Nicht, dass noch einer sitzenbleibt! - Renate Bergmann - E-Book

Nicht, dass noch einer sitzenbleibt! E-Book

Renate Bergmann

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Beschreibung

Sehr gut, setzen! »Unsere kleine Lisbeth, was die Tochter von meinem Neffen Stefan ist, wurde dieses Jahr eingeschult. Aber denken Se sich nur, von den Schulstunden ist die Hälfte ausgefallen. Lehrkräftemangel! Ariane war ganz außer sich vor Sorge, dass das Kind auf der Strecke bleibt. Dabei ist die Kleine wirklich schlauer als zum Beispiel der Jemie-Dieter von meiner Nachbarin Frau Berber. Der hat sogar schon einen blauen Brief bekommen, aber das liegt daran, dass die Berber mit ihm die Hausaufgaben macht – und die ist nicht gerade die hellste Lampe im Laden. Na, jedenfalls musste man da eingreifen. Die reden von sozialem Pflichtjahr – aber warum eigentlich nur für die Jungen? Und die Rente soll es jetzt sogar erst mit 70 geben, denken Se das mal! Ich bin schon mit 60 in Pension gegangen! Da ist es besser, wenn ich noch was nacharbeite, bevor die mir draufkommen. Eine Renate Bergmann hilft doch, wo sie kann!  Auch wenn meine eigene Schulzeit schon eine Weile her ist, an die wichtigsten Dinge erinnere ich mich noch: kleines Einmaleins, Kreuzstich und auch an die Eselsbrücke mit nämlich.  Stefan musste mir aber erstmal eine ordentliche Tafel an die Wand dübeln, auf diesem Smartbord hat man die Kreide nicht gesehen.« Renate holt Zeigestock und Geodreieck raus und erklärt den Kindern, wie Schule richtig geht.

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Nicht, dass noch einer sitzenbleibt!

Die Autorin

RENATE BERGMANN, geb. Strelemann, 82, lebt in Berlin-Spandau. Sie war Trümmerfrau, Reichsbahnerin und hat vier Ehemänner überlebt. Renate Bergmann ist Haushalts-Profi und Online-Omi. Ihre riesige Fangemeinde freut sich täglich über ihre Tweets und Lebensweisheiten im »Interweb« – und über jedes neue Buch.

TORSTEN ROHDE, Jahrgang 1974, hat in Brandenburg/Havel Betriebswirtschaft studiert und als Controller gearbeitet. Sein Twitter-Account @RenateBergmann entwickelte sich zum Internet-Phänomen. Es folgten mehrere Bestseller unter dem Pseudonym Renate Bergmann und neuerdings auch unter Günter Habicht.

Renate Bergmann

Nicht, dass noch einer sitzenbleibt!

Die Online-Omi packt den Ranzen

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Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Hier schreibt Renate Bergmann,

Unsere kleine Lisbeth

Was mir noch ganz wichtig ist

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Cover

Titelseite

Inhalt

Hier schreibt Renate Bergmann,

Hier schreibt Renate Bergmann,

Guten Tag!

Vor über 300 Jahren befand der Alte Fritz, dass genug Krieg geführt worden war und dass es an der Zeit war, die Mädel und Knaben zu bilden. Er schickte die Soldaten ins Land, um den Kindern Lesen, Rechnen und Schreiben beizubringen. Im Herbst war schulfrei, denn da wurden die Kinder auf dem Feld für die Ernte benötigt, aber trotzdem war ein Anfang gemacht.

Was daraus im Lauf der Zeit entstand, nennen wir heute »Bildungssystem«. So was entwickelt sich ja immer weiter, wie alles im Leben – außer dem Rezept für Heringssalat von Oma Strelemann. Da wird kein Gramm Salz und keine Prise Pfeffer geändert!

Als unsere kleine Lisbeth, was die Tochter von meinem Neffen Stefan ist, eingeschult wurde, war das eine große Umstellung. Nicht nur für das Kind, sondern auch für die Eltern und mich als Schwiegergroßneffenoma, denn wir hatten die Schule aus unseren Zeiten ganz anders in Erinnerung. Im Grunde sind nur noch zwei Sachen wie früher: Zwei plus zwei ist vier, und der Tafelschwamm müffelt wie ein nasser Hund.

Was ich alles erlebt und gelernt habe und wie es überhaupt dazu kam, dass ich mich nun so gut auskenne, das schreibe ich Ihnen am besten mal auf.

Ich wünsche gute Unterhaltung und viel Spaß!

Unsere kleine Lisbeth ist ein Sonnenschein.

Ach, bevor ich weiterschreibe … Lisbeth ist die älteste Tochter meines Neffen Stefan. Stefan hat vor einigen Jahren, als ich schon dachte, ich muss langsam zu den Geburtstagen Tischdamen für ihn einladen, weil er keine Freundin findet, die Ariane kennengelernt. Ein nettes Mädchen aus gutem Haus, die Eltern wohnen in Leipzig und führen da ein Familienunternehmen in der Sanitärbrangsche. Nette Leute, da kann man nichts sagen. Na, jedenfalls ging es dann doch alles ganz ohne Hilfe von Tante Renate ab, mit Ariane fand der Junge das Glück. Es wurde geheiratet, und fast schon unanständig schnell wurde Ariane vom Storch gebissen und war schwanger.

Ich habe ja selbst keine Enkel, wissen Se. Eine Tochter, ja, aber die … Es ist alles in Ordnung, so wie es ist, wir sind im Reinen miteinander, und ich bin stolz auf sie. Meine Kirsten hat ursprünglich Krankenschwester gelernt und auch als solche gearbeitet und ist jetzt … Ach, ich will nicht groß darüber reden. Sie ist jetzt freiberuflich tätig, im weitesten Sinne auf dem Gebiet des Gesundheitswesens. Vielleicht kommen wir später noch zu ihr, erst mal will ich Ihnen von Ariane, Stefan und Lisbeth erzählen.

Der Stefan ist, wie ich bereits sagte, mein Neffe. Angeheiratete Verwandtschaft. Ein Großneffe meines ersten Mannes Otto.

Ich merke schon, es ist doch recht kompliziert, bei meiner Sippe den Überblick zu behalten. Wissen Se was? Ich mache Ihnen am Ende des Buches mal ein »Renate-Pedia«, eine Übersicht von A bis Z, wer und was in meinem Leben alles eine Rolle spielt. Schließlich will ich Ihnen von Lisbeth als Abc-Schützin berichten. ABC und A bis Z, na, wenn das nicht passt! Da können Se nachschlagen, wenn Sie an einer Stelle nicht wissen, von wem ich rede.

Ja, es ist in meinem Leben wie bei jedem anderen: Die Zeit vergeht! Und ich habe den Eindruck, sie vergeht immer schneller, je älter man wird. Das ist natürlich Quatsch, die Erde dreht sich im gleichen Tempo wie immer. Aber die Zeit, die ich noch habe, die wird weniger. Darüber denkt man natürlich nach. Wissen Se, wenn man 82 Jahre alt ist, freut man sich beim Anblick der ersten Krokusse …

Sagt man Krokusse? Ich glaube, es ist richtig. Kaktusse als Mehrzahl von Kaktus wäre falsch, da heißt es Kakteen. Aber bei Krokus? Heißt es Krokanten? Nee, ich glaube, Krokusse ist richtig.

Was wollte ich? Ach ja, im Frühling erfreue ich mich immer wieder aufs Neue am Anblick der ersten Krokusse, aber man fragt sich auch zwei Dinge. Erstens: Wie oft werde ich sie wohl noch der Frühlingssonne entgegensprießen sehen? Und zweitens: Wenn ich mich jetzt bücke, um an den Blüten zu schnuppern, komme ich wieder ohne Hilfe hoch?

Wie schnell die Zeit vergeht, sieht man auch an sich selbst. Beim Blick in den Spiegel denke ich so manchen Morgen, Oma Strelemann guckt mich an. Die Runzeln werden tiefer und mehr, die Haare werden weiß, und die Finger werden steif. Aber nicht nur an sich selbst spürt man, dass man älter wird und wie die Jahre verrinnen. Besonders die Kinder führen es uns täglich vor Augen. Eben noch plärren sie im Kinderwagen, weil die ersten Milchzähnchen schieben, und wenn man sie das nächste Mal trifft, haben sie schon eine Zahnlücke, und die Mutti erzählt was von Einschulung.

So war es bei unserer Lisbeth auch. Wie schnell ist das Mädchen groß geworden! Im Frühjahr kam Ariane zu mir und sagte: »Denk daran, Tante Renate, am letzten Augustsamstag ist Einschulung.«

Samstag, Ariane sagt immer Samstag zum Sonnabend. Das klingt ein bisschen etepetete, aber so sind se, die jungen Leute. Wollen immer modern sein.

»Ich sage das extra rechtzeitig, nicht, dass du da wieder mit deinen Rentnern was vorhast und umherfeckerst! Wir wollen nach der Feierstunde in den Zoo und danach den Tag schön ausklingen lassen, da gehen wir essen. Das hat sich Lisbeth so gewünscht. Es soll für sie ein schöner Tag werden, und deshalb machen wir das im kleinen Rahmen. Nur die Familie.«

»Also du und Stefan, die Kinder, Oma und Opa Leipzig …?«

Ich begann sofort zu planen und im Kopf durchzugehen, wie viel Kuchen wir wohl brauchen würden. Wissen Se, das steckt so drin bei mir. Wenn gefeiert wird, gehört doch Kuchen dazu! Eine schöne Buttercremetorte, ein paar Obstböden, drei, vier Blechkuchen und ein paar kleine Teilchen. Damit würden wir hinkommen. Ariane fuhr mir aber gleich in die Parade.

»Kein Kuchen, Tante Renate. Nein, auch nicht nur einen, nein, auch nicht ›zum Mitnehmen in den Zoo‹!«

Ich war traurig, sah aber sofort noch ein Hintertürchen für mich und meine Pläne um den Kuchen: Selbstredend würden sowohl Ariane als auch Stefan am Tag danach auf der Arbeit einen ausgeben müssen, und auch Oma und Opa Kloschüssel aus Leipzig würden sich freuen, wenn sie für die Rückfahrt einen Proviantkorb mit ein paar Stücken Bienenstich mitbekämen. Davon sagte ich aber erst mal nichts, denn Ariane war sehr bestimmt und hätte mir sofort einen Riegel vorgeschoben. Aber dass sie selbst nicht darauf gekommen war, zeigt Ihnen schon, wie Sie meine Schwiegerenkelnichte einzuschätzen haben, da muss ich gar nicht viel sagen.

Kein Kuchen zur Einschulung, pah!

Na, wie dem auch sei. Ein paar Wochen vor Lisbeths feierlicher Aufnahme in den Kreis der Schulkinder gingen Stefan und Ariane mit den Mädchen Schuhe und Kleidchen kaufen. Die Kleinen werden ja nicht nur älter, sie wachsen dabei auch so schnell, dass man kurzfristig kaufen muss, sonst drücken die Schuhe, wenn der Tag ran ist, oder das Kleid sitzt nicht richtig und zippelt. Sehr hübsch waren sie, Lisbeth, unsere kleine ADAC-Schützin … äh, Abc-Schützin, meine ich natürlich. Lisbeth, unsere kleine Abc-Schützin genauso wie Agneta, ihre jüngere Schwester. Da hat Ariane ja ein Händchen, wenn es darum geht, die beiden Mäuschen hübsch herauszuputzen. Sie hat Geschmack! Ganz bezaubernd sahen die Kleinen aus. Alles Ton in Ton, dezente Farben von Rosé bis Weinrot, die Strickjacke uni, der Rock hübsch gemustert und die Schuhe passend dazu. Richtig schick waren sie! Nicht wie andere Mädchen, die zurechtgemacht wurden wie für eine amerikanische Misswahl.

Die Feierstunde fand in der Aula der Schule statt. Für jedes Kind stand eine begrenzte Anzahl von Gästekarten zur Verfügung. Stefan sagte, es gebe überhaupt keine Diskussion: Lisbeth würde die Eltern, ihre kleine Schwester, Oma und Opa aus Leipzig und selbstverständlich »Oma Nate« mitnehmen.

Wissen Se, da fühlt man sich schon sehr gewertschätzt, wenn man als alter Mensch so ganz selbstverständlich dabei sein darf. Wie oft denken die jungen Leute: »Das ist nichts mehr für Oma, es reicht, wenn die hinterher kurz zum Kaffee kommt.« So ist Stefan nicht. Der Junge hat Achtung vor dem Alter und nimmt mich ernst. Darauf bin ich sehr stolz. Bei ihm haben wir in der Erziehung viel richtig gemacht.

Am Tag der Einschulung kamen Monika und Manfred auf den letzten Drücker angedüst aus ihrem Leipzig. Sie, die Monika, ist ja immer ein bisschen überdreht. Manfred ist ein ganz Netter, ein Mann, der so unter Monikas Pantoffel steht, dass er immer erst zu ihr rüberguckt und ihr Erlaubnisnicken abwartet, bevor er irgendwas sagt oder anfasst. Die beiden führen wie gesagt einen Sanitärhandel. Monika drückt sich immer sehr geschwollen aus, aber es ändert nichts an den Fakten. Lisbeth sagt zu mir »Oma Nate« und zu Monika »Oma Kloschüssel«. Stefan kam sein Bier durch die Nase, als er das das erste Mal hörte, und auch Ariane bemühte sich, ernst zu bleiben, als sie mit dem Kind schimpfte. Beide waren sich aber sehr einig, dass nur Tante Renate dem Kind so was eingeflüstert haben konnte. So eine Frechheit! Das war ich gar nicht! Gut, es kann sein, dass ich am Telefon zu Ilse leise so was habe fallen lassen und Lisbeth es aufgeschnappt hat, aber ich habe es dem Kind auf keinen Fall eingeredet und ihm solche Dummheiten in den Kopf gesetzt. Pff!

Sehr feierlich war die Veranstaltung. Die Kinder durften das erste Mal auf ihren Plätzen in den Schulbänken Platz nehmen, sie lernten ihre Klassenlehrerin Frau Drossel kennen. Frau Drossel ist eine engagierte, nicht mehr ganz junge Frau, die sehr langsam und überdeutlich spricht. Frau Drossel hieß eigentlich Frau Druss-Hell, aber das lernte ich erst sehr viel später. Gesprochen klang es immer und bei jedem wie »Drossel«, und es war keine Bosheit, dass Schüler, Lehrer und Eltern sie so nannten. Wenn ihr Name geschrieben irgendwo auftauchte, runzelten alle die Stirn und klatschten nach ein bisschen Kichern die Hand an selbige. Ja, Augen auf bei der Namenswahl! Frau Drossel sprach wie Schwester Sabine im »Haus Abendsonne«, wissen Se, die redet mit den alten Leuten da auch wie mit Debilen. Na, das würde Frau Drossel schon noch vergehen, wenn die Rasselbande erst mal aus der Anstandsstarre erwachte, dachte ich so bei mir. Die Schulleiterin sprach geschwollene und bedeutende Worte, und natürlich durfte Frau Schlode mit dem Chor der Schüler aus der zweiten Klasse nicht fehlen. Das ist an der Schule Tradition, dass die zweite Klasse, die nun schon zu den großen Schülern gehört, den Neuankömmlingen ein Kulturprogramm vorträgt.

Wissen Se, Frau Schlode … Frau Schlode ist eine sehr spezielle Person. Ein ganz feiner Mensch im Grunde, aber eine, die man nur in kleinen Dosen ertragen kann. Also, Dosen nicht im Sinne von Büchsen, nicht, dass Se jetzt denken, ich will sie zu Frühstücksfleisch verarbeiten, hihi! Nee, »Dosen« als Mehrzahl von »Dosis«.

Cornelia Schlode ist sehr für das Musische und singt, tanzt und dirigiert für ihr Leben gern. Mittlerweile weiß aber jeder im Kiez, dass sie dabei keine Grenzen kennt, und setzt ihr für die Auftritte der Kindersingetruppe, der Tanzgruppe oder des Männerchores ganz enge Schranken. »Bitte höchstens zwei Lieder, Frau Schlode!« ist dabei eine sehr ungenaue Regieanweisung, ein ganz schlimmer Fehler, der nur Anfängern unterläuft. Das lässt ihr nämlich Raum, die Lieder umzudichten, mit anderen zu vermischen und neue Strophen hinzuzuerfinden. Da kann ein einziges Lied schon mal zwanzig Minuten gehen, mit Triangel-Solo und Tanzeinlage. Der Kaffee wird schon kalt, da geht der Bi-Ba-Butzemann immer noch im Kreis herum! So ungeschickt war Frau Drossel nicht gewesen und hatte offenbar ganz klar gesagt: »Zwei Lieder, jedes nicht länger als drei Strophen und das ganze Programm allerhöchstens zehn Minuten.« Daran hielt sich Frau Schlode bei der Einschulungsfeier, und ich hoffte inständig, dass nach der Darbietung zwar anerkennend, aber auf gar keinen Fall begeistert geklatscht wurde. So was deutet sie nämlich gern als Aufforderung, eine Zugabe anzustimmen. Aber sowohl Frau Drossel als auch die Schulleiterin Frau Langhans erhoben sich sofort von ihren Plätzen in der ersten Reihe und wirkten beschwichtigend auf das Publikum ein, damit es ja nicht weiterapplaudierte.

Die Drossel malte dann noch ein bisschen an ihrer Tafel rum und demonstrierte schon mal, dass es noch genau wie zu meinen Schulzeiten fürchterlich quietscht, wenn ein kleines Steinchen in der Kreide ist und über die grüne Tafel schrammt. Ich kam mir fast vor wie früher, als ich noch ein kleines Mädchen war und mit Affenschaukeln frisiert in der Schulbank saß! Zu meiner Zeit war die Tafel noch schwarz und nicht grün, aber sonst hatte sich nicht viel geändert. Gut, die Schrift war nicht mehr Altdeutsch und auch nicht Sütterlin, sondern lateinische Schulausgangsschrift. Und die grüne Tafel hatte sich irgendwann mal ein Optiker ausgedacht, der herausgefunden hatte, dass der Kontrast zwischen Dunkelgrün und Weiß besser von den Augen wahrgenommen wird als der zwischen Schwarz und Weiß. Ob da was dran ist? Auf jeden Fall hängen nun grüne Tafeln in den Klassenräumen statt schwarze, und das schon seit vielen Jahren. An manchen Schulen sind sie nun auch schon weiter und schreiben mit bunten Faserstiften auf weißen Grund, und noch moderner haben einige sogar schon »Weitbord«. Das ist mit Strom und digital, ganz was Wildes. Da tippen dann die Lehrer auf dem Computer, und die Schrift erscheint wie durch Zauberhand an der Wand. Verrückt! Es ist wie ein großer Fernsehschirm. Aber wie alles im Leben hat das Vor- und Nachteile: So was muss nämlich auch funktionieren, und die Lehrerinnen und Lehrer müssen es bedienen können. Und wollen …

Na, wie dem auch sei, die Drossel kratzte noch ein Weilchen auf ihrer Tafel rum, malte eine Schultüte, die auf dem Kopf steht, zog einen Querstrich auf halber Höhe und freute sich wie eine Schneekönigin, dass sie ein A gemalt hatte. Alle Schüler mussten staunen und im Chor »A« brüllen, jedes Kind sollte es einzeln sagen, und sie drohte, dass ab morgen der Ernst des Lebens losgehe und sie noch viele weitere Buchstaben lernen würden.

Einer der kleinen Jungs weinte die ganze Zeit, weil er nicht neben seinem Freund sitzen durfte, und in den ersten Reihen der Eltern rutschten die Muttis und Vatis in Position, die scharf darauf waren, in den Elternbeirat gewählt zu werden. Die konnte man daran erkennen, dass sie mit ihren Blicken am Mund von Frau Drossel hingen und bei jedem Satz zustimmend nickten. Da wusste man jetzt schon, wer mal bei den Kindern auf Klassenreise mitfährt.

Die Kinder bekamen dann endlich ihre Zuckertüten überreicht. Na, das ist ja auch ein Thema gewesen, was die angehenden Schulkindeltern über Wochen beschäftigte. Damals, als meine Kirsten zur Schule kam, gab es nicht groß was auszusuchen. Es gab Tüten in klein, mittel und groß, und die großen gab es mit Eisenbahnen oder einer Hasenschule drauf, und fertig war die Laube. Damit war jeder zufrieden. In die Tüte kamen ein paar Süßigkeiten rein, ein Füllhalter, ein kleines Spielzeug und obenauf ein Teddybär oder eine Puppe. Heute ist das ja alles … meine Güte! Denken Se sich nur, beim Spielwarenhändler waren Geschenklisten ausgelegt, auf denen die Anverwandten sich aus den Wünschen der Kinder was aussuchen konnten, damit es kein Geplärre gibt, weil ein Dinosaurierbaukasten doppelt ausgewickelt wird. Eine Einschulung ist doch keine Hochzeit! Aber ich sagte nichts, mich ging das nichts an. Ich war hier nur als alte Tante eingeladen, beglückwünschte unser Schulkind Lisbeth und die Eltern und überreichte mein Geschenk: ein Buch, das sich die Kleine gewünscht hatte, dazu Häkelnadeln und etwas Garn, damit sie für den Handarbeitsunterricht gut ausgestattet war, und natürlich auch noch was Süßes. Aber nur eine Kleinigkeit, denn zu viel Süßes macht schlechte Zähne!

Als die Kinder ihre Schultüten überreicht bekamen, ging das Filmen und Fotografieren los. Heute hat ja keiner mehr eine Videokamera auf der Schulter, sondern es wird alles mit dem Händi geschossen. Ich mache das auch. Stefan sagt, ich soll einfach drauflosknipsen, der guckt dann hinterher nach, ob es was geworden ist. Das Entwickeln ist heute nicht mehr so teuer, sagt er, ich soll keine Hemmungen haben und einfach abdrücken, als hätte ich einen frischen 36er-Film drin. Man muss wirklich staunen: Ich knipse, wenn ich unterwegs bin, und abends drückt der Junge was, und husch!, ist das Bild schon auf dem Telefonapparat zu sehen. Was war das früher für ein Aufwand gewesen! Man musste einen Film für teures Geld kaufen und sich da schon entscheiden: Soll es Schwarz-Weiß sein, das kam billiger, oder Farbe? Oder wollte man lieber Dias haben? Das macht ja auch fast keiner mehr. Was haben wir früher für schöne Dia-Abende gemacht mit Ilse und Kurt! Ilse hat eine süffige Bowle angesetzt und Kurt den Dia-Apparat aufgebaut. Bis es losging, bis Kurt die richtige Einstellung gefunden hatte und die Gardinen so dicht zugezogen waren, dass es dunkel genug war, wirkte die Bowle meist schon, und ich schnobbelte weg im Sessel. Ich habe selten besser geschlafen als bei Kurts Dia-Vorträgen über Gläsers Wanderungen durch den Thüringer Wald. Meist wurde ich erst wach vom Gestank der Insekten, die im heiß gelaufenen Diaprojektor verschmorten. Ach, das waren schöne Zeiten!

Wie dem auch sei, heute kommt es nicht mehr drauf an, ob man einen Film für 12, 24 oder gar 36 Bilder nimmt, man kann mit dem Telefon fotografieren, als würde der Film nie voll.

Hier waren manche Eltern schon die ganze Feierstunde über am Knipsen. Sie animierten die Kinder, zu lächeln und mal hierhin und mal dahin zu gucken. Lediglich beim Kulturprogramm waren die Händis verschwunden, da guckten alle die Bilder durch, ob sie was geworden waren. Als die Schultüten überreicht wurden, brachen alle Dämme, da hielt es fast niemanden mehr auf den Sitzen. Es ging zu wie bei der Bambi-Verleihung auf dem roten Teppich, wenn die Preisträger kommen. Alle rannten wie wild geworden umher und zupften an ihren Kindern rum, dass auch ja der Pony gut sitzt und der Kragen nicht verknüddelt ist, und das alles mit den Händiapparaten vor der Nase. Frau Drossel hatte ein sehr festes Lächeln aufgesetzt, sie kannte das wohl schon und wollte nicht mit grimmiger Miene in den Fotoalben von zwei Dutzend Familien kleben.

Auch ein professioneller Fotograf war zugegen. Er machte nach der Einschulungsfeier Bilder von jedem Kind einzeln mit Ranzen und Schultüte, Gruppenfotos der ganzen Klasse mit und ohne Lehrerin und auf Wunsch auch Familienportraits mit Eltern, Geschwistern und Anverwandten. Ariane war schon schwer am Atmen, als der Herr Fotograf anfing, das Gruppenbild der ganzen Klasse zu arrangieren. Stefan bat mich flüsternd inständig: »Sag bitte nichts, Tante Renate. Sag nichts und frag nichts, Ariane explodiert sonst!«

Sein Flüstern war aber wohl nicht leise genug, denn Ariane hatte nur darauf gewartet, endlich Dampf ablassen zu können.

»Drei Wochen lang habe ich jeden Abend E-Mails zu dem Thema bekommen, in denen die ganzen Eltern hier das Für und Wider diskutierten. Ein paar von den Elsen wollten tatsächlich nicht, dass ihre Kinder auf ein Gruppenfoto gehen, wegen Datenschutz. Und ein paar wollten unbedingt, dass ihr Nachwuchs mittig und in der ersten Reihe steht. Das kann heiter werden, das sage ich euch jetzt schon. Es ist ein Wunder, dass ich noch nicht angefangen habe zu trinken!«

Ich überlegte kurz, ob ich ihr nicht einen Korn aus dem Flachmann in meiner Handtasche anbieten soll, entschied mich aber dagegen. Ariane hätte sich schließlich selbst einen mitbringen können! Ich würde meinen noch brauchen, schließlich gab es später zum Abendessen noch Hefeteigfladen mit Pilzen und Wurst.

Irgendwann waren wir endlich mit unserem Familienfoto dran. Ich stellte mich ganz zurückhaltend an den Rand und ließ der drängelnden Monika, also Arianes Mutter, den Vortritt. Manfred, Arianes Vater, war auch bescheiden und stellte sich neben mich. Das ging ja nun gar nicht! Das sah ja so aus, als wären er und ich … also, man hätte denken können, dass er mein fünfter Gatte ist! Oder noch schlimmer, man hätte ihn für meinen Pflegebegleiter halten können. Ich bestand darauf, dass umsortiert wird: Lisbeth und Agneta in die Mitte, links daneben Stefan, rechts daneben Ariane, und neben Ariane ihre Eltern und ich neben Stefan. So stand Monika zwar ganz am Rand, aber das gehörte sich eben so. Es ging bei dem Bild nicht nach den Launen dieser Dame!

Danach ging der ganze Zauber in der Schule langsam dem Ende zu. Die Kinder verabschiedeten sich von der Lehrerin und von ihren Mitschülern und gingen mit ihren Familien nach Hause zu den privaten Feierlichkeiten. Die übereifrigen Muttis legten ganz besonders viel Wert darauf, dass die Kinder sich von Frau Drossel mit Handgeben verabschiedeten und dokumentierten das auch noch mal mit dem Händitelefon.

Ariane hatte wochenlang rumtelefoniert, um einen Tisch in einer Gaststätte zu kriegen. So ein naives Ding! Die glaubte tatsächlich, kurzfristig vor der Einschulung noch was zu bekommen. Ich wusste schon, dass die Termine im Grunde gleich nach der Geburt des Kindes sechs Jahre im Voraus zu reservieren sind, wenn man gepflegt essen will. An den Einschulungswochenenden sind Tische in guten Restaurants länger im Voraus bestellt als an den Weihnachtstagen. Weihnachten hatten wir mal Glück, da sind wir über eine Warteliste beim Italiener »aufgerückt«, als Bessenscheidts wegen eines Trauerfalls absagen mussten. Fragen Se mich nicht, warum man am heiligen Fest nun Hefekuchen mit Gemüse und Käse drauf essen muss, aber Ariane und Stefan bestehen darauf. Es macht angeblich so viel Arbeit, selbst zu kochen, und an den Feiertagen möchte die feine Frau Winkler nicht in der Küche stehen.

Pah! Dabei macht sie eh nur Rotkohl aus dem Glas warm und kocht Kartoffeln, die Gans bereite ich zu. Aber wissen Se, wenn man alt wird, lernt man den Mund zu halten und fügt sich um des lieben Familienfriedens willen. Und besser als Arianes Büchsenrotkohl von Feinkost-Albrecht schmeckt es beim Herrn Luidschi allemal. Ich nehme immer was Teures von der Karte, nur um Ariane zu ärgern und zum Nachdenken zu bringen. Aber Pustekuchen, das stört die gar nicht! Es ist ihr egal. Jedes Jahr marschieren wir am zweiten Feiertag zu Luidschi und essen Pizza. Sie machen da immer zwei Fütterschichten: Die erste Brigade kommt um elf an die Tröge, die zweite Gruppe um halb zwei. Stefan wurde vor einigen Jahren am Heiligen Abend angerufen, dass wir um elf essen kommen dürften. Das ist zwar noch ein bisschen früh, aber in so einem Glücksfall fragt man nicht lange, sondern ergreift die Chance und Messer und Gabel. Wenn man einmal drin ist, ist man drin. Stefan ist bei diesem ersten Weihnachtsessen, noch bevor die Getränke serviert wurden, zum Chefluidschi an den Tresen gegangen und hat uns für das Jahr darauf wieder in das Reservierungsbuch eintragen lassen. Seitdem haben wir am zweiten Weihnachtsfeiertag ein Abo auf Käsefladen mit Tomate. Na bitte, von mir aus. Aber am Heiligen Abend und am ersten Feiertag gibt es klassisches Menü bei mir! Und es hat auch sein Gutes: Dadurch, dass wir in der ersten Schicht um elf sind, kommen gegen drei kaum Jammerklagen à la »Ich bin noch so satt, Tante Renate«, wenn ich den Kaffee brühe und den Frankfurter Kranz aufschneide. Da haben sie in der Regel schon so weit durchverdaut, dass wieder Platz ist im Magen.

Nun, bei der Einschulung, hatten wir durch das Weihnachtsabo schon ein Bein im Gasthaus, aber leider, leider war doch schon alles voll, hieß es erst. Die Leute hatten wie gesagt schon gleich nach der Taufe für die Einschulung reserviert, überlegen Se sich das mal. Und dabei herrscht gerade im Gastgewerbe ein Kommen und Gehen! Früher, ja, da gab es den Augustenhof mit Dampferanlegestelle an der Havel unten, der wurde über Generationen in der Familie weiterbetrieben. Da feierten wir alle Familienfeste, von Hochzeiten über runde Geburtstage bis hin zum Fellversaufen nach den Beerdigungen. Aber heute? Wo eben noch ein Grieche Lamm am Spieß kredenzt, ist nächste Woche schon ein Café drin, und sie malen einem Herzen aus Hafermilch auf den frisch gebrühten »Scheelchen Heeßen«, wie der Sachse sagt.

Nun hatten wir jedoch den doppelten Glücksfall, dass Borstelmanns ein halbes Jahr vor der Einschulung nach Bielefeld gezogen sind, weil Herr Borstelmann beruflich versetzt wurde. In der Aufregung des Umzugs hat natürlich niemand daran gedacht, bei Luidschi anzurufen und das Essen abzusagen, aber ein paar Wochen vor Schulbeginn machten die vom Restaurant ihre Kontrollanrufe, ob wohl alles dabei bleibt, wie es abgesprochen war, und da kam die Sache ans Licht. Nun erinnerte sich Luidschi an Arianes Anruf, und weil wir mittlerweile Weihnachtsstammkunden sind, traf uns die große Ehre, den Borstelmann’schen Tisch zur Einschulung übernehmen zu dürfen. Ja, das war fast wie ein Sechser im Lotto!

Ich hätte ja auch gekocht für die paar Hanseln, das ist ja kein Problem für eine erfahrene Köchin. Aber für Ariane und Stefan bedeutete es sehr viel, ins Restaurant zu gehen. Ich brachte es gar nicht erst zur Sprache, das hätte eh nur wieder Theater gegeben. Was macht man also als alte Tante? Man hält den Mund, trabt brav überallhin mit und tut so, als ob es einem schmeckt.

Aber vorher sind wir in den Tierpark gefahren. Es war eine lange Diskussion, ob wir in den Zoo oder in den Tierpark gehen, aber Lisbeth, das Einschulungskind, durfte bestimmen, und sie sagte ganz eindeutig: Pandabären hin oder her, sie will mal in den Tierpark. Wir haben ja in Berlin beides, den legendären Zoo im alten Westen und den Tierpark von Professor Dathe drüben in Lichtenberg. Rund um das wunderschöne Schloss Friedrichsfelde erstrecken sich auf weitläufigem Gelände ganz zauberhafte Gehege für Tiere aus aller Welt. Da kann man sehr nett promenieren, und es ist nicht zu überlaufen.

Dachten wir.

Genau wie wohl alle anderen Einschulungsfamilien von Berlin an diesem Sonnabend.

Was meinen Se, was da los war! Wie in Goethes Osterspaziergang schoben sich Scharen von herausgeputzten Menschen durch den Tierpark. Das war aber vor allem am Eingang so gedrängt, im Park verlief es sich dann. Ach, na, was soll ich Ihnen erzählen, es war eben ein Bummel entlang der Tiergehege, wie man ihn sich vorstellt. Die kleine Agneta plärrte nach ein paar Hundert Metern, weil die neuen Schuhe drückten, Manfred fotografierte lieber die Spatzen am Wegrand statt der Zebras, für die wir Eintritt bezahlt hatten, und Lisbeth fragte, was der Erpel, der die Ente bestiegen hatte, da macht. Stefan sagte, das soll sie die Mama fragen, Ariane schimpfte, dass er sich nicht wieder drücken soll, ob er nun Agneta auf den Schultern hat oder nicht. Da war der Erpel aber schon wieder runter von Frau Ente, und Lisbeth interessierte sich mehr für die Haufen, die der Elefant fallen ließ.

Als es auf halb vier ging, wurde es allmählich Zeit, die ganze Meute zu meiner Überraschung zu lotsen. »Guckt mal, ein Eichhörnchen!«, rief ich und zeigte in Richtung der Bänke. Da war gar kein Eichhörnchen, aber weil Monika natürlich ihre feinsten Pumps hatte anziehen müssen und nun schmerzverzerrt hinkte, steuerte sie bereitwillig in Richtung der Bänke, wo Ilse und Kurt warteten.

Ariane guckte erst ein bisschen verwirrt. Stefan hatte die Füße von Agneta vor den Augen und kriegte nichts mit.

»Wenn ich Kuchen gebacken hätte, hättest du dich fürchterlich aufgeregt, Kind«, sagte ich entschuldigend zu Ariane. »Dass Ilse nicht backen darf, hast du nicht gesagt!«

Ich lächelte und half Ilse beim Auspacken der Picknickkörbe. Streusel, Bienenstich, gedeckter Apfel, Kirsch-Streusel … jawoll, Ilse hatte an alles gedacht, sogar an die Buttercremetorte. Sie hatte auch große »Handwerkerstücke« geschnitten, die man gut auf der Hand essen konnte und von denen man auch satt wurde. Dazu schenkte Kurt Kaffee und Kakao aus zwei Pumpkannen in Henkelpötte aus. Nicht in Plastikbechern, pah! Unsere Generation hatte immer schon Henkelpötte aus Porzellan im Picknickkorb, selbst als man dafür noch als altmodisch belächelt wurde. Heute gilt man damit als »nachhaltig« und ist ganz vorne mit dabei. So ändern sich die Zeiten! Ariane schimpfte gar nicht, sondern schüttelte den Kopf und sagte, ich sei unverbesserlich und dass sie nicht wüsste, was sie ohne mich machen würde. Sie drückte mich sogar und bedankte sich auch bei Ilse und Kurt. Alle langten tüchtig zu, für die Spatzen blieben nur wenige Krümel vom Streuselkuchen, der Ilse wirklich ganz hervorragend gelungen war.

Wir kehrten dann zum frühen Abend beim Luidschi ein und nahmen unseren Glückstisch in Beschlag. Monika und Manfred nickten anerkennend. Sie waren beeindruckt. Ein Mann, der einen Tisch am Einschulungstag besorgen konnte, schien ihnen der Richtige für ihre Tochter zu sein. Sollte es nach nun bald sieben Jahren Ehe noch Zweifel gegeben haben, dass Stefan eine »gute Partie« war, waren die jetzt zerstreut. Eine Reservierung zur Einschulung beeindruckte die Leipziger Verwandtschaft mehr als ein Tisch im Käfers-Zelt auf dem Oktoberfest!

Wir aßen gut, nee, ich will nicht meckern. Ich mache da aus meinem Herzen keine Mördergrube und sage ganz offen, dass ich mir aus dem ganzen Kram mit Tomate und Oberschienen nichts mache, aber Stefan bestellte mir einen Auflauf, der wirklich schmeckte. Die Kinder zogen ihre Pizzastücken durch die Zähne und der warme Käse Fäden. Es schmeckte ihnen, obwohl von Ilses Streuselkuchen mehr gegessen wurde. Gut, die Kinder verfütterten die Kanten an die Hängebauchschweine, aber das macht Gertrud auch. Also, sie legt den Kanten Gunter auf den Teller. Dabei ist der Kanten eines guten Hefekuchens das Beste! Gunter und ich wissen das, und würde Gertrud nicht die billige Haftcreme kaufen, könnte sie es auch genießen.

Na, wie dem auch sei. Wir stießen noch auf das Schulkind an, wünschten beste Lernerfolge und ließen den Abend gemütlich bei einem Grappa ausklingen – das ist italienischer Korn –, während die Keramikdynastie zurück nach Leipzig düste.

Der Alltag begann und nahm seinen Lauf. Lisbeth war nun ein Schulkind, und das brachte gewisse Umstellungen im Familienleben mit sich. Da hielt ich mich in den ersten Wochen zurück und ließ die jungen Leute ihren Rhythmus finden. Es ist ja doch was anderes, wenn das Kind pünktlich zu einer bestimmten Zeit in der Schule sein muss. Im Kindergarten war es ganz egal, ob Stefan oder Ariane sie eine halbe Stunde früher oder später ablieferten, aber in der Schule gelten andere Regeln. Nicht umsonst heißt es: »Kind, nun beginnt der Ernst des Lebens!«

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