Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen. Textausgabe mit Anmerkungen/Worterklärungen - Gotthold Ephraim Lessing - E-Book

Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen. Textausgabe mit Anmerkungen/Worterklärungen E-Book

Gotthold Ephraim Lessing

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Beschreibung

Jerusalem während der Kreuzzüge: Drei Weltreligionen treffen hier direkt aufeinander, und es stellt sich die Frage: Welche ist die »wahre«? Lessings Antwort in der berühmten Ringparabel: Das erweist sich in ihrem Streben nach Menschlichkeit. Lessings Lehrstück der Toleranz von 1779 ist heute aktueller denn je.

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Seitenzahl: 173

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Gotthold Ephraim Lessing

Nathan der Weise

Ein dramatisches Gedichtin fünf Aufzügen

Reclam

Zu Lessings Nathan der Weise gibt es inReclams Universal-Bibliothek

• einen Lektüreschlüssel für Schülerinnen und Schüler (Nr. 15316, PDF 978-3-15-950115-4, Epub 978-3-15-960056-7)

• Erläuterungen und Dokumente (Nr. 8118)

• eine Interpretation in: Erzählungen und Novellen des 19. Jahrhunderts II in der Reihe »Interpretationen« (Nr. 8411)

1964, 2000, 2012 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, StuttgartDurchgesehene Ausgabe 2000auf der Grundlage der gültigen amtlichen RechtschreibregelnGesamtherstellung: Reclam, Ditzingen. Made in Germany 2017RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Markender Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, StuttgartISBN 978-3-15-960003-1ISBN der Buchausgabe 978-3-15-000003-8

www.reclam.de

Inhalt

Personen

Erster Aufzug

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

Zweiter Aufzug

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

Siebenter Auftritt

Achter Auftritt

Neunter Auftritt

Dritter Aufzug

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

Siebenter Auftritt

Achter Auftritt

Neunter Auftritt

Zehnter Auftritt

Vierter Aufzug

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

Siebenter Auftritt

Achter Auftritt

Fünfter Aufzug

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

Siebenter Auftritt

Letzter Auftritt

Editorische Notiz

Personen

Sultan SALADIN

SITTAH, dessen Schwester

NATHAN, ein reicher Jude in Jerusalem

RECHA, dessen angenommene Tochter

DAJA, eine Christin, aber in dem Hause des Juden, als Gesellschafterin der Recha

Ein junger TEMPELHERR

Ein DERWISCH

Der PATRIARCH von Jerusalem

Ein KLOSTERBRUDER

Ein EMIR nebst verschiednen Mamelucken des Saladin

Die Szene ist in Jerusalem.

Erster Aufzug

Erster Auftritt

Szene: Flur in Nathans Hause.

NATHANvon der Reise kommend. DAJAihm entgegen.

DAJA. Er ist es! Nathan! – Gott sei ewig Dank,

Dass Ihr doch endlich einmal wiederkommt.

NATHAN. Ja, Daja; Gott sei Dank! Doch warum endlich?

Hab ich denn eher wiederkommen wollen?

Und wiederkommen können? Babylon

Ist von Jerusalem, wie ich den Weg,

Seitab bald rechts, bald links, zu nehmen bin

Genötigt worden, gut zweihundert Meilen;

Und Schulden einkassieren, ist gewiss

10

Auch kein Geschäft, das merklich födert, das

So von der Hand sich schlagen lässt.

DAJA.                                                             O Nathan,

Wie elend, elend hättet Ihr indes

Hier werden können! Euer Haus …

NATHAN.                                                        Das brannte.

So hab ich schon vernommen. – Gebe Gott,

Dass ich nur alles schon vernommen habe!

DAJA. Und wäre leicht von Grund aus abgebrannt.

NATHAN. Dann, Daja, hätten wir ein neues uns

Gebaut; und ein bequemeres.

DAJA.                                                 Schon wahr! –

Doch Recha wär bei einem Haare mit

20

Verbrannt.

NATHAN.     Verbrannt? Wer? meine Recha? sie? –

Das hab ich nicht gehört. – Nun dann! So hätte

Ich keines Hauses mehr bedurft. – Verbrannt

Bei einem Haare! – Ha! sie ist es wohl!

Ist wirklich wohl verbrannt! – Sag nur heraus!

Heraus nur! – Töte mich: und martre mich

Nicht länger. – Ja, sie ist verbrannt.

DAJA.                                                          Wenn sie

Es wäre, würdet Ihr von mir es hören?

NATHAN. Warum erschreckest du mich denn? – O Recha!

O meine Recha!

DAJA.                        Eure? Eure Recha?

30

NATHAN. Wenn ich mich wieder je entwöhnen müsste,

Dies Kind mein Kind zu nennen!

DAJA.                                                      Nennt Ihr alles,

Was Ihr besitzt, mit ebenso viel Rechte

Das Eure?

NATHAN.      Nichts mit größerm! Alles, was

Ich sonst besitze, hat Natur und Glück

Mir zugeteilt. Dies Eigentum allein

Dank ich der Tugend.

DAJA.                                  O wie teuer lasst

Ihr Eure Güte, Nathan, mich bezahlen!

Wenn Güt’, in solcher Absicht ausgeübt,

Noch Güte heißen kann!

NATHAN.                                  In solcher Absicht?

In welcher?

DAJA.                Mein Gewissen …

40

NATHAN.                                             Daja, lass

Vor allen Dingen dir erzählen …

DAJA.                                                       Mein

Gewissen, sag ich …

NATHAN.                            Was in Babylon

Für einen schönen Stoff ich dir gekauft.

So reich, und mit Geschmack so reich! Ich bringe

Für Recha selbst kaum einen schönern mit.

DAJA. Was hilft’s? Denn mein Gewissen, muss ich Euch

Nur sagen, lässt sich länger nicht betäuben.

NATHAN. Und wie die Spangen, wie die Ohrgehenke,

Wie Ring und Kette dir gefallen werden,

50

Die in Damaskus ich dir ausgesucht:

Verlanget mich zu sehn.

DAJA.                                       So seid Ihr nun!

Wenn Ihr nur schenken könnt! nur schenken könnt!

NATHAN.

Nimm du so gern, als ich dir geb: – und schweig!

DAJA.

Und schweig! – Wer zweifelt, Nathan, dass Ihr nicht

Die Ehrlichkeit, die Großmut selber seid?

Und doch …

NATHAN.              Doch bin ich nur ein Jude. – Gelt,

Das willst du sagen?

DAJA.                               Was ich sagen will,

Das wisst Ihr besser.

NATHAN.                           Nun so schweig!

DAJA.                                                              Ich schweige.

Was Sträfliches vor Gott hierbei geschieht,

60

Und ich nicht hindern kann, nicht ändern kann, –

Nicht kann, – komm’ über Euch!

NATHAN.                                                Komm’ über mich! –

Wo aber ist sie denn? wo bleibt sie? – Daja,

Wenn du mich hintergehst! – Weiß Sie es denn,

Dass ich gekommen bin?

DAJA.                                        Das frag ich Euch!

Noch zittert ihr der Schreck durch jede Nerve.

Noch malet Feuer ihre Phantasie

Zu allem, was sie malt. Im Schlafe wacht,

Im Wachen schläft ihr Geist: halb weniger

Als Tier, bald mehr als Engel.

NATHAN.                                          Armes Kind!

Was sind wir Menschen!

70

DAJA.                                       Diesen Morgen lag

Sie lange mit verschlossnem Aug’, und war

Wie tot. Schnell fuhr sie auf, und rief: »Horch! horch!

Da kommen die Kamele meines Vaters!

Horch! seine sanfte Stimme selbst!« – Indem

Brach sich ihr Auge wieder: und ihr Haupt,

Dem seines Armes Stütze sich entzog,

Stürzt auf das Küssen. – Ich, zur Pfort’ hinaus!

Und sieh: da kommt Ihr wahrlich! kommt Ihr wahrlich! –

Was Wunder! ihre ganze Seele war

Die Zeit her nur bei Euch – und ihm. –

80

NATHAN.                                                             Bei ihm?

Bei welchem Ihm?

DAJA.                           Bei ihm, der aus dem Feuer

Sie rettete.

NATHAN.        Wer war das? wer? – Wo ist er?

Wer rettete mir meine Recha? wer?

DAJA. Ein junger Tempelherr, den, wenig Tage

Zuvor, man hier gefangen eingebracht,

Und Saladin begnadigt hatte.

NATHAN.                                      Wie?

Ein Tempelherr, dem Sultan Saladin

Das Leben ließ? Durch ein geringres Wunder

War Recha nicht zu retten? Gott!

DAJA.                                                   Ohn ihn,

90

Der seinen unvermuteten Gewinst

Frisch wieder wagte, war es aus mit ihr.

NATHAN. Wo ist er, Daja, dieser edle Mann? –

Wo ist er? Führe mich zu seinen Füßen.

Ihr gabt ihm doch vors Erste, was an Schätzen

Ich euch gelassen hatte? gabt ihm alles?

Verspracht ihm mehr? weit mehr?

DAJA.                                                        Wie konnten wir?

NATHAN. Nicht? nicht?

DAJA.                              Er kam, und niemand weiß woher.

Er ging, und niemand weiß wohin. – Ohn alle

Des Hauses Kundschaft, nur von seinem Ohr

100

Geleitet, drang, mit vorgespreiztem Mantel,

Er kühn durch Flamm’ und Rauch der Stimme nach,

Die uns um Hülfe rief. Schon hielten wir

Ihn für verloren, als aus Rauch und Flamme

Mit eins er vor uns stand, im starken Arm

Empor sie tragend. Kalt und ungerührt

Vom Jauchzen unsers Danks, setzt seine Beute

Er nieder, drängt sich unters Volk und ist –

Verschwunden!

NATHAN.                  Nicht auf immer, will ich hoffen.

DAJA. Nachher die ersten Tage sahen wir

110

Ihn untern Palmen auf und nieder wandeln,

Die dort des Auferstandnen Grab umschatten.

Ich nahte mich ihm mit Entzücken, dankte,

Erhob, entbot, beschwor, – nur einmal noch

Die fromme Kreatur zu sehen, die

Nicht ruhen könne, bis sie ihren Dank

Zu seinen Füßen ausgeweinet.

NATHAN.                                            Nun?

DAJA. Umsonst! Er war zu unsrer Bitte taub;

Und goss so bittern Spott auf mich besonders …

NATHAN. Bis dadurch abgeschreckt …

DAJA.                                                           Nichts weniger!

120

Ich trat ihn jeden Tag von neuem an;

Ließ jeden Tag von neuem mich verhöhnen.

Was litt ich nicht von ihm! Was hätt ich nicht

Noch gern ertragen! – Aber lange schon

Kommt er nicht mehr, die Palmen zu besuchen,

Die unsers Auferstandnen Grab umschatten;

Und niemand weiß, wo er geblieben ist. –

Ihr staunt? Ihr sinnt?

NATHAN.                            Ich überdenke mir,

Was das auf einen Geist, wie Rechas, wohl

Für Eindruck machen muss. Sich so verschmäht

130

Von dem zu finden, den man hochzuschätzen

Sich so gezwungen fühlt; so weggestoßen,

Und doch so angezogen werden; – Traun,

Da müssen Herz und Kopf sich lange zanken,

Ob Menschenhass, ob Schwermut siegen soll.

Oft siegt auch keines; und die Phantasie,

Die in den Streit sich mengt, macht Schwärmer,

Bei welchen bald der Kopf das Herz, und bald

Das Herz den Kopf muss spielen. – Schlimmer Tausch! –

Das Letztere, verkenn ich Recha nicht,

Ist Rechas Fall: sie schwärmt.

140

DAJA.                                                Allein so fromm,

So liebenswürdig!

NATHAN.                      Ist doch auch geschwärmt!

DAJA. Vornehmlich Eine – Grille, wenn Ihr wollt,

Ist ihr sehr wert. Es sei ihr Tempelherr

Kein irdischer und keines irdischen;

Der Engel einer, deren Schutze sich

Ihr kleines Herz, von Kindheit auf, so gern

Vertrauet glaubte, sei aus seiner Wolke,

In die er sonst verhüllt, auch noch im Feuer,

Um sie geschwebt, mit eins als Tempelherr

150

Hervorgetreten. – Lächelt nicht! – Wer weiß?

Lasst lächelnd wenigstens ihr einen Wahn,

In dem sich Jud’ und Christ und Muselmann

Vereinigen; – so einen süßen Wahn!

NATHAN. Auch mir so süß! – Geh, wackre Daja, geh;

Sieh, was sie macht; ob ich sie sprechen kann. –

Sodann such ich den wilden, launigen

Schutzengel auf. Und wenn ihm noch beliebt,

Hiernieden unter uns zu wallen; noch

Beliebt, so ungesittet Ritterschaft

160

Zu treiben: find ich ihn gewiss; und bring

Ihn her.

DAJA.         Ihr unternehmet viel.

NATHAN.                                          Macht dann

Der süße Wahn der süßern Wahrheit Platz: –

Denn, Daja, glaube mir; dem Menschen ist

Ein Mensch noch immer lieber, als ein Engel –

So wirst du doch auf mich, auf mich nicht zürnen,

Die Engelschwärmerin geheilt zu sehn?

DAJA. Ihr seid so gut, und seid zugleich so schlimm!

Ich geh! – Doch hört! doch seht! – Da kommt sie selbst.

Zweiter Auftritt

RECHAund dieVORIGEN.

RECHA. So seid Ihr es doch ganz und gar, mein Vater?

170

Ich glaubt, Ihr hättet Eure Stimme nur

Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge,

Für Wüsten, was für Ströme trennen uns

Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit ihr,

Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen?

Die arme Recha, die indes verbrannte! –

Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht!

Es ist ein garst’ger Tod, verbrennen. O!

NATHAN. Mein Kind! mein liebes Kind!

RECHA.                                                         Ihr musstet über

Den Euphrat, Tigris, Jordan; über – wer

180

Weiß was für Wasser all? – Wie oft hab ich

Um Euch gezittert, eh das Feuer mir

So nahe kam! Denn seit das Feuer mir

So nahe kam: dünkt mich im Wasser sterben

Erquickung, Labsal, Rettung. – Doch Ihr seid

Ja nicht ertrunken: ich, ich bin ja nicht

Verbrannt. Wie wollen wir uns freun, und Gott,

Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen

Auf Flügeln seiner unsichtbaren Engel

Die ungetreuen Ström’ hinüber. Er,

190

Er winkte meinem Engel, dass er sichtbar

Auf seinem weißen Fittiche, mich durch

Das Feuer trüge –

NATHAN.                      (Weißem Fittiche!

Ja, ja! der weiße vorgespreizte Mantel

Des Tempelherrn.)

RECHA.                           Er sichtbar, sichtbar mich

Durchs Feuer trüg, von seinem Fittiche

Verweht. – Ich also, ich hab einen Engel

Von Angesicht zu Angesicht gesehn;

Und meinen Engel.

NATHAN.                        Recha wär es wert;

Und würd an ihm nichts Schönres sehn, als er

An ihr.

RECHA(lächelnd).

200

                    Wem schmeichelt Ihr, mein Vater? wem?

Dem Engel, oder Euch?

NATHAN.                                Doch hätt auch nur

Ein Mensch – ein Mensch, wie die Natur sie täglich

Gewährt, dir diesen Dienst erzeigt; er müsste

Für dich ein Engel sein. Er müsst und würde.

RECHA. Nicht so ein Engel; nein! ein wirklicher;

Es war gewiss ein wirklicher! – Habt Ihr,

Ihr selbst die Möglichkeit, dass Engel sind,

Dass Gott zum Besten derer, die ihn lieben,

Auch Wunder könne tun, mich nicht gelehrt?

210

Ich lieb ihn ja.

NATHAN.                Und er liebt dich; und tut

Für dich, und deinesgleichen, stündlich Wunder;

Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit

Für euch getan.

RECHA.                    Das hör ich gern.

NATHAN.                                                Wie? weil

Es ganz natürlich, ganz alltäglich klänge,

Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr

Gerettet hätte: sollt es darum weniger

Ein Wunder sein? – Der Wunder höchstes ist,

Dass uns die wahren, echten Wunder so

Alltäglich werden können, werden sollen.

220

Ohn dieses allgemeine Wunder, hätte

Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je

Genannt, was Kindern bloß so heißen müsste,

Die gaffend nur das Ungewöhnlichste,

Das Neuste nur verfolgen.

DAJA(zu Nathan).                   Wollt Ihr denn

Ihr ohnedem schon überspanntes Hirn

Durch solcherlei Subtilitäten ganz

Zersprengen?

NATHAN.         Lass mich! – Meiner Recha wär

Es Wunders nicht genug, dass sie ein Mensch

Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder

230

Erst retten müssen? Ja, kein kleines Wunder!

Denn wer hat schon gehört, dass Saladin

Je eines Tempelherrn verschont? dass je

Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden

Verlangt? gehofft? ihm je für seine Freiheit

Mehr als den ledern Gurt geboten, der

Sein Eisen schleppt; und höchstens seinen Dolch?

RECHA. Das schließt für mich, mein Vater. – Darum eben

War das kein Tempelherr; er schien es nur. –

Kömmt kein gefangner Tempelherr je anders

240

Als zum gewissen Tode nach Jerusalem;

Geht keiner in Jerusalem so frei

Umher: wie hätte mich des Nachts freiwillig

Denn einer retten können?

NATHAN.                                      Sieh! wie sinnreich.

Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab es ja

Von dir, dass er gefangen hergeschickt

Ist worden. Ohne Zweifel weißt du mehr.

DAJA. Nun ja. – So sagt man freilich; – doch man sagt

Zugleich, dass Saladin den Tempelherrn

Begnadigt, weil er seiner Brüder einem,

250

Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe.

Doch da es viele zwanzig Jahre her,

Dass dieser Bruder nicht mehr lebt, – er hieß,

Ich weiß nicht wie; – er blieb, ich weiß nicht wo: –

So klingt das ja so gar – so gar unglaublich,

Dass an der ganzen Sache wohl nichts ist.

NATHAN. Ei, Daja! Warum wäre denn das so

Unglaublich? Doch wohl nicht – wie’s wohl geschieht –

Um lieber etwas noch Unglaublichers

Zu glauben? – Warum hätte Saladin,

260

Der sein Geschwister insgesamt so liebt,

In jüngern Jahren einen Bruder nicht

Noch ganz besonders lieben können? – Pflegen

Sich zwei Gesichter nicht zu ähneln? – Ist

Ein alter Eindruck ein verlorner? – Wirkt

Das Nämliche nicht mehr das Nämliche?

Seit wenn? – Wo steckt hier das Unglaubliche? –

Ei freilich, weise Daja, wär’s für dich

Kein Wunder mehr; und deine Wunder nur

Bedürf … verdienen, will ich sagen, Glauben.

DAJA. Ihr spottet.

270

NATHAN.                Weil du meiner spottest. – Doch

Auch so noch, Recha, bleibet deine Rettung

Ein Wunder, dem nur möglich, der die strengsten

Entschlüsse, die unbändigsten Entwürfe

Der Könige, sein Spiel – wenn nicht sein Spott –

Gern an den schwächsten Fäden lenkt.

RECHA.                                                          Mein Vater!

Mein Vater, wenn ich irr, Ihr wisst, ich irre

Nicht gern.

NATHAN.          Vielmehr, du lässt dich gern belehren. –

Sieh! eine Stirn, so oder so gewölbt;

Der Rücken einer Nase, so vielmehr

280

Als so geführet; Augenbraunen, die

Auf einem scharfen oder stumpfen Knochen

So oder so sich schlängeln; eine Linie,

Ein Bug, ein Winkel, eine Falt’, ein Mal,

Ein Nichts, auf eines wilden Europäers

Gesicht: – und du entkömmst dem Feu’r, in Asien!

Das wär kein Wunder, wundersücht’ges Volk?

Warum bemüht ihr denn noch einen Engel?

DAJA. Was schadet’s – Nathan, wenn ich sprechen darf –

Bei alledem, von einem Engel lieber

290

Als einem Menschen sich gerettet denken?

Fühlt man der ersten unbegreiflichen

Ursache seiner Rettung nicht sich so

Viel näher?

NATHAN.          Stolz! und nichts als Stolz! Der Topf

Von Eisen will mit einer silbern Zange

Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst

Ein Topf von Silber sich zu dünken. – Pah! –

Und was es schadet, fragst du? was es schadet?

Was hilft es? dürft ich nur hinwieder fragen. –

Denn dein »Sich Gott um so viel näher fühlen«,

300

Ist Unsinn oder Gotteslästerung. –

Allein es schadet; ja, es schadet allerdings. –

Kommt! hört mir zu. – Nicht wahr? dem Wesen, das

Dich rettete, – es sei ein Engel oder

Ein Mensch, – dem möchtet ihr, und du besonders,

Gern wieder viele große Dienste tun? –

Nicht wahr? – Nun, einem Engel, was für Dienste,

Für große Dienste könnt ihr dem wohl tun?

Ihr könnt ihm danken; zu ihm seufzen, beten;

Könnt in Entzückung über ihn zerschmelzen;

310

Könnt an dem Tage seiner Feier fasten,

Almosen spenden. – Alles nichts. – Denn mich

Deucht immer, dass ihr selbst und euer Nächster

Hierbei weit mehr gewinnt, als er. Er wird

Nicht fett durch euer Fasten; wird nicht reich

Durch eure Spenden; wird nicht herrlicher

Durch eu’r Entzücken; wird nicht mächtiger

Durch eu’r Vertraun. Nicht wahr? Allein ein Mensch!

DAJA. Ei freilich hätt ein Mensch, etwas für ihn

Zu tun, uns mehr Gelegenheit verschafft.

320

Und Gott weiß, wie bereit wir dazu waren!

Allein er wollte ja, bedurfte ja

So völlig nichts; war in sich, mit sich so

Vergnügsam, als nur Engel sind, nur Engel

Sein können.

RECHA.               Endlich, als er gar verschwand …

NATHAN. Verschwand? – Wie denn verschwand? – Sich untern Palmen

Nicht ferner sehen ließ? – Wie? oder habt

Ihr wirklich schon ihn weiter aufgesucht?

DAJA. Das nun wohl nicht.

NATHAN.                                Nicht, Daja? nicht? – Da sieh

Nun was es schad’t! – Grausame Schwärmerinnen! –

330

Wenn dieser Engel nun – nun krank geworden! …

RECHA. Krank!

DAJA.                Krank! Er wird doch nicht!

RECHA.                                              Welch kalter Schauer

Befällt mich! – Daja! – Meine Stirne, sonst

So warm, fühl! ist auf einmal Eis.

NATHAN.                                                  Er ist

Ein Franke, dieses Klimas ungewohnt;

Ist jung; der harten Arbeit seines Standes,

Des Hungerns, Wachens ungewohnt.

RECHA.                                                     Krank! krank!

DAJA. Das wäre möglich, meint ja Nathan nur.

NATHAN. Nun liegt er da! hat weder Freund, noch Geld

Sich Freunde zu besolden.

RECHA.                                        Ah, mein Vater!

340

NATHAN. Liegt ohne Wartung, ohne Rat und Zusprach,

Ein Raub der Schmerzen und des Todes da!

RECHA. Wo? wo?

NATHAN.              Er, der für eine, die er nie

Gekannt, gesehn – genug, es war ein Mensch –

Ins Feu’r sich stürzte …

DAJA.                                        Nathan, schonet ihrer!

NATHAN. Der, was er rettete, nicht näher kennen,

Nicht weiter sehen mocht, – um ihm den Dank

Zu sparen …

DAJA.                    Schonet ihrer, Nathan!

NATHAN.                                                 Weiter

Auch nicht zu sehn verlangt’, – es wäre denn,

Dass er zum zweiten Mal es retten sollte –

Denn g’nug, es ist ein Mensch …

350

DAJA.                                            Hört auf, und seht!

NATHAN. Der, der hat sterbend sich zu laben, nichts –

Als das Bewusstsein dieser Tat!

DAJA.                                                    Hört auf!

Ihr tötet sie!

NATHAN.            Und du hast ihn getötet! –

Hättst so ihn töten können. – Recha! Recha!

Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche.

Er lebt! – komm zu dir! – ist auch wohl nicht krank;

Nicht einmal krank!

RECHA.                            Gewiss? – nicht tot? nicht krank?

NATHAN.

Gewiss, nicht tot! – Denn Gott lohnt Gutes, hier

Getan, auch hier noch. – Geh! – Begreifst du aber,

360

Wie viel andächtig schwärmen leichter, als

Gut handeln ist? wie gern der schlaffste Mensch

Andächtig schwärmt, um nur, – ist er zuzeiten

Sich schon der Absicht deutlich nicht bewusst –

Um nur gut handeln nicht zu dürfen?

RECHA.                                                            Ah,

Mein Vater! lasst, lasst Eure Recha doch

Nie wiederum allein! – Nicht wahr, er kann

Auch wohl verreist nur sein? –

NATHAN.                                             Geht! – Allerdings. –

Ich seh, dort mustert mit neugier’gem Blick

Ein Muselmann mir die beladenen

370

Kamele. Kennt ihr ihn?

DAJA.                                    Ha! Euer Derwisch.

NATHAN. Wer?

DAJA.               Euer Derwisch; Euer Schachgesell!

NATHAN. Al-Hafi? das Al-Hafi?

DAJA.                                             Itzt des Sultans

Schatzmeister.

NATHAN.                Wie? Al-Hafi? Träumst du wieder? –

Er ist’s! – wahrhaftig, ist’s! – kömmt auf uns zu.

Hinein mit Euch, geschwind! – Was werd ich hören!

Dritter Auftritt

NATHANund derDERWISCH.

DERWISCH. Reißt nur die Augen auf, so weit Ihr könnt!

NATHAN. Bist du’s? bist du es nicht? – In dieser Pracht,

Ein Derwisch! …

DERWISCH.                   Nun? warum denn nicht? Lässt sich

Aus einem Derwisch denn nichts, gar nichts machen?

380

NATHAN. Ei wohl, genug! – Ich dachte mir nur immer,

Der Derwisch – so der rechte Derwisch – woll’

Aus sich nichts machen lassen.

DERWISCH.                                          Beim Propheten!

Dass ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr sein.

Zwar wenn man muss –

NATHAN.                           Muss! Derwisch! – Derwisch muss?

Kein Mensch muss müssen, und ein Derwisch müsste?

Was müsst er denn?

DERWISCH.                  Warum man ihn recht bittet,

Und er für gut erkennt: das muss ein Derwisch.

NATHAN. Bei unserm Gott! da sagst du wahr. – Lass dich

Umarmen, Mensch. – Du bist doch noch mein Freund?

DERWISCH.

390