Oden und Balladen - Victor Hugo - E-Book

Oden und Balladen E-Book

Victor Hugo

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Beschreibung

Dieser Sammelband enthält einen großen Teil der Lyrik des französischen Autors, unter anderem auch die Sammlung "Die Orientalen". Hugo ist neben seiner Lyrik auch für seine historischen Romane weltberühmt.

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Oden und Balladen

Victor Hugo

Inhalt:

Victor Hugo – Biografie und Bibliografie

Oden und Balladen

Vorrede.

Oden.

Erstes Buch.

Der Dichter in Zeiten der Revolution.

Die Vendée.

Die Jungfrauen von Verdun.

Quiberon.

Ludwig der Siebenzehnte.

Die Wiederaufrichtung der Bildsäule Heinrichs IV.

Der Tod des Herzogs von Berry.

Die Geburt des Herzogs von Bordeaux.

Die Taufe des Herzogs von Bordeaux.

An die Muse.

Ein Gesicht.

Buonaparte

Zweites Buch.

Die Geschichte.

Die schwarze Bande.

An meinen Vater.

An Europa's Könige.

Die Freiheit

Der Krieg in Spanien.

An den Triumphbogen de l'Etoile.

Der Tod des Fräuleins von Sombreuil.

Das letzte Lied.

Drittes Buch.

An Alphons von L.

An Chateaubriand.

Das Leichenbegängniß Ludwig's XVIII.

Die Salbung Karls X.

An den Oberst G. A. Gustavson.

Die beiden Inseln.

An die Vendômesäule.

Ende.

Viertes Buch.

Der Dichter.

An Alph. von L.

Moses aus dem Nil.

Dritte Ode.

An die »Académie des Jeux floraux.«

An Chateaubriand.

Das Mädchen von Otaheiti.

An Ulrich Guttinger.

Die Seele.

Lied der Arena.

Lied des Circus.

Lied des Turniers.

Der Antichrist.

Epitaph

An Alfred de Vigny

Der Schmetterling.

An meinen Freund S. D.

Jehovah.

Fünftes Buch.

Erster Seufzer.

Schmerz.

An das Cherizy-Thal.

An Dich.

Die Fledermaus.

Die Wolke.

Der Alp.

Der Morgen.

Meine Kindheit.

An G.....y.

Landschaft.

Dir und wieder Dir.

Ihr Name.

Danksagung

An meine Freunde.

An den Schatten eines Kindes

An ein junges Mädchen.

An die Ruinen von Montfort-l'Amaury.

Die Reise.

Der Spaziergang.

An Ramon, Herzog von Bemav.

An Fräulein J. D. von Ch.

An die Gräfin A. H.

Sommerregen.

Träume.

Balladen.

Eine Fee.

Die Sylphe.

Die Großmutter.

An Crilby, den Kobold von Argyle.

Der Riese.

An J. F.

Die Schlacht.

An Louis Boulanger.

Höre mich, o Magdalene!

Einem Wanderer.

An Louis Boulanger.

Der Hexensabbath.

Die Fee und die Peri.

Die Orientalen.

Feuer vom Himmel.

Kanaris.

Die Köpfe des Serail.

Begeisterung

Navarin.

Kriegsruf des Mufti.

Des Pascha's Schmerz.

Piratenlied.

Die Gefangne.

Mondschein.

Der Schleier.

Die Favoritsultane.

Der Derwisch.

Das feste Schloß.

Türkischer Marsch.

Die verlorne Schlacht.

Die Schlucht.

Das Kind.

Sarah, die Badende.

Erwartung.

Lazzara.

Wunsch.

Die eroberte Stadt.

Lebewohl der arabischen Wirthin.

Fluch.

Die zerhackte Schlange.

Nurmahal, die Rothe.

Die Djinn's.

Sultan Achmet.

Maurische Romanze.

Granada.

Die Kornblumen.

Phantome.

An Louis Bonlanger.

Der zürnende Danubius.

Traum.

Ekstase.

Der Dichter an den Kalifen.

Bunaberdi.

November.

Oden und Balladen, V. Hugo

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849628406

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Victor Hugo – Biografie und Bibliografie

Victor Marie Hugo, berühmter franz. Dichter, geb. 26. Febr. 1802 in Besançon, gest. 22. Mai 1885 in Paris, war der Sohn eines Offiziers, Sigisbert H., der sich in der Folge zum General und Grafen des Kaiserreichs emporschwang, und der royalistisch gesinnten Tochter eines Reeders von Nantes, Sophie Trébuchet. Für die militärische Laufbahn bestimmt, begleitete er den Vater auf dessen wechselvollen Zügen nach Italien und Spanien. Seine erste Gedichtsammlung, die »Odes et ballades« (1822–26, 3 Bde.), die ihn noch als königstreuen Katholiken zeigt, läßt noch häufig die hergebrachten Muster erkennen, aber der hinreißende Schwung der Sprache, die Kühnheit der Bilder und die ungewohnte Behandlung des Verses verkündigen bereits den künftigen poetischen Revolutionär. Vom König Ludwig XVIII. mit einer Pension von 1000 (später 2000) Frank bedacht, verheiratete sich H. 1822 mit Adéle Foucher (vgl. »Victor H., lettres à la fiancée, 1820–1822«, Par. 1901) und ließ zunächst zwei Romane: »Han d'Islande« (1823) und »Bug Jargal« (1825), erscheinen, worin er sich schon entschlossener von der klassischen Richtung losriß und, wenn zunächst auch nur durch die Vorliebe für das Schauerliche, Mißgeformte und Ungeheure, das Signal zu der großen romantischen Bewegung gab. deren oberster Vertreter er in den nächsten 20 Jahren sein sollte. Weiterhin folgten: das die Verhältnisse eines Bühnenabends weit überschreitende Trauerspiel »Cromwell« (1827), in dessen Vorrede (diese hrsg. von Souriau, 1897) er zugleich sein damaliges ästhetisch-philosophisches Glaubensbekenntnis ablegte; die »Orientales« (1828), Gedichte, welche die Erhebung Griechenlands feiern u. den Zauber des Orients in farbenglühenden Strophen preisen; und die Dramen: »Marion de Lorme« (1829), die Verherrlichung einer durch Liebe rein gewaschenen und verklärten Kurtisane, und »Hernani«, das 1830 zur ersten Ausführung kam und zu einer offenen Schlacht zwischen den Klassizisten und Romantikern Veranlassung gab. Das Stück ist der eigentliche Prototyp des Hugoschen Drama s mit all seinen Gebrechen und Absonderlichkeiten, aber auch mit seinem über alle Bedenken hinwegreißenden Schwung der Sprache und seinen grellen, jedoch durch die Form geadelten Effekten. Mit wechselndem Erfolg lösten sich in den nächsten Jahren auf dramatischem Gebiet ab: »Le roi s'amuse« (1832), nach der ersten Vorstellung verboten; »Marie Tudor« und »Lucrèce Borgia« (1833); »Angelo« (1835); »Ruy Blas« (1838) u. die Trilogie »Les Burgraves« (1843), welch letztere dem Dichter eine so empfindliche Niederlage bereitete, daß er dem Theater für lange Zeit den Rücken kehrte. Fast nur »Hernani« und »Ruy Blas« haben sich auf der Bühne gehalten Von sonstigen Werken fallen noch in diese Periode: der Roman »Notre Dame de Paris« (1831), ein zuweilen absonderliches, aber farbenreiches Kulturgemälde des mittelalterlichen Paris; sodann »Le dernier jour d'un condamné« (1829), ein ergreifendes Plaidoyer gegen die Todesstrafe, dem sich »Claude Gueux« (1834) mit gleicher Tendenz anschloß; die »Feuilles d'automne« (1831), eine Sammlung von Gedichten, in denen die politische und sogar die revolutionäre Saite schon ziemlich vernehmlich anklingt; die »Etudes sur Mirabeau« (1834); die »Chants du crépuscule« (1835) mit dem berühmten Liederzyklus an die Vendômesäule (»A la colonne«); ferner: »Les voix intérieures« (1837); »Les rayons et les ombres« (1840) und »Le Rhin«, Reiseerinnerungen (1842, 2 Bde.). Viele seiner Liebeslieder sind an die schöne Schauspielerin Juliette Gauvain (Frau Drouet) gerichtet, deren Gesichtszüge in dem Standbilde der Straßburg auf dem Concordeplatz verewigt sind, und die H. in der Prinzeß Negroni (in »Lucrèce Borgia«) zu schildern suchte. Das Liebesverhältnis, das von Frau H. geduldet wurde, hat lange Jahre bestanden. Inzwischen war H. 1841 zum Mitgliede der französischen Akademie erwählt worden, und im April 1845 ernannte ihn Ludwig Philipp zum Pair von Frankreich. In politischer Hinsicht war er mehr und mehr zum Liberalismus übergegangen und stand eine Zeitlang den Bonapartisten nahe. Als Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung von 1848 nahm er trotzdem anfangs seinen Sitz auf der Rechten, bis er mit einem kühnen Satz ins Lager der äußersten Linken übertrat. Nach dem Staatsstreich vom 2. Dez. 1851 als einer der ersten proskribiert, zog sich H. mit seiner Familie nach der Insel Jersey, einige Zeit später nach Guernsey zurück und veröffentlichte von hier aus 1852 das Pamphlet »Napoléon le Petit« und 1853 die haßerfüllten Gedichte »Les Châtiments«. In der Verbannung nahm Hugos Lyrik vorwiegend philosophische Tendenzen an, denen er seitdem in zahlreichen, an Wert ungleichen Dichtungen Ausdruck gegeben hat. Dahin gehören: »Les Contemplations« (1856, 2 Bde.); »Chansons des rues et des bois« (1865); »La légende des siècles«, in tühnen, oft dunkeln Visionen alle Zeitalter und Formen der menschlichen Zivilisation umfassend (1859, zweite Serie 1877, letzte 1883); »Le Pape« (1878); »Religions et religion« (1879); »L'âne« (1880), sämtlich in den Jahren des Exils entstanden. Auf dem Felde des Romans kultivierte er um diese Zeit die sozialen Fragen in »Les Misérables« (1862, 10 Bde.), »Les travailleurs de la mer« (1866, 3 Bde.) und »L'homme qui rit« (1869, 4 Bde.). Außerdem entstand damals sein Buch »William Shakespeare« (1864). Gegen das Kaiserreich bis zuletzt unversöhnlich, kehrte er erst nach dessen Sturz 1870 nach Paris zurück, beschenkte die belagerte Stadt mit zwei Geschützen und wurde im Februar 1871 in die Nationalversammlung von Bordeaux gewählt, wo er gegen den Friedensschluß protestierte, jedoch bald darauf austrat. Bei einer zweiten Kandidatur 1872 in Paris unterlag er infolge seiner Sympathien für die Kommune, dagegen wurde er 1876 von den Vertretern der Hauptstadt in den Senat gewählt. Seit seiner Rückkehr publizierte er noch: »L'année terrible« (1872), voll von Rachedurst und den ausschweifendsten Zornergüssen gegen Napoleon III. und gegen die Deutschen; »Quatrevingt-treize«, einen in der Vendée spielenden Roman mit leider ganz falscher Lokalfarbe (1874); »Mes fils«, Gedenkblatt für seine früh verstorbenen Söhne (in Charles Hugos »Hommes de l'esprit«, 1874); »Actes et paroles, 1841–1876« (1875–76, 3 Bde.; deutsch, Berl. 1875–77, 3 Bde.); »L'histoire d'un crime«, die Geschichte des Staatsstreichs vom 2. Dez, nach persönlichen Erlebnissen erzählt (1877); »L'art d'être grand-père«, ein lyrisches Familienbild (1877), und »La pitié suprême«, ein Schlußplaidoyer für die Amnestie der Kommuneverbrecher (1879).

H. ist in den Augen der Franzosen ihr größter und universellster Dichter. Was ihn insbes. über die besten seiner Zeitgenossen erhebt, ist die bei Dichtern so seltene Eigenschaft: Kraft. Gewaltig ist er in der Schilderung menschlicher Leidenschaft wie großer Naturerscheinungen, in der Behandlung der nationalen Sprache, die er nachgerade verjüngt hat, wie in der Struktur des spröden französischen Verses, den er um ungeahnte Modulationen bereichert hat. Auf der andern Seite kann H. den Hang des Romanen zum Überschwenglichen, Schwülstigen und Betäubenden, zum grob materiellen Effekt nie verleugnen. Humor ward ihm kaum verliehen, und witzig ist er nie gewesen. So versinnlicht H. in seiner öffentlichen wie in seiner schriftstellerischen Laufbahn die vollkommenste Form des Franzosen des 19. Jahrhunderts. Nach seinem Tod erschienen: »Théâtreen liberté« (1886) und »La fin de Satan« (1886). Seit 1837 war H. Offizier der Ehrenlegion. Eine Gesamtausgabe seiner Werke (»Ne varietur«) erschien 1880–89 in 48,1889 ff. in 70 Bänden. In deutscher Übersetzung hat man von ihm: »Sämtliche Werke, übersetzt von mehreren« (3. Aufl., Stuttg. 1858–62, 21 Bde.); »Poetische Werke«, übersetzt von L. Seeger (unvollendet; das. 1860–62, 3 Bde.), und eine Auswahl von Hugos Gedichten, übersetzt von Freiligrath (Frankf. a. M 1815). In »Victor H., raconté par un témoin de sa vie« (1863) hat der Dichter seiner eignen Frau die Feder geführt. Sein Briefwechsel erschien in 2 Bänden: »Correspondance 1815–1835« (Par. 1896) und »Correspondance 1836–1882« (das. 1898).Vgl. außerdem Rivet, Victor H. chez lui (1878); P. de Saint-Victor, Victor H. (1885); Barbou, V. H. et son temps (1881; deutsch von Weber, Leipz. 1881); Asseline, V. H. intime (1885); Ulbach, La vie de V. H. (1886); Biré, V. H. avant 1830 (1883), V. H. après 1830 (1891, 2 Bde.) und V. H. après 1852 (1894; Biré ist Reaktionär und ein heftiger Gegner Hugos); E. Dupuy, V. H., l'homme et le poète (3. Aufl. 1898) und La jeunesse de V. H. (1902); Mabilleau, V. H. (3. Aufl. 1902); Renouvier, V. H., le poète (1893) und V. H., le philosophe (1900); Theys, Métrique de V. H. (Lüttich 1895); Claretie, V. H., souvenirs intimes (1902); P. Stapfer, V. H. et la grande poésie satirique (1901); »Victor H., leçons faites à l'École normale« (hrsg. von Brunelière, 1902, 2 Bde.); Glachaut, Essai critique sur le théàtre de V. H. (1902); »Legay, V. H., jugé par son siècle« (1902); T. Gautier, V. H. (1902); Lesclide, V. H. intime (1902); Dannehl, Victor H. (Berl. 1886); Martin Hartmann, Chronologische Auswahl der Gedichte Hugos (Leipz.1884) und Zeittafel zu Hugos Leben und Werken (Oppeln 1886); Möll, Entstehung der »Orientales« (Heidelb. 1901); Sleumer, Die Dramen V. Hugos (Berl. 1901); Barnett Smith, V. H., his life and works (Lond. 1885); Swinburne, A study of V. H. (das. 1886; Swinburne ist Hugos Hauptnachahmer in England); Nichol, V. H. (das. 1893); P. Ahlberg, V. H. och det nyare Frankrike (Stockh. 1879–80, 3 Bde.); Levin, V. H. (Kopenh. 1902, 2 Bde.).

Von Hugos Söhnen ist Charles (geb. 1826), der an der Seite seines Vaters publizistisch wirkte und auch einige jetzt vergessene Romane schrieb, 15. März 1871 in Bordeaux, der zweite, François (geb. 1828), Verfasser einer lobenswerten Übersetzung von Shakespeares sämtlichen Dramen und Sonetten, 25. Dez. 1873 in Paris gestorben. – Von seinen Töchtern starb Adele in einer Irrenanstalt; Leopoldine ertrank 1843 mit ihrem Gatten, einem Bruder des Schriftstellers Vacquerie, in der Seine. Die Witwe Charles Hugos hat sich 1877 mit dem Politiker Edouard Lockroy (s. d.) wieder verheiratet. Die Tochter Charles', Jeanne, die im »Art d'être grand-père« verherrlicht ist, ist mit dem Sohn A. Daudets vermählt.

Oden und Balladen

Vorrede.

Die Geschichte freut sich über Michel Ney, der aus einem Küferssohn Marschall von Frankreich, und über Murat, der aus einem Stallknecht König geworden ist. Die Dunkelheit ihres Ausgangspunkts gibt ihnen noch einen besondern Anspruch auf Achtung, und erhöht den Glanz des Ziels, das sie erreicht. Von allen Entwicklungen, die aus dem Schatten zum Lichte führen, ist die verdienstlichste und die schwierigste sicher die: wenn ein geborener Aristokrat und Royalist zum Demokraten wird.

Aus einem Schuppen in einen Palast aufsteigen, ist selten, und, wenn ihr wollt, schön. Aus dem Irrthum zur Wahrheit aufsteigen, ist seltener und schöner. Bei der ersten dieser beiden Erhebungen hat man bei jedem Schritt aufwärts Etwas gewonnen, sein Lebensglück, seinen Einfluß, seinen Reichthum vermehrt. Bei der zweiten Erhebung findet das gerade Gegentheil statt. Bei diesem herben Kampf gegen Vorurtheile, die man mit der Muttermilch eingesogen hat, bei der langsamen und mühevollen Erhebung vom Falschen zum Wahren, die aus dem Leben des einzelnen Menschen und aus der Entwicklung seines Selbstbewußtseins gewissermaßen ein verkleinertes Bild und Symbol des menschlichen Fortschritts überhaupt macht, hat man auf jeder Stufe, die man überschreitet, sein moralisches Wachsthum mit einem materiellen Opfer bezahlen, irgend ein Interesse im Stich lassen, irgend eine Eitelkeit ablegen, auf Güter und Ehren der Welt verzichten, sein Vermögen, seinen Herd, sein Leben aufs Spiel setzen müssen. Hat man diese Arbeit vollbracht, so mag man mit einigem Stolz darauf zurückblicken. Und wenn es wahr ist, daß Murat mit Stolz seine Postillonspeitsche neben seinem Scepter zeigen und sprechen konnte: »damit hab' ich angefangen,« so wird man mit noch begründeterem Stolze und mit besserem Gewissen seine royalistischen Oden aus der Kindheit und Jugend neben den demokratischen Gedichten und Büchern des reifen Mannes zeigen dürfen. Dieser Stolz ist, sollt' ich meinen, erlaubt, zumal wenn man, oben auf der Leiter des Lichts angelangt, die Proscription gefunden hat, und in der Lage ist, diese Vorrede aus dem Exil zu datiren. Jersey, Juli, 1853.

V. H.

#############

1822.

Die erste Auflage dieser Oden (Juni 1822) war von folgenden Betrachtungen eingeleitet:

»Die Veröffentlichung dieses Buchs hat einen doppelten Zweck, einen literarischen und einen politischen. Der letztere ist jedoch nach des Dichters Dafürhalten nur eine Consequenz des ersten. Denn die Geschichte der Menschheit zeigt uns keine Poesie, die nicht von der Höhe monarchischer Ideen und religiöser Glaubensansichten herab ihr Urtheil empfinge.

Man könnte in der Anordnung dieser Oden eine gewisse Eintheilung bemerken; methodisch durchgeführt ist sie nicht. Der Verfasser war der Ansicht, die Bewegungen einer Seele seien nicht minder fruchtbar für die Poesie, als die Revolutionen in einem Reiche.

Das Gebiet der Poesie kennt übrigens keine Grenzen. Hinter der realen Welt lebt eine ideale Welt, die in ihrem vollen Glanze vor das Auge derjenigen tritt, welche sich durch ernstes Nachdenken daran gewöhnt haben, in den Dingen mehr zu sehen, als nur die Dinge. Die schönen Werke der Dichtkunst jeder Gattung, sei es in gebundener oder ungebundener Form, welche der Ruhm unseres Jahrhunderts sind, haben eine früher kaum geahnte Wahrheit enthüllt, daß die Poesie nicht in der Form der Idee, sondern in den Ideen selbst besteht. Die Poesie ist der innerste Kern aller Dinge.«

Es ist dem Dichter heute vielleicht gestattet, diesen wenigen Linien noch einige weitere Bemerkungen über den Gedanken beizufügen, der ihn bei der Composition dieser Oden geleitet hat.

Er ging von der Ueberzeugung aus, jeder Schriftsteller, in welcher Sphäre sein Geist sich bewegen mag, müsse sich zur Hauptaufgabe machen, Gutes zu stiften. Er hoffte, seine ehrenhafte Absicht werde ihm Verzeihung für das Gewagte dieser Versuche auswirken. Und so hat er es denn unternommen, einige der Haupterinnerungen unserer Epoche zu feiern, welche für die künftige Gesellschaft eine große Lehre sein können. Zur Verherrlichung seiner Ereignisse hat er die Form der Ode gewählt, weil dies die Form war, in welcher vor Zeiten die Eingebungen der ersten Dichter den ersten Völkern erschienen sind. Die französische Ode indessen, die man im Allgemeinen der Kälte und Eintönigkeit beschuldigt, schien nicht sehr geeignet zur Darstellung des Rührenden und Schrecklichen, des Düstern und Glänzenden, des Ungeheuren und Wunderbaren, was die letzten 30 Jahre unserer Geschichte bieten. Beim Nachdenken über dieses Hinderniß glaubte der Verfasser dieser Sammlung entdeckt zu haben, daß der Grund dieser Kälte nicht im Wesen der Ode, sondern allein in der Form liege, welche ihr die lyrischen Dichter bis jetzt gegeben haben. Die Ursache dieser Monotonie fand er im Mißbrauch der Apostrophen, der Ausrufungen, der Prosopopöen und anderer gewaltsamer rhetorischer Figuren, mit denen man in der Ode förmlich verschwenderisch umging: Erwärmungsmittel, die allzuhäufig angewandt, erkältend wirken, und statt zu ergreifen, betäuben. So dachte er denn, wenn er die Bewegung der Ode mehr in die Ideen, als in die Worte legte, wenn er überdieß die Composition auf irgend einer, dem Gegenstand entsprechenden Grundidee aufbaute, deren Entwicklung sich in allen ihren Theilen auf die Entwicklung des Ereignisses stützte, das in der Ode so erzählt werden müßte, daß an die Stelle der verbrauchten und falschen Farben, der heidnischen Mythologie, die neuen und wahren Farben der christlichen Theogonie gesetzt würden – unter diesen Bedingungen, dachte er, könnte man der Ode etwas vom Interesse des Drama's geben und sie überdies jene ernste tröstende religiöse Sprache sprechen lassen, deren eine alte Gesellschaft bedarf, die noch ganz taumelnd von den Saturnalien des Atheismus und der Anarchie herkommt.

Dies ist es, was der Verfasser dieses Buchs wenigstens versucht hat, ohne daß er sich übrigens schmeichelt, daß es ihm gelungen sei. Dies ist es aber auch, was er bei der ersten Auflage seiner Sammlung noch nicht sagen konnte, aus Besorgnis, die Darlegung seiner Überzeugungen möchte als Vertheidigung seiner Werke erscheinen. Heute, wo seine Oden die gefährliche Probe der Öffentlichkeit bestanden haben, kann er dem Leser die Idee mittheilen, die ihn zu derselben begeistert hat, und die er zu seiner Freude, wo nicht gebilligt, doch theilweise wenigstens begriffen gesehen hat. Vor Allem aber hat er noch den Wunsch auszusprechen, man möge ihm nicht die Anmaßung zuschreiben, als wollte er Bahn brechen und eine neue Gattung schaffen.

Die so eben ausgesprochenen Gedanken gelten größtentheils und vorzugsweise von den historischen Stoffen, die in dieser Sammlung behandelt sind. Aber der Leser wird auch ohne weitere Hindeutungen finden, daß die übrigen Bemerkungen auf dieselbe literarische Tendenz und ein ähnliches System der Composition hinauslaufen.

Der Verfasser bricht hier diese einleitenden Betrachtungen ab, deren nähere Entwicklung einen ganzen Band erfordern, und der man doch vielleicht keine Aufmerksamkeit schenken würde. Man muß immer sprechen, als würde man gehört, schreiben, als würde man gelesen, und denken, als würde man begriffen.

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1842.

Der Dichter dieser Oden bringt hier neue Belege für oder wider das von ihm bereits angedeutete System der lyrischen Composition. Wenn er sie hiemit der Prüfung der Männer von Geschmack übergibt, so geschieht dies nicht ohne den höchsten Grad von Mißtrauen gegen sich selbst. Denn wenn er auch fest an die Theorien glaubt, welche für ihn die Früchte gewissenhafter Studien und anhaltenden Nachdenkens sind, so hat er auf der andern Seite doch sehr wenig Glauben an sein Talent. Er ersucht somit erleuchtete Kritiker, das Urtheil, das sie ohne Zweifel mit guten Gründen gegen seine poetischen Versuche fallen werden, nicht auch auf seine literarischen Doktrinen ausdehnen zu wollen. Ist Aristoteles nicht unschuldig an den Tragödien des Abbé d'Aubignac?

Der Dichter hat übrigens trotz seiner Unberühmtheit bereits den Schmerz gehabt, seine literarischen Principien, die er für untadelhaft hielt, verleumdet oder wenigstens mißdeutet zu sehen. Das ist der Grund, der ihn heute bestimmt, dieser neuen Veröffentlichung durch eine einfache und aufrichtige Erklärung einen gewissen Halt zu geben, eine Erklärung, die ihn vor jedem Verdacht der Ketzerei in dem Streite, der das literarische Publikum in zwei Lager theilt, vollständig sicher stellen soll. Es gibt zur Zeit in der Literatur wie im Staate zwei Parteien und der poetische Krieg scheint mit eben so großer Hartnäckigkeit und Leidenschaft geführt zu werden, wie der sociale Krieg, Die beiden Heere scheinen ungeduldig und mehr darauf aus, sich zu schlagen, als zu unterhandeln. Sie haben sich einmal in den Kopf gesetzt, eine und dieselbe Sprache nicht reden zu wollen. Die einzigen Worte, die sie sprechen, sind: nach innen das Losungswort, nach außen das Kriegsgeschrei. Das ist der Weg nicht, um sich zu verständigen.

Indessen haben sich doch mitten unter den Schreiern der beiden Heere auch einige Stimmen von Gewicht erhoben.

Vermittler haben sich mit verständigen Worten zwischen beide Schlachtlinien gestellt. Sie werden vielleicht die ersten sein, die als Opfer fallen; doch was liegt daran? Ihren Reihen möchte der Verfasser dieses Buchs gerne beigezählt werden, sollte er sich auch dort beschämt fühlen müssen. Er wird, wenn nicht mit derselben Autorität, so doch in demselben guten Glauben seine Ansichten verfechten. Er ist dabei auf die seltsamsten Beschuldigungen, auf die wunderlichsten Anklagen gefaßt. Bei der herrschenden Verwirrung der Geister ist die Gefahr des Sprechens noch größer, als die des Schweigens. Aber wenn es sich darum handelt, zu belehren und belehrt zu werden, so darf man nur nach der Pflicht und nicht nach der Gefahr fragen, er ergibt sich also in sein Schicksal. Ohne Bedenken wird er die gefürchtetsten Fragen in Angriff nehmen; und, wie der kleine Knabe von Theben, wird er sich unterstehen, die Löwenhaut zu schütteln.

Um nun gleich von vorn herein dieser unparteiischen Erörterung, in der er mehr Aufklärung sucht, als mitzutheilen hat, einige Würde zu geben, so erklärt er, daß er alle die hergebrachten Kunstwörter, welche sich die Parteien gegenseitig wie hohle Bälle zuwerfen, diese Zeichen, die nichts bezeichnen, diese Ausdrücke ohne allen Ausdruck, daß er all die vagen Worte verwirft, mit denen ein Jeder den Begriff verbindet, der seinem Haß oder seinen Vorurtheilen zusagt und welche als Gründe denjenigen dienen müssen, die überhaupt keine Gründe haben. In der Frage über die » klassische « und die » romantische Schule « gesteht er seine vollständige Unwissenheit. Nach der Meinung einer geistreichen Frau, die zuerst in Frankreich das Wort » romantische Literatur « ausgesprochen hat, würde diese Unterscheidung sich auf die beiden Hauptweltalter beziehen: dasjenige, welches der Stiftung des Christenthums vorangegangen und dasjenige, welches ihr nachgefolgt ist. Würde man diese Erklärung buchstäblich verstehen, so wäre das » verlorene Paradies « eine klassische Dichtung, und die Henriade wäre ein romantisches Werk, doch scheinen diese beiden von Frau von Staël eingeführten Worte heutzutage in diesem Sinne nicht genommen zu werden.

Wie in allen Stücken, so existirt auch in der Literatur nur das Gute und das Schlechte, das Schöne und das Häßliche, das Wahre und das Falsche. Nun ist aber – ohne hier Vergleichungen aufstellen zu wollen, welche nähere Erläuterungen und Beschränkungen erfordern würden – das Schöne– im weitesten Sinne des Worts – bei Shakspeare ganz eben so klassisch (wenn klassisch so viel ist als werth, studirt zu werden), als das Schöne bei Racine; und das Falsche bei Voltaire ist ganz eben so romantisch (wenn romantisch so viel ist wie schlecht), als das Falsche bei Calderon . Das sind natürliche Wahrheiten, die eher Pleonasmen als Axiomen gleichen. Allein man muß oft sehr tief herabsteigen, um den Eigensinn zu überzeugen und die Böswilligkeit außer Fassung zu bringen.

Man wird hier vielleicht die Einwendung machen: die beiden Parteilosungsworte haben ja ohnedies seit einiger Zeit die Bedeutung verändert und gewisse Kritiker seien übereingekommen, von nun an den Ehrennamen klassisch jedem geistigen Erzeugnis zu ertheilen, das in eine der unserigen vorangegangene Epoche fällt, während sie für romantisch speciell nur diejenige Literatur erklären, welche mit dem neunzehnten Jahrhundert heranwächst und sich entfaltet. Ehe wir nun untersuchen, in wie fern diese Literatur unserem Jahrhundert eigenthümlich ist, entsteht die Frage, wodurch sie diese exceptionelle Bezeichnung verdient oder sich zugezogen haben kann. Jede Literatur nimmt anerkanntermaßen mehr oder weniger scharf das Gepräge des Himmels, der Sitten und der Geschichte des Volkes an, dessen Lebensäußerung sie ist. Es gibt daher eben so viele verschiedene Literaturen, als es verschiedene Gesellschaften gibt. David, Homer, Virgil, Tasso, Milton und Corneille, Männer, deren jeder Einzelne eine Poesie und eine Nation repräsentirt, haben nichts mit einander gemein, als das Genie. Jeder von ihnen hat in seinem Lande und zu seiner Zeit den öffentlichen Gedanken ausgesprochen und befruchtet. Jeder von ihnen hat für seine sociale Sphäre eine Welt von Ideen und Empfindungen geschaffen, wie sie der Bewegung und der Ausdehnung dieser Sphäre entsprach. Warum soll man also unter einer vagen Gesammtbezeichnung Schöpfungen zusammen fassen, die zwar alle von einer Seele, der Wahrheit, belebt, aber in ihren Formen, Elementen und Gattungscharakteren dennoch sich unähnlich und oft im Widerspruch mit einander sind? Wie kommt man ferner zu gleicher Zeit zu dem auffallenden Widerspruch, einer andern Literatur – wiederum ein unvollkommener Ausdruck für eine noch nicht vollendete Epoche – die Ehre oder den Schimpf einer ebenso vagen, als exclusiven Bezeichnung anzuthun, die sie von den ihr vorangegangenen Literaturen abscheidet? – Als könnte sie gar nicht gewogen werden, außer in der andern Schale der Wage. Als könnte sie nur auf der Rückseite des Buchs geschrieben fein. Warum nennt ihr sie romantisch? Habt ihr in ihr etwa deutliche und innige Beziehungen zu der romantischen oder romanischen Sprache entdeckt? Nun dann erklärt euch, prüfen wir den Werth dieser Behauptung. Beweist zuerst, daß sie begründet ist. Ihr werdet dann immer noch zu beweisen haben, daß sie nicht bedeutungslos ist.

Man hütet sich heut zu Tage wohl, sich in dieser Beziehung in eine Discussion einzulassen, bei der nichts als ein ridiculusmus herauskommen könnte. Man will das Wort romantisch in einem vagen phantastischen Halbdunkel lassen, das den Schauer, den es einflößt, noch verdoppelt. Auch lassen sich wirklich alle Bannstrahlen, die gegen berühmte Schriftsteller und Dichter der Gegenwart geschleudert worden sind und werden, auf folgende Argumentation zurückführen: – »Wir verdammen die Literatur des neunzehnten Jahrhunderts, weil sie romantisch ist.« – Und warum ist sie romantisch? – »Weil sie die Literatur des neunzehnten Jahrhunderts ist.« –

Man wagt es hier nach reiflicher Ueberlegung zu behaupten, daß die Logik eines solchen Räsonnements denn doch nicht absolut unwiderleglich erscheint.

Verlassen wir diesen Wortstreit, der nur für oberflächliche Köpfe Interesse haben kann, deren lächerliches Geschäft er ist. Lassen wir ruhig Rhetoren und Pädagogen in ernster Procession Wasser in das leere Faß tragen. Wünschen wir all den armen, luftschnappenden Sisiphussen, die ohne Ruh und Rast ihren Stein den Hügel hinauf rollen, guten langen Athem.

Palus inamabilis unda Alligat, et novies Styx interfusa coërcet.

Halten wir uns statt der Worte an die Sachen: denn der frivole Hader der Romantiker und der Classiker ist im Grunde nur die Parodie einer wichtigen Diskussion, die in diesem Augenblicke denkende Köpfe und ernste Seelen beschäftigt. Gehen wir von der Batrachomyomachie zur Iliasüber. Hier können sich die Gegner doch zu verständigen hoffen, denn sie sind sich ebenbürtig. Zwischen Ratten und Fröschen besteht eine absolute Unverträglichkeit, während zwischen Achill und Hektor das innige Wechselverhältniß des Adels und der Größe stattfindet.

Offenbar arbeitet eine große, tiefe Bewegung im Inneren der Literatur dieses Jahrhunderts. Es gibt ausgezeichnete Männer, die darüber erstaunt sind, und doch ist an der ganzen Sache lediglich nichts erstaunlicher, als eben ihre Ueberraschung. In der That, wenn nach einer politischen Revolution, welche die Gesellschaft in all ihren Gipfeln und in all ihren Wurzeln erschüttert, welche an jeden Ruhm und an jede Ehrlosigkeit die Hand gelegt, welche Alles gespalten und Alles mit einander vermischt hatte, so sehr, daß sie das Blutgerüst im Schatten des Lagerzeltes aufschlug und das Beil unter den Schutz des Schwertes stellte; wenn, sage ich, nach einer so furchtbaren Aufregung, die keine Falte des menschlichen Herzens unbewegt, nichts in der menschlichen Ordnung der Dinge an seiner Stelle gelassen hat; wenn nach einem so wunderbaren Ereigniß im Geist und Charakter eines Volkes keine Aenderung zu Tage träte, hätte man nicht eben dann alle Ursache zu staunen, und zu staunen ohne Maß und Ziel? ... Hier tritt uns ein scheinbarer und von Männern von Talent und Ansehen mit achtungswerther Ueberzeugung entwickelter Einwurf entgegen: gerade deßwegen, sagen sie, weil diese literarische Revolution das Resultat unserer politischen Revolution ist, beklagen wir ihren Triumph, verdammen wir ihre Werke.

Diese Folgerung scheint mir nicht richtig. Die Literatur der Gegenwart kann theilweise das Resultat der Revolution sein, ohne daß sie deßhalb der Ausdruck derselben wäre. Die Gesellschaft, aus der die Revolution hervorgegangen war, hatte ihre Literatur, häßlich und abgeschmackt wie sie selbst. Diese Literatur und diese Gesellschaft sind zusammen gestorben und werden nicht wieder aufleben. In den Institutionen kehrt in jeder Beziehung die Ordnung zurück; sie kehrt auch im Reich der Wissenschaften zurück. Die Religion heiligt die Freiheit: wir haben Bürger. Der Glaube reinigt die Phantasie: wir haben Dichter. Ueberall kehrt die Wahrheit zurück, in den Sitten, in den Gesetzen, in den Künsten. Die neue Literatur ist wahr, mag sie das Resultat der Revolution sein, was liegt daran? Ist die Ernte darum weniger schön, weil sie auf einem Vulkan gereift ist? Welche Beziehung findet ihr zwischen der Lava, die euer Haus verzehrt hat, und dem Getreidekorn, das euch ernährt?

Die größten Dichter der Welt sind nach großen öffentlichen Calamitäten gekommen. Ohne der heiligen Sänger zu gedenken, deren Begeisterung immer von vergangenem oder künftigem Unglück ausgeht, so sehen wir Homer erscheinen nach dem Fall von Troja und den Katastrophen von Argos; Virgil nach der Zeit des Triumvirats. In den Kampf zwischen die Guelfen und Ghibellinen hineingeworfen, war Dante erst Verbannter gewesen, ehe er Dichter wurde. Milton träumte seinen Satan neben Cromwell . Die Ermordung Heinrichs IV. ging dem Corneille voran. Racine, Molière, Boileau hatten noch an den Stürmen der Fronde Theil genommen. Nach der französischen Revolution erhebt sich Chateaubriand, und das Verhältnis ist gewahrt.

Wir brauchen uns über diese merkwürdige Verkettung zwischen den großen Epochen der Politik und den schönen Epochen der Literatur nicht zu verwundern. In dem düstern ehrfurchtgebietenden Gang der Ereignisse, durch welche die höhere Macht sich den Mächten hienieden kund gibt, in der ewigen Einheit ihrer Ursache, in dem feierlichen Einklang ihrer Wirkungen liegt etwas, was die Seele tief erschüttert. Was es Edles und Unsterbliches im Menschen gibt, das erwacht plötzlich beim Klang aller dieser wunderbaren Stimmen, welche Gott verkündigen. Lange hört der Geist der Völker in andächtigem Schweigen von Katastrophe zu Katastrophe das geheimnißvolle Wort widerhallen, welches Zeugniß gibt in der Finsterniß.

Admonet et magna testatur voce per umbras.

Einige auserwählte Seelen erbauen und stärken sich an diesem Wort. Donnert es nicht mehr in die Ereignisse hinein, so blitzt es doch aus der Begeisterung hervor, die es erweckt. Denn dies ist der Weg, wie himmlische Lehren sich durch Gesänge fortpflanzen. Das ist die Sendung des Genies. Seine Auserwählten sind die Wächter, die der Herr auf die Thürme zu Jerusalem gestellet hat, und die nicht schweigen sollen, weder bei Tag noch bei Nacht.

Die gegenwärtige Literatur, wie sie Chateaubriand, die Staël und Lamennais geschaffen haben, gehört also der Revolution nicht an. Wie die sophistischen und zügellosen Schriften von Voltaire, Diderot und Helvetius der anticipirte Ausdruck der socialen Neuerungen waren, welche auf dem abgelebten Boden des letzten Jahrhunderts sich entwickelten, ebenso ist die Literatur der Gegenwart, die man, auf der einen Seite mit so viel Instinkt, auf der andern mit so wenig Scharfsinn angreift, der zum voraus schon gegebene Ausdruck der religiösen und monarchischen Gesellschaft, die ohne Zweifel aus dem Schutt von so viel alten Trümmern und so viel neuen Ruinen hervorgehen wird. Man muß es immer und immer wieder sagen: es ist nicht das Bedürfniß nach Neuigkeiten, das die Geister quält, sondern das Bedürfniß nach Wahrheit, und dieses ist unermeßlich.

Dieses Bedürfniß nach Wahrheit zu befriedigen, ist die Absicht der meisten hervorragenden Schriftsteller unserer Zeit. Der Geschmack, – die Autorität in der Literatur, – hat ihnen die Lehre gegeben: daß ihre Werke wahr ihrem Inhalt nach, wahr aber auch in der Form sein müssen. Und in dieser Beziehung haben sie die Poesie einen Schritt vorwärts gebracht. Die Schriftsteller anderer Völker und anderer Zeiten, selbst die bewundernswürdigen Dichter des »großen Jahrhunderts« haben in der Ausführung nur zu oft das Princip der Wahrheit vergessen, von dem sie bei der Composition ausgegangen waren. In ihren schönsten Partien begegnet man häufig Einzelheiten, die sich auf Sitten, Religionen oder Epochen beziehen, die dem Stoffe selbst nur zu fremd sind. Die Uhr, die, zur großen Erheiterung Voltaire's, dem Shakespeare 'schen Brutus die Stunde zeigt, in welcher er Cäsar tödten soll, diese Uhr, die demnach lange vor den Uhrmachern existirt hat, – wir finden sie wieder mitten in einer glänzenden Schilderung der mythologischen Götter, wo Boileau sie dem Saturn in die Hand gibt. Die Kanone, womit Calderon die Soldaten des Heraclius und Milton die Erzengel der Finsterniß ausrüstet, wird in der » Ode auf Namur « abgefeuert durch » zehntausend starke Alciden,« welche dadurch » die Wälle in die Höhe springen « lassen. In der That, wenn der Gesetzgeber auf dem Parnaß die Alciden Kanonen schießen läßt, so kann der Satan Miltons diese anachronistische Kriegführung mit Fug und Recht für ehrlichen Krieg erklären. Wenn in einem noch etwas barbarischen Zeitalter der Literatur ein Pater Lemoyne, – der Verfasser eines Gedichts auf den heiligen Ludwig , – die sicilische Vesper durch die Hörner der schwarzen Eumeniden anblasen läßt, so zeigt uns dafür ein aufgeklärtes Jahrhundert den Odendichter J. B. Rousseau, wie er (in seiner Ode an den Grafen de Luc, deren lyrische Bewegung sehr bemerkenswerth ist) einen treuen Propheten bis zu den Göttern sendet, um das Schicksal zu befragen . Und wenn wir die Nereiden sehr lächerlich finden, mit welchen Camoëns die Gefährten de Gama's umlagert, so wünschte man in dem berühmten » Rheinübergang « von Boileau ebenfalls andere Dinge zu sehen, als »schüchterne Najaden,« die fliehen vor Louis, von Gottes Gnaden König von Frankreich und Navarra, gefolgt von seinen Feldmarschällen und Armeen.

Derlei Nationen ließen sich ins Unendliche verlängern; aber es scheint nutzlos, noch weitere zu geben. Wenn solche Versündigungen an der Wahrheit selbst bei unsern besten Schriftstellern häufig vorkommen, so muß man sich hüten, ihnen ein Verbrechen daraus zu machen. Ohne Zweifel hätten sie sich darauf beschränken können, die reinen Formen der griechischen Gottheiten zu studiren, ohne ihnen ihre heidnischen Attribute abzuborgen. Als man in Rom einen Jupiter Olympius in einen Sankt Peter verwandeln wollte, begann man doch wenigstens damit, dem Gebieter des Donners den Adler unter seinen Füßen wegzunehmen. Betrachtet man aber die unermeßlichen Verdienste, welche sich unsere ersten großen Dichter um Sprache und Literatur erworben haben, so beugt man sich gerne vor ihrem Genius und fühlt nicht die Kraft in sich, ihnen Geschmacklosigkeit vorzuwerfen. Es ist dies gewiß ein höchst bedauerlicher Mangel gewesen, weil er in Frankreich ein falsches Genre, das scholastische Genre, eingeführt hat, das sich zum klassischen ebenso verhält, wie Aberglauben und Fanatismus zur Religion, und das heutzutage nur noch durch die ehrenwerthe Autorität berühmter Meister, bei denen es unglücklicher Weise Vorbilder findet, den Triumph der wahren Poesie aufhalten kann. Wir haben oben einige, unter sich ganz gleiche, Beispiele von diesem falschen Geschmack mitgetheilt, die wir bei den entgegengesetztesten Schriftstellern zugleich gesammelt haben, bei Solchen, die von den Scholastikern Klassiker genannt, und bei Solchen, die von ihnen unter die Romantiker gerechnet werden. Wir glauben dadurch gezeigt zu haben, daß wenn Calderon aus allzu großer Unwissenheit hat sündigen können, Boileau durch allzu große Gelehrsamkeit zu Fall kommen konnte, und daß man beim Studium der Schriften Boileau's die Sprachregeln des Kritikers gewissenhaft befolgen, vor der Nachahmung der falschen Farben aber, deren sich der Dichter zuweilen bedient, sich sorgfältig hüten muß.

Bemerken wir auch das noch im Vorbeigehen: wenn die Literatur des großen Jahrhunderts des großen Ludwig das Christenthum angerufen hätte, anstatt die heidnischen Götter anzubeten; wenn diese Dichter den Dichtern der ältesten Zeit geglichen hätten, wenn sie Priester gewesen wären, welche ihre Religion, ihre Heimath und deren Größe besungen haben, den sophistischen Doktrinen des letzten Jahrhunderts wäre der Triumph ungleich schwerer geworden, vielleicht unmöglich. Bei den ersten Angriffen der Neuerer hätten Religion und Moral in das Heiligthum der Literatur, in den Schutz so vieler großen Männer sich geflüchtet. Der Geschmack der Nation, der daran gewöhnt ist, die Ideen der Religion und der Poesie nicht zu trennen, hätte jeden Versuch irreligiöser Poesie zurückgestoßen, und diese Monstrosität als eine ebenso wohl literarische als sociale Tempelschändung gebrandmarkt.

Wer kann berechnen, wohin die Philosophie gelangt wäre, wenn die Sache Gottes, durch die Tugend vergeblich vertheidigt, einen Fürsprecher an dem Genius gefunden hätte? ... Aber Frankreich hat dieses Glück nicht gehabt: seine nationalen Dichter waren fast lauter heidnische Dichter, und unsere Literatur war vielmehr der Ausdruck einer idololatrischen und demokratischen Gesellschaft, als einer christlichen und monarchischen. Auch kamen die Philosophen in weniger als einem Jahrhundert dahin, eine Religion, die in den Geistern nicht war, auch aus den Herzen zu vertreiben.

Das Unheil, das die Sophisten angerichtet, wieder gut zu machen, dies ist die Hauptaufgabe, die sich ein Dichter heutigen Tages stellen muß. Er muß wie eine Feuersäule vor den Völkern hergehen und ihnen den Weg zeigen. Er muß sie zurückführen zu den großen Grundsätzen der Ordnung, der Sittlichkeit und der Ehre, und damit sein Einfluß ihnen angenehm sei, müssen alle Fibern des menschlichen Herzens unter seinen Fingern zittern wie die Saiten einer Leier. Er wird nie der Wiederhall irgend eines Wortes sein, es sei denn das Wort Gottes, er wird sich immer an das erinnern, was seine Vorgänger nur zu oft vergessen haben, daß auch er eine Religion und ein Vaterland hat. Seine Gesänge werden nicht müde werden, die Heldenthaten und die Unglücksfälle seines Landes, den strengen Ernst und die heiligen Entzückungen seines Kultus zu feiern, damit seine Vorfahren und seine Zeitgenossen einigen Gewinn von seinem Genie und von seinem Herzen haben, und damit in der Zukunft andere Völker nicht von ihm sagen mögen: »Der sang in einem barbarischen Lande.«

In qua scribebat, barbara terra fuit. Februar 1824.

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1826

Von Anfang an glaubte der Verfasser dieser lyrischen Dichtungen die verschiedenen Arten derselben durch eine scharf gezogene Eintheilung von einander trennen zu müssen.

Auch jetzt noch begreift er unter dem Titel: Oden jede rein religiöse Eingebung, jede rein antike Studie, jede Bearbeitung eines gleichzeitigen Ereignisses oder persönlicher Eindrücke. Die Dichtungen, die er Balladen betitelt, sind ganz andern Charakters. Es sind Skizzen einer launenhaften Gattung:

Gemälde, Träume, Scenen, Erzählungen, abergläubische Legenden und Volkssagen. Er machte mit diesen Dichtungen den Versuch, eine Idee von dem zu geben, was die Gedichte der ersten Troubadours des Mittelalters sein mochten, jener christlichen Rhapsoden, die nichts auf der Welt besaßen, als ihr Schwert und ihre Laute, von Schloß zu Schloß wanderten und die Gastfreundschaft mit ihren Gesängen vergalten.

Wenn der Ausdruck nicht zu anmaßend klänge, so würde der Dichter, um seine Gedanken zu ergänzen, sagen: er habe in die Oden mehr von seiner Seele, in die Balladen mehr von seiner Phantasie hinein gelegt.

Im Uebrigen legt er auf diese Classifikationen nicht mehr Werth als sie verdienen. Viele Leute, deren Ansicht Gewicht hat, haben behauptet, seine Oden seien gar keine Oden. Gut. Viele Anderen werden ohne Zweifel, und zwar mit ebenso viel Grund behaupten: seine Balladen seien gar keine Balladen. Auch gut. Gebe man ihnen irgend welchen andern Titel, wie er auch lauten mag, der Verfasser unterschreibt ihn zum voraus.

Bei dieser Gelegenheit wird derselbe, jedoch mit gänzlicher Beiseitlassung seiner eigenen so unvollkommenen und unvollständigen Werke, so kühn sein, einige gewagte Bemerkungen zu machen.

Man hört jeden Tag, wenn von literarischen Erzeugnissen die Rede ist, von der Würde dieser Gattung, von den conventionellen Regeln jener, von den Grenzen dieser, von den Licenzen jener Gattung sprechen: die Tragödie verbietet, was der Roman erlaubt; das Lied duldet, was die Ode untersagt u. s. w. Der Verfasser hat das Unglück, von alle dem nichts zu verstehen; er sucht darin Sachen und findet nur Worte; ihm scheint das, was wirklich schön und wahr ist, überall schön und wahr zu sein; was in einem Roman dramatisch ist, ist auch auf der Bühne dramatisch, was in einem Couplet lyrisch ist, wird auch in einer Strophe lyrisch sein; und endlich und immer wird es nur eine richtige Unterscheidung bei geistigen Erzeugnissen geben, und die ist: gut oder schlecht. Der Gedanke ist ein jungfräulicher fruchtbarer Boden, dessen Erzeugnisse frei wachsen wollen, so zu sagen aufs Gerathewohl, ohne sich einreihen und in den Rabatten in gerader Linie aufstellen zu lassen, wie die Blumen in einem klassischen Garten von Lenôtre oder wie die Blumen der Sprache in einem Compendium der Rhetorik.

Man darf indeß nicht glauben, diese Freiheit führe zur Unordnung; gerade das Gegentheil. Entwickeln wir unsere Idee. Man vergleiche einen Augenblick den königlichen Garten von Versailles, schön geebnet, schön beschnitten, schön gekehrt, schön zugestutzt, schön mit Sand bestreut, voll von kleinen Kaskaden, kleinen Bassins, kleinen Bosquets, von Tritonen aus Bronze, welche höchst ceremoniell auf Oceanen sich tummeln, die man um schweres Geld aus der Seine gepumpt hat, von marmornen Faunen, welche Dryaden den Hof machen, die allegorisch eingeschlossen sind in einer Menge konischer Taxus-, cylindrischer Lorbeer-, sphärischer Orangen-, elliptischer Myrthen und anderer Bäume, deren natürliche Gestalt, ohne Zweifel, weil sie zu trivial erschien, durch die Scheere des Gärtners graziös corrigirt wurde; man vergleiche diesen vielgerühmten Garten mit einem Urwald der neuen Welt, mit seinen Riesenbäumen, seinen hohen Gräsern, seiner unergründlichen Vegetation, mit seinen tausendfarbigen Vögeln, seinen weiten Laubhallen, wo Schatten und Licht nur auf grünem Grunde spielen, mit seinen wilden Harmonien, seinen großen Flüssen, welche ganze Blumeninseln mit sich führen und seinen unermeßlichen Katarakten, auf welchen sich Regenbögen wiegen. – Wir fragen nicht: wo ist die Pracht? wo ist die Größe? wo ist die Schönheit? sondern einfach: wo ist die Ordnung? wo ist die Unordnung? – Dort eingezwängte oder von ihrem Lauf abgelenkte Gewässer, die nur, um still zu stehen, aus versteinerten Göttern hervorspringen; Bäume aus ihrem natürlichen Boden verpflanzt, ihrem Klima entrissen, selbst ihrer natürlichen Gestalt, ihrer Früchte beraubt und gezwungen, sich der grotesken Laune der Scheere und der Schnur zu unterwerfen; kurz, überall die natürliche Ordnung durchbrochen, verkehrt, umgestürzt, zerstört. Hier dagegen gehorcht Alles einem unwandelbaren Gesetze; ein Gott scheint in Allem zu leben. Die Wassertropfen folgen ihrem Gefäll und bilden Flüsse, die zu Meeren werden; die verschiedenen Samen wählen sich ihren Boden und erzeugen einen Wald. Jede Pflanze, jede Staude, jeder Baum keimt in seiner Jahrszeit, wächst an seinem Ort, trägt seine Frucht und stirbt zu seiner Zeit. Selbst das Unkraut ist hier schön. Wir fragen noch einmal: Wo ist die Ordnung?

Wählet jetzt, entweder die Meisterwerke der Gartenkunst, oder das Werk der Natur, das conventionell Schöne oder das, was ohne Regel schön ist, ein Stück künstliche Literatur oder originale Poesie.

Man wird uns einwenden: der jungfräuliche Wald verberge in seiner prachtvollen Einsamkeit tausend gefährliche Thiere, während die schlammigen Bassins des französischen Gartens höchstens einige einfältige Thiere bergen. Das ist gewiß ein Unglück; aber Eins ins Andere gerechnet, so wollen wir doch lieber ein Krokodil als eine Kröte. Die Barbarei Shakespeare's ziehen wir der Abgeschmacktheit Campistrons vor.

Sehr wichtig ist es, festzustellen, daß in der Literatur wie in der Politik die Ordnung sich wunderbar gut mit der Freiheit verträgt, ja die Ordnung ist das Resultat der Freiheit; übrigens muß man sich wohl hüten, Ordnung und Regelmäßigkeit mit einander zu verwechseln. Die Regelmäßigkeit bezieht sich nur auf die äußere Form; die Ordnung geht aus dem Wesen der Dinge selbst hervor, aus der verständigen Anordnung der inneren Elemente eines Gegenstandes. Die Regelmäßigkeit ist eine materielle und rein menschliche Combination; die Ordnung ist so zu sagen göttlich. Diese beiden ihrem Wesen nach so verschiedenen Eigenschaften kommen häufig eine ohne die andere vor. Ein gothisches Münster zeigt in seiner naiven Unregelmäßigkeit eine bewundernswürdige Ordnung; unsere modernen französischen Gebäude, auf welche man die griechische oder römische Architektur so linkisch angewandt hat, stellen nur eine regelmäßige Unordnung dar. Ein gewöhnlicher Mensch wird immer ein regelmäßiges Werk zu Stande bringen können; nur große Geister verstehen es, eine Composition zu ordnen. Der Schöpfer, der von seiner Höhe herabsieht, ordnet; der Nachahmer, der genau zusieht, regelt: der Erstere verfährt nach dem Gesetz seiner Natur, der Letztere nach den Vorschriften seiner Schule. Die Kunst ist für den Einen eine Inspiration, für den Andern ist sie nur eine Kenntniß. Um mit zwei Worten Alles zu sagen und ohne zu widersprechen, wenn man nach dieser Bemerkung die beiden Literaturen, die sogenannte klassische und romantische, beurtheilt: die Regelmäßigkeit ist der Geschmack der Mittelmäßigkeit, die Ordnung ist der Geschmack des Genies.

Es versteht sich von selbst, daß die Freiheit nie in Anarchie ausarten darf, daß die Originalität unter allen Umständen nicht der Incorrektheit zum Vorwand dienen darf. Gerade je kühner die Conception eines literarischen Werkes ist, desto tadelloser muß die Ausführung sein. Wenn du auf andere Art, als die Andern, Recht haben willst, mußt du zehnmal mehr Recht haben, als sie. Je mehr man die Rhetorik verachtet, desto besser steht es Einem an, die Grammatik in Ehren zu halten. Man darf den Aristoteles nur entthronen, wenn man den Vaugelas zur Herrschaft bringen will. Man muß Boileau's »Art poëtique« achten, wenn nicht ihrer Principien, so doch ihres Styls wegen. Ein Schriftsteller, dem die Nachwelt nicht ganz gleichgültig ist, wird unablässig bemüht sein, seine Sprache zu reinigen, ohne den eigenthümlichen Charakter zu verwischen, durch welchen seine Ausdrucksweise die Individualität seines Geistes offenbart. Im Uebrigen ist Neuerungssucht nur eine traurige Hülfsquelle für die Impotenz. Sprachfehler bilden niemals einen Gedanken, und der Styl ist wie ein Krystall: seine Reinheit macht seinen Glanz aus.

Der Verfasser dieser Sammlung wird vielleicht an einem andern Ort des Weiteren ausführen, was er hier nur angedeutet hat. Es sei ihm schließlich nur noch die Bemerkung erlaubt, daß der Geist der Nachahmung, durch Andere als das Heil der Schulen empfohlen, ihm immer als eine Kunst-Kalamität erschienen ist. Und er würde die Nachahmung, welche sich den sogenannten romantischen Schriftstellern an die Fersen heftet, eben so streng verurtheilen, wie diejenige, welche sich den sogenannten Klassikern anhängt. Wer einen romantischen Dichter nachahmt, wird nothwendiger Weise klassisch, eben weil er nachahmt. Ihr mögt ein Echo Racine's oder ein Reflex Shakespeare's sein, immer seid ihr eben ein Echo und ein Reflex. Wenn ihr es auch dahin bringt, einen Mann von Genie genau zu kopiren, seine Originalität wird euch immer fehlen, nämlich sein Genie. Bewundern wir die großen Meister. Ahmen wir sie nicht nach. Machen wir es anders, als sie. Glückt es uns, um so besser. Mißglückt der Versuch, was liegt daran?

Es gibt Gewässer, welche, wenn ihr eine Blume, eine Frucht, einen Vogel hineintaucht, euch dieselben nach einiger Zeit mit einer dicken Steinkruste umkleidet zurückgeben, unter der man allerdings ihre ursprüngliche Form noch erräth; aber der Duft, der Wohlgeschmack, das Leben ist verschwunden. Die pedantischen Lehren, die scholastischen Vorurtheile, das ansteckende Gift der Routine, die Nachahmungssucht bringen dieselbe Wirkung hervor. Wenn ihr eure natürlichen Anlagen darein hüllet, wird eure Phantasie, euer Gedanke sich daraus nicht wieder hervor arbeiten. Was ihr noch daraus hervorzieht, wird vielleicht noch einen Anschein von Geist, Talent, Genie haben, aber es wird versteinert sein.

Dürfte man den Schriftstellern glauben, die sich rühmen, Klassiker zu sein, so würde sich Jeder von der Bahn des Wahren und des Schönen verirren, der nicht sklavisch den Fußstapfen seiner Vorgänger folgt. Irrthum über Irrthum! Diese Schriftsteller verwechseln die Bahn zur Kunst mit der Kunst; sie nehmen das Geleise für den Weg.

Der Dichter soll nur Ein Muster haben, die Natur, er braucht nur einen Führer, die Wahrheit. Er soll nicht mit dem schreiben, was schon geschrieben ist, sondern mit seiner Seele und mit seinem Herzen. Von allen Büchern, die den Menschen durch die Hände gehen, braucht er nur zwei zu studiren: den Homer und die Bibel. Diese beiden ehrwürdigen Bücher nämlich sind die Allerersten, ihrer Entstehungszeit und ihrem Werthe nach, sie sind fast ebenso alt, wie die Welt, sie sind selbst zwei Welten für den Gedanken. Man findet in ihnen, so zu sagen, die ganze Schöpfung wieder, unter einem doppelten Gesichtspunkt betrachtet, im Homer durch das Genie des Menschen, in der Bibel durch den Geist Gottes.

Oktober, 1826.

Oden.

Erstes Buch.

1818 – 1822.

Vox clamabat in deserto.

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Der Dichter in Zeiten der Revolution.

Weh, sterben, ohne meinen Köcher Zu leeren, ohne die Gesetzeschmierer Und Henker zu durchbohren, zu zermalmen. In ihren Koth zu treten! ...

André Chénter, Jamben.

Erste Ode.

»Forttreibt der Wind, der rauhe Scherge, Die Eichel, die vom Aste fiel. Als Eiche peitscht er sie am Berge, Er peitscht im Meere sie als Kiel. So, Jüngling, peitscht des Schicksals Ruthe Auch uns. Drum schließ' in tollem Muthe Dein und der Welt Leid nicht ins Herz.«

Wie? Selbstisch soll ich, fühllos zagen, Und, taub für meiner Brüder Schrei'n, Nichts, Nichts in diesen Schreckenstagen Empfinden, als die eigne Pein? Verbannter selbst aus freiem Willen Auf Erden, Thränen sucht zu stillen Der Dichter, jedem Leid gesellt.Die Leier hoch als Wehr erhoben Stürzt er sich in der Völker Toben, Wie Orpheus in die Unterwelt.

»Der Hölle Schrecken hat beschworen Für Augenblicke Orpheus ' Ton: Doch du singst in Verbrecherohren Die Hymne vom Gewissen, Sohn! So blendet Stolz dir die Gedanken? Du trittst als Richter in die Schranken, Und fehltest in der Kämpfer Reihn? Censor im Flaum der ersten Jugend, Laß, eh' du prahlst mit deiner Tugend, Erst älter deine Unschuld sein.«

Wenn das Verbrechen, ohne Buße, Zum Python schwillt, und schnaubt wie toll, Dann zur Grinnys wird die Muse, Und nach dem Köcher greift Apoll . Dem Gotte, dem ich mich ergeben, Vertrau' ich, was mein junges Leben, Mein reines, auch bedrohen kann. Still folg' ich meinem Stern beflissen; Das Segel wird vom Sturm zerrissen, Doch rettet es den Steuermann.

»Die Menschen taumeln hin zum Schlunde: Du singst sie nicht zurück vom Grab. Warum, indeß manch holde Stunde Dir lächelt, rennst du mit hinab? Kannst du die Kette deiner Lage Zerbrechen, ohne daß – o frageDich wohl! – das Herz auch Andern bricht? Geh, spare Deines Lebens Gabe. Hast du denn keine Mutter, Knabe? Kennst, Dichter, du die Liebe nicht?«

Was ich geliebt, kann nicht verderben, Auf schlägt die Flamme, himmelwärts. Wer lieben kann, der kann auch sterben, Denn reine Liebe dehnt das Herz. Der Dichter wird, wo Frevler toben, Die unterdrückten Dulder loben, Er preist und wählt der Helden Theil. Er weiht, den Märtyrern zur Feier, Den blut'gen Opfern seine Leier, Und seinen Hals dem Henkerbeil.

»Einst, sagt man, in vergangnen Tagen, Wo Eins Poet war und Prophet, Wußt' er der Welt voraus zu sagen, Was in dem Buch der Sterne steht. Doch du, was rühmst du dich zu wissen? – Du lebst wie sie in Finsternissen, Der Himmel nachtet wolkenschwer. Zur Leier der Prophet, wo findet Sich der? Die Muse, stumm, erblindet, Weiß von der Zukunft längst nichts mehr.«

Kühn trotzt, als ob Gott selbst ihm riefe, Der Dichter jedem künft'gen Graus: Indem er in des Abgrunds Tiefe Hinabstürzt, mißt er selbst sie aus. Zum Opfer weiß er sich erlesen,Weiß, daß gesühnt das Glück des Bösen Nur durch die Unschuld wird vor Gott. Er fühlt sich sterbend freier, stärker; Es wird zum Tempel ihm der Kerker, Zum Dreifuß wird ihm das Schaffot.

»Wärst Du im Land der Abbasiden, Wo wolkenrein der Himmel glüht, Geboren, wo in süßem Frieden Die Aloë und Myrte blüht! Dort ohne Thränen, ohne Qualen Sieht der Poet den Morgen strahlen Und rosenroth des Himmels Trift. Und heil'ge Tauben bringen süße Botschaft den Jungfrau'n, Liebesgrüße In wunderbarer Blumenschrift.«

Ein Andrer mag dem Martyrthume Vorziehn die würdelose Ruh'! Mein Herz gehört allein dem Ruhme, Der fällt dem Glücklichen nicht zu. Es bebt im Sturm die Halcyone Und fürchtet für die Wellenkrone, Auf der sie gern sich schwimmend wiegt! Indeß der Aar, der Sohn der Stürme, Die Nebelwänd' und Wolkenthürme Durchbrechend, in die Sonne fliegt.

März, 1821.

Die Vendée.

Zweite Ode.

I.

»Wer unter uns, wenn er ein Todtendenkmal setzte, Fand weinend einen Freund nicht stehn an einem Sarg? Wär' Einer, dem sich nicht das Aug' am Hügel netzte,   Der Gattin oder Bruder barg?« So über Frankreichs Leid und böse Jammertage   Erscholl der heil'gen Muse Klage:   »Zum offnen Himmel lenkt den Blick!« – So rief uns, über Rom hinschwebend und Palmyra, Das Glück des Märtyrers laut preisend jene Lyra   Und laut der Wüste stilles Glück.

Sie hielt den Zwingherrn vor all ihre Schuld mit Strenge, Den Reuelosen rief sie zu ein donnernd: »Weh!« Sie sang: »Der Opfer hat Frankreich gehabt die Menge,   Doch Märtyrer nur die Vendée !« – Unselige Vendée, wer heilte deine Wunden?   Gehst, mit dem Lorbeerkranz umwunden,   Du unsern Kriegern stolz voran? Wenn Ehr' und Treue nicht bloß Schemen sind, ich bitte: – In welchem Schlosse wohnt – statt in zerstörter Hütte –   Dein ritterlicher Bauersmann?

Denkst du der Tage noch, wo über deine Erde Ein Blutstrom sich ergoß und Elend auf die Flur, Wo keinen andern Staub zertrat der Huf der Pferde,   Als deiner Städte Asche nur! Sie riefen, als ihr Schwert umsonst zur blut'gen Lache   Dein Land gemacht, in blinder Rache   Die Hölle selbst, dich zu bedrohn. Und über das Gefild hinflog des Rauches Welle: Vor diesem Meer von Glut ist – der lebend'gen Hölle –   Dein Heer zum ersten Mal geflohn.

II.

Es trat in jener Zeit am öden Loire-Strande Zusammen, Stamm für Stamm, die Königsrächerschaar, Ein opferstolzes Volk, das keine Thräne kannte,   Als um den Thron und den Altar. Es waren Greise, Frau'n und Kinder; aus den Flammen   Gerettet gingen sie zusammen   Mit wenig Tapfern dort hinab. Die Heimath ging im Zug selbst mit, die heimathlose, Sie ließen hinter sich ein Land, in dessen Schooße   Es Leichen nur und Henker gab.

In diesem Augenblick, als wie vom Himmelsthrone Gesendet, trat ein Greis, ein Priester, vor's Gesicht Der Schaar, ein Heiliger, der von der Martyrkrone   Mit edlen, frommen Kämpfern spricht. Und er verkündet ernst und ruhig künft'ge Schmerzen,   Indeß in seinem kühlen Herzen   Erinnrung alter Zeit erwacht.Er offenbart ihr Loos den Helden dieser Fehden; Der Zukunft Stimme klingt hervor aus seinen Reden   Von der Vergangenheit mit Macht:

III.

»Jenseits des Jordan hat der Herr nach vierzig Jahren Den Kindern Israël verheißen einst ein Land. Nach wenig Tagen schon verheißt er Euren Schaaren   Den Himmel selbst jenseits am Strand. Der Fluß wird länger nicht dich, irrend Häuflein, schauen;   Euch bettet Gott auf blut'gen Auen