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Wo taufte Thomas Mann eine Wanderdüne? Wo werden Strandbuden alljährlich im Sand verbuddelt, um im nächsten Sommer wieder aufzutauchen? Wo findet der Wattwanderer Spuren versunkener Siedlungen? Wo erzählen Grabsteine ganze Lebensgeschichten? Auf Sylt, auf Amrum, auf Föhr, auf Pellworm. Lassen Sie sich von Andrea Reidt zu ihren Lieblingsplätzen entführen - alle auf diesen vier Nordfriesischen Inseln und den zehn Halligen. Und wer mehr erleben möchte, der kann Ausflüge unternehmen: nach Rømø etwa, auf Vogelkiek oder ins Watt.
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Seitenzahl: 131
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Lieblingsplätze
zum Entdecken
Nordfriesische Inseln und Halligen
Andrea Reidt
Für Lewin und Jasper
Einige Inselmenschen vermittelten mir in Gesprächen, Vorträgen, Büchern oder Aufsätzen wertvolle Anregungen und Informationen. Ihnen möchte ich herzlich danken: Hartmut Schiller M. A. und Dr. Ekkehard Klatt (Sylt), Georg Quedens (Amrum), Walter Fohrbeck und Helmut Bahnsen (Pellworm), Dipl.-Soz. Harry Kunz und Prof. Dr. Thomas Steensen (Nordfriisk Instituut Bredstedt).
Autorin und Verlag haben alle Informationen geprüft. Gleichwohl wissen wir, dass sich Gegebenheiten im Verlauf der Zeit ändern, daher erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Sollten Sie Feedback haben, bitte schreiben Sie uns! Über Ihre Rückmeldung zum Buch freuen sich Autorin und Verlag: [email protected]
Sofern hier nicht aufgelistet, stammen die Fotos von der Autorin Andrea Reidt: Max Liebermann: »Badende Knaben«, 1902, Museum Kunst der Westküste 10-11; Ralf Bernsmann, Oldenburg 12, 22, 68; Peter Hering, Nieblum / Föhr, www.voegel-auf-foehr.de 24, 48, 100, 110, 130, 154, 162; Gabi Paulsen, Galerie Gabi Paulsen, Nebel / Amrum, www.gabipaulsen.de 74-75; Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger DGzRS, Peter Neumann 80; Andreas Dölz, www.andreas-doelz.de 94, 96; Leif Peters 84; Frank Niemeyer, Hamburg 86; Peder Severin Krøyer: »Vier Frauen und ein Mädchen am Meeressaum«, 1894, Museum Kunst der Westküste 114; Oluf Braren: »Späte Haustrauung auf Föhr«, um 1815, verbrannt 1980, Stiftung Historische Museen Hamburg – Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte 126; Georg Reynders, Alt-Katholische Kirche Nordstrand 136. Die Angaben beziehen sich auf die Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe.
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3., aktualisierte Auflage 2018
© 2014 – Gmeiner-Verlag GmbH
Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
Telefon 0 75 75/20 95-0
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat/Korrektorat: Claudia Reinert
Satz: Julia Franze
E-Book: Mirjam Hecht
Bildbearbeitung / Umschlaggestaltung: Alexander Somogyi
unter Verwendung eines Fotos von: © Undine Aust – fotolia.com
Kartendesign: Kim-Anna Bucher
ISBN 978-3-8392-5406-6
Impressum
1 Alles fließt: Tundra, Eichenwälder, junge Nordsee
Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer
2 Schweinswale, Seepferdchen und allerlei Seeabenteuer
Nordfriesische Utlande
Sylt
3 Das Wandern ist der Düne Lust
Sylter Sahara
4 Wilde Wikingerkerle und ihr Silberschatz im Kuhhorn
Listland
5 Im Land der Eierkönige und Vogelnistplätze
Königshafen
6 Wo Georg Jürgen heißt, spielt die Orgelmusik
List – Sankt Jürgen
7 TJEN DIE BIIKI ÖN! EIN FEST FÜR DIE HEIMAT
List – Biikebrennen
8 Die Sylter Dünenrose und ihre Lieblingsfeindin Rugosa
List – Erlebniszentrum Naturgewalten Sylt
9 Auf Piratentörn oder Seehundfahrt ins Lister Tief
Unterwegs mit Gret Palucca und Rosa Paluka
10 Einsame Idylle mit Salzwiesenschafen und viel Sand
Nehrungshaken Ellenbogen
11 Ein Walknochenzaun als dänisches Naturdenkmal
Rømø – Strand
12 Als Wotan vom heiligen Ansgar vertrieben wurde
Ribe – Altstadt
13 Zwischen Austern und Asphalt an Abbruchkanten
Blidselbucht
14 Brandungsbaden – die ultimative Gesundheitsdroge
40 Kilometer Weststrand
15 Tänze am Strand, viel Musik, Hüttenromantik
Klappholttal – Akademie am Meer
16 Zwischen Kliffende und Kupferkanne: Kunst, Kunst, Kunst
Kampen
17 Naturoase inmitten Krähenbeere, Glockenheide, Besenheide
Braderuper Heide
18 Einen Steinwurf weit übers Meer bei Prinzens zu Hause
Møgeltønder
19 Wo die Post abging und der Raddampfer aus Hoyer anlegte
Munkmarsch
20 Packeis, Schnee, steifer Ostwind, sternklare Nacht
Winterwattweg von Keitum nach Munkmarsch
21 Wo alte Walfänger sich die müden Knochen wärmten
Keitum
22 Kirche am Kliff steht auf Kultstätte für Freya
Keitum – Sankt Severin
23 Zehn Millionen Jahre Erdgeschichte an einem Tag
Morsum-Kliff
24 Wo Gottvater über den toten Sohn wacht
Morsum – Sankt Martin
25 Katholischer Gottvater krönt Himmelskönigin Maria
Alt-Westerland – Dorfkirche Sankt Niels
26 Waterkant wörtlich: Am Weststrand Energie auftanken
Westerland – Weststrand
27 Sylter Welle rettet Laune ab Windstärke 6
Westerland – Syltness
28 Geht Sylt durch Klimawandel unter? 150 Jahre Buhnen
Hörnum Odde
Amrum
29 Schleswig in Seenot und gierige Strandvögte
Wittdün – Am Leuchtturm
30 Abstrakte Naturgemälde aus Watt, Marsch und Geest
Wittdün – Blick vom Leuchtturm
31 Das Rätsel um das U-Boot-Loch
Wittdün / Steenodde - Seezeichenhafen
32 Strand so weit das Auge blickt – ein Geschenk der Natur
Kniepsand
33 Kniepianer vor Kapitän in Sicht
Wittdün – Strandbudenkolonie
34 Schneetreiben und eisiger Schabernack
Nebel – Strand
35 Fantasien von Flaneuren: Wohnen unter Reet
Nebel – Dorf
36 Als der Tod sich ihrer alten Hütte näherte
Nebel – Friedhof Sankt Clemens
37 Im Meer geblieben, namenlos begraben
Nebel – Friedhof der Namenlosen
38 Christlicher Muslim: der Osmane von Amrum
Süddorf
39 Beach boys, Badegäste, blau gestreift
Norddorfer Strand
40 Den Menschen ein Wohlgefallen – den Sturmmöwen auch
Norddorf – Dünenweg
41 Nach dem Vogelkiek Pflaumensahnetorte
Amrumer Odde
42 Ferien als Waldarbeiter auf Amrum
Amrumer Wald
Föhr
43 Meeresbusse tragen Touris tidenabhängig zur Trauminsel
Wyk auf Föhr – Hafen
44 Königs Sommerfrische, Nordseewalzer und mondänes Leben
Wyk auf Föhr – Strand
45 In Wald und Teich – wo Lockvögel als Todesengel fett werden
Boldixumer Entenkoje
46 Friesische Dorfidylle mit Wiesenkathedrale
Süderende – Sankt Laurentii
47 Munch, Nolde, Liebermann – Nordseegemälde auf Weltniveau
Alkersum – Museum Kunst der Westküste
48 Vom Dorfgasthof zum skandinavischen Herrenhaus
Alkersum – Grethjens Gasthof
49 Wattritt ins weite Glück dieser Erde
Alkersum – Reiterhöfe und Gestüte
50 Im Friesendom rückt Johannes der Täufer Herodes zu Leibe
Nieblum
51 Wo der Fluss vor dem Meer zurückweicht
Witsum – Traumstraße und Godelniederung
52 Im nackten Nirgendwo zwischen Himmel und Erde
Von Dunsum übers Watt zur Amrumer Odde
53 Tragische Lebensgeschichte – der naive Maler Oluf Braren
Oldsum
54 Grüner grünt’s nicht auf Föhrs Marschwiesen
Marschland im Norden
55 Mehr Wasser in die Marsch!
Midlum – Elmeere und Andelhof
56 Entdeckungen der Langsamkeit beim Luststrampeln übers Eiland
Föhr umrunden – fünf Radtouren
Nordstrand
57 Predigten für Alt-katholiken, Ungläubige und Zweifler
Nordstrand – Theresiendom
58 Töpfern wie in Rungholt und Rosenkonfitüre zum Frühstück
Nordstrand – Süden
59 Halligwartin reitet zur Arbeit sieben Kilometer durchs Watt
Mit der Pferdekutsche von Nordstrand nach Hallig Südfall
Die Halligen
60 übers Watt ins wüste Moor
Vom Beltringharder Koog zur Hallig Nordstrandischmoor
61 Wie Träume im Nebel auf dem Meer – die kleinen Halligen
Süderoog, Norderoog, Habel, Hamburger Hallig
62 Die Marcellusflut, die Halliggräfin und die Okarinaflöte
Hallig Südfall
63 Als der Wind drehte und der dänische König Hurra schrie
Hallig Hooge – Hanswarft
64 Die Stille nach dem Touristenansturm ist ein Geschenk
Hallig Hooge – Backenswarft und Kirchwarft
65 Wikinger vor Hooge und tierische Begegnungen
Hallig Hooge Watt
66 Die halligste Marsch: Viel Strandflieder und viel Landunter
Hallig Gröde-Appelland
67 Vom allmählichen Verschwinden der Namen
Hallig Nordmarsch-Langeneß(-Butwehl)
68 Der Löffler löffelt gar nicht
Hallig Oland
Pellworm
69 Wo das Watt sich breit macht, müssen Schiffe weichen
Fähranleger Pellworm
70 Warten aufs Wasser am Grünstrand
Pellwormer Badestellen
71 Der schiefe Turm von Pellworm
Alte Kirche Sankt Salvator
72 Ökologisch alte Hasen – energetisch freie Friesen
Friesenhöfe
73 Zwei Schwarzwälder reif für die Insel: erster offener Garten
Clausenhof Waldhusentief
74 Fischreuse, Flussbett, Fething: Kulturlandschaft im Watt
Norderkoog
75 Schätze versunkener Welten, die das Watt freigibt
Rungholt-Museum
76 Warften aus Klei und Torfresten zum Schutz vor den Fluten
Inselmuseum
77 Warum Pellworm die schönste Insel der Welt ist
Radtour um Pellworm herum
Karte
Literaturverzeichnis
Wenn ich der mal sanften, mal stürmischen Musik der Wellen am Sylter Weststrand lausche, denke ich oft daran, dass dort, wo sich das Wasser ohne Landsicht weit zum Horizont zieht, einmal Mammuts, Rentiere und Pferde in einer subarktischen Tundra zu Hause waren und von Jägern aufgespürt wurden. Die amphibische Landschaft aus Wattenmeer, Inseln, Halligen und Sandbänken, die wir heute kennen, besteht erst seit 9000 Jahren. Als das letzte Stündlein der Eiszeit schlug, es um neun Grad wärmer wurde, die Gletscher abschmolzen, der Meeresspiegel um etwa 140 Meter stieg, endete die Urnordsee noch 300 Kilometer westlich des heutigen Sylt. Pellworm wurde nach Meinung einiger Forscher um 6400 v.Chr. überflutet. Das Wattenmeer bildet sich seit etwa 4000 Jahren in Form von Flachwasserlagunen im Schutz der Nehrungen aus, damals war Sylt vielleicht eine von Eichenwäldern bedeckte Halbinsel. Aus dieser Zeit stammen Hunderte Megalithgräber, von denen heute nur noch wenige erhalten sind – etwa in der westlichen Kampener Heide neben dem Quermarkenfeuer.
Zwischen 2000 und 1000 v.Chr. sinkt der Meeresspiegel wieder um mindestens zwei Meter. 200 n.Chr. hängen Föhr und Amrum vermutlich noch an einem Festland, dessen Rand aus Hochmooren, Schilfsümpfen und Seen besteht. Ab dem 12. Jahrhundert werden Deiche gebaut, Moore entwässert. Priele verbreitern sich, Sturmfluten wüten – und große Teile einer mittlerweile dicht besiedelten Kulturlandschaft verschwinden in Katastrophenfluten. Von den beiden ›Groten Mandränken‹, der Marcellusflut 1362 und der Burchardiflut 1634, sowie namenlosen anderen Sturmfluten sind die Utlande heftig betroffen.
Dieses flache Meer, der launische ›Blanke Hans‹, bestimmt den Rhythmus und die Wirtschaftsgeschichte der nordfriesischen Welt im größten Nationalpark zwischen Nordkap und Sizilien bis heute.
Tipp: Naturliebhabern sei der Rundwanderweg (9 Kilometer) um die eingedeichte Bucht des Sylter Rantumbeckens empfohlen; idealer Aussichtsplatz, um Vögel zu beobachten.
Vogelwart des Vereins Jordsand e. V., Schutzstation ///
Am Torbogen 7 /// 25980 Rantum /// 0 15 20 / 5 92 59 28 ///
www.jordsand.eu ///
Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und
Meeresschutz Schleswig-Holstein, Nationalparkverwaltung ///
Schlossgarten 1 /// 25832 Tönning /// 0 48 61 / 61 60 ///
www.nationalpark-wattenmeer.de/sh ///
In lauen Sommernächten, bei ruhigem Wellengang und leichtem Wind, entsteht dank der Bläschen des Zooplanktons ein wundersames Meeresleuchten. Wer davon erzählt, trägt dessen Glanz selbst in den Augen. Wer ständig am Meer lebt(e), wird selten von romantischen Gefühlen erfasst. Ein Pflug und ein Schiff – alte Symbole für Nordfriesland, Sinnbilder für Landwirtschaft und Seefahrt. Land im Meer. Die Utlande des Mittelalters, amphibische Außenlande des ›festen‹ Landes, in hügeliger, langsam verlandender nacheiszeitlicher Moränenlandschaft gelegen, waren ein politisches Gebilde des dänischen Königreichs. Die frühen Missionskirchen der Utlande stehen an germanischen Thingplätzen, die exakt gleich weit voneinander entfernt sind. Von Sankt Severin in Keitum über Sankt Johannis in Nieblum, Sankt Salvator auf Pellworm verläuft eine gerade Linie, sie endet bei Sankt Magnus in Tating auf Eiderstedt.
Kirchenbauten, Natureinflüsse und Wirtschaftsgeschichte sind eng verknüpft. War der Untergang der Stadt Rungholt, die wahrscheinlich im Gebiet der heutigen Hallig Südfall lag, eine Strafe Gottes? Um das 1362 in der Tiefe versunkene Atlantis der Nordsee ranken sich allerhand Legenden, Dichtungen und Deutungen. Der Meeresgrund übt auf viele Menschen dieselbe Faszination aus wie die dunkle Seite des Mondes oder das Leben auf anderen Planeten. Immerhin hat Rungholt wirklich existiert, die Stadt gehörte zu den wohlhabenden Steuerzahlern im dänischen Hoheitsgebiet.
Heutzutage kann Sylt in Sachen Reichtum die Pole Position für sich in Anspruch nehmen: Die florierende Tourismuswirtschaft der Insel trägt erheblich zum Volkseinkommen Schleswig-Holsteins bei. Allein Kampens Immobilienmarkt erzielt den höchsten Return on Investment Deutschlands. Auf den rund 100 Quadratkilometern der beliebtesten Ferieninsel der Deutschen werden jährlich 400 bis 600 (keineswegs nur baufällige) Häuser abgerissen, um luxuriösere zu errichten, berichtet der Geologe Ekkehard Klatt. Als Baugutachter und Experte für Bodensanierung weiß der Sylter, wovon er spricht. Der Mann bewohnt übrigens sein Elternhaus in Westerland selbst. Anderen Erben bleibt keine Wahl außer Verkauf, wenn Geschwister ausgezahlt werden müssen. Sylt ist eine Marke, an der wenige sehr viel und viele ganz ordentlich verdienen, auch manch einer der 5.000 Pendler, die täglich über den Hindenburgdamm zum Arbeiten kommen. Von nachhaltigem Tourismus allerdings scheint man weit entfernt zu sein – Hut ab vor den Amrumern, Föhrern, Pellwormern und Halligleuten, die auf diesem Gebiet offenbar mehr Glück und Verstand haben.
Raubbau an der Substanz ist nichts Neues. Schaufelten sich die Insulaner nicht bereits ihr eigenes Grab, als sie die Landschaft der mittelalterlichen Utlande mit Torfabbau zur Gewinnung des begehrten Friesensalzes im großen Stil ausbeuteten, wodurch das tiefer gelegte Land von vordringenden Prielen überschwemmt wurde? Die Wissenschaftler des Projekts Küstenatlas um den Geoarchäologen Dirk Meier verneinen das: Die großen Landverluste gehen ihrer Ansicht nach nicht allein auf den Menschen und seine Wirtschaftsweise zurück, die Natur selbst habe sie verursacht. Die Rungholter hatten ihre Siedlung demnach unwissentlich über einem tiefen eiszeitlichen Tal errichtet, das das Meer in Jahrtausenden mit losen Sedimentschichten überdeckte und verbarg.
Nach Ende des Torfabbaus verlegten sich die Inselfriesen für 300 Jahre auf eine andere Form der Ausbeutung, den Walfang, wodurch der ostatlantische Nordkaper praktisch ausgerottet wurde. An der Küste einem Wal zu begegnen, ist so gut wie ausgeschlossen, auch wenn gelegentlich mal ein toter Pottwal auf Pellworm strandet. Dafür sichtet man im Walschutzgebiet Sylter Riff die meisten Schweinswale der deutschen Nordsee. Sie paaren sich und kalben hier. Auch Kegelrobben bekommen auf Sandbänken vor Amrum ihren Nachwuchs. Einige Tausend Seehunde durchwandern die See zwischen ihren Fress-, Ruhe- und Paarungsplätzen. Sie zu jagen ist an der deutschen Küste verboten, die 40 Seehundjäger Schleswig-Holsteins sammeln vorwiegend verlassene Heuler ein und bringen sie in die Seehundstation nach Friedrichskoog. Als praktisch ausgestorben gelten Seepferdchen, weil es in der Nordsee kaum noch Seegraswiesen gibt, an denen die Tierchen sich festklammern, um nicht von der Strömung weggerissen zu werden.
Mag das touristische Sylt-System irgendwann kollabieren, so wird die Insel trotzdem so schnell nicht untergehen, meint Ekkehard Klatt: »Jeder Deich der Welt kann brechen, aber die Geest bleibt!« Jedoch könnte es enger werden im Ferienparadies. Die ›aktiven‹ Kliffs auf Sylt, das Weiße vor Braderup und das Rote vor Kampen, opfern der See bei jeder Sturmflut ein wenig von ihrem Steinkapital. Die Tide tut ihre Arbeit, sie nimmt und gibt. Immerhin entstanden auf diese Weise die friesischen Nordseeinseln – alles Sandbänke, mit Ausnahme von Texel in Holland, Föhr, Amrum und Sylt, die über einen Geestkern verfügen. Helgoland fällt aus dem Rahmen, das Eiland entstand als Bruchstück einer tiefer liegenden Gesteinsscholle, das durch aufsteigendes Salz nach oben gepresst wurde.
Die Balance zu halten zwischen Naturschutz, Artenvielfalt, Landschaftspflege, Wirtschaftsinteressen und Lebensqualität bleibt allemal eine schwierige Aufgabe. Die vielleicht wichtigste Rolle spielt dabei der Küstenschutz, für den das Land laut Umweltministerium durchschnittlich 70 Millionen Euro im Jahr ausgibt. Der Meeresspiegel steigt, neue Sturmfluten könnten vor allem die Halligen bedrohen. Zwar sind die Halligleute es gewohnt, dass ihre Umgebung mehrmals im Jahr von Wasser überflutet wird und man sich nur noch auf der eigenen Warft bewegen kann. Jedoch ist Landunter ›der kleine Bruder der gefährlichen Sturmfluten‹, heißt es im Magazin ›Wir Halliglüüd‹. Andererseits: Durch die Überflutungen gewinnen die Halligen neues Sediment aus Sand und Schlick. »Ohne Landunter würden sie vom Regen ausgewaschen und allmählich verschwinden. Wären sie eingedeicht, würden sie wie Pellworm nach kurzer Zeit unter dem Meeresspiegel liegen«, erläutert Geologe Klatt.
Tipp: Das Wattenmeer ist das vogelreichste Gebiet Europas, von Den Helder bis Esbjerg die größte Wattlandschaft der Welt, seit 2009 UNESCO-Weltnaturerbe.
Insel- und Halligkonferenz e. V. /// Hafenstrasse 23 ///
25938 Wyk auf Föhr /// www.inselundhalligkonferenz.de ///
Blick übers Watt vom Hindenburgdamm aus bei klarem Wetter: Im fernen Listland schimmern weiß die Wanderdünen. Der Blidselbucht vorgelagert türmen sie sich über 30 Meter hoch auf. Das Gebiet der drei Sandkolosse wird auch ›Sylter Sahara‹ genannt, eine Assoziation, die bereits Thomas Mann formulierte, der auf Sylt in den 20er-Jahren dreimal Ferien machte.
Die Lister Dünenlandschaft gehört zum 1923 ausgewiesenen Naturschutzgebiet Nord-Sylt, größtes der Weimarer Republik. Der wichtigste Vorkämpfer des Naturschutzes auf der Insel, Ferdinand Avenarius (1856 – 1923), schrieb 1913 in der einflussreichen Kulturzeitschrift ›Kunstwart‹: ›Meer rechts, Meer links, dazwischen aber über schön geschweifter Bucht, wie ein fernes Hochgebirge, das größte Dünengebiet Deutschlands‹. Avenarius gilt als Schutzpatron der nördlichen Sylter Nehrung, die durch diese frühe politische Entscheidung vor Bausünden gerettet wurde. Nach geologischen Kriterien verfügt die Insel Sylt über zwei Nehrungen, schmale Sandhaken nördlich und südlich des sogenannten Geestkerns im Dreieck Westerland, Keitum, Kampen. Die Nehrungen ziehen sich bis zur Ellenbogenspitze und bis zur Hörnum Odde. Noch vor 200 Jahren waren beide Nehrungen mit Wanderdünen bedeckt.
Es ist kein Zufall, dass es auf Sylt nunmehr keine anderen Wanderdünen gibt. Küstenschützern ist daran gelegen, alle Sandberge ›ortsfest‹ zu machen, allmählich mit Sandfangzäunen, Strandhafer und Heide in Grau- und Braundünen zu verwandeln. Durch den häufigen Westwind kann sich eine niedrige, unbewachsene Weißdüne jedes Jahr um mehrere Kilometer fortbewegen! Die Respekt heischenden hohen Sandberge im Listland schaffen ›nur‹ vier bis fünf Meter jährlich. Kleine Primärdünen, die der Wind aufweht, stattet man in der Uferzone mit Strandpflanzen aus, damit sie gar nicht erst zu wandern beginnen.
Tipp: Die Wanderdünen darf man nicht betreten, im Gegensatz zur befestigten Uwe-Düne bei Kampen: Mit 52 Metern ist sie die höchste Erhebung, eine Holztreppe führt hinauf.
Naturschutzgebiet Nord-Sylt ///
Alte Liststraße westlich von List ///
www.sylt.de/entdecken/natur/sylter-kuestenschutz.html ///
Die drei Heidearten Krähenbeere, Glockenheide und Besenheide prägen nicht nur die Braderuper Heide, sondern auch die Braundünen des Listlandes. Von Mai bis Oktober leuchten die Sandhügel in lila-violetter Färbung, ein Bild, das sich täglich mit wechselndem Licht und variierter Witterung verändert.