen die Professoren, die schon mehrmals die nationale Empfindlichkeit ihres Zöglings bemerkt hatten, geflissentlich übel von Paoli. Sogleich stieg ihm die Röte auf die Stirn, er konnte nicht länger an sich halten und rief: „Paoli war ein großer Mann, der sein Vaterland wie ein alter Römer liebte, und niemals werde ich es meinem Vater, der sein Adjutant war, verzeihen, dass er zur Vereinigung Korsikas mit Frankreich beigetragen hat; er hätte dem Glücksstern seines Generals folgen und mit ihm fallen sollen.“
Inzwischen war der junge Bonaparte nach Verlauf von fünf Jahren bis zum vierten Kurs gelangt und wusste von mathematischen Wissenschaften so viel, als ihm seine Lehrer, Pater Patrault, mitteilen konnte. Er stand nun im Alter, wo man aus der Brienner in die Pariser Schule überzugehen pflegte. Seine Zeugnisse waren gut, und in dem Bericht des Herrn v. Keralio, des Inspektors der Militärschulen, an König Ludwig XVI. hieß es:
„Herr v. Bonaparte (Napoleon), geboren den 15. August 1769, vier Fuß, zehn Zoll, zehn Linien hoch, hat den vierten Kurs vollendet; Körperbeschaffenheit gut, Gesundheit vortrefflich. Charakter folgsam, anständig und erkenntlich, Betragen sehr ordentlich, hat sich immer durch Talent und Fleiß in der Mathematik ausgezeichnet. Geschichte und Geographie ziemlich gut; schönwissenschaftliche Übungen und Latein, worin er es nur bis zur vierten Klasse brachte, wenig befriedigend; vortrefflich zum Seemann geeignet; verdient die Aufnahme in die Militärschule zu Paris.“
Infolge dieses Zeugnisses wurde der junge Bonaparte in die Pariser Militärschule aufgenommen; von seinem Abgang legt folgender Eintrag Zeugnis ab:
„Am 17. Oktober 1784 verließ die Königliche Militärschule zu Brienne Herr Napoleon Bonaparte, Ritter, geboren in der Stadt Ajaccio auf der Insel Korsika, den 15. August 1869, Sohn des Edlen Karl Maria v. Bonaparte, Deputierten des korsischen Adels, aus genannter Stadt Ajaccio, und der Dame Lätitia Ramolino, und in diese Anstalt am 23. April 1779 aufgenommen.“
Man hat Bonaparte zum Vorwurf gemacht, er habe sich eines eingebildeten Adels gerühmt und sein Alter falsch angegeben; beide Behauptungen werden durch die angeführten Dokumente widerlegt.
Aus Bonapartes Aufenthalt in der Pariser Kriegsschule ist nichts Besonderes zu berichten, nur etwa den Umstand, dass er seinem früheren Inspektor, den Pater Berton, eine Denkschrift zuschickte. Der jugendliche Gesetzgeber hatte in der Einrichtung jener Schule Fehler gefunden, die sein sich entwickelndes Verwaltungstalent nicht mit Stillschweigen übergehen konnte. Einer dieser Fehler, und zwar der gefährlichste von allen, war der Luxus, der die Zöglinge umgab. „Statt eine zahlreiche Dienerschaft“, schrieb er, „für die Zöglinge zu unterhalten, statt ihnen täglich Mahlzeiten mit zwei Gängen zu geben, statt mit einem höchst kostspieligen Reithaus für Ritter und Pferde zu prunken, sollte man die Schüler, ohne jedoch dadurch ihrem Studiengang Eintrag zu tun, an Selbstbedienung gewöhnen, ausgenommen eine einfache Küche, die sie nicht zu besorgen hätten. Zwieback oder dergleichen sollte man ihnen vorlegen, sie ans Ausklopfen ihrer Kleider und an das Putzen ihrer Stiefel und Schuhe gewöhnen. Da sie arm und zum Militärdienst bestimmt sind, ist dies die einzige Erziehung, die man ihnen geben sollte. Bei nüchterner Kost und genötigt, ihren Anzug selbst zu besorgen, würden sie kräftiger werden und lernen, der Strenge der Jahreszeiten zu trotzen und den untergebenen Soldaten blinde Hochachtung und Ergebenheit einzuflößen.“ Bonaparte war fünfzehn und ein halbes Jahr alt, als er diesen Reformplan vorschlug; zwanzig Jahre später gründete er die Militärschule zu Fontainebleau.
Im Jahre 1785, nach glänzenden Prüfungen, wurde Bonaparte zum Leutnant im Regiment La Fère, das damals in Dauphiné stand, ernannt. Nach kurzem Aufenthalt zu Grenoble wohnte er in Valence. Hier beginnen einige Sonnenblicke der Zukunft die Dunkelheit, in der sich der unbekannte junge Mann noch befand, zu erhellen. Man weiß, Bonaparte war arm; aber so arm er war, dachte er doch daran, seine Familie zu unterstützen, und rief seinen Bruder Ludwig, der neun Jahre jünger war als er, von Korsika zu sich nach Frankreich. Beide wohnten bei Fräulein Bon, Große Straße, Nr. 4. Bonaparte hatte ein Schlafzimmer, und darüber wohnte der kleine Ludwig in einer Dachstube. Seinen Gewohnheiten aus der Militärschule treu, was ihm später in den Feldzügen so großen Nutzen gewährte, weckte Bonaparte seinen Bruder frühzeitig, indem er mit einem Stock an die Decke klopfte, und gab ihm dann Unterricht in der Mathematik. Eines Tages zeigte sich der junge Ludwig, der sich dieser Tagesordnung nur mit Mühe fügen konnte, noch widerwilliger und säumte noch länger als gewöhnlich, zu seinem Bruder herabzukommen.
Da schlug Bonaparte abermals an die Decke, bis der saumselige Schüler endlich eintrat.
„Nun! was gibt’s denn heute Morgen? Mir scheint, wir sind sehr träge!“ rief Bonaparte.
„Oh! Bruder,“ antwortete Ludwig, „ich träumte so schön!“
„Und was träumtest du denn?“
„Mir träumte, ich sei König.“
„Und was war ich dann … Kaiser?“ sagte achselzuckend der junge Leutnant. „Geschwind an die Arbeit!“
Und der Unterricht wurde, wie gewöhnlich, von dem künftigen König genommen und von dem künftigen Kaiser gegeben.
Bonapartes Wohnung gegenüber lag der Laden eines reichen Buchhändlers, namens Marc-Aurèle, dessen Haus, ich glaube, mit der Jahreszahl 1530 versehen, ein Juwel aus der Renaissancezeit ist. Hier brachte der junge Offizier so ziemlich alle Stunden zu, die ihm der Militärdienst und der brüderliche Unterricht übrigließen, und diese Stunden waren, wie man gleich sehen wird, nicht verloren.
Am 7. Oktober 1808 gab Napoleon in Erfurt ein Festmahl; seine Gäste waren der Kaiser Alexander, die Königin von Westfalen, der König von Bayern, der König von Württemberg, der König von Sachsen, der Prinz Wilhelm von Preußen, die Beherrscher von Oldenburg, von Mecklenburg-Schwerin, von Weimar und der Fürst-Primas (Dalberg). Die Unterhaltung kam auf die goldene Bulle, die bis zur Errichtung des Rheinbundes für die römische Kaiserwahl, die Anzahl und die Eigenschaften der Wähler maßgebend gewesen waren. Der Fürst-Primas sprach eingehend über diese Bulle und erwähnte, sie stamme aus dem Jahre 1409.
„Ich glaube, Sie täuschen sich,“ sagte lächelnd Napoleon; „die Bulle wurde 1356 unter der Regierung Kaiser Karls IV. verkündet.“
„So, ist es, Sire,“ antwortete der Fürst-Primas, „ich erinnere mich jetzt; aber woher wissen Eure Majestät dies so genau?“
„Als ich einfacher Leutnant bei der Artillerie war …,“ erzählte Napoleon –
Bei diesen Worten malte sich ein so lebhaftes Gefühl in den Mienen seiner edlen Gäste, dass der Sprecher unwillkürlich unterbrach; aber gleich darauf fuhr er lächelnd fort:
„Als ich die Ehre hatte, einfacher Leutnant bei der Artillerie zu sein, war ich drei Jahre in Garnison zu Valence. Ich war kein Freund der Gesellschaften und lebte äußerst zurückgezogen. Dafür hatte es ein glücklicher Zufall gefügt, dass ich in der Nähe eines kenntnisreichen und sehr gefälligen Buchhändlers wohnte. Dessen Bibliothek habe ich während dieser drei Garnisonjahre gelesen und wieder gelesen, und ich habe auch das nicht vergessen, was sich nicht auf meinen Stand bezog. Zudem hat mich die Natur mit einem guten Zahlengedächtnis begabt; es ist nicht selten, dass ich meinen Ministern einzelne Posten und die Gesamtbeträge ihrer ältesten Rechnungen anführe.“
Das war jedoch nicht das einzige Andenken Napoleons aus Valence.
Zu den wenigen Personen, die Bonaparte in Valence besuchte, gehörte Herr v. Tardivon, Abt von Saint-Ruf, dessen Orden kurz zuvor aufgehoben worden war. In seinem Hause traf er Fräulein Karoline von Colombier, in die er sich verliebte. Die Familie dieses Fräuleins bewohnte ein Landhaus, das eine halbe Stunde von Valence lag und Bassiau hieß; der junge Leutnant erhielt Zutritt im Hause und machte mehrere Besuche. Inzwischen trat ein Edelmann aus dem Dauphiné, namens Bressieux als Bewerber auf. Bonaparte sah, dass es Zeit sei, sich zu erklären, sollte er nicht zu spät kommen; er schrieb daher an Fräulein Karoline einen langen Brief, worin er ihr alle seine Gefühle ausdrückte und sie ersuchte, ihre Eltern damit bekannt zu machen. Diese nahmen jedoch, so vor die Wahl zwischen einem Leutnant ohne Aussicht und einem Edelmann mit einigem Vermögen gestellt, den Edelmann zum Schwiegersohn. Bonaparte wurde in möglichst wenig verletzender Form zurückgewiesen, und sein Brief einer dritten Person eingehändigt, die ihn dem Schreiber zurückstellen wollte. Aber Bonaparte weigerte sich, ihn zurückzunehmen. „Behalten Sie ihn,“ sagte er zu der Person, „er wird eines Tages Zeugnis von meiner Liebe wie von der Reinheit meiner Gesinnungen gegen Fräulein Karoline ablegen.“ Die Person behielt den Brief, und ihre Familie bewahrt ihn noch heute auf.
Drei Monate später heiratete Fräulein Karoline Herrn v. Bressieux.
Im Jahre 1806 wurde Frau v. Bressieux mit dem Titel einer Ehrendame der Kaiserin-Mutter an den Hof berufen, ihr Bruder in der Eigenschaft eines Präfekten nach Turin geschickt und ihr Gemahl zum Baron und Verwalter der Staatsforsten ernannt.
Sonst trat Bonaparte während seines Aufenthaltes zu Valence noch in nähere Beziehung zu den Herren v. Montalivet und Bachasson, von denen der eine Minister des Innern und der andere Inspektor der Lebensmittel in Paris wurde. Sonntags lustwandelten diese drei jungen Männer fast immer zusammen außerhalb der Stadt und blieben bisweilen stehen, um einem Tanzvergnügen im Freien zuzusehen, das um zwei Sous für den Mann und den Tanz ein Gewürzkrämer der Stadt gab, der in seinen Mußestunden die Fiedel zu streichen pflegte. Dieser Fiedler war ein alter Soldat, der sich nach seinem Abschied nach Valence zurückgezogen und dort verheiratet hatte, worauf er in der geschilderten Weise ein Doppelgeschäft betrieb. Da aber der Verdienst auch so für seinen Bedarf nicht ausreichte, suchte und erhielt er nach der Einrichtung der Departements eine Austrägerstelle in den Bureaus der Zentralverwaltung. Von diesem Posten holten ihn die ersten Freiwilligenbataillone im Jahre 1790 weg.
Hierauf wurde dieser alte Soldat Gewürzkrämer, Fiedler und Ausläufer im Laufe weniger Jahre Marschall Victor, Herzog von Belluno.
Als Bonaparte Valence verließ, hinterließ er bei seinem Bäcker, namens Coriol, eine Schuld von drei Franken zehn Sous.
Der junge Korse kam zu gleicher Zeit mit seinem Landsmann Paoli in Paris an. Die Konstituierende Versammlung hatte Korsika an der Wohltat der französischen Gesetze teilnehmen lassen; Mirabeau hatte auf der Rednerbühne erklärt, es sei Zeit, die flüchtigen Patrioten, die die Unabhängigkeit der Insel verteidigt, zurückzurufen, und so war Paoli heimgekehrt. Bonaparte wurde von dem alten Freunde seines Vaters wie ein Sohn bewillkommt, und der junge Schwärmer fand sich seinem Helden gegenüber, der eben erst zum Generalstatthalter und Militärkommandanten der Insel ernannt worden war.
Bonaparte erhielt Urlaub, den er dazu benutzte, Paoli zu folgen und seine Familie wiederzusehen, die er vor sechs Jahren verlassen hatte. Der patriotische General wurde von allen Anhängern der Unabhängigkeit mit unaussprechlichem Jubel empfangen, und der junge Leutnant war Zeuge von dem Triumph des berühmten Verbannten. So groß war die Begeisterung, dass die allgemeine Stimme seiner Mitbürger Paoli zugleich an die Spitze der Nationalgarde und zum Vorsitzenden der Departementalverwaltung erhob. Eine Zeitlang blieb er in vollkommener Harmonie mit der Konstituierenden Versammlung; aber ein Antrag des Abbé Charrier, der den Vorschlag machte, Korsika an den Herzog von Parma gegen Piacenza auszutauschen und mit letzterem den Papst für Avignon zu entschädigen, bewies Paoli, welche geringe Wichtigkeit der Mutterstaat dem Besitz seines Vaterlandes beilegte. In dieser Zeit geschah es, dass die englische Regierung, die Paoli zur Zeit seiner Verbannung aufgenommen hatte, mit dem neuen Präsidenten Unterhandlungen eröffnete; auch verbarg Paoli seine Vorliebe für die britische Verfassung der im Werke begriffenen französischen gegenüber nicht. Hier aber schieden sich die Wege des jungen Leutnants und des alten Generals; Bonaparte blieb französischer Bürger, und Paoli wurde wieder korsischer Anführer.
Zu Anfang des Jahres 1792 wurde Bonaparte nach Paris zurückberufen. Dort fand er Bourrienne wieder, einen alten Schulfreund, der nach einer Reise durch Preußen und Polen über Wien zurückkehrte.
Keiner von beiden Schulkameraden war glücklich; sie beschlossen, ihr Missgeschick gemeinsam zu tragen, um es sich minder schwer zu machen; der eine bewarb sich um eine Stelle im Heere, der andere wollte beim Ministerium des Auswärtigen angestellt werden. Da beide erfolglos waren, träumten sie von Handelsgeschäften, die sie aus Mangel an Kapital meist nicht ausführen konnten. Eines Tages kamen sie auf den Gedanken, mehrere im Bau begriffene Häuser in der Rue Montholon mietweise zu übernehmen, aber die Ansprüche der Eigentümer waren so übertrieben, dass sie sich genötigt sahen, von dem Unternehmen abzusehen aus demselben Grund, aus dem sie schon so viele andere aufgegeben hatten. Als sie aus dem Hause des Erbauers traten, stellten sie fest, dass sie nicht nur nicht zu Mittag gespeist, sondern dass sie auch kein Geld hatten, das Versäumte nachzuholen. Diesem Übelstand wusste Bonaparte dadurch abzuhelfen, dass er seine Uhr versetzte.
Inzwischen war der 10. Juni, das düstere Vorspiel des 10. August, angebrochen. Die beiden jungen Männer hatten sich zum Frühstück bei einem Restaurateur in der Straße St. Honoré getroffen und waren eben mit Essen fertig, als sie durch einen großen Lärm und laute Rufe: „ Ça ira! Es lebe die Nation! Es leben die Sansculotten! Nieder mit dem Veto!“ ans Fenster gezogen wurden. Sie sahen einen Haufen von 6000 bis 8000 Menschen, von Santerre und dem Marquis von St. Hurugues geführt, die Vorstädte St. Antoine und St. Marceau hinabeilen und sich zur Versammlung begeben. „Folgen wir dieser Canaille!“ sagte Bonaparte, und sofort schlugen die beiden jungen Männer den Weg nach den Tuilerien ein. An der Terrasse des Seineufers blieben sie stehen; Bonaparte lehnte sich gegen einen Baum, und Bourienne setzte sich auf eine Brustwehr.
Von da aus sahen sie nicht, was vorging; aber sie ahnten das Vorgefallene leicht, als ein Fenster nach dem Garten hin sich auftat und Ludwig XVI. mit einer roten Mütze auf dem Kopf, die ihm jemand aus dem Volk auf der Spitze einer Pike geboten hatte, sichtbar wurde.
„ Coglione! coglione!“ brummte achselzuckend in seinem korsischen Dialekt der junge Leutnant, der bis jetzt stumm und starr geblieben war, in sich hinein.
„Was meinst du, dass er tun sollte?“ fragte Bourrienne.
„Vier- bis fünfhundert mit Kanonen wegfegen,“ erwiderte Bonaparte, „die übrigen liefen dann von selbst nach.“
Den ganzen Tag über sprach er nur von dieser Szene, die auf ihn den stärksten Eindruck gemacht hatte.
So sah Bonaparte unter seinen Augen die ersten Ereignisse der französischen Revolution sich entrollen. Als einfacher Zuschauer wohnte er dem Feuer des 10. Augusts und dem Gemetzel vom 2. September bei; als er darauf immer noch keine Verwendung im Heere fand, entschloss er sich zu einer neuen Reise nach Korsika.
Paolis geheime Verhandlungen mit dem englischen Kabinett hatten während Bonapartes Abwesenheit eine solche Entwicklung genommen, dass man sich über seine Entwürfe unmöglich länger täuschen konnte. Eine Unterredung, die der junge Leutnant und der alte General miteinander im Hause des Gouverneurs von Corte hatten, endigte mit einem Bruch; die beiden einstigen Freunde trennten sich, um sich nur noch auf dem Schlachtfelde zu begegnen. An demselben Abend wollte ein Schmeichler Paolis in seiner Gegenwart übel von Bonaparte reden. „Still! sagte zu ihm der General, indem er seinen Finger auf die Lippen legte, „dieser junge Mann ist vom Schrot und Korn der Alten!“
Bald erhob Paoli offen die Fahne des Aufruhrs. Am 26. Juni 1793 von Englands Parteigängern zum Generalissimus und Präsidenten einer Konsulata zu Corte ernannt, wurde er am 17. Juli von dem Nationalkonvent für vogelfrei erklärt. Bonaparte war nicht in der Hauptstadt; er hatte endlich die so oft nachgesuchte Verwendung im aktiven Dienst erlangt. Zum Kommandanten der besoldeten Nationalgarde befördert, stand er an Bord der Flotte des Admirals Truguet und bemächtigte sich indessen des Forts St. Etienne, das die Sieger bald wieder räumen mussten. Als Bonaparte Korsika wieder betrat, fand er die Insel im Aufstand. Die Konventsmitglieder Salicetti und Lacombe Saint-Michel, die mit der Vollziehung des gegen den Rebellen geschleuderten Dekrets beauftragt waren, hatten sich nach Calvi zurückziehen müssen. Bonaparte eilte ihnen zu Hilfe und versuchte mit ihnen einen Angriff auf Ajaccio, der abgeschlagen wurde. Am gleichen Tage brach ein Brand in der Stadt aus, und die Bonaparte sahen ihr Haus in einen Aschenhaufen verwandelt. Bald darauf verurteilte sie ein Beschluss der revolutionären Regierung zu ewiger Verbannung von dem Eiland. Hatte ihnen das Feuer ein Obdach geraubt, so raubte ihnen die Acht das Vaterland. In dieser Not wendeten sie ihre Augen auf den Leutnant Bonaparte, und dieser blickte nach Frankreich. Die ganze arme Verbanntenfamilie schiffte sich auf einem schwachen Fahrzeug ein, und der zukünftige Cäsar ging unter Segel und deckte mit den Fittichen seines Glückes seine vier Brüder, von denen drei Könige werden sollten, und seine drei Schwestern, auf deren eine das Diadem wartete.
Die ganze Familie verweilte in Marseille und rief den Schutz Frankreichs an, für das sie verbannt war. Die Regierung hörte ihre Klagen; Joseph und Lucian erhielten Anstellungen bei der Armeeverwaltung, Ludwig wurde Unteroffizier, und Bonaparte trat als Oberleutnant, also mit Beförderung, zum vierten Infanterieregiment über. Nicht lange nachher stieg er zum Kapitänsrang in der zweiten Kompagnie desselben Korps, das damals in Nizza lag, empor.
Das Jahr mit der blutigen Zahl 93 war angebrochen, die eine Hälfte Frankreichs rang mit der andern, und der Westen und der Süden standen in Flammen. Lyon war nach viermonatiger Belagerung eingenommen, Marseille hatte dem Konvent seine Tore geöffnet, Toulon seinen Hafen den Engländern überantwortet.
Eine Armee von 30 000 Mann, aus Truppen zusammengesetzt, die unter Kellermanns Befehlen Lyon belagert hatten, ferner aus einigen Regimentern der Alpen und der italienischen Armee und endlich aus den in den nächsten Departements gepressten Rekruten, drang gegen das verkaufte Toulon vor. Der Kampf begann bei den Schluchten von Ollioules. General Du Teil, der die Artillerie leiten sollte, war abwesend; General Dommartin, sein Stellvertreter, wurde im ersten Scharmützel kampfunfähig gemacht; so hatte ihn sein Ersatzmann zu vertreten, und dies war Bonaparte. Hier kam der Zufall dem Genie zu Hilfe, vorausgesetzt, dass für das Genie der Zufall nicht Vorsehung heißt.
Bonaparte erhält seine Ernennung, stellt sich dem Generalstab vor und wird bei dem General Carteaux eingeführt, einem stolzen, vom Kopf bis zum Fuß vergoldeten Manne, der ihn fragt, womit er ihm dienen könne. Der junge Offizier zeigt ihm die Bestallung, der gemäß er unter seinen Befehlen die Operationen der Artillerie zu leiten hat. „Artillerie!“ – antwortete der tapfere General – „wir brauchen keine; heute Abend werden wir Toulon mit dem Bajonett nehmen, und morgen werden wir es verbrennen.“
Indes, so zuversichtlich auch der Obergeneral war, er konnte Toulon nicht nehmen, ohne es erst auszukundschaften. Darum hatte er die Geduld, bis zum anderen Tage zu warten; aber mit der Morgenröte stieg er, von seinem Adjutanten Dupas und dem Bataillonschef Bonaparte begleitet, in seinen Feldwagen, um die ersten Anordnungen zum Angriff zu besichtigen. Auf Bonapartes Vorstellungen hatte er, wiewohl ungern, das Bajonett aufgegeben und der Artillerie die erste Aufgabe zuerteilt. Infolgedessen hatte er selbst die ihm nötig scheinenden Befehle gegeben, und er kam jetzt eben, um die Ausführung dieser Befehle zu prüfen und ihren Erfolg zu sichern.
Die Höhen, von denen man Toulon zuerst erblickt, wie es, die Füße im Meere badend, sich inmitten seines halborientalischen Gartens verbirgt, waren kaum hinter ihnen, als der General mit den beiden jungen Männern aus dem Wagen steigt und sich in einen Weinberg verliert. Hier bemerkt er einige Kanonen, die hinter einer Art Schulterwehr aufgestellt waren. Bonaparte sieht sich um und ahnt nichts von dem, was vorgeht; der General ergötzt sich einen Augenblick an dem Erstaunen seines Bataillonschefs, dann sagt er, sich mit selbstgenügsamem Lächeln seinem Adjutanten zuwendend:
„Sind das unsere Batterien, Dupas?“
„Ja, General,“ antwortet dieser.
„Und unser Park?“
„Vier Schritte von hier.“
„Und unsere Bombenkugeln?“
„Man macht sie in den nächsten Landhäuschen glühend.“
Seinen Augen hatte Bonaparte nicht trauen können, aber seinen Ohren muss er trauen. Er misst den Raum mit dem geübten Auge des Artilleristen und findet, dass die Batterie von der Stadt wenigstens eine und eine halbe Stunde entfernt ist. Anfangs glaubt er, der General wollte seinem jungen Bataillonschef den Puls fühlen; aber der Ernst, womit Carteaux in seinen Anordnungen fortfährt, lässt ihm keinen Zweifel übrig. Da wirft er behutsam eine Bemerkung über die Entfernung hin und äußert die Furcht, die glühenden Kugeln möchten nicht zur Stadt gelangen.
„Meinst du?“ sagte Carteaux.
„Ich fürchte, General,“ antwortet Bonaparte; „übrigens könnte man es ja zuvor, ohne sich mit glühenden Kugeln zu bemühen, mit kalten versuchen, um die Schussweite zu messen.“
Carteaux findet den Gedanken gescheit, lässt eine Kanone laden und abschießen, und während er an den Mauern der Stadt die Wirkung des Schusses beobachten will, zeigt ihm Bonaparte ungefähr tausend Schritte entfernt die Kugel, die in die Ölbäume schlägt, den Boden furcht, aufprallt und hüpfend, nachdem sie kaum ein Drittel des von dem General berechneten Raumes durchflogen, die Kraft verliert.
Der Beweis war schlagend; aber Carteaux wollte sich noch nicht ergeben und sagte: „Diese Aristokraten von Marseillern haben das Pulver verdorben.“
Da indes das Pulver, verdorben oder nicht verdorben, nicht weiter trägt, so muss man andere Maßregeln ergreifen. Man kommt ins Hauptquartier zurück. Bonaparte, verlangt einen Plan von Toulon, entfaltet ihn auf einem Tische, und nachdem er eine Weile die Lage der Stadt und der verschiedenen Verteidigungswerke von der auf der Spitze des Mont Faron angelegten Schanze, die die Stadt beherrscht, bis zu den Forts Lamalgue und Malbousquet, die ihre rechte und linke Flanke decken, erwogen hatte, legt der junge Bataillonschef den Finger auf eine neue, von den Engländern erbaute Schanze und spricht mit der entschlossenen Kürze des Genies:
„Hier ist Toulon.“
Carteaux aber kann dem Gedankenflug nicht folgen; er hat Bonapartes Worte buchstäblich genommen und sagt, zu Dupas, seinem Getreuen, gewendet:
„Es scheint, Kapitän Kanone ist nicht stark in der Geographie.“
Das war Bonapartes erster Beiname; wir werden sehen, wie er später zu dem des „kleinen Korporals“ kam.
In diesem Augenblick trat der Volksvertreter Gasparin in das Zelt. Von diesem hatte Bonaparte gehört, dass er nicht nur ein wahrer, edler und wackerer Patriot, sondern auch ein verständiger und scharfsinniger Mann sei. Der Bataillonschef geht stracks auf ihn zu mit den Worten:
„Bürgervertreter, ich bin Bataillonschef der Artillerie. Infolge der Abwesenheit des Generals Du Teil und der Verwundung des Generals Dommartin steht diese Waffe unter meiner Leitung. Ich verlange, dass sich niemand außer mir darein mischt, oder ich stehe für nichts.“
„Ei, wer bist du denn, um für etwas zu stehen?“ fragt der Volksvertreter, erstaunt, dass ein junger Mann von dreiundzwanzig Jahren in solchem Ton und mit solcher Zuversicht ihn anredet.
„Wer ich bin,“ entgegnete Bonaparte, ihn in eine Ecke ziehend und leise mit ihm redend, „ich bin ein Mann, der sein Fach versteht und unter Leute geraten ist, die von dem ihrigen keinen Begriff haben. Fragen Sie den Obergeneral nach seinem Schlachtplan, so werden Sie finden, ob ich recht oder unrecht habe.“
Der junge Offizier redete mit solcher Überzeugung, das, Gasparin keinen Augenblick zauderte. „General“, sagte er, sich Carteaux nähernd, „die Volksvertreter wünschen, dass du ihnen binnen drei Tagen deinen Schlachtplan vorlegst.“
„Du brauchst nur drei Minuten zu warten, so gebe ich ihn dir,“ erwiderte Carteaux.
In der Tat setzte sich der General nieder, nahm die Feder und schrieb auf ein kleines Blättchen den berühmten Feldzugsplan, der das Muster seiner Art wurde und, wie folgt, lautete:
„Der Artilleriegeneral wird Toulon drei Tage lang bedonnerkeilen, nach deren Ablauf werde ich die Stadt in drei Kolonnen angreifen und nehmen.
Carteaux.“
Der Plan wurde nach Paris geschickt und dem Ausschuss für das Geniewesen eingehändigt. Der Ausschuss fand ihn weit mehr belustigend als wissenschaftlich; Carteaux wurde zurückberufen und Dugommier an seine Stelle gesendet.
Als er ankam, fand der neue General bereits alle Anstalten von seinem Bataillonschef getroffen. Es handelte sich hier um eine Belagerung, bei der Gewalt und Mut anfänglich nichts vermögen; Kanonen und Taktik müssen erst reines Feld machen. Es gab keinen Punkt der Küste, auf dem nicht Artillerie gegen Artillerie zu wirken hatte. Sie donnerte von allen Seiten, gleich einem ungeheuren Gewitter, dessen Blitze sich kreuzen, sie donnerte von der Höhe der Berge, von der Höhe der Mauern herab, sie donnerte vom Blachfeld und vom Meere her, es war, als hätten Sturm und Vulkan ihre Kraft vereint.
Inmitten dieses Flammennetzes wollten die Volksvertreter an einer von Bonaparte aufgepflanzten Batterie etwas ändern lassen; schon hatte die Bewegung begonnen, als der junge Bataillonschef ankam und alles in die alte Stellung bringen ließ. Die Volksvertreter wollten Gegenvorstellungen machen. „Sorgen Sie für Ihr Vertreteramt,“ antwortete Bonaparte, „und lassen Sie mich das meinige besorgen. Diese Batterie steht hier gut, und ich bin mit meinem Kopfe dafür verantwortlich.“
Der allgemeine Angriff begann am 16., und von nun an war die Belagerung nur noch ein fortgesetzter Sturm. Am 17. morgens nahmen die Belagerer den Pas-de-Leidet und das Croix-Faron; um Mittag vertrieben sie die Verbündeten aus der Schanze St. André und den Forts Pomets und beiden St. Antoine; endlich gegen Abend drangen die Republikaner unter dem Schein der Gewitter- und Kanonenblitze in die englische Schanze. Als der durch einen Bajonettstoß am Knie verwundete Bonaparte so sein Ziel erreicht hatte, fühlte er sich als Meister der Stadt und sagte zu dem von zwei Kugeln in Arm und Bein getroffenen und von Blutverlust und Ermattung überwältigten General Dugommier: „Ruhen Sie aus, General, wir haben soeben Toulon erobert, und übermorgen können Sie darin schlafen.“
Am 18. wurden die Forts l’Eguilette und Balagnier erstürmt und Batterien auf Toulon gerichtet. Als die verbündeten Truppen mehrere Häuser in Brand sahen und das Zischen der die Straßen durchfurchenden Kugeln hörten, brach unter ihnen Uneinigkeit aus. Plötzlich sahen die Belagerer, deren Blicke sich in die Stadt und auf die Reede bohrten, eine Feuersbrunst auf Punkten ausbrechen, die sie nicht angegriffen hatten. Die Engländer, zur Abfahrt entschlossen, hatten das Zeughaus, die Marinemagazine und die französischen Schiffe, die sie nicht wegschleppen konnten, in Brand gesteckt. Beim Anblick der Flammen erhebt sich ein allgemeines Wutgeschrei. Die ganze Armee fordert den Sturm; aber es ist zu spät. Die Engländer beginnen unter dem Feuer unserer Batterien sich einzuschiffen; sie lassen die im Stich, die für sie Frankreich verraten hatten und nun zum Danke von ihnen wieder verraten werden. Inzwischen bricht die Nacht an. Die Flammen, die auf mehreren Punkten aufgestiegen waren, erlöschen unter großem Geräusch; die Galeerensklaven haben ihre Ketten gebrochen und ersticken den von den Engländern gelegten Brand.
Am nächsten Tage, dem 19., zieht die republikanische Armee in die Stadt ein, und abends schlief der Obergeneral, wie es ihm Bonaparte vorausgesagt hatte, in Toulon.
Dugommier vergaß die Dienste des jungen Bataillonschefs nicht; zwölf Tage nach der Einnahme der Stadt erhielt dieser den Rang eines Brigadegenerals.
Von nun an wird er ein Mann der Geschichte und bleibt es für alle Zeit.
Jetzt wollen wir mit raschem Schritte Bonaparte auf der Laufbahn begleiten, die er als Obergeneral, Konsul, Kaiser und Verbannter durchmessen hat. Wenn wir ihn dann, ein helleuchtendes Meteor, wiedererscheinen und einen Moment auf dem Throne strahlen gesehen haben, folgen wir ihm nach jenem Eiland, wohin er zum Sterben ging, wie wir ihn auf jenem Eiland fanden, wo er geboren wurde.
Bonaparte war, wie wir gesehen, zur Belohnung für seine der Republik vor Toulon geleisteten Dienste, zum Artilleriegeneral der Armee von Nizza befördert worden. Hier trat er in ein vertrautes Verhältnis mit dem jüngeren Robespierre, der bei dieser Armee abgeordneter Volksvertreter war. Kurze Zeit vor dem 9. Thermidor nach Paris zurückberufen, gab sich Robespierre alle Mühe, den jungen General zu bestimmen, ihm in die Hauptstadt zu folgen; aber Bonaparte weigerte sich beharrlich; noch war die Stunde nicht gekommen, wo er Partei nehmen sollte.
Zudem hielt ihn vielleicht noch ein anderer Beweggrund zurück, und – war es diesmal wieder der Zufall, der das Genie schützte? In diesem Falle hatte sich der Zufall in der Gestalt einer schönen jungen Volksvertreterin verkörpert, die zu Nizza die Sendung ihres Gemahls teilte. Bonaparte hegte eine ernste Neigung für sie, die er durch echt kriegerische Huldigungen bewies. Eines Tags, als er mit ihr in der Nähe des Col di Tenda spazieren ging, wollte der junge General seiner schönen Begleiterin das Schauspiel eines kleinen Krieges bieten und befahl ein Vorpostengefecht. Ein Dutzend Soldaten fielen dieser Belustigung zum Opfer, und Napoleon hat mehr als einmal auf St. Helena gestanden, dass diese zwölf ohne wirklichen Grund, aus bloßer Laune getöteten Menschen ihm größere Gewissensbisse verursachten als der Tod der 600 000 Soldaten, deren Gebeine er in den Eissteppen Russlands gelassen hatte.
Inzwischen fassten die Volksvertreter bei der italienischen Armee folgenden Beschluss:
„Der General Bonaparte hat sich nach Genua zu begeben, um in Verbindung mit den Geschäftsträgern der französischen Republik seinen Aufträgen gemäß mit der Regierung von Genua zu unterhandeln.
„Der Geschäftsträger bei der genuesischen Republik hat ihn anzuerkennen und bei der Regierung von Genua zu beglaubigen.
Loano, den 25. Messidor im II. Jahr der Republik.“