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In 'Nord gegen Süd: Historischer Abenteuerroman' entführt uns Jules Verne in eine faszinierende Welt des Amerikanischen Bürgerkriegs. Der Roman präsentiert eine Mischung aus historischen Fakten und fiktionalen Elementen, die den Leser in die Wirren des Konflikts zwischen Nord und Süd eintauchen lassen. Vernes präziser und detaillierter Schreibstil zieht den Leser von Anfang an in die Handlung und vermittelt ein lebendiges Bild der damaligen Zeit. Durch seine geschickte Verbindung von Fakten und Fiktion schafft Verne ein fesselndes Leseerlebnis, das sowohl geschichtsinteressierte Leser als auch Abenteuerliebhaber anspricht. Dieser historische Abenteuerroman ist nicht nur ein spannendes Leseerlebnis, sondern auch eine literarische Reise in die Vergangenheit.
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Seitenzahl: 565
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Florida, dessen Gebiet schon im Jahre 1819 dem großen amerikanischen Bundesstaate angeschlossen war, wurde wenige Jahre später zum eigenen Staat erhoben. Durch diese Angliederung nahm das Territorium der Republik um siebenundsechzigtausend Quadratmeilen zu. Der Stern Floridas glänzt jedoch nur wie ein Himmelskörper zweiter Größe am Firmament der siebenunddreißig Sterne, welche in der Flagge der Vereinigten Staaten nebeneinander gestellt sind.
Es bildet nur eine schmale und niedrige Landzunge, dieses Florida. Seine geringe Breite gestattet es den dasselbe bewässernden Flußläufen – mit der einzigen Ausnahme des Saint-John – nicht, zu einiger Bedeutung anzuwachsen. Bei der kaum unterbrochenen Bodenoberfläche fehlt es den Flüssen auch an stärker abfallenden Betten, um etwa eine reißende Strömung aufzuweisen. Eigentliche Berge gibt es nicht; nur vereinzelt ziehen sich da und dort schwach auftretende Linien jener »Bluffs« oder Hügel hin, die man in den mittleren und den westlichen Staaten der Union so häufig antrifft. Die Gestalt des Landes könnte man der eines Biberschwanzes vergleichen, der zwischen dem Atlantischen Ocean im Osten und dem Golf von Mexiko im Westen ins Meer eintauchte.
Florida hat also keinen weiteren Nachbar als den Staat Georgia, dessen Grenze im Norden mit der seinigen verläuft. Diese Grenze bildet gleichzeitig die Landenge, welche die Halbinsel mit der übrigen Landmasse verbindet.
Alles in Allem erscheint Florida mit seinen zur Hälfte spanischen, zur Hälfte amerikanischen Ein wohnern und den, von ihren Stammesgenossen im Far-West sich wesentlich unterscheidenden Seminolen-Indianern als ein merkwürdiges, fast fremdartiges Land. Wenn es einerseits dürr, sandig und am südlichen Ufer beinahe vollständig von Dünenreihen umrahmt ist, welche der Atlantische Ocean im Laufe der Zeiten aufthürmte, so zeigt andererseits der Boden seiner nördlichen Ebenen eine geradezu wunderbare Fruchtbarkeit. Seinem Namen macht es volle Ehre, denn die Flora des Landes ist prachtvoll, üppig und von überraschender Abwechslung, was ohne Zweifel daher kommt, daß diese Gebietstheile von dem Saint-John reichlich bewässert werden. Langsam wälzen sich die Gewässer desselben in breitem Bande und in der Richtung von Süden nach Norden gegen zweihundertfünfzig englische Meilen (= 402 Kilometer) weit hin, von denen hundertsieben Meilen (= 172 Kilometer) bis zum Georg-See bequem schiffbar sind. Die große, den Querflüssen des Landes mangelnde Längenentwicklung verdankt er der Richtung seines Laufes. Zahlreiche Seitenarme ernähren ihn, indem sie ihm, meist in den vielen Ausbuchtungen seiner beiden Ufer, ihr Wasser zuführen. Der Saint-John bildet also die Hauptarterie des Landes; er belebt es mit seinen Fluthen – diesem Blute, das durch die Adern der Erde rollt.
Am 7. Februar 1862 glitt der Dampfer »Shannon« den Saint-John hinab. Um vier Uhr des Morgens sollte derselbe, nachdem er schon die stromaufwärtsgelegenen Stationen und die verschiedenen Forts der Grafschaften (Counties) Saint-Jean und Putnam berührt, den kleinen Flecken Picolata anlaufen. Einige Meilen weiter hin gelangt er dann nach der Grafschaft Duval, die sich bis zu der, von dem Flusse gleichen Namens begrenzten Grafschaft Nassau ausdehnt.
Picolata selbst ist nur eine unbedeutende Ortschaft, seine Umgebungen aber bergen reiche Indigo- und Reispflanzungen, große Baumwoll- und Zuckerrohrfelder, sowie unermeßliche Cypressenwaldungen. Hier lebt auch auf ziemlich weitem Umkreise eine verhältnißmäßig dichte Bevölkerung, und seine Lage sichert ihm einen beträchtlichen Personen- und Güterverkehr. Es ist ferner der Emschiffungsplatz für Saint-Augustine, eine der bedeutenderen Städte des östlichen Florida, welche gegen zwölf Meilen von hier am Gestade des Oceans da liegt, wo diesem die lange schmale Insel Anastasia vorgelagert ist. Ein fast schnurgerader Weg setzt den Flecken und die Stadt in Verbindung.
An genanntem Tage hätte man nahe der Landungsbrücke von Picolata eine größere Menge Reisender als gewöhnlich wahrnehmen können. Verschiedene schnell dahinrollende Wagen, sogenannte »Stages«, d. s. achtsitzige Gefährte mit einer Bespannung von vier bis sechs Maulthieren, welche wie toll über jene Straße und durch die Sümpfe dahinjagen, hatten sie hierher befördert. Es kam nämlich darauf an, das Vorüberkommen des Dampfers nicht zu versäumen, wenn man nicht eine Verzögerung von mindestens achtundvierzig Stunden erleiden wollte, um die stromabwärts gelegenen Städte, Flecken, Forts und Dörfer zu erreichen. Der »Shannon« berührt nämlich nicht jeden Tag die beiden Ufer des Saint-John, und jener Zeit versah dieser Dampfer den Dienst auf dem Flusse noch allein. Man muß also in Picolata bei der Hand sein, wenn er daselbst anlegt, und so hatten die Wagen denn auch ihr Contingent an Passagieren schon vor einer Stunde hier abgesetzt.
Eben jetzt befanden sich wohl gegen fünfzig an der Landungsbrücke von Picolata. Sie warteten, nicht ohne eine gewisse Erregtheit unter einander schwatzend. Man hätte leicht beobachten können, daß sie zwei besondere Gruppen bildeten, welche wenig Neigung verriethen, sich einander zu nähern. Ob es nun eine besonders ernste Angelegenheit, etwa eine politisch wichtige Sache gewesen war, die sie alle nach Saint-Augustine getrieben gehabt hatte – jedenfalls lag es auf der Hand, daß es zu einer Einigung zwischen ihnen nicht gekommen war. Als Feinde dort eingetroffen, kehrten sie auch als solche zurück. Das sah man nur deutlich an den gereizten Blicken, die sie untereinander austauschten, an der Absonderung, welche beide Gruppen beobachteten, und hörte man aus verschiedenen übellaunigen Worten, deren aufreizender Sinn Niemandem zu entgehen schien.
Jetzt gellte von stromaufwärts her langgedehntes Pfeifen durch die Luft. Der »Shannon« erschien hinter einer hervorspringenden Ecke des rechten Ufers, eine halbe Meile oberhalb Picolata. Dicke Rauchwolken drangen wirbelnd aus seinen beiden Schornsteinen und lagerten sich um die Kronen der großen Bäume, welche der Seewind am entgegengesetzten Ufer abschüttelte. Die sich bewegende Masse nahm rasch an Größe zu. Die Fluth war im Abnehmen. Die durch dieselbe früher verursachte Gegenströmung hatte die Bewegung des Schiffes drei bis vier Stunden vorher verlangsamt, jetzt aber begünstigte sie diese, da die Wassermassen des Saint-John wieder nach seiner Mündung hin zurückwichen
Endlich ließ sich die Glocke vernehmen. Die Schaufelräder arbeiteten rückwärts gegen das Wasser und brachten den »Shannon« zum Stillstand, so daß dieser, dem Zug der Sorrtaue nachgebend, sich dicht an die Landungsbrücke legte
Die Einschiffung vollzog sich mit einer gewissen Hast; eine der beiden Gruppen ging zuerst an Bord, ohne daß ihr die andere dabei den Rang abzulaufen versuchte. Das rührte offenbar davon her, daß die letztere einen oder mehrere noch rückständige Passagiere erwartete, welche Gefahr liefen, das Boot zu versäumen, denn zwei oder drei Männer traten daraus hervor und eilten am Quai von Picolata bis nach der Stelle, wo die Straße nach Saint-Augustine mündet. Von dort blickten sie augenscheinlich ungeduldig in der Richtung nach Osten hinaus.
Das hatte auch seinen guten Grund, denn der auf der Commandobrücke des »Shannon« stehende Capitän rief schon dringend:
»Einsteigen! Einsteigen!
– Nur noch wenige Minuten, erwiderte Einer aus der zweiten Gruppe, der auf der Landungsbrücke zurückgeblieben war.
– Ich kann nicht warten, meine Herren.
– Nur ein paar Minuten!
– Nein, nicht eine einzige!
– Nur einen Augenblick!
– Unmöglich! Die Flut nimmt ab und ich würde Gefahr laufen, über der Barre von Jacksonville nicht genug Fahrwasser zu finden!
– Uebrigens, ließ sich einer der Reisenden vernehmen, haben wir nicht die geringste Ursache, uns den Launen von Nachzüglern zu fügen!«
Der Mann, der diese Bemerkung gemacht hatte, gehörte zu der ersten Gruppe, welche auf dem hinteren Oberdeck des »Shannon« Platz genommen hatte.
»Ganz meine Ansicht, Herr Burbank, antwortete der Capitän. Der Dienst vor Allem!... Vorwärts, meine Herren, oder ich gebe Befehl, die Sorrtaue einzuziehen!«
Schon machten sich einige Männer vom Dampfer bereit, diesen mittelst ihrer dicken Stangen von der Landungsbrücke nach dem Fahrwasser hinauszuschiebenund wiederholt ließ die Dampfpfeife ihren schrillen Ton vernehmen. Da unterbrach ein Ausruf die Vorbereitungen zur Abfahrt.
»Da kommt Texar!... Da kommt Texar!«
Ein in größter Eile dahersausender Wagen erschien eben an der Ecke des Quais von Picolata.
Die vier Maulthiere, welche denselben zogen, hielten dicht vor der Landungsbrücke still. Ein Mann entstieg dem Wagen. Seine Genossen, die ihm entgegen gegangen waren, kamen eilends wieder herzu, dann gingen Alle an Bord.
»Noch einen Augenblick, Texar, und Du wärst nicht mit fortgekommen, was doch recht unangenehm gewesen wäre, sagte der Eine jener Beiden.
– Ja, Du hättest vor zwei weiteren Tagen nicht zurück sein können in.. Wo?... Nun, das werden wir ja erfahren, wenn Dir's zu sagen beliebt, setzte der Andere hinzu.
– Und hätte der Capitän auf den unverschämten Burbank gehört, nahm ein Dritter das Wort, so schwamm der »Shannon« jetzt schon eine gute Viertelmeile unterhalb Picolatas.«
Texar hatte sich, begleitet von seinen Freunden, nach dem Vorderdeck begeben. Er begnügte sich, James Burbank, von dem ihn nur die Commandobrücke trennte, einen boshaften Blick zuzuwerfen. Wenn er auch kein Wort laut werden ließ, so verrieth es doch jener Blick, daß zwischen diesen beiden Männern ein unversöhnlicher Haß herrschen mußte.
Was James Burbank angeht, so drehte dieser, nachdem er Texar kurz aber gerade in das Gesicht angesehen, dem Gegner nichtachtend den Rücken und setzte sich auf dem Hinterdeck, wo seine Anhänger schon Platz genommen hatten, ruhig nieder.
»Er ist nicht bei guter Laune, der Burbank, meinte einer der Genossen Texar's. Kann mir's leicht denken. Das hat er nun von seinen Lügen, und der Recorder (eine Art Stadtrichter in England und Amerika) hat seinen falschen Zeugnissen volle Gerechtigkeit widerfahren lassen.
– Aber noch nicht seiner Person, fiel Texar ein, und daß der Richterspruch auch diese ereilt, das nehme ich auf mich.«
Der »Shannon« hatte inzwischen die ihn mit dem Lande verbindenden Taue gelöst. Der durch die langen Bootshaken abgedrängte Vordertheil tauchte schon wieder in die Strömung. Dann glitt er, getrieben von seinen mächtigen Rädern, welche die zurückweichende Fluth noch weiter unterstützte, schnell zwischen den Ufern des Saint-John hinab.
Die Bauart dieser Dampfboote, welche den Dienst auf amerikanischen Strömen versehen, ist ja wohl ziemlich allgemein bekannt. Wirklich schwimmende Häuser von mehreren Stockwerken und überdeckt von breiten Terrassen, werden sie von den zwei Maschinenschornsteinen hoch überragt, und daneben von den Flaggenmasten, welche gleichzeitig zur Befestigung einer Zeltüberdachung dienen. Auf dem Hudson wie auf dem Mississippi könnten diese Dampfboote, diese Wasserpaläste, wohl die ganze Bevölkerung eines Fleckens aufnehmen. So großartiger Verhältnisse bedurfte es nicht für den Verkehr auf dem Saint-John und den der Städte Floridas. Der »Shannon« ist nur ein schwimmendes Hôtel, obwohl er der inneren wie äußeren Anordnung nach den »Kentukys« oder »Dean Richmonds« vollkommen ähnelte.
Das Wetter war prächtig. Ueber dem tiefblauen Himmel verbreiteten sich nur vereinzelt leichte Dunstwolken. Hier unter dem 30. Breitengrad ist der Monat Februar in der Neuen Welt fast ebenso warm wie in der Alten etwa an der Grenze der Sahara. Dabei wehte übrigens eine angenehme Seebrise, welche hier das sonst leicht allzu heiße Klima mäßigte. Die allermeisten Passagiere des »Shannon« waren auch auf dem Verdeck geblieben, um den erquickenden Duft einzuathmen, den die Winde aus den benachbarten Wäldern herübertrugen. Die schrägen Strahlen der Sonne konnten sie nicht erreichen unter den Zeltdächern, welche durch die eigne Schnelligkeit des Dampfers gleich indischen Punkas hin und her bewegt wurden.
Texar und fünf bis sechs seiner Begleiter, die mit ihm zu Schiffe gegangen waren, hatten es vorgezogen, sich nach einer der Abtheilungen des Speisesaales hinab zu begeben. Hier vertilgten sie – geübte Trinker, deren Gaumen an die starken Liqueure der amerikanischen Schänken gewöhnt waren – ganze Gläser voll Gin, Bittrem oder Bourbon-Whisky. Es waren ziemlich rohe Gesellen mit vernachlässigtem Aeußeren und roh in ihren Reden, mehr mit Leder als mit Tuch bekleidet, und dem Anschein nach gewohnt, mehr in den Urwäldern als in den Städten Floridas zu leben. Texar schien über sie eine Art Oberherrschaft auszuüben, die er wohl nicht weniger seiner Energie des Charakters, wie seiner hervorragenden Stellung und guten Vermögenslage verdankte. Da Texar nicht zu sprechen beliebte, schwiegen seine Genossen ebenfalls still und verwendeten die Zeit, da sie nicht plauderten, eifrig zum Trinken.
Nachdem Texar flüchtigen Blickes eine der Zeitungen durchmustert, die auf den Tischen des Speisesalons zerstreut lagen, warf er das Blatt weg mit den Worten:
»Das ist Alles schon alt!
– Glaub' es gern, bestätigte einer seiner Begleiter, eine vor drei Tagen erschienene Nummer!
– Und binnen drei Tagen geschieht Mancherlei, seit man sich jetzt vor unseren Thoren schlägt, setzte ein Anderer hinzu.
– Wie stehts denn überhaupt mit dem Kriege? fragte Texar.
– Was uns persönlich nahe angeht, Texar, wie folgt: die föderalistische Regierung beschäftigt sich, wie man sagt, mit den Vorbereitungen zu einer Expedition nach Florida. Wir werden uns also in nächster Zeit auf einen Einfall der Föderalisten gefaßt machen müssen.
– Ist das gewiß?
– Ich weiß es nicht; das Gerücht davon ging aber in Savannah, und in Saint-Augustine hat man es mir bestätigt.
– Bah! Sie mögen nur kommen, diese Föderalisten, die sich vermessen, uns unterdrücken zu wollen! rief Texar, der seine Drohung mit einem so heftigen Faustschlage begleitete, daß die Gläser und Flaschen auf dem Tische tanzten. Ja, sie mögen nur kommen! Man wird dann ja sehen, ob die Sclavenbesitzer Floridas sich von jenen abolitionistischen Räubern gutmüthig ausplündern lassen!«
Diese Antwort Texar's hätte Jedem, der bezüglich der eben jetzt in Amerika sich abspielenden Ereignisse nicht auf dem Laufenden gewesen wäre, zweierlei gelehrt: daß der thatsächlich durch jenen am 11. April vom Fort Sumter abgefeuerten Kanonenschuß erklärte Secessionskrieg jetzt fast am hitzigsten wüthete, denn er streckte sich hinab bis zu den Grenzen des äußersten Südens; und dann, daß Texar als Parteigänger der Sclaverei gemeinsame Sache mit der weitaus größten Mehrheit der Bevölkerung der sogenannten Sclavenstaaten machte.
Heute fanden sich nun an Bord des »Shannon« mehrere Vertreter der zwei Hauptparteien, einestheils – nach den verschiedenen, ihnen während dieses langen Kampfes gegebenen Benennungen – Nordstaatler, Anti-Sclavenkämpfer, Abolitionisten oder Föderirte, und anderentheils Südstaatler, Sclavenkämpfer, Secessionisten oder Conföderirte.
Eine Stunde später erhoben sich, nachdem sie sich hinreichend gesättigt, Texar und die Seinigen, um nach dem Oberdeck des »Shannon« zurückzukehren. Das Schiff war schon an der rechten Uferseite an der Trent- und der Sechsmeilenbucht vorübergekommen, welche den Zusammenhang der Gewässer des Flusses, die eine mit dem Innern eines dichten Cypressenwaldes, die andere mit den ausgedehnten Zwölfmeilen-Sümpfen vermitteln, welche Letztere den Namen von ihrer Länge entlehnt haben.
Der Dampfer zog jetzt zwischen einer Doppelwand prächtiger Bäume dahin, zwischen Tulpenbäumen, Magnolien, Pinien, Cypressen, immergrünen Eichen, Yuccas und verschieden anderen, die sich alle durch schönen Wuchs auszeichneten und deren Stämme unter einem unentwirrbaren Dickicht von Azaleen und Schlangenkraut verschwanden. Zuweilen erschien an der offenen Seite jener Buchten, durch welche die sumpfigen Ebenen der Grafschaften Saint-Jean und Duval den Wasserzufluß erhalten, die ganze Atmosphäre von starkem Moschusgeruch erfüllt. Dieser rührte jedoch nicht von jenen Pflanzenspecies der zur Familie Mimulus gehörigen Moschusblume her, deren Duft sich in diesen Klimaten oft recht bemerkbar macht, sondern von Alligatoren, welche bei dem Vorüberrauschen des »Shannon« nach dem hohen Ufergebüsch entflohen. Dazu flatterten Vögel aller Art in die Höhe, Spechte, Sumpfreiher, Jaccamars oder Glanzvögel, Rohrdommeln, weißköpfige Tauben, Orpheen, Spottvögel und hundert andere von verschiedener Gestalt und Befiederung, während der merkwürdige Katzenvogel mit seiner Bauchrednerstimme alle Laute, jedes Geräusch derselben nachahmte – selbst das sonore, fast dem Ton einer Metalltrompete gleichende Geschrei des Halskrausenhahnes, dessen Laute man bis auf eine Entfernung von vier bis fünf (englischen) Meilen hören kann.
In dem Augenblicke, wo Texar hinter dem Treppenmantel hervortrat, um sich wieder nach dem Verdeck zu begeben, wollte eben eine Frau nach dem Salon hinuntergehen. Diese wich etwas zurück, als sie sich unerwartet jenem Manne gegenübersah. Es war eine im Dienste der Familie Burbank stehende Mestizin. Ihre erste Bewegung war die eines unüberwindlichen Abscheus, als sie sich Auge in Auge mit jenem erklärten Feind ihres Herrn befand. Ohne auf den stechenden Blick, den Texar ihr zusandte, weiter zu achten, wich sie zur Seite aus; Jener dagegen wandte sich, die Achseln zuckend, an seine Genossen:
»Ja, das ist Zermah, rief er, eine der Sclavinnen jenes James Burbank, der sich als Gegner der Sclaverei aufzuspielen wagt.«
Zermah gab keine Antwort. Als der Eingang zur Treppenkappe frei war, begab sie sich nach dem großen Salon des »Shannon« hinunter, scheinbar ohne diesem Zwischenfall die geringste Beachtung zu schenken.
Texar selbst wandte sich nach dem Vordertheile des Schiffes. Nachdem er sich dort, ohne sich weiter um die Genossen, die ihm gefolgt waren, zu bekümmern, eine Cigarre angezündet, schien er mit einer gewissen Aufmerksamkeit das linke Ufer des Saint-John nahe der Grenze der Grafschaft Putnam ins Auge zu fassen.
Indessen drehte sich das Gespräch auf dem Hinterdeck des »Shannon« ebenfalls um die kriegerischen Ereignisse. Nachdem Zermah sich entfernt, war James Burbank mit zwei Freunden, die ihn nach Saint-Au gustine begleitet hatten, allein zurückgeblieben; der Eine war sein Schwager, Mr. Edward Carrol, der Andere ein Floridier, Mr. Walter Stannard, der in Jacksonville wohnte.
Auch diese drei Männer sprachen mit einer gewissen Erregtheit von dem blutigen Kampfe, dessen endlicher Ausgang eine Lebensfrage für die Vereinigten Staaten bildete. Wir werden aber erkennen, daß James Burbank bezüglich dieser hochwichtigen Angelegenheit ganz andere Anschauungen hegte als jener Texar.
»Es verlangt mich dringend, sagte er, nach Camdleß-Bay zurückzukehren. Wir sind seit zwei Tagen abwesend; vielleicht sind inzwischen neue Nachrichten vom Kriege eingetroffen; vielleicht auch sind Dupont und Sherman schon im Besitz des Port-Royal und der Inseln von Süd-Carolina.
– Jedenfalls kann das nicht lange auf sich warten lassen, antwortete Edward Carrol, und es sollte mich sehr wundern, wenn der Präsident Lincoln den Feldzug nicht noch bis nach Florida selbst ausdehnte.
– Das könnte er gar nicht zeitig genug thun! meinte James Burbank; wahrhaftig, es ist höchste Zeit, den Willen der Union allen diesen Südstaatlern von Georgia und Florida, die sich für weit genug vom Schusse glauben, um jemals erreicht zu werden, wieder aufzunöthigen. Ihr seht ja, bis zu welchem Grade von Frechheit solche Zustände heimatlose Landstreicher wie jenen Texar verleiten können. Er pocht auf die Unterstützung der Sclavenhalter des Landes und reizt sie auf gegen uns Leute aus dem Norden, deren Lage sich von Tag zu Tag schwieriger gestaltet und die wohl alle Rückschläge des Kampfes empfinden müssen.
– Du hast Recht, James, erwiderte Edward Carrol. Es ist höchst nothwendig, daß Florida wieder unter die Gewalt der Regierung von Washington kommt. Ja, auch ich sehne mich danach, daß die föderalistische Armee hier Gesetz und Ordnung wieder herstellt, sonst werden wir noch gezwungen sein, unsere Pflanzungen ganz zu verlassen.
– Das ist vielleicht nur eine Frage weniger Tage, lieber Burbank, murmelte Walter Stannard. Als ich vorgestern Jacksonville verließ, herrschte schon eine allgemeine Beunruhigung wegen der dem Commodore Dupont zugeschriebenen Absicht, die Einfahrt in den Saint-John zu erzwingen, und das gab einen passenden Vorwand, Diejenigen zu bedrohen, welche nicht wie die Parteigänger der Sclaverei denken. Ich fürchte sehr, daß in allernächster Zeit ein Straßenaufruhr die südstaatlichen Behörden zu Gunsten von Leuten der schlimmsten Sorte stürzen dürfte.
– Das nimmt mich nicht wunder, antwortete James Burbank. Auch bei etwaiger Annäherung der föderalistischen Armee werden uns noch genug schwere Tage bevorstehen. Doch es ist eben unmöglich, das zu vermeiden.
– Was sollten wir übrigens auch thun? fragte Walter Stannard. Selbst wenn sich in Jacksonville und vielleicht an einzelnen Punkten in Florida da und dort muthige und tüchtige Colonisten finden, welche bezüglich der Frage der Sclaverei ebenso denken wie wir, so sind diese doch bei weitem nicht zahlreich genug, um sich etwaigen Uebergriffen der Secessionisten zu widersetzen. Wir können, was unsere Sicherheit angeht, nur auf das Eintreffen der Föderalisten rechnen, und wenn deren Einmarsch einmal beschlossene Sache ist, so wäre nur zu wünschen, daß er so schnell wie möglich erfolge.
– Ja... wenn sie nur bald kämen, rief James Burbank, uns aus der Gewalt jener schändlichen Buben zu erlösen!«
Es wird sich bald zeigen, ob die Männer aus dem Norden, welche Familien- oder Vermögensrücksichten nöthigten, sich, um überhaupt unter einer der Sclaverei günstigen Bevölkerung leben zu können, den landesüblichen Gewohnheiten anzubequemen, Recht hatten, eine solche Sprache zu führen und nicht Ursache hatten, Alles zu fürchten.
Was James Burbank und seine Freunde über den Krieg dachten, entsprach völlig der Wahrheit. Die föderalistische Regierung rüstete eine Expedition aus mit der Absicht, sich Florida zu unterwerfen. Es handelte sich dabei weniger darum, sich des Staates zu bemächtigen oder ihn militärisch zu besetzen, sondern nur darum, alle Ausgänge den Contrebandisten zu verschließen, welche unablässig die Blockade zu brechen suchten, sowohl um einheimische Erzeugnisse auszuführen, als auch um Waffen und Schießbedarf hineinzuschmuggeln.
Der »Shannon« wagte jetzt schon gar nicht mehr, die südlichen Küstenstriche von Georgia, die sich in der Gewalt der Generale des Nordens befanden,anzulaufen. Er ging aus Vorsicht nicht weiter, als bis zur Grenze, ein wenig oberhalb der Mündung des Saint-John, bis zu dem etwa so hoch wie der nördliche Theil der Insel Amelia gelegenen Hafen von Fernandina, von dem die Eisenbahn von Cedar-Kays ausgeht, welche die Halbinsel Florida in schräger Richtung durchschneidet und im Golf von Mexico mündet. Weiter nördlich als die Insel Amelia und der Rio Saint-Mary wäre der »Shannon« Gefahr gelaufen, von föderalistischen Schiffen abgefangen zu werden, welche unablässig diesen Theil der Küste überwachten.
Hieraus ergibt sich schon, daß die Passagiere des Dampfers in der Hauptsache aus Floridiern bestanden, deren Geschäfte sie nicht weiter als bis zu den Grenzen des Landes zu gehen nöthigten. Alle wohnten in den, an den Ufern des Saint-John und seiner Nebenflüsse erbauten Städten, Flecken und Weilern, die meisten von ihnen entweder in Saint-Augustine oder in Jacksonville.
An derartigen Stationen konnten sie entweder über die Landungsbrücke, welche ein Stück ins Wasser herausragte, oder unter Benützung hölzerner Verpfählungen, sogenannter »Piers«, aussteigen, welche nach englischer Methode angelegt waren und Jene von der Benützung besonderer Boote befreiten.
Einer der Passagiere des Dampfers indeß wollte diesen mitten im Strom verlassen. Er beabsichtigte ohne das Anlegen des »Shannon« an einem regelmäßigen Landungsplatz abzuwarten, an einer Stelle des Stromes auszusteigen, wo weder ein Dorf, noch ein einzelnes Haus, ja nicht einmal eine Jäger- oder Fischerhütte zu erblicken war.
Dieser Passagier war Texar.
Gegen sechs Uhr Abends ließ der »Shannon« drei laute Pfiffe hören. Seine Maschine wurde fast augenblicklich gestoppt und er glitt nur mit der Strömung weiter, die an dieser Stelle des Flusses eine sehr schwache ist. Er befand sich jetzt gegenüber der schwarzen Bucht.
Diese Bucht bildet eine tiefe, in das linke Uferland hineinragende Aushöhlung, in deren Hintergrunde ein kleinerer namenloser Rio sich ergießt, welcher am Fuße des Fort Heilmann, hart an der Grenze der Grafschaften Putnam und Duval, vorüberfließt. Seine schmale Quelle verschwindet fast ganz unter einem Gewölbe von üppigem Gezweig, dessen Blätterwerk sich wie der Einschlag eines sehr dichten Gewebes mit jenem vermengt. Diese düstere Lagune ist sozusagen den Leuten im Lande so gut wie unbekannt. Niemand noch hat es versucht, in dieselbe einzudringen, und Niemand wußte, daß sie jenem Texar zum Aufenthaltsorte diente. Die Erklärung hiervon liegt darin, daß das Ufer des Saint-John an der Oeffnung der schwarzen Bucht nirgends eine Unterbrechung zu er leiden scheint. Jetzt, wo die Nacht ziemlich schnell herabsank, mußte ein Fährmann sehr bekannt mit der Oertlichkeit sein, um sich mit einem Boote in diese tiefschattige Bucht zu wagen.
Auf die ersten durchdringenden Töne der Dampfpfeife des »Shannon« hatte sofort ein dreimal wiederholter Ruf geantwortet.
Der Schein eines Feuers, das zwischen hohem Gestrüpp am Ufer leuchtete, setzte sich darauf in Bewegung, als Zeichen, daß ein Boot an den Dampfer anlegen wollte.
Es war das ein Skiff, ein kleines Boot aus Baumrinde, das ein einziges Doppelruder zu steuern und fortzutreiben genügte. Bald befand sich das Skiff nur noch eine halbe Kabellänge vom »Shannon«.
Texar begab sich nach dem äußersten Theile des Vorderdecks und rief, mit seinen Händen eine Art Sprachrohr bildend:
»Aoh!
– Aoh! ertönte es als Antwort.
– Bist Du es, Squambo?
– Ja, Herr!
– Lege an!«
Das Skiff drehte neben dem Dampfer bei. Beim Schein einer am Ende seines Vorderstevens angebrachten Fackel konnte man den Mann erkennen, der es führte. Es war ein Indianer mit tiefschwarzem, dickem Haar und nackt bis zum Gürtel – eine kräftige Gestalt, nach dem Torso zu urtheilen, den er beim zitternden Fackelschein zeigte.
Eben wandte sich Texar nach seinen Genossen zurück, denen er die Hand drückte und ein bedeutungsvolles »auf Wiedersehen« zurief. Nachdem er noch einen drohenden Blick nach der Seite Burbank's zu geworfen, stieg er die hinter dem Radmantel des Backbords angebrachte Treppe hinab und gesellte sich zu dem Indianer Squambo. Mit einigen Ruderschlägen hatte sich der Dampfer von dem Skiff entfernt und kein Mensch konnte nun ahnen, daß das leichte Boot sich unter dem Buschwerk des Ufers verlieren sollte.
»Ein Schurke weniger an Bord! bemerkte Edward Carrol, ohne sich darum zu kümmern, ob er nicht etwa von den Genossen Texar's gehört werden könne.
– Ja wohl, bestätigte Burbank, und der ist gleichzeitig ein höchst gefährlicher Verbrecher. Ich wenigstens hege in dieser Beziehung nicht den geringsten Zweifel, obwohl der Elende sich immer durch wirklich unerklärliche Beweise seines Alibi aus der Schlinge zu ziehen wußte.
– Jedenfalls, fiel Mr. Stannard ein, könnte man ihn, wenn diese Nacht in der Umgebung von Jacksonville eine Unthat verübt werden sollte, derselben nicht zeihen, da er eben den »Shannon« verlassen hat.
– Ich kann mir über den Burschen nicht ganz klar werden, ließ sich James Burbank vernehmen. Wenn mir Einer sagte, man habe ihn in dem Augenblicke, wo wir jetzt von ihm reden, fünfzig Meilen weiter im Norden von Florida einen Diebstahl oder einen Mord begehen sehen, so würde mich das auch nicht wundern. Und wahrlich, wenn es ihm gelänge, zu beweisen, daß er nicht der Urheber jenes Verbrechens ist, so würde es mich, nach dem, was vorgegangen ist, auch nicht mehr wundernehmen. – Doch genug, wir beschäftigen uns zu lange mit jenem Menschen! – Sie kehren nach Jacksonville zurück, Stannard?
– Noch heut' Abend.
– Ihre Tochter erwartet Sie daselbst?
– Ja, ich sehne mich danach, wieder an ihrer Seite zu sein.
– Das begreif' ich, erwiderte James Burbank. Und wann gedenken Sie uns in Camdleß-Bay aufzusuchen?
– Binnen wenigen Tagen.
– Kommen Sie ja so zeitig wie Sie können, lieber Stannard. Sie wissen, wir stehen am Vorabend sehr ernster Ereignisse, welche sich mit der Annäherung der föderalistischen Truppen nur noch verschlimmern können. Ich habe mich auch gefragt, ob Sie mit Ihrer Tochter Alice in unserer Wohnung, im Castle-House, sich nicht mehr in Sicherheit befinden, als inmitten jener Stadt, wo die Südstaatler fähig sind, sich zu jedem Exceß hinreißen zu lassen.
– Recht schön, aber bin ich denn nicht selbst hier im Süden heimisch, lieber Burbank?
– Gewiß, Stannard, aber Sie denken und handeln, als ob Sie aus dem Norden stammten.«
Eine Stunde später kam der »Shannon«, den die jetzt immer schneller und schneller fallende Ebbe mit sich fortriß, an dem kleinen, auf einem frischgrünen Hügel gelegenen Weiler Mandarin vorüber; dann hielt derselbe, fünf bis sechs Meilen weiterhin, an dem rechten Flußufer an. Hier ist ein Landungsquai errichtet, an dem die Schiffe anlegen können, um Ladung einzunehmen. Nur wenig oberhalb desselben erhob sich auch ein fast elegant zu nennender Pier, ein leichter Fußsteg aus Holz, der, an zwei Drahtseilen befestigt, die Landungsbrücke von Camdleß-Bay bildete.
Am äußersten Ende des Piers warteten zwei Schwarze mit Fackeln in den Händen, denn die Nacht war jetzt schon recht dunkel.
James Burbank nahm Abschied von Mr. Stannard und sprang, gefolgt von Edward Carrol, gewandt auf den Holzsteg.
Hinter ihm ging die Mestizin Zermah, welche schon von fern auf eine Kinderstimme antwortete:
»Da bin ich, Dy!... Ich komme!
– Und Papa?
– Der Papa auch!«
Die Fackeln entfernten sich und der »Shannon« nahm seine Fahrt wieder auf, indem er dem linken Ufer zusteuerte. Drei Meilen oberhalb Camdleß-Bay und an der anderen Seite des Flusses hielt er an der Landungsbrücke von Jacksonville an, um die größte Anzahl der noch übrigen Passagiere abzusetzen.
Hier verließ auch Walter Stannard das Schiff zugleich mit drei oder vier jener Leute, von denen sich Texar ein und eine halbe Stunde früher, wo das Skiff ihn abholte, verabschiedet hatte. Jetzt verblieben nur noch etwa ein halbes Dutzend Passagiere an Bord des Dampfers, von denen die Einen nach Pablo reisen wollten, einem kleinen Flecken, der in der Nähe des sich an den Mündungen des Saint-John erhebenden Leuchtthurmes erbaut ist, während Andere sich nach der Insel Talbot, seeseits an der Mündung des gleichnamigen engen Fahrwassers, und die Letzten sich endlich nach dem Hafenort Fernandina begeben wollten. Die Räder des »Shannon« peitschten also aufs Neue die Fluthen des Stromes, dessen Barre das Schiff ohne Unfall passiren konnte. Eine Stunde später war es hinter der Ausbiegung der Trent-Bucht verschwunden, wo der Saint-John seine Gewässer schon mit den langen Wogen des Oceans vermischt.
Camdleß-Bay, so lautete der Name der Pflanzung, welche James Burbank gehörte. Hier wohnte der reiche Colonist mit seiner ganzen Familie. Der Name Camdleß rührte von einer der Buchten des Saint-John her, die sich ein wenig stromaufwärts von Jacksonville und am entgegengesetzten Ufer des Flusses öffnet. In Folge ihrer nahen Lage ward der Verkehr mit dieser Stadt Floridas sehr erleichtert. Ein gutes Boot brauchte bei Nord- oder Südwind, wenn es zum Hinwege die Ebbe und zum Rückwege die Fluth benützte, nicht mehr als eine Stunde, um die drei Meilen zurückzulegen, welche Camdleß-Bay von dem Hauptorte der Grafschaft Duval trennten.
James Burbank nannte eine der schönsten Besitzungen des Landes sein. Reich von Geburt und durch seine weitere Familie, gehörten zu seinem Vermögen auch noch ausgedehnte Ländereien im Staate New-Jersey, der an den Staat New-York grenzt.
Diese Niederlassung am rechten Ufer des Saint-John war sehr glücklich gewählt, um daselbst eine Pflanzung von sehr beträchtlichem Werthe zu gründen. Zu den schon von Natur glücklichen Unterlagen hatte die Menschenhand kaum etwas hinzuzufügen. Der Grund und Boden eignete sich von selbst zur erfolgreichen Ausnützung in größtem Maßstabe. So zeigte auch die Pflanzung von Camdleß-Bay unter der Leitung eines intelligenten, thätigen Mannes im kräftigsten Alter, den neben zahlreichem geübten Personal auch reiche Capitalien unterstützten, das Bild des vollkommensten, blühendsten Gedeihens.
Bei einem Umfange von zwölf (englischen) Meilen umfaßte die Besitzung einen Flächeninhalt von viertausend Acres (= etwa dreitausend Hektar). Wohl gab es deren noch größere in den Südstaaten der Union, gewiß aber nirgends besser eingerichtete und verwaltete Besitzungen. Wohngebäude, Häuser für das Dienstpersonal, Schuppen, Ställe, Wohnstätten für die Sclaven, Wirthschaftsgebäude, Scheuern zur Aufspeicherung der Bodenerzeugnisse, Tennen zu deren weiterer Bearbeitung, Ateliers und Werkstätten, Schienenwege, welche von der Grenzlinie der Pflanzung nach einem kleinen Einschiffungshafen zusammenliefen, Straßen, Wege u. s. w. – Alles war mit Rücksicht auf die praktischen Bedürfnisse bestens vorgesehen und in Stand gehalten. Daß es ein Amerikaner aus dem Norden gewesen, der alle diese Anordnungen entworfen, überwacht und ausgeführt hatte, erkannte man auf den ersten Blick. Nur die Niederlassungen ersten Ranges in Virginia und vielleicht in Nord- und Südcarolina hätten der Besitzung von Camdleß-Bay an die Seite gestellt werden können. Der Grund und Boden der Pflanzung enthielt übrigens Highs-hummoks, das ist hochgelegenes Land, welches sich von Natur zum Anbau von Getreidearten eignet; ferner »Low-hummoks«, das sind Niederungen, in denen der Kaffee- und Cacaobaum vorzüglich gedeiht, und endlich »Marshs«, das sind eine Art sumpfiger Ebenen, auf denen mit Vortheil Reis und Zuckerrohr gezogen wird.
Bekanntlich gehört die Baumwolle von Georgia und Florida zu den geschätztesten Sorten auf den Märkten Europas und Amerikas, ein Vorzug, den sie der Länge und der Feinheit ihrer Fasern verdankt. Die Baumwollfelder mit ihren in regelmäßig verlaufenden Linien gepflanzten Stäben, ihren zartgrünen Blättern und den gelben Blüten, die an das Blaßgelb mancher Malven erinnern, bildeten auch eine der bedeutendsten Einkunftsquellen der Besitzung. Zur Zeit der Ernte bedeckten sich diese, je einen bis anderthalb Acre (etwa vierzig bis sechzig Ar) enthaltenden Feldabtheilungen mit Hütten, in welchen dann mit Weib und Kind die Sclaven Unterkunft fanden, die mit dem Abschneiden der Samenkapseln und dem Ausziehen der Baumwolle (sammt den Kernen) aus den Hülsen, beschäftigt sind – übrigens eine ziemlich schwierige Arbeit, da die sich leicht zerbröckelnden Hülsen unversehrt bleiben müssen, weil sie sonst von den sei nen Fasern kaum wieder zu entfernen sind. Die an der Sonne getrocknete Baumwolle wird dann durch Mühlen mit Zahnrädern und Walzen, welche die noch darin befindlichen Kerne ausscheiden, gereinigt, mittelst hydraulischer Pressen fest zusammengedrückt, in Ballen mit Eisenreifen verpackt und so bis zur endlichen Ausfuhr aufgespeichert. Segelschiffe und Dampfer konnten dann diese Ballen im eigenen Hafen von Camdleß-Bay verladen.
Neben seinen Baumwollplantagen cultivirte James Burbank auch ausgedehnte Kaffee- und Zuckerrohrpflanzungen. Die ersteren bildeten Quartiere von tausend bis zwölfhundert, fünfzehn bis zwanzig Fuß hohen baumartigen Büschen, deren etwa kirschengroße Früchte je zwei Körner enthalten, welche nur ausgenommen und getrocknet werden. Die anderen erschienen mehr als eine Art Prairien – man könnte fast sagen, Sümpfe – mit neun bis zehn Fuß hohen Rohrstengeln, deren Wipfel sich hin und her wiegten, wie die Helmbüsche auf dem Marsche befindlicher Reiterhorden. In Camdleß-Bay wendete man diesen Pflanzen besondere Sorgfalt zu. Das gereifte Zuckerrohr lieferte den Zucker in Form eines süßen Saftes, den die in den Vereinigten Staaten vorzüglich entwickelte Raffinerie in gereinigten festen Zucker verwandelte; aus den Rückständen wurden dann noch die Syrups hergestellt, welche zur Bereitung des Tafias oder Rums dienen, und der Zuckerrohrwein, eine gegohrene Mischung des frisch ausgepreßten Saftes mit Ananas- oder Orangensaft.
Obwohl diese Cultur sich an Umfang mit der der Baumwolle nicht messen konnte, war sie doch sehr einträglich. Einige Gehege von Cacaobäumen, Felder mit Mais, Yams, Bataten, türkischem Weizen, Tabak und zwei- bis dreihundert Acres mit Reis trugen daneben noch ihren Theil zu den Erträgnissen der Musterpflanzung James Burbank's bei.
Noch ein anderer Betriebszweig lieferte jedoch einen Gewinnstantheil, der jenem von der Baumwollencultur ebenbürtig war, die Urbarmachung des unerschöpflichen Waldbestandes nämlich, der viele Acres der Pflanzung bedeckte. Ohne hier von den Erzeugnissen der Zimmet-, Pfeffer- und Orangen-, der Citronen-, Feigen-, Mango- und Brotbäume zu reden, so wenig wie von den reichen Ernten fast aller europäischen Obstarten, welche in Florida aufs trefflichste gedeihen, wurden diese Wälder auch einer geregelten, aber unausgesetzten Abholzung unterworfen. Da gab es wahre Reichthümer von Campecheholz, Gazumas oder mexikanischen Ulmen, welche jetzt so mannigfaltige Verwendung finden, von Baobabs (Affenbrotbäumen), von Korallenholz mit blutrothem Stamm und ebenso gefärbten Blüthen, von Pfirsichen, gelbblüthigen Maronen- und schwarzen Wallnußbäumen, von Steineichen, australischen Fichten, die ein vorzügliches Material für Zimmerarbeiten und Schiffsmasten liefern; von wilden Cacaobäumen, deren reife Samenkapseln die heiße Sonne des Südens gleich Petarden aufspringen macht; von Tannen, Tulpenbäumen, Weiden, Cedern und vor Allem von Cypressen, dem Baume, der auf der ganzen Halbinsel so ungeheuer häufig vorkommt, daß er oft Wälder von sechzig bis hundert Meilen Länge bildet.
James Burbank hatte sich deshalb veranlaßt gesehen, an verschiedenen Punkten der Niederlassung größere Sägemühlen zu errichten. Quer durch einige Rios und kleinere Zuflüsse des Saint-John hatte er Wehre angelegt, welche deren friedlichen Lauf da und dort zu Wasserfällen umgestalteten, die nun wiederum genug mechanische Kraft zur Bearbeitung der Balken, Bohlen und Bretter lieferten, mit denen wohl hundert Schiffe alljährlich hätten voll beladen werden können.
Wir dürfen auch nicht vergessen, der weiten, fetten Prairien zu erwähnen, welche Pferde, Maulesel und zahlreiches Nutzvieh ernährten, dessen Producte allen Bedürfnissen des Herrenhauses und der Landwirthschaft genügten.
Was das Geflügel angeht, so gab es davon so viele verschiedene Arten, welche theils die Wälder bewohnten, theils auf den Feldern und Wiesengründen nisteten, daß man sich schwer eine Vorstellung machen kann, in welchem Maße dasselbe in Camdleß-Bay – wie übrigens in ganz Florida – vertreten war. Ueber den Waldungen zogen ihre Kreise weißköpfige Adler mit sehr großer Flügelspannweite, deren scharfer Schrei dem Tone einer zersprungenen Trompete ähnlich ist; Geier von außerordentlicher Wildheit und Blutgier neben Riesen-Rohrdommeln, mit spitzigem, fast einem Bayonnet gleichenden Schnabel. Am Flusse selbst und zwischen dem üppig aufgeschossenen Schilfrohr des Ufers, wie unter dem Gewirr riesiger Bambusstengel, bargen sich rosen- oder scharlachrothe Flamingos, blendend weiße Ibisse, von denen man zu sagen versucht war, sie seien eben erst von einem alten Denkmale Aegyptens weggeflogen; ferner Pelikane von überraschender Größe; Myriaden von Wasser- und Seeschwalben; sogenannte Krebsfresser mit grünem, pelzähnlichem Gefieder und einem Schopf auf dem Kopfe; Courlans mit purpurrothen Deckfedern und braunem, weißgetüpfeltem Flaum; Glanzvögel; Taucherkönige mit goldigen Reflexen, überhaupt eine ganze Welt von Tauchervögeln, wie Wasserhühner, sogenannte »Widgeons-Enten«, zur Gattung der Pfeifer gehörig; Kriechenten, Regentaucher, ohne die Sturmvögel, die Wasserscheerer zu zählen, so wenig wie die Kreuzschnäbel, Seeraben, Möven, die Spitzschwänze, welche jeder Windstoß bis über den Saint-John hinuntertrieb, und manchmal zeigten sich dazu auch noch Exoceten oder fliegende Fische, eine gute Prise für verschiedene Wasserraubvögel. Ueber die Prairien hinweg flatterten Wasser- und gewöhnliche Schnepfen, Courlis und marmorirte Leimschnepfen, Sultanhühner mit rothem, blauem, grünem gelbem und weißem Gefieder, gleich fliegenden Paletten, ferner Halskrausenhähne und Rebhühner, sowie Tauben mit weißem Kopfe und rothen Füßen. Was eßbare Vierfüßler angeht, so gab es langschwänzige Hafen, etwa Verbindungsglieder zwischen den Kaninchen und den Hafen Europas, und vorzüglich Damwild in ganzen Rudeln; endlich sogenannte Racons oder Waschbären, Schildkröten, Ichneumons; aber freilich lauerten hier auch mehr als genug recht giftige Schlangen. Das waren also die Vertreter des Thierreiches in der herrlichen Niederlassung von Camdleß-Bay – ohne die Neger männlichen und weiblichen Geschlechts zu zählen, welche für den großartigen Betrieb nöthig waren. Denn was macht – um unsere auffallende Nebeneinanderstellung zu rechtfertigen – die ungeheuerliche Gewohnheit der Sclaverei aus diesen armen Menschen anderes als Thiere, welche gleich Saumthieren ge- oder verkauft werden?
Wie kam es aber, daß James Burbank, ein Parteigänger der Doctrin der Antisclaverei, ein Nordstaatler, der nur den Triumph des Nordens erwartete, die Sclaverei in seiner Pflanzung noch nicht aufgehoben hatte? Würde er zögern das zu thun, sobald die Umstände es gestatteten? Nein, gewiß nicht! Es war das auch nur noch eine Frage von Wochen, vielleicht von Tagen, da die föderalistische Armee schon einige Punkte des benachbarten Staates besetzt hatte und sich zu einem Einfall nach Florida bereitete.
James Burbank hatte übrigens in Camdleß-Bay schon alle Maßnahmen getroffen, welche das Loos seiner Sclaven erleichtern konnten. Auf der Pflanzung befanden sich gegen siebenhundert Schwarze beiderlei Geschlechts, welche in geräumigen, sorgsam unterhaltenen Baracken wohnten, genügend Nahrung erhielten und nie über ihre Kräfte zu arbeiten hatten. Dem Oberaufseher der Pflanzung, wie allen Unteraussehern, war anbefohlen, dieselben mit Gerechtigkeit und Milde zu behandeln. Alle Anforderungen wurden dabei bestens erfüllt, obwohl körperliche Züchtigungen in Camdleß-Bay grundsätzlich ausgeschlossen blieben. Das bildete einen auffallenden Unterschied mit den meisten übrigen Pflanzungen Floridas und ein System, welches seitens der Nachbarn James Burbank's nicht ohne Mißgunst angesehen wurde. Es erklärt sich, daß solche Verhältnisse Letzterem hierzulande eine schwierige Stellung bereiten mußten, vor allem gerade jetzt, wo das Loos der Waffen die Frage der Sclaverei entscheiden sollte.
Das zahlreiche Personal der Pflanzung war in gesunden und bequemen kleinen Häuschen untergebracht. Zu Gruppen von je fünfzig vereinigt, bildeten dieselben zehn Weiler oder Barackenlager, die sich längs fließender Gewässer hinzogen. Hier lebten die Schwarzen mit ihren Frauen und Kindern. Jede Familie war, soweit sich das thun ließ, mit einerlei Arbeit in den Feldern, den Wäldern oder Werkstätten beschäftigt, um deren Mitglieder auch während der Arbeitsstunden so wenig als möglich von einander zu trennen. An der Spitze jener Weiler stand je ein Unteraufseher, eine Art Geschäftsführer, um nicht zu sagen Gemeindevorstand, welcher die Angelegenheiten der ihm direct Untergebenen leitete und selbst wieder der Centralstelle dieses Staates im Kleinen verantwortlich war. Diese Centralstelle bildete das Herrenhaus von Camdleß-Bay, das von einer Umwallung hoher Palissaden umschlossen wurde, deren dicht aneinanderschließende, lothrecht stehende Planken sich zur Hälfte unter dem Grün der üppigen Vegetation verbargen. Hier erhob sich also die Privatwohnung der Familie Burbank.
Halb Haus, halb Schloß, hatte diese Wohnung den ihr mit Recht zukommenden Namen Castle-House erhalten.
Schon seit einer Reihe von Jahren gehörte Camdleß-Bay den Vorfahren James Burbank's. Zu jener Zeit, wo noch Verwüstungen durch die Indianer zu befürchten waren, hatten sich die Besitzer genöthigt gesehen, wenigstens die eigene Wohnung zu befestigen. Die Zeit war ja noch nicht so fern, wo General Jessup Florida gegen die Seminolen zu vertheidigen hatte. Lange Jahre hindurch hatten die Ansiedler von jenen rastlosen Nomaden furchtbar zu leiden gehabt. Ihre Wohnungen wurden nicht allein durch freche Diebstähle geplündert, nein, auch nicht selten durch Blut befleckt und dann noch durch Feuer vollends vernichtet. Selbst die Städte waren wiederholt von solchen feindlichen Einfällen und Raubzügen bedroht gewesen. An manchen Stellen ragen noch die traurigen Ruinen empor, welche die Indianer von ihren Zügen hinterlassen haben. Weniger als fünfzehn Meilen von Camdleß-Bay und nahe dem Weiler Mandarin zeigt man noch heute »das blutige Haus«, in dem der Ansiedler Mr. Motte, dessen Frau und drei junge Töchter von den Missethätern scalpirt und nachher ermordet worden waren. In unseren Tagen ist der Vernichtungskampf zwischen dem Bleichgesicht und der Rothhaut jedoch als beendet zu betrachten. Die endgiltig besiegten Seminolen haben weit weg, nach dem Westen des Mississippi zurückweichen müssen. Man hört nicht mehr von ihnen sprechen, höchstens von einzelnen Haufen, welche noch den sumpfigen Theil des südlichen Florida durchziehen. Das Land hat also von diesen wilden Eingebornen nichts mehr zu fürchten.
Die früheren Verhältnisse erklären es jedoch, daß die Wohnungen der Ansiedler so hergestellt waren, um einem plötzlichen Ueberfall der Indianer Trotz bieten und wenigstens widerstehen zu können, bis die freiwilligen Bataillone herankamen, welche sich in den Städten und Weilern der Nachbarschaft organisirt hatten. Das Schlößchen Castle-House war also in dieser Weise gesichert worden.
Castle-House erhob sich auf einer leichten Bodenwelle mitten in einem etwa drei Acres großen, abgeschlossenen Park, der einige hundert Yards hinter dem Ufer des Saint-John anfing. Ein ziemlich tiefer Wasserlauf umgab diesen Park, dessen Sicherheit eine große Plankenumwallung vervollständigte, durch welche nur ein einziger Eingang und zwar über eine den »Festungsgraben« überspannende Brücke führte. An der Rückseite des kleinen Hügels verbreiteten sich schöne, zu Wäldchen vereinigte Bäume über die sanften Abhänge des Parkes hinab, um den sie eine herrliche grüne Einfassung bildeten. Eine schattenfrische Allee von Bambus, dessen Stengel sich wie in einem gerippten Bogengewölbe kreuzten, führte, gleich einem sehr langen Kirchenschiff, von dem Quai des kleinen Hafens von Camdleß-Bay bis zu den ersten Rasenplätzen. Im Innern verbreiteten sich nämlich auf allen von den Bäumen nicht besetzten Flächen saftig grüne Grasflächen, durchschnitten von langen Fußwegen, welche, abgeschlossen durch weiße niedrige Geländer, auf einem sein übersandeten Platz vor dem Castle-House selbst ausmündeten.
Dieses sehr unregelmäßig erbaute Schlößchen bot mancherlei Ueberraschendes sowohl in der Gesammtheit seiner Anordnung wie bezüglich der Phantasie in seinen Details. Für den Fall aber, daß etwaige Angreifer auch die Plankenwand das Parkes überstiegen gehabt hätten, hätte es sich doch – gewiß ein nicht unwichtiger Umstand – auch noch selbst zu vertheidigen und eine mehrstündige Belagerung auszuhalten vermocht. Die Fenster seines Erdgeschosses waren mit Eisengittern versehen; das Hauptthor an der Vorderseite glich an Festigkeit einer Fallbrücke. An verschiedenen Punkten der aus einem marmorähnlichen Stein erbauten Mauern befanden sich herausspringende sogenannte »Pfefferbüchsen«, welche die Vertheidigung dadurch noch erleichterten, daß sie die Angreifer in der Flanke unter Feuer zu nehmen gestatteten.
Kurz, mit seinen auf das Nothwendigste beschränkten Oeffnungen, mit dem Mittelthurm, der das Ganze überragte und das Sternenbanner der Union trug, mit seinen Zinnen und den mehrfach ausgesparten Schießscharten, der Neigung seiner Mauern nahe dem Erdboden, den hoch aufragenden Dächern, und mit der Dicke seiner Wände, welche wiederum einzelne Schießscharten zeigten, glich dieses Gebäude weit mehr einer Festung, als einer Landwohnung oder einem Lusthause.
Wie schon erwähnt, war eine solche Anordnung des Ganzen nöthig gewesen, um die Bewohner desselben zu jener Zeit zu schützen, wo noch die wüthenden Einfälle von Indianern auf dem Gebiete von Florida zur Tagesordnung gehörten. Es war sogar ein unterirdischer Gang vorhanden, der, unter der Palissade und dem umgebenden Wasserarm hinlaufend, Castle-House mit einer kleinen Bucht des Saint-John, der sogenannten Marino-Bucht, in Verbindung setzte. Dieser Gang konnte im Falle der dringendsten Gefahr noch zu einer unbemerkbaren Flucht dienen.
Gewiß waren zu jener Zeit die Seminolen, welche die Halbinsel fast alle verlassen hatten, nicht mehr zu fürchten. Wenn das auch schon von den letztvergangenen zwanzig Jahren galt, so konnte doch Niemand sagen, was die Zukunft in ihrem Schooße barg. Wer konnte wissen, ob diese Gefahr, welche James Burbank gewiß nicht mehr seitens der Indianer drohte, ihm nicht einmal von Seiten der eigenen Landsleute nahe treten könnte? War nicht gerade er, als vereinzelt wohnender Nordstaatler, hier im südlichen Lande allen Wechselfällen des Krieges ausgesetzt, der bisher schon so blutig verlaufen war und zahlreiche Repressalien hervorgerufen hatte?
Jedenfalls hatte die Nothwendigkeit, für die Sicherheit des Castle-House zu sorgen, diesem bezüglich der Bequemlichkeit im Inneren keinen Abbruch gethan. Alles war hier geräumig, die Zimmer luxuriös und vornehm ausgestattet. Die Familie Burbank fand hier, inmitten herrlicher Natur, alle Vortheile vereinigt, welche ein, großes Vermögen bieten kann, wenn es bei Denen, die dasselbe besitzen, mit wirklichem künstlerischen Sinn vereinigt ist.
Hinter dem Schlosse erstreckten sich in dem vorbehaltenen Park prächtige Gärten bis nach der Palissade, deren Planken hier unter Klettersträuchen und den Ranken von Passionsblumen völlig verschwanden. Myriaden von Colibris gaukelten und glänzten in der Luft umher. Haine von Orangen, Bosquets von Oelbäumen, Granaten, Pontederien mit himmelblauen Blüthendolden, Gruppen von Mangnolien, deren an Farbe altem Elfenbein gleichende Kelche die Luft mit würzigem Wohlgeruche erfüllten, Gebüsche von Palmen, die ihre zierlichen Fächer im Winde hin und her bewegten, Guirlanden von blaßvioletten Schlingpflanzen, Büschel von Tupeas mit grünen Rosetten, Yuccas mit ihrem scharfen Säbelgeklirr, rosafarbene Rhododendrons, Gesträuche von Myrthen und Pampelpomeranzen, mit einem Worte, Alles, was die Flora einer an die Tropenkreise grenzenden Zone nur hervorzubringen vermag, war auf diesen Beeten zum Ergötzen des Geruchs- und Gesichtssinnes vereinigt.
An der Grenze der Umwallung und unter dem schützenden Dache von Cypressen und Affenbrotbäumen erhoben sich die Stallungen, Wagenschuppen, Hundeställe, die Baulichkeiten für die Milcherei und befanden sich daran anschließend die Hühnerhöfe. Dank dem dichten Gezweig jener schönen Bäume, das selbst die Sonne dieser Breitenlage nicht zu durchdringen vermochte, hatten die Hausthiere kaum etwas von der Hitze des Sommers zu leiden. Von den Rios der Nachbarschaft abgeleitete Adern fließenden Wassers unterhielten hier stets eine angenehme Kühle.
Man sieht hieraus, daß die speciell für die Bewohner von Camdleß-Bay vorbehaltene Stätte einen wunderschönen Mittelpunkt in der weiten Besitzung James Burbank's bildete. Weder das Knarren der Baumwollmühlen, noch das Krächzen der Sägen oder die Schläge der Aexte beim Fällen der Bäume, oder sonst ein Geräusch dieses so vielfältigen und ausgedehnten Betriebes, drang bis über die Planken der Umzäunung.
Nur die tausend Vögel der Fauna Floridas konnten fliegend von einem Baume zum anderen gelangen. Doch diese befiederten Sänger, deren Federschmuck mit den leuchtenden Blumen dieser Zone wetteiferte, waren hier nicht weniger willkommen, als die Wohlgerüche, mit welchen der sanfte Wind sich belud, wenn er die Prairien und Wälder der Nachbarschaft überfächelte.
Das war Camdleß-Bay, die Pflanzung James Burbanks und eine der reichsten des östlichen Florida.
Wir schalten hier einige Worte über den Secessionskrieg ein, mit dem die nachfolgende Erzählung in innigem Zusammenhange steht.
Wir möchten dabei auch von vornherein ausdrücklich darauf hinweisen, daß dieser Krieg, wie es auch der Graf von Paris, der damalige Adjutant des General Mac Clellan in seiner vortrefflichen »Geschichte des Bürgerkrieges in Nordamerika« ausgesprochen hat, keineswegs eine Tariffrage, so wenig wie einen wirklichen Stammesunterschied zwischen dem Norden und dem Süden zur Ursache hatte. Die angelsächsische Race herrschte gleichmäßig im ganzen Gebiete der Vereinigten Staaten. Auch eine Handelsfrage ist bei diesem entsetzlichen brudermörderischen Kampfe niemals im Spiel gewesen. »Die Sclaverei ist es, welche dadurch, daß sie in der einen Hälfte der Republik beibehalten und in der anderen verpönt war, zwei feindliche Gesellschaften geschaffen hatte. Sie hatte die Sitten derjenigen, wo sie herrschte, tief hinein umgewandelt und nur die äußere Form der Regierung intact gelassen. Sie wurde denn, wenn auch nicht zum Vorwand und zur Gelegenheitsursache, so doch zum wirklichen Grund jenes Antagonismus, dessen unvermeidliche Folge der Bürgerkrieg war«.
In den Sclavenstaaten gibt es drei Gesellschaftsclassen. Die unterste, in der Anzahl von etwa vier Millionen als Sclaven dienender Neger, macht fast ein Drittel der Bevölkerung aus, die oberste ist die Kaste der verhältnißmäßig wenig unterrichteten reichen, auf Andere verächtlich herabblickenden Grundbesitzer, welche für sich die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten in Anspruch nehmen. Zwischen ihnen steht die unruhige, träge und elende Classe der kleinen weißen Leute. Wider Erwarten traten gerade diese besonders lebhaft für Aufrechterhaltung der Sclaverei ein, ohne Zweifel weil sie fürchteten, daß die emancipirten Neger sich mit ihnen bald auf das gleiche Niveau stellen würden.
Der Norden begegnete also als Gegnern nicht allein den reichen Grundeigenthümern, sondern auch jenen kleinen Leuten unter den Weißen, welche vorzüglich auf dem Lande, inmitten der dienenden Bevölkerung lebten. Der Kampf mußte also ein furchtbarer werden. Er brachte sogar innerhalb der Familien solche Meinungsverschiedenheiten hervor, daß nicht selten von zwei Brüdern einer unter der Fahne der Conföderirten, der andere unter der der Föderalisten kämpfte. Ein großes Volk konnte aber gar nicht zögern, die Sclaverei bis zur Wurzel auszurotten. Seit dem letzten Jahrhundert schon hatte der berühmte Franklin die Freigebung der Sclaven gefordert. Im Jahre 1807 hatte Jefferson dem Congreß empfohlen, einen Handel zu unterdrücken, dessen Aufhören die Moral, die Ehre und die theuersten Interessen der Nation gleichmäßig verlangten.
Der Norden hatte also gewiß Recht, gegen den Süden zu marschiren und diesen wieder unter seine Botmäßigkeit zu bringen. Uebrigens ergab sich als Folge dieses Vorgehens nur eine innigere Verschmelzung aller Elemente der großen Republik und die Zerstörung des so traurigen Irrthums, daß jeder Bürgerin erster Linie seinem besondern Staate und nur in zweiter dem gemeinsamen Bunde zu gehorchen habe.
Gerade in Florida war es, wo die ersten, die Sclaven betreffenden Fragen auf die Tagesordnung kommen sollten. Zu Anfang dieses Jahrhunderts hatte ein Indianerhäuptling Namens Osceola zur Frau eine entflohene Sclavin, die in dem sumpfigen Theil des Gebietes von Florida, welches die Evergladen genannt wird, geboren war. Eines Tages wurde diese Frau aufgegriffen und als Sclavin mit Gewalt entführt. Osceola wiegelte deshalb die Indianer auf, begann den Kampf gegen die Sclaverei, wurde aber gefangen und starb in der Festung, in die man ihn gesperrt hatte. Der Krieg ging nichtsdestoweniger weiter fort, und, sagt der Historiker Thomas Higginson, die Geldsumme, welche dieser Kampf verschlungen, war dreimal so groß, als Spanien einst für die Abtretung von Florida gezahlt worden war.
Wir schildern hier kurz den Anfang des langwierigen Secessionskrieges und dann den Stand der Dinge während des Monats Februar 1862, das heißt in der Zeit, wo James Burbank und seine Familie davon die furchtbarsten Rückschläge erleiden sollten, die uns so interessant erschienen, daß wir sie als Hauptinhalt dieser Erzählung wiedergeben.
Am 16. October 1859 bemächtigte sich der heldenmüthige Capitän John Brown an der Spitze einer kleinen Truppe flüchtiger Sclaven des Forts Harpers-Ferry in Virginien. Die Befreiung der Farbigen ist sein Ziel, das er kühn aller Welt verkündet; durch die Compagnien der Milizen besiegt, wird er gefangen, zum Tode verurtheilt und in Charlestown am 2. December 1859 mit sechs seiner Genossen gehenkt.
Am 20. December 1860 tritt in Süd-Carolina eine Vereinigung zusammen, welche die Secessionsdecrete mit Begeisterung annimmt. Im folgenden Jahre war Abraham Lincoln am 4. März zum Präsidenten der Republik ernannt. Die Südstaaten nahmen diese Wahl als eine gegen die Institution der Sclaverei gerichtete Drohung auf. Am 11. April 1861 fällt das Fort Sumter, eines derjenigen, welche die Rhede von Charlestown vertheidigen, in die Hand der vom General Beauregard angeführten Südstaaten. Nord-Carolina, Virginia, Arkansas und Tenessee schließen sich dem Separatbunde sofort an.
Von der föderalistischen Regierung werden fünfundsiebenzigtausend Freiwillige ausgehoben. Zunächst beeilt man sich, Washington, die Hauptstadt der Vereinigten Staaten von Amerika, gegen einen etwaigen Handstreich der Conföderirten sicher zu stellen. Man versorgt wieder die Arsenale des Nordens, welche fast ganz leer waren, während die des Südens unter der Präsidentschaft Buchanan's mit Allem reichlich versehen waren. Kriegsmaterial wird, oft zu ganz außerordentlichen Preisen, eiligst angeschafft. Darauf erklärt Abraham Lincoln die Häfen des Südens in Blockadezustand.
In Virginien kommt es zu den ersten kriegerischen Ereignissen. Mac Clellan treibt die Rebellen nach Westen zurück. Am 21. Juli aber werden die föderalistischen Truppen unter dem Oberbefehl Mac Dowel's bei Bull Run aufs Haupt geschlagen und ziehen sich flüchtend bis Washington zurück. Wenn die Südstaatler jetzt nicht für ihre Hauptstadt Richmond zitterten, so hatten dafür die Nordstaatler alle Ursache, für die Hauptstadt der Republik zu zittern. Einige Monate später werden die Föderalisten noch einmal bei den Balls-Bluffs besiegt. Diese unglückliche Affaire wird jedoch bald durch verschiedene Expeditionen wett gemacht, welche den Unionisten das Fort Hatteras und Port-Royal-Harbour in die Hand liefern, deren sich die separirten Staaten nicht wieder bemächtigen können. Gegen Ende des Jahres 1861 geht der Oberbefehl über die Heere der Union an den Generalmajor Georges Mac Clellan über.
Inzwischen haben im Laufe dieses Jahres die Kaperschiffe der Sclavenhalter alle Meere unsicher ge macht und in den Häfen Frankreichs, Englands, Spaniens und Portugals Aufnahme gefunden – ein großer Fehler, da die damit ausgesprochene Anerkennung der Secessionisten als kriegsführende Macht nur die Folge hatte, diese zu ermuthigen und den Bürgerkrieg weiter in die Länge zu ziehen.
Dann kamen die Vorgänge zur See, welche einen so lauten Widerhall fanden.
Hier ist der »Sumter« mit seinem Capitän Semmes zu nennen; ferner das Auftauchen des Widderschiffes »Manassas«, sowie am 12. October das Seegefecht an den Mississippi-Mündungen. Darauf folgt am 8. November die Wegnahme des englischen Schiffes »Trent«, auf dem der Capitän Milkes die conföderirten Commissäre gefangen nimmt – was nahe daran war, einen Krieg zwischen England und den Vereinigten Staaten zu entzünden.
Daneben liefern sich die Abolitionisten und die Sclavenhalter blutige Treffen mit abwechselnden Erfolgen und Mißerfolgen bis in den Staat Missouri hinunter. Von den besten Generalen des Nordens wird einer, Lyon, getödtet, was den Rückzug der Föderirten nach Stella und den Marsch Price's mit dem conföderirten Heere nach dem Norden veranlaßt. Man schlägt sich bei Frederiktown am 21. October, bei Springfield am 25., und am 27. nimmt Fremont mit den Conföderirten diese Stadt ein. Die Schlacht bei Belmont zwischen Grant und Polk bleibt unentschieden. Endlich macht der in den nördlichen Staaten so strenge Winter dem Feldzuge vorläufig ein Ende.
Die ersten Monate des Jahres 1862 vergehen unter erstaunlichen Anstrengungen, welche auf beiden Seiten zur Fortsetzung des Kampfes gemacht werden.
Im Norden erläßt der Congreß ein Gesetz, demzufolge fünfmalhunderttausend Freiwillige ausgehoben werden – die übrigens bis zu Ende des Krieges die Zahl einer Million erreichen – und eine Anleihe von fünfhundert Millionen Dollars aufgenommen wird. Große Armeen, darunter vorzüglich die des Potomak, werden aufgestellt. Ihre Generäle sind Banks, Butler, Grant, Sherman, Mac Clellan, Meade, Thomas, Karney und Hallek, um nur die hervorragendsten zu erwähnen. Alle Waffengattungen treten in Thätigkeit. Infanterie, Cavallerie, Artillerie und Genie werden möglichst gleichmäßig in Divisionen eingetheilt; Kriegsmaterial wird mit äußerster Anspannung aller Kräfte hergestellt. Minié-Gewehre und Cole-Büchsen, gezogene Kanonen nach dem System von Parrot und Rodman, Geschütze mit glatter Seele und Dalgren'sche Columbiaden, ferner Mörser, Revolverkanonen, Schrapnelgeschosse und Belagerungsparks. Man organisirt die Telegraphen- und die Luftschiffer-Abtheilungen, die Berichterstattung an die großen Blätter, die Zufuhren, welche von zwanzigtausend Wagen, bespannt mit achtzigtausend Mauleseln, besorgt werden. Man häuft Vorräthe jeder Art unter dem Chef der Verwaltung auf. Man erbaut Kriegsschiffe nach dem Widdertypus, die »Rams« des Obersten Ellet, die »Gun-boats« oder Kanonenboote des Commodore Foote, die zum ersten Male in einem Seekriege in Thätigkeit treten.
Im Süden ist der Kriegseifer nicht minder groß. Wohl gibt es hier Geschützgießereien, wie in Neu-Orleans, in Memphis, neben den Werkstätten in Tredogar bei Richmond, welche Parrott's und Rodman's Kanonen liefern, doch das genügt noch nicht. Die conföderirte Armee wendet sich nach Europa. Liege und Birmingham senden ihr ganze Schiffsladungen Kriegsmaterial, vorzüglich Armstrong- und Whitworthkanonen.
Blockadebrecher, welche in südlichen Häfen Baumwolle zu billigem Preise einkaufen wollen, erhalten solche nur im Austausch gegen Kriegsmaterial. Dannorganisirt sich die Armee. Ihre Generäle sind Johnston, Lee, Beauregard, Jackson, Critenden, Floyd und Pillow. Zum Heere stoßen noch reguläre Truppen. Milizen und Guerillas schließen sich den vierhunderttausend Freiwilligen an, welche auf drei Jahre höchstens und auf ein Jahr mindestens in Dienst genommen sind und die der separatistische Congreß von 8. August seinem Präsidenten Jefferson Davis bewilligt.
Während dieser Vorbereitungen entbrennt der Kampf schon wieder während der zweiten Hälfte des ersten Winters. Von allen Sclavenstaaten hat die föderalistische Regierung bis jetzt nur Maryland, das östliche Virginia, einige Theile von Kentucky, den größten Theil von Missouri und eine Anzahl Küstenpunkte in ihrer Gewalt.
Die Feindseligkeiten entbrennen zuerst im Osten von Kentucky. Am 7. Januar schlägt Garfield die Conföderirten bei Middle-Creek und am 20. unterliegen diese wiederum bei Logan-Croß oder Mill-Springs. Am 2. Februar schifft sich Grant mit zwei Divisionen auf einigen großen Dampfern des Tenessee ein, welche die Panzerflottille Foote's unterstützen sollen. Am 6. fällt Fort Henry in seine Gewalt. Damit ist ein Glied jener Kette gebrochen, »auf welche sich, sagt der Geschichtsschreiber jenes Bürgerkrieges, das ganze Vertheidigungssystem seines Gegners Johnston stützte.« Cumberland und die Hauptstadt von Tenessee sehen sich also direct und binnen kurzem von den Heersäulen der Föderalisten bedroht. Johnston sucht deshalb auch seine Kräfte bei Fort Donelson mehr zurückzuziehen, um einen für die Vertheidigung geeigneteren Stützpunkt zu gewinnen.
Zu derselben Zeit kommt eine andere Expedition, bestehend aus sechszehntausend Mann unter den Befehlen Burnside's und aus einer Flottille von vierundzwanzig bewaffneten Dampfern nebst fünfzig Transportschiffen die Chesapeake-Bay hinunter und geht, von Hampton-Roads aus, am 12. Januar unter Segel; trotz der heftigen Stürme des 24. Januar dringt sie in den Pimlico-Sund ein, um sich der Insel Roanoke zu bemächtigen und die Küste von Nord-Carolina zu unterwerfen. Die Insel ist jedoch befestigt. Nach Westen zu wird der Canal durch verankerte Schiffsrümpfe versperrt. Die Batterien und Land-Feldwerke machen jeden Zutritt sehr schwierig. Fünf- bis sechstausend Mann sind mit Unterstützung einer Flottille von sieben Kanonenbooten entschlossen, jede Landung zu verhindern. Trotz des Opfermuthes ihrer Vertheidiger fällt die Insel jedoch zwischen dem 7. und 8. Februar mit zwanzig Kanonen und zweitausend Gefangenen in Burnside's Hand. Am folgenden Morgen schon sind die Föderirten Herren von Elisabeth-City und auch der ganzen Küste des Albemarle-Sundes, das heißt des ganzen Nordens dieses Binnenmeeres.
Um die Lage der Dinge am 6. Februar vollständig zu schildern, haben wir noch eines südstaatlichen Generals zu erwähnen, des früheren Professors der Chemie, Jackson, der als puritanischer Soldat Virginia vertheidigt. Nach der Zurückberufung Lee's nach Richmond übernimmt er das Commando der Armee. Er verläßt Virginia am 1. Januar mit seinen zehntausend Mann, überschreitet die Alleghany-Berge, um Bath an der Eisenbahn nach Ohio zu nehmen. Besiegt durch das Klima und vernichtet durch Stürme, muß er nach Winchester zurückkehren, ohne sein Ziel erreicht zu haben.
Was endlich speciell die Küstenstrecken des Südens von Carolina bis Florida angeht, so ereignete sich daselbst in der Hauptsache folgendes:
In der zweiten Hälfte des Jahres 1861 besaß der Norden genug schnelle Fahrzeuge, um die Polizei auf diesen Meeren aufrecht zu erhalten, obwohl er sich des berüchtigten »Sumter« nicht bemächtigen konnte, der im Jahre 1862 vor Gibraltar ankerte, um in den europäischen Meeren amerikanische Schiffe zu kapern. Der »Jefferson-Davis« dagegen mußte, um der Wegnahme durch die Föderirten zu entgehen, nach Saint-Augustine in Florida flüchten, wo er bei der Einfahrt selbst unterging. Fast zur nämlichen Zeit fängt ein Kreuzer, der Florida bewacht, das Kaperschiff »Beauregard« weg. Dafür werden freilich in England neue Schiffe zu demselben Zwecke gebaut und ausgerüstet. Nun dehnt eine Proclamation Abraham Lincoln's die Blockade auf die Küste Virginias und Nord-Carolinas – zwar nur die sogenannte fictive oder die Blockade auf dem Papier – über eine Küstenstrecke von viertausendfünfhundert Kilometer aus. Um diese zu überwachen, besaß man nur zwei Geschwader, eines zur Blockade im Atlantischen Meere und das zweite zu der im Golf von Mexiko.
Am 12. October versuchen die Conföderirten zum ersten Male die Mündung des Mississippi mit dem »Manassas«, dem ersten Fahrzeuge, das während dieses Krieges gepanzert wurde, und unterstützt durch eine Flottille von Brandern, zu befreien. Wenn der Plan mißlang und die Corvette »Richmond« heil und gesund aus diesem Ueberfall hervorging, so gelang es dafür einem kleinen Dampfer, dem »Sea-Bird«, eine föderalistische Goëlette unter den Kanonen des Forts Monroë wegzuführen.
Inzwischen macht es sich nöthig, einen Punkt zu besitzen, der den Kreuzern des Atlantischen Oceans als Operationsbasis dienen kann. Die Bundesregierungbeschließt also, sich des Forts Hatteras, welches die Fahrstraße gleichen Namens beherrscht und die alle Blockadebrecher mit Vorliebe aufzusuchen pflegen, zu bemächtigen. Das Fort ist nur schwierig zu nehmen. Es wird durch eine, das Fort Clark genannte, vierseitige Redoute vertheidigt. Etwa tausend Mann und das siebente Regiment von Nord-Carolina bilden dessen Besatzung. Vergeblich. Das föderalistische Geschwader, bestehend aus zwei Fregatten, drei Corvetten, einem Aviso und zwei großen Dampfern, geht am 27. August vor der Einfahrt vor Anker. Commodore Stoingham und General Butler leiten den Angriff. Die Redoute wird genommen. Nach hartnäckigem Widerstand hißt das Fort Hatteras die weiße Fahne. Damit ist den Nordstaaten für die ganze Dauer des Krieges die Operationsbasis gesichert.
Im November bleibt die Insel Santa Rosa, im Osten von Pensacola und im Golf von Mexiko, welche gewissermaßen noch zur Küste Floridas gehört, trotz aller Anstrengungen der Conföderirten in der Gewalt der föderalistischen Truppen.