Night - Adrian Daray - E-Book

Night E-Book

Adrian Daray

0,0

Beschreibung

In eine abgelegene Kleinstadt, irgendwo in Mexiko, verschlägt es die beiden Touristen Pete und Charly aus New York, Ihr Ziel ist es Urlaub zu machen, um von ihren stressigen Jobs als Anwalt und Versicherungsagent etwas Abstand zu gewinnen. Doch was sie vorfinden ist etwas völlig anderes. Die ganze Umgebung scheint sich freiwillig zu evakuieren, da nach deren Erzählungen zu urteilen, Satan höchstpersönlich für drei Tage und Nächte das Gebiet für sich beansprucht. Legende oder Humbug? Keiner kennt die Antwort, doch für ihre Umkehr ist es bereits zu spät…

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 898

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Sammlungen



Blackwords-Verlag********Vollständige Print Ausgabe****des im Blackwords-Verlag erschienenen Werkes********Für die Originalausgabe:****Copyright © 2018 Blackwords-Verlag********Umschlagsgestaltung : ©Adrian Daray, Stuttgart****Datenkonvertierung E-Book :©Adrian Daray, Stuttgart****Audiobook Produktion : © Adrian Daray, Stuttgart****Autorenfoto : © www.joko-style.de****Alle Rechte vorbehalten****************Besuchen Sie unsere Webseite****www.blackwords.de********Adrian Daray****Night********For Chris****In memory of Bella& Rebecca****

Prolog

»Mein Name ist Charlie Nolan. Ich möchte nicht lange um den heißen Brei reden und gleich beginnen. Ich erzähle Ihnen die Geschichte um Sie zu warnen, nicht um Ihnen Angst einzujagen. Ich möchte, dass Sie mir genau zuhören und auf jedes Detail achten, vielleicht rettet Sie dieses Wissen Ihr Leben.****Alles begann mit einer Reise. Mein Freund und Arbeitskollege Pete Warren und meine Wenigkeit, wollten schon immer mal raus. Einfach mal raus aus dem Alltag, raus aus diesem New Yorker Großstadtstress, der uns beide zum Wahnsinn getrieben hatte. Wir waren völlig ausgebrannt. Unsere Jobs nahmen uns beinahe die Luft zum Atmen. ****Pete war Versicherungsvertreter eines großen Unternehmens und ich bin Anwalt in derselben Firma. Dort haben wir uns auch kennengelernt. Schon damals hatten wir bemerkt, dass wir ähnlich tickten. Wir lachten über die gleichen Witze und hatten oft dieselbe Meinung, egal zu welchem Thema. Es hatte sich dadurch in den letzten Jahren eine gute Freundschaft entwickelt, und ich muss zugeben, so eine hatte ich selbst in meiner Studienzeit nie. Wir konnten auch über fast alles reden. Das war mir äußerst wichtig. Nur bei Frauen haperte es, das war irgendwie von Anfang an ein Tabuthema. ****Dennoch verstanden wir uns prächtig. Wir hatten auch viel gemeinsam unternommen. Wir spielten Tennis, waren im selben Sportstudio angemeldet, besuchten am Wochenende Diskotheken und in letzter Zeit verreisten wir häufig. Zu Anfangs blieben wir im Land, besuchten interessante Orte, wie zum Beispiel das Lincoln Memorial in Washington DC oder den Hershey Park in Pennsylvania. Erst in den letzten Monaten haben wir die Landesgrenzen verlassen und besuchten zweidreimal Kanada, um etwas mehr die Natur genießen zu können. Toronto war dennoch interessant, zuletzt nicht nur wegen des größten Fernsehturms auf der Weltkugel. ****Ich kann mich sogar noch an den Trip nach Alaska erinnern, als wir uns in der Nähe des Yukon Charley River Reservats befanden, da wir auf ein Abenteuer aus waren. Vor vielen Jahren gab es einmal eine Serie von Morden, die nie wirklich aufgeklärt wurden. Wir kamen damals auf den seltsamen Trichter, dass uns solch eine Geschichte aus unserem Alltag mehr herausbringen könnte, als ein langweiliger Besuch in einem Museum. Doch wir fanden nicht viel heraus, die Leute dort waren mehr als schweigsam. Selbst in New Rock, einem kleinen Kaff in der Nähe von Fairbanks, in dem die Morde stattgefunden haben, konnte man uns nie wirklich etwas sagen. Entweder wollten sie nichts preisgeben, oder sie konnten es einfach nicht mehr, da die Zeit bereits alles verschluckt hatte. Es lagen immerhin schon dreißig Jahre dazwischen. ****Ich könnte heute noch schmunzeln, als Pete sich als Privatermittler ausgegeben und Leute befragt hatte. Was für eine peinliche Situation das für mich war. Doch Pete war dies egal. Er sagte stets: »Charlie, wer nichts wagt, der nichts gewinnt, völlig egal was die Leute sagen. Tu immer das, worauf zu gerade Lust hast, denn schon bald bist alt und wirst es bereuen, es nicht getan zu haben!«****Seine Worte hatten mich damals schon beeindruckt und im gewissen Sinne hatte er wirklich Recht. Dennoch, ein gewisses Maß an Vernunft sollte trotzdem vorhanden sein, sonst wäre ich jetzt nicht in dieser misslichen Lage. ****Ich gebe bis zum heutigen Tage dieser Alaska-Reise die Schuld. Die hat es ohne Zweifel ausgelöst. Pete war damals wie Feuer und Flamme. Er war sowieso mehr der Abenteuer von uns. Er wollte unbedingt viel erleben und umso verrückter desto besser. Es war übrigens auch seine Idee nach Mexiko zu gehen, um ein besonderes Abenteuer zu erleben. Ich war von Anfang nicht begeistert, wenn man an den Drogenkrieg denkt, der dort in einigen Bundesstaaten tobt.Doch ich konnte ihn nicht davon abbringen. Er wollte es unbedingt. Also stieg ich mit ein. ****Wenn ich nur daran denke, wird mir ganz mulmig zumute. Wenn ich gewusst hätte, wie lange dieser Zwangsurlaub ginge, hätte ich mich nie und nimmer darauf eingelassen. Mir wäre es fast schon lieber gewesen, dass ich unseren Flieger zum Abstürzen gebracht hätte, dann wäre es wenigstens schnell gegangen. ****Genau heute vor einem Jahr hatten wir uns auf den Weg gemacht. Ich weiß es deshalb so genau, weil heute der Tag ist, der hier alles verändern wird. ****Schon bald wird die Sonne untergehen und das Erbe des Teufels wird an die Menschen vermacht. ****Möge Oktavios Pakt in die Ewigkeit eingehen!«****

Erstes Buch:Tageslicht

Aufbruch nach Aztlán

Es war gerade mal sieben Uhr morgens, als die Klingel einen fürchterlich schrillen Ton von sich gab. Ich schreckte förmlich auf, als Pete wie ein entlaufener Irrer auf dem Knopf beinahe kleben blieb. Er konnte es wie immer nicht erwarten. Mit müden Knochen erhob ich mich aus meinem Bett.****»Beweg dich!«, rief er mir schon auf dem Hausflur entgegen, als er gutgelaunt die Treppe nach oben stiefelte. »Wie kann man nur an so einem schönen Tag noch in den Federn liegen? Draußen scheint schon die Sonne!«****Wortlos stapfte ich zurück in die Küche.****»Willst du auch einen Kaffee?«****Er winkte ab. »Ich hatte schon zwei Tassen, aber tu dir keinen Zwang an.«****»Wie ehrenvoll von dir«, erwiderte ich genervt.****»Lass´ dir Zeit, unser Flieger startet erst in eineinhalb Stunden. Das schaffen wir mit links.«****Pete ging ans Fenster und starrte hinaus, während ich meinen Muntermacher in mich hineinkippte. ****»Ich konnte heute Nacht wenig schlafen, irgendetwas hielt mich wach.«****Pete sah zu mir rüber. »Du siehst auch sehr müde aus. Aber mach dir keine Sorgen, im Flugzeug kannst du bestimmt etwas schlafen.«****»Wenn du mich nicht völlig totquasselst, bestimmt.«****Er grinste. »Komm schon, Charlie, drei Stunden werden dir bestimmt ausreichen.«****»Drei Stunden achtunddreißig, wenn du es genau wissen willst. Außerdem weißt du, dass ich nicht gerne fliege. Ich werde bestimmt kein Auge zu tun. Ich hasse diese Turbulenzen.«****Pete kam ein paar Schritte auf mich zu. »Keine Sorge, Charlie. Ich lenke dich schon ab.«****»Das habe ich befürchtet«, murmelte ich sarkastisch, während ich den letzten Schluck Kaffee in mich rein goss.********Eine halbe Stunde später befanden wir uns bereits auf dem Flughafen. Das von Pete vorbestellte Taxi hatte uns pünktlich hingebracht, so dass wir genügend Zeit hatten unser Gepäck aufzugeben, einzuchecken und uns durchsuchen zu lassen. Selbst für einen zweiten Kaffee blieb noch Zeit. Pete trank auch nochmal einen.****»Ich freue mich wahnsinnig darauf Mexiko zu besuchen!«****»Handgranaten dabei?«, forschte ich nach.****Pete lächelte und wusste, dass ich auf die stetigen Unruhen ansprach, die in diesem Land andauernd stattfanden.****Doch er beruhigte mich. »Wir fliegen nach Mérida, Charlie. In diesem Bundesstaat gibt es keine Drogenkartelle. Yucatán ist ungefährlich. Ich habe mich deswegen extra schlau gemacht. Der Osten des Landes ist sehr friedlich. Der ganze Drogenkrieg von dem sprichst, findet im Norden des Landes statt. Wir brauchen keine Befürchtungen zu haben. Du wirst sehen, alles wird prima.«****»Deine Ruhe würde ich gerne haben«, konterte ich.****»Charlie«, tadelte er mich. »Mérida ist das Tor der Welt. Wir werden unseren Spaß haben.«****Pete kramte eine Art Reiseführer heraus. »Sieh mal!«****Er zeigte auf einige Sehenswürdigkeiten, die in dieser Broschüre abgebildet waren.****»Es ist eine alte spanische Siedlung, die im sechzehnten Jahrhundert gegründet wurde. Ist das nicht fantastisch? Es ist eine alte Maya-Stadt! Schau dir das mal an! Wie findest du die alte Kathedrale von San Ildefonso? Sieht das nicht wunderschön aus?«****Mit meinen noch etwas müden Augen starrte ich auf das Bild. Vor mir offenbarte sich ein helles, hohes Gebäude mit zwei Türmen an der Seite, wogegen in der Mitte eine Art von Torbogen war, der aber zum Dach hin gerade verlief. Der Putz hatte bereits einen altersbedingten Gelbstich, seltsamerweise aber nur im unteren Bereich, bis etwa zur Hälfte.Drei schwarze Türen wies das Bauwerk vor, die wie dunkle Löcher aussahen. In der oberen Hälfte konnte man ein großes Emblem erkennen, das wohl aus jener Zeit stammte. ****»Was ist das?«, hakte ich nach.****Sofort nahm sich Pete wieder die Broschüre an sich.****»Wenn du das Symbol auf der Kathedrale meinst, so kann ich dir sagen, dass dies das Zeichen des Erzbistums ist. Die Stadt ist eine römisch-katholische Gemeinde. So steht es zumindest gleich hier drunter.«****Doch ich schüttelte mit dem Kopf. »Das habe ich nicht gemeint, Pete.«****Er sah mich stirnrunzelnd an.****»Ich meinte dass, was ich auf dem linken Turm erspäht habe.«****Sofort starrte Pete auf den in drei abgestuften Turm, mit den drei rechteckigen Fensteröffnungen. »Ich erkenne nur die drei Glocken in verschiedenen Größen. Was meinst du denn genau?«****Ich grinste in mich hinein. Selbstverständlich war nichts dort zu erkennen, doch ich genoss für einen kurzen Moment Pete endlich mal zum Schweigen gebracht zu haben, mit nur so einer kleinen Lappalie.****Ich tat so, als hätte ich mich vertan.****»Hm«, murmelte ich gespielt perplex. »Ich muss mich echt getäuscht haben. Es muss das Licht gewesen sein, dass mir einen Streich gespielt hat. Du hast Recht, Pete, es ist wirklich nichts zu sehen.«****Doch er ließ sich so nicht abspeisen. »Was glaubst du denn gesehen zu haben?«****»Nicht so wichtig. Ich dachte nur…« Ich brach den Satz ab. »Wann geht unsereMaschine?«****Er atmete tief durch, bevor er letztendlich antwortete. »Um 8:30 Uhr. Wir können aber bereits eine halbe Stunde vorher an Bord. Wir haben also noch zehn Minuten.«****Ich bemerkte, wie ich ihn mit meinem Fake völlig durcheinander gebracht hatte. So kannte ich ihn gar nicht. Seltsam. Rasch versuchte ich ihn wieder abzulenken.****»Was gibt es sonst noch so in der Stadt zu sehen?«****Pete drehte die Broschüre zu mir. »Das Paseo de Montejo«, ließ er feierlich verkünden. »Das Monument für das Vaterland!«****Ich sah auf ein Gebäude, das stark einer römischen Arena glich. Eine helle Mauer umgab das runde Monument, zu dem man über eine breite Treppe Zugang hatte. Doch am gewaltigsten war die an die Wand gemauertes Statue, die extrem an die Zeit der Maya erinnerte. Wie ein großer Totem stand sie dort, die jeden Besucher von oben herab ansah. Überall gab es Inka – Symbole und vermittelten einem den Eindruck, dass man dort eine andere Welt betreten würde. ****»Nicht schlecht, Pete. Es ist sehr sehenswert!«****Endlich lachte er wieder. »Ich sagte doch, dass es dir gefallen wird. Ist deine Tasse leer?«****Pete drängte also zum Aufbruch. ****»Sofort«, erwiderte ich.****Auf dem Weg zur Maschine flogen mir so einige Gedanken durch den Kopf. Groteskerweise fiel mir meine gescheiterte Beziehung ein, die mir nicht gerade eine gute Laune bescherte. Maria hatte vor drei Monaten Schluss gemacht, kurz bevor wir eigentlich in den Urlaub fliegen wollten. Diese ganze Misere machte mir bis zum jetzigen Zeitpunkt zu schaffen und dieses ganze Gedöns von Flugstornierungen raubte mir damals den letzten Nerv. Es war genau an diesem Terminal.****»Könnten Sie mir nochmal Ihren Flugschein zeigen, Sir?«****Ich reagierte nicht. Ich hatte den starren Blick.****»Charlie!«, rief Pete. »Deinen Flugschein!«****Wie aus einem Alptraum gerissen wurstelte ich mein Ticket aus meiner Tasche, während mich Pete ernst ansah.****»Ist mit dir irgendetwas?«****Ich schüttelte mit dem Kopf. »Nein, alles in Ordnung. Ich war nur eben in Gedanken.«****Auf der Passagierbrücke sprach mich Pete nochmals darauf an.»Mit dir stimmt doch etwas nicht. Sprich mit mir, wenn dich was bedrückt.«****»Schon gut, Pete. Mich haben die Gedanken an Maria etwas fertig gemacht. Wie du weißt, wollten wir kurz vor unserem Ende nach Florida fliegen. Das Ganze hier erinnert mich eben daran. Das ist alles!«****Er sah mich mit runzelnder Stirn genauer an, wobei ich einen Schritt vor den anderen setzte. Endlich geschafft. Wir waren an Bord.****Pete hatte sich einen Fensterplatz gebucht, was mir sehr gelegen kam. Ich musste nicht sehen, wie sich die Tragflächen bei Luftlöchern bedrohlich bogen. Ich nahm neben ihm Platz. ****Wir saßen in der BusinessClass ziemlich weit hinten, und ich erkannte, dass die Toilette nicht weit von uns entfernt lag. Sehr gut, denn wenn ich kotzen müsste, wäre der Weg nicht zu lang. ****»Noch zwölf Minuten und wir verlassen New York!«, gab Pete freudig von sich. »Endlich diesen ganzen Großstadt-Mist hinter uns lassen. Mexiko wir kommen!«****»Drogenkrieg, wir kommen!«, erwiderte ich sarkastisch und erntete Pete´s verzogenen Mund, der nichts darauf verlauten ließ. Wahrscheinlich ganz gut so.****Nun war es soweit. Die Stewardess meldete sich über den Sprechfunk zu Wort und ratterte ihr auswendig gelerntes Zeug herunter. Kurz darauf stellte sich noch der Pilot vor, um uns einen angenehmen Flug zu wünschen, wobei man deutlich seinen mexikanischen Dialekt heraushörte.****Meine Hände wurden etwas schweißig, da mich nun die Flugangst heimsuchte. Ich versuchte mich ein wenig abzulenken und sah mich unter den Fluggästen um. Ein Kind mit einem Teddybären, der einen Mexikanerhut auf dem Kopf trug, hatte mir soeben zugewinkt und ich erwiderte lächelnd dessen Geste. Offensichtlich hatte das kleine Mädchen keine Angst und ich nahm mir ein Beispiel an ihrem Verhalten.****Plötzlich schreckte ich auf! Die Stimmte des Kapitäns hatte mich völlig aus den Angeln gerissen. Sagte er nicht gerade »Willkommen in der Hölle, Charlie?«****Ich horchte auf. Das konnte doch nicht sein!****»Charlie?«, hörte ich Pete´s Stimme neben mir. »Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen. So langsam wirst du mir unheimlich.«****»Hast du das eben auch gehört, was der Pilot gesagt hat?«****»Natürlich, war ja kaum zu überhören. Er wünscht uns einen guten Flug und einen schönen Aufenthalt in Mexiko.«****»Das meinte ich nicht. Ich hörte soeben etwas anderes.«****Pete sah mich fragend an.****Ich zögerte einen Moment und versuchte meine Stimme etwas zu drosseln. ****»Ich hörte klar und deutlich, wie er »Willkommen in der Hölle, Charlie« gesagt hat.«****Pete sah mich schweigend an,schluckte einmal kräftig und starrte durchs Fenster hinaus.****»Hast du mir nicht zugehört?«, hakte ich nach. Er sah wieder zu mir. Offensichtlich wollte er mir soeben etwas sagen, als uns die Stewardess unterbrach.****»Bitte schnallen Sie sich jetzt an, wir starten in zwei Minuten!«****»Entschuldigen Sie, aber kennen Sie den Kapitän dieses Flugzeugs?«****»Wie meinen Sie das?«****»Nun, sind Sie schon einmal mit ihm geflogen?«****Die Stewardess stockte einen Moment.****»Unsere Fluggesellschaft hat die besten Piloten. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Wir werden wie geplant in Mérida landen. Wenn Sie ein Mittel zur Beruhigung brauchen, kann ich Ihnen eins bringen lassen.Möchten Sie etwas?«****Ich atmete kräftig aus. »Nein, schon gut. Ich beruhige mich mit dem Fernseher vor mir.«****»Das freut mich. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Flug.«****»Danke!«****Sofort wandte ich mich zu meinem Kumpan. »Pete«, flüsterte ich. »Hast du das eben mitbekommen?«****Doch ich bekam keine Antwort, denn er hatte die Augen geschlossen und nach seinem Atmen zu urteilen, schlief er. Ich war wie vor den Kopf gestoßen. »Pete!«, rief ich erneut flüsternd, aber ich erhielt keinerlei Reaktion. ****Wie kann man jetzt nur schlafen, vor allem so verdammt schnell. Enttäuscht wandte ich mich ab und sah ich mich noch einmal bei den Fluggästen um.Ich versuchte die letzten zwei Minuten des Wartens mit Zählen zu vertreiben. Sofort fiel mir der Film mit Wesley Snipes ein, der den Titel »Passagier 57« trug. Wer wohl der siebenundfünfzigste war?****Wieder warf ich einen Blick zu meinem Freund, der immer noch fest schlief. Ich könnte kotzen! Nun ja, die Toilette war ja schließlich nicht weit.****Die Motoren heulten auf und wir setzten uns in Bewegung. Ein weiterer Blick zu dem kleinen, schwarzhaarigen Mädchen, dass drei Reihen in den mittleren Sitzplätzen hinter uns saß, beruhigte mich etwas. Sie lächelte mich an und ich signalisierte ihr mit dem Daumen nach oben, dass alles in Ordnung wäre. ****Nach ihrem Aussehen zu urteilen, stammte sie sicherlich aus Mexiko und ihr freundlicher Gesichtsausdruck ließ mir die Flugangst weiter sinken. Nur ihr durchdringender Blick gab mir etwas zu denken: Ich hatte den Eindruck, als würde sie nicht mich ansehen, sondern Pete, der aber definitiv nicht in ihrem Blickfeld lag.****

Der fremde Fluggast

Ich fuhr hoch! Eine Hand hatte mich soeben an der Schulter gepackt und ich wäre beinahe zu Tode erschrocken! Es war Pete, der soeben erwacht war.****»Bist du etwa eingenickt?«, fragte er mich.****»Das sagt der Richtige«, erwiderte ich schläfrig, während ich mich aufrecht hinsetzte. Offensichtlich war ich tatsächlich eingeschlafen und war etwas desorientiert. ****»Wie meinst du das?«****»Vergiss es«, gab ich ihm abfällig zur Antwort.****»Du brauchst mich nicht gleich so anzufahren, nur weil du noch müde bist. Ich sagte doch, dass du im Flugzeug schlafen kannst!Wir landen in einer halben Stunde, du hast es also gleich überstanden.«****Verdutzte Blicke trafen ihn. »Wirklich?«, fragte ich überrascht. »Dann war ich jetzt knapp drei Stunden im Reich der Träume?«****»Was hast du denn geträumt?«****Ein kurzer Schreckmomentsuchte mich heim. Sogleich erinnerte ich mich an die Stimme des Kapitäns, der mich vor kurzem in Panik versetzt hatte. Also war es nur ein Traum?****Sofort sah ich mich nach dem kleinen Mädchen um. Auch sie war verschwunden. Auf ihrem Platz saß eine ältere, korpulente Dame, die mich nicht besonders freundlich ansah. ****Ich strich mir mit der flachen Hand übers Gesicht. ****»Offensichtlich muss ich schnell eingeschlafen sein, denn ich habe vom Flug kaum etwas mitbekommen.«****»Ich muss gestehen, mir ging es nicht anders«, räumte Pete ein. Ich bin auch eben erst zu mir gekommen. Sollen wir den Fernseher einschalten?«****Wortlos folgte ich den Bildern auf dem Monitor. Es war ein Nachrichtensender, der uns einen flimmernden Dokumentarfilm zeigte. Doch meine Gedanken waren nicht frei. Ich fühlte mich immer noch wie erschlagen und sah mich erneut zu dem Platz um, an dem das Mädchen gesessen hatte. Es glich demselben Bild wie vor einigen Sekunden. Die ältere Frau kramte soeben in ihrer Handtasche herum und ich beschloss mich von ihr abzuwenden, bevor ich wieder ihren boshaften Blick ertragen musste. ****Schon seltsam, was einem der menschliche Geist für Flausen in den Kopf treiben kann. Ein beruhigendes Gefühl machte sich in mir breit, da ich nun die Aussage des Piloten, was mich betraf, aus meinem Gedächtnis streichen konnte. Es war schließlich nur ein Hirngespinst.****»Wahnsinn, wie viele Container in solch einen Frachter passen, oder?«, gab plötzlich Pete von sich, der wie gebannt auf den Fernseher starrte.****Ich richtete mein Augenmerkmal auf meinen Bildschirm, in dem dieselbe Sendung lief. Ich sah gigantische Kräne, die einen Container nach dem anderen in ein gewaltiges Transportschiff luden. Es war irgendwie beruhigend und mich überkam, wie schon vor dem Flug, der starre Blick, dem ich oft verfiel, wenn ich übermüdet war. Es ging sogar soweit, dass ich schon wieder kurz vor dem Einnicken war, als mich schlagartig ein Schock förmlich wachrüttelte! Ein kurzer Moment des Grauens überschattete den Film. Ich sah einen Augenblick lang rote Flammen über den Fernseher huschen, in denen man abgehackte Köpfe erkennen konnte. Zeitgleich hörte ich Schreie von Menschen und ein fürchterliches tiefes Lachen, das alles übertönte.****Ich fuhr zusammen wie ein Aal, den man soeben mit Strom getötet hatte! Sofort reagierte Pete.****»Hey Charlie!«, flüsterte er. »Ist etwas nicht in Ordnung?«****Mein Blick auf den Monitor machte mir Angst. Dort lief wieder der Dokumentarfilm.****Ich atmete kurz durch. ****»Meine Übermüdung macht mir zu schaffen, habe ich den Eindruck. Ich muss mich kurz frisch machen.«****Ich stand auf und schlug die Richtung zur Toilette ein.****»Charlie«, rief mir noch Pete hinterher, aber ich antwortete nicht. Ich brauchte einfach nur noch kühles Wasser auf meinem Gesicht.****In der Nasszelle angekommen, schloss ich erst einmal erschöpft die Tür hinter mir und verriegelte sie. ****»Was ist nur los mit dir?«, fragte ich mein Spiegelbild leicht aggressiv. ****Mit den Fäusten geballt, stützte ich mich am Waschbecken ab und versuchte mich etwas zu beruhigen. Ein leises, aber dennoch hörbares Klopfen an der Tür verhinderte mein Vorhaben.****»Charlie, ist alles in Ordnung bei dir? Soll ich Hilfe holen? Du hast es doch gleich geschafft. Noch exakt siebenundzwanzig Minuten und wir landen. Willst du nicht aus dem WC herauskommen?«****»Es ist alles Ordnung. Darf ich nicht einmal in Ruhe mein Geschäft verrichten?«****»Ich mache mir Sorgen, Charlie. Du hast so abwesend gewirkt.«****Doch als ich keine Antwort darauf gab, lenkte er ein.****»Ok, dann… warte ich vorne an der Bordbar. Dort soll es einen ausgezeichneten Cappuccino geben.«****Er nervte. »Ist gut, Pete. Ich komme dann gleich nach.«****»Prima, aber warte nicht zulange, wie landen ja schließlich demnächst.«****Er schritt von dannen –Gott sei Dank. Er konnte einem wirklich manchmal gehörig auf die Nerven gehen, gerade dann, wenn man seine Ruhe haben wollte. ****Ich widmete mich wieder meinem Spiegelbild, doch ein erneutes Klopfen riss mich aus meinen Gedanken. Ich hielt den Atem an und tat so, als hätte ich es nicht gehört. Das Klopfen wiederholte sich, doch nun weitaus penetranter und langsamer. ****»Ich bin gleich fertig«, ließ ich verlauten und hoffte dadurch, dass sich der ungebetene Gast für einen kurzen Moment verziehen würde,aber es folgte keine Antwort. ****»Einen Augenblick noch!«****Mit eiskaltem Wasser wusch ich mir mein Gesicht. Es tat so verdammt gut. Ich fühlte mich gleich wie neugeboren und wiederholte den Vorgang einige Male.****Dann wieder das aufdringliche Klopfen. ****»Ist ja schon gut«, sagte ich etwas lautstark und öffnete ruckartig die Tür. Zu meiner Verwunderung war niemand zu sehen.****Ich blickte in Richtung zu meinem Platz. Keiner war aufgestanden. Alle saßen brav auf ihrenSitzen, nur die Stewardess versorgte einige Passagiere mit Getränken.****Doch als ich mich inderGegenrichtung umsah, durchfuhr mich ein Stich durch meinen Brustkorb. Ich traute meinen Augen kaum. Durch die Reihen der FirstClass stapfte das kleine mexikanische Mädchen mit den langen schwarzen Haaren.****Soeben wollte ich ihr nachgehen, als ein Steward aus dem Gang trat und mir den Weg versperrte.****»Es tut mir leid, Sir, aber dieser Bereich ist nur für Gäste der ersten Klasse.« Dabei zog er den Vorhang zu, der unsere beiden Großraumabteile trennte. ****Wortlos blieb ich stehen und kam mir wie ein Schuljunge vor, der in der großen Pause das Schulgelände nicht verlassen durfte.****Ich spähte durch den kleinen Spalt des Vorhangs. Ich erkannte zwar nicht allzu viel, doch es war ausreichend genug, um noch einmal das Mädchen zu sehen, dass unentwegt den Gang entlanglief. ****Gebannt beobachtete ich sie, bis sie urplötzlich stehen blieb. Merkwürdigerweise schlug nun mein Herz höher, denn sie machte den Eindruck, als würde sie sich jetzt gleich umdrehen, so dass ich ihr Gesicht erkennen konnte. ****Ich schluckte, denn offenbar trug das Mädchen eine seltsame Maske. Aber plötzlich verdeckte ein etwas älterer Mann mein freies Blickfeld, der anscheinend gerade sein Handgepäck verstaute. ****»Verdammt nochmal«, flüsterte ich, während ich wie gebannt durch den Vorhangschlitz starrte. Es kam mir wie Stunden vor.****Endlich setzte sich der Mann und ich konnte wieder den gesamten Gang erkennen,doch zu meinem Übel war das Mädchen nicht mehr zu sehen. ****»Könnten Sie mich kurz vorbeilassen?«, vernahm ich eine angenehme, weiche Stimme hinter mir. Es war eine hübsche Stewardess, die mich freundlich ansah.****»Ich müsste hier durch.«****Es war schwer mich von dieser Situation loszureißen, da mein Gemütszustand immer noch den mysteriösen Beigeschmack verarbeiten musste, den ich bei meiner kurzen Observierung bekommen hatte.****»Entschuldigung, ich mache Ihnen sofort Platz. Ich suche die Bordbar. Wo kann ich sie finden?«****»Auf der anderen Seite, Sir, kurz vor der EconomyClass.«****Ich stapfte von Dannen, wobei ich mir etwas Zeit ließ. Ich wollte noch einen kurzen Blick erhaschen, wenn die Stewardess den Vorhang öffnete. Vielleicht hatte sich das Mädchen auf irgendeinem Platz gesetzt, den ich von der vorherigen Position aus nicht sehen konnte. Doch dazu kam es nicht. Vor mir im Gang lag etwas, dass mir meine gesamte Aufmerksamkeit raubte. Mit schnellen Schritten lief ich darauf zu.****Umso näher ich kam, desto mehr wurde mir gewahr, um was es sich dabei handelte. Es musste der Teddybär gewesen sein, den das kleine Mädchen bei sich getragen hatte. ****Doch schon wieder wurde mir die Sicht verdeckt. Mindestens ein Dutzend Menschen kamen mir entgegen, offensichtlich eine Fangruppe einer Fußballmannschaft. Ich sah nur noch Füße. ****Als wir uns trafen, quetschte ich mich mit großer Mühe hindurch, wobei ihre lauten Stimmen, die vermischt mit schlechtem Atem nach Bier, in mir einen gewissen Ekel aufkommen ließ.****Endlich die Truppe hinter mir lassend, fokussierte ich wieder den Teddybären auf dem Boden. Doch zu meinem Entsetzen lag dort nun eine Tasche, die eine Frau soeben aufgehoben hatte, umdiese im Gepäckraum über ihr zu verstauen.****Ich blieb stehen.****Und wieder stand ich jemandem im Weg. »Könnte ich kurz durch?«****Ich setzte mich genervt auf meinen Platz und musste mir eingestehen, dass mich wohl dieser ganzer Umstand ziemlich fertig machte. Alles schien über mir zusammenzubrechen. Verdammter Mist.****Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich mich zur Bordbar aufmachte. Dort angekommen, bestellte ich mir einen Apfelsaft.****»Na? Wieder alles okay?«****»Ich bin froh, wenn ich wieder festen Boden unter den Füßen verspüre, das kannst du mir glauben. Flugreisen sind einfach nichts für mich, auch wenn ich mich auf den Urlaub freue.«****»Es tut uns echt mal gut für eine Woche einfach mal etwas anderes zu sehen.«****»Dasselbe haben meine Eltern auch gesagt, als ich sie letzten Monat in Pittsburgh besucht habe. Ihnen fiel offensichtlich auf, dass ich ziemlich abgeschafft wirkte. Wieso hat eigentlich Marc abgesagt? Er ist doch auch so ein Abenteurer wie du, er wäre bestimmt begeistert gewesen.«****»Er hat keinen Urlaub bekommen, sein Chef meinte, dass ohne ihn der Laden zusammenbrechen würde.«****»Immer dieselben Geschichten. Hat das nicht auch Jeffrey zu uns gesagt?«****Pete grinste. »Jeffrey hat eben Angst, dass er nicht alleine mit all dem Zeug in der Firma fertig wird, da ihm wohl Mister Hunter im Nacken sitzt. Begeistert war es nicht, als er mitbekommen hat, dass wir zwei zeitgleich nicht anwesend sind. Die Abteilung ist nun mal sein Revier und er ist bedacht darauf, dass alles seinen normalen Weg läuft.«****Ich nahm einen kräftigen Schluck, während ich mich hier umsah. Außer uns, saß noch eine jüngere Frau an den Tresen, die mit einem kleinen Kind sprach. Sofort fiel mir das Mädchen mit den schwarzen Haaren ins Gedächtnis. ****»Was überlegst du?«, fragte Pete, der mit aller Wahrscheinlichkeit mein Stirnrunzeln bemerkt hatte.****»Wozu trägt man eine Maske in einem Flugzeug?«****Pete sah verdutzt drein. »Ich kann dir nicht ganz folgen…«****Ich erwiderte seine fragenden Blicke. »Nun, weshalb würdest du eine Maske tragen?«****»Wie kommst du auf diese Frage?«, fragte er etwas besonnen.****Ich ließ etwas Luft aus meinen Lungen entweichen. »Hast du ein Problem damit?«****Jetzt runzelte auch er die Stirn. Er öffnete kurz seinen Mund, schloss ihn aber auch wieder kurz darauf. ****»Schon gut«, gab ich von mir. »Es ist mir nur eben eingefallen. Im Fernseher war ein Film zu sehen, in dem gerade ein brasilianischer Karnevalszuglief.«****Pete drehte sich wieder zu seinem Glas und leerte es in einem Zug. Dabei tropfte etwas roter Traubensaft auf die darunter liegende Serviette. Ich sah zu, wie sich der Tropfen darauf verteilte, während dieser papierähnliche Stoff die Flüssigkeit langsam vollständig in sich aufnahm. ****Erst war es nur ein roter Fleck, der sich aber rasch wandelte. Ein Streifen löste sich und floss kreisförmig nach unten, wobei er sogleich wieder eine Drehung vollzog und in die obere Richtung verlief.****»Können wir?«, fragte mich Pete.****Ich starrte ihn fragend an, während er einen kurzen Blick seiner Armbanduhr widmete. ****»Auf unsere Plätze gehen, wir landen schließlich in exakt 6 Minuten.«****Schon hörte ich die Stimme der Stewardess aus den Lautsprechern, die alle Passagiere aufforderte sich anzuschnallen.****Ich nickte, wobei ich nochmals auf die Serviette sah. Der Fleck hatte sich zu einem Symbol geformt, das ohne Zweifel eine Zahl aufzeigte. Doch schon knüllte Pete den getränkten Stoff mit der Hand zusammen und warf ihn gekonnt in den nahestehenden Papierkorb.****»Los geht´s«, forderte er mich auf. ****Die Frau an der Bar war auch schon gegangen und ich folgte wortlos Pete´s Anweisungen. Mein letzter Blick galt dem Mülleimer, bevor ich die Bar schließlich verließ.****An unseren Plätzen schnallten wir uns an und starrten zum Fenster hinaus. Schon konnten wir die Stadt erblicken, auch wenn meine Gedanken völlig woanders waren. Ich dachte andauernd über die mysteriösen Umstände nach, die mich hier die ganze Zeit über heimgesucht hatten. Waren das alles nur Träume und Einbildungen? Vielleicht aber handelte es sich auch nur um dumme Zufälle und reimte mir darauf etwas zusammen.****Ein kurzer Blick auf den Platz hinter mir, auf dem das kleine Mädchen gesessen hatte, ergab keine Neuigkeiten. Dort saß immer noch die dicke Frau mit dem bösen Blick.****Einige Minuten später setzte die Maschine zur Landung an und ich spürte ruckartig das Aufsetzen der Räder auf der Landebahn. Ich war erleichtert. Endlich geschafft. Mein Kopf wurde langsam wieder frei. Lediglichdas Symbol auf dem Papiertuch brachte mich nochmals dazu, ein mulmiges Gefühl zu bekommen. Wenn mich meine Sinne nicht vollends getäuscht hatten, war es die Zahl 6, die sich darauf manifestiert hatte.****

Die einsame Straße nach Peto

»Hier ist wirklich die Hölle los«, rief ich durch die Menge, die uns umgab. »Ich dachte, hier würden wir Urlaub machen!«****Pete, der einige Schritte vor mir her lief, drängte sich durch all die Touristen, die sich am Flughafen aufhielten. ****»Das ist nur hier so überfüllt. Sobald wir dieses Areal verlassen haben, wird es viel ruhiger.«****»Ich finde es äußerst interessant, dass du so viel über diesen Ort Bescheid weißt«, stellte ich etwas verwundert fest. »Mir scheint, als wärst du schon einmal hier gewesen.«****Der Flughafen schien kein Ende zu nehmen. Immer mehr Menschen tummelten sich dort und ich dachte schon, ich müsste hier ersticken. Doch Pete hatte Recht behalten. Kaum waren wir aus dem Flughafengebäude, verteilten sich die Leute derart, dass ich kurz aufatmend stehen bleib und meine Umgebung begutachten konnte. Wir waren also endlich in Mérida angekommen. ****Es war fantastisch. Pete hatte wirklich nicht zu viel versprochen. Die Gebäude vermittelten einem den Eindruck, dass hier die Zeit stehengeblieben war. Es war völlig anders als in New York. Hier standen wirkliche Bauten, die an die früheren Siedler erinnerten. Typische spanische Kolonialzeit, vermischt mit römischer Baukunst. Am Horizont sah man viele Türme und Kirchen in die Luft ragen, die in Kombination mit dem strahlend blauen Himmel einen gewissen Zauber versprühten. Aber auch die Straßen hatten etwas Besonderes an sich. Sie waren äußerst breit gebaut und es fuhr kaum ein Auto darauf. Die meisten Leute waren zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs und ab und zu fuhr auch eine Pferdekutsche an uns vorbei. Palmen und mediterrane Sträucher rundeten das Bild ab, wobei der Geruch von Hitze, der in der Luft lag, am bedeutendstenwar.****»Hier riecht es nach Freiheit«, ließ ich verlauten.****»Ja, hier lässt es sich aushalten. Kein Telefon, das nervt und kein Büro das wartet. Uns werden wundersame Dinge begegnen, dessen bin ich mir sicher.«****Ich sah zu ihm rüber. Irgendwie kam es mir so vor, dass Pete mehr über diese Gegend wusste, als ich glaubte. ****»Du warst aber nicht schon einmal hier und verschweigst es, oder? Du kannst es mir ruhig sagen, ich wäre bestimmt nicht sauer. Ich fände es sogar toll, denn dann wüsste ich, dass du dich hier auskennst.«****Pete jedoch starrte auf die Uhr.****»Wir müssen uns beeilen, unser Bus fährt in einer Stunde. Wenn wir den verpassen, sitzen wir den ganzen Nachmittag hier fest und dann könnte es bereits zu spät sein.«****Ich konnte ihm nicht ganz folgen und rückte mir meinen Reiserucksack etwas zurecht. »Ich verstehe nichts ganz. Welcher Bus? Ich dachte, wir bleiben in Mérida und schauen uns die Sehenswürdigkeiten an?«****Pete kam etwas näher. ****»So war es ja eigentlich auch geplant, aber in Mérida gibt es keine Zimmer mehr. Alle Hotels sind ausgebucht. Wir werden heute Nacht keine Bleibe finden. Wir werden morgen hierher zurückkehren, um alles anzuschauen, was es zu entdecken gibt. Außerdem soll es hier eine gigantische Diskothek geben, die um Mitternacht ihre Tore öffnet. Dort muss es die heißesten Frauen von ganz Mexiko geben!«****»Die heißesten Frauen sagst du?«****Er sah mich tiefdreinblickend an. »Die absolut schönsten. Wer weiß, vielleicht findest du dort eine Frau, die dir deinen Kopf frei macht und dir dein Gehirn rausvögelt!«****Ich grinste kopfschüttelnd. »Pete, du kranker Paradiesvogel. Du und deine Ideen!«****»Tja, so bin ich nun mal. Also komm, die Busstation liegt etwas weiter im Zentrum der Stadt.«****»Woher willst du eigentlich wissen, dass es kein Zimmer mehr gibt? Die Stadt ist groß genug für zwei läppische Touristen. Wieviel Einwohner hat diese Stadt? Ne halbe Million? Ich bin mir sicher, dass es irgendein Hotel in der Nähe gibt, das noch Schlafplätze hat.«****»Glaub mir, Charlie, wir werden kein Zimmer finden. Hier ist alles ausgebucht.«****»Woher weißt du das?«****»Ich weiß es eben, vertrau mir. Wir müssen zum Bus!«****Doch ich dachte nicht daran ihm anstandslos zu folgen. »Zuerst möchte ich wissen, was dich so sicher macht!«****Ich sah mich um und wurde sogleich fündig. Direktneben der Straße befand sich ein Hotel, das einen guten Eindruck vermittelte. Es hingen sogar Vorhänge an den Fenstern.****»Was ist damit? Wieso versuchen wir es nicht dort?«****»Warum sträubst du dich in den Bus zu steigen? Wir fahren nur aufs Land hinaus. Außerdem ist es auf dem Dorf weitaus billiger.«****»Pete, ich bin ziemlich fertig von dem Flug und immer noch etwas verspannt, meiner Flugangst betreffend. Gönn´ mir einfach eine Pause. Wieso nehmen wir uns nicht einfach hier ein Zimmer und ruhen uns etwas aus?«****Pete´s Gesichtsausdruck wurde etwas aufgeregter und er starrte wieder auf die Uhr. ****»Du wirst kein Glück haben, glaub mir.«****»Wird sich zeigen«, gab ich ihm zur Antwort und stapfte los. »Wenn es nichts wird, können wir immer noch den Bus nehme. Gern miete ich uns auch eineder Pferdekutschen, damit es schneller geht«, rief ich ihm noch sarkastisch entgegen.****Mit äußerster Eile erreichte ich das Hotel auf der gegenüberliegenden Seite. Innen war alles sorgfältig eingerichtet und viele Zimmerpalmen schmückten das zufriedenstellende Ambiente. An der Rezension empfing mich gleich ein Mexikaner, der mich sofort auf Amerikanisch willkommen hieß. Ein kurzer Blick durch die geöffnete Eingangstür ließ mich Pete erkennen, der immer noch auf der Seite des Flughafens stand. Irgendetwas hatte er zu verbergen, denn er wirkte unruhig und stetig sah er auf seine Uhr.****»Kann ich Ihnen helfen, Mister?«, fragte mich der Mann hinter dem Check-In, mit einem leicht gebrochenen Dialekt.****»Ich freue mich, dass Sie meine Sprache sprechen. Mein Spanisch ist etwas eingerostet«, grinste ich.****»Hier gibt es viele amerikanische Touristen, müssen Sie wissen. Ich muss mich eben auf meine Gäste einstellen.«****»Umso besser«, lobte ich ihn. »Ich brauche ein Zimmer für mich und meinenFreund.«****Er schlug sein Buch auf und blätterte ein wenig umher. »Für welchen Zeitraum?«****»Für heute natürlich! Ich weiß noch nicht, wohin es uns morgen verschlägt, wissen Sie?«****Er schüttelte mit dem Kopf. »Es tut mir leid, aber heute Nacht sind alle Zimmer belegt. Ich könnte Ihnen frühestens in drei Tagen einen Schlafplatz anbieten, sogar mit Dusche.«****Ich traute meinen Ohren nicht. Sofort sah ich zu Pete, der jetzt direkt am Hotel stand. Seine Augen blieben völlig starr und ich vermutete, dass er genau in diesem Augenblick an etwas dachte. Ich fragte mich an was.****»Kein Zimmer für heute Nacht?«****»Es tut mir wirklich leid, Sir, aber ich kann Ihnen keines vermieten.«****»Wissen Sie noch andere Hotels in der Stadt?«****»Oh, wir haben sehr viele Hotels in Mérida. Nur die meisten werden keine Amerikaner mehr aufnehmen. Seid der neue Präsident der Vereinigten Staaten sein Unwesen treibt, sind die meisten Mexikaner nicht sonderlich erpicht darauf, Ihre Landsleute aufzunehmen. Dennoch kann ich Ihnen auf der Karte zeigen, wo sie sich Hotels befinden, deren Besitzer selbst Amerikaner sind. Das Hotel »San Marina« als Beispiel, wäre genau das Richtige für Sie und Ihren Freund. Es ist ein reines Touristen-Hotel. Es befindet sich genau hier!«****Dabei zeigte mit dem Finger auf einen Ort auf seiner ausgebreiteten Stadtkarte.****Etwas entgeistert von seiner Aussage, verließ ich das Hotel in Richtung Pete. Er sah mich fragend an. ****»Und?«****»Du hattest Recht, kein Zimmer frei.«****»Habe ich es dir nicht gesagt?«****»Schon, doch er gab mir die Adresse eines anderen Hotels, das wir anfahren sollten. Wir rufen uns ein Taxi und werden es dort versuchen. Und wenn wieder nichts frei ist, gehe ich mit dir aufs Land,in Ordnung?«****Pete willigte mit mürrischem Gesichtsausdruck ein und starrte andauernd auf seine verdammte Armbanduhr. Es machte mich richtig nervös.****Doch als wir Minuten später das San-Marina erreicht hatten, erwartete uns dasselbe Schicksal. Auch hier waren keine Zimmer frei und auf die Frage, weshalb dem so ist, bekam ich eine Antwort, auf die ich mir keinen Reim machen konnte. ****»Was meinte er mit »… in dieser Zeit ist es immer so.« Die Mexikaner aus einer in der Nähe liegenden Stadt mieten diese Zimmer an. Haben die kein eigenes Dach über dem Kopf? Warum dem so ist, konnte mir der Hotelbesitzer auch nichtsagen, nur dass diese Leute jedes Jahr um diese Zeit drei Nächteden Aufenthalt buchen würden. Erkennst du einen Sinn darin?«****Pete verzog etwas unschlüssig den Mund und zuckte mit den Schultern. ****»Kann uns ja egal sein, wir haben ja unseren Schlafplatz. Wir fahren nach Xaya, einem etwas kleineren Ort südlich von hier. Dort finden wir mit Sicherheit ein Fremdenzimmer.«****Ich runzelte die Stirn. »Wie meinst du das? Hast du denn keines gebucht?«****»Die Leute dort haben kein Internet, Charlie. Bei solchen Orten braucht man die Logik des Cäsar – Veni Vidi Vici, verstehst du? Was glaubst du, weshalb wir unsere Handys zuhause gelassen haben? Die Leute von hier habeneinfach keine Verwendung dafür. Sie sind nicht so süchtig nach Wlan und Co. Hier leben sie noch nach den alten Prinzipien. Ist das nicht fantastisch?«****»Dein Wort ins Gottes Ohr!«****»Oder die des anderen«, erwiderte Pete schlagfertig und grinste.****Ich zog die Augenbrauen hoch und ließ das mal einfach so stehen. Doch plötzlich fiel mir wieder das mexikanische Mädchen ein, das mir im Flugzeug begegnet war. Diese Maske, die sie getragen hatte, glich der eines Teufels, denn zwei kurzer Hörner traten aus der Stirn hervor. Ebenso der Gesichtsausdruck erinnerte an eine Dämonenfratze. ****»Aber was ich dich noch Fragen wollte… Ist dir eigentlich auch dieses kleine Mädchen im Flugzeug aufgefallen?«****Pete wandte sich zu mir um, wobei er mich entgeistert anstierte. ****»Das kleine,schwarzhaarige Mädchen, mit dem Teddy in der Hand.«****»El taxi!«, rief er schlagartig, nachdem sich soeben eines an uns vorbeigeschlichen hatte. Offensichtlich hatte der Fahrer bemerkt, dass wir am Straßenrand nach einem Ausschau hielten.****»Darf ich bitten?«, gab Pete von sich, während er mir die Tür zum Beifahrer offenhielt. Er selbst stieg hinten ein und verstaute unsere großen Rucksäcke im Kofferraum.****»Terminal de autobuses de Mérida, por favor«, sagte Pete und gab dem Fahrer gleich zu Anfangs fünfhundert mexikanische Peso als Anzahlung. Ich staunte nicht schlecht.****»Das macht man hier so, Charlie. Der Fahrer setzt sich sonst nicht in Bewegung.****Der Mann hinter dem Lenkrad lachte. »Ihr Freund hat Recht«, reagierte er mit mexikanischem Slang. »Es gibt einfach zu viele, die nach der Fahrt nicht bezahlen wollen.«****Schon setzte sich der Wagen in Bewegung.****»Wohin soll es denn gehen?«, fragte er freundlich.****»Xaya«, erwiderte ich.****Er nickte leicht. »Sie sind offensichtlich amerikanische Touristen und wollen bestimmt die alten Maya-Ruinen aufsuchen?«****»Das haben wir vor«, gab ich ihm zur Antwort.****»…wenn uns genügend Zeit gegeben ist«, fuhr Pete dazwischen.****Ich sah ihn stutzig an. ****»Nun, wenn wir uns nicht von den Nachtclubs losreißen können…«****»Ah, ich verstehe«, grinste der Fahrer. »Ihr haltet Ausschau nach hübschen Señoritas.«****Eine Viertelstunde später waren wir endlich angekommen.****»Sind wir Ihnen noch etwas schuldig?«****»Nein, Señor, das Geld reicht aus.«****Als Pete ausstieg und zum Kofferraum stapfte, sah mich der Fahrer ernst an. ****»Wenn Sie nachher mit dem Bus nach Xaya reisen, steigen Sie auf keinen Fall früher aus. Bleiben sie auf der Bundesstraße, egal was passiert, verstehen Sie? Egal was passiert…«****Ich sah ihn fragend an.****»Es ist nur ein gut gemeinter Rat. Die Straßen dort sind gerade in dieser Zeit sehr gefährlich. Überall befindet sich Gesindel, die sie ausrauben und töten werden.«****Ich nickteetwas verblüfft. »Vielen Dank, für Ihren Hinweis, ich werde mich daran halten. Wie lange wird es mit dem Bus dauern, bis wir in Xaya ankommen werden?«****»Es wird um die achtzig Kilometer sein und ich schätze ein bis zwei Stunden Fahrt. Sie müssen wissen, dass der Bus nicht allzu schnell fahren kann.«****Ich atmete tief durch, bevor ich ausstieg. »Vielen Dank fürs Mitnehmen.«****»Keine Ursache. Möge Gott ihnen beistehen!« Dann fuhr er los. ****Pete lächelte leicht. »Nette Menschen hier, oder?«****»Nett und aufschlussreich.«****»Wie meinst du das jetzt schon wieder?«****»Nicht so wichtig. Wann fährt unser Bus ab?«****Pete starrte erneut auf seine Armbanduhr. »In exakt sieben Minuten müsste er hier ankommen, wenn er nicht Verspätung hat.«****»Der Fahrer hat mich gewarnt.«****Pete sah mich interessiert an. »Gewarnt? Vor was denn?«****»Vor Gesindel, das sich in Richtung Xaya aufhalten soll.«****»Und du glaubst ihm das?«****»Ich glaube zumindest, dass er sich das nicht aus den Fingern saugt. Wozu sollte er auch?«****»Charlie, hör endlich auf mit dieser Krimskrämerei. Entspann dich mal endlich. Schau dich doch mal um. Wir sind in Mexiko und haben Urlaub. Wir fahren in eine neue Zukunft. Alles wird danach anders sein, nichts ist dann mehr so wie früher. Wir werden uns verändern. Wir nehmen uns eine Auszeit von uns selbst.«****»Eine Auszeit von uns selbst?«, murmelte ich in mich hinein. Wollte ich das überhaupt?****Ein lautes Motorengeräusch riss mich aus meinen Gedanken. Ein großer, silbernerBus fuhr um die Ecke, der meiner Meinung nach schon bessere Zeiten hatte. Er war sehr schäbig und vermittelte nicht gerade den Eindruck sehr sicher zu sein. Er kam direkt an der Haltestelle zu Stehen.****Als sich die Türen öffneten, stieg solch eine Vielzahl von Menschen aus, dass ich beinahe glaubte, der Strom würde niemals abreißen. ****Auf der Fronttafel des Fahrzeugs stand Peto – Mérida. Offensichtlich kam der Bus von dort und hier war die Endstation. Doch plötzlich fiel mir etwas auf. Peto war jener Ort, von dem der Hotelbesitzer gesprochen hatte. Von dieser Stadt und deren Umgebung stammten die meisten Gäste, die die Hotels hier so extrem belegten. Zum Teufel auch, ich kam mir nun vor wie eine Ratte, die das rettende Schiff nicht verlassen wollte, sondern auch noch versuchte den Steuermann zu spielen.****»Hey Pete, ist das wirklich so eine gute Idee den Bus hier zu nehmen? Gibt es denn nicht andere Orte, die wir aufsuchen können? Muss es in diese Richtung gehen?«****Pete wirkte allmählich genervt. »Was ist denn schon wieder los, Charlie? Warum zweifelst du? Lass uns doch einfach einsteigen und auf Abenteuerreise gehen. Du wirst es lieben, glaub mir.«****Pete stieg ohne zu Zögern ein und löste ein Busticket. Zeitgleich wandelte sich die Schalttafel am Bus und von Peto – Mérida, zuMérida – Peto. Die Weichen für meinen Untergang waren also gestellt.****»Jetzt komm schon, Charlie«, rief Pete aus einem gekippten Fenster hinaus. »Der Bus wartet nicht ewig.«****Ich war skeptisch. Seltsam war auch, dass sonst niemand in den Bus einstieg. Pete war bisher der einzige Fahrgast.****»Ich muss verrückt sein«, sprach ich zu mir selbst und stieg schließlich ein, wenn auch mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend.****Während ich mich neben Pete setzte, schüttelte ich leicht mit dem Kopf. »Das gefällt mir ganz und gar nicht. Bemerkst du denn nicht, dass keiner sonst mitreist? Wir sind völlig allein hier. Mir kommt es so vor, dass alle dieses Gebiet um Peto verlassen und wir Idioten fahren direkt in die Höhle des Löwen.«****Plötzlich jedoch stiegen weitere Fahrgäste in den Bus.****Pete grinste mich an. »Keiner sonst reist also mit, verstehe. Ich glaube du leidest wirklich an einer blühenden Fantasie.«****Etwas beleidigt wandte ich mich ab und starrte zum Fenster hinaus. Ich beobachtete die Leute und wie sie ihrem Tagewerk nachgingen. Zeitgleich ließ ich meine Augen in der Umgebung schweifen und begutachtete die wirklich tollen Gebäude der Stadt.****Jetzt schlossen sich auch die Bustüren, dass mit einem der typischen Luftdruckgeräusche begleitet war. Kurz darauf gingen wir auf Tour. Holprig ging dabei her, offensichtlich waren die Stoßdämpfer des Fahrzeugs nicht mehr die neuesten. ****Wieder starrte ich aus dem Fenster undals wir mitten durch die Stadt fuhren, schreckte ich plötzlich auf.****»Was ist los?«, fragte mich Pete, der von meinem Aufschrei ebenso zusammengefahren war.****Doch ich antwortete nicht, denn ich war viel zu abgelenkt. Mitten in einem Pulk vom Menschen glaubte ich nackte Kinderfüße erspäht zu haben, die in meine Richtung gestellt waren. Ich reckte mich in sämtliche Positionen, um mehr darüber in Erfahrung zu bringen.Doch es war schwerer als vermutet. Die Leute verdeckten mir andauernd die Sicht, außerdem entfernte sich der Bus immer weiter davon.****»Bitte, halten Sie das Fahrzeug an!«, rief ich zum Fahrer, doch ich erntete lediglich seine gleichgültigen Blicke im Rückspiegel. Auch die anderen Fahrgäste starrten mich seltsam an.****»Charlie!«, griff mich Pete an. »Bist du jetzt völlig verrückt?«****Doch als der Bus um eine Kurve fuhr, konnte ich einen kurzen Blick erhaschen, der mir Aufschluss gab. Die Füße gehörten ohne Zweifel dem schwarzhaarigen Mädchen vom Flugzeug, das mit zerzausten Haaren und einem schmutzigen Nachthemd inmitten der Straße stand und mich anstarrte. In ihrer Hand trug sie den Teddybären.****Die Fahrt ging weiter und sie verschwand mehr und mehr aus meinem Sichtfeld. Es fiel mir schwer meine Gedanken davon zu lösen. Es glich einem mysteriösen Traum. Irgendetwas hatte das Mädchen an sich, was mich völlig aus der Bahn brachte, zudem es mehr als ungewöhnlich war, sie immer wieder zu entdecken. ****Ich sah zu Pete. Er hatte sich eine Landkarte aufgeschlagen, die er offensichtlich genau studierte.****»Ist wieder alles in Ordnung?«, fragte er mich, ohne mir auch nur einen Blick zu schenken.****Ich beschloss nun ab jetzt meine Gedanken für mich zu behalten, da er mir sowieso nicht glaubte, geschweige denn mirhelfen konnte. ****»Alles Okay, Pete.«****Ich sah mich unter den Passagieren um und zählte sie. Außer uns waren es acht Personen. Zwei Frauen und sechs Männer, die sich höchstwahrscheinlich kannten – die meisten zumindest. Sie redeten alle auf mexikanisch. ****Als wir schließlich die Stadt verließen, verspürte ich plötzlich eine starke Melancholie. Es war seltsam, doch ich fühlte mich einfach nicht wohl diese Zivilisation zu verlassen. Es kam mir vor, als würde ich mich tatsächlich auf dem Weg in die Hölle befinden. ****Die Straße wurde einsam. Ob es sich dabei um eine Autobahn oder Bundesstraße handelte, war mir schleierhaft, denn sie war nur einspurig. Erst ein vorbeiziehendes grünes Schild gab Aufschluss. »Carretera 184«, stand im oberen Teil und wenn mich nicht alles täuschte, war dies der spanische Begriff für Autobahn.****Ich starrte hinaus. Man sah nicht allzu weit in die Ferne, denn massenhaft Grünzeug verdeckten einem die Sicht.Baum um Baum, Strauch um Strauch und die gelbe doppelläufige Fahrbahnmarkierung in der Mitte war alles, was ich sehen konnte. So ging es bestimmt zehn Minuten lang, ohne dass irgendetwas passierte.****Endlich kam uns ein Fahrzeug auf der Gegenfahrbahn entgegen. Es war ein erleichterndes Gefühl zu wissen, dass es dort wohl noch andere Menschen gab. Ich sah ihm eine ganze Weile nach. ****Und wieder kreuzte ein Auto unseren Weg, der einiges an Gepäck auf dem Dachträger beladen hatte. Nun häuften sich diese Vorfälle. Immer mehr Wägen rasten die Autobahn entlang, die einem den Eindruck von Eile vermittelten. ****Ich sah durch die Rückscheibe unseres Busses und stellte fest, dass es auf unserer Fahrbahn völlig anders war. Keiner folgte uns, es war wie ausgestorben.****Pete saß immer noch da und sah auf die Karte. Ihn schien das alles überhaupt nichts zu interessieren. Entweder war er völlig blind oder ich drehte nur durch.****Ich beschloss aufzustehen und nach vorn zu laufen, um mir etwas die Beine zu vertreten. Pete reagierte nicht darauf.****Als ich an den ersten beiden Fahrgästen vorbeigelaufen war, starrten diese mich durchdringlich an. ****»Wollen Sie auch nach Peto?«, fragte mich eine etwas ältere Frau in meiner Sprache, wenn auch ziemlich gebrochen.Als ich sie mir genauer ansah, war ich der Meinung, dass es sich um eine typische Mexikanerin handelte. Lange schwarze Haare, dunkler Teint, und nach ihren Gesichtszügen zu urteilen, war einen Hauch von Zigeunerin in ihrem Blut. Gekleidet jedoch war sie sehr schlicht und glich dem Stil einer Nonne, da sie einen schwarzen Talar trug, der keine Kopfbedeckung vorwies. ****»Wir sind auf dem Weg nach Xaya, um dort zu übernachten«, antwortete ich, wobei ich zeitgleich auf Pete deutete. ****Sie riss die Augen auf. »Heute Nacht?«****Ich nickte. »Irgendwo müssen wir ja schlafen, damit wir morgen nach Mérida zurückkehren können, um dort die Sehenswürdigkeiten anzuschauen.****Und Sie? Wohin fahren Sie?«****»Wir sind auf dem Weg nach Peto, um dort den letzten Anschlussbus nach San Jose zu bekommen.«****Ich stutze einen Moment. »Fahren denn hier so wenig Busse? Es ist doch schließlich mitten am Tag.«****»Sie haben keine Ahnung, was in diesen Tagen hier los ist, nicht wahr?«****Dieser Satz versetzte mir einen Adrenalinschub. »Was meinen Sie?«****»Sie und Ihr Freund…«, sie stockte einen Augenblick. »…seid Touristen?«****»Ja, sind wir. Wir kommen aus New York und wollten Urlaub machen.«****»Setzen Sie sich«, bot sie mir den freien Platz neben ihr an. ****Ich überlegte nicht lange und folgte ihrer Bitte. Vielleicht verging die Zeit dann etwas schneller.****»Ich würde Ihnen gerne sagen, dass sie umkehren sollten, aber das geht jetzt nicht mehr.«****»Wie bitte? Das müssen Sie mir jetzt genauer erklären!«****»Wir sind schon zu lange unterwegs, um nach Mérida zurück zu laufen, verstehen Sie?«****»Wieso sollte ich umkehren?«****Sie sah mich mit ihren dunklen Augen tief an. »Um dem Teufel nicht zu begegnen!«****Ich schwieg, da ich nicht wusste, wie ich nun darauf reagieren sollte. Bestimmt meinte sie ein hohes Tier eines Drogenkartells. Verflucht Pete, ich dachte hier gäbe es keine.****»Wenn Sie in Xaya sind, verlassen sie auf keinen Fall die Dorfgrenze. Verschanzen Sie sich in einem Gebäude und warten Sie drei Nächte ab, bevor sie sich auf den Rückweg machen.«****»In Ordnung…«, antwortete ich wie vor den Kopf gestoßen. »Aber wieso sollten wir und verschanzen? Was geschieht denn dort? Und weshalb gibt es keine Möglichkeit zurückzukehren? Wie meinten Sie das?«****»Das heute Nacht für drei Tage der Busverkehr eingestellt wird«, sprach plötzlich ein Mann hinter meiner Gesprächspartnerin.****»Weshalb das denn?Was ist denn in den nächsten drei Nächten? Ist irgendein Fest der Grund?«****»Das werden Sie bald selbst feststellen. Dies ist der letzte Bus nach Peto.«****»Sie nehmen mich auf den Arm, oder?«****Der Mann schüttelte leicht mit dem Kopf. »Im Umkreis von einhundert Kilometernwerden Sie auf Busse vergeblich warten.«****»Das heißt, ich sitze hier die nächsten drei Tage fest?«, gab ich entsetzt von mir. »Gibt es denn wenigstens einen Zug, der mich hier raus bringt?«****»Es gibt keine Schienen durch dieses Gebiet. Der nächste Bahnhof ist in Mérida, aber die Gleise führen nach Mexiko-Stadt. Sie müssen wissen, der Zugverkehr ist in unserem Land nicht sehr weit ausgebaut. Der Zug verbindet nur die wichtigsten Städte. Sie sind hier auf Busse und eigene Fahrzeuge angewiesen.«****»Wer sind Sie, wenn ich mir diese Frage erlauben darf?«, forschte ich nach.****Der Mann mit dem typischen mexikanischen Schnauzbart, der ebensoin schwarz gekleidet war, stellte sich höflich vor.****»Ich bin Padre Ramirez und das ist Monja Lorena. Wir sind vom Orden von San Jose und fahren nun zu unserem Kloster zurück, um für die verlorenen Seelen zu beten.«****Ich musste zugeben, ich war ein wenig vor den Kopf gestoßen. Was meinte er mit »verlorenen Seelen«?****»Erlauben Sie mir mich ebenso vorzustellen: Mein Name ist Charlie Nolan und dort hinten sitzt mein Freund und Kollege Pete Warren.«****Wir schüttelten uns die Hände und besiegelten somit unsere Bekanntschaft. Ein gleichzeitiger Blick zu Pete ergab nichts Neues. Er starrte immer noch auf diese seltsame Karte. Vermutlich kundschaftete er bereits die neue Umgebung aus. ****»Aber bitte, erzählen Sie mir mehr davon. Was hat es mit den nächsten drei Tagen und Nächten auf sich? Ich muss zugeben, es versetzt mich ein wenig in Angst.«****»Das sollten Sie auch haben, denn die Ankunft der Finsternis ist alles andere als ein Spaß«, ließ Padre Ramirez verlauten.»Dürfte ich Ihnen eine persönliche Frage stellen? Sie sind aber keine von diesen Touristen, die absichtlich hergekommen sind, um dieses Geheimnis zu lüften, richtig? Sie sind rein zufällig hier?«****»Ich wüsste um kein Geheimnis, ehrlich gesagt. Wir wollten einfach nur einige Tage Urlaub machen, um auf andere Gedanken zu kommen.«****»Ich verstehe. Dann hören Sie mir bitte jetzt genau zu!«****Plötzlich jedoch wurden wir abrupt unterbrochen. Der Fahrer des Busses trat voll in die Eisen und ich hätte beinahe den Boden unter den Füßen verloren.****Als wir endlich zum Stehen kamen, atmeten alle mehr oder weniger aufgeregt. Selbst Pete kam nach vorn gelaufen.****»Zum Teufel auch«, stieß der Fahrer aus, der starr durch die Windschutzscheibe blickte.Dabei hielt er das Steuerrad krampfhaft fest.****Ich richtete mich auf und wagte einen Blick nach vorn. Auch die anderen Fahrgäste bemühten sich zu uns.****Ungefähr fünfzig Meter vom Bus entfernt, tummelte sich ein Rudel Schakale mitten auf der Straße, die soeben ein größeres, schwarzes Tier auffraßen und in Stücke rissen. Es war ein schauderhafter Anblick.****»Was ist das für ein Tier?«, fragte Pete.****Ich sah etwas genauer hin. Es war schwer zu erkennen, doch ich glaubte zu wissen, um was es sich dabei handelte. Doch der Fahrer kam mir zuvor.****»Das ist ohne Zweifel ein schwarzer Panther.«****»Ein Panther?«, stieß Pete aus. »Aber ist der nicht viel stärker, als ein läppisches Rudel Schakale?«****»Eigentlich schon«, antwortete der Fahrer, ohne auch nur einen einzigen Blick vom Geschehen zu nehmen. »Aber das sind keine normalen Viecher. Sehen Sie sich nur deren Augen an.«****Lorena bekreuzigte sich einige Male, während sie irgendetwas Unverständliches vor sich her murmelte.****»Hören Sie auf!«, rief der Fahrer. Dabei wandte er blitzschnell den Blick auf die Ordensschwester, die mit einem aufschreckenden Atemzug ihr Gebet verstummen ließ. ****»Das lockt sie nur an!«****Und tatsächlich! Schon kamen einige von denen auf unserenBus zu.****Es war eine gespenstische Stimmung. Es glich einer seltsamen Ruhe vor dem Sturm. Nichts rührte sich sonst draußen, selbst auf der Gegenfahrbahn war kein Fahrzeug zu sehen. ****»Was zur Hölle…«, entgegnete uns der Fahrer, als die restlichen Schakale den zerfleischten Panther ins Dickicht zogen.****»Fahren Sie los!«, rief ich, doch unser Chauffeur reagierte nicht auf meine Worte, stattdessen starrte er angsterfüllt auf die Straße und beobachtete die Schakale, die unseren Bus eingekreist hatten. ****Ein fürchterliches und angsteinflößendes Heulen brach an. Es war so durchdringend, dass uns allen die Furcht überkam. Mir trieb es die Gänsehaut über meinen gesamten Körper und sie ließen es nicht verstummen. Immer lauter wurden sie dabei und umkreisten stetig unseren Bus.****Plötzlich bemerkte ich, wie der Busfahrer mit seiner Hand in Richtung des Knopfes ging, der die Türen öffnete.****Rasch reagierte ich und sprang auf.****»Was tun Sie da?«, donnerte ich ihm entgegen, wobeiich nach seiner Hand griff. Doch er wehrte sich mit aller Kraft.****»Ich muss sie hereinlassen«, ächzte er abwesend.****»Sind Sie wahnsinnig, Mann? Sie werden uns alle zerfleischen!«****Wieder entfloh Lorena´s Lippen ein weiteres,