Niemand weint um dich - Alex Marwood - E-Book

Niemand weint um dich E-Book

Alex Marwood

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Beschreibung

Als die kleine Coco während eines Urlaubs verschwindet, bricht nicht nur ihre Familie auseinander, sondern es entfesselt sich auch ein absurder Pressehype, der das gesamte Umfeld mit sich reißt. Cocos Eltern sind wohlhabend und einflussreich, ebenso wie ihre Freunde, mit denen sie am Meer gefeiert haben. Doch was geschah wirklich mit Coco?

An zwei beklemmenden Wochenenden - das erste, an dem Coco verschwindet, das zweite 12 Jahre später, als ihr Vater beerdigt wird - kommt das dunkle Geheimnis um Coco Stück für Stück ans Licht ...

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Seitenzahl: 556

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Das Buch

Betreff: DRINGEND, KIND VERMISST, BITTE WEITERLEITEN

Anhang: Coco.jpg, Armband.jpg

Liebe alle,

Entschuldigung für diese Rundmail, aber ich brauche dringend eure Hilfe.

Meine Patentochter Coco Jackson ist in der Nacht von Sonntag auf Montag (29./30. August) aus dem Ferienhaus ihrer Familie in Bournemouth verschwunden, wo diese ein verlängertes Wochenende verbrachte. Coco ist drei Jahre alt.

Nach Polizeierfahrung sind in Fällen von Kindesentführung die ersten 48 Stunden von entscheidender Bedeutung, die Zeit drängt also. Ich bitte deshalb dringend, diese E-Mail an jeden weiterzuleiten, der vielleicht darauf reagieren und sie ebenfalls weiterleiten würde.

Coco ist knapp einen Meter groß und hat schulterlanges blondes Haar mit einem Pony. Sie ist eher blass, auch wenn sie jetzt nach dem Sommer eine leichte Bräune hat, und über ihre Nase verläuft ein markanter Streifen Sommersprossen. Blaue Augen, die Brauen sind etwas dunkler als die Haare und klar konturiert. Bei ihrem Verschwinden trug sie einen SpongeBob-Pyjama.

Sollte jemand diese Mail lesen und glauben, sie möglicherweise gesehen zu haben, möchte er bitte – auch wenn es nur eine Vermutung ist – Sgt. Nathalie Morrow von der Bournemouth CID unter 555-6724 anrufen oder direkt Kontakt zu mir aufnehmen. Wir sind alle verzweifelt. Bitte helfen Sie/helft uns.

Liebe Grüße, namaste,

Maria

Was geschah wirklich mit Coco?

Zum Autor

Alex Marwood ist das Pseudonym einer bekannten britischen Journalistin. Für ihre Romane Im Schatten der Lüge und Der Killer von nebenan wurde sie unter anderem mit dem Edgar Award und dem Macavity Award ausgezeichnet. Alex Marwood lebt in London.

Lieferbare Titel

Der Killer von nebenan

Alex Marwood

Niemand weint um dich

Thriller

Aus dem Englischen von Barbara Häusler

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Die Originalausgabe The Darkest Secret erschien 2016 bei Sphere, Little, Brown Book Group, London.
Copyright © 2016 by Alex Marwood Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Redaktion: Birgit Groll Umschlaggestaltung: Hafen Werbeagentur, Hamburg Umschlagabbildung © Trevillion Images (Mark Owen, Jake Olson), Gettyimages (Chinaface) Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-22463-9

In Euren Briefen, bitt ich,Wenn Ihr von diesem Unheil Kunde gebt,Sprecht von mir, wie ich bin, verkleinert nichts,Noch setzt in Bosheit zu. Dann müsst Ihr meldenVon einem, der nicht klug, doch zu sehr liebte.

William Shakespeare, Othello

Wenn ein Mann seine Geliebte heiratet, wird eine Stelle frei.

James Goldsmith

An: Kunden, Medien, Kontakte

Betreff: DRINGEND, KIND VERMISST, BITTE WEITERLEITEN

Datum: 31. August 2004

Anhang: Coco.jpg, Armband.jpg

Liebe alle!

Entschuldigung für diese Rundmail, aber ich brauche dringend Unterstützung.

Meine Patentochter Coco Jackson ist in der Nacht von Sonntag auf Montag (29./30. August) aus dem Ferienhaus ihrer Familie in Bournemouth verschwunden, wo diese ein verlängertes Wochenende verbrachte. Coco ist drei Jahre alt.

Wie die Polizei sagt, sind in Fällen von Kindesentführung die ersten 48 Stunden von entscheidender Bedeutung, die Zeit drängt also. Ich bitte deshalb dringend, diese E-Mail an jeden weiterzuleiten, der vielleicht darauf reagieren und sie ebenfalls weiterleiten würde. So können wir sowohl die Aufmerksamkeit für Cocos Situation erhöhen als auch die Chance, dass sie wohlbehalten wieder nach Hause kommt.

Coco ist knapp einen Meter groß und hat schulterlanges blondes Haar mit einem Pony. Sie ist eher blass, auch wenn sie jetzt nach dem Sommer eine leichte Bräune hat, und über ihre Nase verläuft ein markanter Streifen Sommersprossen. Ihre Augenfarbe ist Blau, die Brauen sind etwas dunkler als die Haare und klar konturiert. Bei ihrem Verschwinden trug sie einen SpongeBob-Pyjama.

Äußerst wichtig ist auch das Armband, das sie trug und das Robert und ich ihr zur Taufe geschenkt haben. Es ist so gearbeitet, dass man es nur schwer abbekommt, ihr Entführer könnte es also bislang vielleicht noch nicht geschafft haben, es ihr abzunehmen. Es ist aus 22-karätigem Gold mit Stempel, auf der Außenseite ist ein Herzmuster eingraviert und auf der Innenseite ihr Name und ihr Geburtsdatum (11.7.01).

Ich hänge ein Foto von Coco an, das am betreffenden Wochenende während des Familienaufenthalts aufgenommen wurde, und eines vom Armband ihrer Zwillingsschwester, das ihrem exakt gleicht.

Bitte, bitte: Schicken Sie/schickt diese Mail an so viele Leute wie möglich. Ich kann nicht genug betonen, wie wichtig es ist und wie dankbar wir dafür wären. Cocos Eltern sind völlig außer sich, und wir machen uns alle schreckliche Sorgen.

Sollte jemand diese Mail lesen und glauben, sie möglicherweise gesehen zu haben, möchte er bitte – auch wenn es nur eine Vermutung ist – Sgt. Nathalie Morrow von der Bournemouth CID unter 555-6724 anrufen oder direkt Kontakt zu mir aufnehmen. Wir sind alle verzweifelt. Bitte helfen Sie/helft uns.

Liebe Grüße, namaste,

Maria

P1 ZEUGENAUSSAGE

Emilia Pereira

Kindermädchen der Familie

17. September 2004

Als Erstes möchte ich sagen, dass mich Mrs Jackson am Mittwoch, bevor sie losgefahren sind, gefeuert hat und ich nicht mal dort war. Sie hat mich rausgeschmissen, weil sie völlig übergeschnappt ist wegen ihrem Mann. Sie dachte, dass jede Frau, die in seine Nähe kommt, versucht, ihn sich zu schnappen, aber das habe ich nicht. Ich fand ihn gruselig. Ständig stand er viel zu nah neben einem und hat mich so Sachen gefragt – wie ob ich einen Freund hätte – und Gründe gesucht, mich anzufassen. Wundert mich nicht, dass sie misstrauisch war, mir gegenüber hätte sie das aber nicht sein müssen.

Nachdem sie mich gefeuert hat, bin ich zu meiner Freundin Lisa Mendes nach Stevenage, weil sie mir keine richtige Kündigung gegeben hat, bloß meinen Lohn in bar und den Auftrag, meine Sachen zu packen, und ich wusste nicht, wo ich hinsollte. Ich habe bei Lisa auf dem Fußboden geschlafen und auf einen Flug zurück nach Lissabon gewartet, als Coco verschwunden ist und Sie mich verhaftet haben, als wär ich eine Kriminelle. In den sechs Monaten seit Mr Jackson das Haus in Sandbanks gekauft hat, war ich nicht ein einziges Mal in der Nähe davon. Ich glaube, sie haben ein Wochenende dort verbracht, bevor die Handwerker rein sind, aber dann kamen sie früher zurück, mit total schlechter Laune. Darum hat es mich gewundert, dass er seinen Geburtstag dort feiern wollte. Ich hätte eher mit Dubai oder so was gerechnet, wenn Sie verstehen, was ich meine.

Ich weiß nur, dass an diesem Wochenende der fünfzigste Geburtstag von Mr Jackson war und er monatelang vorhatte, ein Riesenfest in dem Strandhaus zu veranstalten. Ungefähr einen Monat davor hat er dann seine Meinung geändert – vielleicht ist ihm ja aufgegangen, dass die Leute den weiten Weg dorthin nicht machen wollen – und die große Party stattdessen für London geplant und an dem Wochenende selbst nur ein kleineres Fest. Irgendwie war es eine Erleichterung, dass Mrs Jackson mich rausgeworfen hat, weil ich weiß ja, wie Partys bei denen sind. Ich hätte an dem verlängerten Wochenende rund um die Uhr arbeiten müssen. Ihre Freunde sollten da sein, und das sind keine Leute, die sich von ihren Kindern gern den Spaß verderben lassen. Wirklich, auch wenn sie mich nicht gefeuert hätte, wollte ich sowieso aufhören, weil das sind keine guten Menschen.

Drei Jahre habe ich für sie gearbeitet, seit kurz nach der Geburt der Zwillinge, aber, wie gesagt, das sind keine guten Menschen. Ich bin wegen der guten Bezahlung geblieben, gemocht habe ich Mrs Jackson aber nie. Sie ist faul und eingebildet und unfreundlich. Nach drei Jahren hat sie immer noch nicht gewusst, wann mein Geburtstag ist oder sonst was über mich, wirklich. Sie hat nie mit mir geredet oder mich was gefragt, immer bloß rumgemäkelt und mir Sachen aufgetragen. Mit der ganzen freien Zeit, die sie tagsüber durch mich hatte, hat sie überhaupt nichts angefangen, ist bloß zum Friseur, zur Kosmetikerin und zum Shoppen und hat sich zurechtgemacht, um abends mit ihm auszugehen. Wenn er in London war, sind sie immer ausgegangen. Die haben praktisch in Restaurants gewohnt, aber sie schien nie dafür dankbar zu sein, was sie durch ihn hatte. Und wenn er weg war, hatte sie immer miese Laune, hat ihm ständig gesimst und sich in ihr Zimmer verzogen. Ich denke, sie hat die kleinen Mädchen schon geliebt, am Ende hat sie sich aber immer für das entschieden, was er wollte, und nie viel Zeit mit ihnen verbracht. Ich weiß nicht, vielleicht sind reiche Leute ja so. Trotzdem verstehe ich nicht, wieso man erst Kinder kriegt und dann nicht mit ihnen zusammen sein will.

Ich wollte eigentlich gar nicht so lange dableiben, aber ich hab die kleinen Mädchen so gern gehabt. Dass irgendwer auch nur denkt, ich hätte Coco was angetan, macht mich rasend. Ich hatte nicht mal Gelegenheit, mich von ihnen zu verabschieden, als sie mich rauswarf, und jetzt fühl ich mich schrecklich, weil ich Coco da zum allerletzten Mal gesehen habe.

Ich bin am Mittwochnachmittag nach Stevenage und bis Dienstag drauf dort geblieben, als dann plötzlich die Polizei bei meiner Freundin auf der Matte stand. Die meiste Zeit war ich mit anderen zusammen – ich habe Freunde in der Gegend und wollte noch ein bisschen Zeit mit denen verbringen, bevor ich wieder nach Portugal gehe. Jedenfalls war ich nie lange genug allein, um nach Bournemouth und wieder zurück zu fahren, ohne dass das jemand mitbekommen hätte. Ich habe keine Ahnung, was an diesem Wochenende im Haus der Jacksons abgelaufen ist, und keinen Schimmer, was Coco Jackson zugestoßen ist.

P1 ZEUGENAUSSAGE

Janusz Bieda

Bauarbeiter

Festgenommen von der Krakauer Polizei

Übersetzt am 15. September 2004

Ich kannte die Familie Jackson nicht und bin Mr Jackson erst drei Mal begegnet. Ich habe zusammen mit Karol Niemiec, Tomasz Zdanowicz und meinem Bruder Gabriel Bieda einen Swimmingpool auf dem Grundstück von Seawings installiert, dem Nachbarhaus von Harbour View. Wir hatten schon eine Woche dort gearbeitet, und das Projekt lief aus dem Ruder, denn der Pool war eine Maßanfertigung mit einem Porträt des Eigentümers als Wassermann und musste in einem Stück mit dem Kran eingelassen werden. Das dafür vorgesehene Loch auszuheben stellte sich als schwieriger heraus als angenommen, weil es bis unter den Grundwasserspiegel reichte. Wir mussten eine Hebeanlage auftreiben und mieten, und der Job weitete sich aufs Wochenende aus.

Mr Jackson und seine Freunde trafen am Donnerstagnachmittag ein, und am Freitag war er schon da, um sich über den Lärm zu beschweren. Wir fanden das lustig, da wir wussten, dass er den ganzen Sommer über selber Bauarbeiter im Harbour View hatte und sich keinen Deut um die Nachbarschaft geschert hat. Am Samstagmorgen kam er dann noch mal und wollte wissen, wie lange wir noch arbeiten würden. Als wir ihm sagten, dass es sich wohl bis in den Abend reinziehen würde, erklärte er uns, er würde eine Geburtstagsparty feiern, und bot uns eine beträchtliche Summe dafür, die Arbeit bis Sonntagnachmittag zu unterbrechen. Weil der Kran wegen des Feiertags am Montag nicht vor Dienstag zurückgegeben werden konnte, nachdem sich die Arbeit bereits auf den Freitag ausgedehnt hatte, willigten wir ein und teilten uns das Geld. Mein Bruder und ich wollten für einen Monat nach Polen zu unseren Familien zurück, sobald der Job erledigt war, und Karol und Tomasz waren froh, die paar Tage länger bleiben zu können. Sie wollten das Abdichten und Pflastern noch zu Ende bringen und die Rückgabe des Krans beaufsichtigen und uns dann nachkommen. Am Samstag gingen wir Geschenke für unsere Familien kaufen und waren am Sonntag vor dem Mittagessen wieder zurück. Im Haus der Jacksons war es still, das wunderte uns aber nicht, weil Mr Jackson angedeutet hatte, dass es bei seiner Party spät werden könnte.

Am Sonntagnachmittag kam er dann noch mal, kurz nachdem wir die Arbeit wieder aufgenommen hatten. Er gab mir eine Flasche Whisky als Dank dafür, dass ich die Arbeiten ausgesetzt hatte. Er hatte Coco dabei. Ihrer Schwester war in der Nacht nicht gut gewesen, und sie war nicht dabei. Die beiden sahen vergnügt und entspannt aus, und er war viel freundlicher als vorher. Sie war ein niedliches kleines Mädchen in einem rosa Kleid, und obwohl sie ein wenig schüchtern war, taute sie auf und schien fröhlich.

Die Arbeit ging gut voran, und Sonntagabend nahmen Gabriel und ich die Fähre um 23 Uhr 30 ab Portsmouth; Bournemouth verließen wir so gegen 20 Uhr. Wir haben die Fahrkarten noch, und ich bin sicher, die Videoüberwachung wird bestätigen, dass wir an Bord waren. Erst am darauf folgenden Abend rief Karol an und erzählte uns, was passiert war. Sie verfugten am Montagmorgen gerade die Pflastersteine rund um den Pool, als der Tumult nebenan losging. Da sie schon um sechs angefangen hatten, um Zeit aufzuholen, schätzt er, dass es so um 10 Uhr 30 gewesen sein muss. Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht weiter behilflich sein kann, aber wie Sie sehen, hatte ich das Land bereits verlassen, als das Kind verschwand. Wir sind alle schockiert, dass Sie auch nur angenommen haben, wir hätten möglicherweise etwas damit zu tun.

Ich habe Coco Jackson zum letzten Mal am Sonntagnachmittag gesehen. Aus der Entfernung wirkten die Mädchen gepflegt und gesund, obwohl ich ja nur mit Coco geredet habe. Aber ich sah auch die andere, und auch ihr schien es gut zu gehen. Mr Jackson war eindeutig ein treu sorgender Vater und hatte Coco die ganze Zeit an der Hand, während er mit uns sprach.

P3 ZEUGENAUSSAGE

Charles Clutterbuck

Gast

Aufgenommen von der Metropolitan Police

3. September 2004

… so um drei sind Imogen und ich dann ins Bett, und als wir am Sonntag um elf wieder aufstanden, hatte es eine weitere Auseinandersetzung zwischen Claire und Sean gegeben, und sie war nach London abgedampft. Niemand von uns war deswegen besonders besorgt. In dieser Ehe ging es schon immer hitzig zu, und es war keineswegs das erste Mal, dass sie sich wutentbrannt davonmachte. Um die Wahrheit zu sagen – das muss aber strikt entre nous bleiben –, fanden wir, dass er einen Fehler gemacht hatte, sich von seiner ersten Frau scheiden zu lassen, die immerhin nicht ausfällig wurde, und sie zu heiraten. Claire ist keine gebildete Frau, wenn Sie verstehen, worauf ich hinauswill, und hat eine schreckliche Veranlagung, sich angegriffen zu fühlen und beleidigt zu sein. Ich weiß, dass meine Frau Patin von Ruby ist, aber seit einiger Zeit finden Imogen und ich, dass es vielleicht klüger wäre, sich ein bisschen von ihnen zurückzuziehen. Ich weiß, es klingt vielleicht hart, aber die Leute, mit denen man verkehrt, können der politischen Karriere schaden, und ich habe gegenüber meiner Partei eine gewisse Verantwortung und will sie nicht in Verruf bringen.

Sean war eindeutig gedämpfter Stimmung, als die Zwillinge und die Orizio-Kinder aufstanden, und wir haben den Tag sehr ruhig verbracht. Am Nachmittag haben wir die Kinder ins Neptune’s Kingdom, also in dieses Erlebnisbad, geschickt, zusammen mit den Müttern, die in ihrer Nähe bleiben wollten, sowie mit meiner Frau Imogen und der Tochter der Gavilas, die im Teenageralter ist. Ruby, die sich nicht ganz wohlfühlte, haben wir mit irgendeiner Zeichentrickserie vor den DVD-Player gesetzt, Dora, glaube ich, hieß sie. Keinem von uns ist in den Sinn gekommen, dass irgendetwas merkwürdig daran sein könnte, dass die Mutter der Zwillinge sie nicht einfach mit nach London genommen hat. Ehrlich gesagt, war es auch nicht anders zu erwarten gewesen. Wie gesagt, sie ist eine, die gern abhaut, und wahrscheinlich dachte sie, sie würde ihm damit eine Lektion erteilen. Außerdem waren wir vermutlich alle mehr oder weniger verkatert und dachten nicht besonders klar. Den Großteil des Nachmittags haben wir im Wohnzimmer verbracht, Reste gegessen und die Wochenendzeitungen gelesen. Es hatte eine Drohung gegeben, in der Partei könne es zu irgendeinem Skandal kommen, und ich war erleichtert, keine Spur davon zu entdecken.

Die anderen Kinder sind so um fünf wiedergekommen. Sie waren ein bisschen quengelig, nicht weiter erstaunlich, schließlich war es ein langes Wochenende gewesen, und das gemeinsame Teetrinken, das Baden und Ins-Bett-Bringen waren kaum auszuhalten. Um acht lagen sie in der Falle und haben alle durchgeschlafen, so übermüdet wie sie waren. Die Orizio-Kinder schliefen auf Luftmatratzen im Zimmer ihrer Eltern, und die der Gavilas waren übers Wochenende im Anbau untergebracht gewesen. Sie sind aber an diesem Abend zusammen mit ihren Eltern auf ihrem Boot wieder nach London zurückgefahren. Coco und Ruby teilten sich das Einzelbett im Zimmer des Hausmädchens im Erdgeschoss. Sie hatten vor Kurzem beide angefangen schlafzuwandeln, und wir hielten es alle für sicherer, sie von der offenen Treppe fernzuhalten. Diese Dinger mit offenen Trittstufen sind wirklich nicht für Kleinkinder gemacht. Sean hatte ein drahtloses Babyphon bei sich im Zimmer, hat in dieser Nacht aber nichts gehört. Als entdeckt wurde, dass Coco verschwunden war, stellte sich heraus, dass es irgendwann an diesem Wochenende ausgeschaltet worden war, ohne dass er es bemerkt hatte.

Mein Fahrer kam und holte mich und Imogen am Montag früh um halb neun ab, also am Feiertag, und um halb elf waren wir wieder in unserem Haus in London. Wir sind aufgestanden, haben gefrühstückt und sind weg, bevor sonst jemand wach war. Es kam uns überhaupt nicht in den Sinn, ins Zimmer der Zwillinge zu schauen; wir hatten zu tun und waren spät dran. Als Sie anriefen, saß ich in meinem Büro in Westminster an den Vorbereitungen für die nächste Parlamentsperiode. Also lange bevor die ersten Abendzeitungen mit den Meldungen rauskamen …

P3 ZEUGENAUSSAGE

Maria Gavila

Gast

12. September 2004

… es war ein großartiges Wochenende. Fantastisches Wetter und tolle Gäste, die Kinder haben sich blendend vertragen und am Strand und Sonntagnachmittag im Neptune’s Kingdom einen Riesenspaß gehabt. Ich kann einfach nicht fassen, dass so ein wunderbares Wochenende so übel endete. Ich glaube, ich stehe immer noch unter Schock. Mein Mann Robert ist schon seit Jahrzehnten mit Sean Jackson befreundet, seit sie sich an der Universität kennengelernt haben, und Charles Clutterbuck kennt Sean ähnlich lange. Linda Innes ist eine Freundin jüngeren Datums; sie hat ein paar Jahre als Innenarchitektin für Jackson Enterprises gearbeitet, und zwischen den beiden ist eine feste Freundschaft entstanden. An diesem Wochenende bin ich zum ersten Mal ihrem Lebensgefährten begegnet, Dr. James Orizio, aber soviel ich weiß, ist er ziemlich bekannt und angesehen. Er hat eine Praxis in der Harley Street, die mehrere meiner Kunden sehr empfehlen. Ich arbeite nämlich als Medienberaterin, und mein Mann ist Anwalt, und wir haben ziemlich gute Kontakte zu Leuten aus dem Showbusiness.

Wir sind Sonntagabend abgereist, nachdem wir mit den Kindern, außer Ruby, in diesem Erlebnisbad waren. Robert war im Haus geblieben und hatte sich ausgeruht, weil er unser Boot, die Gin O’Clock, nach Brighton raufsteuern musste. Sie liegt normalerweise in den Katherine Docks in London, und für einen Tag ist die Strecke zu weit. Wir hatten unseren Sohn Joaquin und Roberts Tochter Simone dabei und haben die Nacht im Jachthafen von Brighton verbracht. Dort haben wir in einem Restaurant spät zu Abend gegessen und sind am nächsten Morgen nach London aufgebrochen. Sean hat uns am Montag um drei Uhr nachmittags angerufen, als wir gerade in die Themsemündung einliefen. Nachdem wir angelegt hatten, bin ich sofort mit dem Taxi in mein Büro in Soho gefahren. Robert hat unser Gepäck und die Kinder heimgebracht und ist später zu mir gekommen.

Die Findet-Coco-Aktion habe ich so schnell wie möglich zum Laufen gebracht. Ich habe große Erfahrung darin, in kürzester Zeit Medienkampagnen auf die Beine zu stellen, sei es, um Kunden dabei zu helfen, sich günstige Umstände zunutze zu machen, oder mich im gegenteiligen Fall um schnelle Schadensbegrenzung zu kümmern. Außerdem weiß ich, dass man in Fällen von Kindesentführungen schnell handeln muss. Ich hatte eine E-Mail aufgesetzt, die ich Montagabend an mein gesamtes Adressbuch senden wollte, wartete damit aber bis Dienstag früh, damit sie in den Posteingängen der Leute ganz oben wäre, wenn sie sich einloggten …

P4 ZEUGENAUSSAGE

Camilla Jackson

Halbschwester von Coco Jackson

2. September 2004

Ich weiß nicht, was ich sagen könnte, das irgendwie weiterhilft. Meine Schwester India und ich waren Donnerstag im Harbour View, sind Freitag aber schon wieder nach London zurück. Wir verstehen uns nicht mit unserer Stiefmutter. Nichts Besonderes, wissen Sie, also wir beschimpfen uns nicht gegenseitig oder so. Aber sie hat sich nie besonders Mühe gegeben, mit uns klarzukommen, darum finden wir es ziemlich witzlos, zu versuchen, mit ihr klarzukommen. Wir waren stinksauer, weil Dad vergessen hatte, dass wir kommen, dabei war doch sein Geburtstag, und der stand schließlich schon ewig im Terminkalender. Als wir mitgekriegt haben, dass Claire irgendeinen Wutanfall wegen dem Kindermädchen hatte und wir das ganze Wochenende über unbezahlt Babysitter spielen sollten, sind wir wieder gegangen.

Ja, stimmt, ich hab gesagt, dass wir uns mit unserer Stiefmutter nicht verstehen. Wieso fragen Sie? Sie glauben doch nicht im Ernst, dass wir deswegen unsere eigene Schwester kidnappen, oder? Claire ist einfach eine dumme Kuh, verstehen Sie. Sie hat unserer Mutter unseren Vater ausgespannt und unsere Familie kaputt gemacht. Finden Sie, ich müsste sie mögen? Sie hat doch selbst nie was dafür getan, um mit uns auszukommen. Ich hab aber, ehrlich gesagt, auch keine besonders starken Gefühle für Coco und Ruby – jedenfalls nicht, bis das alles passiert ist. Es ist furchtbar. Das Schlimmste, was unserer Familie je zugestoßen ist. Ich wach immer noch nachts auf, weil ich träume, dass sie tot ist.

Wir haben jedenfalls den Zug zur Waterloo Station genommen und sind heimgefahren. Unsere Mutter war in Schottland, weil sie ja dachte, wir wären übers Wochenende weg, deshalb haben wir Freunde gefragt, ob wir bei ihnen übernachten können. Dort waren wir bis Montag. Die meiste Zeit haben wir auf dem Computer gespielt und DVDs geguckt. Also, wenn Sie die Namen von den Leuten wollen, die uns ein Alibi geben können …

Kapitel 1

2004 / Sonntag / 4:45 Uhr / Sean

Er wartet, während sie ihr Kleid hochzieht, dann hilft er ihr mit dem Reißverschluss. Im grauen Licht der Dämmerung sieht sie verbraucht aus, ihr blondes Haar eher ordinär als üppig, und ihre Stirn glänzt von zu viel Pflegecremes. Aber immer noch besser als die fast zehn Jahre jüngere Frau, die vor ihnen über die Rasenfläche davonstürmt. Mit einem Mal spürt Sean jedes einzelne seiner fünfzig Jahre. In ein paar Stunden werde ich einen höllischen Kater haben, denkt er. Und ich wette drauf, dass Claire mir das wohl kaum durchgehen lässt, nur weil das mein Geburtstagswochenende ist.

»Scheiße«, sagt Linda. »Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße.«

Gedankenverloren streckt er die Hand aus und massiert ihre Nackenmuskeln. Sie sind verspannt, hart wie Granit. Er weiß genau, dass sie das vor zehn Minuten noch nicht waren, als er sie dort berührt hat. Claire verdirbt einfach alles.

»Das kommt schon wieder in Ordnung«, meint er.

Mit zusammengekniffenen Augen fährt sie zu ihm herum, und noch immer zeigt sich keine Falte auf der glänzenden Haut ihrer Stirn. »Und wie, Sean? Los. Sag’s mir. Glaubst du etwa, sie wird das für sich behalten? Es einfach kommentarlos übergehen? Sie wird bei ihren Anwälten sein, noch bevor die Kanzlei überhaupt aufmacht. Du suchst besser schon mal euren Ehevertrag raus, denn den wirst du dringend brauchen.«

Sean setzt sich auf die nächstbeste Sonnenliege. »Vielleicht ist es besser so.«

»Besser für wen?«, fährt sie ihn an.

»Für … na ja, wir haben doch ohnehin nicht mehr die geringste Chance. Ich kann mich nicht mal mehr erinnern, warum ich sie geheiratet habe. Tut mir nur leid für die Kinder, das ist alles. Sie verdienen was Besseres als das. Und weißt du, wenn alles rauskommt, können du und ich …«

Mit überrascht aufgerissenem Mund fährt sie zurück. »Können du und ich was?«

Er starrt sie ebenfalls erstaunt an. »Ich dachte …«

»Was denn? Dass das hier so was ist wie … Romeo und Julia in ihren besten Jahren? Das hast du doch nicht wirklich gedacht, oder?«

»Na ja, nein. Nicht grade Romeo und Julia, aber …« Er stößt ein kurzes hässliches Lachen aus, um seine Würde zu retten.

»Du lieber Himmel! Ich bin verheiratet, Sean.«

»Nicht wirklich«, erwidert er und setzt sein Ungezogener-Junge-Lächeln auf. »Und ich im Übrigen auch.«

Ihr angewiderter Blick spricht Bände.

»Okay«, meint er. »Dann wissen wir zumindest, wo wir stehen.«

»Ach, spiel jetzt nicht den verletzten Liebhaber. Das funktioniert nicht. Los, wir gehen besser zurück. Ich muss zu meinem Lebensgefährten und Vater meiner Kinder, bevor sie es tut.«

Sie beugt sich vor, um eine goldfarbene Riemchensandale wiederzufinden, die sie im Eifer des Gefechts verloren hat und die jetzt neben einer steinernen Urne liegt, die mit blühendem Männertreu bepflanzt ist. Es hat exakt die gleiche Farbe wie die Spitze, aus der ihr Kleid gemacht ist. Sean ist immer wieder verblüfft, wie viel Zeit und Konzentration die Frauen in seiner Umgebung auf diese Dinge verwenden, Geschäft um Geschäft durchkämmen, sich vor bodentiefen Spiegeln drehen und verrenken und dabei die Stirn runzeln, als hinge von ihrer Entscheidung der Fortbestand des Universums ab. Ein Teil von ihm bewundert das – andernfalls würde er sich nicht zu diesen aufmerksamkeitsheischenden Frauen hingezogen fühlen –, mit dem Älterwerden fängt er allerdings an, sich nach Einfachheit zu sehnen, nach Unkompliziertheit, nach einem natürlichen Geschöpf, das weniger diesen Schnickschnack und stattdessen ihn als Mann höher schätzt.

»Mist, die ist kaputt«, sagt sie und starrt bedauernd auf einen goldfarbenen Lederstreifen, der nutzlos in der feuchten Luft baumelt.

»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Seanie«, sagt er nachdenklich.

»Du lieber Gott, also wirklich, Mann.«

Sie zieht die andere Sandale aus und geht vor ihm los über den Rasen, Schritt für Schritt den gleichen Weg wie Claire einige Minuten zuvor. Sean seufzt und setzt sich hinter ihr ebenfalls in Bewegung. »Komm mir doch nicht nach«, zischt sie ihm über die Schulter zu. »Mach einen Spaziergang oder sonst was. Wir sollten nicht zusammen zurückkommen. Vielleicht kann ich sie abfangen und umstimmen, wenn ich allein bin.«

Das bezweifle ich stark, denkt er. »Und du meinst, das hätte irgendeinen Sinn?«

»Allerdings! Kann ja sein, dass deine Ehe am Arsch ist, das heißt aber nicht, dass meine Beziehung auch am Ende sein muss. Los, hau ab!«

Sie gestikuliert in Richtung eines rechts abgehenden Wegs, der zum Eingangstor und zur Fähre hinunterführt. Sean zuckt mit den Achseln und dreht ab.

Wahrscheinlich ist es am Ende gut so, denkt er, während er in seinem taufeuchten Hemd davontrottet. Aus seinem vollen sandfarbenen Haar, auf das er so stolz ist, hat sich aus der Gelschicht eine Strähne gelöst und hängt ihm übers Auge. Diese Sache ist zwar nichts, worauf ich mir was einbilden könnte, aber ich bin lieber der Böse, als sie fallen zu lassen, weil sie ein Ekel ist. Und das ist sie. Ich weiß nicht, warum ich das nicht gesehen habe, bevor es zu spät war.

»Du solltest aufhören, mit dem Schwanz zu denken, Seanie, alter Junge«, sagt er laut in die stille Luft. Das zahlt sich nie aus. Solche Frauen können die Performance nur eine gewisse Zeit durchhalten. Sobald sie die Heiratsurkunde haben, werden die Blowjobs weniger, und die Kopfschmerzen fangen an. Mein Gott, denkt er, dieses Jahr hab ich nicht mal ein Geschenk zum Geburtstag bekommen, dabei ist es ein runder. Man hätte doch meinen können, dass sie sich wenigstens an diesem Wochenende ein bisschen ins Zeug legt. Kein Wunder, dass ich gezwungen bin, mich anderweitig umzuschauen.

Der Gartenpavillon ist vollgemüllt mit Überbleibseln der Party. Umgefallene Champagnergläser liegen auf dem Tisch, und neben dem Sofa stehen aufgereiht drei leere Flaschen auf der Erde. Im Aschenbecher liegt noch eine nur halb gerauchte Cohiba. Er nimmt sie und steckt sie an, damit sie ihm beim Weitergehen Gesellschaft leistet. Sie verleiht ihm etwas Schmieriges, aber das passt ja ganz gut zu seiner gegenwärtigen Stimmung.

Er beschließt, zum Seawings rüberzugehen und einen Blick auf den Fortschritt der Bauarbeiten dort zu werfen. Selbst in misslichen Situationen kann Sean einer schönen Baustelle nie widerstehen, und seine Beziehungen zu den Polen, die auf dieser arbeiten, waren nicht gerade so innig, als dass er sich in ihrer Anwesenheit einmal gründlich umgesehen hätte. Er schlüpft durchs Eingangstor von Harbour View und huscht in den Schatten des auf der zweispurigen Straße abgestellten Baggers. Obwohl er nichts wirklich Unrechtes tut – allenfalls ein bisschen widerrechtliches Betreten eines Grundstücks in einem minderschweren Fall –, will er nicht um fünf Uhr früh dabei gesehen werden, weil er keine plausible Erklärung dafür liefern könnte.

Neben der Fahrerkabine des Baggers steht ein kleiner Kran, dessen lange spinnenbeinartige Ketten bereits gelöst und auf der Poolböschung ausgebreitet sind, bereit dafür, in den Öffnungen an den Rändern des Beckeneinsatzes befestigt zu werden. Dieser wurde auf den Kopf gestellt, um den Regen abzuhalten, der nicht gekommen ist, und er sieht aus wie eine Domkuppel. Mit seinen Abendschuhen klettert er die Böschung hoch, wobei die Ledersohlen rutschig auf dem sandigen Matsch sind. Der Beckeneinsatz ist ein gutes, solides Teil, auch wenn das blaue Kunststoffbecken viel dicker und schwerer ist als wirklich erforderlich. Typisches Amateurunternehmen, denkt er mit jener Selbstgefälligkeit, die das Überprüfen der Arbeit anderer zu einem solchen Vergnügen macht. Das Becken von Harbour View ist halb so dick und halb so teuer und brauchte auch nicht diese ganzen teuren Gerätschaften, um es an Ort und Stelle zu manövrieren, sondern lediglich acht kräftige Bauarbeiter mit viel Gefluche. Im Vorbeigehen klopft er dagegen, und es gibt ein angenehmes hohles Dröhnen von sich.

Das Durcheinander hier oben ist ihm vertraut. Handwerkerkram: Leitern, Eimer und zum Verlegen aufgestapelte Steinplatten, daneben ein Betonmischer für die Versiegelung der Poolränder, sobald das Becken eingelassen ist. Dazu ein Berg abgeschlagener Verputz und weiterer auf Entsorgung wartender Bauschutt, der von einem Gartensitzplatz aus den Siebzigern stammt, dessen aberwitziger Fußbodenbelag herausgerissen wurde, um Platz für den Pool zu schaffen. Neben der Haustür liegen Spaten, Hacken und Schleifwerkzeuge – eine Einladung an vorbeikommende Diebe. So etwas würde seinen Arbeitern eine lehrreiche Geldbuße einbringen, sollte er derlei bei einem seiner eigenen Bauprojekte sehen. Auf seiner Seite des Rasens liegt ein neues Sprungbrett, dessen hinteres Ende in ein Blumenbeet ragt und die Hortensien zerdrückt. Er zieht es im Vorbeigehen heraus und mokiert sich kopfschüttelnd darüber, wie jemand etwas so Herrliches und Empfindliches mit derart fahrlässiger Geringschätzung behandeln kann. Einige Zweige sind komplett abgebrochen.

Innerhalb der Umzäunung ist der Garten von Leyland-Zypressen eingefasst. Im Allgemeinen lästiges Unkraut, aber der magere Boden hier wird sie in Schach halten, zumindest vorerst. Es wird eine ganze Weile dauern, bis sie groß genug sind, um den Garten von Harbour View zu beeinträchtigen, das bis dahin längst verkauft sein wird. Buchen. Er persönlich liebt stattliche Buchen. In ein paar Wochen wird sich ihr Grün in Gold verwandeln und in der Landschaft aufleuchten wie Lichter, wohingegen diese Dinger hier das ganze Jahr über schwärzlich grün bleiben. Es geht alles so schnell vorbei, denkt er. Wie die letzten zehn Jahre: Es kommt mir so vor, als wäre es gestern gewesen, dass ich vierzig wurde, und ich habe nicht die Hälfte von dem gemacht, was ich mir geschworen hatte, dieses Jahr mal alleine zu unternehmen. Im Gegensatz zu allen anderen in der Geschäftswelt habe ich immer noch keinen eisgekühlten Cocktail am Fuß des Ayer’s Rock getrunken, bin noch nicht in meinem eigenen Helikopter geflogen und auch noch nicht mit Haien geschwommen. Ich dachte immer, es wäre Heather, die mich davon abhält und meine Träume zum Platzen bringt, aber Claire hat dasselbe gemacht, und ich bin immer noch genauso im Hamsterrad wie eh und je. Vielleicht sollte ich mich der Tatsache stellen, dass es an mir liegt und gar nicht an ihnen. Ich bin nicht der Freibeuter wie in meinen Fantasien, sondern nur ein Mann mittleren Alters, der hofft, bei der nächsten Scheidung nicht seine gesamten Ersparnisse zu verlieren. Gott sei Dank habe ich diesmal einen Ehevertrag.

Er ist jetzt am Rand der Grube angelangt, die sie für den Pool ausgehoben haben. Sie ist irritierend tief, genau wie der Beckeneinsatz an seinem tieferen Ende, und er bezweifelt, dass das Teil bis zum Rand hinaufreichen wird. Möglicherweise haben sie ja vor, die Grube zunächst mit dem Bauschutt aufzufüllen. Das wäre sicher die sparsamste Methode, ihn loszuwerden, statt für die Deponie zu löhnen.

Die Arbeiter haben Wort gehalten und für die Zeit ihrer Abwesenheit sogar die Hebeanlage ausgeschaltet. Der Boden der Grube hat sich mit Wasser gefüllt, schwarz, brackig und mit salzigen Schaumkronen. Wenn der durchschnittliche Hausbesitzer wüsste, denkt er, wie viele dieser glatten, teuren Wände einfach nur aus mit Schutt gefüllten und mit Rigips verkleideten Drahtkäfigen bestehen, würde wohl kaum jemand so mit seinem Geld um sich werfen, als wären sie für die Ewigkeit.

Draußen auf der Einfahrt hört er das Piepsen und Zuschlagen einer Autotür, und Sekunden später heult ein Motor auf und ein Fahrzeug setzt auf die Straße zurück. Hoffentlich ist es Claire, denkt er, rennt mal wieder weg, wie immer. Gut so. Es ist zu spät und ich bin zu müde, um jetzt in die zweite Runde zu gehen.

Seine Laune hebt sich allmählich, und er geht zurück zum Haus. Er stellt häufig fest, dass ihn, sobald ihm Entscheidungen abgenommen werden wie gerade jetzt, als Erstes tatsächlich Erleichterung überkommt. Es war nicht leicht, eine Geliebte und eine Meckerziege unter einen Hut zu bringen. Sollte Letztere ihn wirklich abserviert haben, wäre reiner Tisch gemacht. Niemand mehr, der irgendwelche Illusionen seinetwegen hegt, keine Träume mehr, alles in Stücke zu hauen. Die Kinder werde ich vermissen. Denn wenn ich mit ihr fertig bin, wird zweifellos sie das Sorgerecht bekommen. Wenn es was gibt, was ein Hobbyanwalt wie Robert tun kann, dann doch wohl einen anderen Anwalt auftreiben, der eine ordentliche Scheidung hinkriegt. Und dann bin ich frei. Kein Geschmolle mehr, keine Vorwürfe, kein Wir-können-nicht-wegen-der-Kinder mehr, keine Restaurantbesuche mehr, die von unserer Feindseligkeit ablenken sollen. Meinetwegen kann sie das Haus in London haben. Ich brauche bloß eine schicke Wohnung in einem der angesagten Viertel. Und dann kann ich es mal ein bisschen langsamer angehen lassen. Mir ein großes Haus auf dem Land kaufen, ein paar Partys geben, mich durch meinen Weinkeller arbeiten. Mir geht’s blendend. Auch wenn ich Claire ausbezahlt habe, ist immer noch genug übrig, um sehr lange Zeit gut zu leben.

Beim Näherkommen hört er erhobene Stimmen aus dem Haus dringen. Seine Gäste: Robert und Maria, Linda, Charlie und Imogen, alle sind wach, rufen, schreien, die Frauen hysterisch. Heiliger Strohsack, es ist schon losgegangen, denkt er und verlangsamt seinen Schritt. Man durfte doch wohl annehmen, dass sie den Anstand gehabt hätte, die anderen nicht mit reinzuziehen. Verdammte Claire. Nie zufrieden mit einer Krise, wenn sie ein Drama draus machen kann. Vielleicht sollte ich einfach …

Dann beginnen sich einzelne Worte aus dem Stimmengewirr zu lösen. »Du lieber Gott, Jimmy! Oh, mein Gott, tu doch was! Jimmy!«

Sean rennt los.

Kapitel 2

Als Kind habe ich es oft gehört, bin aber immer noch fassungslos, wenn ich meine Mutter weinen höre.

Ich setze mich auf. Alte, ausgeblichene Jungsbettwäsche mit Schottenmuster und so dünne Kopfkissen, dass es ausrangierte sein müssen, da keinem Menschen einfiele, so etwas neu zu kaufen. Gedämpftes graues Winterlicht fällt durch die Ränder billiger Mietshausvorhänge, dazu eine Ansammlung von Pappkartons und ein Heimtrainer, der als Wäscheständer dient. Ich könnte überall sein. An gestern Abend habe ich kaum eine Erinnerung. Ich meine, wo bin ich überhaupt?

»Mum? Was ist denn los?«, frage ich.

»Tut mir leid, Schatz«, schluchzt sie durchs Telefon. »Ich wollte nicht weinen. Ich meine, ich weiß nicht mal, warum ich es tue. Ich denke, es ist die Vergeudung. Alles, was hätte sein können und nicht war. Ich dachte, es wäre mir schon lange egal.«

Auf den Punkt kommen. Nicht gerade ihr größtes Talent. Endlos mäandert sie mit der Verworrenheit eines metaphysischen Lyrikers um Themen herum. »Was ist denn los, Mum? Alles in Ordnung mit dir?«

Der Körper im Bett neben mir beginnt sich zu rühren. Er hat sich eins seiner traurigen kleinen Kissen über den Kopf gezogen, um das Licht abzuhalten, weshalb ich nicht die geringste Ahnung habe, wie er aussieht. Ich erinnere mich verschwommen an lange dunkle Haare und einen Jesusbart, Haare, die in meinen Mund gerieten und mich zum Kichern brachten. Aber das könnte auch ein Erinnerungsfetzen aus einer anderen Nacht sein, aus einem anderen Kater. Ich weiß nicht mal mehr seinen Namen. Es könnte wer sein, den ich kenne. Irgendwie hoffe ich es. Ist jedenfalls schon vorgekommen. Aber dieses Zimmer mit den Spielkonsolen und den kahlen, magnolienfarben gestrichenen Wänden gibt nichts weiter preis, als dass der Besitzer vermutlich männlich und in seinen Zwanzigern ist.

Sie seufzt, und ihre Stimme fängt sich. »Tut mir leid, Schatz. Ich weiß, ich sollte mich zusammenreißen. Aber ich habe leider schlechte Neuigkeiten. Maria Gavila hat angerufen. Seit gestern versucht sie, dich ausfindig zu machen, was ihr aber nicht gelungen ist, und deshalb hat sie mich angerufen.«

Maria Gavila? Wieso zum Teufel? Ich weiß, dass sie in all den Jahren mit Mum in Verbindung geblieben ist, aber es ist immer noch komisch, ihren Namen zu hören. »Aha«, erwidere ich unverbindlich. So weiß ich wenigstens, dass die schlechten Neuigkeiten nicht Mum oder India betreffen, und die Angst, die mich bei ihrem Weinen befiel, lässt nach. Jetzt, wo ich sitze, ist mir schwindlig. Ich habe einen trockenen Mund, und mir ist schlecht. Zu viele Morgen wie dieser, Mila. Du musst in dich gehen und dein Leben in den Griff kriegen. War es nur Alkohol gestern Abend? Ich weiß noch, dass es mit bitteren braunen Cocktails in einer Bar anfing, für die man einen Mitgliedsausweis braucht. Das ist immer ein schlechter Auftakt. Nichts gegessen. Definitiv nicht. Es müssen also auch Drogen im Spiel gewesen sein, sonst hätte ich irgendwann Hunger bekommen. Deshalb macht Alk einen fett, ganz abgesehen von den Kalorien, die er selber hat. Ich will nicht hier sein, sondern auf magische Weise daheim. »Was wollte sie denn?«

»Milly«, sagt sie, »ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, also sag ich es einfach. Dein Vater. Ich befürchte, dein Vater ist vorletzte Nacht gestorben.«

Irgendwo in meiner Brust gibt es ein dumpfes Geräusch. »Oh«, sage ich. Ich weiß nicht, was ich empfinden sollte, aber im Augenblick empfinde ich, abgesehen von einer sonderbaren Neugier, gar nichts. So ist das also, wenn der eigene Vater stirbt, denke ich. Nichts. Rein gar nichts.

Sie wartet auf eine Reaktion, das kann ich durch die Leitung hindurch spüren. Allerdings weiß ich nicht, wie ich darauf reagieren soll. Seit gut zwanzig Jahren sind sie nicht mehr verheiratet, deshalb glaube ich nicht, dass sie von mir erwartet zu sagen, es täte mir leid. »Weiß India es schon?«, frage ich schließlich. Meine Stimme klingt seltsam dumpf und wie von sehr weit weg.

»Nein, die rufe ich als Nächstes an.«

»Was ist passiert?«

»Ich kenne nicht die ganze Geschichte«, erwidert sie, und an ihrem Ton erkenne ich, dass sie lügt. Meine Mutter war immer eine schlechte Lügnerin. Ständig räuspert sie sich, als steckte die Unwahrheit irgendwo in ihrer Kehle fest und bräuchte Hilfe, herauszukommen. »Er war in einem Hotel. Im Dorchester. Vielleicht haben sie ihr Londoner Haus aufgegeben? Ich weiß, dass sie nach Devon gegangen sind, aber er verbringt so viel Zeit in London … egal, da war er jedenfalls. Anscheinend hat man ihn ins Chelsea and Westminster Hospital gebracht. Sie vermuten einen Herzinfarkt, irgendwann in der Nacht. Die Reinigungskraft hat ihn gestern früh gefunden.«

In meiner Handtasche ist eine Flasche Wasser. Ich drehe den Deckel ab und trinke einen Schluck. Das verschafft mir ein bisschen Bedenkzeit. Ich starre die nackte Wand an und frage mich, was ich tun soll. Eine Zigarette wäre jetzt nicht schlecht, aber wenn das hier ein Mietshaus ist, gehen auf der Stelle die Rauchmelder los. Sean Jackson, mein abwesender Vater, dem sein berühmter Charme und seine Maßanzüge aus der Savile Row jetzt nichts mehr nützen.

»Schatz?«

»Sorry«, sage ich und dann: »Scheiße.«

»Ich weiß«, meint sie, »es ist ein Schock.«

»Ja«, erwidere ich unbestimmt.

»Du kannst Maria anrufen. Sie hat gesagt, sie wäre den ganzen Tag in ihrem Büro. Sie werden eine Autopsie und eine Untersuchung durchführen müssen, weil er alleine war. Oder wenigstens …« Sie verstummt. Offenbar hat sie ihre Meinung geändert, diesen Satz wie geplant zu beenden. »Jedenfalls wird das anscheinend so gemacht, wenn es keine Zeugen gibt. Du solltest sie anrufen. Ich fürchte, du wirst die Leiche identifizieren müssen.«

Mit einem Ruck richte ich mich auf. »Nein!«

»Hm«, macht sie.

»Wieso denn ich?«

»Irgendwer muss es tun, Milly. Und ich denke … vielleicht könnten es ja auch Maria oder Robert tun. Keine Ahnung, ob es jemand aus der Familie sein muss. Schon möglich. Ich bin sicher, Maria weiß das inzwischen. Sie scheint alles innerhalb von Minuten rausbekommen zu können.«

»Aber warum kann nicht … warum kann sie das nicht machen?«

Selbst jetzt bringe ich es nicht über mich, ihren Namen auszusprechen. Nicht gegenüber meiner Mutter. Selbst nach all den Jahren fühlt sich das Nennen der Namen seiner späteren Frauen ein bisschen an wie eine Ohrfeige.

»Schatz«, beginnt sie, allem Anschein nach in dieser Hinsicht selbst keineswegs so empfindlich. »Simone ist mit einem Kleinkind in Devon und vermutlich kurz vor dem Zusammenbrechen. Robert ist auf dem Weg dorthin, und Maria fährt heute Abend. Du willst sie doch nicht wirklich zwingen, in irgendeine Londoner Leichenhalle zu gehen, um sich ihren toten Ehemann auf einem Seziertisch anzuschauen?«

Nein, denke ich. Ist natürlich viel besser, ich geh dorthin und schaue mir meinen toten Vater auf einem Seziertisch an. Sie ist erwachsen. Sie hat sich entschieden, ihn zu heiraten. Sie muss erwachsener sein als ich. Ich kann mir nicht vorstellen, jemals erwachsen genug zu sein, um verheiratet sein zu wollen, ganz zu schweigen davon, ein Kind zu bekommen. »Nein«, sage ich widerwillig, weil es das Richtige ist, das zu sagen. In meiner Familie ist Form wichtig. Zumindest an der Oberfläche das Richtige tun, das, was andere Leute sehen können. »Aber ich weiß nicht, was ich da machen muss.«

»Maria wird es dir bestimmt sagen können«, entgegnet sie. »Sie hat vermutlich ihren Assistenten damit beauftragt, alles sofort in Erfahrung zu bringen. Wir können von Glück sagen, dass wir sie haben, wirklich. Die Ressourcen des Gavila-Imperiums.«

»Also schön«, sage ich.

»Tut mir leid, Schatz. Ich rufe jetzt besser India an. Wirst du zurechtkommen?«

»Klar«, erwidere ich, weiß allerdings nicht, ob ich die Wahrheit sage.

»Ich ruf dich später noch mal an, um zu hören, wie es dir geht.«

»Okay.«

»Und, Schatz?«

»Ja?«

»Ich liebe dich. Sehr.«

»Ich weiß«, sage ich mechanisch. »Ich dich auch.«

Ich lege auf und werfe das Handy in meine Handtasche. Mein Begleiter nutzt den Moment, um sich das Kissen vom Gesicht zu ziehen, und sieht mich aus einem Auge an. Stimmt, jetzt erinnere ich mich wieder. Es war nicht nur der Alkohol; die Nachricht meiner Mutter muss ein größerer Schock gewesen sein, als ich angenommen hatte. Dunkles Haar, Jesusbart und hübsche, glatte braune Haut. Tom. Arbeitet in einer Galerie neben dem Shoreditch Club, wo ich gestern in eine Vernissage reinplatzte, und wohnt in Kentish Town. Verdammt, ich bin in Kentish Town. Eine Million Haltestellen mit der Blackline bis zu mir nach Hause. Hätte ich doch bloß einen Teleporter. Warum können die sich nicht mal ranhalten und diese Dinger erfinden, verdammte Hacke?

»Alles in Ordnung?«, fragt er. Wahrscheinlich hofft er, seinen Morgenständer zum Einsatz bringen zu können, wo ich nun schon mal da bin.

»Ja«, sage ich strahlend. »Mein Vater ist gestorben.«

Mit offenem Mund schaut er mich an, und ich sehe blanke Panik in seinen Augen. Er hat keine Ahnung, was er tun oder sagen soll. Von meinem Ton her ist er sich wahrscheinlich nicht einmal sicher, ob es sich bei dieser Nachricht nicht um den Scherz einer Geistesgestörten handelt. Keine besonders tolle Situation, mit einer nackten Fremden bei sich im Bett. Trotzdem, sobald du mal über die Angst weg bist, wird das eine prima Story abgeben, denke ich. Mach dir keine Gedanken.

»Du lieber Himmel«, bringt er heraus. »Das tut mir leid. Bist du in Ordnung?«

»Klar«, antworte ich. »Er war ein Arsch. Ich habe ihn jahrelang nicht gesehen.«

Kapitel 3

2004 / Donnerstag / Claire und Sean

Ein keuchendes Luftschnappen vom Rücksitz und das verräterische Plätschern von Flüssigkeit.

»Die haben doch wohl nicht«, sagt Sean. »O Gott, sag mir, dass sie es nicht gemacht haben.«

Claire schiebt sich die Sonnenbrille über die Stirn und verrenkt den Hals, um nach hinten zu sehen. Coco hängt mit in die Luft gespreizten Armen festgeschnallt in ihrem Kindersitz wie die Zeichentrickfigur Wile E. Coyote, der über die immer kürzer werdende Zündschnur an der Dynamitstange sinniert. Der Pappbecher liegt ohne Deckel und Strohhalm umgestülpt auf ihrem Schoß. Eis tropft ihr die Schenkel hinunter, und Diät-Sprite bildet Pfützen auf dem cremefarbenen Ledersitz des Range Rover. Ruby lehnt sich aus ihrem eigenen Kindersitz, um zu schauen, ihr Gesicht ist auf eigentümlich triumphierende Weise ausdruckslos.

»Ich hab dir ja gleich gesagt, das ist keine gute Idee«, meint Claire aufgebracht. Denn genau das hat sie getan, und er hat sie, wie immer, ignoriert. »Ich hab gesagt, wir sollten die Babytassen nehmen. Aus denen läuft nie was aus.«

Seans Griff ums Steuerrad verstärkt sich. »Ja klar«, sagt er in seinem sorgsam gemäßigten Nicht-vor-den-Kindern-Ton. »Der ursprüngliche Plan war, sie im Toyota zu befördern, mit Emilia.«

»Allerdings«, schnauzt Claire. »Wenn man gewissen Personen in Emilias Umgebung trauen könnte, wäre das prima gewesen.«

»Wie oft muss ich dir noch …«, setzt er an, seufzt dann wie ein geduldiger Lehrer, der es mit einem kleinen Kind zu hat, und beherrscht sich. »Du bist paranoid.«

Claire wirft ihm einen bösen Blick zu.

»Herrgott noch mal!«, flucht Sean und fährt auf den Standstreifen. Auf der M3 herrscht dichter Verkehr, Stoßstange an Stoßstange geht es voran. Das ganze Land ist für das letzte durch einen Feiertag verlängerte Sommerwochenende irgendwohin unterwegs. Es wird wahrscheinlich zehn Minuten dauern, bis sie irgendwer wieder in den fließenden Verkehr einscheren lässt. Das ist ihm an der Provinz aufgefallen. Die Londoner Fahrer lassen einander jederzeit einfädeln – andernfalls würde die komplette Stadt zum Stillstand kommen –, aber jenseits der M25 führen sich die Leute auf, als wollte man ihnen ihre Straße klauen. Völlig krank, denkt er. Und dabei behaupten immer alle, die Londoner wären Rüpel.

Er sitzt hinterm Steuer und wartet darauf, dass seine Frau Anstalten macht, sich zu rühren. Nein, denkt Claire. Es ist deine Sauerei. Du warst derjenige, der darauf beharrt hat, den beiden tolle, große Getränke zu kaufen und nicht zu warten, bis sie umgefüllt sind. Es ist deine Sauerei. Deine Sache, sie zu beseitigen. Sie bleibt sitzen, Hände im Schoß, Sonnenbrille wieder auf und starrt nach vorn auf den Müll, der auf der Grasböschung verstreut liegt.

»Und?«

Langsam wendet sie den Kopf. »Wie bitte?« Sie wartet zwei Herzschläge lang. »Es sind auch deine Kinder, Sean.«

*

Sean spürt leichten Zorn in sich aufsteigen, löst aber seinen Sicherheitsgurt und steigt aus. Nimmt fünf tiefe Atemzüge zwischen Traubenkraut und Fast-Food-Tüten, bevor er weitermacht. Ich muss meine Wut im Zaum halten, denkt er. Es ist nicht ihre Schuld. Sie ist drei, und das ist das, was Dreijährige eben machen. Man kann ihr ihre Mutter nicht zum Vorwurf machen. Hinter der Scheibe sieht er, wie Cocos Mund sich verzieht, und hört das einsetzende Heulen wie eine Polizeisirene in der Ferne. »Schon gut, Kleines, warte. Ich komm schon«, ruft er durch die heiße Augustluft.

Er geht um den Range Rover und klappt den Gepäckraum auf. Angesichts der Verwüstung darin schaltet sein Gehirn in den Leerlauf. Claire hat nicht den geringsten Sinn für Ordnung. Er weiß noch, dass er das am Anfang ihrer Beziehung charmant fand – leicht daneben, unkonventionell, unbekümmert –, aber inzwischen macht es ihn einfach nur noch wütend. Sie hat doch den ganzen Tag sonst nichts zu tun, denkt er. Wie ist es nur so weit gekommen? Was ist mit meinem Leben passiert? Bei Heather jedenfalls waren diese Unmengen an Krempel, die heutzutage offenbar jedes Kind mit sich rumschleppen muss, geordnet gewesen: Kleidung, Spielsachen, Medikamente, Bücher, lebenswichtige Teddybären, rätselhafte Elektronikdinger, Wickeltücher, Sonnencreme, Sonnenschutzhütchen, Lätzchen und Babytassen. Wie oft habe ich mich hinter ihrem Rücken über ihre Sammlung von kitschigen Reisetaschen, ihre Liebe zu Handtaschen, Trennstreifen für Aktenordner und Ziplock-Beutel lustig gemacht, aber alles – wirklich alles – wäre besser als das hier.

»Wo ist das Reinigungszeug?«

Claire hebt eine Hand vors Gesicht und betrachtet ihre Fingernägel. Sie hat sie dunkelblau lackiert, was er hasst. Als ob sie mich damit ärgern will, denkt er, weil sie es mir übel nimmt, dass ich an einer Frau unaufdringliche Maniküre mag. Bei diesen dunklen Farben – da weiß man nie, was unter den Nägeln lauert. Wenn wir früher ausgingen, als sie noch die Rivalin war, hat sie noch auf mich gehört und Pinktöne, Gold oder Silber verwendet, sodass ihre Nägel im Kerzenlicht wie Edelsteine funkelten. Sie hätte alles getan, um mich glücklich zu machen und wenn sie Heather damit ärgern konnte. Jetzt, wo sie mich hat, sieht es anders aus.

»In der Tasche«, sagt sie in einem Ton, der genauso klingt wie das verächtliche Männer!

Er inspiziert das aufgetürmte Chaos, zerrt vergeblich an einer offen stehenden Tragetasche von Harrods. Das Einzige, was er wiedererkennt, ist Claires Kosmetikkoffer, den er ihr zu ihrer ersten gemeinsamen Parisreise geschenkt hat, damit sie etwas Schickes hat. Darin wird das gleiche Durcheinander herrschen, gedankenlos hineingeworfene Schminkutensilien, Salben und falsche Wimpern, aber immerhin ist das Behältnis selbst glamourös. Eine Metapher für unser Leben, denkt er und kommt sich für einen Augenblick sehr klug vor. Er stöbert weiter. Ein schwarzer Müllsack bringt zusammengelegte ungebügelte Kinderkleidung zum Vorschein. Was tut dieses ganze Personal, das ich bezahle, den lieben langen Tag eigentlich, dass meine Kinder rumlaufen wie Vogelscheuchen?

Er steckt eine Hand hinein und zieht ein Kordlätzchen mit OshKosh-Label heraus. Er schüttelt es aus, um die schlimmsten Knitterfalten zu beseitigen, und wühlt weiter, bis er auf ein Päckchen Feuchttücher stößt, dessen Klebverschluss offen steht, und geht damit zum Wagenfond.

Coco brüllt jetzt, und Ruby hat sich die Finger in die Ohren gesteckt. »Alles okay«, sagt er strotzend vor elterlicher Tugendhaftigkeit, »alles in Ordnung, Coco, mein Liebchen. Daran lässt sich nichts ändern. So was passiert eben. Komm schon.« Er öffnet ihren Sicherheitsgurt und hebt sie mit einem »Hoppala« heraus. Trotz der Klimaanlage im Wagen ist sie heiß, goldblonde Locken kleben ihr an der Stirn, und sie hat knallrote Backen. Er fühlt ihr die Stirn und betet dabei im Stillen, dass sie sich nicht irgendetwas eingefangen hat. Nicht ausgerechnet an diesem Wochenende.

Er wirft Ruby die Feuchttücher zu. »Los, mach dich ein bisschen nützlich. Wisch das Zeug da weg.«

Ruby starrt ihn an. »Sie ist drei, Sean«, sagt Claire, nimmt aber die Feuchttücher und beginnt, die klebrige Pfütze selbst aufzutupfen. Den leeren Becher wirft sie zur Tür hinaus, wo er in einem abgasverseuchten Weißdorn landet. Der liegt jetzt da für immer und ewig, denkt Sean, hat ihn aber bereits vergessen, als er seine Tochter in den harten, trockenen Dreck stellt und beginnt, ihr Kleid aufzuknöpfen.

*

Ein verdächtiger Geruch steigt aus einer der Windeln in die Luft von Southampton. Claire schaut in den Rückspiegel. Es ist Ruby, denkt sie. Ihre Wangen sehen plötzlich wieder so spröde aus. Guter Gott, wie können eineiige Zwillinge bloß so verschieden sein? Coco braucht fast gar keine Windeln mehr, obwohl er natürlich meint, sie sollten eigentlich alle beide seit Ewigkeiten keine mehr brauchen. India und Milly sollen in diesem Alter schon auf dem Töpfchen gesessen haben und konnten mehr oder weniger sprechen. Coco spricht doppelt so viel wie Ruby und lacht dauernd, während Ruby die Hälfte der Zeit nur starrt. Wüsste ich es nicht besser, könnte man kaum glauben, dass die zwei dieselbe Mutter haben. Hoffentlich hat sie gelernt, allein aufs Klo zu gehen, bis sie in die Schule kommt. Das ist doch eindeutig nicht normal. Als wollte sie uns ärgern.

Ihr Mann trommelt mit den Fingern aufs Lenkrad. Das macht er immer, wenn er still sitzt, und es treibt sie in den Wahnsinn. Wie kann in weniger als sechs Jahren aus Liebe genervte Gleichgültigkeit werden?, fragt sie sich. Ich verstehe es nicht. Obwohl, im Grunde verstehe ich es doch. Absolut sogar. Nämlich indem man jemanden heiratet, der vorgibt, jemand anderes zu sein. Einen, den das mangelnde Interesse seiner ersten Frau unglücklich gemacht hat, weil er sich nur für sich selbst interessierte.

Obwohl die Klimaanlage auf Tundra-Niveau runtergedreht ist, spürt sie, wie die Hitze von draußen gegen die getönten Scheiben schlägt. Ein fantastisches Wochenende für eine Geburtstagsparty. Schade nur, dass sie es mit seinen ganzen Freunden verbringen muss. Sie selbst hat ja keine mehr. Einer nach dem anderen haben sie sich verflüchtigt. Natürlich ist es Sean nie in den Sinn gekommen, sie einmal einzuladen. Als sie noch eine Affäre miteinander hatten, fand sie es nicht weiter merkwürdig, dass er sie nicht treffen wollte: Diskretion, Geheimhaltung, die Notwendigkeit, alles unter Verschluss zu halten – es gab so viele Gründe. Ihr war nicht in den Sinn gekommen, dass der wahre Grund sein Desinteresse an ihnen war.

Sie seufzt. Vier Tage. Vier lange Tage mit Leuten, die kaum mit ihr reden, die sich alle an Heather erinnern und sie selbst – auch wenn sie es nie sagen – eindeutig als eine Durchgangsstation ansehen. Aber ich muss nett sein, denkt sie. Wenn diese Ehe fortbestehen soll, muss ich nett sein.

*

Am Samstag, denkt Sean, werde ich fünfzig. Ist doch ganz normal, sein Leben zu hinterfragen, wenn man fünfzig wird. Ich schaue es mir an und sollte eigentlich zufrieden sein. Alles, was der westlichen Welt lieb und teuer ist, habe ich erreicht. Nach den Maßstäben meiner Eltern bin ich reich, wie sie es sich für sich selbst nie erträumt hätten. Meine Kinder sind gesund, genau wie ich. Ich bin der König eines erfolgreichen Unternehmens, und wer mich nicht respektiert, hat im Großen und Ganzen immer noch Angst vor mir. Ich sitze in einem neuen teuren Auto und fahre zu meinem mehrere Millionen schweren Anwesen in einer der begehrtesten Lagen des Landes. In einer Woche werde ich um eine Million wohlhabender sein. Meine Freunde sind einflussreich, bekannt und vermögend. Meine Frau ist dreiunddreißig und nach allgemeinen Maßstäben eine Schönheit, auch wenn sie sich ein bisschen hat gehen lassen. Ich habe einen Swimmingpool. Mein Leben ist ein durchschlagender Erfolg. Warum bin ich dann so unglücklich?

Kapitel 4

India ruft an, als ich gerade auf der Clapham High Street bin. In Auckland fängt wohl gerade der Arbeitstag an. Dort ist Hochsommer, sie wird also ein ärmelloses Oberteil unter ihrem konservativen Anwältinnenkostüm tragen und ihr Haar zu einem strengen Dutt zurückgebunden haben. Wohingegen ich mich fröstelnd durch den gefrierenden Nieselregen schiebe, mit Lederjacke und einem über den Kopf gezogenen Schal. Meine Schwester und ich könnten verschiedener nicht sein. Ihre Reaktion auf unser chaotisches Aufwachsen bestand darin, in allen Bereichen ihres Lebens strikte Ordnung einzuführen, während ich das Chaos bereitwillig aufgriff. Ich weigere mich zu planen, denke oft nicht daran, meine Schlüssel mitzunehmen, und habe keine Ahnung, wo die Dokumente aufbewahrt sind, die belegen, dass meine Wohnung mir gehört. Sie liebt das Gesetz, seine strengen Grenzen, das kleinste Detail, mit dem sich jeder Zentimeter festnageln lässt.

Sie hat das Erbe unserer Großmutter dazu benutzt, aus dem Land zu kommen und sich in einem Apartment am Wasser einzurichten, mit hellen Holzböden und bodentiefen Fenstern, wo sie bei Sonnenaufgang jeden Tag mit Yoga beginnt und jeden Abend auf ihrem Balkon ein Glas Sauvignon Blanc trinkt. Ich habe immerhin so weit die Kurve gekriegt, mir in derselben Straße, in der ich mir damals mit anderen ein Haus geteilt hatte, ein paar Zimmer zu kaufen. Dort wird man mich vermutlich eines Tages raustragen, sofern man meine Leiche unter den Papierbergen findet.

»Hi«, sage ich.

»Hi. Wie geht’s?«

»Ganz gut. Du weißt schon. Das Leben geht weiter, oder?«

»Stimmt.« Sie klingt ebenfalls nicht gerade mitgenommen. Was er wohl empfände, wenn er wüsste, dass wahrscheinlich der einzige Mensch, der bisher überhaupt eine Träne um ihn vergoss, die erste der Ehefrauen ist, die nicht gut genug für ihn waren? Wie ich Dad kenne, würde er es nicht mal bemerken. Aus den Augen, aus dem Sinn, das war schon immer seine Devise. In der Zeit, als ich tatsächlich noch Pflichtanrufe bei ihm machte, klang er jedes Mal überrascht, etwas von mir zu hören.

»Ich gehe morgen die Leiche identifizieren.«

»O Mann. Wie geht’s dir damit?«

»Komisch. Kann mich nicht entscheiden, ob ich vor dem Mittagessen hingehen sollte oder hinterher.«

»Ich würd’s vorher machen, wenn ich du wäre. Besser, sich den Appetit zu verderben, als das Essen wieder auszukotzen. Wie steht’s mit den Untersuchungen und der Beerdigung und so?«

»Die Autopsie machen sie, nachdem ich da war. Wenn sie die Todesursache feststellen können, kann die Leiche anscheinend schon vor der Untersuchung freigegeben werden.«

»Sogar bei dem … anderen Zeug?«

»Jepp. Sogar damit. Wenn er einen Herzinfarkt hatte, machen die Handschellen und so auch nichts mehr aus. Wäre trotzdem eine natürliche Todesursache.«

»Okay«, sagt sie skeptisch.

»Obwohl, anscheinend lagen auch noch Poppers auf dem Nachttisch.«

»O Gott«, sagt sie. »O Gott, o Gott. Noch peinlicher hat er’s wohl nicht hingekriegt.«

»Stalltiere?«

»Okay. Hör auf.«

»Wann kommst du rüber?«

Eine Pause. »Milly, ich komme nicht.«

»Du kommst nicht?«

Sie seufzt. »Wozu? Er ist tot. Er kriegt es nicht mit. Es wird zu keinen rührenden Versöhnungsszenen am Totenbett kommen. Es wäre einfach nur … nein. Ich werde nicht einmal um die halbe Welt fliegen, um so zu tun, als täte es mir leid. Ich weiß, er war mein Vater, aber ich kannte den Typen kaum.«

Eine Erinnerung schießt mir in den Sinn. Wir vier in einem Swimmingpool, irgendwo, wo es heiß ist. Indy und ich sind noch so klein, dass wir Schwimmreifen haben. Meine Mutter lacht die ganze Zeit, Dad wirft uns immer wieder in die Luft. Unsere Begeisterungsschreie, wenn wir ins Wasser plumpsen, im Blau gebrochenes Sonnenlicht. Er hat uns einmal geliebt, denke ich. Das hat er. Beziehungsweise es ist ihm gelungen, es so aussehen zu lassen.

»Ich …«

»Ich werd’ Blumen schicken«, sagt sie. »Aber ich bin keine Heuchlerin.«

Und was ist mit mir?, denke ich. Was ist damit, wie ich mich fühle, India? Ich werde für uns beide hingehen müssen, und in dem Fall machst du mich zu einer Doppelheuchlerin. Eine Doppelheuchlerin, die alles allein machen muss.

»Na schön«, sage ich und frage mich, was wir mit der Beerdigung der jeweils anderen machen, wenn es mal so weit ist. Werden wir uns dann überhaupt noch kennen? »Aber zu Mums kommst du, oder?«

»Sei doch nicht so blöd. Das ist was völlig anderes. Hör mal, ich muss mich beeilen. Ich habe um halb zehn eine eidesstattliche Aussage.«

»Alles klar.« Es hat keinen Zweck, darüber zu streiten. India gehört zu den Menschen, die, sobald die Entscheidung gefallen ist, nicht wieder davon abrücken. Und sie hat sich entschieden, so weit wie möglich wegzuziehen, um ihr Lebensumfeld nicht mit gefühlsmäßigen Eisklötzen teilen zu müssen.

»Du gehst grade aus, oder?«

Ich lache. »Es ist Dienstag. Was sollte ich sonst machen?«

»Hast du eigentlich je daran gedacht, dir einen Job zu besorgen, Milly?«

Ich lache wieder. »Also bitte. Wozu wäre ein Treuhandfonds denn gut, wenn man das täte?«

Ich lege auf und stoße die Tür zum »Handful of Dust« auf.

*

Ich bin die Tochter meines Vaters. Er liebte es zu feiern, und das tue ich auch, besonders in extremis. Er war auch gut darin. Niemand übte eine solche Wirkung auf einen Raum aus wie Sean Jackson; er wurde von allen beachtet und gab jedem das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Man konnte buchstäblich sehen, wie Gesichter sich aufhellten, wenn er einen Raum betrat. Der Händeschüttler, der Witzeerzähler, der Einflussreiche und Frauenbezirzer. Es gab unzählige Menschen, die ihn einen Freund nannten, meinen Vater Sean. Und er vergaß niemals einen Namen.