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Mit Vollgas ins Glück Rüde Duke versteht die Welt nicht mehr. Sein Herrchen hat ihn einfach nicht wieder abgeholt aus der Hundepension. Jetzt soll er mit zwei fremden Menschen spazieren gehen, zwischen denen eine komische Spannung herrscht. Das macht ihm Angst – wie so vieles andere auch. Doch je besser Duke Henning und Caroline kennenlernt, desto spannender findet er, was da zwischen ihnen brodelt, und er wünscht sich mit jedem Spaziergang mehr, dass sie drei ein unzertrennliches Team werden.
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Seitenzahl: 455
Zum Buch:
Henning Magnusson – schon als Jugendliche hat sein machohaftes Verhalten sie regelmäßig auf die Palme gebracht. Nie und nimmer hätte sie sich in jemanden wie ihn verliebt. Im Übrigen hätte ein Mauerblümchen, wie sie es damals war, ganz sicher nicht in sein Beuteschema gepasst, schließlich wechselt der berühmte Formel-1-Rennfahrer die vollbusigen Anhängsel an seiner Seite wie Socken. Seit einem Jahr ist er jetzt zurück in ihrer Heimat Lichterhaven und läuft ihr ständig über den Weg. Als er dann auch noch ebenfalls in der Lichterhavener Hundeschule auftaucht und genau wie sie Interesse an dem schüchternen Rottweiler Duke zeigt, ist Caroline doch gezwungen, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Ohne es zu wollen, muss sie feststellen, dass vielleicht nicht immer alles so ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Doch es fällt ihr schwer, ihre Vorurteile über Bord zu werfen und einmal einfach nur zu vertrauen.
Zur Autorin:
Seit Petra Schier 2003 ihr Fernstudium in Geschichte und Literatur abschloss, arbeitet sie als freie Autorin. Neben ihren zauberhaften Liebesromanen mit Hund schreibt sie auch historische Romane. Sie lebt heute mit ihrem Mann und einem Deutschen Schäferhund in einem kleinen Ort in der Eifel.
Lieferbare Titel:
Körbchen mit Meerblick Vier Pfoten am Strand Strandkörbchen und Wellenfunkeln
Originalausgabe © 2021 by HarperCollins in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
Covergestaltung von Zero Werbeagentur, München Coverabbildung von Matthew Bechelli, cynoclub, S Photo, slonme, Tina Terras & Michael Walter / Shutterstock E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN E-Book 9783749903856
www.harpercollins.de
Für Tanja und ihren Djuke, die lebende Inspiration für meinen Duke.
»Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?« Entgeistert starrte Caroline Maierbach ihre beste Freundin Ella Jensen an, mit der sie zusammen am Tisch in dem kleinen Konferenzraum im Geschäftshaus der Foodsisters saß.
Auch Hannah Pettersson, die Dritte im Bunde des erfolgreichen Kleeblatts, sah Ella perplex an. »Die Hanke wirft uns raus?«
»Nicht die Hanke«, korrigierte Ella in einer Mischung aus Wut und Verzweiflung. »Verhoigen. Er hat ihr praktisch sofort, nachdem sie die Insolvenz ihres Unternehmens beantragt hat, angeboten, alle drei Geschäftshäuser hier in der Goldschmiedgasse aufzukaufen. Er scheint seine Spitzel überall zu haben, dass er so schnell davon erfahren hat, und wie es aussieht, konnte sie sein großzügiges Angebot nicht ausschlagen.« Ella wedelte ein wenig mit dem Schreiben, das die Vermieterin ihnen geschickt hatte. »Angeblich hat er bereits Pläne mit den drei Gebäuden, die ja praktischerweise alle nebeneinanderliegen.«
Hannah seufzte. »Die gehörten ja auch früher alle mal zusammen. Was machen wir denn jetzt?«
»Frag mich was Leichteres.« Ella rieb sich mit der flachen Hand über die Stirn. »Frau Hanke hätte uns den Mietvertrag doch niemals gekündigt. Schon gar nicht, nachdem wir so viel in das Haus, den Kühlraum und den Carport investiert haben. Sie schreibt, dass es ihr unendlich leidtut. Verhoigen wird uns ganz sicher die Verlängerung des Mietvertrags absagen, sobald der Verkauf unter Dach und Fach ist, was vermutlich schon im Lauf dieser Woche geschehen wird. Das würde bedeuten, dass wir spätestens Ende September hier raus sein müssen.«
Caroline ließ sich gegen die Lehne ihres Stuhls sinken. »Verdammter Schiet. Wie sollen wir denn in drei Monaten neue Geschäftsräume finden, einrichten und nebenher auch noch unser Tagesgeschäft weiterführen?«
»Ganz zu schweigen von unseren Investitionen hier«, fügte Ella bedrückt hinzu und zerrte und zupfte ein wenig an ihrem langen schwarzen Haar herum. »So gut unser Geschäft auch laufen mag, diese Sache könnte uns den Todesstoß versetzen.«
»Einfach so.« Wütend presste Caroline die Lippen zusammen. »Das kann doch wohl nicht wahr sein! Wir müssen uns einen Anwalt nehmen.«
Ella nickte, schüttelte aber fast zeitgleich den Kopf. »Das können wir zwar versuchen. Aber ich habe keine große Hoffnung, dass wir da etwas ausrichten werden. Der Mietvertrag ist nun mal so gestaltet, dass die Verlängerung spätestens zwei Monate vor Ablauf von einer der beiden Seiten versagt werden muss. Wenn Verhoigen die Frist verstreichen lässt, hätten wir weitere drei Jahre hier sicher, aber ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass er eine solche Frist verstreichen lässt. Nicht wenn er schon längst andere Pläne für das Haus hat. Da kommt diese Woche garantiert etwas Schriftliches von ihm, und dann haben wir das Nachsehen.« Sie schluckte gegen das deutlich vernehmbare Zittern ihrer Stimme an. »Wir haben doch den Gewerbemietvertrag damals extra auf Herz und Nieren prüfen lassen, damit es keine Schlupflöcher gibt.«
»Ja, weil wir nicht ahnen konnten, dass Frau Hanke jemals insolvent gehen würde«, fügte Hannah mit Grabesstimme hinzu. »Das ist ja auch bloß passiert, weil sie jetzt mehrfach größere Schäden an ihren Gebäuden hatte und Verhoigen sie mit seiner besch…« Sie atmete kurz ein und wieder aus. »Mit seiner sogenannten Expansionspolitik derart unter Druck gesetzt hat, dass sie Mieter verloren hat.«
»Bestimmt kauft er auch noch andere ihrer Gebäude.« Caroline bemühte sich standhaft, ganz ruhig zu bleiben. Ella war kurz davor, auszuflippen, das sah man ihr an, und Hannah würde vermutlich gleich in Tränen ausbrechen. Da würde es kaum helfen, wenn sie selbst auch noch den Kopf verlor. »Wenn er so weitermacht, hat er am Ende ganz Lichterhaven aufgekauft.«
»Mal nicht den Teufel an die Wand!« Erbost schüttelte Ella den Kopf. »Irgendjemand muss ihn doch stoppen können.«
»Wir ganz offensichtlich nicht.« Caroline richtete sich wieder auf. »Ich denke, wir sollten uns also auf das Schlimmste gefasst machen und uns überlegen, wie wir jetzt vorgehen.«
»Wie sollen wir denn vorgehen?« Hannah war blass geworden, was den Kontrast zu ihrem zu einem schicken kurzen Bob geschnittenen, leuchtend roten Haar noch verstärkte. Tatsächlich rollte ihr eine erste Träne über die Wange. »Selbst wenn wir auf die Schnelle neue Geschäftsräume fänden, können wir es uns doch gar nicht leisten, noch mal komplett von vorne anzufangen. Oder?« Besorgt blickte sie erst Ella, dann Caroline an.
»Leicht wird es nicht.« Ella verzog die Lippen. »Wir haben ja noch Kredite für Kühlraum, Carport und unseren Lieferwagen am Laufen. Ganz zu schweigen von der EDV-Anlage.«
»Vielleicht können wir einiges davon einfach mitnehmen«, schlug Caroline vor. »Das Auto und die EDV-Technik sowieso. Aber möglicherweise kann man auch die Aggregate aus dem Kühlraum ausbauen und den Carport anderswo wieder aufbauen.«
»Und unsere wunderschöne Küche.« Hannah wischte sich mit den Fingerspitzen weitere Tränen von der Wange.
»Klar, manches lässt sich anderswo wieder einbauen«, stimmte Ella zu. »Aber das kostet auch wieder ein Heidengeld. Außerdem haben wir ja noch keine neuen Geschäftsräume. Ich wüsste jetzt auch kein Haus, das sich auf Anhieb eignen würde.«
»Ich auch nicht.« Caroline faltete die Hände auf der Tischplatte. »Aber wir sollten sofort anfangen, uns umzuhören.«
»Über die Hälfte der Gewerbeflächen in Lichterhaven gehören Verhoigen.« Ella trommelte mit den Fingern auf dem Tisch herum. »Mit ihm möchte ich lieber kein Geschäftsverhältnis eingehen.«
»Vielleicht bleibt uns keine Wahl«, gab Caroline zu bedenken, doch ihr Magen rebellierte allein bei diesem Gedanken. »Wir müssen schnell handeln, andernfalls …«
»Andernfalls können wir unsere bestehenden Aufträge nicht erfüllen«, vollendete Hannah mit einem unterdrückten Schluchzen den Satz. »Und dann sind wir am Ende auch noch pleite.«
»Ach, Schatz!« Rasch rückte Caroline dicht neben ihre Freundin und legte ihr einen Arm um die Schultern. Da Ella genau das Gleiche tat, endeten sie in einer Dreierumarmung. Caroline schluckte tapfer gegen den Drang an, ebenfalls in Tränen auszubrechen. »Wir schaffen das schon irgendwie.«
»Aber wie denn?« Hannah schniefte.
Ella stieß einen Knurrlaut aus. »Ich könnte Carl Verhoigen erwürgen!«
Caroline hatte Ellas Hand ergriffen und drückte gleichzeitig Hannahs Schulter. »Wir finden einen Weg!« Ihre Stimme schwankte ein bisschen, dennoch gab sie sich so entschlossen wie nur möglich. »Die Foodsisters geben nicht so einfach auf. Ihr wisst doch: Wenn das Leben uns Zitronen reicht …«
»… machen wir Zitronenkuchen daraus«, vollendete Hannah mit einem halben Lachen den Satz. Abrupt richtete sie sich auf. »Ach herrje!«
»Stimmt.« Caroline erhob sich. »Wir müssen uns an die Arbeit machen. Heute Nachmittag steht die große Braumeier-Geburtstagsfeier an, und ich muss noch den Biskuit für die Zitronenrollen backen.«
»Und ich muss die kalten Platten vorbereiten.« Auch Hannah erhob sich von ihrem Stuhl.
Ella nickte ihnen zu, faltete das Schreiben der Vermieterin zusammen und schob es in den Umschlag zurück. »Ich fahre gleich mal rüber zum Gemeindehaus und lege letzte Hand an die Dekoration. Gegen halb elf werden die Blumen für die Gestecke für die morgige Hochzeit geliefert. Ich weiß nicht, ob ich bis dahin schon wieder zurück sein werde.«
»Wir kümmern uns darum«, versprach Hannah und war bereits zur Tür hinaus.
Auch Ella hastete die Treppe hinab ins Erdgeschoss und verschwand den Geräuschen nach in dem großen Raum, der ihr als Refugium für die Herstellung ihrer Dekorationen und des Blumenschmucks diente. Nur Augenblicke später verließ sie das Zimmer wieder und verschwand durch die Hintertür nach draußen.
Caroline ließ sich auf die Tischkante sinken und sah sich bedrückt um. Sie hatten sich vor fünf Jahren gemeinsam als Partyservice selbstständig gemacht, und bisher war alles wunderbar gelaufen. Der Laden brummte, wie sie es immer ganz stolz nannten. Er lief mittlerweile sogar so gut, dass sie Aufträge ablehnen mussten, weil sie trotz mehrerer Aushilfen an den Rand ihrer Kapazitäten stießen. Außerdem hatten sie bereits einmal darüber nachgedacht zu expandieren. Das direkte Nachbargebäude wäre hierzu ideal gewesen. Es hatte bis vor einem halben Jahr eine Metzgerei beheimatet, die jedoch in ein anderes Ladenlokal umgezogen war, nachdem es einen größeren Wasserschaden in Erdgeschoss und Keller gegeben hatte. Wenn Frau Hanke nicht bereits finanziell so angeschlagen gewesen wäre, hätte sie ihnen das Haus nach der Renovierung ganz bestimmt ebenfalls vermietet.
Die Expansion wäre ein mutiger Schritt gewesen, aber man musste nun einmal investieren, um weiterhin erfolgreich zu sein. Vielleicht hätten sie sich mittelfristig sogar eine oder zwei fest angestellte Kräfte leisten können. Manches Mal war aus den Reihen ihrer Kundschaft sogar schon die Frage laut geworden, ob sie nicht vielleicht ein Café oder Bistro oder Ähnliches eröffnen wollten, zusätzlich zum Catering, damit man auch außerhalb von Festlichkeiten die gute Küche und das vorzügliche Gebäck der Foodsisters genießen könne.
Davon hatten sie aber bisher Abstand genommen, denn ihr Service beinhaltete ja immerhin auch die komplette Dekoration und den Blumenschmuck zu jeder Veranstaltung, nicht nur Hannahs wohlschmeckende Gerichte und Carolines Bäckerinnen- und Konditorinnenkunst. Sie wollten alle drei gleichberechtigt zusammenarbeiten, denn das hatte ja schließlich auch zu ihrem bisherigen Erfolg geführt. Bei einem Café oder Bistro müsste Ella zurückstecken. Sie war zwar auch ihre Frontfrau, die sie nach außen hin vertrat, aber es wäre unfair, sie womöglich nur noch darauf festzulegen. Sie konnte aus Blumen die zauberhaftesten Kreationen zaubern und hatte auch für jegliche Art von Dekoration ein besonderes Händchen, dem man anmerkte, wie sehr sie ihre Arbeit liebte.
Wie sollte es nun also weitergehen? Wenn sie nicht in kürzester Zeit Ersatzräume für ihr Unternehmen fanden, würden sie bereits angenommene Aufträge absagen müssen. Etwas, das bislang noch nie vorgekommen war.
Caroline wurde das Herz schwer, wenn sie daran dachte, dass sie alles verlieren könnten. Das durfte einfach nicht passieren. Es musste doch einen Ausweg aus dieser Misere geben!
Innerlich seufzend, machte sie sich nun auch auf den Weg in die Küche. Sie musste irgendwie versuchen, die negativen Gedanken zu verdrängen, denn sonst würden ihr die Kuchen und Torten, die für die heutige Geburtstagsfeier eines siebzigjährigen Mitbürgers bestellt worden waren, garantiert nicht gut gelingen.
Vielleicht sollte sie sich lieber auf das Treffen mit Christina Brungsdahl konzentrieren, das für den Abend anberaumt war. Caroline hatte sich bei der Inhaberin der örtlichen Hundeschule erkundigt, ob sie ihr vielleicht bei der Suche nach einem fellnasigen Freund behilflich sein könnte.
Seit Ella und ihr Freund Jörn sich gemeinsam um den liebenswürdigen Bearded Collie Barnabas kümmerten, den Ella von ihrer verstorbenen Großmutter geerbt hatte, war in Caroline ebenfalls der Wunsch nach einem Hund gewachsen. Schon als Kind hatte sie einen haben wollen, doch ihre Eltern hatten stets Katzen bevorzugt. Caroline jedoch liebte Hunde über alles und fand, dass es an der Zeit war, ihr Leben mit einem Vierbeiner zu teilen – wenn sie schon keinen passenden Mann fand. Sie war jetzt dreißig Jahre alt und, obgleich nie intensiv auf der Suche gewesen, nun doch allmählich ein wenig frustriert, was die Männerwelt anging. Hin und wieder traf sie jemanden, den sie nett fand und auf den sie sich dann auch schon mal einließ, doch der Funke war noch nie wirklich übergesprungen, und die betreffenden Beziehungen waren immer rasch wieder im Sande verlaufen.
Dabei fand sie sich nicht einmal sonderlich anspruchsvoll. Ehrlich, treu und humorvoll sollte ein Mann sein, in den sie sich verlieben könnte. Und er sollte sie sowohl als Frau als auch als Individuum respektieren. Machohafte Allüren konnte sie überhaupt nicht ausstehen, vermutlich weil sie davon in ihrem Elternhaus zu viel hatte ertragen müssen. Ihr Vater war, obgleich ihr liebevoll zugetan, ein schrecklich altmodischer Mensch, der noch am uralten Rollenverständnis von Mann und Frau festhielt und nicht verstehen konnte, weshalb seine Tochter lieber an sechs Tagen in der Woche hart für ihr Unternehmen arbeitete und ihr Leben selbst bestimmte, als einen gut verdienenden Mann zu ehelichen, Kinder zu bekommen und ein Leben als Hausfrau und Mutter zu führen – so wie ihre eigene Mutter. Svantje Maierbach war eine herzensgute Frau und dem Lebensentwurf ihrer Tochter einen Fingerbreit mehr aufgeschlossen als ihr Mann. Dennoch kam sie niemals auch nur auf die Idee, ihr eigenes Dasein als vom Einkommen ihres Mannes abhängige Ehefrau infrage zu stellen.
Darüber hinaus waren ihre Eltern während Carolines Kindheit und Jugend überaus streng gewesen, hatten darauf gepocht, dass sie sich stets an die vielen von ihnen aufgestellten Regeln hielt. Beide Elternteile waren konservativ-katholisch erzogen worden – ungewöhnlich in der eher evangelisch geprägten Umgebung Lichterhavens – und hatten diese Werte und Einstellung auch auf ihre Tochter angewendet. So hatte es Caroline im Vergleich zu ihren beiden besten Freundinnen immer besonders schwer gehabt, sich wirklich frei zu bewegen oder zu entfalten. Ihre Eltern hatten ihr enge Grenzen gesetzt, auf strikten Gehorsam bestanden und ihr viele Dinge nicht erlaubt, die alle anderen Kinder – nicht nur ihre Freundinnen – ganz selbstverständlich hatten tun dürfen. Nur selten war ihr beispielsweise gestattet worden, mit den anderen Kindern zur sogenannten Piratenbucht zu gehen, um sich dort auszutoben und Abenteuer zu erleben. Auf Partys oder auf Strandfeste hatte sie auch nur in Ausnahmefällen und unter strengen Auflagen gehen dürfen. Einen Freund hatte sie bis zum Ende ihrer Schulzeit ebenfalls nicht gehabt, weil ihr Vater ihr den Umgang mit jungen Männern außerhalb der Schule untersagt hatte.
Sie wusste, dass ihre Eltern sie liebten und nur das Beste für sie wollten, dennoch war ihre Kindheit und Jugend oft anstrengend und frustrierend gewesen, und die engstirnige Denkweise von Vater und Mutter hatte nie zu Carolines Naturell gepasst. Deshalb war sie schon kurz nach dem Abitur ausgezogen, um ihre Bäckerinnen- und Konditorinnenausbildung in Cuxhaven, Bremerhaven und für eine kurze Weile auch in Kiel zu absolvieren. Sie hatte auf eigenen Beinen stehen und sich abnabeln müssen. Das war ihr auch recht gut gelungen, wie sie fand. Inzwischen hatten ihre Eltern es weitgehend aufgegeben, sie beeinflussen zu wollen. Sie hatten eingesehen, dass ihre Tochter aus der Art geschlagen war, wie sie es mit einem theatralischen Seufzen zu nennen pflegten, und hielten sich überwiegend aus ihrem Leben heraus. Zumindest solange sie nicht mit einem Mann zusammen war, denn sobald ihre Eltern so etwas witterten, versuchten sie, sie doch wieder davon zu überzeugen, dass ein Leben als treusorgende Ehefrau höchst erstrebenswert sei.
Aus dem Käfig ihres Elternhauses auszubrechen hatte Caroline viel Kraft gekostet, und sie sah nicht ein, weshalb sie sich jemals wieder in irgendeiner Form einengen lassen sollte. Auch nicht der Liebe wegen. Wobei sie bezweifelte, dass sie überhaupt fähig wäre, sich in jemanden zu verlieben, der sie nicht als vollwertige, gleichberechtigte Person sah, die in allen Bereichen selbst über sich bestimmen konnte.
Doch obgleich es in Lichterhaven und Umgebung eigentlich genügend Männer gab, die diesem Profil zumindest größtenteils entsprachen und darüber hinaus auch sympathisch waren, hatte sich noch keiner gefunden, der Carolines Herz berührt hätte. Manchmal nahm sie wahr, dass man sie hinter vorgehaltener Hand als zu kühl, zu rational und womöglich sogar als gefühlskalt bezeichnete. Was natürlich Unsinn war. Sie hatte ein Herz und Gefühle wie jede andere Frau auch. Sie ließ sich nur nicht oft zu Gefühlsausbrüchen hinreißen und blieb lieber zurückhaltend und pragmatisch. Das hob sie besonders von ihren beiden besten Freundinnen ab, denn Ella war die Temperamentvolle, Aufbrausende von ihnen und Hannah die Romantische, Gefühlsbetonte. Sie ergänzten sich alle drei auf wunderbare Weise, deshalb hatte ihre Freundschaft auch schon seit dem Kindergarten Bestand.
Carolines Liebesleben litt aber nun einmal unter ihrer zur Schau gestellten Nüchternheit, die sie sich unter anderem angewöhnt hatte, weil sie als Kind und auch noch als Teenager, hauptsächlich bedingt durch ihre strenge Erziehung, sehr schüchtern gewesen war.
Inzwischen hatte sie sich selbst, anfangs mühsam, später mit Entschlossenheit, beigebracht, diese Schüchternheit abzulegen und kompromisslos für sich selbst einzustehen. Hin und wieder eckte sie damit an, doch das war ihr allemal lieber, als sich weiterhin als Mauerblümchen zu fühlen. Romantisches Interesse weckte sie damit allerdings ebenso selten wie zu jener Zeit, als sie noch so schrecklich zurückhaltend gewesen war. Vielleicht hatte sie auch ein wenig Angst davor, sich selbst zu sehr aufzugeben, wenn sie sich mit ganzem Herzen auf einen Mann einließ. Denn wer wusste schon, wohin so etwas führen würde?
Bei einem Hund bestand hingegen keinerlei Gefahr, dass dieser sie nicht bedingungslos lieben und ihr ein treuer Gefährte sein würde, ganz gleich, was auch immer geschehen würde.
Sie hatte bereits im etwas außerhalb der Stadt gelegenen Tierheim vorgesprochen und sich die dortigen Fellnasen angesehen, doch der Funke war nicht so recht übergesprungen. Deshalb wollte sie nun mit Christina sprechen, die ein einzigartiges Gespür für Tier und Mensch hatte und manchmal Tiere zwischen Privatpersonen vermitteln konnte.
Das Surren des Mixers riss sie aus ihren Gedanken. Hannah war schon fleißig bei der Arbeit, und allmählich musste auch Caroline sich wirklich um den Biskuit kümmern. Entschlossen stieß sie sich von der Tischkante ab und machte sich auf den Weg in die Küche.
Wisst ihr, was? Ich finde alles blöd. So wirklich, richtig, umfassend blöd. Jetzt bin ich schon seit geschlagenen drei Wochen hier in dieser sogenannten Hundepension. Drei Wochen! Vor einer Woche hätte Herrchen mich hier abholen sollen. Das hat er fest versprochen, und auch, dass diese Christina sich gut um mich kümmern wird. Und Ralf und Lea und Tino und Nina. Das stimmt ja auch. Diese Menschen sind alle furchtbar freundlich zu mir. Insofern hat Herrchen Wort gehalten, was auch gut ist, weil ich ein bisschen … nun ja. Die Welt da draußen macht mir manchmal ein bisschen Angst.
Ich weiß selbst, dass das blöd ist, und Herrchen meint manchmal frustriert, ich sei ein Riesenbaby und ein Bangeschisserchen. Das ist nicht besonders nett, aber ich fürchte, so ganz unrecht hat er damit nicht. Was kann ich aber dafür, wenn ich mich vor einem unheimlichen Schatten fürchte oder vor einem lauten Knall oder vor diesen riesigen lauten Dingern, die hier oft vorbeirollen und die die Menschen Trecker nennen? Hallo? Die sind doch wohl total gefährlich, oder etwa nicht? Vor allen Dingen, wenn sie hintendran auch noch so scheußliche Hänger oder Maschinen haben. Und, ja, ich habe mich auch schon mal vor einer Maus erschreckt. Aber nur, weil sie so plötzlich aufgetaucht ist und, hey, was soll ich denn anderes machen als flüchten, wenn ich zuerst warnend belle, dieses kleine Ding aber überhaupt nicht reagiert und einfach weiter auf mich zurennt? Die könnte giftig sein oder plötzlich wachsen oder beißen oder … Ihr wisst, worauf ich hinauswill, oder? Die Welt ist ein gefährlicher Ort für einen sensiblen Rottweiler wie mich.
Mein Herrchen weiß das und versucht immer, mir das abzugewöhnen, indem er viel mit mir arbeitet. Dabei hasse ich Arbeiten, vor allem, wenn es auf dem sogenannten Hundeplatz geschieht. Da muss man lauter Kommandos einüben und ausführen und ganz eng an Herrchens Seite laufen und ihn ohne Unterbrechung ansehen und dabei einen richtigen Stechschritt vorlegen. Oder in so blöde Lederhandschuhe beißen und daran herumzerren, bis Herrchen oder der Trainer sagt, dass man aufhören soll.
Ich verrate euch mal etwas: Es mag Hunde geben, die das großartig finden, aber ich gehöre ganz sicher nicht dazu. Ich möchte viel lieber gestreichelt werden und kuscheln, und definitiv liege ich lieber auf der Couch oder an einem schattigen Plätzchen und genieße das Nichtstun, als mich sportlich zu betätigen. Mal abgesehen vom Spazierengehen, das mag ich. Und Buddeln – das ist auch toll. Aber Arbeiten? Nö.
Deshalb ist Herrchen auch oft genervt und hat mich nicht zu seinem Wander- und Kletterurlaub mitgenommen, weil eh klar ist, dass das nichts für mich ist.
Ich war auch früher schon mal in einer Hundepension, aber das war nur für fünf Tage und bei Weitem nicht so schön wie hier. Ich habe mein eigenes Schlafkissen von zu Hause, mein Lieblingsfutter und mein Spielzeug, und jeden Tag darf ich mit Leah oder Nina einen schönen Spaziergang machen. Ein paarmal waren wir sogar an dem riesigen Meer. Meine Güte, das ist unglaublich. Wasser, so weit man sieht. Oder gar kein Wasser, sondern so was seltsam Schlammig-Matschiges, das wohl Watt heißt. Keine Ahnung, wohin das Wasser manchmal verschwindet, aber mir kann es nur recht sein. Wasser ist nämlich auch so etwas Gefährliches und mir überhaupt nicht geheuer. Zumindest nicht, wenn es gleich in solchen Mengen vorkommt. Ein Teich oder Tümpel ist voll okay, da kann man drin plantschen, aber so ein Megawasser? Geht mir weg damit.
Leah wollte mal mit mir in dieses Watt gehen, ganz am Anfang, als ich gerade zwei Tage hier war. Ich habe mich aber geweigert. Sicherheitshalber, wisst ihr. Denn auch so viel Matsch auf einer Fläche ist mir nicht geheuer. Ein kleines Erdloch zum Buddeln und sich Einsauen ist perfekt, aber so viel Schlick am Stück kann doch nicht normal sein, oder? Da krabbeln bestimmt irgendwelche Viecher drin herum, und obendrüber fliegen diese lauten Vögel. Möwen heißen sie. Die sind auch nicht ohne. Manchmal stoßen sie pfeilschnell ins Watt hinab und fangen sich ihr Futter. Was beweist, dass da Viehzeug drin herumlungert. Und ganz oft fliegen die Möwen auch wie die Verrückten ganz dicht über meinen Kopf hinweg, und wenn ich mich dann ducke, was ja nur verständlich ist, lachen sie mich aus. Ja, genau! Die lachen! Ich schwöre es. Nee, also deshalb bleibe ich dem Watt auch lieber fern. Mir reichen schon die Gefahren und unheimlichen Begegnungen an Land, da braucht es nicht auch noch welche in Wasser und Schlick.
Tja, aber um auf mein Herrchen zurückzukommen: Ich vermisse ihn jetzt doch ziemlich arg, auch wenn er manchmal streng mit mir ist und es irgendwie blöd findet, dass ich kein»richtiger«Rottweiler bin. Dabei weiß ich ehrlich gesagt gar nicht, was ein»richtiger«Rottweiler sein soll. Ich finde, ich bin einer. Soll mir doch mal einer das Gegenteil beweisen!
Herrchen hat also fest versprochen, dass ich hier nur zwei Wochen bleiben muss, und jetzt sind es schon drei und immer noch keine Spur von ihm weit und breit. Christina und Leah und Nina und alle anderen sind seit ein paar Tagen auch so seltsam, wenn sie in meine Nähe kommen. Irgendwie noch netter, aber auf eine merkwürdige Art. So als hätten sie Mitleid mit mir. Ich glaube, da stimmt etwas nicht. Wenn ich bloß wüsste, was. Aber es muss mit meinem Herrchen zu tun haben.
Ob er mich hier vergessen hat? Das kann ich mir nicht vorstellen. Er hat mich noch nie vergessen. Wie auch? Es gab ja nur uns beide. Na ja, hin und wieder kam auch mal jemand vorbei – ein Freund oder eine Freundin von Herrchen. Aber nicht zu oft und meistens haben wir uns beide gehabt und sonst niemanden. Aber was soll denn jetzt aus mir werden, wenn Herrchen nicht mehr zurückkommt? Er kann doch nicht einfach so wegbleiben! Ich brauche ihn doch.
O Mist, jetzt muss ich ein bisschen jammern. Aber nur ganz leise. Nicht, dass man mich auch noch für eine Heulsuse hält.
***
»Leah, schau doch mal bitte nach Duke. Ich glaube, er winselt wieder mal«, hörte Henning Magnusson eine weibliche Stimme sagen, noch bevor er das Gelände von Christinas Hundeschule betrat. Links und rechts von der breiten Zufahrt wuchsen Hundsrosenbüsche, die seinen Blick versperrten. Als er sie passiert hatte, sah er Christina Brungsdahl nur wenige Schritte entfernt am Zaun der vorderen Trainingswiese stehen. Ihre schlanke Gestalt steckte in einer Jeanslatzhose und einem blau-weiß gemusterten T-Shirt, und das lockige hellbraune Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden. Neben ihr stand ein Doppelkinderwagen, in dem ganz offensichtlich die Zwillingsmädchen lagen, die sie im vergangenen September zur Welt gebracht hatte.
»Er vermisst sein Herrchen.« Leah Staller, eine schlanke blonde Frau Mitte vierzig, die seit einigen Jahren zusammen mit ihrem Mann das Team der Hundetrainer ergänzte, seufzte deutlich hörbar. »Wenn man ihm doch nur erklären könnte, was passiert ist. Aber ändern würde das vermutlich auch nichts.« Sie nickte ihm kurz zu und ging rasch davon.
Christina drehte sich überrascht zu Henning um. Offenbar hatte sie seine Schritte auf dem gepflasterten Untergrund nicht gehört. »Nanu, hallo, Henning. Was führt dich denn hierher?«
Henning grinste und trat näher an Christina und den Kinderwagen heran. »Die pure Neugier. Ich habe gerade Feierabend gemacht und bin eigentlich auf dem Heimweg. Den Umweg hierher habe ich spontan gemacht, weil ich mal mit dir reden wollte. Und außerdem muss ich doch mal wieder diese zuckersüßen Zwillinge besuchen. Ich habe sie jetzt schon ein paar Wochen nicht gesehen und wette, sie sind schon wieder wie verrückt gewachsen. Jedes Mal, wenn ich Jörn oder Lars oder Ben über den Weg laufe, schwärmen sie in den höchsten Tönen.«
Christina lachte. »Also, dass Ben von seinen Töchtern schwärmt, kann ich ja nachvollziehen. Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der so verliebt in zwei Babys gewesen ist. Aber Jörn und Lars?«
»Du würdest dich wundern.« Hennings Grinsen verbreiterte sich. »Männer sind Softies, wenn es um Babys geht. Ich kenne keinen, der da nicht schwach wird. Und eure beiden Mädchen sind …« Er trat nah an den Kinderwagen heran und linste hinein. »Mein Gott, jetzt schon Schönheitsköniginnen!«
»O Mann, sag ihnen das doch nicht!« Kichernd schüttelte Christina den Kopf. »Im Leben kommt es nicht nur auf Schönheit an.« Sie hüstelte. »Auch wenn ich zugeben muss, dass du nicht ganz unrecht hast.«
Vorsichtig hielt Henning einem der beiden Mädchen seinen Zeigefinger hin, woraufhin die Kleine mit einem freudigen Glucksen zugriff und an dem Finger herumzerrte. Er mochte Kinder, hatte aber kaum Erfahrungen mit ihnen, wenn sie noch so winzig waren. Früher hatte er oft mit Jungen und Mädchen ab acht oder zehn Jahren auf der Kartbahn trainiert, wenn sein enger Zeitplan als Formel-1-Fahrer es zugelassen hatte.
Seit er sich zur Ruhe gesetzt hatte, wie er es nannte, obgleich er nicht vorhatte, jetzt eine ruhige Kugel zu schieben, vermisste er diesen Umgang mit Kindern und Jugendlichen ein wenig. Lichterhaven hatte keine Kartbahn; die nächste befand sich in der Nähe von Cuxhaven. Manchmal überlegte er sich bereits, ob er diesen Zustand nicht vielleicht eines Tages würde ändern können. Am besten beriet er sich noch einmal mit seinem Manager und mit seinem Finanzberater.
Nun reichte er auch dem anderen Mädchen einen Zeigefinger und staunte, mit welcher Kraft das Baby schon daran zu ziehen in der Lage war. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass die beiden nicht nur schön, sondern auch extrem intelligent sind. Was sollen sie denn auch anderes sein bei solchen Eltern?« Er zwinkerte Christina zu.
»Oje, wo soll ich anfangen?« Christina gluckste wieder. »Wenn sie nach ihrem Vater schlagen, werden sie exzentrische Künstlerinnen. Das dürfte anstrengend werden.«
»Du hast doch darin schon einiges an Übung.« Sanft entzog er den beiden Mädchen seine Finger wieder und richtete sich auf. »Außerdem wird dein Anteil an Genen ausgleichend wirken.«
»Warten wir es ab.« Liebevoll lächelte Christina auf ihre beiden Töchter hinab. »Anstrengend ist es ja jetzt schon, weil immer alles hoch zwei gerechnet werden muss. Hunger, Windeln, nicht schlafen wollen …« Sie seufzte. »Schlaf ist sowieso überbewertet.«
»Ich kann mir vorstellen, dass das mit Zwillingen alles andere als leicht ist. Mich erstaunt, dass du dich schon wieder hier in der Hundeschule herumtreibst. Eigentlich hättest du dir doch wirklich eine Elternzeit verdient.«
»Die haben Ben und ich irgendwie untereinander aufgeteilt. Zumindest so gut es geht.«
»Irgendwie?« Er runzelte fragend die Stirn.
»Na ja, Ben kann doch seine Kunst nicht so leicht kontrollieren wie ich meinen Trainingsstundenplan. Wenn er überraschend von einer Vision heimgesucht wird, muss er arbeiten, sonst wird er irre. Zum Glück haben wir inzwischen ein gutes System gefunden, wie er mir rechtzeitig Bescheid gibt, wenn der Drang zu arbeiten ihn überkommt. Hinterher übernimmt er dann doppelte Schichten und ermöglicht es mir, mich auszuruhen oder, wenn nötig, mich hier in der Hundeschule richtig reinzuknien.«
»Ich sehe schon, von euch könnten sich so manche Elternpaare eine Scheibe abschneiden.«
»Keine Ahnung.« Christina hob die Schultern. »Es klingt einfacher, als es ist. Wir sind trotzdem oft gestresst und übermüdet.«
»Aber tauschen würdet ihr auch nicht wollen«, vermutete er und sah, wie es in Christinas Augen aufleuchtete.
»Um keinen Preis der Welt!« Sie legte den Kopf ein wenig schräg. »Solange die beiden Mäuse noch so brav sind und nicht herummosern, solltest du mir rasch erzählen, weshalb du mit mir reden wolltest.«
»Stimmt.« Sinnierend warf er einen Blick auf die vordere Trainingswiese, auf der im Augenblick zwei Männer mit jeweils einem winzigen Dackel an der Leine anscheinend die allerersten Grundübungen erlernten. Ralf Staller stand ihnen als Trainer zur Seite und erklärte ihnen etwas sehr ausführlich. »Ich suche einen Hund.«
»Du suchst?« Forschend blickte sie ihn an. »Hast du einen verloren oder …«
»Nein. Ich möchte mir gerne einen anschaffen. Im Tierheim war ich bereits, aber irgendwie war nicht der richtige dabei. Versteh mich nicht falsch, dort sind viele tolle und interessante Hunde untergebracht, die es verdient haben, ein schönes Zuhause zu bekommen, aber irgendwie … Ich weiß auch nicht.«
»Der Funke ist nicht übergesprungen?«, half Christina nach.
Erleichtert nickte er. »Ja, genau. Ich war sogar zweimal dort, um sicherzugehen, aber … nun ja.«
»Und nun willst du wissen, ob ich nicht jemanden kenne, der einen Hund abzugeben hat.«
»Du hast doch so viele Kontakte, und ich habe läuten hören, dass du hin und wieder privat vermittelst.«
Sie nickte vage. »Manchmal. Dennoch kann auch ich dir keine Garantie geben, dass wir den richtigen Hund für dich finden. Was soll es denn sein? Ein Welpe oder ein bereits erwachsener Hund? Groß, klein, fordernd oder eher gemütlich? Warum willst du einen Hund, und hast du bereits Erfahrung, oder bist du Anfänger?«
»Puh!« Lachend fuhr er sich mit gespreizten Fingern durch sein kragenlanges, wie immer etwas widerspenstiges blondes Haar. »Wo soll ich anfangen?« Als sie ihn nur erwartungsvoll anblickte, neigte er leicht den Kopf. »Also gut. Ich bin fortgeschrittener Anfänger, würde ich sagen. Als ich noch ein Kind war, hatten wir zwei Hunde. Eine Schäferhündin und einen Australian Shepherd. Tinka und Lolly.«
»Lolly?« Um Christinas Mundwinkel zuckte es.
»Frag mich nicht, woher der Name kam. Wahrscheinlich vom Züchter, von dem meine Eltern den Hund hatten. Die beiden Hunde waren sehr verschiedene Charaktere, aber ich bin mit ihnen aufgewachsen und kam gut mit ihnen zurecht. Als es dann mit meinem Rennfahren immer mehr wurde und die beiden irgendwann an Altersschwäche gestorben sind, wollten meine Eltern sich keinen neuen Hund mehr anschaffen. Das war wohl auch besser so, denn der Rennzirkus hat uns ja doch sehr vereinnahmt. Speziell meinen Vater und mich.« Er stockte kurz und spürte dem Schmerz nach, den der Verlust seines Vaters vor fast zehn Jahren verursacht hatte und der seither vielleicht ein wenig gelindert war, jedoch wahrscheinlich nie ganz vergehen würde. Energisch riss er sich von den Erinnerungen los.
»Ich weiß also, was es bedeutet, einen Hund zu halten, aber was die Erziehung angeht, muss ich wahrscheinlich noch einiges lernen, denn das haben damals ja meine Eltern übernommen, weil ich dazu noch zu klein war.« Er hielt kurz inne. »Warum will ich einen Hund haben? Tja …« Das war eine gute Frage, über die er noch gar nicht so genau nachgedacht hatte. Diese Idee war ihm mehr oder weniger spontan in den Kopf gekommen. »Ich denke einfach, dass es Zeit ist, einen Hund in mein Leben aufzunehmen. Klingt das bescheuert?«
»Nein, überhaupt nicht.« Ein weicher Zug um Christinas Lippen verriet, dass sie ihn ganz genau verstand. »Das ist eine gute Begründung.«
»Wirklich?« Sein Lächeln geriet ein wenig schief. »Ich dachte, es klingt albern.«
»Eher ein bisschen ungewöhnlich für jemanden … äh … wie dich.«
»Jemanden wie mich?« Er wusste genau, was sie meinte. Sein Ruf eilte ihm, wie immer, voraus. Noch bis vor einem Jahr hatte er erfolgreich Formel-1-Rennen gefahren und sich dabei ein Image als Macho und Frauenheld erworben. Erst letzten Sommer war er in seinen Heimatort Lichterhaven zurückgekehrt, um dort eine Autowerkstatt zu eröffnen. Nebenbei absolvierte er in Abendkursen die Meisterschule, um die Werkstatt in vollem Umfang führen und auch Auszubildende aufnehmen zu dürfen.
»Der harte Kerl … Rennfahrer durch und durch …« Sie hob die Achseln. »Du weißt doch selbst am besten, wer du bist, oder etwa nicht?« Ehe er antworten konnte, fuhr sie fort: »Soll es denn wieder ein Schäferhund oder ein Australian Shepherd sein, oder hast du andere Vorstellungen?«
Er hätte gerne noch etwas erwidert, ihr versichert, dass sein Ruf, den er sich in fast zwanzig Jahren systematisch aufgebaut hatte, nicht mit dem übereinstimmte, der er wirklich war, doch er unterließ es. Am ehesten würde er die Menschen in Lichterhaven davon überzeugen, dass mehr in ihm steckte, als man an der Oberfläche sehen konnte, indem er entsprechend handelte.
»Ich habe eigentlich gar keine Vorstellungen, was die Rasse angeht. Es kann auch ein Mischling sein, ganz egal.« Sein Blick fiel wieder auf die beiden Männer mit den Dackelwelpen. »So winzig wie die dort muss er aber vielleicht nicht gerade sein. Die erinnern mich irgendwie an bellende Tischfeuerzeuge.«
Christina prustete, versuchte aber gleichzeitig, eine strenge Miene aufzusetzen. »Na, na, keine Beleidigungen bitte! Die beiden werden auch noch größer.«
»Kann ja sein, aber … okay, kein Dackel, Pinscher oder irgendetwas, das aussieht, als müsse man es in einer Tragetasche mit sich herumschleppen.« Er grinste wieder. »Ansonsten bin ich für alles offen.«
»Gut, also …« Christina richtete ihren Blick in eine unbestimmte Ferne. »Ich weiß von einer Familie, die in der Nähe unseres Gewerbegebiets wohnt. Die haben gerade Großpudelwelpen. Ich habe drüben neben der Anmeldung eine Pinnwand mit Fotos. Ob inzwischen noch einzelne Welpen nicht vermittelt sind, weiß ich aber nicht.«
»Pudel?« Er versuchte, nicht zu lachen.
»Sehr intelligente Tiere.«
»Ich weiß.«
Sie lächelte leicht. »Familie Bayer unten im Möwenweg hat auch Welpen. Bassets. Da hatten aber auch schon mehrere Leute angefragt. Wenn du dich interessierst, müsstest du wahrscheinlich schnell sein.«
»Ein Basset?« Er überlegte erneut. »Klingt ganz interessant, aber … Ich weiß nicht so recht. Was hast du sonst noch im Angebot?« Er hatte bereits eine Idee, wollte aber lieber nicht mit der Tür ins Haus fallen.
»Im Angebot? Bei dir piept’s wohl.« Sie kicherte. »Komm mit rein, dann überlegen wir weiter.« Christina schob den Kinderwagen in Richtung des großen, zweigeschossigen Hauses, in dem sich neben dem Empfang auch Seminarräume und im rückwärtigen Bereich die Tierarztpraxis ihrer Schwester Luisa befanden. Die gläserne Eingangstür stand weit offen, um die angenehme Frühsommerluft hereinzulassen. Am Empfangstresen saß eine hübsche junge, leicht mollige Frau Anfang zwanzig mit rotblonden Locken. Als sie ihn erkannte, weiteten sich ihre Augen ein wenig, und sie schien nervös zu werden, sich dies jedoch nicht anmerken lassen zu wollen.
Diese Reaktion erlebte er häufig, obwohl er nun schon seit fast einem Jahr wieder in Lichterhaven lebte. Die Menschen sahen in ihm nach wie vor nur den weltberühmten, reichen Formel-1-Star. Dass er den Rennzirkus hinter sich gelassen und damit viele Fans entsetzt hatte und sich nun einigermaßen erfolgreich als Jungunternehmer versuchte, schien kaum jemanden zu veranlassen, die natürliche Scheu und sogar Ehrfurcht vor ihm abzulegen. Zu den Ausnahmen zählten nur ein paar enge Freunde und Menschen, mit denen er aufgewachsen war. Und selbst unter ihnen gab es einige, die in Schockstarre verfielen, sobald er irgendwo auftauchte.
»Carmen, wie sieht es aus, gibt es irgendwelche Terminänderungen, oder bleibt heute alles wie geplant?« Christina hatte den Kinderwagen neben die lebensgroße Skulptur aus weißem Marmor geschoben, die sie selbst als Teenager zeigte, wie sie mit ihrer damaligen Collie-Hündin Polly spielte. Die Hündin tänzelte dabei hoch aufgerichtet auf den Hinterläufen, und es sah aus, als ob sie mit Christina einen Tanz aufführte. Ben, Christinas Ehemann, hatte diese Skulptur erschaffen. Henning hatte sie bisher nur auf Bildern im Internet gesehen und musste feststellen, dass sie in natura noch viel beeindruckender war. Die Lebensfreude von Mädchen und Hund, die liebevolle, geradezu telepathische Verbindung zwischen ihnen war regelrecht zu spüren.
»Wow«, entfuhr es ihm, und er trat unwillkürlich näher, um weitere Details zu entdecken, wie den geflochtenen Strick, den Christina in der Hand hielt und nach dem Polly zu haschen schien.
Christina lächelte nur, trat an die Pinnwand seitlich hinter dem Empfangstresen und zupfte einen Papierschnipsel von einem der angepinnten Flyer ab. »Hier.« Sie reichte ihm den Fetzen Papier, auf dem eine Handynummer und eine E-Mail-Adresse aufgedruckt waren. »Margot Bayer. Falls du dich doch noch für die Bassets interessieren solltest.«
»Okay, danke dir.« Er schob den Zettel in seine Hosentasche. »Ich denke mal darüber nach.«
»Heute läuft alles nach Plan«, verkündete Carmen mit etwas Verspätung. Ihre Stimme klang ein bisschen gepresst, und sie schielte immer wieder zu ihm hin. »Wir, äh, haben zwei Anfragen für den Mantrailingkurs ab Juli, und Inge Leuthaus hat angerufen und darum gebeten, dass du sie zurückrufst. Es geht um die junge Bracke, die ihr Mann sich zugelegt hat. Sie möchten mit der jagdlichen Ausbildung so bald wie möglich beginnen und wollen wissen, ob sie die hier absolvieren können.«
»Theoretisch ja.« Christina runzelte die Stirn. »Wenn ich eine passende Trainerin dafür finde. Eik ist total ausgebucht, und Elissa auch. Ich frage mal bei Therese nach, ob sie Zeit und Lust hat, noch mal bei uns einen Kurs anzubieten. Schreibst du mir bitte eine Erinnerung in meinen Terminplaner? Dann kümmere ich mich morgen früh gleich darum.«
»Na klar, mache ich.« Carmen hüstelte und blickte wieder zu Henning. »Wollen Sie sich auch einen Hund zulegen?«
Er nickte und trat auf den Tresen zu. »Ich habe mit dem Gedanken gespielt, ja.«
»Heiliger Bimbam, der Hund tut mir jetzt schon leid!«
Sowohl Henning als auch Christina fuhren beim Klang der spöttischen Stimme herum. In der Eingangstür stand Caroline Maierbach und maß Henning mit nicht gerade freundlichen Blicken.
Henning verspürte einen Stich in der Magengrube, ließ sich jedoch nichts anmerken, sondern lächelte sein ihm zur Gewohnheit gewordenes Siegerlächeln. »Hallo, Caro. Lange nicht gesehen.«
»Caroline für dich.« Sie kräuselte die Lippen. »Und, tja, leider nicht lange genug.«
»Oha.« Christina zog übertrieben den Kopf ein. »Bitte keine Schlägereien in meinen heiligen Hallen.«
»Wer will sich denn schlagen?« Henning lachte. »Ich bin ganz friedlich.«
»Und ich mache mir an jemandem wie dir ganz bestimmt nicht die Hände schmutzig.« Caroline verschränkte die Arme vor der Brust und wirkte damit ein klein wenig amazonenhaft auf ihn, wie sie mit leicht gespreizten Beinen und vorgerecktem Kinn im Eingang stand.
Henning staunte nicht schlecht. Auch nach einem Jahr konnte er sich nicht daran gewöhnen, dass das einst so schüchterne und unsichere Mädchen sich zu einer derart selbstbewussten – und ihm ganz offensichtlich immer noch wenig zugetanen – Frau entwickelt hatte. Vielleicht lag es daran, dass sie einander nicht sehr oft über den Weg gelaufen waren, seit er nach Lichterhaven zurückgekehrt war. Er hatte sich bewusst auf seine Werkstatt und die Abendschule konzentriert und nicht viele Ablenkungen zugelassen. Schon gar keine weiblichen Ablenkungen. Und erst recht nicht durch Caroline. Diese Büchse der Pandora hatte er vorerst lieber fest verschlossen gelassen. Nun schien sie aber aufgesprungen zu sein, wie er im Hinblick auf seinen deutlich veränderten Blutdruck feststellen musste. Ganz unschuldig daran war er wohl nicht, denn dass sie heute hier sein würde, hatte er bereits von gemeinsamen Freunden erfahren.
»Dann ist die Gefahr hoffentlich gebannt.« Neugierig ließ Christina ihren Blick zwischen ihm und Caroline hin- und herwandern. Es war offensichtlich, dass sie sich fragte, woher Carolines Feindseligkeit rühren mochte. Henning ahnte es, ging aber nicht darauf ein.
»Von meiner Seite aus bestand nie eine Gefahr.« Er lächelte Caroline friedfertig zu. »Was führt dich denn in diese heiligen Hundeschulenhallen? Willst du dir auch einen Hund zulegen?«
Auf ihrer Stirn entstanden tiefe Furchen. »Ich wüsste nicht, was dich das angeht, aber, ja, zufällig spiele ich mit dem Gedanken.«
Christina bedeutete ihm und Caroline, wieder mit ihr ins Freie zu gehen. »Ich wollte Caro heute mit einem Bewohner unserer Hundepension bekannt machen.« Sie zögerte kurz, blickte zu Caroline, dann wieder zu ihm. »Wir suchen für Duke ein neues Zuhause, andernfalls muss ich ihn ins Tierheim geben.«
»Duke?« Er lachte. »Das klingt so nach altem Adel. Noch ein Pudel?«
Christina prustete. »Um Längen gefehlt. Duke ist ein … nun ja, ein Rottweiler.«
Henning hob die Augenbrauen. »Warum sagst du das so seltsam?«
»Weil …« Christina warf einen Blick über die Schulter zu Carmen. »Kannst du kurz auf die Zwillinge aufpassen? Wenn sie zu quengeln anfangen, ruf mich einfach. Wir sind hinten in der Pension.«
»Okay, mach ich.« Carmen lächelte ihr zu.
»Also …« Christina wandte sich wieder Henning und Caroline zu. »Duke ist eine Waise, sozusagen. Er kam vor knapp drei Wochen zu uns und war damit einer der allerersten Pensionsgäste. Du hast doch sicherlich schon mitbekommen, dass wir, also hauptsächlich Leah und Ralf, hinten ein neues Gebäude errichtet haben, um darin eine Hundepension zu eröffnen.« Sie deutete vage in die Richtung hinter dem Haupthaus.
Henning nickte nur.
»Na ja«, fuhr sie fort. »Es ist so, dass sein Besitzer zu einer Klettertour in die Alpen gereist und dort leider tödlich verunglückt ist.«
»Ach du Sch…reck.« Henning schauderte. »Gibt es niemanden sonst, der sich um den Hund kümmern könnte?«
»Nein.« Bedauernd schüttelte Christina den Kopf. »Wir wurden von der Schwester des Halters informiert, die aber in Peking lebt und dementsprechend auch nichts ausrichten kann. Sie scheint die einzige noch lebende Verwandte zu sein, und viele Freunde schien der Mann auch nicht gehabt zu haben. Zumindest keine, die Duke bei sich aufnehmen wollen.«
»Weil er ein Rottweiler ist?« Ahnungsvoll hob Henning die Augenbrauen. »Er ist aber nicht gefährlich, oder? Manche Menschen machen diese Hunde ja leider scharf.«
Christina schüttelte erneut den Kopf, diesmal energisch. »Um Himmels willen, nein! Eher ganz im Gegenteil. Er ist … Kommt am besten einfach mal mit und lernt ihn kennen.« Sie übernahm die Führung und ging um das Gebäude herum. Nach nur wenigen Schritten wurde links neben den Trainingswiesen und dem großen Schuppen ein anderthalbstöckiger Neubau sichtbar, dessen strahlend hellgelber Putz noch ganz frisch war und beinahe blendete. »Das Haupthaus und der Schuppen werden in Kürze auch frisch gestrichen«, erzählte Christina etwas zusammenhanglos, während sie auf das Haus zuschritt. »Das wird allmählich mal wieder Zeit, und danach haben wir dann alle Gebäude in der gleichen Farbe. Das macht sich besser auf Werbefotos.« Sie hielt vor der Tür an und wandte sich ihnen zu. »Bleibt erst mal bitte im Hintergrund und redet nicht viel. Auch keine zu schnellen Bewegungen bitte. Wir müssen abwarten, wie Duke auf euch reagiert.«
»Oha.« Henning schwante nichts Gutes. Ein Hund, dem man sich derart vorsichtig nähern musste, war dann doch eher nichts für ihn. Für Caroline aber wahrscheinlich auch nicht, oder etwa doch? Er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. Sie schien ähnlich gespannt zu sein wie er.
»Wartet am besten hier.« Christina führte sie durch eine kleine Diele in einen Raum, der wie ein gemütliches Wohnzimmer eingerichtet war. Neben Sitzmöglichkeiten für Menschen gab es aber auch mehrere verschieden große Hundekissen und zwei kleine gepolsterte Weidenkörbchen. Auf dem Couchtisch stand eine runde Schüssel, die mit diversen Hundeleckerlis und Kauknochen gefüllt war. Hier und da lagen Bällchen und Kauspielzeuge am Boden herum. »Das ist unser Gemeinschaftszimmer«, erklärte Christina. »Hier empfangen wir neue Gäste und stellen sie denen vor, die schon länger bei uns wohnen. Zumindest ist es so geplant. Wir haben ja erst seit zwei Monaten geöffnet und noch nicht so viele Hunde hier zu Gast gehabt. Hier und im Obergeschoss haben wir Platz für bis zu zehn Hunde gleichzeitig. Zwölf, wenn sie klein und sehr verträglich sind.« Sie deutete auf die Couch und die beiden Sessel. »Setzt euch, ich bringe Duke gleich herein. Bitte bleibt erst mal ganz still und wartet ab, was er macht. Wenn er auf einen von euch zukommt, bitte auch nicht ruckartig bewegen, sondern erst mal nur schnüffeln lassen und leise mit ihm reden. Ich gebe euch dann Anweisungen, wie es weitergehen könnte. Okay? Bereit?«
»Klar.« Caroline lächelte ihr zu und nahm auf der Couch Platz.
Henning nickte nur schweigend und setzte sich mit etwas Abstand neben sie. Prompt erntete er dafür einen scheelen Seitenblick, ging aber nicht darauf ein.
Als Christina den Raum verlassen hatte, wandte er sich aber doch Caroline zu. »Du willst dir also einen Hund anschaffen?«
»Du offenbar auch.« Sie maß ihn mit abschätzenden Blicken. »Ich habe Duke zuerst gesehen. Oder vielmehr von ihm gehört.«
»Schon klar.« Er neigte leicht den Kopf. »Ich bin ja nur zufällig hier und … O Mann!« Er verschluckte sich fast, als in diesem Moment bereits Christina mit Duke an der Leine das Zimmer betrat und die Tür leise hinter sich schloss. Entgeistert starrte Henning auf den riesenhaften Rottweiler, der gut und gerne sechzig Kilo auf die Waage brachte. Er besaß einen riesigen Kopf und eine schwere, gedrungene Gestalt – und einen überaus skeptischen Blick.
Was machen wir denn jetzt hier? Ich hatte mich gerade damit abgefunden, dass Leah mich mit einem Kauknochen vom Jaulen abgelenkt hat. Und jetzt? Wer sind diese Menschen? Die gucken so komisch. Duke tänzelte ein wenig und machte ein paar Schritte rückwärts, bis er mit dem Hinterteil gegen die Tür stieß. Mit einem erschrockenen Fiepen sprang er einen Satz vorwärts, erschrak offenbar erneut, weil er direkt vor dem Couchtisch landete, und versuchte daraufhin, sich hinter Christina zu verstecken. Das wirkte allerdings vollkommen albern, weil die schlanke Christina natürlich für solch einen riesenhaften Hund keinerlei Schutzschild bot. Dennoch presste er seinen Kopf fest in ihre Kniekehlen. Hilfe, was war das eben? Hat mich da jemand geschubst? Ach nein, das war die Tür, wie peinlich. Warum gucken diese Menschen denn immer noch so komisch? Ich hab doch gar nichts gemacht. Hm, eigentlich sehen sie ja ganz freundlich aus. Ob ich sie mal beschnüffeln soll? Vielleicht mögen sie mich ja. Ich mag die meisten Menschen auch gern.
»Darf ich vorstellen?« Christina tat, als sei überhaupt nichts geschehen. Ihre Stimme klang allerdings sehr sanft. »Dies ist Duke. Komm mal hinter mir hervor, Duke.« Sie trat vorsichtig einen Schritt beiseite. »Dann kannst du unsere beiden Besucher begrüßen.«
Okay, na gut, dann sage ich mal Hallo zu euch. Duke hob ein wenig den Kopf und musterte erst Henning, dann Christina sehr lange und aufmerksam.
Henning ertappte sich dabei, dass er beinahe die Luft angehalten hätte. Etwas in dem wachsamen und zugleich unglaublich freundlichen Blick des Hundes machte ihn neugierig. Obgleich Duke riesig war und gefährlich hätte wirken können, machte er auf ihn mehr einen verwirrten, verlorenen und leicht tollpatschigen Eindruck.
Caroline neben ihm atmete hörbar ein und wieder aus. Ging es ihr ähnlich? Er bewegte sich nicht, so wie Christina es empfohlen hatte, sodass er sich keine Gewissheit verschaffen konnte.
»Duke, das hier sind Caroline und Henning. Die beiden möchten dich gerne näher kennenlernen.« Christina entfernte den Karabinerhaken der Leine von Dukes fast handbreitem Lederhalsband.
Finde ich gut. Duke rührte sich immer noch nicht, wedelte aber mit der Rute.
»Keine Sorge, er tut euch nichts«, redete Christina in freundlich-beschwingtem Tonfall weiter. »Er ist jetzt knapp über zwei Jahre alt, sehr gut erzogen und furchtbar freundlich zu allen Menschen.«
Warum sollte ich wohl auch unfreundlich sein? Ich mag es nur nicht, wenn die Leute unfreundlich zu mir sind. Aber ansonsten mag ich euch Zweibeiner ziemlich gerne.
»Nur zu Anfang ist er manchmal noch etwas skeptisch, bis er sein Gegenüber einschätzen kann«, erklärte Christina. »Duke beherrscht den kompletten Grundgehorsam und liebt Spaziergänge. Allerdings mag er die Nordsee nicht – oder noch nicht – und auch nicht das Watt.« Sie lächelte schief. »Und er hat etwas gegen die Dunkelheit, zumindest draußen.«
»Was?«, entfuhr es Henning ein wenig zu laut.
Prompt machte Duke einen Schritt rückwärts und legte den Kopf schräg. Warum schreist du denn so?
»Pst!« Caroline stieß Henning den Ellbogen in die Seite.
Ja, genau, sagt dem Mann mal, dass ich nicht taub bin! Duke kam die zwei Schritte wieder vor und machte dann zwei weitere auf die Couch zu. Mit langem Hals schnüffelte er in Hennings und Carolines Richtung. Soll ich? Er drehte den Kopf und sah fragend zu Christina auf.
Sie nickte ihm zu. »Na los, Duke, geh mal zu deinen neuen Freunden«, sie hielt nach der Betonung dieses Wortes eine Sekunde inne. »Geh mal gucken und schnuppern.«
Na gut, wenn du meinst. Dann mal los.
Wieder hielt Henning fast die Luft an, als der schwere Rottweiler vorsichtig auf ihn zukam, dicht vor ihm stehen blieb und den Kopf erneut leicht zur Seite neigte. Wieder wurde er einer eingehenden Musterung unterzogen, und schließlich schnüffelte Duke an seinem Knie und an seinen Händen. Dabei schwang seine Rute fröhlich hin und her.
Hm, okay, riecht schon mal ganz angenehm. Und die Frau? Ohne Rücksicht auf den Couchtisch, der dabei zur Seite verschoben wurde, drängelte Duke sich an Hennings Knien vorbei zu Caroline, musterte auch sie aufmerksam und schnüffelte an ihr. Hm, ja, riecht auch gut. Ein bisschen lecker, irgendwie nach Kuchen.
»Huch!« Caroline zuckte leicht zusammen, als Duke ihr mit nasser Zunge über den Handrücken leckte.
Mhm, nee, die Hand schmeckt nicht süß, sondern nach Menschenfrau. Aber irgendwas riecht verboten gut. Woher kommt das denn bloß?
Zur allseitigen Überraschung drängte Duke sich noch näher an Caroline heran und schnüffelte geräuschvoll an ihr herum.
Caroline unterdrückte ein Lachen. »Das kitzelt!«
»Er scheint dich im wahrsten Sinne des Wortes gut riechen zu können.« Christina lachte. »Hast du ein süßes Parfum drauf? Ich habe vorhin gar nicht darauf geachtet.«
»Nein, überhaupt nicht.« Caroline kicherte wieder, als Duke ihr seinen Kopf gegen den Bauch stieß und dort weiterschnüffelte.
Henning lehnte sich ein wenig in ihre Richtung und schnupperte ebenfalls. »Mmh, ich rieche Zitrone und Vanille. Kein Wunder, dass der Hund dich mag. Da würde ich glatt auch mal anknabbern wollen.« Noch während er die Worte aussprach, wusste er, dass er Caroline damit auf die Palme bringen würde. Und er hatte recht.
»Behalt deine Knabbergeräte gefälligst bei dir!« Sie sah ihn strafend an, blickte dann aber wieder auf Duke, der zwei Schritte seitwärts gemacht hatte und dabei den Couchtisch erneut ein wenig verschob. »Ich habe heute Zitronenrolle und Bienenstich mit Vanillepuddingfüllung gebacken. Vielleicht riecht er das. Ich bin gleich nach der Arbeit hergekommen.«
»Aha, das wird es sein.« Christina lachte vergnügt auf. »Damit hast du ihn auf jeden Fall schon mal für dich eingenommen.« Sie schnipste mit den Fingern. »Hey, Duke, lass die arme Caroline mal ein bisschen atmen. Sei kein solches Trampeltier.«
Trampeltier? Was ist das? Sie riecht nun mal einmalig gut! Duke drehte den schweren Kopf in Christinas Richtung, und als er ihre Handbewegung sah, machte er gehorsam zwei weitere Schritte, diesmal rückwärts. Na gut, aber diesen Duft muss ich dringend später noch mal erforschen. Vielleicht hat diese Caroline irgendwo Leckerchen in den Taschen versteckt.
Nun stand Duke wieder direkt vor Henning und stieß seine Nase gegen dessen Knie. Nö, der Mann hier riecht nicht so lecker, aber trotzdem ganz angenehm, auch bei der zweiten Riechprobe. Er sieht auch irgendwie interessant aus. Ganz anders als mein Herrchen. Er scheint ziemlich groß zu sein und hat freundliche Augen. Und große, kräftige Hände. Die hatte mein Herrchen auch. Hm … Herrchen. Ich vermisse ihn so arg. Wann kommt er wohl wieder? Es dauert jetzt schon sooo lange. Viel länger als er gesagt hat.
Duke stieß unvermittelt ein heftiges Schnauben aus und ließ seinen Kopf auf Hennings Oberschenkel sinken.
»Nanu, was denn jetzt?« Verblüfft blickte Henning auf den Hund, dessen Kopf allein schon ein nicht unerhebliches Gewicht hatte.
Ich bin traurig, was denn sonst? Schnüff.
Dukes Kopf schien noch schwerer zu werden. Vorsichtig hob Henning die linke Hand und strich damit über Dukes breiten Schädel und den Nacken. Prompt wurde der Kopf noch schwerer.
Oh, gut, du tröstest mich. Das finde ich nett. Mach ruhig weiter; ich werde gerne gestreichelt. Ziemlich außerordentlich gerne sogar!
»Da hast du jetzt was angefangen.« Grinsend ließ Christina sich auf den Sessel ihm schräg gegenüber sinken. »Duke ist ein richtiger Schmusebär. Wenn du einmal anfängst, ihn zu streicheln, kann es passieren, dass er dir nicht mehr von der Seite weicht.«
»Ist schon in Ordnung.« Vorsichtig streichelte Henning weiter. Dukes Fell war kurz und sehr weich und glatt. Darunter aber spürte er die Kraft des großen Hundes. Nach einer Weile räusperte er sich. »Er hat also Angst vor der Dunkelheit? Wie soll man das verstehen?«
Christina wurde wieder ernst. »So, wie ich es gesagt habe. Duke ist das, was man mit flapsigen Worten einen Bangeschisser nennt. Der Fachausdruck wäre Angsthund, aber das wäre schon sehr übertrieben, denn so schlimm ist es auch wieder nicht. Er ist einfach von Natur aus ein bisschen ängstlich, vor allem bei neuen Erfahrungen. Das kann aber manchmal auch von Vorteil sein, weil er eben kein Draufgänger ist und immer erst mal zögert, beobachtet und abwartet, bevor er handelt.«
Puh, sie kennt mich aber gut! Ich bin wirklich von Natur aus so. Muss man aber nicht unbedingt breittreten, finde ich. Ich bin so, wie ich bin. Mein Herrchen hat das manchmal gestört. Deshalb hat er ja mit mir so viel geübt. Danach hatte ich dann vor vielen Sachen keine Angst mehr, vor anderen aber leider immer noch. Christina übt auch mit mir, aber natürlich noch nicht so lange, und hier ist sowieso alles anders, weil ich ja hier gar nicht zu Hause bin. Außerdem ist sie viel freundlicher, und bei ihr muss ich auch nicht dauernd bei Fuß gehen und in Handschuhe beißen.
»Ein Angsthund?« Aufmerksam blickte Henning auf den Rottweiler hinab, der sich schwer gegen ihn lehnte und ganz offensichtlich die Streicheleinheiten genoss. »Das kann man sich bei so einem großen Hund kaum vorstellen.«
»Wie gesagt, er reagiert nur in manchen Situationen ängstlich oder geht einfach rückwärts, wenn ihm etwas nicht geheuer ist. Der Körperbau eines Hundes lässt kaum auf dessen Seele schließen.« Christina hob die Schultern. »Ich bin schon mal sehr froh, dass er euch beide sofort zu mögen scheint. Sollte einer von euch Interesse daran haben, ihn zu übernehmen, müsst ihr allerdings so einiges über ihn wissen.«
»Wovor er Angst hat«, ergänzte Caroline.
»Vielmehr, wovor er sich erschrecken oder worauf er skeptisch reagieren könnte.« Christina grinste schief. »Das ist allerdings im Grunde einfach zu beantworten: vor allem, was neu für ihn, schnell oder laut ist.«
»Äh …« Henning runzelte die Stirn.