Nicht mein Zebra. Nicht mein Zirkus. - Patricia Zinnecker - E-Book

Nicht mein Zebra. Nicht mein Zirkus. E-Book

Patricia Zinnecker

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Beschreibung

"Du kennst doch die Regel in Namibia: Steht ein Gatter bereits offen, lässt man es offen. Ist es geschlossen, schließt man es nach dem Passieren wieder. So einfach", meckert mich meine Camp-Mitbewohnerin Edda, wohlgemerkt eine Lehramtsstudentin, an. "Ich wollte ja nur sichergehen", antworte ich kleinlaut und versuche mich zu verteidigen: "Schließlich wäre es äußerst schlecht, wenn morgen alle Pferde aus dem Cowgirl Camp verschwunden sind und wir sie auf mehreren Hektaren suchen müssen." Als ich am nächsten Morgen erwache, vernehme ich kein Wiehern. Kein Hufgetrappel. Nichts. Ich schaue aus meinem Caravan und sehe: nichts. Die Pferde sind abgehauen! Ich eile aus meinem Caravan und werde von Edda keifend begrüßt: "Wie kann man nur so blöd sein? Alle Pferde sind weg. Wegen dir! Ich habe bereits beim Chef auf der Farm angerufen und ihm mitgeteilt, dass du zu Nichts nutze bist. Lass deine Finger von der Arbeit mit Tieren." Wer hätte gedacht, dass meine Traumreise zur ALBTraumreise wird. Seit Jahren spare ich auf diese Reise und freue mich auf die Arbeit mit Wildpferden, das Kühetreiben, das Zäune reparieren… Wahrscheinlich erspart es mir weitere Kommentare, dass sie nicht weiß, dass mich ein Beruf in der Tiermedizin sehr reizt – und ich neben den Pferden hier auch noch Erdmännchen, Löffelhunde und sogar ein Zebra als tierische Freunde habe. Wie dem auch sei: wir sind allein zu zweit im Nirwana. Ob ich will oder nicht: da muss ich nun durch… Von wegen Traumreise!

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Seitenzahl: 178

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NICHT MEIN ZEBRA. NICHT MEIN ZIRKUS.

WER HAT GESAGT, DASS EINE TRAUMREISE SPASS MACHT?

PATRICIA ZINNECKER

© Patricia Zinnecker

1. Auflage | Juli 2024

ISBN: 978-3-98995-834-0

Patricia Zinnecker

c/o AutorenServices.de

Birkenallee 24

36037 Fulda

Umschlag: Carola Bambach

Lektorat, Korrektorat: Diana Lerch, Kerstin Schwarz, Katrin Ziegler, Victoria Zinnecker

Layout und Satz: Anika Ackermann

Verlag: Eigenverlag

Bestellung und Vertrieb: Nova MD GmbH, Vachendorf

Rechtliches:

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Es wird darauf hingewiesen, dass alle Angaben in diesem Buch trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr erfolgen und eine Haftung des Autoren oder des Verlegers ausgeschlossen ist.

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wird auf die geschlechtsspezifische Schreibweise verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen im Buch (und allen eingebundenen Dokumenten) sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

INHALT

Prolog

Woche 1

Anreise (Sonntag)

Tag 01 (Montag)

Tag 02 (Dienstag)

Tag 03 (Mittwoch)

Tag 04 (Donnerstag)

Tag 05 (Freitag)

Tag 06 (Samstag)

Tag 07 (Sonntag)

Woche 2

Tag 08 (Montag)

Tag 09 (Dienstag)

Tag 10 (Mittwoch)

Tag 11 (Donnerstag)

Tag 12 (Freitag)

Tag 13 (Samstag)

Tag 14 (Sonntag)

Woche 3

Tag 15 (Montag)

Tag 16 (Dienstag)

Tag 17 (Mittwoch)

Tag 18 (Donnerstag)

Tag 19 (Freitag)

Tag 20 (Samstag)

Tag 21 (Sonntag)

Woche 4

Tag 22 (Montag)

Tag 23 (Dienstag)

Tag 24 (Mittwoch)

Epilog

Nachwort

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Werke der Autorin

»Die schönsten Geschichten beginnen mit Mut und der Entscheidung, es zu wagen.«

(Unbekannt)

PROLOG

21:11 Uhr

»Glaub mir. Das ist viel cooler und dort war kaum jemand. Die meisten wissen nicht einmal, wo das liegt«, ermuntert mich Ben. Wir sitzen nebeneinander beim Geburtstag meiner Schwester. Ben ist einer ihrer Freunde und erzählt mir von seinen letzten Monaten. Mit strahlenden Augen höre ich ihm zu und hadere gleichzeitig mit mir.

»Aber ich spare doch seit Jahren für Australien. Seit ich denken kann, schaue ich die Serie ‘McLeod’s Töchter’ im australischen Outback. Cowgirl-Leben auf einer einsamen Farm mit vielen Rindern und Pferden. Mein Traum! DAS will ich.« Ben hebelt meine Argumente aus: »Vertrau mir, das ist dort genauso. Die Landschaft sieht genauso aus und die Arbeit ist die gleiche: Rindertreiben, Wildpferde einreiten und Zäune reparieren. Du wirst es lieben. Wenn du möchtest, stelle ich dir den Kontakt zu den Ranchern Anna und Arnold her. Die beiden sind super nett und freuen sich immer über Unterstützung auf der Ranch. Ich konnte vorher kein bisschen reiten und hatte trotzdem die Zeit meines Lebens.«

Er bringt mich wirklich ins Grübeln. Hmm, ich weiß nicht so recht… Das hatte ich in den letzten Jahren doch eigentlich anders geplant.

WOCHE 1

ANREISE (SONNTAG)

Lektion des Tages: Das Ende der Schulzeit ist nicht das Ende des Lebens

18:00 Uhr

Heute beginnt sie: die große Reise nach dem Abi. Endlich kein Stress mehr und keine Organisation mehr. Eine ganze Jahrgangsstufe und einen Schulabschluss zu meistern sowie einen Ball zu organisieren, ist mit 18 Jahren echt kräftezehrend. Die nächsten Wochen werde ich erst einmal ganz allein die afrikanische Welt in Namibia erkunden. Gestern habe ich noch mit dem Abiball das Ende meiner Schulzeit bis zum Sonnenaufgang gefeiert, jetzt ist es Zeit für das nächste Kapitel meines Lebens. Doch bevor im August mit der Ausbildung zur tiermedizinischen Fachangestellten beginnt, genieße ich vorher nochmal so richtig das Leben. Ohman! Wie das klingt! Als hätte ich danach nie wieder die Chance, das Leben zu genießen. Eigentlich sollten das Abi und die Arbeit danach ja nicht das Ende des Lebens bedeuten!! Trotzdem… Ein Stück Freiheit wird dann sicherlich weg sein. Ist meine Entscheidung denn die richtige? Und wie kann ich heute schon wissen, was ich mein Leben lang machen möchte?! Auf jeden Fall nichts mit Mathe. Und noch weniger etwas mit Chemie. Das habe ich glorreich abgewählt. Oder soll ich sagen chlorreich. Doch eines weiß ich ganz genau: Seit Jahren wollte ich ab in die Wüste, mit Wildpferden arbeiten, Kühe treiben und Zäune reparieren. Ganz wie bei McLeod’s Töchter. Diese Serie aus dem australischen Outback liebe ich einfach so sehr. Jetzt werde ich mir endlich meinen Lebenstraum erfüllen! Durch einen Zufall wurde es allerdings Namibia und nicht Australien. Eigentlich wollte ich ja nach Down Under, doch da will jetzt jeder hin. Als ich vor fünf Jahren angefangen habe, darauf zu sparen, war Australien noch etwas Besonderes. Doch seit den letzten ein, zwei Jahren wurde das ein solcher Hype. Und wenn da jeder hin will… Dann will ich eben woanders hin. Australien kann ja jeder. Und wer war schon mal in Afrika? Genauer gesagt in Namibia?!

19:30 Uhr

»Helmut and Karin Voegele. Please proceed to Gate D8. Boarding is closing.« Zum dritten Mal werden die beiden nun aufgerufen. Ich verstehe nicht, wieso Menschen nicht einfach erscheinen können, wenn sie aufgerufen werden. Das ist ja hier schließlich kein Busbahnhof, wo man auf der Straße noch hinterherrennen kann. Es ist alles gut organisiert, auf jedem Ticket und Bildschirm steht, wann man wo zu sein hat – und trotzdem schaffen es Menschen, noch unpünktlich oder überfordert zu sein. Ist es wirklich so schwer, Leute zu finden, die mitdenken? Genau das hat mich in den letzten Wochen schon ganz schön Nerven gekostet.

Naja, vielleicht ist es ja die erste Flugreise für sie. Das ist dann doch besonders aufregend. Dann könnte man es vielleicht noch irgendwie verstehen…

19:50 Uhr

Doch bevor ich mir darüber so richtig Gedanken machen kann, bin ich schon an der Reihe und halte der netten Flugbegleiterin meinen Pass entgegen, bevor ich die Stufen erklimme.

Verkatert und müde setze ich mich in den Flieger. Ich kuschele mich gerade in meinen Sitz am Fenster und freue mich, dass der Platz neben mir frei bleibt. Das Boarding ist fast beendet. Mensch, habe ich Dusel. So kann ich mich gemütlich ausbreiten und habe super viel Platz auf dem langen Flug. Zehn Stunden sind schließlich nicht ohne!

20:00 Uhr

Während ich nebenbei das Media-Angebot der Airline durchklicke, werden die letzten Passagiere aufgerufen, Helmut und Karin Vögele. Schon wieder diese zwei. Sag mal, die beiden haben es wirklich nicht verstanden, dass ein Flugzeug kein Bus ist und nur mitreisen darf, wer pünktlich da ist. Doch wer hätte es gedacht: Sie schaffen es noch in den Flieger, bevor die Türen geschlossen werden.

Schon während die beiden das Flugzeug betreten, wird mir klar, dass eines ihrer liebsten Hobbies wahrscheinlich kulinarisch verankert ist. Denn die zwei sind unübersehbar – im wahrsten Sinne des Wortes.

Wobei ich dabei nicht unfreundlich sein möchte. Soo breit sind die beiden dann doch wieder nicht. Mir fällt außerdem gleich auf, dass sie schwäbische Wurzeln haben. Was heißt »mir«? Uns! Alle Passagiere, die des Deutschen mächtig sind, bemerken das sofort. »Heilix Blechle. Des isch aber a großer Flieger. Mensch, Karin, mir müssed noch 25 Reihen hinter.« - »Jaja, no ned hudla. Der Vogel hebt ned ab, bevor mir ned sitze.« – »Ha noi, Karin, ha noi.« Im Wechsel bleiben Helmut und Karin mit ihren Körpern und Rucksäcken an den Sitzreihen hängen »Tschuldigung. Tschuldigung«. Bei jedem »Tschuldigung«, das Helmut ausspricht, dreht er sich zum betroffenen Passagier um. Bei jeder Umdrehung zurück in die eigentliche Laufrichtung rammt er erneut seinen viel zu großen Rucksack einem Passagier, dieses Mal auf der anderen Seite des Ganges, ins Gesicht. Daraufhin entschuldigt er sich wieder, was zur Folge hat, dass ein Passagier auf der anderen Seite den Rucksack wieder im Gesicht hat. Es ist ein Teufelskreis. »Zum Glück habe ich einen Fensterplatz«, denke ich mir. Dann brauche ich keine Angst vor den beiden und ihren Rucksäcken zu haben. Ich klappe besser jetzt einfach meinen Laptop zu und schließe schnell meine Augen, kuschele mich auf meine beiden Sitze und döse vor mich hin. Es ist ja nicht mein Job, dass die beiden ihren Platz finden und erreichen - und so gut wie fast alle sind an Bord.

20:05 Uhr

So war zumindest mein Plan. Bis eben.

Denn auf einmal werden meine Füße mit einem unsanften Ruck weggeschoben und mit einem lauten Pflatsch fällt jemand in den Sitz neben mir. »Achtung. S Vögele kommt«, erschrocken reiße ich meine Augen auf und erblicke einen breit grinsenden Schwaben. Besser gesagt: Ich spüre ihn. Ok, ich schau nochmal genau hin und muss mich zu meinem Gedanken vorhin korrigieren. Er ist doch breit. Sehr breit. Helmut Vögele fläzt sich mit seinem Allerwertesten im Sitz neben mir hin und her. Kein Wunder, dass er sich so auf die Reise freut. Er scheint sich extra vorbereitet zu haben. Seinem Körper nach zu urteilen hat er sich den Big Five (also den fünf großen Tieren aus Afrika: Elefant, Nashorn, Büffel, Löwe und Leopard) bereits gut angenähert, vor allem dem Elefanten. Auch der Lautstärke nach macht er einem Elefanten Konkurrenz. Denn die beiden unterhalten nicht nur sich, sondern den ganzen Flieger.

»Mensch, Karin. Etz geht’s los. Sitzsch du gud?«, fragt mein Sitznachbar Helmut seine Karin, die am Gangplatz sitzt, als er sich nochmal nach rechts und links dreht. Mein Körper ist seinem unfreiwillig nahe. Soweit es geht, rücke ich ans Fenster, doch mehr Platz ist da nicht. Ich kann nicht weiter weg. Unsere Körper berühren sich und dabei schüttet meiner ganz und gar kein Oxytocin, also dieses berühmt-berüchtigte Kuschelhormon, sondern viel eher Ekel aus. Mich beschleicht der unschöne Verdacht, dass wir die nächsten zehn Stunden weiterhin intensiven Kontakt haben werden. Ob ich will oder nicht. »Ha ja, geht scho. Ausm oizwickte Arsch kommt koi fröhlicher Furz. Aber ich sollt mich jetzt auf dem Flug eh zurückhalten, mir sin ja ned unter uns«, antwortet die schwäbische Urlauberin auf dem Gangplatz ihrem Ehemann. Beide brechen in schallendes Gelächter aus. Ein leiser Flug scheint es nicht zu werden. Ohje. Goodbye, Nachtruhe.

Ich versuche es mit Verdrängung. Vielleicht klappt es ja, die beiden Schwaben neben mir zu ignorieren.

20:13 Uhr

Einen Versuch war es zumindest wert gewesen. Da stupst mich Helmut in die Seite: »Tschuldigung. Wussted Sie, dass man so früh in den Flieger einsteigen muss? Ich dachte, des isch wie im Bus. Fünf Minuten vorher da sein, reicht. Und dann haben die da vorhin so einen Stress gemacht.« Ich muss mich zusammennehmen höflich zu antworten und meine Augen nicht zu verdrehen. Helmut kann ja nicht ahnen, dass ich gerade mein Abitur hinter mir habe, das nicht meine erste Flugreise ist und ich – im Gegensatz zu ihnen – sehr müde und eventuell noch dezent alkoholisiert bin. Daher antworte ich meinem Sitznachbar freundlich, dass man bei Langstreckenflügen am besten eine Stunde vorher am Gate sein sollte. Das verwundert ihn und er bedankt sich für die Info. Immerhin sind die beiden nicht unfreundlich. Das macht die Kuschelstunde ein klitzekleines bisschen erträglicher.

Ach und übrigens:

Meine nächste Lektion: Verkatert fliegen ist keine so gute Idee. Ok, um genau zu sein: eine richtig doofe Idee. Als würde das Fliegen selbst nicht schon eine wackelige Angelegenheit sein, so dreht sich mein Kopf immer weiter und das, obwohl wir noch nicht einmal abgehoben haben. Dieser Abiball hängt mir in den Knochen. Was sag ich: Im Kopf! Im Magen! Kein Schlaf, viel Party, viel Alkohol. Was ich die nächsten Wochen brauchen werde? Viel frische Luft, viele Pferde und definitiv keinen Alkohol. Einfach Zeit für mich, um herauszufinden, was ich denn nun mit meinem Leben anfangen möchte.

20:25 Uhr

Pünktlich startet der Flieger (ein Airbus von Air Namibia) von Terminal 2, Gate D8 in Frankfurt. Der Start verläuft gut, die Flugangst, die mich seit meinem letzten Flug plagt, ist wie weggeblasen. Einen so schlimmen Flug wie wenige Monate zuvor von Dubai nach Hause habe ich noch nie erlebt. Gerüttelt und geschüttelt. Getränke ausgeschüttet. Die Brötchen flogen durchs Flugzeug. Schrecklich! Hoffentlich wird dieser Flug heute besser. Seit Tagen konnte ich schon nicht mehr schlafen! Erst die Anspannung vor den Abi–Prüfungen, dann der Vorbereitungsstress des Abiballs und gestern dann der volle Abschuss. Kein Schlaf, aber durchgefeiert. Nichts wünsche ich mir mehr als Ruhe und Schlaf, also versuche ich mich zu entspannen.

20:38 Uhr

Gerade haben wir die dicke Wolkendecke durchbrochen und befinden uns also bis jetzt – man bemerke: dreizehn Minuten Flug bisher – auf einem angenehmen Flug. Sogar meine Ohren beschweren sich kein bisschen (obwohl sie sehr empfindlich sind) und ich freue mich auf die Erfahrung in der namibischen Steppe nahe des Örtchens Marienstein! Da fliegt man so weit weg und doch klingt alles deutsch. Irre! Und noch irrer ist, dass Helmut und Karin Vögele neben mir sich in tiefstem Schwäbisch unterhalten. »Mogsch du mei Chips voll?«, fragt Karin ihren elefantastischten Göttergatten. »Ha noi, die mag i ned. Du woisch ja, dass i da sehr pringelig bin.« Wieder prusten beide los. Irgendwie sind sie auf ihre Art ja lustig. Aber als Sitznachbarn durchaus auch anstrengend.

Ich versuche mich also abzulenken. Während die TVs im Flugzeug Dokumentationen zeigen, in denen Löwen Giraffen jagen und Zebras um ihr Leben rennen müssen, sehe ich mir lieber ein paar Folgen der Krankenhaus–Sitcom Scrubs an. Die habe ich mir vorher auf meinen Mini-Laptop geladen und dort gibt es weitaus bessere Witze als bei meinen Nebensitzern. Ich drücke auf Play.

In genau dieser Sekunde stupst mich mal wieder Helmut Vögele von der Seite an und fragt mich grinsend wie ein Breitmaulfrosch: »Wissed Sie oigentlich, wie a Kondom uff Schwedisch hoißt?« Ich versuche, trotz meiner Unlust höflich zu bleiben, doch langsam aber sicher platzt mir der Kragen. Müde schüttele ich den Kopf und widme mich schon wieder meiner Scrubs-Folge. Da höre ich prompt die Antwort: »Pippi Langstrumpf«. Schon wieder prusten beide los. Das kann ja noch heiter werden – wahrscheinlich wird das der längste Flug meines Lebens. Ich muss mich zusammenreißen, ihn nicht zu fragen, wie ein weißes Mammut heißt. Das fände Hellmut wahrscheinlich gar nicht lustig…

So oder so kann ich ihm noch hundert Mal erklären, dass ich wirklich kein Schwabe bin, trotzdem sieht Helmut Vögele in mir eine schwäbische Verbündete. Nur weil ich in einer ähnlichen Region wie er aufgewachsen bin. Meine Erklärung ist vergebene Liebesmüh, denn mein Sitznachbar ignoriert diese Info. Und das hat leider zur Folge, dass sowohl mein Nebensitzer als auch seine Frau mich als Schwabe in ihre Runde integriert haben. Eine Runde, von der ich gar nicht Teil sein will. Ich versuche höflich zu bleiben und drücke meine Kopfhörer noch enger an meine Ohren. Ich will nichts außer meine Ruhe, ein bisschen Scrubs schauen und dabei einschlafen. Einfach nur in Ruhe schlafen.

TAG 01 (MONTAG)

Lektion des Tages: Linksfahrer sind nicht immer Geisterfahrer

06:16 Uhr

Mit einem unsanften Ruckeln setzen wir um kurz nach sechs auf dem Boden auf. Da sind wir. Namibia. Die Wüste, die Savanne, die Wildnis – einfach beeindruckend! Helmut und Karin waren nach einigen Stunden des Witzeerzählens zum Glück eingeschlafen. Dann konnte ich endlich die Ruhe und das Summen der Motoren genießen. Im Morgengrauen sind selbst die beiden noch so müde, dass ihnen die Muße zum Witzemachen fehlt. Als ich buchstäblich aus dem Flieger fliehe, ist alles, was ich von Helmut hören kann, ein: »Hey, hier isch unser Hotel. Vielleicht simmer ja im gleichen. Dann könned mer mal oi Bier zamme trinken.« Dabei steckt er mir ein Kärtchen zu. Wortlos nehme ich es entgegen und steige schnell und aufgeregt aus dem Flugzeug. So flink es geht. Dabei versuche ich, möglichst geschickt meine Nebensitzer hinter mir zu lassen. Das ist zum Glück gar nicht so schwer. Wir steigen hier nämlich nicht über eine Fluggastbrücke aus, sondern dürfen direkt aufs Rollfeld hinunter. Dadurch gibt es keinen Grund langsam zu machen. Der Flughafen ist so klein. Kleiner als München-Ost in Memmingen – und das soll etwas heißen.

Während ich im Morgengrauen über das Rollfeld gehe, schlottere ich. Wer kommt noch einmal auf die Idee, dass es in Afrika warm sei?! Bei kalten 2°C bin ich mehr als froh um meine Fleecejacke und meinen Schal, die ich beide von meinem Freund stibitzt und eingepackt habe. In diesem Moment der Dämmerung weiß ich gar nicht, was mir mehr Freude bereitet: Dass ich Karin und Helmut hinter mir gelassen habe; dass das Abenteuer Namibia endlich losgeht; oder dass der Flug mit diesem von der Lufthansa ausrangierten Airbus heil stattgefunden hat. Dieses Flugzeug war wahrhaftig nicht mehr das jüngste und ich habe keine so große Lust, nochmal in ein solches einzusteigen. Doch darüber mache ich mir jetzt noch keine Gedanken.

06:38 Uhr

Ich laufe in die Ankunftshalle und mache mich auf den Weg zur Gepäckausgabe. Müde wie ein Murmeltier gehe ich trotzdem schneller als die anderen Passagiere und überhole sie geschickt und flink wie ein Wiesel. Zum einen will ich »meine« schwäbischen Co-Passagiere weiterhin loswerden und zum anderen will ich einfach ankommen und noch eine Runde schlafen. Denn ich bin wirklich gerädert. Als ich am Gepäckband ankomme, ist unser Gepäck bereits da. Wow, war unser Fußweg so lang oder ist einfach wirklich jeder Flughafen schneller als der Münchener, wenn es um die Gepäckausgabe geht?

Ich halte Ausschau nach meinem grau-schwarzen Koffer. Noch dreht er seine Runden nicht. Ohman, wenn der nicht gleich übers Band rollen sollte, dann habe ich meine schwäbischen Kollegen wieder an der Backe. In diesem Moment kommen neue Koffer aufs Band. Sie fahren die erste Runde. Dann die zweite Runde… Dann kommt eine weitere Ladung Gepäck aufs Band. Irgendwann kommen keine neuen Koffer mehr. Sag mal, das gibt’s doch nicht! Wo ist denn bitte mein Koffer?! Als eines der letzten Gepäckstücke dreht ein einsames Plastikbündel seine Runden. Da dämmert es mir… Ich habe ja gar nicht meinen Koffer mitgenommen, sondern den Weltreise-Rucksack meiner Schwester. Damit die Schnallen beim Transport nicht kaputt gehen, habe ich ihn vor dem Abflug extra in Plastikfolie einwickeln lassen. Und genau dieses Plastikbündel dreht gerade vor mir seine Runden – und gehört zu mir. Ich bin scheinbar wirklich noch nicht ganz nüchtern und schon gar nicht wach um diese Uhrzeit.

06:52 Uhr

Mit meinem Plastik-Bündel auf dem Rücken flitze ich schnell an den Telefonschalter (ein Glück, dass er schon so früh geöffnet hat) und kaufe mir zwei SimCards. Sicher ist sicher – so kann ich mit meinen Freunden und meiner Familie zu Hause in Kontakt bleiben – bevor ich hinaus auf den Parkplatz trete. Dankenswerterweise hat mir die Pension von Jessy, eine Bekannte von Anna und Arnold bei der ich noch zwei Nächte schlafen werde, einen Taxifahrer geschickt, der mich in aller Herrgottsfrühe vom Flughafen Windhoek abholt. Leider verstehe ich bei seiner Vorstellung seinen Namen nicht – ich bin mir nicht sicher, ob das an meinem Zustand oder seinem Dialekt liegt. Doch ich beschließe einfach, dass das um diese Uhrzeit auch nicht weiter relevant ist und grüße ihn nichtsdestotrotz freundlich.

Als wir am Auto des Taxifahrers ankommen, muss ich sofort an die Rennsemmel denken! Das war das Auto meines Vaters in den 90ern: Ein VW Polo 2, Baujahr 1993, Farbe: Türkis. Heutzutage würde man das »retro« nennen. Der einzige Unterschied zur Rennsemmel: dieses Auto hier ist weiß. Ansonsten 1:1 das gleiche. Und das im Jahr 2011.

Übermüdet schlüpfe ich ins Auto und mache die Augen zu. Da klopft es auf meiner rechten Seite ans Fenster. Ohman, was für ein Lärm. Darf ich nicht einfach dasitzen und nach solch einem langen Flug vor mich hin dösen?!

Ich erschrecke mich fast zu Tode, als ich die Augen aufmache und wild fuchtelnd jemand vor meinem Fenster steht. Erst dann begreife ich… Ich Schussel! Ich hatte völlig vergessen, dass man in Namibia links fährt. Also rutsche ich runter vom Fahrersitz rüber auf den Beifahrersitz.

Jetzt aber wirklich: Das Abenteuer beginnt. Denn in diesen Minuten erlebe ich eine der rasantesten Autofahrten meines Lebens. Jegliche Schilder werden ignoriert und die Tacho- sowie Tanknadel sind kaputt. Ob wir zu schnell sind? Ich kann es nur vermuten. Ob der Sprit reicht? Ich kann es nur hoffen.

Ich bin wahrhaftig erstaunt, dass die afrikanische Rennsemmel überhaupt so schnell fahren kann. Und das Ganze ohne abzuheben. Also bei Harry Potter wären wir schon längst geflogen.

Viel früher als bei meiner Übernachtungsmöglichkeit angekündigt, kommen wir bei »Jessys Bergpension« in Windhoek an.

07:21 Uhr

Um kurz nach sieben Uhr morgens stehe ich also vor der Tür der Bergpension, wo niemand so früh mit mir gerechnet hat. Die Klingel scheint nicht zu funktionieren. Klopfen bringt nichts bei dieser unfassbar starken Tür. Massivholz, bestimmt zwanzig Zentimeter dick. Drum herum ein großer Zaun und hoher Sichtschutz. Das sieht ja einladend und vor allem vertrauenserweckend aus. Auch wenn alles Deutsch klingen mag, ist hier alles anders als in Deutschland.

Hm… Selbst der Taxifahrer ist verzweifelt. Es dauert knapp fünfzehn Minuten, bis eine sehr verschlafene Jessy mich einlässt. Der Taxifahrer hat freundlicherweise so lange gewartet und steigt nun wieder in seinen Polo-Flitzer. Bevor ich die massive Holztüre schließe, ist er schon um die Ecke und macht sich auf zu seiner nächsten Fahrt. Hier drinnen fühle ich mich gleich sicherer als draußen auf der Straße.

Schlaftrunken bringt mich Jessy zu meinem Zimmer. Ich bin so übermüdet und gleichzeitig aufgeregt, dass ich ihr gar nicht richtig zuhören kann, als sie mir erklärt, wann es Essen gibt, was ich in der Pension beachten und in Windhoek lieber nicht tun sollte.

11:50 Uhr