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Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. »Das Stück handelt von einem Juden, der seinen persönlichen Holocaust erlebt. Nathans sieben Söhne sterben, verbrennen in einem Pogrom. Dennoch: Dieser Nathan übt keine Vergeltung, keine Rache. Auf seinem Schmerz folgt kein Hass, sondern die Vernunft kehrt wieder. Und über die Vernunft das Vergeben. Das ist die Botschaft, die dieses helle Stück in dunklen Zeiten vermitteln kann. Ich denke, das muss man heute postulieren, das muss man heute predigen, damit es alle Ohren hören.« (Claus Peymann)
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Seitenzahl: 180
Gotthold Ephraim Lessing
Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen
Sultan SALADIN
SITTAH, dessen Schwester
NATHAN, ein reicher Jude in Jerusalem
RECHA, dessen angenommene Tochter
DAJA, eine Christin, aber in dem Hause des Juden, als Gesellschafterin der Recha
Ein junger TEMPELHERR
Ein DERWISCH
Der PATRIARCH von Jerusalem
Ein KLOSTERBRUDER
Ein EMIR nebst verschiednen Mamelucken des Saladin
Die Szene ist in Jerusalem.
Szene: Flur in Nathans Hause.
NATHAN von der Reise kommend. DAJA ihm entgegen.
DAJA
Er ist es! Nathan! – Gott sei ewig Dank,
Dass Ihr doch endlich einmal wiederkommt.
NATHAN
Ja, Daja; Gott sei Dank! Doch warum endlich?
Hab ich denn eher wiederkommen wollen?
Und wiederkommen können? Babylon
Ist von Jerusalem, wie ich den Weg,
Seitab bald rechts, bald links, zu nehmen bin
Genötigt worden, gut zweihundert Meilen;
Und Schulden einkassieren, ist gewiss
Auch kein Geschäft, das merklich födert, das
So von der Hand sich schlagen lässt.
DAJA
O Nathan,
Wie elend, elend hättet Ihr indes
Hier werden können! Euer Haus …
NATHAN
Das brannte.
So hab ich schon vernommen. – Gebe Gott,
Dass ich nur alles schon vernommen habe!
DAJA
Und wäre leicht von Grund aus abgebrannt.
NATHAN
Dann, Daja, hätten wir ein neues uns
Gebaut; und ein bequemeres.
DAJA
Schon wahr! –
Doch Recha wär bei einem Haare mit
Verbrannt.
NATHAN
Verbrannt? Wer? meine Recha? sie? –
Das hab ich nicht gehört. – Nun dann! So hätte
Ich keines Hauses mehr bedurft. – Verbrannt
Bei einem Haare! – Ha! sie ist es wohl!
Ist wirklich wohl verbrannt! – Sag nur heraus!
Heraus nur! – Töte mich: und martre mich
Nicht länger. – Ja, sie ist verbrannt.
DAJA
Wenn sie
Es wäre, würdet Ihr von mir es hören?
NATHAN
Warum erschreckest du mich denn? – O Recha!
O meine Recha!
DAJA
Eure? Eure Recha?
NATHAN
Wenn ich mich wieder je entwöhnen müsste,
Dies Kind mein Kind zu nennen!
DAJA
Nennt Ihr alles,
Was Ihr besitzt, mit ebenso viel Rechte
Das Eure?
NATHAN
Nichts mit größerm! Alles, was
Ich sonst besitze, hat Natur und Glück
Mir zugeteilt. Dies Eigentum allein
Dank ich der Tugend.
DAJA
O wie teuer lasst
Ihr Eure Güte, Nathan, mich bezahlen!
Wenn Güt’, in solcher Absicht ausgeübt,
Noch Güte heißen kann!
NATHAN
In solcher Absicht?
In welcher?
DAJA
Mein Gewissen …
NATHAN
Daja, lass
Vor allen Dingen dir erzählen …
DAJA
Mein
Gewissen, sag ich …
NATHAN
Was in Babylon
Für einen schönen Stoff ich dir gekauft.
So reich, und mit Geschmack so reich! Ich bringe
Für Recha selbst kaum einen schönern mit.
DAJA
Was hilft’s? Denn mein Gewissen, muss ich Euch
Nur sagen, lässt sich länger nicht betäuben.
NATHAN
Und wie die Spangen, wie die Ohrgehenke,
Wie Ring und Kette dir gefallen werden,
Die in Damaskus ich dir ausgesucht:
Verlanget mich zu sehn.
DAJA
So seid Ihr nun!
Wenn Ihr nur schenken könnt! nur schenken könnt!
NATHAN
Nimm du so gern, als ich dir geb: – und schweig!
DAJA
Und schweig! – Wer zweifelt, Nathan, dass Ihr nicht
Die Ehrlichkeit, die Großmut selber seid?
Und doch …
NATHAN
Doch bin ich nur ein Jude. – Gelt,
Das willst du sagen?
DAJA
Was ich sagen will,
Das wisst Ihr besser.
NATHAN
Nun so schweig!
DAJA
Ich schweige.
Was Sträfliches vor Gott hierbei geschieht,
Und ich nicht hindern kann, nicht ändern kann, –
Nicht kann, – komm’ über Euch!
NATHAN
Komm’ über mich! –
Wo aber ist sie denn? wo bleibt sie? – Daja,
Wenn du mich hintergehst! – Weiß Sie es denn,
Dass ich gekommen bin?
DAJA
Das frag ich Euch!
Noch zittert ihr der Schreck durch jede Nerve.
Noch malet Feuer ihre Phantasie
Zu allem, was sie malt. Im Schlafe wacht,
Im Wachen schläft ihr Geist: halb weniger
Als Tier, bald mehr als Engel.
NATHAN
Armes Kind!
Was sind wir Menschen!
DAJA
Diesen Morgen lag
Sie lange mit verschlossnem Aug’, und war
Wie tot. Schnell fuhr sie auf, und rief: »Horch! horch!
Da kommen die Kamele meines Vaters!
Horch! seine sanfte Stimme selbst!« – Indem
Brach sich ihr Auge wieder: und ihr Haupt,
Dem seines Armes Stütze sich entzog,
Stürzt auf das Küssen. – Ich, zur Pfort’ hinaus!
Und sieh: da kommt Ihr wahrlich! kommt Ihr wahrlich! –
Was Wunder! ihre ganze Seele war
Die Zeit her nur bei Euch – und ihm. –
NATHAN
Bei ihm?
Bei welchem Ihm?
DAJA
Bei ihm, der aus dem Feuer
Sie rettete.
NATHAN
Wer war das? wer? – Wo ist er?
Wer rettete mir meine Recha? wer?
DAJA
Ein junger Tempelherr, den, wenig Tage
Zuvor, man hier gefangen eingebracht,
Und Saladin begnadigt hatte.
NATHAN
Wie?
Ein Tempelherr, dem Sultan Saladin
Das Leben ließ? Durch ein geringres Wunder
War Recha nicht zu retten? Gott!
DAJA
Ohn ihn,
Der seinen unvermuteten Gewinst
Frisch wieder wagte, war es aus mit ihr.
NATHAN
Wo ist er, Daja, dieser edle Mann? –
Wo ist er? Führe mich zu seinen Füßen.
Ihr gabt ihm doch vors Erste, was an Schätzen
Ich euch gelassen hatte? gabt ihm alles?
Verspracht ihm mehr? weit mehr?
DAJA
Wie konnten wir?
NATHAN
Nicht? nicht?
DAJA
Er kam, und niemand weiß woher.
Er ging, und niemand weiß wohin. – Ohn alle
Des Hauses Kundschaft, nur von seinem Ohr
Geleitet, drang, mit vorgespreiztem Mantel,
Er kühn durch Flamm’ und Rauch der Stimme nach,
Die uns um Hülfe rief. Schon hielten wir
Ihn für verloren, als aus Rauch und Flamme
Mit eins er vor uns stand, im starken Arm
Empor sie tragend. Kalt und ungerührt
Vom Jauchzen unsers Danks, setzt seine Beute
Er nieder, drängt sich unters Volk und ist –
Verschwunden!
NATHAN
Nicht auf immer, will ich hoffen.
DAJA
Nachher die ersten Tage sahen wir
Ihn untern Palmen auf und nieder wandeln,
Die dort des Auferstandnen Grab umschatten.
Ich nahte mich ihm mit Entzücken, dankte,
Erhob, entbot, beschwor, – nur einmal noch
Die fromme Kreatur zu sehen, die
Nicht ruhen könne, bis sie ihren Dank
Zu seinen Füßen ausgeweinet.
NATHAN
Nun?
DAJA
Umsonst! Er war zu unsrer Bitte taub;
Und goss so bittern Spott auf mich besonders …
NATHAN
Bis dadurch abgeschreckt …
DAJA
Nichts weniger!
Ich trat ihn jeden Tag von neuem an;
Ließ jeden Tag von neuem mich verhöhnen.
Was litt ich nicht von ihm! Was hätt ich nicht
Noch gern ertragen! – Aber lange schon
Kommt er nicht mehr, die Palmen zu besuchen,
Die unsers Auferstandnen Grab umschatten;
Und niemand weiß, wo er geblieben ist. –
Ihr staunt? Ihr sinnt?
NATHAN
Ich überdenke mir,
Was das auf einen Geist, wie Rechas, wohl
Für Eindruck machen muss. Sich so verschmäht
Von dem zu finden, den man hochzuschätzen
Sich so gezwungen fühlt; so weggestoßen,
Und doch so angezogen werden; – Traun,
Da müssen Herz und Kopf sich lange zanken,
Ob Menschenhass, ob Schwermut siegen soll.
Oft siegt auch keines; und die Phantasie,
Die in den Streit sich mengt, macht Schwärmer,
Bei welchen bald der Kopf das Herz, und bald
Das Herz den Kopf muss spielen. – Schlimmer Tausch! –
Das Letztere, verkenn ich Recha nicht,
Ist Rechas Fall: sie schwärmt.
DAJA
Allein so fromm,
So liebenswürdig!
NATHAN
Ist doch auch geschwärmt!
DAJA
Vornehmlich Eine – Grille, wenn Ihr wollt,
Ist ihr sehr wert. Es sei ihr Tempelherr
Kein irdischer und keines irdischen;
Der Engel einer, deren Schutze sich
Ihr kleines Herz, von Kindheit auf, so gern
Vertrauet glaubte, sei aus seiner Wolke,
In die er sonst verhüllt, auch noch im Feuer,
Um sie geschwebt, mit eins als Tempelherr
Hervorgetreten. – Lächelt nicht! – Wer weiß?
Lasst lächelnd wenigstens ihr einen Wahn,
In dem sich Jud’ und Christ und Muselmann
Vereinigen; – so einen süßen Wahn!
NATHAN
Auch mir so süß! – Geh, wackre Daja, geh;
Sieh, was sie macht; ob ich sie sprechen kann. –
Sodann such ich den wilden, launigen
Schutzengel auf. Und wenn ihm noch beliebt,
Hiernieden unter uns zu wallen; noch
Beliebt, so ungesittet Ritterschaft
Zu treiben: find ich ihn gewiss; und bring
Ihn her.
DAJA
Ihr unternehmet viel.
NATHAN
Macht dann
Der süße Wahn der süßern Wahrheit Platz: –
Denn, Daja, glaube mir; dem Menschen ist
Ein Mensch noch immer lieber, als ein Engel –
So wirst du doch auf mich, auf mich nicht zürnen,
Die Engelschwärmerin geheilt zu sehn?
DAJA
Ihr seid so gut, und seid zugleich so schlimm!
Ich geh! – Doch hört! doch seht! – Da kommt sie selbst.
RECHA und die VORIGEN.
RECHA
So seid Ihr es doch ganz und gar, mein Vater?
Ich glaubt, Ihr hättet Eure Stimme nur
Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge,
Für Wüsten, was für Ströme trennen uns
Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit ihr,
Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen?
Die arme Recha, die indes verbrannte! –
Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht!
Es ist ein garst’ger Tod, verbrennen. O!
NATHAN
Mein Kind! mein liebes Kind!
RECHA
Ihr musstet über
Den Euphrat, Tigris, Jordan; über – wer
Weiß was für Wasser all? – Wie oft hab ich
Um Euch gezittert, eh das Feuer mir
So nahe kam! Denn seit das Feuer mir
So nahe kam: dünkt mich im Wasser sterben
Erquickung, Labsal, Rettung. – Doch Ihr seid
Ja nicht ertrunken: ich, ich bin ja nicht
Verbrannt. Wie wollen wir uns freun, und Gott,
Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen
Auf Flügeln seiner unsichtbaren Engel
Die ungetreuen Ström’ hinüber. Er,
Er winkte meinem Engel, dass er sichtbar
Auf seinem weißen Fittiche, mich durch
Das Feuer trüge –
NATHAN
(Weißem Fittiche!
Ja, ja! der weiße vorgespreizte Mantel
Des Tempelherrn.)
RECHA
Er sichtbar, sichtbar mich
Durchs Feuer trüg, von seinem Fittiche
Verweht. – Ich also, ich hab einen Engel
Von Angesicht zu Angesicht gesehn;
Und meinen Engel.
NATHAN
Recha wär es wert;
Und würd an ihm nichts Schönres sehn, als er
An ihr.
RECHA (lächelnd)
Wem schmeichelt Ihr, mein Vater? wem?
Dem Engel, oder Euch?
NATHAN
Doch hätt auch nur
Ein Mensch – ein Mensch, wie die Natur sie täglich
Gewährt, dir diesen Dienst erzeigt; er müsste
Für dich ein Engel sein. Er müsst und würde.
RECHA
Nicht so ein Engel; nein! ein wirklicher;
Es war gewiss ein wirklicher! – Habt Ihr,
Ihr selbst die Möglichkeit, dass Engel sind,
Dass Gott zum Besten derer, die ihn lieben,
Auch Wunder könne tun, mich nicht gelehrt?
Ich lieb ihn ja.
NATHAN
Und er liebt dich; und tut
Für dich, und deinesgleichen, stündlich Wunder;
Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit
Für euch getan.
RECHA
Das hör ich gern.
NATHAN
Wie? weil
Es ganz natürlich, ganz alltäglich klänge,
Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr
Gerettet hätte: sollt es darum weniger
Ein Wunder sein? – Der Wunder höchstes ist,
Dass uns die wahren, echten Wunder so
Alltäglich werden können, werden sollen.
Ohn dieses allgemeine Wunder, hätte
Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je
Genannt, was Kindern bloß so heißen müsste,
Die gaffend nur das Ungewöhnlichste,
Das Neuste nur verfolgen.
DAJA (zu Nathan)
Wollt Ihr denn
Ihr ohnedem schon überspanntes Hirn
Durch solcherlei Subtilitäten ganz
Zersprengen?
NATHAN
Lass mich! – Meiner Recha wär
Es Wunders nicht genug, dass sie ein Mensch
Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder
Erst retten müssen? Ja, kein kleines Wunder!
Denn wer hat schon gehört, dass Saladin
Je eines Tempelherrn verschont? dass je
Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden
Verlangt? gehofft? ihm je für seine Freiheit
Mehr als den ledern Gurt geboten, der
Sein Eisen schleppt; und höchstens seinen Dolch?
RECHA
Das schließt für mich, mein Vater. – Darum eben
War das kein Tempelherr; er schien es nur. –
Kömmt kein gefangner Tempelherr je anders
Als zum gewissen Tode nach Jerusalem;
Geht keiner in Jerusalem so frei
Umher: wie hätte mich des Nachts freiwillig
Denn einer retten können?
NATHAN
Sieh! wie sinnreich.
Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab es ja
Von dir, dass er gefangen hergeschickt
Ist worden. Ohne Zweifel weißt du mehr.
DAJA
Nun ja. – So sagt man freilich; – doch man sagt
Zugleich, dass Saladin den Tempelherrn
Begnadigt, weil er seiner Brüder einem,
Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe.
Doch da es viele zwanzig Jahre her,
Dass dieser Bruder nicht mehr lebt, – er hieß,
Ich weiß nicht wie; – er blieb, ich weiß nicht wo: –
So klingt das ja so gar – so gar unglaublich,
Dass an der ganzen Sache wohl nichts ist.
NATHAN
Ei, Daja! Warum wäre denn das so
Unglaublich? Doch wohl nicht – wie’s wohl geschieht –
Um lieber etwas noch Unglaublichers
Zu glauben? – Warum hätte Saladin,
Der sein Geschwister insgesamt so liebt,
In jüngern Jahren einen Bruder nicht
Noch ganz besonders lieben können? – Pflegen
Sich zwei Gesichter nicht zu ähneln? – Ist
Ein alter Eindruck ein verlorner? – Wirkt
Das Nämliche nicht mehr das Nämliche?
Seit wenn? – Wo steckt hier das Unglaubliche? –
Ei freilich, weise Daja, wär’s für dich
Kein Wunder mehr; und deine Wunder nur
Bedürf … verdienen, will ich sagen, Glauben.
DAJA
Ihr spottet.
NATHAN
Weil du meiner spottest. – Doch
Auch so noch, Recha, bleibet deine Rettung
Ein Wunder, dem nur möglich, der die strengsten
Entschlüsse, die unbändigsten Entwürfe
Der Könige, sein Spiel – wenn nicht sein Spott –
Gern an den schwächsten Fäden lenkt.
RECHA
Mein Vater!
Mein Vater, wenn ich irr, Ihr wisst, ich irre
Nicht gern.
NATHAN
Vielmehr, du lässt dich gern belehren. –
Sieh! eine Stirn, so oder so gewölbt;
Der Rücken einer Nase, so vielmehr
Als so geführet; Augenbraunen, die
Auf einem scharfen oder stumpfen Knochen
So oder so sich schlängeln; eine Linie,
Ein Bug, ein Winkel, eine Falt’, ein Mal,
Ein Nichts, auf eines wilden Europäers
Gesicht: – und du entkömmst dem Feu’r, in Asien!
Das wär kein Wunder, wundersücht’ges Volk?
Warum bemüht ihr denn noch einen Engel?
DAJA
Was schadet’s – Nathan, wenn ich sprechen darf –
Bei alledem, von einem Engel lieber
Als einem Menschen sich gerettet denken?
Fühlt man der ersten unbegreiflichen
Ursache seiner Rettung nicht sich so
Viel näher?
NATHAN
Stolz! und nichts als Stolz! Der Topf
Von Eisen will mit einer silbern Zange
Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst
Ein Topf von Silber sich zu dünken. – Pah! –
Und was es schadet, fragst du? was es schadet?
Was hilft es? dürft ich nur hinwieder fragen. –
Denn dein »Sich Gott um so viel näher fühlen«,
Ist Unsinn oder Gotteslästerung. –
Allein es schadet; ja, es schadet allerdings. –
Kommt! hört mir zu. – Nicht wahr? dem Wesen, das
Dich rettete, – es sei ein Engel oder
Ein Mensch, – dem möchtet ihr, und du besonders,
Gern wieder viele große Dienste tun? –
Nicht wahr? – Nun, einem Engel, was für Dienste,
Für große Dienste könnt ihr dem wohl tun?
Ihr könnt ihm danken; zu ihm seufzen, beten;
Könnt in Entzückung über ihn zerschmelzen;
Könnt an dem Tage seiner Feier fasten,
Almosen spenden. – Alles nichts. – Denn mich
Deucht immer, dass ihr selbst und euer Nächster
Hierbei weit mehr gewinnt, als er. Er wird
Nicht fett durch euer Fasten; wird nicht reich
Durch eure Spenden; wird nicht herrlicher
Durch eu’r Entzücken; wird nicht mächtiger
Durch eu’r Vertraun. Nicht wahr? Allein ein Mensch!
DAJA
Ei freilich hätt ein Mensch, etwas für ihn
Zu tun, uns mehr Gelegenheit verschafft.
Und Gott weiß, wie bereit wir dazu waren!
Allein er wollte ja, bedurfte ja
So völlig nichts; war in sich, mit sich so
Vergnügsam, als nur Engel sind, nur Engel
Sein können.
RECHA
Endlich, als er gar verschwand …
NATHAN
Verschwand? – Wie denn verschwand? – Sich untern Palmen
Nicht ferner sehen ließ? – Wie? oder habt
Ihr wirklich schon ihn weiter aufgesucht?
DAJA
Das nun wohl nicht.
NATHAN
Nicht, Daja? nicht? – Da sieh
Nun was es schad’t! – Grausame Schwärmerinnen! –
Wenn dieser Engel nun – nun krank geworden! …
RECHA
Krank!
DAJA
Krank! Er wird doch nicht!
RECHA
Welch kalter Schauer
Befällt mich! – Daja! – Meine Stirne, sonst
So warm, fühl! ist auf einmal Eis.
NATHAN
Er ist
Ein Franke, dieses Klimas ungewohnt;
Ist jung; der harten Arbeit seines Standes,
Des Hungerns, Wachens ungewohnt.
RECHA
Krank! krank!
DAJA
Das wäre möglich, meint ja Nathan nur.
NATHAN
Nun liegt er da! hat weder Freund, noch Geld
Sich Freunde zu besolden.
RECHA
Ah, mein Vater!
NATHAN
Liegt ohne Wartung, ohne Rat und Zusprach,
Ein Raub der Schmerzen und des Todes da!
RECHA
Wo? wo?
NATHAN
Er, der für eine, die er nie
Gekannt, gesehn – genug, es war ein Mensch –
Ins Feu’r sich stürzte …
DAJA
Nathan, schonet ihrer!
NATHAN
Der, was er rettete, nicht näher kennen,
Nicht weiter sehen mocht, – um ihm den Dank
Zu sparen …
DAJA
Schonet ihrer, Nathan!
NATHAN
Weiter
Auch nicht zu sehn verlangt’, – es wäre denn,
Dass er zum zweiten Mal es retten sollte –
Denn g’nug, es ist ein Mensch …
DAJA
Hört auf, und seht!
NATHAN
Der, der hat sterbend sich zu laben, nichts –
Als das Bewusstsein dieser Tat!
DAJA
Hört auf!
Ihr tötet sie!
NATHAN
Und du hast ihn getötet! –
Hättst so ihn töten können. – Recha! Recha!
Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche.
Er lebt! – komm zu dir! – ist auch wohl nicht krank;
Nicht einmal krank!
RECHA
Gewiss? – nicht tot? nicht krank?
NATHAN
Gewiss, nicht tot! – Denn Gott lohnt Gutes, hier
Getan, auch hier noch. – Geh! – Begreifst du aber,
Wie viel andächtig schwärmen leichter, als
Gut handeln ist? wie gern der schlaffste Mensch
Andächtig schwärmt, um nur, – ist er zuzeiten
Sich schon der Absicht deutlich nicht bewusst –
Um nur gut handeln nicht zu dürfen?
RECHA
Ah,
Mein Vater! lasst, lasst Eure Recha doch
Nie wiederum allein! – Nicht wahr, er kann
Auch wohl verreist nur sein? –
NATHAN
Geht! – Allerdings. –
Ich seh, dort mustert mit neugier’gem Blick
Ein Muselmann mir die beladenen
Kamele. Kennt ihr ihn?
DAJA
Ha! Euer Derwisch.
NATHAN
Wer?
DAJA
Euer Derwisch; Euer Schachgesell!
NATHAN
Al-Hafi? das Al-Hafi?
DAJA
Itzt des Sultans
Schatzmeister.
NATHAN
Wie? Al-Hafi? Träumst du wieder? –
Er ist’s! – wahrhaftig, ist’s! – kömmt auf uns zu.
Hinein mit Euch, geschwind! – Was werd ich hören!
NATHAN und der DERWISCH.
DERWISCH
Reißt nur die Augen auf, so weit Ihr könnt!
NATHAN
Bist du’s? bist du es nicht? – In dieser Pracht,
Ein Derwisch! …
DERWISCH
Nun? warum denn nicht? Lässt sich
Aus einem Derwisch denn nichts, gar nichts machen?
NATHAN
Ei wohl, genug! – Ich dachte mir nur immer,
Der Derwisch – so der rechte Derwisch – woll’
Aus sich nichts machen lassen.
DERWISCH
Beim Propheten!
Dass ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr sein.
Zwar wenn man muss –
NATHAN
Muss! Derwisch! – Derwisch muss?
Kein Mensch muss müssen, und ein Derwisch müsste?
Was müsst er denn?
DERWISCH
Warum man ihn recht bittet,
Und er für gut erkennt: das muss ein Derwisch.
NATHAN
Bei unserm Gott! da sagst du wahr. – Lass dich
Umarmen, Mensch. – Du bist doch noch mein Freund?
DERWISCH
Und fragt nicht erst, was ich geworden bin?
NATHAN
Trotz dem, was du geworden!
DERWISCH
Könnt ich nicht
Ein Kerl im Staat geworden sein, des Freundschaft
Euch ungelegen wäre?
NATHAN
Wenn dein Herz
Noch Derwisch ist, so wag ich’s drauf. Der Kerl
Im Staat, ist nur dein Kleid.
DERWISCH
Das auch geehrt
Will sein. – Was meint Ihr? ratet! – Was wär ich
An Eurem Hofe?
NATHAN
Derwisch; weiter nichts.
Doch nebenher, wahrscheinlich – Koch.
DERWISCH
Nun ja!
Mein Handwerk bei Euch zu verlernen. – Koch!
Nicht Kellner auch? Gesteht, dass Saladin
Mich besser kennt. – Schatzmeister bin ich bei
Ihm worden.
NATHAN
Du? – bei ihm?
DERWISCH
Versteht:
Des kleinern Schatzes, – denn des größern waltet
Sein Vater noch – des Schatzes für sein Haus.
NATHAN
Sein Haus ist groß.
DERWISCH
Und größer, als Ihr glaubt;
Denn jeder Bettler ist von seinem Hause.
NATHAN
Doch ist den Bettlern Saladin so feind –
DERWISCH
Dass er mit Strumpf und Stiel sie zu vertilgen
Sich vorgesetzt, – und sollt er selbst darüber
Zum Bettler werden.
NATHAN
Brav! – So mein ich’s eben.
DERWISCH
Er ist’s auch schon, trotz einem! – Denn sein Schatz
Ist jeden Tag mit Sonnenuntergang
Viel leerer noch, als leer. Die Flut, so hoch
Sie morgens eintritt, ist des Mittags längst
Verlaufen –
NATHAN
Weil Kanäle sie zum Teil
Verschlingen, die zu füllen oder zu
Verstopfen, gleich unmöglich ist.
DERWISCH
Getroffen!
NATHAN
Ich kenne das!
DERWISCH
Es taugt nun freilich nichts,
Wenn Fürsten Geier unter Äsern sind.
Doch sind sie Äser unter Geiern, taugt’s
Noch zehnmal weniger.
NATHAN
O nicht doch, Derwisch!
Nicht doch!
DERWISCH
Ihr habt gut reden, Ihr! – Kommt an:
Was gebt Ihr mir? so tret ich meine Stell’
Euch ab.
NATHAN
Was bringt dir deine Stelle?
DERWISCH
Mir?
Nicht viel. Doch Euch, Euch kann sie trefflich wuchern.
Denn ist es Ebb’ im Schatz, – wie öfters ist, –
So zieht Ihr Eure Schleusen auf: schießt vor,
Und nehmt an Zinsen, was Euch nur gefällt.
NATHAN
Auch Zins vom Zins der Zinsen?
DERWISCH
Freilich!
NATHAN
Bis
Mein Kapital zu lauter Zinsen wird.
DERWISCH
Das lockt Euch nicht? – So schreibet unsrer Freundschaft
Nur gleich den Scheidebrief! Denn wahrlich hab
Ich sehr auf Euch gerechnet.
NATHAN
Wahrlich? Wie
Denn so? wieso denn?
DERWISCH
Dass Ihr mir mein Amt
Mit Ehren würdet führen helfen; dass
Ich allzeit offne Kasse bei Euch hätte. –
Ihr schüttelt?
NATHAN
Nun, verstehn wir uns nur recht!
Hier gibt’s zu unterscheiden. – Du? warum
Nicht du? Al-Hafi Derwisch ist zu allem,
Was ich vermag, mir stets willkommen. – Aber
Al-Hafi Defterdar des Saladin,
Der – dem –
DERWISCH
Erriet ich’s nicht? Dass Ihr doch immer
So gut als klug, so klug als weise seid? –
Geduld! Was Ihr am Hafi unterscheidet,
Soll bald geschieden wieder sein. – Seht da
Das Ehrenkleid, das Saladin mir gab.
Eh es verschossen ist, eh es zu Lumpen
Geworden, wie sie einen Derwisch kleiden,
Hängt’s in Jerusalem am Nagel, und
Ich bin am Ganges, wo ich leicht und barfuß
Den heißen Sand mit meinen Lehrern trete.
NATHAN
Dir ähnlich g’nug!
DERWISCH
Und Schach mit ihnen spiele.
NATHAN