Nordseeliebe und Inselglück - Anne Lay - E-Book
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Nordseeliebe und Inselglück E-Book

Anne Lay

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Beschreibung

Wenn die Liebe genau die richtigen Töne spielt …
Der gefühlvolle Küstenroman für Fans von Enemies-to-Lovers Romances

Marie reicht es! Immer wieder muss sie im Schatten anderer stehen. Als jüngere Tochter erbt nicht sie das Familiengeschäft, sondern ihr Bruder, dessen Angestellte sie ist. Dann wird in ihrem Chor ein Sänger engagiert, um den Part zu übernehmen, den sie eigentlich wollte! Und zu allem Überfluss ist der neue Solist Jan Petersen auch noch unverschämt attraktiv. Als Marie dann auch noch ihren Job verliert, weil sie beschuldigt wird, einen Brand gelegt zu haben, zieht sie sich kurzerhand an die malerische Nordsee nach Husum zurück. Dort kommt sie Jan langsam näher, der gar nicht mal so unsympathisch ist … Doch als dessen Zwillingsbruder ein Auge auf Marie wirft, entflammt Jans Eifersucht. Sollte etwa ein Missverständnis die beiden auseinanderbringen?

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Nordseeliebe und Inselglück.

Erste Leser:innenstimmen
„Gefühlvoller Liebesroman mit Witz und Urlaubsfeeling.“
„Die Charaktere haben mir sehr am Herzen gelegen und der Nordseestrand mit seinen Dünen wird schön in Szene gesetzt.“
„Eine sehr authentische Liebesgeschichte direkt aus dem Leben.“
„Trotz der Konflikte und dramatischen Ereignisse verströmt dieser Nordsee-Roman eine erbauende Leichtigkeit.“

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Seitenzahl: 393

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Über dieses E-Book

Marie reicht es! Immer wieder muss sie im Schatten anderer stehen. Als jüngere Tochter erbt nicht sie das Familiengeschäft, sondern ihr Bruder, dessen Angestellte sie ist. Dann wird in ihrem Chor ein Sänger engagiert, um den Part zu übernehmen, den sie eigentlich wollte! Und zu allem Überfluss ist der neue Solist Jan Petersen auch noch unverschämt attraktiv. Als Marie dann auch noch ihren Job verliert, weil sie beschuldigt wird, einen Brand gelegt zu haben, zieht sie sich kurzerhand an die malerische Nordsee nach Husum zurück. Dort kommt sie Jan langsam näher, der gar nicht mal so unsympathisch ist … Doch als dessen Zwillingsbruder ein Auge auf Marie wirft, entflammt Jans Eifersucht. Sollte etwa ein Missverständnis die beiden auseinanderbringen?

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Nordseeliebe und Inselglück.

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe Juni 2023

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-536-8 Taschenbuch-ISBN: 978-3-96817-452-5

Copyright © 2020, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2020 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Nordseeliebe und Inselglück (ISBN: 978-3-96817-363-4).

Covergestaltung: Dream Design – Cover and Art unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: © Eva Gruendemann, © Jürgen Nickel shutterstock.com: © freya-photographer Lektorat: Manuela Tengler

E-Book-Version 06.06.2024, 13:27:31.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Nordseeliebe und Inselglück

Für meine Freundin Doris.

Vorwort

Herzlich Willkommen zur Neuauflage von Nordseeliebe und Inselglück!

Sie haben Lust, mit Marie an die Nordsee zu reisen? Vorsicht: Die Geschichte beginnt an Weihnachten. 

Eine Szene habe ich selbst erlebt:

Ich singe im Chor und für ein Konzert durfte ich einen Solopart übernehmen. Also übte ich das Stück daheim und kurz vor der Aufführung sagte meine Chorleiterin plötzlich, dass ein Kinderchor diese Passage übernehmen solle. Wie bitte?!

Ich war wie vor den Kopf geschlagen und setzte mich noch am gleichen Abend hin, um meiner Chorleiterin zu schreiben, die Situation zu klären. 

Nachdem ich die Mail abgeschickt hatte, blieb ich am Rechner und schrieb nieder, was passiert war. 

Die Details habe ich verändert und die Suche nach einem geeigneten Musikstück brachte mich auf das Musical Westsidestory. Damit war auch der Name der Protagonistin klar: Marie, denn: »The most beautiful sound I’ve ever heard, Maria …«

Viele Szenen im Chor beruhen auf meinen Erlebnissen. Ich singe, solange ich denken kann, auch im Chor. Überhaupt hat Marie einiges von mir.

Viel Spaß beim Lesen

Anne Lay

Weihnachten in Husum

Die Atemluft kondensierte zu kleinen Nebelwölkchen, als Marie zu Fuß durch die Straßen eilte. Sie war früh dran, aber die kalte, feuchte Luft ließ sie ihre Schritte beschleunigen. Sie zog ihren Schal enger um ihren Hals und schob die Kante über Mund und Nase, sodass nur noch ihre Augen zwischen Mütze und Schal der kalten Witterung ausgesetzt waren.

Kühl war es schon am Morgen dieses Heiligen Abend gewesen, aber im Lauf des Nachmittags war der Wind aufgefrischt und wehte feucht vom Meer her durch die Straßen Husums. Inzwischen war Marie am Markt angekommen. Erst hier traf sie auf andere Menschen, die mit ihr gemeinsam auf die Marienkirche zustrebten. Es musste deutlich vor Elf sein und richtig, in diesem Moment erklang eine erste Glocke über ihrem Kopf, eine zweite gesellte sich hinzu und das Geläut rief die Gläubigen zum Besuch der Christmette. Trotz des rauen Wetters blieb Marie kurz stehen und schaute zum Glockenturm hinauf. Vor einigen Jahren hatte ihr Vater sie auf die Glocken aufmerksam gemacht, fünf an der Zahl waren es, die im Turm hingen. Nein, dachte sie bitter, nicht an sie hatte er die Erklärungen gerichtet, sondern an ihren Bruder. Kurz presste sie die Lippen aufeinander und schob den Gedanken beiseite, dann trat sie entschlossen auf das Portal der Kirche zu. Im Inneren des Gotteshauses, vor dem ruppigen Wind geschützt, zog sie ihre Mütze vom Kopf und sah sich um. Obwohl es noch früh war, schien die Kirche gut besucht. Nur mit Mühe fand sie einen freien Platz.

Das Holz der Kirchenbank knarrte, als sie sich neben einer älteren Frau niederließ. Flüchtig nickte sie der Dame zu und legte dann ihre Sachen vor sich auf den Boden. Mit einem verhaltenen Seufzer richtete sich Marie auf und schloss die Augen. Leises Geraschel zeigte an, dass noch immer Menschen einen Platz suchten. Husten und Schniefen mischten sich in die Geräusche von Sohlen auf Stein und das Knarren der Holzbänke. Die Luft war trocken und jetzt bemerkte sie an der älteren Dame einen vertrauten Geruch. Es dauerte eine Weile, bis sie den Duft zugeordnet hatte. Ihre Großmutter hatte das gleiche Parfum benutzt. Maries Mundwinkel hoben sich.

Weihnachten. Das Erste, dass sie allein verbringen würde. Seit dem Tod ihres Vaters vor drei Monaten hatte sich viel verändert. Das Verhältnis zu ihrem Bruder war – schwierig geworden. So feierte er mit seiner Familie allein und sie selbst war nach Husum gefahren, um die Feiertage und die Zeit zwischen den Jahren am Meer zu verbringen. Einen Vorteil musste es schließlich haben, dass sie das Ferienappartement in Hafennähe geerbt hatte. Die Firma und das Haus in Norderstedt gehörten jetzt ihrem Bruder. Es hatte einen heftigen Streit gegeben, als der Vater sie vom Testament in Kenntnis gesetzt hatte. Es müsse einen einzigen Betriebsleiter geben und das sei nun mal der Ältere, der Mann.

Wieder einmal fühlte Marie in sich hinein. Ja, er war noch da, der Stachel der Eifersucht. Hatte sie nicht die gleiche Ausbildung gemacht wie Eike? War sie nicht genau so sehr Kind ihres Vaters? Natürlich konnte man die Firma nicht teilen. Sie zu verkaufen oder zu zerschlagen wäre Marie nie in den Sinn gekommen, aber sie fühlte sich abgespeist. Es blieb dabei, sie war lediglich eine Angestellte in der Firma ihrer Familie, zunächst beim Vater, jetzt beim Bruder.

In diesem Moment begann der Posaunenchor zu spielen und Marie konzentrierte sich auf die bekannte Melodie. Es ist ein Ros’ entsprungen, summte sie innerlich mit und nach der ersten Strophe durfte die Gemeinde mitsingen, was sie mit Freude tat. Sie mochte die alten Weihnachtslieder und wenn diese aus vielen Kehlen im Kirchenschiff erklangen, musste Marie manchmal gegen die Tränen ankämpfen. So schloss sie die Augen und sang auswendig mit.

Als der letzte Ton verklungen war, begrüßte der Pastor die Gemeinde. Schon bei seinen ersten Sätzen schweiften Maries Gedanken wieder ab. Ihr letzter Kirchenbesuch war der Trauergottesdienst für ihren Vater gewesen. Die Kirche war brechend voll, die Honoratioren, Nachbarn und die Belegschaft, viele der Trauernden kannte Marie, noch mehr waren ihr unbekannt. Alle zeigten sich betroffen, dass der rüstige Mittsechziger so plötzlich an einem Herzinfarkt gestorben war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er die Fäden seiner Fensterbaufirma fest in seinen Händen gehalten. Zwar arbeiteten Sohn und Tochter in der Firma, aber der Chef war er, er traf die Entscheidungen, die dann umgesetzt wurden. Er hatte sich mit niemandem beraten.

Ungewohnte Klänge rissen Marie aus ihren Überlegungen. Was sie von der Orgelbühne hörte, kam ihr bekannt vor und doch war sie sicher, dieses Lied noch nie oder zumindest nicht in dieser Weise gehört zu haben. Eine Männerstimme setzte ein: »Oh come, come ye, joyful and triumphant …«

Marie schnappte nach Luft. Diese Stimme! Kraftvoll und doch samtig erklang die Melodie zunächst von dem Sänger allein. Dann setzte der Kinderchor ein: »Herbei, oh ihr Gläubigen …« Den Choral kannte sie, er gehörte zu Weihnachten, solange sie denken konnte. Sie drehte sich um und reckte den Hals, um die Sänger zu sehen. Auf der Empore strahlten die Kinder und folgten der Leitung des Dirigenten. Neben ihm vorn an der Balustrade stand der Solosänger, der gerade wieder Luft holte. Er sang die nächste Strophe wiederum auf Englisch, deren Melodie sich an den Gesang der Kinder anschmiegte, sie umspielte und schließlich überstrahlte.

Marie bekam eine Gänsehaut. Tränen stiegen ihr in die Augen, aber sie wandte sich nicht ab.

Als der letzte Ton verklungen war, ließ der Sänger seinen Blick über die Köpfe der Gemeinde schweifen und schien an Maries Gesicht hängen zu bleiben. Einen kurzen intensiven Moment hatte sie das Gefühl, als schaue er sie direkt an. Ihr Wangen brannten und obwohl ihr das unangenehm war, konnte sie sich doch nicht abwenden. Erst als der Pastor längst wieder sprach, drehte sie sich zögernd nach vorn um.

Nach dem Segen erklang vom Posaunenchor das Vorspiel zu Stille Nacht und gemeinsam sangen die Menschen alle Strophen des alten getragenen Liedes.

Während der letzte Ton durch die Kirche hallte, ergriff eine Frau das Wort und lud alle Besucher des Gottesdienstes im Anschluss zu einem Becher Glühwein oder Punsch vor der Kirchentür ein.

Marie ließ sich Zeit, zupfte zwei lange blonde Haare von ihrem Mantel und griff nach ihrer Mütze. Draußen war es sicher noch kälter geworden.

Der Auszug aus dem Kirchenhaus stockte, und als sie schließlich am Portal ankam, erkannte sie auch warum: Der Pastor schüttelte jedem Kirchenbesucher persönlich die Hand und wünschte frohe Weihnachten. Direkt neben dem Eingang, vom Wind geschützt, stand ein Tisch mit zwei großen Töpfen, die dampften und würzig dufteten. Noch während sie schaute, bekam Marie einen Becher Glühwein angeboten.

»… oder möchten Sie lieber Punsch?«

Marie sah auf und erkannte in ihrem Gegenüber den Solisten. Freundlich lächelnd hielt er ihr die dampfende Tasse entgegen.

Fast mechanisch griff sie nach dem Wein und bedankte sich. Zwei Schritte weiter drehte sie sich zurück und betrachtete ihn aus dieser kurzen Entfernung. Dunkelblonde, kurz geschnittene Haare und ein sauber gestutzter Bart umrahmten ein etwas rundliches Gesicht mit auffallend blauen Augen. Selbst bei diesem schummrigen Licht schienen diese zu leuchten. Ansonsten war er groß, sicher einen halben Kopf größer als sie und erschien breitschultrig in seiner Caban-Jacke. Mit stoischer Ruhe verteilte er den Glühwein und schaute dabei jeden gleichbleibend freundlich an.

Marie nippte an ihrer Tasse. Der Wein wärmte durch seine Gewürze, umschmeichelte ihre Zunge mit Zimt, Nelke und Orange, und sie merkte, wie ihr innerlich warm wurde. Hier zwischen den vielen Menschen spürte sie den Wind kaum. Obwohl sie niemanden persönlich kannte, fühlte sie sich nicht fremd und genoss den Moment der Gemeinschaft, der auch sie mit einschloss.

Ihr Blick wanderte zurück zu dem Mann, der inzwischen keinen Glühwein mehr verteilte, sondern selbst eine Tasse zum Mund führte.

Kurzentschlossen trank sie den letzten Schluck und ging zu ihm zurück.

»Darf ich Ihnen die zurückgeben?« Auffordernd hielt sie ihm ihre Tasse entgegen und bevor sie der Mut verlassen konnte, sprach sie weiter: »Ich möchte Ihnen für den Gesang danken. Das Stück … und Ihre Stimme haben mich sehr berührt.«

Er hatte sie während ihrer kurzen Rede äußerlich unbewegt angeschaut. Jetzt nahm er ihr die Tasse ab und umfing dabei für einen kurzen Moment ihre Finger.

»Danke«, sagte er und übernahm etwas umständlich das Gefäß.

Norddeutsch wortkarg schoss es Marie durch den Kopf, dann wandte sie sich mit einem Nicken ab. Erst als sie aus der Menschentraube heraustrat, fiel ihr auf, wie warm seine Hand gewesen war.

Zurück in ihrem Appartement setzte sich Marie mit einem Glas Rotwein auf das Sofa. Auf dem Tisch vor ihr lag ein Päckchen. Bevor sie sich ans Auspacken machte, kuschelte sie sich unter eine flauschige Decke. Das Geschenk hatte sie von ihrer Freundin Nele bekommen. Darauf eine Weihnachtskarte, nein, fast ein Brief, stellte sie fest, als sie die Karte aufklappte.

Liebe Marie,

schön, dass Du Deine Ankündigung wahrgemacht hast und Weihnachten in Husum feierst. Die letzte Zeit war sicher nicht einfach für Dich und Du hast Dir die Auszeit redlich verdient. Lange habe ich überlegt, was ich Dir in Dein Exil auf Zeit mitgeben könnte. Als Erstes fiel mir ein Boxsack ein, aber den hättest Du ja nur unnütz hin- und hertransportieren müssen und außerdem vor Ort nicht einsetzen können.

Marie schmunzelte. Ja, nach einem Boxsack hätte ihr in den letzten Monaten durchaus einige Male der Sinn gestanden, wie gut ihre Freundin sie doch kannte.

Also habe ich überlegt, wie Du Dir sonst etwas Gutes tun kannst. Ich hoffe, ich habe Deinen Geschmack getroffen. Fühl Dich gedrückt und frohe Weihnachten.

Deine Freundin Nele

Gespannt nahm Marie nun das Päckchen vom Tisch. Mittelschwer war es und raschelte oder klapperte nicht, während sie es vorsichtig bewegte. Für ein Buch hatte es das falsche Format. Vorsichtig schnürte sie die Schleife auf und wickelte diese auf. Dann löste sie die Klebestreifen von dem goldglänzenden Papier und brachte eine Pappschachtel zum Vorschein. Nele machte es also spannend. In dem Karton sah sie zunächst nur Füllmaterial, dann ein rotes Etwas, das sie aus den Maischips fischte. Ein roter Knautschball kam zum Vorschein mit einem ärgerlichen Gesicht, das ihrem Bruder merkwürdig ähnelte. Hatte Nele das etwa gezeichnet? Marie hob den Ball ins Licht und tatsächlich gab es gedruckte Linien und anscheinend später nachgezeichnete. Eikes Frisur, ein sauber gegelter Kurzhaarschnitt, war gut getroffen und die Augen waren braun nachgezeichnet. Darin waren sich die Geschwister sehr ähnlich. Beide hatten blonde Haare und braune Augen. Als Kinder waren sie öfter verwechselt worden, obwohl ihr Bruder etwas älter war. Sie knautschte den weichen Ball und ließ das Konterfei darauf Grimassen schneiden. Mit einem Schnauben legte sie den Ball beiseite. Vorsichtig suchte sie im Füllmaterial, fand aber nichts weiter, außer dass es darunter glatt war und noch etwas auf dem Grund der Kiste sein musste. Kurzentschlossen kippte sie die Maischips auf das Geschenkpapier und stieß auf eine weitere Karte. Gutschein prangte in großen Lettern darauf. Als sie sie aufklappte, las sie mit Erstaunen, dass sie zum Probetraining in einen Boxklub gehen konnte. Zwar hatte sie mit Nele mehrfach geblödelt, dass sie sich etwas zum Draufschlagen wünschte, aber hatte sie das wirklich ernst gemeint? Der Ball grinste sie an. »Du hältst dich da raus«, beschied sie ihm und schlug mit der Faust auf den Ball, sodass dieser platt wie ein Pfannkuchen aussah und erst langsam zu seiner runden Form zurückfand. Noch ein Schnauben hallte durch das ruhige Zimmer ihrer Ferienwohnung. Dann hob Marie den letzten Teil des Geschenks aus dem Karton. Das fühlte sich eindeutig nach Buch an. Gespannt, was Nele für sie ausgesucht haben mochte, packte sie aus. Der Klappentext verhieß einen Abenteuerroman, bei dem auch die Romantik nicht zu kurz käme. Es war ein dicker Schinken, genau das Richtige für lange Winterabende allein.

Silvester auf Sylt

»Sieh da, die Petersen-Zwillinge!« Ines Roters begrüßte Jan und Arne am frühen Silvesterabend in ihrer Villa und hauchte neben beiden Küsschen in die Luft. Während Arne die Aufmerksamkeit genoss und die Gastgeberin einen Moment länger als nötig im Arm hielt, ließ Jan den Empfang mit einem nachsichtigen Lächeln über sich ergehen.

»Ich habe allen meinen Nachbarn erzählt, wer hier das Wunder vollbracht und dieses Juwel wieder hergerichtet hat. Mit der Haustür haben Sie sich selbst übertroffen«, säuselte sie nun in Jans Richtung.

Arne hieb seinem Zwillingsbruder auf die Schulter. »Schön, dass wir Sie überzeugen konnten.«

Jan schaute noch einmal auf die Tür, die gerade offenstand, um weitere Gäste hereinzulassen. Geschwungene Fensterrippen hielten nicht länger die Einfachverglasung, sondern integrierten sich gelungen in die neue Sicherheitstür. So wirkte der Eingang der Reetdach-Villa absolut authentisch, genügte aber gleichzeitig dem hohen Sicherheitsbedürfnis der Bewohnerin. Nur wenige Wochen nach dem Austausch der Fenster waren die Räumlichkeiten fertiggestellt und wurden nun im Rahmen der Silvesterparty eingeweiht.

Kaum hatte Jan ein Getränk in der Hand, bat Ines Roters um Ruhe. »Ich freue mich, dass ihr so zahlreich meiner Einladung gefolgt seid. Ich präsentiere euch hiermit mein neues Feriendomizil, das nun fertig renoviert und modernisiert genau meinen Träumen entspricht. Schaut euch um, genießt den Abend und lasst uns gemeinsam die letzten Stunden begehen und das neue Jahr begrüßen.« Sie hob ihr Glas und die Gäste taten es ihr nach. »Auf einen schönen Abend!«

Das Buffet war auf der Kochinsel in der geräumigen Küche aufgebaut. Jan interessierte sich aber zunächst für die Einrichtung. Wie er wusste, war auch hier alles vom Feinsten. Ines Roters hatte aus dem Vollen geschöpft. Neueste Technik verbarg sich hinter glänzenden Fronten und er fragte sich, ob diese Küche jemals richtig benutzt werden würde. Er schätzte seine Gastgeberin eher nicht als begeisterte Köchin ein.

»Hier stecken Sie!«, die Dame des Hauses hakte sich bei ihm ein und führte ihn persönlich herum. »Die Idee mit den verdeckten Küchengeräten war wundervoll«, spielerisch drückte sie hier und da gegen die glänzenden Flächen und offenbarte so, was sich dahinter verbarg.

»Schön, dass ich helfen konnte.« Zufällig hatte es sich ergeben, dass er während der Fenstermontage Zeuge der Küchenplanung geworden war. Er hatte sich nicht zurückhalten können und einige Änderungsvorschläge eingebracht. Jetzt lobte sie seine Idee und deren Umsetzung in den höchsten Tönen.

Kurze Zeit später wandte sich die Gastgeberin anderen Gästen zu und Jan war erleichtert. Er bediente sich am Buffet, als unversehens sein Bruder neben ihm stand. »Sieht ganz so aus, als hätte Ines ganze Arbeit geleistet. Ich bin schon von zwei weiteren Interessenten auf die Tür angesprochen worden. Das könnte ein lukrativer Abend werden.«

»Ihr seid jetzt per Du?«, Jan wunderte sich nicht. Sein Bruder verbrachte die Wochenenden inzwischen häufiger auf Sylt und er vermutete, dass zwischen Arne und ihr etwas lief.

»Das ist alles geklärt. Nicht die große Liebe, sondern ein – gegenseitiges Entgegenkommen.«

»Dass sie ein paar Jahre älter ist …«

»Stört mich überhaupt nicht. Es ist ja nicht so, dass wir heiraten wollten.«

»Sondern?«

»Eine offene Beziehung, die uns beiden Vorteile bringt.«

Kopfschüttelnd schaute Jan seinen Bruder an. Sie glichen sich wie ein Ei dem anderen, aber in ihren Einstellungen gab es kaum Gemeinsamkeiten. Jan hasste solche Partys mit oberflächlichem Smalltalk. Menschen, die ichbezogen agierten und andere nur in Bezug auf deren Nützlichkeit taxierten. Ab und zu ließ er sich breitschlagen, Arne zu begleiten, so wie heute. Er hatte sich vorgenommen, das Essen zu genießen und das tat er nun auch. Bis Mitternacht würde er durchhalten. Immer wenn er mit Arne angesprochen wurde, wies er kurz darauf hin, dass er nur der Bruder sei, und hörte dann einfach zu.

Jan verabschiedete sich gegen Morgen von seiner Gastgeberin, die ihn zunächst nicht gehen lassen wollte.

Arne zwinkerte ihm zu und legte Ines einen Arm um die Hüften. »Ich glaube, ich übernehme hier.« Er drückte ihr einen Kuss hinter das Ohr und strich mit seiner Nase an ihrem Hals entlang.

»Solch versierter Begleitung kann ich Sie getrost überlassen«, schmunzelte Jan, nickte den beiden noch einmal zu und holte sich dann seine Jacke von der Garderobe. Im Windfang der Reetdach-Villa zog er sich an und nahm die Strickmütze aus der Jackentasche, um sie sich über die Ohren zu ziehen.

Draußen pfiff ihm ein frischer Wind um die Nase. Tief einatmend zog er die Tür hinter sich ins Schloss und machte sich auf den Weg. Die Hände tief in den Taschen vergraben stemmte er sich gegen die heftige Bö, die ihn auf der Straße erfasste. Zum Glück wehte es aus Südwest, sodass er den Wind im Rücken hatte. Schon nach wenigen Metern wurde es ruhiger um ihn. Die umliegenden Villen lagen dunkel abseits der Straße, Tiere ließen sich um diese Uhrzeit noch nicht ausmachen und so war nur das Rauschen der Wellen zu hören.

Jan genoss es, mit ausgreifenden Schritten über die Insel zu wandern. Arne hatte ihn für verrückt erklärt, als er angekündigt hatte, dass er nach List laufen und von dort die Fähre nach Rømø nehmen wollte. Im Gedanken daran schnaubte er leise. Ja, es war sicher eine Strecke von zwei Stunden, aber er genoss die Stille und die Bewegung an der frischen Luft. Zum Jahreswechsel kam er erst jetzt dazu, das Vergangene Revue passieren zu lassen. Erfolgreich war das Jahr gewesen. Nicht zuletzt die Fürsprache von Ines Roters hatte dafür gesorgt, dass sie einige lukrative Aufträge auf Sylt bekommen hatten. Zahlungskräftige Investoren hatten Freude daran gefunden, ihre Villen in traditioneller Weise ausstatten zu lassen. Hochwertige Holzfenster und Türen der Firma Petersen hatten sich so zu einem Verkaufsschlager entwickelt, und ein Auftrag zog viele weitere nach sich. Auch die Zusammenarbeit mit seinem Bruder lief fast reibungslos, seit sie die Zuständigkeiten innerhalb der Firma geregelt hatten. Arne hatte sich verstärkt um Buchhaltung und Akquise gekümmert, während er die Angebote erstellte, Material orderte und die Montage der Türen selbst übernahm. Er liebte es, mit seinen Händen zu arbeiten und den Geruch des Holzes in der Nase zu haben. Es erfüllte ihn immer wieder mit großer Befriedigung, wenn sie ein Haus mit Fenstern und Türen ausgestattet hatten.

Der Weg führte am Wattenmeer entlang und jetzt mischten sich die Laute der Vögel in die Stille, die den Meeresboden nach Nahrung absuchten. Jan liebte den Geruch, der ihn erreichte, nach Salz, Fisch, ja auch die etwas modrige Note liebte er. Diese Mischung machte doch den Eindruck Watt erst komplett. Lichter auf dem Wasser markierten die Untiefen. Eigentlich, so fiel ihm gerade auf, war es gar nicht völlig dunkel. Die Lichter der Ortschaften strahlten in den Himmel. Auf der anderen Inselseite, mit den Dünen im Rücken und dem offenen Meer vor sich, war es deutlich dunkler, aber heute würde er auf der Wattseite der Insel bleiben. Der Leuchtturm von List, der ja eigentlich auf dem Ellenbogen stand, wies ihm die Richtung, so konnte er sich nicht verlaufen. Für Neujahr und die folgenden drei Tage hatte er ein Ferienhäuschen auf Rømø gemietet und freute sich auf ein paar Tage für sich allein. Zeit für sich, für Stille und lange Spaziergänge. Die Abende würde er sich am Ofen gemütlich machen mit dem Geruch von Holzfeuer in der Nase.

Als er im Fährhafen ankam, konnte er ohne Verzögerung an Bord gehen. Trotz der Bewegung war ihm bei der steifen Brise am Ende kalt geworden. Nun steuerte er das Restaurant an und bestellte sich einen Pott Kaffee und ein Croissant. So versorgt setzte er sich ans Fenster und verfolgte von dort das Ablegen. Die Fähre fuhr in einem großen Bogen erst um den Ellenbogen, die Nordspitze der Insel herum. Jan beobachtete das Leuchtfeuer und nippte gedankenverloren an seinem Kaffee. Er hielt die Tasse mit beiden Händen umschlossen und genoss die Wärme des Porzellans. Nur zögernd kehrte die Wärme in seinen Leib zurück, während sich das Schiff langsam dem Hafen von Havneby näherte. Dort hatte er seinen Wagen abgestellt. Noch knapp eine Viertelstunde, dann könnte er sich in der Hütte nahe Lakolk ins Bett legen und ausschlafen.

Frohes neues Jahr

Schon auf dem Parkplatz traf Marie auf Nele, die sie mit einer liebevollen Umarmung begrüßte.

»Frohes neues Jahr!« Kritisch musterte Nele die Freundin. »Wie war es allein in Husum?«

»Wohltuend ruhig«, eingehakt gingen sie zum Eingang des Gemeindezentrums. »Ich bin viel spazieren gegangen, habe dem Meer zugehört und es einfach genossen, dass mich niemand auf irgendetwas angesprochen hat. Danke für dein verrücktes Geschenk! Den Roman habe ich natürlich schon durch und für den Gutschein finde ich sicher den richtigen Anlass.«

Auch Nele bedankte sich für ihr Geschenk. »Nach St.-Peter-Ording kommst du aber mit, oder? Was soll ich denn allein in der Therme?«

»Na dich entspannen, aber ich begleite dich gern, wenn du auch mit Boxen kommst.«

»Gebongt.«

Drinnen begrüßten sie andere Mitglieder des Chores. »Frohes Neues!«, erklang aus vielen Richtungen und gemeinsam mit Nele steuerte Marie die mittlere Stuhlreihe im Sopran an.

»Ich begrüße euch im neuen Jahr ganz herzlich und wünsche euch alles Gute. Wie ihr wisst, bleiben uns noch sechs Wochen bis zum Konzert. Der Probentag in zwei Wochen steht hoffentlich in jedem Terminkalender als wichtiger Termin?« Prüfend ließ der Chorleiter seinen Blick über die versammelten Menschen gleiten. »Steht bitte auf, damit wir uns einsingen können.«

Unter lautem Geraschel und Stühlerücken erhoben sich die Sänger, während der Dirigent schon am Klavier einen Dreiklang spielte und so den Ton angab. Auf sein Zeichen sangen alle gemeinsam eine Tonleiter aus fünf Tönen. Halbton für Halbton wurde der Anfangston erhöht, bis schließlich nur noch Sopranistinnen und Tenöre mitsangen.

»Jetzt noch einmal gemeinsam seufzen«, beendete Hannes Müller das Einsingen schließlich, und alle nahmen wieder Platz. »Nehmt bitte die Noten des norwegischen Gospels heraus!«

Marie setze sich aufrecht hin. Sie hatte das Stück während der letzten Wochen zu Hause und auch im Gesangsunterricht, den sie sich seit einiger Zeit gönnte, vorbereitet. Zunächst sangen sie den Refrain, der Hannes noch nicht gefiel. Alle Stimmen wurden anschließend einmal einzeln bearbeitet, bevor es zu einem zweiten Durchgang kam. Kaum dass der letzte Ton verklungen war, wurde die Tür zum Gemeindesaal geöffnet.

»Immer herein, du kommst genau passend!« Überschwänglich begrüßte Hannes den Mann, der sich zum Chor umdrehte. »Ich möchte euch Jan Petersen vorstellen. Er wird unser Konzert als Solist mitgestalten.« Er wies auf einen freien Platz in der ersten Reihe. »Setz dich doch dort, dann machen wir einen Gesamtdurchgang. Eingesungen bist du?«

Petersen nickte, zog seine Caban-Jacke aus und hängte sie über die Stuhllehne. Er nahm eine Notenmappe aus seinem Rucksack und signalisierte dem Chorleiter, dass er bereit sei. Der saß inzwischen am Klavier und begann mit dem Vorspiel. Mit dem Kopf gab er den Einsatz. Der Chor schmetterte den Refrain, aber Marie war nicht recht bei der Sache. Unkonzentriert sang sie halblaut mit und wartete auf das Zwischenspiel. Da kam der Takt, in dem das Solo einsetzte … Hätte einsetzen sollen. Sie hatte passend eingeatmet und ließ nun die Luft langsam wieder entweichen. Sie hatte keinen Einsatz bekommen, Hannes brach ab und schaute zu Petersen, der sich entschuldigte.

»Dann singen wir noch einmal die letzten beiden Zeilen des Refrains.« Hannes gab den Einsatz und setzte dann mit dem Klavierspiel wieder ein. Das Zwischenspiel folgte und dieses Mal sang Petersen weiter. Obwohl Marie die Stimme kannte, fehlte ihr doch dieses Mal der Zauber, der sie zu Weihnachten in der Husumer Marienkirche so beeindruckt hatte. Stattdessen spürte sie ihre Wangen brennen und hatte das Gefühl, nur schwer atmen zu können. Mühsam unterdrückte sie die Tränen. Dieser Solist sang ihr Solo. Nach der ersten Strophe setzte der Chor wieder ein, dann folgte die zweite und Marie merkte, wie beeindruckt die anderen Sänger lauschten. Im letzten Refrain mischten sich Einwürfe des Solisten in den Chorklang, aber statt einer Gänsehaut bekam sie Magenschmerzen. Applaus brandete auf, als der letzte Ton verklungen war.

»Wow ist der gut!« Nele neben ihr war total begeistert. So sehr, dass sie zum Glück nicht bemerkte, wie es Marie zumute war.

»Ich muss mal raus«, murmelte sie und schlich mit gesenktem Kopf aus dem Raum zur Toilette. Selbst hier konnte sie hören, wie Chor und Solist das Stück wiederholten. Wütend starrte sie auf ihr Spiegelbild über dem Waschbecken. Hatte sie dafür stundenlang geübt, die teuren Gesangsstunden investiert? Nein, musste sie zugeben, den Gesangsunterricht hatte sie sich selbst spendiert, zwar hatten sie intensiv am Ausdruck des Solos gearbeitet, das gerade wieder aus dem Probenraum erklang, aber das war nicht Anlass oder Grund für die Stunden gewesen. Sie atmete konzentriert und tief ein und stieß die Luft zischend aus.

Sie musste mit Hannes reden. Aber das würde erst nach der Probe gehen. Seufzend kontrollierte sie ein letztes Mal ihr Spiegelbild und streckte sich dann die Zunge raus. Hannes würde was zu hören bekommen.

»Geht’s dir nicht gut?« Nele beugte sich zu Marie, während sich diese wieder hinsetzte.

Marie schüttelte nur den Kopf, um anzudeuten, dass sie jetzt nicht reden wollte. Zwar runzelte Nele die Stirn, gab sich jedoch zufrieden.

Die Probe zog sich heute endlos hin. Marie war unkonzentriert und patzte, was sie besonders ärgerte. Vor allem als Petersen sich deswegen umdrehte und sie zu erkennen schien. Marie schaute stur geradeaus und tat so, als habe sie nichts bemerkt.

Endlich beendete Hannes die Probe.

Während sie ihre Noten einpackte, verfolgte sie aus dem Augenwinkel, wie Hannes Petersen dankte und ihn verabschiedete. Kaum war dieser aus dem Raum, drängte sie nach vorn. »Hannes, kann ich dich kurz sprechen?«

»Was gibt es denn?«

»Ich dachte, ich sollte das Solo singen.« Marie wunderte sich über den ruhigen Ton, der so gar nicht zu ihrem aufgewühlten Inneren passen wollte.

»Was?«, Hannes hob den Kopf und schaute sie verständnislos an.

Marie schluckte. »Ich dachte, ich solle das Solo singen, bei unserem Gospel.«

»Das ist ein Männersolo. Du bist die Notbesetzung, wenn wir das Lied hier im Gottesdienst singen, aber nicht beim Konzert.«

Marie kniff die Augen zusammen. Fieberhaft suchte sie nach den richtigen Worten. Sie wollte nicht hysterisch wirken. Sie würde Hannes klar ihre Meinung sagen und nicht vor allen eine Szene machen, auch wenn ihr gerade eher danach war. »Du hast mir nie gesagt, dass ich die Zweitbesetzung bin.«

»Das war doch klar.« Er wandte sich ab, um seine Noten einzupacken.

»Kommt ihr?« Nach der Chorprobe tranken sie meist in der benachbarten Kneipe noch ein Bier zusammen.

»Ja, wir kommen!« Ohne Marie weiter zu beachten, nahm er seine Tasche und ging zur Tür.

Sprachlos so abgefertigt zu werden, schaute Marie ihrem Chorleiter nach.

»Was ist mit dir?« Nele schaute zur Tür herein.

»Heute komme ich nicht mit.« Marie ging zwar langsam zur Tür, aber der Gedanke, jetzt mit den anderen zusammenzusitzen, ließ ihren Magen revoltieren.

»Was hast du?«

Wieder wehrte Marie die Frage ihrer Freundin mit einem Kopfschütteln ab. »Geh du ruhig mit, ich muss heim.«

Nach einer kurzen Umarmung lief Marie zum Auto.

Als sie zu Hause ihr Handy aufladen wollte, fand sie eine Nachricht von Nele.

Was war los? Du warst heute überhaupt nicht bei der Sache. Gibt es wieder Stress mit deinem Bruder?

Seufzend textete Marie zurück:

Nein, mir ist heute einfach nicht nach Gesellschaft. Ich melde mich die Tage. Hab einen schönen Abend.

Kurz darauf klingelte das Telefon. Nach einem Blick auf das Display seufzte Marie und nahm das Gespräch an. »Ja?«

»Was ist los? Was hat Hannes dir gesagt?« Neles Stimme war neben den Kneipengeräuschen nur schwer zu verstehen.

»Wie kommst du darauf?«

»Warte mal, ich muss mal raus hier.« Nach einer kurzen Pause sprach sie weiter, nun besser zu verstehen: »Du hast doch nach der Probe mit ihm gesprochen. Worum ging es?«

»Kannst du dir das nicht denken? Ich habe ihn gefragt, was denn nun mit meinem Solo ist.«

»Stimmt …« Nele klang nun schuldbewusst. »Ich war so begeistert von Jan, dass ich gar nicht mehr an dich gedacht habe. Du solltest die Strophen eigentlich singen, oder?«

»Das dachte ich auch, aber Hannes hat klargestellt, dass es ein Männersolo sei und ich sei von Anfang an nur die Zweit- nein, er sagte Notbesetzung gewesen.«

»Autsch. Das klang aber vor sechs Wochen noch ganz anders.«

»Und deswegen bin echt sauer auf ihn.«

»Kann ich mir vorstellen. Dann verstehe ich, dass du nicht mitkommen wolltest. Hannes und Jan direkt vor der Nase, das wäre wohl nicht besonders entspannend. – Fühl dich gedrückt!«

Marie verabschiedete sich und registrierte erleichtert, dass es ihr nach dem Telefonat mit Nele zumindest etwas besser ging.

Alltag

»Marie, hast du die Briefe fertig?«

Wortlos legte Marie ihrem Bruder die Mappe hin.

Er schlug sie auf, überflog den Ersten und unterschrieb, während Marie überlegte, ob sie einfach gehen sollte. Sie entschied sich dagegen.

»Es war schön in Husum.«

»Schön für dich.«

Die Kränkung über die Beiläufigkeit seines Kommentars schluckte sie hinunter.

»Wie war es bei euch?«

»Wie soll es gewesen sein?« Kurz hob er den Kopf und schaute sie verständnislos an. »Es waren die üblichen Feiertage. Gutes Essen, Familie, Langeweile …«, er beugte sich wieder über die Briefmappe.

Kopfschüttelnd verließ Marie das Büro ihres Bruders. Eng war ihre Beziehung noch nie gewesen und ein Weihnachtsmuffel war er ohnehin. Seine Kinder taten ihr leid, wenn Langeweile das Einzige war, was nach den Feiertagen übrig blieb. Noch vor wenigen Wochen hatte sie gehofft, es könne sich etwas zwischen ihnen ändern. Nach dem Tod der Mutter war die Beziehung zum Vater anders geworden, nicht direkt innig, aber doch persönlicher, weniger distanziert. Vor drei Monaten war nun ihr Vater gestorben. Sein Testament regelte alles, Streit hatte es daher nicht gegeben. Näher war sie ihrem Bruder oder dessen Familie dadurch aber nicht gekommen.

Mit einem Schulterzucken setzte sie sich wieder an ihren Schreibtisch. Der Blick auf die Uhr zeigte allerdings zwölf Uhr und daher nahm sie sich ihren mitgebrachten Joghurt aus der Tasche. Sie loggte sich aus dem firmeninternen Netzwerk aus und in ihren privaten Mailaccount ein und überflog ihre Post. Erstaunt fand sie eine Mail von Hannes.

Liebe Marie,

las sie,

für das Konzert möchte ich den Musicalteil noch etwas erweitern. Könntest Du Dir vorstellen, ein Duett mit Jan zu singen? Die Noten habe ich Dir angehängt. Bitte gib mir bis zum Wochenende Bescheid, ob Du möchtest.

Bis dahin,

Hannes.

Marie öffnete den Anhang. Es waren Noten aus West Side Story, Tonight. Sie überflog die Partitur und klickte auf Drucken.

»Schon wieder private Kopien?«

Sie zuckte zusammen. Ihr Bruder hatte es schon wieder geschafft. Es bereitete ihm diebische Freude, sie zu erschrecken. Sie atmete geräuschvoll aus.

»Dafür habe ich ein Paket Papier mitgebracht, wie du weißt.«

»Es geht nicht nur um das Papier, der Toner, die Abnutzung … «

»Du tust ja gerade so, als würde ich jeden Tag Unmengen privater Ausdrucke machen. Dabei waren es höchstens hundert im vergangenen Jahr und dafür habe ich 500 Blatt Papier gestiftet.«

»Es geht mir um das Beispiel. Wenn du dir solche Sonderrechte herausnimmst, gibt es Nachahmer.«

Meinte er das tatsächlich ernst? Prüfend schaute sie in Eikes braune Augen. Die Farbe war dieselbe wie bei ihr selbst, der Ausdruck darin aber stets ein anderer. Sie schüttelte den Kopf und nahm die Noten aus dem Drucker.

»Auch, dass du hier deine privaten Mails abrufst, gefällt mir nicht.«

»Eike, auch das hatten wir schon hundertmal. Ich habe Pause. Ich kann gern auswärts essen, aber dann mache ich länger als eine halbe Stunde. Allerdings muss in dem Fall jemand anderes den Telefondienst übernehmen, was du nicht willst, wenn ich dich daran erinnern darf.« Zigmal hatten sie darüber diskutiert und immer wieder war die Vereinbarung bestätigt worden, dass sie nur kurz Pause machte an ihrem Schreibtisch und dass sie gleichzeitig eingehende Anrufe annahm.

Genervt knallte er ihr die Unterschriftsmappe auf den Tisch, sodass sie nach ihrem Joghurt griff, bevor dieser umfallen konnte.

»Ich bin heute Nachmittag außer Haus, aber du kannst mich auf dem Handy erreichen.« Ohne weitere Erklärung drehte er sich um und verließ ihr Büro.

Marie seufzte. Mit ihrem Vater war es auch nicht immer einfach gewesen, aber da war immer klar gewesen, dass er der Chef war, der Vater, die Autorität. Jetzt gehörte die Firma Eike und wenn sie ehrlich war, hinterließ diese Regelung mehr als nur einen feinen Stachel der Eifersucht. Sie hatten die gleiche Ausbildung absolviert, die kaufmännische Lehre, hatten ähnlich viel Erfahrungen im Betrieb gesammelt. Zugegeben, sie hatte schnell die buchhalterischen Tätigkeiten übernommen, während Eike auch immer wieder in der Produktion zu finden gewesen war. Er kannte tatsächlich alle Arbeitsbereiche. Schon von Anfang an war er auf die Nachfolge des Vaters vorbereitet worden.

Energisch schob sie den Gedanken beiseite und löffelte ihren Joghurt aus. Zum Abschluss der Pause schaute sie noch auf ihr Smartphone. Neben einigen Smileys fand sie den Kommentar von Nele, sie hätte Hannes gründlich die Meinung gegeigt.

Daher wehte also der Wind. Die Freude über Hannes Angebot, das Duett mit Jan zu singen, bekam einen schalen Beigeschmack. Entschlossen machte Marie sich wieder an die Arbeit.

Probe

»Marie! Jan kommt zum zweiten Teil der Probe, dann möchte ich mit euch das Duett proben. Du hast das Stück doch drauf?«

Marie nickte, auch wenn ihr schlagartig heiß wurde. Das klang nach einer Probe vor Publikum mit einem hervorragenden Sänger als Gegner, nein Partner korrigierte sich sie rasch und schüttelte den Kopf über ihren Gedankengang. Trotz eines tiefen Atemzugs blieb die Nervosität.

Nele gesellte sich zu ihr. »Na, was hat er dir angeboten, um seinen Fauxpas wieder geradezurücken?«

»Er hat mir die Noten zu Tonight geschickt. Nach der Kaffeepause kommt Jan und dann sollen wir das Stück proben.«

»Hast du’s drauf?«

Unsicher hob Marie die Schultern und verzog das Gesicht. »Beim Gospel fühlte ich mich sicherer. Da hatte ich mehr Zeit, mir die Musik selbst zu erarbeiten und auch mehr Gesangsstunden. Ich weiß nicht. Es ist ein vollkommen anderes Stück«, und es wäre sicher hilfreich, den Partner bei einem Liebesduett zumindest zu mögen, fügte sie in Gedanken hinzu.

»Du schaffst das!« Nele drückte die verdutzte Freundin an sich. »Ich vertraue auf deine Stimme. Du wirst sehen, Hannes und Jan werden begeistert sein.«

»Dein Wort in Gottes Ohr.«

Zunächst standen aber andere Stücke auf dem Programm. Abläufe, einzelne Stimmen und immer wieder die Dynamik der reinen Chorstücke wurden geprobt, sodass Marie jeden Gedanken an Jan oder das Duett vergaß. Mit Nele schwatzend ging sie in die Küche neben dem Probenraum. Bei Kaffee und Kuchen erzählten sie sich gegenseitig von ihrer letzten Woche und plauderten auch mit den anderen Sängern.

Als Hannes zur Fortsetzung der Probe drängte, erfasste sie erneut Nervosität. Bisher hatte sie Petersen noch nicht gesehen.

Als sie in den Probenraum zurückkam, saß dieser bereits in der ersten Reihe und blätterte in seinen Noten. Kurz überlegte sie, ob sie ihn begrüßen sollte, setzte sich dann aber an ihren Platz in der mittleren Reihe.

»Zur Verdauung des köstlichen Kuchens könnt ihr euch erst einmal zurücklehnen. Wir beginnen zur Einstimmung mit den Soloparts aus der West Side Story.«

Marie schluckte. Jetzt wurde es ernst, aber Hannes bat zunächst nur Petersen nach vorn.

»Ich habe mir überlegt, dass wir die Chorstücke noch um ein paar Lieder erweitern. Genießt einfach.« Mit einem Zwinkern wandte er sich dem Klavier zu und begann zu spielen.

»The most beautiful sound, I ever heard …«, hob Petersen an.

»Moment«, wurde er von Hannes unterbrochen. »Ihr kennt das Stück ja sicher. Männerstimmen, könntet ihr euch darauf einstellen, die Stimmen aus dem Off zu sein? Wer genau wann dran sein wird, legen wir noch fest. Wer mag, singt einfach jetzt schon mal rein.« Dann wiederholte er das Vorspiel. Nach der ersten Zeile des Solisten brachten sich die Chorkollegen vorsichtig ein und echoten: »Maria, Maria, Maria …«

Nele warf ihrer Freundin ein verschmitztes Grinsen zu. »Na, Maria? Wie gefällt dir das?«

Marie stieß Nele den Ellbogen in die Seite, ärgerlich, dass die Situation sie so aufwühlte. »Ich heiße nicht Maria«, raunte sie zurück.

»Maria, I just met a girl named Maria and suddenly that name will never be the same to me …«

Petersens Stimme passte fantastisch zu diesem Lied und zu ihrem Ärger merkte Marie, dass ihre Wangen heiß wurden. Bestimmt war sie rot wie eine Tomate.

Als das letzte »Maria« verklang, applaudierte der Chor und Marie wurde es immer heißer. Jetzt müsste Hannes … richtig. Er drehte sich zu ihr um und gab ihr das Zeichen, ebenfalls nach vorn zu kommen.

Während die anderen gespannt schauten, gab der Chorleiter Regieanweisungen. »Ich habe mir überlegt, dass ihr die Szene mit sparsamen Gesten gleichzeitig spielt. Stellt euch zueinander gewandt auf, vielleicht nehmt ihr euch bei den Händen?«

Marie schloss die Augen, um nicht die Fassung zu verlieren. Damit hatte sie nicht gerechnet. Aber was sollte sie jetzt noch dagegen tun? Sich wieder setzen, alles abbrechen? Nein, sie würde es Hannes und diesem Solisten zeigen. Entschlossen trat sie vor Petersen und grinste ihn an. Als er ihr seine Hände anbot, griff sie zu, kämpfte aber gleichzeitig mit dem Knoten in ihrem Magen. So verpasste sie ihren Einsatz.

»’Tschuldigung!«, rief sie Hannes zu und verfluchte ihre brennenden Wangen.

»See only me«, raunte Petersen ihr ein Zitat aus dem Musical zu und zwinkerte grinsend. Gleichzeitig drückte er ihre Hände, was die Spannung aus der Situation nahm.

Hannes spielte wieder das Vorspiel und Marie sang. Mit jedem Ton wurde sie sicherer und nach wenigen Zeilen verschwamm alles um sie herum. Der Klang des Klaviers leitete sie und vor sich waren tatsächlich nur noch strahlend blaue Augen. Beim gemeinsamen Gesang verschmolzen ihre Stimmen zu einem harmonischen Gesamtklang. Nach dem letzten Ton nickte Petersen ihr anerkennend zu. Einen kurzen Moment war es absolut still im Raum, dann applaudierten die anderen begeistert.

»Das möchte ich nie wieder anders von euch hören«, mischte sich Hannes Stimme in den Applaus.

Marie fühlte, wie ihre Hände gedrückt wurden, nickte ihrem Gegenüber flüchtig zu und ging zurück zu ihrem Platz. Erst hier merkte sie, dass ihr schwindelig war. Froh, dass ihre Knie erst jetzt weich wurden, bemerkte sie aus dem Augenwinkel, dass Nele sie erstaunt anstarrte.

»Läuft da was zwischen euch? Habe ich irgendwas nicht mitbekommen?«

»Wie bitte?«, flüsterte Marie zurück. »Wie kommst du denn darauf?«

»Na, wie ihr euch angesehen habt! Wann habt ihr das einstudiert oder seid ihr ernsthaft ineinander verknallt?«

Marie fühlte sich überfordert, die Fragen ihrer Freundin zu beantworten, zumal Hannes bereits das nächste Stück angesagt hatte. Sie war viel zu beschäftigt damit, ihre eigenen Emotionen wieder unter Kontrolle zu bringen. Was war gerade passiert? Hatte der Typ sie angemacht? Lag es wirklich nur an diesem Lied? Es hatte sich jedenfalls verdammt gut angefühlt.

Nur mit Mühe konnte sie sich auf die nächsten Stücke konzentrieren. Gegen Ende der Probe hatte sie sich wieder unter Kontrolle.

Trotzdem war sie erleichtert, als Petersen sich verabschiedete. Er müsse morgen früh raus und wollte daher nicht mit in die Stammkneipe gehen, um die Probe gemeinsam ausklingen zu lassen.

Nele stellte zwei Bier auf dem kleinen Tisch ab, an dem Marie sich niedergelassen hatte, und setzte sich ihr gegenüber. »Jetzt erzähl mal: Was läuft da wirklich zwischen dir und Jan?«

»Gar nichts.« Marie prostete ihrer Freundin zu und trank durstig.

»Das sah aber nicht nach gar nichts aus«, bemerkte diese und musterte sie, bevor auch sie einen Schluck nahm. »Wie ihr euch angeschaut habt, die gemeinsame Musik …« Nele rieb sich über ihren Unterarm, auf dem Marie eine Gänsehaut entdeckte.

Wenn sie an den Moment zurückdachte, wurde ihr selbst wieder heiß. Die Aufregung war wieder da, als stünde sie unmittelbar vor ihrem Einsatz.

»Gar nichts«, höhnte Nele. »Du glühst ja allein beim Gedanken an den Nachmittag noch immer.«

»Es war ziemlich aufregend«, räumte Marie ein. »Du weißt, dass ich das andere Solo schon lange im Gesangsunterricht vorbereite. Die Noten für das Duett hingegen kamen ja erst vor ein paar Tagen.«

»Du willst mir ernsthaft erzählen, dass du nichts für Jan empfindest?«

»Ich bin sauer, weil er mir das Solo weggenommen hat. Das empfinde ich für ihn.«

»Irrtum.« Nele wackelte mit ihrem Zeigefinger vor Maries Gesicht. »Nicht Jan hat dir das Solo geklaut, sondern Hannes. Auf ihn solltest du also böse sein. Jan kann nichts dafür und wenn ich mich recht erinnere, stehst du doch auf den Typ Wikinger. Breite Schultern, blonde Haare, blaue Augen und ein Vollbart, das ist doch genau dein Beuteschema!«

Ja, so hatte sich die erste Begegnung zwischen ihnen angefühlt. Zu Weihnachten in Husum war ihr genau der Typ Wikinger erschienen, den Nele da gerade beschrieb. Als Sahnehäubchen noch mit einer Stimme zum Dahinschmelzen gesegnet. Marie seufzte.

»Oh, dieses Geräusch kenne ich«, neckte Nele.

»Weil du wieder mal recht hast?« Marie stellte ihr Bierglas ab, das sie geleert hatte. »Willst du auch noch eins?« Sie wartete Neles Nicken ab und ging dann zum Tresen, um für Nachschub zu sorgen und einen Moment ungestört nachdenken zu können.

Mona, eine Sängerin aus dem Alt, sprach sie an. »Marie, das Duett war wunderschön! Ich hatte richtig Gänsehaut beim Zuhören.«

»Danke«, Marie war es immer etwas peinlich, wenn sie für ihren Gesang gelobt wurde.

»Wie oft habt ihr das vorher gemeinsam geprobt? Es klang wundervoll.«

»Wir haben heute zum ersten Mal miteinander gesungen«, versuchte Marie, Monas Begeisterung zu bremsen.

»Dann solltet ihr öfter zusammen singen«, empfahl diese.

Marie bekam zwei Gläser auf den Tresen gestellt und reichte ihren Deckel hinüber, um die zwei Pils notieren zu lassen.

Wieder bei Nele am Tisch, fragte diese: »Und, hast du eingesehen, dass ich recht habe?«

»Was, wenn ja?«

Nele verdrehte die Augen. »Mein Gott, du bist doch sonst nicht so zurückhaltend. Schnapp dir das Sahneschnittchen. Beeindruckt hast du ihn ja schon, da rennst du offene Türen ein, würde ich schätzen.«

»Meinst du?« Marie war nicht sicher, ob sie Eindruck bei Jan gemacht hatte. Sein anerkennendes Nicken erschien vor ihrem geistigen Auge. Da hatte auch Überraschung im Blick gelegen, die sie wieder böse werden ließ. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein? Nein, er brauchte sich nichts einzubilden. Nele hatte Recht, er sah fantastisch aus und seine Hände konnten zupacken. Marie hatte die Schwielen auf seiner Haut gespürt. Auch bestätigten die Muskeln, die sich unter seinem Shirt abgezeichnet hatten, Jans körperliche Fitness.

»Eike«, sprach Marie am Montagmorgen ihren Bruder an, »gibst du mir bitte Mutters Perlenkette aus dem Safe? Wir haben am Sonntag Konzert und ich würde sie gern tragen. Außerdem würde ich mich freuen, Sophia und dich als Zuhörer begrüßen zu können.«

»Am Sonntag sind wir auf Sylt. Das Wochenende ist schon lange geplant, Sophies Eltern kümmern sich um die Kinder.«

»Schade. Dann wünsche ich euch ein erholsames Wochenende! Ans Meer werde ich auch bald wieder fahren.«

»Du hast ja auch ein Appartement in Husum.«

»Das ihr gern haben könnt, wenn ihr wollt. Ich habe euch mehrfach angeboten, ein Wochenende dort zu verbringen.«

»Da können wir ja auch gleich daheim bleiben. Nein, danke. Außerdem sind wir nicht zum Vergnügen auf Sylt. Ich besuche die Partys, um neue Kontakte zu knüpfen und an lukrative Aufträge zu kommen. Ich arbeite also am Wochenende.«

»Natürlich«, antwortete Marie sarkastisch. Bisher hatten sie noch keine Aufträge auf Sylt ergattert, obwohl sie schon einige Kostenvoranschläge für protzige Villen dort erstellt hatten. »Was ist nun mit meinem Schmuck?«

»Dein Schmuck? Ich weiß nichts von deinem Schmuck.«

Marie schloss die Augen und zählte langsam bis fünf. »Bruder, unsere Mutter hat mir vor ihrem Tod ihren Schmuck geschenkt. Du warst dabei.«

»Von welchem Schmuck redest du?«

»Von den Sachen, die zu Mamas Lebzeiten immer im Safe der Firma gelegen haben. Da ich selten Schmuck trage, habe ich ihn dort gelassen und bitte dich nun, mir die Perlenkette zu geben. Sie liegt im Safe.«

»Im Safe liegt kein Schmuck.«

»Willst du mich veräppeln? Ich weiß, dass sie den Schmuck immer dort hatte. Nach ihrem Tod hat Vater mir die Sachen gezeigt und wieder eingeschlossen.«

»Du behauptest also, dass du etwas besitzt, was hier in der Firma sein soll?«

Noch einmal atmete Marie tief durch … vier, fünf. »Stell dich nicht dümmer, als du bist. Du weißt genau, wovon ich spreche.«

»Ich weiß nur, dass ich die Firma geerbt habe. Alles, was du hier siehst, gehört mir. Und jetzt muss ich arbeiten, genau wie du übrigens. Ich zahle dein Gehalt ja nicht, damit du mich von der Arbeit abhältst.«

Marie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, blickte aber auf den Rücken ihres Bruders, der sie schlicht stehen ließ. Sie spürte, dass sie einen Riesenstreit mit ihm bekäme, wenn sie das Thema weiterverfolgen würde, und wägte ab, ob sie sich in der Verfassung dazu fühlte. Nein. Sie würde es in den kommenden Tagen erneut ansprechen.