Nathan der Weise - Gotthold Ephraim Lessing - E-Book

Nathan der Weise E-Book

Gotthold Ephraim Lessing

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Beschreibung

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. »Das Stück handelt von einem Juden, der seinen persönlichen Holocaust erlebt. Nathans sieben Söhne sterben, verbrennen in einem Pogrom. Dennoch: Dieser Nathan übt keine Vergeltung, keine Rache. Auf seinem Schmerz folgt kein Hass, sondern die Vernunft kehrt wieder. Und über die Vernunft das Vergeben. Das ist die Botschaft, die dieses helle Stück in dunklen Zeiten vermitteln kann. Ich denke, das muss man heute postulieren, das muss man heute predigen, damit es alle Ohren hören.« (Claus Peymann)

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Gotthold Ephraim Lessing

Nathan der Weise

Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen

Fischer e-books

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.

Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.

Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.

Personen

Sultan SALADIN

SITTAH, dessen Schwester

NATHAN, ein reicher Jude in Jerusalem

RECHA, dessen angenommene Tochter

DAJA, eine Christin, aber in dem Hause des Juden, als Gesellschafterin der Recha

Ein junger TEMPELHERR

Ein DERWISCH

Der PATRIARCH von Jerusalem

Ein KLOSTERBRUDER

Ein EMIR nebst verschiednen Mamelucken des Saladin

 

Die Szene ist in Jerusalem.

Erster Aufzug

Erster Auftritt

Szene: Flur in Nathans Hause.

NATHAN von der Reise kommend. DAJA ihm entgegen.

DAJA

Er ist es! Nathan! – Gott sei ewig Dank,

Dass Ihr doch endlich einmal wiederkommt.

NATHAN

Ja, Daja; Gott sei Dank! Doch warum endlich?

Hab ich denn eher wiederkommen wollen?

Und wiederkommen können? Babylon

Ist von Jerusalem, wie ich den Weg,

Seitab bald rechts, bald links, zu nehmen bin

Genötigt worden, gut zweihundert Meilen;

Und Schulden einkassieren, ist gewiss

Auch kein Geschäft, das merklich födert, das

So von der Hand sich schlagen lässt.

DAJA

                O Nathan,

Wie elend, elend hättet Ihr indes

Hier werden können! Euer Haus …

NATHAN

              Das brannte.

So hab ich schon vernommen. – Gebe Gott,

Dass ich nur alles schon vernommen habe!

DAJA

Und wäre leicht von Grund aus abgebrannt.

NATHAN

Dann, Daja, hätten wir ein neues uns

Gebaut; und ein bequemeres.

DAJA

              Schon wahr! –

Doch Recha wär bei einem Haare mit

Verbrannt.

NATHAN

    Verbrannt? Wer? meine Recha? sie? –

Das hab ich nicht gehört. – Nun dann! So hätte

Ich keines Hauses mehr bedurft. – Verbrannt

Bei einem Haare! – Ha! sie ist es wohl!

Ist wirklich wohl verbrannt! – Sag nur heraus!

Heraus nur! – Töte mich: und martre mich

Nicht länger. – Ja, sie ist verbrannt.

DAJA

               Wenn sie

Es wäre, würdet Ihr von mir es hören?

NATHAN

Warum erschreckest du mich denn? – O Recha!

O meine Recha!

DAJA

       Eure? Eure Recha?

NATHAN

Wenn ich mich wieder je entwöhnen müsste,

Dies Kind mein Kind zu nennen!

DAJA

              Nennt Ihr alles,

Was Ihr besitzt, mit ebenso viel Rechte

Das Eure?

NATHAN

   Nichts mit größerm! Alles, was

Ich sonst besitze, hat Natur und Glück

Mir zugeteilt. Dies Eigentum allein

Dank ich der Tugend.

DAJA

         O wie teuer lasst

Ihr Eure Güte, Nathan, mich bezahlen!

Wenn Güt’, in solcher Absicht ausgeübt,

Noch Güte heißen kann!

NATHAN

         In solcher Absicht?

In welcher?

DAJA

     Mein Gewissen …

NATHAN

           Daja, lass

Vor allen Dingen dir erzählen …

DAJA

              Mein

Gewissen, sag ich …

NATHAN

       Was in Babylon

Für einen schönen Stoff ich dir gekauft.

So reich, und mit Geschmack so reich! Ich bringe

Für Recha selbst kaum einen schönern mit.

DAJA

Was hilft’s? Denn mein Gewissen, muss ich Euch

Nur sagen, lässt sich länger nicht betäuben.

NATHAN

Und wie die Spangen, wie die Ohrgehenke,

Wie Ring und Kette dir gefallen werden,

Die in Damaskus ich dir ausgesucht:

Verlanget mich zu sehn.

DAJA

          So seid Ihr nun!

Wenn Ihr nur schenken könnt! nur schenken könnt!

NATHAN

Nimm du so gern, als ich dir geb: – und schweig!

DAJA

Und schweig! – Wer zweifelt, Nathan, dass Ihr nicht

Die Ehrlichkeit, die Großmut selber seid?

Und doch …

NATHAN

    Doch bin ich nur ein Jude. – Gelt,

Das willst du sagen?

DAJA

        Was ich sagen will,

Das wisst Ihr besser.

NATHAN

        Nun so schweig!

DAJA

               Ich schweige.

Was Sträfliches vor Gott hierbei geschieht,

Und ich nicht hindern kann, nicht ändern kann, –

Nicht kann, – komm’ über Euch!

NATHAN

            Komm’ über mich! –

Wo aber ist sie denn? wo bleibt sie? – Daja,

Wenn du mich hintergehst! – Weiß Sie es denn,

Dass ich gekommen bin?

DAJA

          Das frag ich Euch!

Noch zittert ihr der Schreck durch jede Nerve.

Noch malet Feuer ihre Phantasie

Zu allem, was sie malt. Im Schlafe wacht,

Im Wachen schläft ihr Geist: halb weniger

Als Tier, bald mehr als Engel.

NATHAN

           Armes Kind!

Was sind wir Menschen!

DAJA

           Diesen Morgen lag

Sie lange mit verschlossnem Aug’, und war

Wie tot. Schnell fuhr sie auf, und rief: »Horch! horch!

Da kommen die Kamele meines Vaters!

Horch! seine sanfte Stimme selbst!« – Indem

Brach sich ihr Auge wieder: und ihr Haupt,

Dem seines Armes Stütze sich entzog,

Stürzt auf das Küssen. – Ich, zur Pfort’ hinaus!

Und sieh: da kommt Ihr wahrlich! kommt Ihr wahrlich! –

Was Wunder! ihre ganze Seele war

Die Zeit her nur bei Euch – und ihm. –

NATHAN

               Bei ihm?

Bei welchem Ihm?

DAJA

        Bei ihm, der aus dem Feuer

Sie rettete.

NATHAN

    Wer war das? wer? – Wo ist er?

Wer rettete mir meine Recha? wer?

DAJA

Ein junger Tempelherr, den, wenig Tage

Zuvor, man hier gefangen eingebracht,

Und Saladin begnadigt hatte.

NATHAN

          Wie?

Ein Tempelherr, dem Sultan Saladin

Das Leben ließ? Durch ein geringres Wunder

War Recha nicht zu retten? Gott!

DAJA

              Ohn ihn,

Der seinen unvermuteten Gewinst

Frisch wieder wagte, war es aus mit ihr.

NATHAN

Wo ist er, Daja, dieser edle Mann? –

Wo ist er? Führe mich zu seinen Füßen.

Ihr gabt ihm doch vors Erste, was an Schätzen

Ich euch gelassen hatte? gabt ihm alles?

Verspracht ihm mehr? weit mehr?

DAJA

                Wie konnten wir?

NATHAN

Nicht? nicht?

DAJA

        Er kam, und niemand weiß woher.

Er ging, und niemand weiß wohin. – Ohn alle

Des Hauses Kundschaft, nur von seinem Ohr

Geleitet, drang, mit vorgespreiztem Mantel,

Er kühn durch Flamm’ und Rauch der Stimme nach,

Die uns um Hülfe rief. Schon hielten wir

Ihn für verloren, als aus Rauch und Flamme

Mit eins er vor uns stand, im starken Arm

Empor sie tragend. Kalt und ungerührt

Vom Jauchzen unsers Danks, setzt seine Beute

Er nieder, drängt sich unters Volk und ist –

Verschwunden!

NATHAN

     Nicht auf immer, will ich hoffen.

DAJA

Nachher die ersten Tage sahen wir

Ihn untern Palmen auf und nieder wandeln,

Die dort des Auferstandnen Grab umschatten.

Ich nahte mich ihm mit Entzücken, dankte,

Erhob, entbot, beschwor, – nur einmal noch

Die fromme Kreatur zu sehen, die

Nicht ruhen könne, bis sie ihren Dank

Zu seinen Füßen ausgeweinet.

NATHAN

           Nun?

DAJA

Umsonst! Er war zu unsrer Bitte taub;

Und goss so bittern Spott auf mich besonders …

NATHAN

Bis dadurch abgeschreckt …

DAJA

               Nichts weniger!

Ich trat ihn jeden Tag von neuem an;

Ließ jeden Tag von neuem mich verhöhnen.

Was litt ich nicht von ihm! Was hätt ich nicht

Noch gern ertragen! – Aber lange schon

Kommt er nicht mehr, die Palmen zu besuchen,

Die unsers Auferstandnen Grab umschatten;

Und niemand weiß, wo er geblieben ist. –

Ihr staunt? Ihr sinnt?

NATHAN

         Ich überdenke mir,

Was das auf einen Geist, wie Rechas, wohl

Für Eindruck machen muss. Sich so verschmäht

Von dem zu finden, den man hochzuschätzen

Sich so gezwungen fühlt; so weggestoßen,

Und doch so angezogen werden; – Traun,

Da müssen Herz und Kopf sich lange zanken,

Ob Menschenhass, ob Schwermut siegen soll.

Oft siegt auch keines; und die Phantasie,

Die in den Streit sich mengt, macht Schwärmer,

Bei welchen bald der Kopf das Herz, und bald

Das Herz den Kopf muss spielen. – Schlimmer Tausch! –

Das Letztere, verkenn ich Recha nicht,

Ist Rechas Fall: sie schwärmt.

DAJA

             Allein so fromm,

So liebenswürdig!

NATHAN

       Ist doch auch geschwärmt!

DAJA

Vornehmlich Eine – Grille, wenn Ihr wollt,

Ist ihr sehr wert. Es sei ihr Tempelherr

Kein irdischer und keines irdischen;

Der Engel einer, deren Schutze sich

Ihr kleines Herz, von Kindheit auf, so gern

Vertrauet glaubte, sei aus seiner Wolke,

In die er sonst verhüllt, auch noch im Feuer,

Um sie geschwebt, mit eins als Tempelherr

Hervorgetreten. – Lächelt nicht! – Wer weiß?

Lasst lächelnd wenigstens ihr einen Wahn,

In dem sich Jud’ und Christ und Muselmann

Vereinigen; – so einen süßen Wahn!

NATHAN

Auch mir so süß! – Geh, wackre Daja, geh;

Sieh, was sie macht; ob ich sie sprechen kann. –

Sodann such ich den wilden, launigen

Schutzengel auf. Und wenn ihm noch beliebt,

Hiernieden unter uns zu wallen; noch

Beliebt, so ungesittet Ritterschaft

Zu treiben: find ich ihn gewiss; und bring

Ihn her.

DAJA

    Ihr unternehmet viel.

NATHAN

          Macht dann

Der süße Wahn der süßern Wahrheit Platz: –

Denn, Daja, glaube mir; dem Menschen ist

Ein Mensch noch immer lieber, als ein Engel –

So wirst du doch auf mich, auf mich nicht zürnen,

Die Engelschwärmerin geheilt zu sehn?

DAJA

Ihr seid so gut, und seid zugleich so schlimm!

Ich geh! – Doch hört! doch seht! – Da kommt sie selbst.

Zweiter Auftritt

RECHA und die VORIGEN.

RECHA

So seid Ihr es doch ganz und gar, mein Vater?

Ich glaubt, Ihr hättet Eure Stimme nur

Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge,

Für Wüsten, was für Ströme trennen uns

Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit ihr,

Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen?

Die arme Recha, die indes verbrannte! –

Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht!

Es ist ein garst’ger Tod, verbrennen. O!

NATHAN

Mein Kind! mein liebes Kind!

RECHA

              Ihr musstet über

Den Euphrat, Tigris, Jordan; über – wer

Weiß was für Wasser all? – Wie oft hab ich

Um Euch gezittert, eh das Feuer mir

So nahe kam! Denn seit das Feuer mir

So nahe kam: dünkt mich im Wasser sterben

Erquickung, Labsal, Rettung. – Doch Ihr seid

Ja nicht ertrunken: ich, ich bin ja nicht

Verbrannt. Wie wollen wir uns freun, und Gott,

Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen

Auf Flügeln seiner unsichtbaren Engel

Die ungetreuen Ström’ hinüber. Er,

Er winkte meinem Engel, dass er sichtbar

Auf seinem weißen Fittiche, mich durch

Das Feuer trüge –

NATHAN

      (Weißem Fittiche!

Ja, ja! der weiße vorgespreizte Mantel

Des Tempelherrn.)

RECHA

       Er sichtbar, sichtbar mich

Durchs Feuer trüg, von seinem Fittiche

Verweht. – Ich also, ich hab einen Engel

Von Angesicht zu Angesicht gesehn;

Und meinen Engel.

NATHAN

      Recha wär es wert;

Und würd an ihm nichts Schönres sehn, als er

An ihr.

RECHA (lächelnd)

    Wem schmeichelt Ihr, mein Vater? wem?

Dem Engel, oder Euch?

NATHAN

         Doch hätt auch nur

Ein Mensch – ein Mensch, wie die Natur sie täglich

Gewährt, dir diesen Dienst erzeigt; er müsste

Für dich ein Engel sein. Er müsst und würde.

RECHA

Nicht so ein Engel; nein! ein wirklicher;

Es war gewiss ein wirklicher! – Habt Ihr,

Ihr selbst die Möglichkeit, dass Engel sind,

Dass Gott zum Besten derer, die ihn lieben,

Auch Wunder könne tun, mich nicht gelehrt?

Ich lieb ihn ja.

NATHAN

      Und er liebt dich; und tut

Für dich, und deinesgleichen, stündlich Wunder;

Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit

Für euch getan.

RECHA

      Das hör ich gern.

NATHAN

             Wie? weil

Es ganz natürlich, ganz alltäglich klänge,

Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr

Gerettet hätte: sollt es darum weniger

Ein Wunder sein? – Der Wunder höchstes ist,

Dass uns die wahren, echten Wunder so

Alltäglich werden können, werden sollen.

Ohn dieses allgemeine Wunder, hätte

Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je

Genannt, was Kindern bloß so heißen müsste,

Die gaffend nur das Ungewöhnlichste,

Das Neuste nur verfolgen.

DAJA (zu Nathan)

      Wollt Ihr denn

Ihr ohnedem schon überspanntes Hirn

Durch solcherlei Subtilitäten ganz

Zersprengen?

NATHAN

    Lass mich! – Meiner Recha wär

Es Wunders nicht genug, dass sie ein Mensch

Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder

Erst retten müssen? Ja, kein kleines Wunder!

Denn wer hat schon gehört, dass Saladin

Je eines Tempelherrn verschont? dass je

Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden

Verlangt? gehofft? ihm je für seine Freiheit

Mehr als den ledern Gurt geboten, der

Sein Eisen schleppt; und höchstens seinen Dolch?

RECHA

Das schließt für mich, mein Vater. – Darum eben

War das kein Tempelherr; er schien es nur. –

Kömmt kein gefangner Tempelherr je anders

Als zum gewissen Tode nach Jerusalem;

Geht keiner in Jerusalem so frei

Umher: wie hätte mich des Nachts freiwillig

Denn einer retten können?

NATHAN

          Sieh! wie sinnreich.

Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab es ja

Von dir, dass er gefangen hergeschickt

Ist worden. Ohne Zweifel weißt du mehr.

DAJA

Nun ja. – So sagt man freilich; – doch man sagt

Zugleich, dass Saladin den Tempelherrn

Begnadigt, weil er seiner Brüder einem,

Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe.

Doch da es viele zwanzig Jahre her,

Dass dieser Bruder nicht mehr lebt, – er hieß,

Ich weiß nicht wie; – er blieb, ich weiß nicht wo: –

So klingt das ja so gar – so gar unglaublich,

Dass an der ganzen Sache wohl nichts ist.

NATHAN

Ei, Daja! Warum wäre denn das so

Unglaublich? Doch wohl nicht – wie’s wohl geschieht –

Um lieber etwas noch Unglaublichers

Zu glauben? – Warum hätte Saladin,

Der sein Geschwister insgesamt so liebt,

In jüngern Jahren einen Bruder nicht

Noch ganz besonders lieben können? – Pflegen

Sich zwei Gesichter nicht zu ähneln? – Ist

Ein alter Eindruck ein verlorner? – Wirkt

Das Nämliche nicht mehr das Nämliche?

Seit wenn? – Wo steckt hier das Unglaubliche? –

Ei freilich, weise Daja, wär’s für dich

Kein Wunder mehr; und deine Wunder nur

Bedürf … verdienen, will ich sagen, Glauben.

DAJA

Ihr spottet.

NATHAN

    Weil du meiner spottest. – Doch

Auch so noch, Recha, bleibet deine Rettung

Ein Wunder, dem nur möglich, der die strengsten

Entschlüsse, die unbändigsten Entwürfe

Der Könige, sein Spiel – wenn nicht sein Spott –

Gern an den schwächsten Fäden lenkt.

RECHA

               Mein Vater!

Mein Vater, wenn ich irr, Ihr wisst, ich irre

Nicht gern.

NATHAN

    Vielmehr, du lässt dich gern belehren. –

Sieh! eine Stirn, so oder so gewölbt;

Der Rücken einer Nase, so vielmehr

Als so geführet; Augenbraunen, die

Auf einem scharfen oder stumpfen Knochen

So oder so sich schlängeln; eine Linie,

Ein Bug, ein Winkel, eine Falt’, ein Mal,

Ein Nichts, auf eines wilden Europäers

Gesicht: – und du entkömmst dem Feu’r, in Asien!

Das wär kein Wunder, wundersücht’ges Volk?

Warum bemüht ihr denn noch einen Engel?

DAJA

Was schadet’s – Nathan, wenn ich sprechen darf –

Bei alledem, von einem Engel lieber

Als einem Menschen sich gerettet denken?

Fühlt man der ersten unbegreiflichen

Ursache seiner Rettung nicht sich so

Viel näher?

NATHAN

   Stolz! und nichts als Stolz! Der Topf

Von Eisen will mit einer silbern Zange

Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst

Ein Topf von Silber sich zu dünken. – Pah! –

Und was es schadet, fragst du? was es schadet?

Was hilft es? dürft ich nur hinwieder fragen. –

Denn dein »Sich Gott um so viel näher fühlen«,

Ist Unsinn oder Gotteslästerung. –

Allein es schadet; ja, es schadet allerdings. –

Kommt! hört mir zu. – Nicht wahr? dem Wesen, das

Dich rettete, – es sei ein Engel oder

Ein Mensch, – dem möchtet ihr, und du besonders,

Gern wieder viele große Dienste tun? –

Nicht wahr? – Nun, einem Engel, was für Dienste,

Für große Dienste könnt ihr dem wohl tun?

Ihr könnt ihm danken; zu ihm seufzen, beten;

Könnt in Entzückung über ihn zerschmelzen;

Könnt an dem Tage seiner Feier fasten,

Almosen spenden. – Alles nichts. – Denn mich

Deucht immer, dass ihr selbst und euer Nächster

Hierbei weit mehr gewinnt, als er. Er wird

Nicht fett durch euer Fasten; wird nicht reich

Durch eure Spenden; wird nicht herrlicher

Durch eu’r Entzücken; wird nicht mächtiger

Durch eu’r Vertraun. Nicht wahr? Allein ein Mensch!

DAJA

Ei freilich hätt ein Mensch, etwas für ihn

Zu tun, uns mehr Gelegenheit verschafft.

Und Gott weiß, wie bereit wir dazu waren!

Allein er wollte ja, bedurfte ja

So völlig nichts; war in sich, mit sich so

Vergnügsam, als nur Engel sind, nur Engel

Sein können.

RECHA

    Endlich, als er gar verschwand …

NATHAN

Verschwand? – Wie denn verschwand? – Sich untern Palmen

Nicht ferner sehen ließ? – Wie? oder habt

Ihr wirklich schon ihn weiter aufgesucht?

DAJA

Das nun wohl nicht.

NATHAN

        Nicht, Daja? nicht? – Da sieh

Nun was es schad’t! – Grausame Schwärmerinnen! –

Wenn dieser Engel nun – nun krank geworden! …

RECHA

Krank!

DAJA

    Krank! Er wird doch nicht!

RECHA

                Welch kalter Schauer

Befällt mich! – Daja! – Meine Stirne, sonst

So warm, fühl! ist auf einmal Eis.

NATHAN

             Er ist

Ein Franke, dieses Klimas ungewohnt;

Ist jung; der harten Arbeit seines Standes,

Des Hungerns, Wachens ungewohnt.

RECHA

               Krank! krank!

DAJA

Das wäre möglich, meint ja Nathan nur.

NATHAN

Nun liegt er da! hat weder Freund, noch Geld

Sich Freunde zu besolden.

RECHA

           Ah, mein Vater!

NATHAN

Liegt ohne Wartung, ohne Rat und Zusprach,

Ein Raub der Schmerzen und des Todes da!

RECHA

Wo? wo?

NATHAN

     Er, der für eine, die er nie

Gekannt, gesehn – genug, es war ein Mensch –

Ins Feu’r sich stürzte …

DAJA

          Nathan, schonet ihrer!

NATHAN

Der, was er rettete, nicht näher kennen,

Nicht weiter sehen mocht, – um ihm den Dank

Zu sparen …

DAJA

      Schonet ihrer, Nathan!

NATHAN

              Weiter

Auch nicht zu sehn verlangt’, – es wäre denn,

Dass er zum zweiten Mal es retten sollte –

Denn g’nug, es ist ein Mensch …

DAJA

              Hört auf, und seht!

NATHAN

Der, der hat sterbend sich zu laben, nichts –

Als das Bewusstsein dieser Tat!

DAJA

             Hört auf!

Ihr tötet sie!

NATHAN

   Und du hast ihn getötet! –

Hättst so ihn töten können. – Recha! Recha!

Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche.

Er lebt! – komm zu dir! – ist auch wohl nicht krank;

Nicht einmal krank!

RECHA

       Gewiss? – nicht tot? nicht krank?

NATHAN

Gewiss, nicht tot! – Denn Gott lohnt Gutes, hier

Getan, auch hier noch. – Geh! – Begreifst du aber,

Wie viel andächtig schwärmen leichter, als

Gut handeln ist? wie gern der schlaffste Mensch

Andächtig schwärmt, um nur, – ist er zuzeiten

Sich schon der Absicht deutlich nicht bewusst –

Um nur gut handeln nicht zu dürfen?

RECHA

               Ah,

Mein Vater! lasst, lasst Eure Recha doch

Nie wiederum allein! – Nicht wahr, er kann

Auch wohl verreist nur sein? –

NATHAN

           Geht! – Allerdings. –

Ich seh, dort mustert mit neugier’gem Blick

Ein Muselmann mir die beladenen

Kamele. Kennt ihr ihn?

DAJA

          Ha! Euer Derwisch.

NATHAN

Wer?

DAJA

     Euer Derwisch; Euer Schachgesell!

NATHAN

Al-Hafi? das Al-Hafi?

DAJA

            Itzt des Sultans

Schatzmeister.

NATHAN

    Wie? Al-Hafi? Träumst du wieder? –

Er ist’s! – wahrhaftig, ist’s! – kömmt auf uns zu.

Hinein mit Euch, geschwind! – Was werd ich hören!

Dritter Auftritt

NATHAN und der DERWISCH.

DERWISCH

Reißt nur die Augen auf, so weit Ihr könnt!

NATHAN

Bist du’s? bist du es nicht? – In dieser Pracht,

Ein Derwisch! …

DERWISCH

     Nun? warum denn nicht? Lässt sich

Aus einem Derwisch denn nichts, gar nichts machen?

NATHAN

Ei wohl, genug! – Ich dachte mir nur immer,

Der Derwisch – so der rechte Derwisch – woll’

Aus sich nichts machen lassen.

DERWISCH

           Beim Propheten!

Dass ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr sein.

Zwar wenn man muss –

NATHAN

          Muss! Derwisch! – Derwisch muss?

Kein Mensch muss müssen, und ein Derwisch müsste?

Was müsst er denn?

DERWISCH

      Warum man ihn recht bittet,

Und er für gut erkennt: das muss ein Derwisch.

NATHAN

Bei unserm Gott! da sagst du wahr. – Lass dich

Umarmen, Mensch. – Du bist doch noch mein Freund?

DERWISCH

Und fragt nicht erst, was ich geworden bin?

NATHAN

Trotz dem, was du geworden!

DERWISCH

             Könnt ich nicht

Ein Kerl im Staat geworden sein, des Freundschaft

Euch ungelegen wäre?

NATHAN

        Wenn dein Herz

Noch Derwisch ist, so wag ich’s drauf. Der Kerl

Im Staat, ist nur dein Kleid.

DERWISCH

          Das auch geehrt

Will sein. – Was meint Ihr? ratet! – Was wär ich

An Eurem Hofe?

NATHAN

      Derwisch; weiter nichts.

Doch nebenher, wahrscheinlich – Koch.

DERWISCH

                Nun ja!

Mein Handwerk bei Euch zu verlernen. – Koch!

Nicht Kellner auch? Gesteht, dass Saladin

Mich besser kennt. – Schatzmeister bin ich bei

Ihm worden.

NATHAN

    Du? – bei ihm?

DERWISCH

          Versteht:

Des kleinern Schatzes, – denn des größern waltet

Sein Vater noch – des Schatzes für sein Haus.

NATHAN

Sein Haus ist groß.

DERWISCH

        Und größer, als Ihr glaubt;

Denn jeder Bettler ist von seinem Hause.

NATHAN

Doch ist den Bettlern Saladin so feind –

DERWISCH

Dass er mit Strumpf und Stiel sie zu vertilgen

Sich vorgesetzt, – und sollt er selbst darüber

Zum Bettler werden.

NATHAN

        Brav! – So mein ich’s eben.

DERWISCH

Er ist’s auch schon, trotz einem! – Denn sein Schatz

Ist jeden Tag mit Sonnenuntergang

Viel leerer noch, als leer. Die Flut, so hoch

Sie morgens eintritt, ist des Mittags längst

Verlaufen –

NATHAN

    Weil Kanäle sie zum Teil

Verschlingen, die zu füllen oder zu

Verstopfen, gleich unmöglich ist.

DERWISCH

             Getroffen!

NATHAN

Ich kenne das!

DERWISCH

      Es taugt nun freilich nichts,

Wenn Fürsten Geier unter Äsern sind.

Doch sind sie Äser unter Geiern, taugt’s

Noch zehnmal weniger.

NATHAN

        O nicht doch, Derwisch!

Nicht doch!

DERWISCH

  Ihr habt gut reden, Ihr! – Kommt an:

Was gebt Ihr mir? so tret ich meine Stell’

Euch ab.

NATHAN

  Was bringt dir deine Stelle?

DERWISCH

            Mir?

Nicht viel. Doch Euch, Euch kann sie trefflich wuchern.

Denn ist es Ebb’ im Schatz, – wie öfters ist, –

So zieht Ihr Eure Schleusen auf: schießt vor,

Und nehmt an Zinsen, was Euch nur gefällt.

NATHAN

Auch Zins vom Zins der Zinsen?

DERWISCH

             Freilich!

NATHAN

                  Bis

Mein Kapital zu lauter Zinsen wird.

DERWISCH

Das lockt Euch nicht? – So schreibet unsrer Freundschaft 

Nur gleich den Scheidebrief! Denn wahrlich hab

Ich sehr auf Euch gerechnet.

NATHAN

          Wahrlich? Wie

Denn so? wieso denn?

DERWISCH

        Dass Ihr mir mein Amt

Mit Ehren würdet führen helfen; dass

Ich allzeit offne Kasse bei Euch hätte. –

Ihr schüttelt?

NATHAN

    Nun, verstehn wir uns nur recht!

Hier gibt’s zu unterscheiden. – Du? warum

Nicht du? Al-Hafi Derwisch ist zu allem,

Was ich vermag, mir stets willkommen. – Aber

Al-Hafi Defterdar des Saladin,

Der – dem –

DERWISCH

   Erriet ich’s nicht? Dass Ihr doch immer

So gut als klug, so klug als weise seid? –

Geduld! Was Ihr am Hafi unterscheidet,

Soll bald geschieden wieder sein. – Seht da

Das Ehrenkleid, das Saladin mir gab.

Eh es verschossen ist, eh es zu Lumpen

Geworden, wie sie einen Derwisch kleiden,

Hängt’s in Jerusalem am Nagel, und