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Ob aus ethischen, gesundheitlichen oder religiösen Gründen – viele Menschen ernähren sich vegetarisch. Die einen konsequent und dauerhaft, die anderen nur episodenweise. Aber wie stellt sich diese Ernährungsweise in der Geschichte dar und wie sehen mögliche Folgeerscheinungen aus? In diesem Buch wird auf die Ernährungsgeschichte des Menschen und die Geschichte des Vegetarismus eingegangen. Außerdem werden Folgen einer fleischlosen Ernährung diskutiert. Aus dem Inhalt: Ernährungsgeschichte des Menschen, Beweggründe, Vegetarier zu werden, Tierschutz, Hämoglobinwert, Geschichte des Vegetarismus.
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Nie mehr Fleisch!
Die Ernährungsgeschichte
Ernährungsverhalten im Wandel – Geschichte und Ausformungen des Vegetarismus. Die Zukunft is(s)t vegetarisch von Manuela Gruber 2012
Zusammenfassung
Abstract
Vorwort
Einleitung
Vegetarische Ernährung
Die Geschichte des Vegetarismus
Motive für eine vegetarische Ernährung
Vegetarische Ernährung und ernährungssoziologische Aspekte
Nachhaltige Ernährungsweise in der Zukunft
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Vegetarismus im geschichtlichen Kontext von Stephanie Traichel 2004
Einführung
Begriffsdefinition
Formen vegetarischer Ernährung
Geschichte des Vegetarismus
Beweggründe, Vegetarier zu werden
Tierschutz
Neueste Entwicklungen im Vegetarismus
Kritik
Zusammenfassung
Anhang
Vegetarische Ernährung und Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Der Effekt von fleischloser Ernährung auf den Hämoglobinwert – eine Analyse der Daten des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) von Eveline Otte im Kampe, Johanna Föllmer, Anne Ideler 2011
Einführung
Abstract
Methoden
Ergebnisse
Diskussion
Schlussfolgerung
Quellenverzeichnis
Anhang
Täglich viel Fleisch zu essen, ist nicht nur schlecht für die Gesundheit, sondern auch für das Klima und Millionen Tiere müssen aufgrund nicht artgerechter Tierhaltung leiden. Mit diesen und ähnlichen Argumenten wird der Konsum von Fleisch oft in Frage gestellt. So ist in Sachen Ernährung ein Umdenken bemerkbar und Speisen ohne Fleisch finden immer öfter ihren Platz auf dem Teller. Die vegetarische Ernährungsweise ist in unserer Gesellschaft längst akzeptiert und gilt mittlerweile sogar als vorbildlich. Die vorliegende Arbeit zeigt, inwieweit sich die vegetarische Ernährungsweise in einer fleischdominierten Esskultur durchsetzen und in der Zukunft sogar die gesellschaftliche Mitte erreichen kann. Welche soziologischen Aspekte nehmen Einfluss auf die Hinwendung zu einer vegetarischen Ernährungsweise? Dass die Zukunft der Ernährung vegetarisch – oder zumindest fleischarm sein wird und welche Bedeutung diese Entwicklung im Rahmen einer nachhaltigen Ernährungsweise hat, soll abschließend dargestellt werden. Die Zukunft is(s)t vegetarisch, denn jeder, der sich vegetarisch ernährt, egal ob immer, regelmäßig oder gelegentlich, entscheidet sich nicht nur für eine gesündere Lebensweise, sondern schützt auch die Umwelt und setzt ein Zeichen gegen die industrielle Massentierhaltung.
There are many good reasons to avoid or reduce the consumption of meat: increase of personal health, slower the pace of climate change and getting rid of animal factory farms. Because of these or similiar arguments there seems to be a change of eating habits and a movement that begins with eating less meat. Dishes without meat are more and more common in Austrian households. Even more, being vegetarian is not only accepted but sets an example in our society. My thesis shows that the vegetarian lifestyle is going to prevail in a society where meat and meat products still have a dominating part. But the question is about the social aspects that influence the decision of becoming a vegetarian. In fact, not everyone agrees to be mostly vegetarian. But in order to establish healthier and sustainable eating habits, our way of eating will be characterized by a vegetarian lifestyle, but with a flexible approach which means to eat little meat and not too often.
Die vorliegende Arbeit wäre nicht die Arbeit, die sie ist, wenn ich nicht selbst Vegetarierin wäre und wenn ich mich nicht auf meine eigene vegetarische Suche gemacht hätte. Seit meinem 19. Lebensjahr verzichte ich bewusst auf Fleisch und setze mich nun täglich mit der vegetarischen Ernährungsweise auseinander. Warum ich zur Vegetarierin wurde, waren vorwiegend ethische und moralische Motive, das Mitgefühl mit Tieren und die Ablehnung der Massentierhaltung. Noch vor wenigen Jahren,war man als Vegetarierin oft damit konfrontiert, mit FleischesserInnen über Einstellungen zu Fleisch bzw. über Motive für den Fleischverzicht zu diskutieren und man musste seine vegetarische Ernährungsweise argumentieren und verteidigen.
Mittlerweile kann man jedoch beobachten, dass sich die vegetarische Ernährungsweise in unserer Gesellschaft mehr und mehr etabliert. So musste man sich als vegetarisch lebende Person in vielen Restaurants vor einigen Jahren oftmals mit den Gemüse-Beilagen zufriedenstellen. Heute sind raffinierte vegetarische Speisen in den meisten Restaurants auf der Speisekarte zu finden. Durch das wachsende Gesundheitsbewusstsein und die zunehmende (mediale) Aufklärung ist der Verzicht auf Fleisch in unserer Gesellschaft nicht nur akzeptiert, sondern gilt mittlerweile sogar als vorbildlich.
Mein Bestreben mit dieser Arbeit ist es, die soziologischen Zusammenhänge offenzulegen, die Auswirkungen auf die Entscheidung für das individuelle Ernährungsverhalten und folglich für eine vegetarische Ernährungsweise haben. So war es besonders interessant, herauszufinden, dass sich im Vegetarierin-Sein auch feministische Positionen ausdrücken.
„Essen ist heute Teil der individuellen Lebensphilosophie geworden: Es geht um Gesundheit, Ethik, Lebensqualität und Status.“[1]
Dass unser Ernährungsalltag nicht nur sehr komplex geworden ist, sondern auch einem gesellschaftlichen Wandel unterliegt, zeigen gesellschaftliche Entwicklungen wie beispielsweise die steigende Erwerbsbeteiligung und die Flexibilisierung der Arbeitsmuster, der Wandel der Geschlechterbeziehungen und Werteinstellungen oder die Individualisierung und die strukturelle Entwicklung auf Produktions- und Marktseite (Stichworte: industrielle Massenproduktion, Globalisierung, Lebensmittelskandale, mediale Ernährungsdiskurse, usw.).[2] Wandlungsprozesse sind beispielsweise die starke Individualisierung, wo Menschen aufgrund der sich laufend veränderten Lebenslagen und -verläufen vermehrt mit Umbrüchen im Lebenslauf konfrontiert sind (z.B. Scheidungen, Auszeiten oder Umzüge durch gestiegene Mobilitätserfordernisse, Phasen der Arbeitslosigkeit usw.). Das bedeutet für jeden Einzelnen mehr Handlungsspielraum und somit aber auch einen Verlust an Sicherheit und Stabilität im Leben. Ein Beispiel zum Trend der Individualisierung in Bezug auf die Ernährung: Wo früher eine Mahlzeit für alle auf den Tisch kam, bestimmt mittlerweile jeder selbst, was er wann und wo essen will. Speisen werden mehr und mehr individuell zusammengestellt. „Nachdem Ernährungspraktiken (in unterschiedlichem Ausmaß) habitualisiert sind, können solche Umbrüche zum Überdenken bisheriger Routinen, zur Neubewertung von Esspraktiken und Lebensmitteln und zur Nachfrage nach neuen Produkten führen.“[3]
Das führt dazu, dass das Fleisch als Nahrungsmittel in den letzten Jahren verstärkt eine Neubewertung erhalten hat. In unserer Kultur zählte der Verzehr von Fleisch und tierischen Produkten seit Jahrhunderten zur Selbstverständlichkeit. Jahrzehntelang war der Konsum von Fleisch Ausdruck für einen hohen Lebensstandard. Doch es wird gesellschaftlich immer weniger akzeptiert, große Mengen an Wurst und Schnitzel zu verzehren. Denn der übermäßige Fleischverzehr ist für viele Menschen mit gesundheitlichen Problemen verbunden. Durch das wachsende Gesundheitsbewusstsein und die zunehmende Aufklärung sind der Verzicht auf Fleisch und der bewusst geringe Fleischkonsum in unserer Gesellschaft mittlerweile akzeptiert. Große Mengen Fleisch zu konsumieren, ist nicht nur schlecht für die Gesundheit, sondern auch für das Klima und für Millionen von Tieren. Mit diesen Argumenten wird der Konsum von Fleisch in Frage gestellt. So ist in Sachen Ernährung ein Umdenken bemerkbar und Speisen ohne Fleisch finden immer öfter und gern ihren berechtigten Platz auf dem Tisch. Die vegetarische Küche erfreut sich zunehmender Beliebtheit.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der vegetarischen Ernährungsweise, die sich aufgrund des vermehrten Wandels im Ernährungsverhalten immer stärker in unserer Gesellschaft etabliert. Es soll analysiert werden, inwieweit es möglich sein wird, dass sich die vegetarische Ernährungsweise in einer tief verinnerlichten fleischbezogenen Esskultur durchsetzt und sogar die gesellschaftliche Mitte erreichen kann. Mit welchen Hemmnissen und Barrieren wird man konfrontiert? Welche soziologischen Aspekte nehmen Einfluss auf die Hinwendung zu einer vegetarischen Ernährungsweise? Dass die Zukunft der Ernährung vegetarisch – oder zumindest fleischarm sein wird und welche Bedeutung diese Entwicklung im Rahmen einer nachhaltigen Ernährungsweise hat, soll nun in der vorliegenden Arbeit dargestellt werden.
Das folgende Kapitel wird in die Thematik einführen und nicht nur die in diesem Zusammenhang wichtigen Begrifflichkeiten näher darstellen sondern auch die unterschiedlichen Formen der vegetarischen Ernährung und deren Ausprägungen verdeutlichen.
Danach widme ich mich der historischen Darstellung des Vegetarismus. Es werden die für die Entwicklung der vegetarischen Ernährung wichtige Epochen näher erläutert. Im ersten Schritt wird das Zeitalter der Antike mit dem Philosophen Pythagoras als wichtigen Wegbegleiter des Vegetarismus näher skizziert. Der Vegetarismus im 19. und 20. Jahrhundert soll als zweite bedeutende Epoche der Entwicklung der vegetarischen Ernährungsweise hervorgehoben werden, da das Zeitalter der Industrialisierung sowie das entstehende Vereinswesen für eine Verbreitung des fleischlosen Lebensstils sorgte. Abschließend soll die aktuelle Situation der Vegetarier und Vegetarierinnen im 21. Jahrhundert dargestellt werden.
Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit den Motiven und der Fragestellung, warum sich jemand entscheidet, auf Fleisch zu verzichten und sich dem vegetarischen Lebensstil zuwendet. Die wichtigsten Gründe – religiöse, ethische bzw. moralische, gesundheitliche sowie ökologische – werden in diesem Zusammenhang detailliert dargestellt.
Das Kapitel „Vegetarische Ernährung und ernährungssoziologische Aspekte“ ist im ersten Abschnitt den Grundfragen und Themenbereichen der Ernährungssoziologie gewidmet, wobei das theoretische Rahmenkonzept verdeutlicht werden soll. Der zweite Abschnitt analysiert die Ernährungspraktiken und die gegenwärtige Essmoral im Kontext des Fleischkonsums. Nachdem die Ernährungspraktiken in die alltägliche Lebensführung eingebettet sind, soll in Abschnitt 3 der Zusammenhang von der sozialen Lage und dem Ernährungsverhalten skizziert werden. Wichtige beeinflussende Dimensionen von Ernährungspraktiken wie Nahrungsnormen, schichtspezifische Unterschiede, Lebens- und Ernährungsstile, Ernährungskompetenz, Ernährung und Alter sowie geschlechtsspezifische Unterschiede sollen näher dargestellt werden. Diese Themen werden nicht nur in ihren theoretischen Grundzügen dargestellt, sondern immer auch in Bezugnahme auf die vegetarische Ernährungsweise bzw. die Bedeutung von Fleisch als Lebensmittel. So wird der Verzicht auf Fleisch in Zusammenhang mit Ernährung und Alter auch als lebensphasenspezifisches Phänomen analysiert. Im geschlechtsspezifischen Kontext des Ernährungshandelns soll vor allem auch die Bedeutung von Fleisch und die Hinwendung zur vegetarischen Ernährungsweise untersucht werden. In Abschnitt 4 werden soziokulturelle Aspekte des Fleischkonsums und in diesem Zusammenhang der Fleischverbrauch in Österreich sowie die sich gesellschaftlich verändernden Einstellungen gegenüber Fleisch analysiert. Abschließend soll in Abschnitt 5 auf die gesellschaftliche Stellung der vegetarischen Ernährungsweise und auf die praktische Umsetzung dieser eingegangen werden.
Das folgende Kapitel wird sich mit dem Konzept der Nachhaltigkeit sowie der nachhaltigen Ernährungsweise in der Zukunft auseinandersetzen, wobei als Kriterien für eine nachhaltige Ernährung ein reduzierter Fleischkonsum thematisiert wird. Abschließend soll die Ernährung von morgen unter dem Aspekt einer vegetarischen bzw. fleischreduzierten Ernährung näher skizziert werden. Als praktisches Beispiel für eine Umsetzung werden Kampagnen zum Thema „Fleischfreier Wochentag“ angeführt.
Das letzte Kapitel bildet ein Resümee mit einer Interpretation der Erkenntnisse aus den vorangegangen Kapiteln und stellt eine neue Form des Vegetarismus als zukünftige Ernährungslösung vor, die nicht dogmatisch ist, sondern sehr pragmatische Züge aufweist und so auf eine breite Akzeptanz in der Gesellschaft stoßen kann.
Begriffe und Definitionen
Die Begriffe „Vegetarier“, „vegetarisch“ und „Vegetarismus“ wurden aus dem Englischen „vegetarian“ abgeleitet. Die Wortschöpfung wurde von „vegetable“ (= pflanzlich) und dem Suffix „-arian“ hergeleitet. Der Ursprung geht auf die lateinischen Begriffe „vegetare“ (= wachsen, beleben), „vegetus“ (= lebendig) und „vegere“ (= beleben, beseelen) zurück.[4]
Der Vegetarismus ist somit im ursprünglichen Sinne eine „lebendige“ und „belebende“ Ernährungs- und Lebensweise. Es ist eine besondere Form der Ernährung, bei der man auf Fleisch verzichtet. Auf dem Speiseplan eines Vegetariers stehen vorwiegend pflanzliche Lebensmittel wie Getreide, Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte oder Nüsse. Je nach Ausprägung des Vegetarismus können auch Produkte von lebenden Tieren, wie Milch, Eier und Honig sowie alle daraus hergestellten Speisen enthalten sein. Ausgeschlossen sind Lebensmittel, die von toten Tieren stammen, wie Fleisch, Fisch sowie alle daraus hergestellten Produkte.[5]
Das Wort „Vegetarismus“ wurde 1847 allgemein gebräuchlich, nachdem die erste europäische vegetarische Gesellschaft, die „Vegetarian Society of United Kingdom“ gegründet wurde. Davor wurden vegetarisch lebende Personen oft als „Pythagoreer“ bezeichnet, nachdem der antike griechische Philosoph Pythagoras als Begründer des klassischen Vegetarismus und als erster Vertreter des Vegetarismus in Europa gilt.[6]
Auf die Geschichte des Vegetarismus und seinen historischen Ursprung wird später näher eingegangen.
Im Jahr 1963 wurde im Rahmen einer Tagung des Deutschen Vegetarier-Rates eine umfassende Definition für Vegetarismus veröffentlicht:
„Der Vegetarismus ist die Lehre, dass der Mensch aus ethischen und biologischen Gründen ausschließlich zum Pflanzenesser bestimmt ist. Sein stärkstes Motiv ist die Überzeugung, dass möglichst kein Tier für die menschliche Existenz getötet oder geschädigt werden soll.“[7]
Formen der vegetarischen Ernährung
Es gibt keine einheitliche und allgemeingültige Ausprägung einer vegetarischen Lebensweise. Der Vegetarismus hat ein Ziel, das in allen unterschiedlichen Formen seine Gültigkeit hat und das ist der Verzicht auf Fleisch sowie auf daraus hergestellte Lebensmittel wie z.B. Wurst oder Gelatine (z.B. in Gummibärchen).
Die Unterscheidung der verschiedenen Formen der vegetarischen Ernährung lässt sich auf Basis der Lebensmittelauswahl klassifizieren. Somit ist die Einbeziehung von Lebensmitteln, die von lebenden Tieren stammen das Unterscheidungskriterium für die Hauptformen des Vegetarismus. Lakto-Ovo-Vegetarier ist die am weitesten verbreitete Form des Vegetarismus. Sie essen neben pflanzlichen Lebensmitteln auch Milch, Milchprodukte und Eier. Die Lakto-Vegetarier vermeiden den Konsum von Eiern, Milch ist jedoch erlaubt. Die Ovo-Vegetarier essen neben pflanzlicher Nahrung auch Eier, verzichten aber auf Milch und Milchprodukte – das ist eher eine seltene Form des Vegetarismus. Die strengste Form des Vegetarismus leben die sogenannten Veganer, die auch als besonders strenge Vegetarier bezeichnet werden. Sie verzichten komplett auf tierische Lebensmittel und Produkte, also neben Fleisch, Fisch, Eiern, Milch und Honig auch auf Leder oder Wolle.[8]
Menschen, die überwiegend vegetarisch leben schränken den Verzehr von Fleisch und tierischen Lebensmitteln stark ein. Diese Vegetarier-Typen werden auch als sogenannte Flexitarier bezeichnet. So wurde der Begriff „Flexitarier“ von der „American Dialect Society“ 2003 zum nützlichsten Wort des Jahres gewählt. Dabei handelt es sich um eine „Light“-Form des Vegetarismus. Flexitarier sind Personen, die viel Wert auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung legen und den Fleischkonsum bewusst deutlich reduzieren. Fleisch steht nur mehr gelegentlich auf dem Speiseplan, wie zu besonderen Anlässen. Und dann greifen Flexitarier, „Teilzeit-Vegetarier“ oder „Wochenend-Vegetarier“ wie sie auch gerne bezeichnet werden, ausschließlich zu Fleisch von besonders hoher Qualität wie z.B. aus kontrolliert biologischer Landwirtschaft.[9]
Diese Gruppe, die sich überwiegend vegetarisch ernährt, sind jedoch definitionsgemäß keine Vegetarier, auch wenn sie sich in ihrer Selbsteinschätzung oft als solche einstufen. In der wissenschaftlichen Literatur werden diese Menschen als „Selten-Fleischesser“ bzw. „very low meat eaters“ bezeichnet. So ist ein Fleischkonsum von ein bis zweimal pro Monat als seltener Verzehr definiert.[10]
Die verschiedenen Ausprägungen der vegetarischen Ernährung zeigen deutlich, dass es sich nicht um eine homogene Ernährungsform handelt.[11]
Vielmehr ist dieser Lebensstil bzw. diese Ernährungsweise sehr komplex gestaltet. Es entscheidet jeder für sich, welche Ausprägungsform einer fleischlosen oder fleischreduzierten Ernährungsweise letztendlich gewählt wird.
Abb. 1: Formen vegetarischer Ernährung
Abbildung 1 zeigt, dass es die vegetarische Ernährung in unterschiedlichsten Formen und Ausprägungen gibt. Das gemeinsame Merkmal aller vegetarischen Ernährungsformen ist das Meiden von Nahrungsmitteln, die von getöteten Tieren stammen (Fleisch inklusive Geflügel, Fisch und Meeresfrüchte) sowie von allen Produkten, die diese Nahrungsmittel enthalten.
Menschen, die sich selbst als Vegetarier bezeichnen, haben oft ihre eigene Definition bzw. ihre eigene Vorstellung davon, was sie unter einer vegetarischen Lebensweise verstehen. So bezeichnen sich Menschen oft als Vegetarier oder Vegetarierin, obwohl sie zum Beispiel Fisch essen. Dadurch hat sich auch die Form des Flexitarismus oder Teilzeit-Vegetarismus entwickelt, wo nicht der strikte Verzicht auf Fleisch, sondern der bewusste Fleischkonsum vorrangig aus biologischer und artgerechter Tierhaltung im Vordergrund steht.
Über lange Zeit hinweg ernährte sich die Mehrheit der Menschen aufgrund des vorhandenen Nahrungsangebotes überwiegend vegetarisch. Die Idee vom Vegetarismus als Lebens- und Ernährungsweise ist also keinesfalls eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Der Grundstein für eine vegetarische Lebensweise als Weltanschauung, mit den damit verbundenen ethisch-philosophischen Überlegungen, wurde in der Antike, insbesondere im alten Griechenland gelegt.
Es ist hier nicht möglich, die gesamte Geschichte des Vegetarismus darzustellen, da sie sehr umfangreich ist. Nachfolgend werden zwei für die Entwicklung der vegetarischen Ernährung besonders wichtige Epochen näher erläutert: der Vegetarismus und seine Wurzeln im antiken Griechenland zu Zeiten von Pythagoras im 6. Jahrhundert v. Chr. und die moderne vegetarische Bewegung im 19. und 20. Jahrhundert.
Die ersten Vegetarier in der Antike
Während Fleisch in der Antike nur von reicheren Menschen verzehrt wurde, ernährten sich das griechische und das römische Volk vorwiegend von pflanzlicher Kost wie Getreide, Gemüse und Obst. Trotzdem waren zu dieser Zeit Tierkämpfe und Hetzjagden gesellschaftlich sehr angesehen. Für das griechische Volk spielten Tieropfer eine große Rolle. Das Töten von Tieren und der Fleischverzehr hatten große Bedeutung in Zusammenhang mit Bräuchen. Wer Fleischkonsum ablehnte, verschloss sich dadurch den Höhepunkten des festlichen Lebens und hob sich bewusst als Außenseiter vom Rest der Gesellschaft ab.[12]
Eine Ablehnung der Tieropfer und des anschließend zelebrierten Fleischmahls in der griechisch-antiken Gesellschaft kam einer religiösen Revolution gleich und hatte eine radikale Selbstausgrenzung aus der Gesellschaft zur Folge.[13]
Die ersten Berichte des antiken Vegetarismus lieferte eine Gemeinschaft mit religiösem Hintergrund im 6. Jahrhundert v. Chr.: die Gruppe der Orphiker, eine religiöse Sekte. Diese Lebensweise wurde durch Platon (Philosoph, Griechenland, 427-347 v. Chr.) überliefert. Orphiker lehnten die blutigen Tieropferkulte und die religiösen Opferfeiern der Griechen ab. Durch ihren Wunsch der „Befreiung der Seele“ traten sie für Askese und Enthaltsamkeit ein und vermieden Fleisch, Eier und sogar Wolle. „Die Orphiker waren der Ansicht, die Seele sei wegen einer früheren Schuld im Körper wie in einem Grab eingeschlossen und müsse sich durch Reinigung so gut wie möglich von dieser Schuld lösen, um ein seelisches Dasein zu gewinnen. Deshalb verzichteten sie auf Fleischgenuss und lehnten Tieropfer ab.“[14]
Viele Argumente für eine fleischlose Ernährung, die heute noch Gültigkeit haben, existierten auch in der Antike. Zunächst hatte die vegetarische Ernährung aber vorrangig religiös motivierte Wurzeln. Der religiöse Vegetarismus der Orphiker wurde anschließend von Pythagoras (Philosoph, um 570 bis um 500 v. Chr.) als Begründer des ethischen Vegetarismus mit eindeutig religiösen Wurzeln aufgegriffen.
Abb. 2: Pythagoras von Samos[15]
„Wer mit dem Messer die Kehle eines Rindes durchtrennt, der ist vom Verbrechen nicht weit entfernt“, oder „Alles, was der Mensch den Tieren antut, kommt auf den Menschen zurück,“ so Pythagoras, der bis heute als Begründer des europäischen Vegetarismus gilt. Viele Jahrhunderte lang nannte man die Personen, die kein Fleisch verzehrten, auch nicht Vegetarier sondern Pythagoreer.[16]
Der von Pythagoras propagierte Vegetarismus ist gut belegt und geht einerseits auf das Motiv der sogenannten Seelenlehre bzw. Seelenwanderung zurück, wo die Seele des Menschen nach seinem Tod auch in einen Tierkörper eingehen kann. Das Schlachten von Lebewesen würde also bedeuten, dass man mit dem Opfertier möglicherweise einen Artgenossen oder sogar einen nahen Verwandten verzehren würde. Deshalb wurde Fleisch von Pythagoras und seinen Anhängern und Schülern, den sogenannten Pythagoreern strikt abgelehnt. Andererseits hatte unter Pythagoras auch das Motiv der Tierschonung und somit ethische Hintergründe Bedeutung in der vegetarischen Lebensweise. Der Verzehr von Eiern sowie das Tragen von Kleidung aus Wolle waren den Pythagoreern strengstens verboten. Die „pythagoreische Diät“ bestand aus Brot, Honig, Getreide, Früchten und Gemüse. Die Geschichte des Vegetarismus ist besonders stark durch das Pythagoreertum und seine Verhaltens- und Speisevorschriften geprägt. Trotzdem ist es wichtig hervorzuheben, dass es sich um eine freiwillig gewählte Lebensweise handelt, die in der antiken Gesellschaft eine Ausnahme war. Somit waren die sogenannten Pythagoreer auch eine soziale Randgruppe.[17]
Vegetarier galten einst in der Gesellschaft als Außenseiter. Heute ist die Entscheidung für eine vegetarische Ernährungsweise zwar nicht mehr mit gesellschaftlicher Isolation verbunden, trotzdem wird ein Vegetarier oft mit Akzeptanzproblemen konfrontiert. Wie in Zeiten Pythagoras sind Vegetarier heutzutage noch immer eine soziale Randgruppe, nachdem der fleischlose Essstil ausschließlich von einer Minderheit gewählt wird. Vegetarismus ist nach wie vor ein großes Thema in der Gesellschaft, das in vielen Situationen (z. B. Weihnachtsessen, Grillparty, usw.) ein besonders starkes Selbstbewusstsein des Betroffenen erfordert, nachdem dieser seine gewählte fleischlose Ernährungsweise gegenüber „Nicht-Vegetariern“ rechtfertigen und begründen muss.
Jedoch wird die vegetarische Ernährung in der heutigen Gesellschaft nicht nur immer mehr akzeptiert, sondern gilt mittlerweile als vorbildlich und sogar erstrebenswert. Die Ernährungsweise des Vegetarismus und seine ernährungssoziologischen Aspekte werden später ausführlich erläutert.
Der Verzicht auf Fleisch in der Antike zur Zeit von Pythagoras war nicht nur eine Entscheidung aus persönlichen Gründen, auf der Grundlage religiöser und/oder ethischer Motive, sondern auch ein Zeichen gegen die herrschende Politik. Die Anhänger Pythagoras protestierten gegen die staatlichen Opfermahle, bei denen Tiere geschlachtet und den Anwesenden je nach sozialem Status Fleischstücke zugeteilt wurden. Indem die Pythagoreer das Fleisch verweigerten, dass ihnen zugesprochen wurde, zeigten sie deutlich und öffentlich, dass sie den sozialen Status, der im Rahmen der Opfermahlzeremonien bestätigt wurde, nicht akzeptierten. Somit war die vegetarische Lebensweise der Pythagoreer viel komplexer und inkludierte nicht nur den fleischlosen Lebensstil. Vielmehr war dieser Essensstil auch eine Positionierung innerhalb der Gesellschaftssysteme – insbesondere zur einflussreichen Politik und zur Religion. Diese kritische Stellung der Pythagoreer wurde im Rahmen der Nichtteilnahme an den staatlichen Opfermahlzeiten sichtbar.[18]