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Die Generationenforschung ist aus den Bereichen Marketing, Kommunikation, Personalwirtschaft und Führung nicht mehr wegzudenken. Die Einteilung der Generationen in X (Geburtsjahrgänge 1965-1980), Y (1980-1995) und Z (1995-2010) liefert ein analytisches Instrument, das ganz selbstverständlich verwendet wird. Trotzdem werden diese Begriffe meist ohne Kenntnis ihrer methodischen Grundlagen sowie der Grenzen ihrer Verwendbarkeit benutzt, wodurch sich Analysefehler ergeben können. Vor diesem Hintergrund schlägt dieses Einführungslehrbuch eine Brücke zwischen den soziologisch-psychologischen Grundlagen und den ökonomischen Anwendungsbereichen.
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Seitenzahl: 198
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1. Auflage 2022
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-041114-2
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-041115-9
epub: ISBN 978-3-17-041116-6
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Vorwort
1 Prolog
2 Die gängigen Generationeneinteilungen in der freien Marktwirtschaft und ihre Kritik
2.1 Die Geschichte des Generationenbegriffs
2.2 Die gängigen Generationeneinteilungen von der Nachkriegsgeneration zur Generation Alpha
2.3 Die Theorien der prägenden Phase
2.4 Über die generationelle Erbsünde und ihr Wirbelsturm in Neuseeland
2.5 Praxistipp: Vorsicht vor Pauschalierungen
3 Ansprüche eines interdisziplinäreren Ansatzes in der Generationenforschung
3.1 Methodologische Faustregeln für die Generationenforschung
3.2 Integration psychologischer Erkenntnisse
3.2.1 Das autobiographische Gedächtnis und die Mär von der prägenden Phase
3.2.2 Die Individualisierung der Generationsmitglieder
3.3 Praxistipp: Das Profil der Generationen
4 Ein soziologisch-psychologischer Erklärungsansatz für Generationen
4.1 Das Maas-Peters-Modell (Mape-Modell)
4.1.1 Vom Ereignis über die prägende Phase zur Handlung
4.1.2 Durch Individualisierung zur Kollektivierung
4.2 Ein neuer Möglichkeitshorizont der Generationenforschung
4.3 Praxistipp: Generationen und das Internet
5 Der Generationenbegriff wiederbelebt: »Der Homo interneticus«
5.1 Die Trennlinien der Generationen im Wandel
5.2 Generationen als Spiegel der Gesellschaft
5.3 Schwarmdummheit psychologisch erklärt
5.3.1 Wissen ist googeln
5.3.2 Virtuell das Analoge gestalten
5.3.3 Durch Erleichterung zur Überforderung
5.4 Praxistipp: Anwendung von Generationen und Social Media
6 Fazit
Literaturverzeichnis
»Nicht stolze Kathedralen haben wir vor uns, sondern baufällige Ruinen, architektonische Mißbildungen, deren prekäres Dasein, von ihren Baumeistern durch unschönes Flickwerk nur mit Mühe verlängert wird. Das ist die wissenschaftliche Wirklichkeit.« (Feyerabend 1978: 224).
Das Zitat von Feyerabend beschreibt in zutreffender Weise die aktuelle Situation der Generationenforschung sowie Debatten und Sichtweisen um dieses Thema. Jeder scheint mitreden zu können und jeder beansprucht für sich Richtigkeit: Die mediale Flut an Generationenbegriffen und -experten verwehrt sich meist jeglicher Reflexion. Für uns als Institut für Generationenforschung Anlass genug, um Theorie in das Chaos um die Generationenkonzeptionen zu bringen. Die ganzheitliche Perspektive, die wir durch die Integration verschiedenster wissenschaftlicher Disziplinen einnehmen, lässt immer wieder die »baufälligen Ruinen« und »architektonischen Missbildungen« erkennen, denen wir im Umgang mit der Generationenforschung konfrontiert sind. Gerade die »methodische Einäugigkeit« mit der oft in der Generationenforschung hantiert wird, hat der Generationenforschung wohl zu Recht in manchen wissenschaftlichen Disziplinen einen schlechten Ruf eingebracht. Man könnte meinen, dass das von Feyerabend vorgestellte methodologische Konzept des unreflektierten, aber von Feyerabend so nicht intendierten »anything goes«, gerade ein Spezifikum der Generationenforschung ist. Tatsächlich aber steckt in diesem Konzept weitaus mehr, was sich aus seiner begrifflichen Analyse erschließen würde. Dieser vorliegende Ansatz verfolgt das Ziel, durch eine Interpretation der Philosophie Feyerabends, die wissenschaftliche Wirklichkeit der Generationenforschung auf einige Pfähle zu stellen. Das geschieht über eine reflektierte methodologische Grundlage der Generationenforschung, jenseits von »anything goes«.
Augsburg, im November 2021
Rüdiger Maas & Kathrin PetersInstitut für Generationenforschung
»Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.«
Es ist nicht ganz klar, woher dieses Zitat wirklich stammt. In Frage kommen Sokrates, ca. 470-399 v. Chr. und Kenneth John Freeman 1907. Dass das Zitat so schwer zuzuordnen ist, jedoch jedem bekannt ist, zeigt wie pauschal Daten Gegenstand von Zuschreibungen werden können.
Ähnlich verhält es sich bei den gängigen Generationen X, Y und Z. Da heißt es mal in der Literatur die Generation Z (die zwischen 1995 und 2010 Geborenen) sei politisch, andere »Wissenschaftler« sprechen der Generation Z ein Interesse an Politik prinzipiell ab. Doch kann man 16-Jährige einfach fragen, ob sie politisch sind? Was verstehen die heutigen 16-Jährigen überhaupt darunter? Ist denn Greta Thunberg, die bekannteste Vertreterin der sogenannten Generation Z, politisch? Oder bedient sie ausschließlich das Thema Umweltschutz bzw. globale Erwärmung und hat mit der »wirklichen« Politik nichts am Hut? Und hätten 16-Jährige vor 15 Jahren vielleicht ähnlich geantwortet?
Ganz so einfach wie es sich populärwissenschaftliche und breite Teile der gängigen »Generationenforschung« machen, ist es tatsächlich nicht, wie man unschwer an den Fragen erkennen kann.
Gräbt man in diesem Metier etwas tiefer, drängt sich schnell der Eindruck auf, dass Widersprüche und Inkommensurabilität dort an der Tagesordnung sind. Und oft vielleicht gar nicht wirklich bewusst sind: So werden beispielsweise gesellschaftlicher Wandel, Alters- und Periodeneffekte, familiäre Generationenverständnisse, Identitätsvorstellungen, Vergemeinschaftungsprozesse, Handlungs-, Gefühls- und Erfahrungsgemeinschaften, kulturelle und biologistisch anmutende Theorien und transgenerationelle Übertragungseffekte in einen Generationentopf geschmissen und umgerührt. Als Ergebnis präsentieren uns die selbsternannten Jugendforscher/innen die orakelhaft anmutende »Generation Golf«, die »Generation doof«, die »Generation Corona«, die »Generation TikTok« und schließlich die gängigen Generationeneinteilungen von X, Y und Z. Wer kennt sich da ernsthaft noch aus? Und sofern man den Kreaturen solcher Generationenbegriffe nicht ihre Wissenschaftlichkeit absprechen möchte, welche Methodologie könnte ein solches »wissenschaftliches« Vorgehen rechtfertigen?
Seit Jahren nun findet die Generationenforschung immer mehr Beachtung. Zurzeit ist in den Medien vor allem die Generation Z im Fokus, die regelmäßig durch Fridays-For-Future-Protestaktionen in Erscheinung tritt. Neuerdings auch die Generation der Babyboomer, jene die angeblich an allem durch ihre jahrzehntelange ausschweifende Lebensweise schuld sind und kaum ein Verständnis für die digitale Welt und die Umwelt, die Generation Greta mitbringen. Sie behindern, glaubt man den Angehörigen der Generation Z, die weltweit geforderten nachhaltigen Zielsetzungen, treiben den CO2-Ausstoss ungehindert voran. Dagegen stellt sich, selbstredend medial inszeniert, stellvertretend für die jungen Generationen, die damalig 16-jährige Greta, die politischer und umweltbewusster als die alten Politiker, die Angehörigen der älteren Generationen, ist. Also die Jungen, die für sich die Attribute digital affin und liberal progressiv auf die Fahne schreiben oder in anderen Worten, die Generation Z und Y. Und auf der anderen Seite, die Digitalisierungsskeptiker und konservative Kritiker, die scheinbar eben oft Mitglieder der Generation X und der Generation Babyboomer darstellen. Möchte man aus der Perspektive der jungen Generationen beiden Bewegungen ein Gesicht geben, wäre es wohl polemisch gesagt: Donald Trump vs. Greta Thunberg.
Glaubt man den Medien, scheint die Corona-Krise den Graben zwischen Jung und Alt weiter zu vertiefen. Ein Generationenkonflikt hat sich entwickelt, in welchem jede Generation kein gutes Haar an der anderen Generation lässt. So schieben sich die älteren und jüngeren Generationen gegenseitig verantwortungslosen Umgang mit den Corona-Maßnahmen in die Schuhe. Die mediale Schlammschlacht bahnt sich vor allem durch Social-Media-Plattformen ihren Weg. »Ok, Boomer« lautet das oft geteilte Meme auf Social-Media
Alt gegen jung? Doch wie weit gehen generationelle Unterschiede wirklich? Und skizzieren die medial erzeugten Bilder der jeweiligen Generation tatsächlich die Realität?
Vielleicht hilft hierzu ein Blick auf die Begriffsherkunft der Generation. Mit Blick auf die Begriffsgenese, ihre Abgrenzungen von anderen Begrifflichkeiten und Differenzierungen können wir ein tieferes Verständnis für den Begriff Generation erwerben. Denn ganz so einfach, wie es sich die Medien mit den Generationenbegriffen und ihrem Bezug auf Generationenkonflikte machen, ist es tatsächlich nicht. Nicht umsonst wird in der Soziologie, die sich als erste Disziplin mit der Generationenforschung beschäftigte, seit Jahren ein unerbittlicher Streit um die Generationenforschung geführt.
»Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur zu erhalten.«1
Inschrift einer babylonischen Tontafel (ca. 1000 v. Chr.) – zitiert nach Paul Watzlawick 1992
Den heute sehr populären Begriff »Generation« gab es schon in der Antike, er wurde zum Beispiel in Homers Werken (ca. 700-800 v. Chr.) vor allem mit der Selbsterfahrung verbunden. So führte Homers Werk Illias, das vom Trojanischen Krieg handelt, die Weisheit des Herrschers Nestor2 auf seine Lebensdauer zurück: »[…] sah schon zwei Generationen sterblicher Menschen kommen und gehen« (Homerus/Giebel 2004). Etwa zweihundert wurde das erste Mal ein Versuch gestartet, Generationen standardisiert einzuteilen. Dieser erste Periodisierungsversuch wurde durch Herodot (400-500 v. Chr.) vorgenommen: drei Generationen umfassten ein Jahrhundert. Aus der damaligen Sicht, also drei »Menschenalter« (vgl. Strasburger 1955). Tausend Jahre später, im Mittelalter, wurde »Generation« meist vor dem Hintergrund der Kosmologie in Verbindung mit Ewigkeit und Zeitlichkeit der Welt betrachtet (vgl. Elberfeld 2006). Generation galt als vorläufiger Gedanke der familiären Weitergabe von Wissen in einer sogenannten Generationenfolge, womit auch eine erste Grundlage für pädagogische Generationenbeziehungen entstand (vgl. Bubner 1982). Wirft man einen Blick auf die etymologische Begriffsherkunft von Generationen, so ist diese der mittelalterlichen Bedeutung am nächsten. Das lateinische generatio bedeutet Schaffung oder Zeugung und der Wortbestandteil traditio kann mit Übergabe oder Weitergabe übersetzt werden. Zudem leitet sich traditio vom griechischen Γένος ab, was auch mit Geschlecht übersetzt werden kann. Zusammengenommen geht es also um die einzelnen Glieder in der Geschlechterabfolge3. Die etymologische Herkunft des Generationenbegriffes rekurriert damit auf einen familiären Generationenbegriff, in welchem jeweils die Eltern und die Kinder eine eigene Generation bilden.
Bis ins 19. Jhd. wurde der Generationenbegriff oft mit einem Aufbruch in eine neue und unbekannte Zukunft verbunden. Generationen galten als Grundlage des Fortschrittes von Wissenschaften und Künsten.
In der Philosophie wurde der Begriff erstmals in einem Verständnis der biologischen Zeitfolge und einer Metaphorik der Welt- und Lebensalter anfangs noch relativ diffus gehalten.
Mit der Industriellen Revolution, die ihren Ursprung in England hatte, auf Frankreich überging und einen technischen sowie gesellschaftlichen Wandel zur Folge hatte, arbeitete der schottische Philosoph und Ökonom David Hume an einer Generationentheorie als Erklärungsmittel politischer Verfassungsänderungen. Niemand zuvor hatte politische Entwicklungen in den Generationenbegriffen mit aufgenommen (vgl. Sternschulte 1974).
Immanuel Kant betrachtete »Generation« hauptsächlich in Verbindung mit Erziehung (vgl. Timmermann 1998). Er sah innerhalb seiner Vorstellung zur Aufklärung des Menschen die Aufgabe der Erziehung einer Generation durch die ältere, das zentrale Mittel zur Überwindung der selbstverschuldeten Unmündigkeit an (vgl. Kant/Groothoff 1982). Kant verfolgte den Gedanken der Generationenbeziehungen als funktionales Verhältnis zur Vervollkommnung des Menschen.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel verwendete später diesen Begriff, hat ihn aber nie klar und deutlich definiert, da Hegel Generation in einem kosmologischen Bezug verwendete (vgl. Lüscher/Hoff 2016). Er sah es als die Aufgabe von Generationen an, immer die nächste bzw. Folgegeneration (familiärer Generationenbegriff) zu erziehen, wodurch auch Hegel vermehrt eine pädagogische Kategorie des Generationenbegriffs sah. Erziehung zwischen den Generationen war nach seiner Auffassung ein Mittel, mit dem die selbstverschuldete Unmündigkeit überwunden werden kann, was schließlich aufgeklärte Bürger erziehen sollte. In diesem Verhältnis hatte jede Generation eine Aufgabe: Die junge Generation sollte sich dabei lernbereit zeigen, während die alte Generation die Erziehung übernahm (vgl. Timmermann 1998). Da sich die Pädagogik bzw. die Erziehung progressiv weiterentwickelte, wurde der Generationenbegriff zur Akkumulationsfunktion erzieherischer Fortschritte verwandt, die sich letztendlich in seinem postulierten Ideal des mündigen Bürgers niederschlägt (vgl. Ecarius/Köbel 2011).
Mit dem Einfluss Wilhelm Diltheys Anfang des 20. Jhd. bekam die Betrachtung von Generationen eine Richtung, die dem heutigen Begriff am ähnlichsten ist. Dilthey gilt als erster, der den Generationenbegriff durch einen engeren Kreis von Individuen definierte. Er sah ein verbundenes homogenes Ganzes, bestehend aus Individuen, die trotz ihrer individuellen Verschiedenheit alle von denselben großen Tatsachen und Veränderungen abhängig sind (vgl. Dilthey 1990).
Erst nach dem Ersten Weltkrieg – und damit lange nach den ersten »Schwimmversuchen« mit dem Generationenbegriff – entwickelte der Soziologen Karl Mannheim eine Theorie der Generationen in seinem Essay »Das Problem der Generationen«. Mannheim entwickelt seinen Generationenbegriff aufbauend auf drei Säulen: der Generationenlagerung, dem Generationenzusammenhang und der Generationeneinheit. Die Generationenlagerung bezieht sich auf eine Gruppe von Menschen, die ähnliche Partizipations-, Erlebnis- und Erlebnisverarbeitungschancen aufweist. Eng verbunden mit der Chance sind für Mannheim Geburtsjahrgänge, das heißt, ähnliche Chancen resultieren aus einem ähnlichen Geburtszeitpunkt: »Durch die Zugehörigkeit zu einer Generation, zu ein und demselben ›Geburtenjahrgange‹ ist man im historischen Strome des gesellschaftlichen Geschehens verwandt gelagert.« (Mannheim 1964: 527). Eine Generationenlagerung kann sich dann zu einer Generationenzusammenhang verdichten, wenn die Gruppe eine ganz konkrete Erfahrung gemeinsam teilt. Personen mit einer ähnlichen Altersgruppe, teilen dann spezifische gemeinsame Erfahrungen. Die dritte Säule, die Generationeneinheit, wird erreicht, wenn sich der Generationenzusammenhang in gemeinsamen weltanschaulichen, sozialen oder politischen Sichtweisen niederschlägt (vgl. Becker 2008)
Um den Generationenbegriff schärfere Konturen zu verleihen, lohnt es sich, ihn mit dem oft verwechselten Begriff Kohorte (lat. cohors, zu Deutsch »umfriedeter Raum«) zu vergleichen. Kohorte bezeichnet eine Gruppe von Personen, die in einem bestimmten Zeitraum das gleiche bedeutsame Lebensereignis erfahren haben. Die Explosion des Atomkraftwerks in Tschernobyl oder die Corona-Krise könnten beispielsweise solche Lebensereignisse sein. Wird der Kohortenbegriff durch den Faktor »Alter« ergänzt, soll hervorgehoben werden, dass die Alterskohorte ein bestimmtes bedeutendes Lebensereignis im gleichen Alter oder in der gleichen Altersspanne durchlaufen haben. Wird er durch den Zusatz »Geburt« ergänzt, stehen die Geburtskohorten im Vordergrund, die sowohl ein gemeinsames Ereignis als auch ein gemeinsames Geburtsjahr oder eine Spanne von Geburtsjahren teilen. Wird der Kohortenbegriff mit dem Alter oder dem Geburtsjahr verknüpft, entstehen Parallelen zum Generationenbegriff. Der Unterschied zum Mannheimschen Generationenbegriff besteht allerdings darin, dass Mannheim über den Kohortenbegriff hinaus geht: Denn nicht jede Kohorte, hat das Potential dazu, gemeinsame Merkmale auszubilden. Eine gemeinsame Kohorte muss sich also nicht zu einem Generationenzusammenhang zusammenschließen lassen. Damit aber die dritte Säule erreicht werden kann, muss ein gesellschaftlicher Prozess in Gang gesetzt werden, der das Potential besitzt, dass sich bestehende Denk- und Handlungsweisen ändern. Erst dann lässt sich eine Generationeneinheit erkennen (vgl. Jureit 2006: 29 f.).
Karl Mannheim hat damit dem Generationenbegriff eine neue Färbung durch die Verknüpfung von Altersgruppierungen mit gemeinsamen Erfahrungen gegeben, die sich in bestimmten Sichtweisen manifestieren. Fuchs-Heinritz und Lautmann beschreiben den Mannheimschen Generationenbegriff als einen Zusammenhang von »benachbarten« Altersgruppen, die sich in ihren charakteristischen Verhaltensmustern zu einem bestimmten Zeitpunkt von anderen Altersgruppen und von der gleichen Alterskategorie früher oder späterer Zeitpunkte unterscheiden (vgl. Fuchs-Heinritz & Lautmann et al. 1995). Ihre Auslegung des Generationenbegriffs betont die notwendige Differenzierung der Sichtweisen nach Altersgruppen, das heißt, dass über den Vergleich mit anderen Generationen, Erkenntnisse generiert werden können. In der neueren Zeit sind es vorwiegend Kohli und Matthes (vgl. Kohli 1978), die den Generationenbegriff Mannheims in die Diskussion um die Bedeutung der Lebensalter und des Lebenslaufes eingeführt haben.
Die etymologische Bestimmung des Generationenbegriffes, sein Entstehungskontext und der Generationenbegriff von Karl Mannheim als Pionier des sozialwissenschaftlichen Generationenforschung unterscheiden sich deutlich von der Begriffsverwendung in der gängigen Generationenforschung. Zwar geben breite Teile der gängigen Generationenforschung an, sich auf die Mannheimsche Generationenkonzeption zu beziehen, allerdings scheinen die Konturen des ursprünglichen Begriffes in der Debatte zu verschwinden: Denn der Generationenbegriff wurde hier – vielleicht auch unbewusst – ab und an durch zahlreiche weitere Eigenschaften aufgeladen oder findet in den unterschiedlichen Kontexten Verwendung.
Neben der populärwissenschaftlichen Verbreitung des Generationenbegriffes wie Generation Golf, Generation Goldfisch oder Generation Greta, verwenden viele wissenschaftliche Disziplinen den Generationenbegriff jeweils auf unterschiedliche Weise: Zum Beispiel beschreibt im technischen Bereich eine Generation die Version einer Software oder einer Maschine, im biologischen Bereich steht Generation für die jeweiligen Glieder der Geschlechterfolge von Lebewesen. Umgangssprachlich wird mit einer Generation oft der familiäre Generationenbegriff verbunden, sodass eine Generation für den mittleren Abstand zwischen Vater- und Kindergeneration steht. Der klassische Zeitrahmen einer Generation umfasst dabei ungefähr dreißig Jahre: Dies ist die Zeit – orientiert man sich an der Erwerbsbiographie –, welche Heranwachsende durchschnittlich brauchen, um in der Arbeitswelt eigenständig zu sein; die Zeit, die ihnen zugesprochen wird, um ihren eigenen Interessen nachzugehen und aus der sie sich nach rund weiteren dreißig Jahren wieder verabschieden. Oder der Generationenbegriff findet als Bezeichnung für eine soziale Gruppe Verwendung, die sich in einem zeitlichen Prozess als eigenständige, von anderen Gruppierungen unterscheidbare Einheit profiliert (vgl. Sternschulte 1974).
Seit Karl Mannheim 1928 in seinem Werk »Das Problem der Generationen« den Generationenbegriff definiert hat, hat sich ein riesiges Feld der Generationenforschung entwickelt. Das aber tief gespalten zu sein scheint: So gibt es an deutschen Universitäten kaum Lehrstühle oder Wissenschaftler/innen, die sich mit der Generationenforschung beschäftigen. Diejenigen, die sich doch dem Thema widmen, finden unzählige Beweise für die Nicht-Existenz von Generationen. Tatsächlich aber finden die gängigen Generationenbegriffe von X, Y und Z derzeit breite Rezeption in den Medien. Vor allem wirtschaftliche Unternehmen und Institutionen scheinen diesen Begriff übernommen zu haben und bestätigen die Generationeneinteilungen durch die Analyse intergenerationelle Merkmalsunterschiede.
Trotz all dieser wohl fundamentalen Differenzen, stützen sich sowohl breite Teile des wissenschaftlichen Feldes als auch Vertreter/innen des populärwissenschaftlichen Feldes auf den Generationenbegriff nach Karl Mannheim. Dieser zeichnet sich durch gemeinsame Merkmale aus, die auf wirtschaftliche, kulturelle, soziale und ökologische Umstände zurückgehen. Im Wesentlichen geht Mannheim davon aus, dass Generationen eine Kategorisierung vornehmen, die sowohl »Natur« als auch »Kultur« integriert. Menschen, die in einer bestimmten Altersspanne geboren wurden (»Natur«) werden durch ähnliche Einflüsse (»Kultur«) geprägt. Zugrunde liegt dabei ein umfassender Kulturbegriff, der eine Vielzahl von beeinflussenden Faktoren auf den Menschen meint.
Um zu verstehen, worum sich der Konflikt im Diskurs um die Generationenforschung dreht, muss zunächst einmal der »Konfliktgegenstand«, die gängige Generationeneinteilung, dargestellt werden. Sie kombiniert die Mannheimsche Generationenkonzeption mit einer Altersspanne von 15 Jahren, da sie dort kulturelle Einflüsse verortet, die diesen Menschen gemeinsame Merkmale verleihen.
Abb. 1: Der Zeitstrahl der Generationen
Die 1935 bis 1949 Geborenen zählen zur sogenannten Stillen Generation. Sie wird auch die »vergessene Generation« genannt (vgl. Bode 2004 & Bode 2009: 13). Denn Krieg, Vertreibung und Flucht standen in dieser Zeit im Vordergrund, sodass einzelne Lebensschicksale in den Hintergrund rückten. Die Erfahrung existentieller Nöte waren für viele Menschen dieser Zeit wohl die prägendsten Ereignisse in ihrem Leben. Die Kinder der Nachkriegsgeneration, deren Eltern mit oft unsäglichem Leid konfrontiert wurden, deren Väter oft traumatisiert vom Krieg zurückkehrten, führten zu keinem emotionalen Erziehungsstil, wie wir ihn heute kennen (vgl. Maas 2019: 5). Mütter wurden zur NS-Zeit sogar dazu ermutigt, ihren Kindern gegenüber emotional zurückhaltend gar kalt und abweisend zu sein. Gehorsam gegenüber den Eltern und dem Staat, aber auch Disziplin waren die oberste Maxime der Erziehung. Es wurden drastischen Erziehungsmaßnahmen empfohlen wie zum Beispiel Misshandlungen und Schläge. Deshalb wuchsen die Kinder mit devoter Einstellung und emotional »zurückhaltend« – eben »still« – auf (Haarer 1964 & Chamberlain 2010). Die Kriegsjahre selbst aber auch die Nachkriegsjahre forderten permanenten Verzicht auf Essen und frisches Wasser. Anpassung lautete die Devise und ja nicht auffallen, da Familie und deren Ehre, aber auch Fleiß und Disziplin oft das Einzige waren, was vor allem den Vertriebenen und Geschädigten im Krieg noch blieb. Bis heute tun sich die Angehörigen der Nachkriegsgeneration schwer, altes Essen wegzuwerfen oder Gefühle zu äußern. Die stille Generation war in ihrem Erziehungsstil wiederum sehr stark von den Attributen geprägt, die ihnen im Krieg und in der Nachkriegszeit direkt oder indirekt mitgegeben wurden.
Die Babyboomer-Generation umfasst in der gängigen Generationenforschung die Jahrgänge der von 1950 bis 1964 Geborenen. Der Begriff »Babyboom« steht hierbei für den großen Anstieg der Geburtenrate in der Dekade nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Bis heute hat sich dieser »Boom« im Bereich der Geburten nicht wiederholt. Diese Personen bilden die erste Generation, die die Vorzüge der industriellen Massenproduktion genießen konnten. Denn im Zuge des Wirtschaftswunders und der standardisierten Massenproduktion konnten große Gütermengen wie Autos und Kühlschränken für die breite Masse der Bevölkerung produziert werden (vgl. Maas 2019: 7). Die Babyboomer sind durch das Wirtschaftswachstum und in der Folge sich schnell verbessernde Lebensumstände geprägt, sie haben erste Erfahrungen mit Wohlstand gemacht. Die große Anzahl an Geburten hatte aber auch eine Schattenseite: Denn die Babyboomer waren schlichtweg immer »zu viele«. Einen solchen Bedarf konnte der damalige Arbeitsmarkt nicht befriedigen. Dies führte zu großem Wettbewerb um Studien- und Arbeitsplätze bei den Babyboomern. Forscher vermuten bei diesen daher ein stark ausgeprägtes Konkurrenzverhalten (vgl. Becker 2014). Diese Generation hatte auch die sogenannte 68er-Bewegung hervorgebracht. Sie wurden oft auch mit dem Begriff der »Kriegsenkel« bezeichnet, wobei sie so gar nicht in die Fußstapfen ihrer Eltern und Großeltern treten wollten: Sie wehrten sich gegeben starre Strukturen, kämpften für eine liberale Sexualmoral und lehnten sich gegen ihre autoritäre Erziehung auf. Einige Soziologen und »Glücksforscher« bezeichnen die Generation der Babyboomer als die glücklichste Generation. Aus unserem heutigen Arbeitsmarkt werden in den kommenden Jahren die letzten Vertreter der Babyboomer-Generation austreten. Diese wiederum machen Platz für die nachfolgende Generation X (vgl. Oertel 2014).
Menschen, die im Zeitraum von 1965 bis 1979/80 geboren wurden, werden Generation X genannt. Die Bezeichnung Generation X gibt es allerdings schon seit Anfang der 1950er Jahre, sie wurde vom bekannten Fotografen Robert Capa geprägt. Die Bezeichnung war eine Überschrift einer Foto- und Bildstrecke junger Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg, die 1953 in der britischen Zeitschrift Picture Post erschien. Der Begriff wurde später adaptiert und bezeichnet heute die Nachfolgegeneration der Babyboomer, beschrieben wird im Gegensatz zu der von Capa geprägten Fassung also eine Generation später. Richtig bekannt wurden die Bezeichnung jedoch erst 1991, nach dem Erscheinen des Romans »Generation X« von Douglas Coupland. In diesem Roman beschreibt der Schriftsteller und Künstler die Angehörigen der Generation X in ihrem damaligen Teenager- und jungen Erwachsenenalter. Nach Einschätzung von Coupland habe die Generation X zwar keine Kriegseinwirkung gehabt, wurde aber mit weniger ökonomischer Sicherheit konfrontiert als ihre Vorgängergeneration. Denn das Wirtschaftswunder der 1950er Jahre verlor langsam an Kraft. Hinzu kamen dann in den 1990er Jahren zahlreiche Wirtschafts- und Finanzkrisen. Das beide Elternteile arbeiten gingen, war für für viele Angehörige der Generation X normal (vgl. Coupland 1991). Ein außerfamiliäres Betreuungsangebot war jedoch die Ausnahme. Man nennt sie daher auch die »Schlüsselkinder«: Da beide Elternteile berufstätig waren, bekamen sie von ihren Eltern den Haustürschlüssel und waren oft nachmittags nach dem Schulunterricht auf sich »allein gestellt«. Die Populärkultur der Generation X war stark von Ironie geprägt. Ein Phänomen, das sich an beliebten Comedians der damaligen Zeit und ihrer Anhängerschaft zeigt. Die Generation X ist sehr erfolgreich in der Arbeitswelt vertreten. Beispielsweise werden die Posten im Management zu 80 % von Vertreter/innen der Generation X bekleidet (vgl. Maas 2019: 7). Ihre Vorstellungen von Arbeit prägen somit die derzeitige Arbeitswelt am meisten – nach der einschlägigen Literatur unterscheiden sie sich stark von allen jüngeren Nachfolgegenerationen. Die Mitglieder der Generation X seien vermehrt individualistisch geprägt. »Ellenbogenmentalität« ist an der Tagesordnung und ihnen wird eine geringe Anpassungsfähigkeit zugeschrieben. So lassen sie sich beispielsweise von Vorgesetzen oder kritischen Situationen nicht so leicht einschüchtern. Auch seien sie generell kreativ, skeptisch und kritisch. Ihre Hauptmotivation ist der berufliche Erfolg. Daher muss der eigene Status demonstriert und gegenüber anderen Personen hervorgehoben werden.
Zwischen 1980 und 1994 Geborene werden als Generation Y bezeichnet, sinnbildlich steht das »Y« für why aus dem Englischen (vgl. Maas 2019: 8). Es steht für eine Generation, die den Sinn in der Welt, in ihrer Arbeit oder ganz allgemein in ihrem Leben sucht. Sie hebt sich daher von den anderen Generationen durch ihre Suche nach diesem »tieferen Sinn« in der Tätigkeit aus. Ihre Wertausrichtung ist leistungs- und karriereorientiert (vgl. Krause 2015).
Die Generation Y war die erste Generation, die schon in jungen Jahren das Internet nutzte und sie erlebte dessen massenhafte Verbreitung. Die Mitglieder der Generation Y werden deshalb auch Digital Natives genannt. Die »digital Eigeborenen« also, die an der Seite des Internets groß geworden sind. Während im Jahr 2002 noch 66 % der Jugendlichen Zugang zum Internet hatten, haben im Jahr 2010 bereits 96 % der Jugendlichen Internetzugang (vgl. Albert/ Hurrelmann 2011). Weitere gängige Bezeichnungen für die Generation Y ist Millenials, da sie in ihrem Jugendalter die Jahrtausendwende miterlebt haben oder Generation Praktikum, da viele Mitglieder der Generation Y viele Praktika vor ihrem Berufseintritt gemacht haben.
Als prägendstes Ereignis für die Generation Y werden die Terroranschläge auf das World-Trade-Center am 11. September des Jahres 2001 angenommen sowie viele weitere Terroranschläge, die sich in den Jahren nach der Jahrtausendwende