(Neuro-)Diversity? Aber bitte erst nach der Schule! - Julia Zeller - E-Book

(Neuro-)Diversity? Aber bitte erst nach der Schule! E-Book

Julia Zeller

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Beschreibung

Dass David sich anders als andere Kinder entwickelt, war spätestens klar, als er sich mit zweieinhalb Jahren selbst das Lesen beibrachte. Die Probleme gingen los, als David in den Kindergarten kam. Dort war für Andersartigkeit leider kein Platz. Lesen wurde ihm dort sogar verboten. Es folgen drei Jahre voller Sorgen, des Wartens und des Kampfes gegen verschiedene Institutionen, bis endlich eine Diagnose und damit verbunden die richtigen Hilfen da sind. Aussagen wie: "Der kann kein Autist sein, der schaut einem ja in die Augen" oder "Zahlen und Buchstaben gehören nicht zu einem Dreijährigen", waren dabei unsere stetigen Begleiter. Ein Erfahrungsbericht über den Alltag mit einem autistischen Kind.

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Aus dem Leben mit einem autistischen KindEin Erfahrungsbericht

DANKSAGUNG

Meiner Familie, die mich immer unterstützt.

David und Olli, die beiden wunderbarsten, zauberhaftesten und einzigartigsten Buben auf der Welt.

Den Büchern selbst, die Entspannung, Ausgleich und Selbsttherapie sind.

Inhaltsverzeichnis

Anmerkung

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

FÜNFZEHN

SECHZEHN

SIEBZEHN

ACHTZEHN

NEUNZEHN

ZWANZIG

EINZNDZWANZIG

ZWEIUNDZWANZIG

DREIUNDZWANZIG

VIERUNDZWANZIG

FÜNFUNDZWANZIG

SECHSUNDZWANZIG

SIEBENUNDZWANZIG

ACHTUNDZWANZIG

NEUNUNDZWANZIG

DREISSIG

EINUNDDREISSIG

NACHWORT

ÜBER DIE AUTORIN

Anmerkung:

Zum Schutze des Persönlichkeitsrechts wurden einige personenbezogene Beschreibungen dahingehend geändert, dass keine Rückschlüsse auf besagte Personen gezogen werden können. Die sich zugetragenen Sachverhalte wurden dabei nicht verändert.

EINS

Da war er. In meiner Hand. Der Bewilligungsbescheid für die Schulbegleitung für unseren Sohn David. Der Bewilligungsbescheid, der mir das letzte halbe Jahr so viele Sorgen, so viele schlaflose Nächte bereitet und mich so viele Nerven gekostet hatte. Hallelujah, was für eine schwere Geburt! Und von schweren Geburten kann ich wahrlich ein Lied singen. Aber dazu später mehr.

Der 14. April 2023 ist definitiv ein denkwürdiger Tag für mich. 14. April – „Tag der Schulbegleitung“ …wenn’s nach mir geht, könnte das gerne ein neuer Feiertag werden.

Aber wieso mache ich überhaupt so einen Aufstand wegen eines simplen Bewilligungsbescheids für eine Schulbegleitung? Das ist doch eigentlich nicht so etwas Außergewöhnliches … sollte man zumindest meinen.

Wie schon erwähnt, hat mich dieser Bescheid sechs Monate lang den letzten Nerv gekostet. Dabei bin ich in Kontakt mit vielen verschiedenen Menschen gekommen. Viele Menschen, die uns helfen wollten, und einige Menschen, deren Verhalten ich in keinster Weise nachvollziehen kann. Wie es aber so ist, braucht man immer genau diese Menschen für sein Ziel. In meinem Fall war das Ziel die Genehmigung für eine Schulbegleitung für meinen fünfjährigen Sohn David, Autist, und ab September Schulkind. Und die dafür verantwortliche Person: der Autismusbeauftragte des städtischen Schulamtes.

David ist unglaublich intelligent und wissbegierig, hat aber Probleme im sozial-emotionalen Bereich. Vor allem im Umgang mit Gleichaltrigen tut er sich schwer. Außerdem braucht er die ständige Begleitung und Unterstützung einer erwachsenen Bezugsperson. Diese kann dann im Notfall einschreiten, falls es ein Problem gibt. Das kann z.B. ein Konflikt mit einem anderen Kind sein, seine fehlende Impulskontrolle oder wenn es zur Reizüberflutung kommt. Dann kann die Begleitperson einschreiten und z.B. den Konflikt mit dem anderen Kind oder mit David die Situation klären, die ihn gerade überfordert. Notfalls kann die Person ihn auch ganz aus der Situation rausnehmen, sodass er sich wieder beruhigen kann.

Deshalb geht David mit einer Integrationskraft in den Kindergarten. Er geht meistens auch nur zwei Stunden pro Tag in den Kindergarten, weil dann „die gute Energie aufgebraucht ist“, wie wir so schön sagen. Das bedeutet, dass bei ihm meistens nach dieser Zeit die Reizüberflutung einsetzt und er mit der Situation überfordert ist. Dann kommt es meistens zu einem Ausraster oder sogar zu einem sogenannten Meltdown. Er fängt dann an, zu schreien oder wegzulaufen.

Die Integrationskraft begleitet ihn beim Spielen mit den anderen Kindern, animiert ihn dazu, die Angebote der ErzieherInnen mitzumachen und hilft ihm, wenn es Probleme gibt. Er wird im Kindergarten zu hundert Prozent von seiner Integrationskraft begleitet. Er geht nie alleine dorthin.

Seit er von der Integrationskraft begleitet wird, beobachten wir erstaunliche Fortschritte bei David. Dies ist allerdings noch nicht lange der Fall. Viele Dinge, die vor einem halben Jahr noch unmöglich schienen, macht er jetzt problemlos. Er lässt sich auch immer mehr auf die Kindergartensituation ein. Diese ist sehr schwierig für ihn als Autisten. Dort sind sehr viele Menschen, oft geht es wuselig zu, die Kinder rennen herum, sind manchmal laut. All diese Eindrücke werden von David ganz anders verarbeitet als von einem neurotypischen Kind. David nimmt alles viel intensiver und ungefilterter wahr. Dies führt dann schnell zur erwähnten Reizüberflutung. Je länger David aber den Kindergarten besucht, desto öfter können wir beobachten, dass er ein immer besseres Gespür für sich selbst und die Situation bekommt und sich immer öfters auch selbst rechtzeitig aus einer Situation „befreien“ kann, bevor es überhaupt zur Reizüberflutung kommt. Dann zieht er sich einfach in eine ruhige Ecke zurück, z.B. die Bauecke im Kindergarten, und spielt dort für sich alleine. Dies allein ist schon ein ganz erstaunlicher Fortschritt, vor allem für ein Kind in seinem Alter.

Das gelingt ihm aber (noch) nicht immer und deswegen ist es wichtig, dass er stets eine Bezugsperson, der er auch vertraut, an seiner Seite hat.

Nun wird er im September eingeschult und die Schule ist ja bekanntlich etwas anderes als der Kindergarten. Während des Unterrichts kann man sich nicht einfach in eine Bauecke verziehen. Schon allein deshalb nicht, weil die Lehrerin oder der Lehrer die Aufsichtspflicht hat und unterrichten muss.

Deshalb benötigt David für die bevorstehende Schulzeit wieder eine Bezugsperson, die ihn begleitet. Im Kindergarten wurde diese Person Integrationskraft genannt, in der Schule heißt das Schulbegleitung.

Sowohl Integrationskraft als auch Schulbegleitung werden vom Jugendamt bewilligt. Bei der Schulbegleitung benötigt man aber für diese Genehmigung zusätzlich ein Gutachten vom Schulamt. Da David ein diagnostizierter Autist ist, ist für dieses Gutachten der sogenannte Autismusbeauftragte des Schulamtes zuständig.

Um das Gutachten zu erstellen, war zunächst eine Hospitation bei David im Kindergarten geplant. Dabei war es die Aufgabe des Autismusbeauftragten, David im Kindergarten zu besuchen, ihn eine Zeitlang zu beobachten und anhand des beobachteten Verhaltens ein Gutachten über Davids Hilfebedarf zu erstellen. Dieses Gutachten wird dann vom Schulamt ans Jugendamt geschickt und daraufhin die Schulbegleitung vom Jugendamt mittels eines Bewilligungsbescheids genehmigt.

Integrationskräfte und Schulbegleitungen sind eine tolle Sache. Sie helfen Kindern wie David enorm. Wie ich bereits geschrieben habe, macht David, seit er in Begleitung seiner Integrationskraft in den Kindergarten geht, ganz enorme Fortschritte. Was ohne sie unmöglich wäre. Der Kindergartenbesuch an sich wäre für David ohne Begleitung unmöglich und er müsste stattdessen zu Hause betreut werden.

Das Problem an den Integrationskräften und Schulbegleitungen ist, dass, obwohl diese Jobs so unglaublich wichtig sind, es kaum Leute gibt, die diesen Job übernehmen wollen. Vor allem Integrationskräfte für Kindergärten sind, zumindest bei uns in der Umgebung, absolute Mangelware. Ich weiß nicht, wie die Sachlage in Großstädten ist, aber hier auf dem Land kann man die Situation gut und gerne als Vollkatastrophe bezeichnen.

Der Mangel an Integrationskräften wundert mich persönlich allerdings nicht, da die Bezahlung teilweise unterirdisch ist. Außerdem werden oft nur ein paar wenige Stunden in der Woche genehmigt bzw. die genehmigte Vergütung lässt nicht mehr als ein paar Stunden in der Woche zu. Außer die Integrationskräfte möchten gerne unter dem Mindestlohn arbeiten.

Drei bis vier Stunden Begleitung in der Woche bringen allerdings einem Kind wie David gar nichts. Er ist auf eine allseitige Betreuung angewiesen.

Oft habe ich auch schon gehört, dass ein Kind eine Integrationskraft zwar genehmigt bekommen, der Kindergarten aber niemanden für diese Aufgabe gefunden hat. Eine Integrationskraft zu stellen, ist normalerweise Aufgabe des Kindergartens. Wenn dieser aber niemanden findet, der den Job übernimmt, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder das Kind geht trotz Bedarf ohne Begleitung in den Kindergarten oder das Kind muss zu Hause betreut werden. In Davids Fall wäre auf jeden Fall Letzteres zutreffend, da er momentan ohne Begleitung völlig überfordert ist.

Dies haben wir auf die harte Tour herausfinden müssen. Davids jetziger Kindergarten ist bereits unser dritter Versuch. Und damit meine ich auch den dritten Kindergarten.

Vor allem bei unserem ersten Anlauf in einem Regelkindergarten haben wir katastrophale Erfahrungen gemacht, die uns dauerhaft geprägt haben und die auch Teil meiner Motivation waren, dieses Buch zu schreiben. Aktuell geht David in einen Montessori-Kindergarten und mit diesem hatten wir nun letztlich wirklich Glück. Mit seinen ErzieherInnen, der Integrationskraft und der Kindergartenleitung haben wir ein tolles Team an Helfern für David gefunden, die ihn in seinem Alltag unterstützen und ihn mit sehr viel Geduld und Einfühlungsvermögen auf seinem Weg begleiten.

Dies war aber wie gesagt nicht immer so und wie es dazu kam, werde ich im Folgenden erzählen. Beginnen möchte ich aber zunächst ganz am Anfang, nämlich bei Davids Geburt. Diese war äußerst traumatisch und spielt bei Davids folgender Entwicklung eine große Rolle.

Da die Geburt wirklich sehr dramatisch war und schon gestandene Männer beim Anhören der Geschichte zum sich übergeben gebracht hat (wirklich wahr), kann das folgende Kapitel auch übersprungen werden. Wer zart besaitet ist, liest vielleicht besser bei Kapitel 3 weiter und merkt sich einfach nur den Begriff „Geburtstrauma“.

ZWEI

Davids Geburt begann morgens am 1. Mai 2017. Das war der erste Tag der Entbindung; insgesamt hat es drei Tage gedauert, bis David das Licht der Welt eerblicke.

Am Montag, den 1.5.2017, war ich bereits in der 41. Schwangerschaftswoche und damit überfällig.

Ich war in der Klinik in einer nahegelegenen, größeren Stadt für Ultraschall und CTG. Die Entbindung sollte dort stattfinden, da wir bereits während der Schwangerschaft erfahren hatten, dass David nur eine (hoffentlich) funktionierende Niere haben würde.

Während des Organscreenings im Zuge der Pränatal-Diagnostik hatte sich gezeigt, dass David auf einer Seite eine sogenannte multizystische dysplastische Niere hat. Anstelle von Nierengewebe konnte man auf dem Ultraschall nur große schwarze Punkte entdecken. Dies waren die mit Flüssigkeit gefüllten Zysten, die anstelle einer gesunden Niere wuchsen. Das Ganze wurde während der Schwangerschaft immer wieder mittels Ultraschall kontrolliert und ist erst mal nichts Schlimmes, auch wenn man sich als werdende Eltern, vor allem, wenn es sich um das erste Kind handelt, natürlich trotzdem große Sorgen macht.

Um die kaputte und die gesunde Niere gleich nach der Geburt richtig behandeln zu können, vor allem im Falle von Komplikationen, sollten wir in dieser speziellen Klinik entbinden. Sie hatte, im Gegensatz zu unserem städtischen Krankenhaus, eine Kinderklinik mit einer Nephrologie, also Nierenfachabteilung, die einen ausgezeichneten Ruf genießt.

Da waren wir also und während des Ultraschalls an diesem Morgen zeigte sich, dass das Fruchtwasser etwas zurückgegangen war. Die behandelnde Ärztin schlug mir daraufhin vor, deshalb nun die Geburt einzuleiten.

Mir war es schon während der Schwangerschaft fast durchgehend nicht gut gegangen. Ich hatte große Probleme mit meinem Blutdruck; dieser war unterirdisch. Monatelang war mir täglich so kalt, schlecht und schwindelig, dass ich die meiste Zeit nur auf dem Sofa verbringen konnte. Nicht einmal für einen Geburtsvorbereitungskurs hatte ich mich stark genug gefühlt.

Ich sehnte die Geburt herbei. Vor allem, da ich auch nachts kaum ein Auge mehr zumachte. Der Bauch war groß und schwer und ich fand einfach keine bequeme Position zum Schlafen. Zudem wurde ich von den wildesten Träumen und ständigen Toilettengängen geplagt. Als dann endlich der errechnete Geburtstermin da war, sich aber nichts tat und David offensichtlich keinerlei Anstalten machte, aus mir rauszukommen, fing ich langsam an zu verzweifeln.

Die vorherigen Untersuchungen hatten gezeigt, dass sich mein Gebärmutterhals noch überhaupt nicht verkürzt hatte und bei vier Zentimetern Länge komplett geschlossen und hart war. Also keinerlei Anzeichen für einen natürlichen, spontanen Geburtsbeginn.

Umso mehr war ich über die Worte der Ärztin erleichtert, als diese mir den Vorschlag machte, die Geburt nun einzuleiten. Da ich mich schon im Krankenhaus befand, schien mir diese Option optimal. Auf jeden Fall viel besser als ein Blasensprung irgendwo auf der Autobahn oder eine plötzliche Sturzgeburt im Treppenhaus. Ich dachte, unter medizinisch kontrollierten Umständen und in der Spezial-Klinik würde mit Sicherheit alles gut gehen.

Von daher willigte ich dankend in das Angebot der Ärztin ein. Was mich etwas stutzig machte, war, dass sie die Geburt mit Tabletten einleiten wollte, die, wie sie mir mitteilte, gar nicht zur Geburtseinleitung zugelassen seien. Sie erzählte mir aber, dass diese Tabletten gängige Praxis hier in der Klinik seien, da sie eine Wehen-auslösende Wirkung hatten und dass dieser „Off-Label-Use“ hier immer so gemacht werde.

Hätte ich geahnt, was mir bevorstand, hätte ich dem niemals zugestimmt.

Da David aber mein erstes Kind war und ich dementsprechend keine Geburtserfahrungen hatte, machte ich mir deshalb keine weiteren Sorgen und nahm die Tabletten.

Zunächst geschah nicht viel. Nach einer Weile setzten leichte Kontraktionen ein, die aber noch nichts mit den tatsächlichen Geburtswehen bzw. Eröffnungswehen zu tun hatten. Immer wieder musste ich an den Wehenschreiber zur Überwachung. In dem Raum standen mehrere CTG-Geräte und mit mir saßen dort weitere hochschwangere Frauen, die alle kurz vor der Entbindung standen.

Irgendwann bekam ich die zweite Tabletten-Gabe, musste wieder ans CTG, aber den ganzen Tag über tat sich nicht wirklich etwas. Über die Nacht wurde die Tabletten-Gabe ausgesetzt. Man sagte mir, dass wir am nächsten Morgen damit weitermachen würden. So schlief ich die erste Nacht in der Klinik in einem Familienzimmer, das wir glücklicherweise ergattert hatten. Soweit, so gut.

Am nächsten Morgen erhielt ich eine weitere Tabletten-Gabe und dann hieß es wieder warten. Abermals ging es ans CTG, aber viel tat sich nach wie vor nicht. So ging das den ganzen Tag weiter. Gegen die Langeweile und um die Geburtseinleitung zu unterstützen, gingen Michael (der Papa) und ich auf dem Klinikgelände spazieren und durch die langen Flure des Krankenhauses.

Den ganzen Tag über tat sich nichts außer ein paar Minikontraktionen beim CTG. Wie schon ganz oft während der Schwangerschaft und vor allem seit dem Überschreiten des Entbindungstermins hatte ich das Gefühl, dass dieses Kind niemals aus mir herauskommen würde. Dass es mir während fast der gesamten Schwangerschaft so schlecht gegangen war, verstärkte dieses Unbehagen.

Generell hatte ich das Schwangersein die meiste Zeit als ziemlich unangenehm empfunden. Ich bin ein sehr sportlicher und aktiver Mensch. Die Schwangerschaft hatte mich von einem Tag auf den anderen komplett lahmgelegt. Wochenlang hatte ich nur auf dem Sofa verbracht, zu müde und erschöpft, um auch nur ein Buch zu lesen. Den Fernseher konnte ich schon längst nicht mehr sehen. Außer der Schwangerschaftsübelkeit, die viele Frauen beschreiben, hatte ich sonst alle gängigen Schwangerschaftsbeschwerden mitgenommen, die es gibt. Von Zahnfleischbluten über Karpaltunnelsyndrom bis zum unterirdischen Blutdruck war alles dabei gewesen.

Eine Sache gab es allerdings, die ich während der Schwangerschaft absolut entzückend fand, und das war jede und zwar wirklich jede einzelne Bewegung meines ungeborenen Kindes. Voller Verzückung spürte ich ihn zappeln und strampeln und konnte überhaupt nicht genug davon kriegen.

Ich hatte auch sehr früh angefangen, die Kindsbewegungen wahrzunehmen. Genauer gesagt in der 16. Woche, noch genauer gesagt bei SW 15 + 2. Da ich während der Schwangerschaft quasi gar nicht an Gewicht zugenommen hatte und ansonsten auch ein sehr schlanker Mensch bin, trennte mein Kind von der Außenwelt nur eine dünne Hautschicht, meine Bauchdecke. Durch sie hindurch konnte man, vor allem wenn sich der Bauch zu einer Übungswehe zusammenzog, jede Einzelheit des ungeborenen Babys ganz toll tasten. Sogar sein kleines Ärmchen konnte ich bereits vor der Entbindung halten. Die Kindsbewegungen in meinem Bauch waren und werden für mich immer etwas ganz Besonderes sein und eine Erfahrung, die ich auf keinen Fall missen möchte.

Am Abend des 2. Mai ging es schließlich tatsächlich los. Erst kam der Blasensprung und dann die erste echte Eröffnungswehe. Es tat ziemlich weh, aber es war noch auszuhalten. Einen Geburtsvorbereitungskurs hatte ich ja nie besucht, trotzdem klappte es anfänglich ganz gut mit dem Veratmen der Wehen und ich war guter Dinge. Michael war an meiner Seite, zwar völlig überfordert, jedoch ebenfalls zuversichtlich. Noch wussten wir nicht, was da noch alles auf uns zukommen würde. Wir waren ja völlig erfahrungslos.

Die Wehen wurden immer stärker und kamen in immer kürzeren Abständen. Ich bat um eine PDA, diese wurde mir allerdings verweigert. Die Begründung war, dass die Infektwerte nach dem Blasensprung zu hoch seien.

Da die Schmerzen mittlerweile kaum noch auszuhalten waren, bat ich um ein Schmerzmittel und erhielt eine Infusion mit einem Schmerzmedikament darin. Linderung brachte mir diese keine, dafür übergab ich mich ins Bett. Man brachte mir ein neues Bett und ich schickte Michael in unser Familienzimmer, um meine Zahnbürste zu holen, da ich mir unbedingt die Zähne putzen wollte. Im frischen Bett lag ich dann und konnte mich mittlerweile vor Schmerzen nicht mehr bewegen.

Die Wehen waren nun so schlimm, dass ich langsam immer mehr wegdriftete bzw. das Bewusstsein ganz verlor. Ich erinnere mich daran, dass ich jegliches Raum- und Zeitgefühl verlor. Nur wenn wieder eine neue Wehe kam und ihren Höhepunkt erreichte, nahm ich die unsagbaren Schmerzen wahr. Ich konnte mich allerdings weder bewegen noch sprechen, sondern nur noch mit den Augenlidern blinzeln. Ich dachte, ich müsste sterben und dass dieser Schmerz niemals aufhören würde.

Wieder flehte ich um ein Schmerzmittel, das mir wieder verweigert wurde. Stattdessen kam eine Hebamme, um mich zu untersuchen, was den unerträglichen Schmerz noch unerträglicher machte. Obwohl ich eigentlich dachte, dass das überhaupt nicht mehr möglich wäre. Mein Körper explodierte förmlich vor Schmerz.

Danach verlor ich endgültig das Bewusstsein. Michael wachte an meiner Seite an meinem Bett und so zogen die Stunden an uns vorbei. Es war mittlerweile mitten in der Nacht. Wir waren ganz. Es hatte schon einige Stunden niemand mehr nach uns bzw. mir gesehen.

Wie wir später erfuhren, gab es in dieser Nacht in der Klinik 17 Geburten und das Personal war heillos überfordert und unterbesetzt.

Irgendwann in den Morgenstunden ging Michael auf den Flur und zog eine Hebamme zu uns in den Raum. Er sagte ihr, dass sie jetzt gefälligst nach mir sehen solle, da wir schon seit Stunden völlig alleine seien und ich nicht mehr ansprechbar sei. Er machte sich fürchterliche Sorgen und hatte keinerlei Ahnung, was er tun sollte. Das CTG schlug immer höher und höher aus.

Daraufhin untersuchte mich die Hebamme, was mich durch den schrecklichen Schmerz wieder zu Bewusstsein brachte.

Sie tastete an meinem Bauch, schaute mich an und sagte: „Frau Zeller, Sie müssen auf die Toilette gehen.“

„Wieso?“, erwiderte ich.

„Ihre Blase steht kurz vorm Platzen, spüren Sie das nicht?“, fragte sie.

„Nein, ich spüre gar nichts“, sagte ich.

Sie beteuerte nochmal, dass ich jetzt unbedingt zur Toilette gehen müsse. Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, aufzustehen und die paar Schritte zu gehen. Was ich aber weiß, ist, dass ich auf diesem Weg und auch dann auf der Toilette sitzend einzig und allein einen Gedanken hatte, und der war: „Bitte lass jetzt keine weitere Wehe losgehen.“

Eine Wehe kam nicht, Urin allerdings auch nicht.

Ich schleppte mich zurück zum Bett und erklärte der Hebamme, dass ich nicht mehr pinkeln könne. Daraufhin holte sie schnell eine weitere Schwester, die mir einen Katheter legte und meine übervolle und mittlerweile überdehnte Blase endlich leerte.

Mittlerweile war es morgens gegen 8 oder 9 Uhr.

Bei der Untersuchung zeigte sich, dass der Muttermund jetzt ca. 8 Zentimeter geöffnet war. Die Hebamme sagte zu mir, dass wir nun in den Kreißsaal könnten. Außerdem würde sie nochmals mit dem Anästhesisten telefonieren, ob ich nun doch eine PDA bekommen könnte. Ein Lichtblick, endlich. Ich schleppte mich in den Kreißsaal. Wieder hatte ich bei jedem Schritt panische Angst, dass eine neue Wehe losgehen könnte. Irgendwie schaffte ich es dorthin. Der Kreißsaal war ziemlich karg und überhaupt nicht einladend. Ein Bett und eine Wanne befanden sich darin und an der Wand ein paar Medizinschränke. Beruhigend war anders.

Eine Hebamme versuchte mir die Haare zu bändigen und zusammenzubinden – ich sah wohl ziemlich zerrupft aus. Da ich sehr lange Haare habe, blieben ihre Mühen aber eher von mäßigem Erfolg gekrönt. Es gab wenig, was mir in dem Moment mehr egal war als der Zustand meiner Haare.

Michael war mittlerweile fix und fertig. Ich war die Nacht über ja die meiste Zeit ohnmächtig gewesen, er allerdings hellwach. Also sagte ich zu ihm, dass es okay sei, wenn er nicht mit in den Kreißsaal komme, sondern sich stattdessen etwas ausruhe. Dieses Angebot nahm er dankend an.

Nun saß ich auf dem Bett und betete, dass der Anästhesist komme und ich endlich eine PDA bekommen würde. Tatsächlich überbrachte mir dann die Hebamme die wundervolle Nachricht, dass sie den Anästhesisten erreicht habe. Er werde gleich kommen und ich eine PDA erhalten. In diesem Moment war ich der glücklichste Mensch und voller Hoffnung, dass diese schrecklichen Schmerzen nun endlich ein Ende haben würden. Natürlich ein Irrglaube, aber in diesem Moment das, was mich aufrecht hielt und mir die Kraft gab, weiterzumachen.

Der Anästhesist kam und ich sollte mich auf die Kante des Bettes setzen. Schnell war die Kanüle gelegt und ich hielt einen kleinen Drücker in der Hand, mit dem ich die Schmerzmittel-Gabe selbst auslösen konnte. Alle 15 Minuten konnte ich den Knopf drücken und eine neue Dosis erhalten. Wie besessen klammerte sich meine Hand um dieses Gerät.

Ich spürte, wie sich das Schmerzmittel von der Kanüle aus über meine Hüfte und in das Becken verteilte und der Schmerz tatsächlich etwas nachließ.

Mittlerweile war es ca. 11 Uhr am Mittwoch, den 3. Mai. Völlig entkräftet von den mittlerweile seit 15 Stunden andauernden Wehen schlief ich sogar kurz ein.

Dieser Frieden hielt allerdings nicht lange an. Auf einmal merkte ich, wie sich neue Schmerzen in meinem Becken ausbreiteten. Wie wild drückte ich auf den kleinen Zauberknopf, in der Hoffnung, auf eine weitere Dosis. Mein Blick galt einzig und allein der großen Uhr, die an der Wand hing. Ich beobachtete den Minuten-Zeiger und zählte, wann ich wieder würde drücken können.

Die Schmerzen wurden unterdessen wieder schlimmer und ich hatte das Gefühl, dass die PDA überhaupt nichts mehr brachte.

Die Hebamme schlug nun einen Positionswechsel vor. Ich lag auf der Seite und sollte mich auf allen Vieren hinknien. Den Sinn dahinter verstand ich nicht und fand die Position einfach nur unbequem. Da ich so die Schmerzen nicht aushalten konnte, legte ich mich auf den Rücken. Mein ganzer Körper schien nur aus Feuer zu bestehen. Ich spürte einen immer größeren Drang, zu pressen.

Dann meinte auch die Hebamme, ich könne nun pressen. Also tat ich es. Es geschah: nichts. Die nächste Wehe kam. Ich presste wieder, es tat sich nichts. Es folgte die nächste Presswehe und die nächste und die nächste. So ging es immer weiter. Das Einzige, was nicht kam, war das Kind.

Dann erschien eine Ärztin, um mich zu begleiten. Wieder Presswehen, wieder ging nichts voran. Mittlerweile hatte man mich in ein großes, von der Decke hängendes Tuch gehievt, in dem ich nun drinhing und weiter presste. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen oder die wievielte Presswehe es mittlerweile war. Und erneut tat sich mir der Gedanke auf, dass dieses Kind niemals aus mir rauskommen würde.

Mit mir sprach auch niemand.

Auf einmal kamen eine zweite Ärztin und noch eine zweite Hebamme. Alle drückten auf meinem Bauch herum. Ich hing weiter in dieser seltsamen Hängematte und presste wie eine Verrückte. Das Pressen war so anstrengend, dass ich schrie wie am Spieß.

Auf einmal merkte ich, wie die Stimmung kippte. Mit mir reden tat allerdings immer noch niemand. Lediglich eine Ärztin sah mich auf einmal an und sagte in einem sehr ernsten Ton:

„Wir müssen jetzt dieses Kind aus Ihnen rauskriegen.“

Da ich ja völlig hilflos in meiner Hängematte hing, presste ich einfach weiter. Was hätte ich auch sonst tun sollen?

Wie sich später herausstellte, gingen die Presswehen da schon drei Stunden lang. Auf einmal sagte eine Hebamme:

„Oh, ich sehe den Kopf mit ganz vielen Haaren.“

Sie fragte mich, ob ich mal fühlen wolle. Dies schien mir in diesem Moment die absurdeste Frage, die ich in meinem gesamten Leben jemals gehört hatte. Natürlich wollte ich dort nicht auch noch hinfassen, sondern ich wollte einfach nur dieses Kind aus mir raus haben. Und tatsächlich, bei der nächsten Presswehe kam dann endlich der Kopf.

„So, und jetzt noch einmal pressen!“, sagte die Hebamme.

Ich habe keinerlei Ahnung, woher ich die Kraft überhaupt noch genommen habe, irgendeinen Muskel in meinem Körper anzuspannen. Aber irgendwie schaffte ich es tatsächlich, bei der nächsten Presswehe David aus mir herauszupressen.

Tatsächlich hatte mich die Geburt so viel Kraft gekostet, dass ich danach tagelangen, schrecklichen Muskelkater in jeder einzelnen Faser meines Körpers hatte.

David war endlich da und ich befand mich immer noch in dem von der Decke hängenden Tuch. Daraus wurde ich nun befreit und man legte mich aufs Bett. David gab man mir auf die Brust. Ich blickte hinab auf einen zerknautschten, verschrumpelten, lila Wurm.

Er schrie nicht, sondern machte nur ein paar fiepende Geräusche. Er war so leicht, dass ich ihn kaum auf mir spürte. Ich streichelte ganz sanft seinen Rücken. Dabei schrumpelte seine lila Haut zusammen. Das war unser erster gemeinsamer Moment.

Da kam schon eine Ärztin, nahm David und brachte ihn weg. Er müsse sofort auf die Kinderintensivstation. Ich verstand überhaupt kein Wort. Wieso nahm man mir mein Kind weg? Es hatte drei Tage gedauert, davon 20 Stunden lang Wehen und alle Kraft, die ich besaß, um ihn auf die Welt zu bringen. Und jetzt wurde er mir direkt wieder weggenommen?

Da ich aber völlig hilflos war, nicht aufstehen konnte und auch keine Kraft mehr in mir hatte, lag ich einfach nur da und bat um etwas zu trinken. Ich hatte mittlerweile seit 24 Stunden nichts mehr getrunken und einen Höllendurst.

Auf einmal kam wieder etwas Unruhe auf. Eine Hebamme sagte etwas von „Nachgeburt“. Ich bekam höllische Angst, fürchtete, nun nochmals den Wehenschmerz zu bekommen. Ich konnte keine einzige, weitere Sekunde Schmerzen mehr ertragen. Zum Glück war meine Sorge unbegründet. Ich spürte nur ein widerliches Gewabbel und dann war das „Ding“ aus mir heraus. Ich wollte es nicht mal ansehen.

Eine Schwester brachte mir eine Flasche Apfelschorle, die ich in einem Zug leerte. Danach bat ich sie um noch eine Flasche. Auch diese trank ich ganz aus. Als sich wegen dem Liter Apfelschorle meine Blase meldete, musste die Schwester mir wieder einen Katheter legen. Sie brachte mir außerdem noch eine Schale mit frischem Wasser. Damit wusch ich mir das Gesicht. Das kalte Wasser tat gut.

Ich hatte die ganze Zeit mein Handy bei mir am Bett gehabt. Da keiner da war und von mir das „klassische“ Geburtsfoto machte (die erschöpfte, aber glückliche Mama mit ihrem frisch geschlüpften, rosa Baby im Arm), machte ich ein Selfie. Ohne Baby. Alles an mir wirkte grau. Meine Haut, meine Augen, meine Haare. Es sah aus, als hätte ich alle meine Farbe verloren. Das „glücklich“ fehlte auch, da war nur „erschöpft“. Ich wurde schließlich in ein frisch bezogenes Bett gelegt und meine verschmutzen Sachen in eine Plastiktüte gepackt. Nachdem sie mir noch Kolostrum abgenommen hatten, wurde ich auf unser Zimmer geschoben, und erhielt die Anweisung, auf keinen Fall aufzustehen.

Michael besuchte derweil David auf der Intensivstation. Mittlerweile hatte ich verstanden, dass sie David dorthin gebracht hatten, weil er nach der Entbindung nicht geschrien hatte.

Als sich meine Blase wieder meldete, klingelte ich nach einer Schwester. Sie kam und begleitete mich zur Toilette. Alleine gehen konnte ich nicht. Leider konnte ich auch immer noch nicht pinkeln, weswegen nach einer anderen Schwester gerufen wurde, die mir dann einen bleibenden Katheter legte. So langsam meldete sich der Hunger bei mir. Ich hatte seit anderthalb Tagen keine Nahrung mehr zu mir genommen. Michael ging los und brachte mir Sushi. Darauf hatte ich mich die ganze Schwangerschaft über gefreut. Ich saß also im Krankenbett, ohne Baby, dafür mit Katheter und aß Sushi. Alles an dieser Situation war für mich grotesk.

Es war gegen 19 Uhr und nach meiner Mahlzeit schlief ich einfach vor Erschöpfung ein.

DREI

An den nächsten Morgen erinnere ich mich noch, als ob es gestern gewesen wäre. Der Moment, als ich die Augen aufschlug und an die weiße Krankenhaus-Zimmerdecke blickte, war so absurd und surreal, dass ich ihn niemals vergessen werde.

Ich blickte nach oben und verstand erstmal gar nichts. Ich wusste zunächst nicht, wo ich war, doch realisierte ich sehr schnell, dass ich in einem Krankenzimmer lag. Das schwere Gewicht des Bauches, das mich die letzten neun Monate stetig wachsend begleitet hatte, fehlte. Schwanger war ich also nicht mehr. Also mussten die furchtbaren Erinnerungen, die langsam in meinem immer noch benebelten Gehirn durchsickerten, doch nicht nur ein Traum gewesen sein.

Ich hatte ein Kind geboren. Die Schwangerschaft war vorbei. Das Ende, das ich so lange herbeigesehnt hatte, war gekommen. Das Ende der Schwerfälligkeit, das Ende der Schwangerschaftsbeschwerden, das Ende der Müdigkeit und Kurzatmigkeit.

Aber etwas stimmte nicht. Wenn ich nicht mehr schwanger war und ein Kind geboren hatte, wieso war es dann nicht bei mir? Wo war mein Kind? War ich vielleicht doch nicht schwanger gewesen? War die ganze Schwangerschaft nur ein Traum gewesen und ich aus irgendeinem anderen Grund jetzt hier im Krankenhaus?

Wieso tat mir alles so weh? Wieso konnte ich mich kaum bewegen? Ich tastete nach meinem Bauch. Okay, mein Bauch war auf jeden Fall nicht normal, sondern geschwollen und wabbelig. Und was war das da weiter unten? Was hing da für ein Schlauch aus mir raus und was für ein Beutel hing an diesem Schlauch? Also waren die grauenhafte Geburt und meine überdehnte Blase doch echt?

Ich blickte nach links und sah Michael. Er war wach.

„Wo ist unser Kind?“, fragte ich ihn. „Wo ist mein Baby?“

Michael erklärte mir, dass David direkt nach der Geburt auf die Kinder-Intensivstation gekommen war. Er zeigte mir Fotos von einem winzigen, ganz zerknautschten Wesen, das an lauter Schläuche angeschlossen war und in einem Brutkasten lag. Er berichtete mir, dass David die Nacht auf der Intensivstation verbracht und er ihn dort auch schon besucht hatte.

Im ersten Moment war ich mit diesen Informationen völlig überfordert. Ich konnte nicht aufstehen und ich hatte furchtbaren Hunger und Durst.

Michael erklärte weiter, dass David gerade noch untersucht wurde und wir dann zu ihm konnten. Da wir noch Zeit überbrücken mussten, bat ich Michael, einen Rollstuhl zu besorgen und mich zum Frühstücksbuffet zu schieben.

In dem kleinen Frühstücksraum herrschte schon geschäftiges Treiben. Viele frischgebackene Mamas mit winzig kleinen Würmchen in winzig kleinen Bettchen auf Rollen waren unterwegs und holten sich Müsli, Früchte und belegte Brötchen. Einige der Mamas kamen mir sehr bekannt vor. Mit ein paar hatte ich teils viele Stunden im CTG-Raum verbracht, nebeneinander sitzend mit dem Wehenschreiber-Gürtel um den riesigen Bauch.

Alle diese Mamas waren auf zwei Beinen unterwegs und fuhren ihre frisch geschlüpften Babys in diesen winzigen Roll-Bettchen durch die Gegend.

Ich war die Einzige, die nicht ging, sondern im Rollstuhl herumgeschoben wurde. Und ich war die Einzige, die kein