Öffentlichkeit und Markt: Wozu ein öffentliches Bildungswesen? -  - E-Book

Öffentlichkeit und Markt: Wozu ein öffentliches Bildungswesen? E-Book

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Beschreibung

Worin besteht angesichts der Herausforderungen der Globalisierung und der allgemeinen Zunahme der Privatisierung die öffentliche Verantwortung für das Bildungswesen, und speziell für die Erwachsenenbildung? Ausgabe 32 des Magazin erwachsenenbildung.at stellt sich in fünfzehn Beiträgen den Privatisierungstendenzen in der Erwachsenenbildung und einer vertieften Auseinandersetzung zwischen Öffentlichkeit, Markt und Bildung. So wird in den Beiträgen u.a. aufgezeigt, dass die Verzerrung und Überbetonung der "Kapitalisierung" mit einem entsprechenden Schwinden der sozialen Einbettung von Bildung und Lernen und deren Bedeutung für die Demokratie einhergeht. Dabei wird auch die Rolle der Erwachsenenbildungseinrichtungen in diesem Diskurs beleuchtet.

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Inhaltsverzeichnis

Aus der Redaktion

01

Editorial

Lorenz Lassnigg und Kurt Schmid

Thema

02

Wandel von Öffentlichkeit und die Zukunft der öffentlichen Bildung

Jürgen Oelkers

03

Kapitalisierung, Deliberation und (Erwachsenen-)Bildung

Lorenz Lassnigg

04

Mehr Markt, mehr Management und alles wird (wieder) gut?

New Public Management in der Erwachsenenbildung

Stefan Vater

05

Babylonische Sprachverwirrung als Plage und Gabe

oder: Ohne Literarität keine Demokratie

Eva Ribarits und Gitta Stagl

06

Die (Un-)Verantwortlichkeiten von Verbänden und Trägern für die „Allmenden der Weiterbildung“

Bernd Käpplinger

07

Lebenslanges Lernen zwischen Konfliktaustragung und Institutionalisierung – Das Beispiel des Zweiten Bildungswegs

Günther Hefler, Eva Steinheimer und Janine Wulz

08

Öffentlichkeit-Lernen statt simulierter Demokratie.

Ein Plädoyer für Pluralität

Birge Krondorfer

09

Der Zustand der Demokratie und die Rolle der (Erwachsenen-)Bildung.

Antworten österreichischer Politikjournalisten mit einer Einleitung von Lorenz Lassnigg

Jürgen Klatzer, Lucian Mayringer

Praxis

10

Im Spannungsfeld von Konkurrenz, Selbstorganisation und Hierarchie.

Ein Praxisbericht aus der Organisationsberatung

Andrea Widmann

11

Deutsch als Zweitsprache: Wo der Markt (zu gut) funktioniert

Michael Tölle

Kurz vorgestellt

12

Die Akademie für Gemeinwohl.

Kritische Finanzbildung aus der Zivilgesellschaft

Christina Buczko

13

Demokratiezentrum Wien.

(Politische) Bildung als Beitrag für ein friedliches Zusammenleben fern reiner Marktlogiken

Susanne Reitmaier-Juárez

Rezension

14

Private Government: How Employers Rule our Lives (And Why We Don’t Talk About It)

Elizabeth Anderson

Lorenz Lassnigg

15

Weiterbildungswiderstand. Eine kritische Theorie der Verweigerung

Daniela Holzer

Erich Ribolits

Da alle Artikel sowohl einzeln als auch in der Gesamtausgabe erhältlich sind, wurde jeder Beitrag mit laufender Nummer (01, 02 ...) versehen. Die Seitennummerierung beginnt jeweils bei 1.

Englischsprachige bzw. bei englischsprachigen Artikeln deutschsprachige Abstracts finden sich im Anschluss an die Artikel (ausgenommen Rezensionen).

Aus der Redaktion

01 Editorial

Lorenz Lassnigg und Kurt Schmid

Lassnigg, Lorenz/Schmid, Kurt (2017): Editorial.

In: Magazin erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs.

Ausgabe 32, 2017. Wien.

Online im Internet: http://www.erwachsenenbildung.at/magazin/17-32/meb17-32.pdf.

Druck-Version: Books on Demand GmbH: Norderstedt.

Schlagworte: Öffentlichkeit, Markt, Bildungswesen, Politische Bildung, deliberative Demokratie, Kapitalisierung, Management, Verwaltung, Marktprinzip, Literarität, Erwachsenenbildung

Kurzzusammenfassung

In der neueren internationalen vergleichenden Forschung werden in verschiedenen Formen starke Privatisierungstendenzen im Bildungswesen beobachtet, und auch in den politischen Reformdebatten werden Maßnahmen zur Stärkung privater Initiativen häufig als Lösung für Probleme im staatlichen Bildungswesen vorgetragen. Zum anderen werden die Implikationen der starken Privatisierungstendenz von Bildung, Bildungsangeboten und Bildungseinrichtungen nicht ausreichend ausgelotet und diskutiert. Vor allem die Dimensionen der Gerechtigkeit/ Gleichheit und der Demokratie/Demokratisierung werden in den Diskursen bestenfalls sehr oberflächlich berücksichtigt. Gerade auf Letzteres wollte das Magazin erwachsenenbildung.at reagieren und hat eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen Öffentlichkeit, Markt und Bildung angeregt. Ziel dabei war es, mehr als die bekannten Schlagworte (Markt vs. Staat; repräsentative vs. partizipative Demokratie; Verwaltung vs. Management; Politische Bildung vs. Demokratiepädagogik etc.) greifbar und denkbar zu machen. So wird von den Beiträgen u.a. aufgezeigt, dass die Verzerrung und Überbetonung der „Kapitalisierung“ mit einem entsprechenden Schwinden der sozialen Einbettung von Bildung und Lernen und deren Bedeutung für die Demokratie einhergeht; dass die Akteurinnen und Akteure der Weiterbildung, insbesondere die Träger und Verbände, Mitverantwortung an der zunehmenden Ökonomisierung des Feldes tragen und wie sie dazu beitragen können, „Allmenden der Weiterbildung“ im Sinne eines öffentlichen Gutes zu fördern. Schwerpunkte bilden weiters Diskussionen um den boomenden Markt der Deutsch als Zweitsprache-Ausbildungen, um den Markt(un)wert Politischer Bildung und kritischer Finanzbildung sowie um Herausforderungen der Erwachsenenbildungseinrichtungen zwischen Markt, Steuerungsmechanismen und Konkurrenzdruck nebst einem Plädoyer für Bildung als ein „Öffentlichkeit-Lernen“ in einer politischen Öffentlichkeit und der Einschätzung zweier Politikjournalisten zum Demokratieverständnis der ÖsterreicherInnen. (Red.)

Editorial

Lorenz Lassnigg und Kurt Schmid

In den internationalen bildungspolitischen Diskursen ist das mehr oder weniger politisch geförderte Eindringen von Marktstrukturen und privaten Mitteln in das öffentliche Bildungswesen mittlerweile von den Rändern ins Zentrum gerückt. Andererseits befinden sich die öffentlichen Institutionen bereits seit mehreren Jahrzehnten unter Druck, und dieser Druck zeitigt auch krisenhafte Früchte, die in Zukunft durchaus noch „reichere“ Ernten erwarten lassen. Daher sehen wir eine gewisse Dringlichkeit für eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesem Thema auch in Österreich, und zwar nicht nur für die Erwachsenenbildung.

Der dieser Ausgabe vorausgegangene Call „Öffentlichkeit und Markt: Wozu ein öffentliches Bildungswesen?“ hat vergleichsweise wenig Resonanz gefunden. Er war aus unserer Sicht durchaus als eine „Probe aufs Exempel“ gedacht/angelegt. „Probe aufs Exempel“ deshalb, weil wir die Hypothese vertreten, dass das Problembewusstsein in der österreichischen Erwachsenenbildung bezüglich dieser Fragestellung – faktisch und normativ – nicht unbedingt stark ausgeprägt ist: Ähnlich der Stabilität der Demokratie insgesamt werden die Existenz und Finanzierung eines öffentlichen Schul- und Bildungswesens mehr oder weniger als Selbstverständlichkeit gesehen.

Faktisch beobachten international vergleichende Analysen im Bildungswesen sehr deutliche Privatisierungstendenzen in unterschiedlichen Formen1 (für manche AutorInnen ist das staatliche Bildungswesen bereits eine „Sache der Vergangenheit“). Diese Formen der Privatisierung können sehr vielfältig sein und sich graduell verbreiten oder punktuell durch politische Beschlüsse/Reformen realisiert werden. Hauptformen sind einerseits eine private Trägerschaft und/oder Finanzierung der Bildungsinstitutionen, andererseits verschiedenste Spezialdienste für diese Institutionen (wie Bereitstellung von Materialien, Infrastrukturen, Personal, Assessments, Qualitätssicherungsinstrumenten etc.). Dabei gibt es ein breites Spektrum an Ausprägungen des Gewichtes und Verhältnisses zwischen öffentlicher Kontrolle und marktwirtschaftlicher Freiheit, das empirisch oft schwer einzuschätzen ist; bei den marktwirtschaftlichen Freiheiten kommt die Frage nach der Gewinnorientierung hinzu. Auch ist dieses Verhältnis von öffentlicher Kontrolle und marktförmiger Bereitstellung in den verschiedenen Bereichen des Bildungswesens, von der Früherziehung bis zur Erwachsenenbildung, sehr verschieden ausgeprägt; im ökonomischen Diskurs wird nur die Pflichtschule klar der öffentlichen Verantwortung zugeordnet. Seitens der Forschung wird der faktische Prozess der Privatisierung vor allem in Form der Infusion durch private Dienstleistungen und durch graduelle Privatisierung beobachtet. Diese Formen unterminieren die öffentliche Kontrolle in hohem Maße implizit und informell, ohne entsprechend explizite politische Beschlussfassungen.

Beim normativen Aspekt handelt es sich letztlich um die Frage, ob es bei Bildung um ein „wirtschaftliches Gut“ geht, das im Prinzip ganz normal am Markt gehandelt werden kann und soll, oder ob dieser Bereich aus gesellschaftspolitischen Gründen der öffentlichen Kontrolle unterworfen sein soll und welche Rolle dabei der Staat in seinen verschiedenen Ausprägungen (von der zentralen über die föderale bis zur lokalen Ebene) haben soll. Im ökonomischen Diskurs wird dazu einerseits die Rhetorik von öffentlichen oder staatlichen Monopolen bemüht, deren Macht eingeschränkt werden sollte; andererseits besteht keine Einigkeit darüber, inwieweit dabei auch die Gewinnorientierung der Anbieter zulässig sein soll. Im Extremfall gibt es die Szenarien der Emergenz von gewinnorientierten multinationalen Unternehmen, die möglicherweise ergänzt durch einen Non-Profit-Arm im World Education Market tätig werden (inwieweit hier wirtschaftliche Monopolisierungen vor allem hinsichtlich der öffentlichen Kontrollierbarkeit besser sind als staatliche, ist eine theoretische und empirische Forschungsfrage).2

Der ökonomischen Sicht steht eine demokratiepolitische Sicht gegenüber, die das Bildungswesen als einen institutionellen Sektor betrachtet, der für das gesellschaftliche Zusammenleben von grundlegender Bedeutung ist. Daher muss es einen öffentlichen Diskurs darüber geben, wie die Bildung der nachfolgenden Generationen gestaltet wird, da es in jedem Fall entsprechender politischer Beschlussfassungen und Regulationen für diesen Sektor bedarf (auch für eine völlige Liberalisierung müssen zumindest die bestehenden Regulationen beseitigt werden, wie Amy Gutmann 1999 im Zusammenhang mit dem „Civic Minimum“ zeigt). Aus dieser Perspektive müssen die gesellschaftspolitischen Implikationen der beobachteten Privatisierungstendenz wie auch die dahinter liegenden Motivationen ausreichend ausgelotet und diskutiert werden. Denn hier kann man unterschiedliche – sich oft auch überschneidende – treibende Motive identifizieren: von angestrebten Verbesserungen durch Dezentralisierung und Förderung lokaler/institutioneller Autonomie/Entscheidungen (Beispiel aktuelle Schul-Verwaltungsreform)3 über gesteigerten Wettbewerb bei sachlichen Anzeichen für Ineffizienzen der öffentlichen Ausgaben (wobei private Ausgaben nicht unbedingt effizienter sind; Beispiel Schweden), über den Kauf positionaler Vorteile seitens wohlhabender Kreise durch den Zugang zu teuren prestigereichen Bildungsangeboten (Beispiel US-Elite-Universitäten) bis hin zu direkt ideologischen gesellschaftspolitischen Motiven der Unterminierung des Öffentlichen bzw. des staatlichen Sektors (Beispiel Vergleich des öffentlichen US-Schulwesens mit dem „Communist Bloc“).

Engstens mit der Fragestellung des Calls „Wozu ein öffentliches Bildungswesen“ verbunden sind die Dimensionen der Gerechtigkeit/Gleichheit und der Demokratie/Demokratisierung. Zu beiden gibt es weitreichende Diskurse in Fachkreisen, die jedoch größerer Resonanz bedürfen, um praktisch und politisch wirksam zu werden. Beide Dimensionen sind hierzulande in den Diskursen nicht nur inhaltlich unterbelichtet, sondern auch nicht wirklich präsent, wenn die Auseinandersetzung über die bekannten Schlagworte (Markt vs. Staat; (Chancen)Gleichheit vs. (Chancen)Gerechtigkeit; repräsentative vs. partizipative Demokratie; ideologie-getriebene vs. fakten-basierte Politik; Verwaltung vs. Management; Politische Bildung vs. Demokratiepädagogik etc.) hinausgehen soll. Seit längerem problematisierte Punkte in der eigentlich interdisziplinär angelegten Bildungsforschung (wie auch in den benachbarten sozial- und humanwissenschaftlichen Feldern) sind der mangelnde kumulative Charakter der Forschung, die durch verschiedenste Lagerbildungen und Schubladisierungen geprägt ist,4 und gleichzeitig eine disziplinäre Unausgewogenheit (Stichwort „ökonomischer Imperialismus“). Die verschiedenen Disziplinen und innerdisziplinären Ansätze laufen tendenziell nebeneinander her, profilieren sich teilweise als Selbstzweck und sind allzu oft nicht auf praktische Lösungen ausgerichtet. In Österreich werden diese Probleme durch ideologische Polarisierungen bei gleichzeitig politisch-praktischem Konsenszwang auf dem Hintergrund einer grundsätzlichen institutionellen Forschungsschwäche (und einer nicht zu unterschätzenden politischen und auch praktischen Ignoranz gegenüber der Forschung) noch verstärkt, was auch eine Orientierung an deliberativer Demokratie erschwert.5

Wir finden es sehr wichtig, die Diskurse zu diesen Themen zu vertiefen, um den aktuellen Auseinandersetzungen mehr Substanz zu geben. Die Resonanz auf den Call sollte den Stand der Auseinandersetzungen in der deutschsprachigen Erwachsenenbildung spiegeln und das vorhandene Problembewusstsein sowie die vorhandenen diskursiven Schwerpunkte zum Ausdruck bringen.

Ein Fazit: Die verschiedenen Aspekte von „Öffentlichkeit“ und ihrer Veränderung, die im Call stark betont wurden, haben in den Beiträgen fast keine explizite Resonanz gefunden, es werden eher politische Aspekte sowie Implikationen von Lernen und Bildung thematisiert. Ebenso sind unsere Versuche, den wichtigen politischen Aspekt des Public Value bzw. des Gemeinwohls als Alternative zur dominierenden Logik des Marktversagens als Rechtfertigung politischer Intervention zu mobilisieren, nicht auf Resonanz gestoßen.

Zu den Beiträgen

Jürgen Oelkers zeigt in seinem Beitrag, dass – in Anlehnung an Jürgen Habermas – das Verhältnis von Bildung und Öffentlichkeit einem Strukturwandel unterworfen ist (was auch die Rolle und Verantwortung der Intellektuellen miteinschließt). Er spannt hierfür einen breiten ideengeschichtlichen Bogen, verweist darauf, wie sich die politische Öffentlichkeit von der Elitenkommunikation zur Massendemokratie wandelte und welche vielfältigen Einflüsse von den Neuen Medien ausgehen. Demokratie ist nicht nur eine politische Regierungsform, sondern demokratische Formen des Zusammenlebens sind darüber hinaus im Sinne der „Demokratie als Lebensform“ (J.Dewey) ein Wesensmerkmal einer demokratischen Gesellschaft, was auch eine wirksame Beeinflussung der öffentlichen Angelegenheiten durch geeignete Formen der Partizipation erfordert. Dabei zeigen sich auch historisch bedingte nationale Unterschiede im Verständnis von Öffentlichkeit und direkter Demokratie. Das öffentliche Bildungswesen unterliegt zwar vielfältigen Veränderungsprozessen, an seiner tragenden Rolle für die soziale und politische Integration wird sich jedoch grundsätzlich nichts ändern.

Lorenz Lassnigg stellt die Frage nach einer „funktionierenden Demokratie“ und ihrer Abhängigkeit von einer „zureichenden“ Bildung der Bevölkerung. Er ortet eine Erosion der Akzeptanz und Problemlösefähigkeit bestehender Institutionen der liberalen Demokratie, die wesentlich durch einen immer stärker werdenden (und mittlerweile vorherrschenden) ökonomisierten Diskurs befördert wurde. Die daraus resultierende Verzerrung und Überbetonung der „Kapitalisierung“ geht einher mit einem entsprechenden Verschwinden der sozialen Einbettung von Bildung und Lernen und deren Bedeutung für die Demokratie.

Diesen Trends wird im Beitrag das deliberative Demokratiekonzept gegenübergestellt, ein Politikansatz, der auf der aktiven Beteiligung und Einbindung des Publikums in die Prozesse des Agenda Settings und der Entscheidungen basiert. Demokratische Bildung und Erziehung sind notwendigerweise komplementär zur Qualität der Demokratie, und Mängel im demokratischen Umfeld können daher nicht durch Politische Bildung als Schulfach kompensiert werden.

Stefan Vater wirft einen kritischen Blick auf die Entwicklung der Erwachsenenbildung, insbesondere deren Durchdringung sowie Ausrichtung an Marktprinzipien (Nachfrageorientierung, Messbarkeit, New Public Management, Wettbewerb, KundInnenorientierung). Als Fazit zeigt sich ein Abbau an Zugangsgerechtigkeit und öffentlicher Bildung sowie eine Delegitimierung des Bereichs der Politischen Erwachsenenbildung.

Eva Ribarits und Gitta Stagl setzen sich von einer linguistisch-literatur- und kommunikationswissenschaftlichen Betrachtungsweise und einem breiten umfassenden Begriff von Literarität ausgehend mit den Bezügen zur Politik, Öffentlichkeit und Demokratie auseinander. Eine wesentliche Botschaft ist, dass zur Bewältigung des durchmedialisierten öffentlichen Raums eine einfache instrumentelle Auffassung von „Alphabetisierung“ zu kurz greift. Bei Literarität geht es um die Entschlüsselung von Bedeutungen, was einerseits einen hohen Grad an Kompetenz erfordert und andererseits auch in einem hohen Maß kontingent ist, was die Kompetenzerfordernisse wiederum erhöht. „Das wohl verführerischste und auf den ersten Blick vernünftigste Missverständnis lautet, bei Literarität handle es sich um die Kenntnis respektive Wiedergabe der Buchstaben des Alphabets und/oder der Zahlenschreibung. Und da sie aus einfachen Elementen bestehen, seien sie auch einfach zu erlernen“, betonen die Autorinnen, um die Herausforderungen zu signalisieren. Die Kompetenz der Literarität ist die Voraussetzung gelingender Demokratie.

Bernd Käpplinger geht der Frage nach, inwieweit auch die Akteurinnen und Akteure der Weiterbildung, insbesondere die Träger und Verbände, Mitverantwortung an der zunehmenden Ökonomisierung des Feldes tragen. Als Alternativen werden die Bildung von Netzwerken, die Etablierung gemeinsamer Bildungshäuser, einrichtungsübergreifende Zertifikatssysteme, gemeinsame Qualifikationsstandards des Personals und gemeinsame Beratungsstellen angeregt, um derart die „Allmenden der Weiterbildung“ im Sinne eines öffentlichen, gemeinschaftlich genutzten Gutes zu befördern.

Günter Hefler, Eva Steinheimer und Janine Wulz analysieren die Angebote des Zweiten Bildungswegs anhand des Konzepts des organisationalen Feldes. Dieses zerfällt in Subfelder mit je eigenen Schneidungen von Markt-/Konkurrenzmechanismen und öffentlichen Regulierungen. Die konkreten Konstellationen sind dabei als Teil von Institutionalisierungsprozessen zu fassen, die wesentlich durch Konflikte mitbestimmt sind. Gegensätzliche institutionelle Logiken – Profession versus Bürokratie, Markt versus Profession – sind Motor dieser Auseinandersetzungen. Als ein Ergebnis der Analyse stellen sich diese Prozesse der Institutionalisierung und des institutionellen Wandels als komplexer heraus, als die Dichotomie „Markt versus Staat“ suggeriert.

Birge Krondorfer plädiert für Bildung als dialogischen Prozess, ein Öffentlichkeit-Lernen in einer Öffentlichkeit als politische Öffentlichkeit. Denn Menschen werden erst zu BürgerInnen durch ihr Eintreten in den öffentlichen Raum.

Anknüpfend an die Publizität mehrerer Studien zur Demokratie in Österreich wurde eine kleine Umfrage unter den einschlägig befassten JournalistInnen durchgeführt. Jürgen Klatzer (Kurier) und Lucian Mayringer (OÖ Nachrichten) haben auf unsere Fragen zu den alarmierenden Entwicklungen in liberalen Demokratien geantwortet. Neben ihren in der Tendenz eher optimistischen Einschätzungen zum Zustand der Demokratie (beide sehen vor allem die steigende Volatilität als wichtiges Phänomen) gehen sie auf die Rolle/n von (Erwachsenen-)Bildung und Medien in der und für die Demokratie ein. Die Rolle der Schule und der Medien wird als hoch eingeschätzt, die Wirksamkeit der Politischen Bildung wird angezweifelt.

Andrea Widmann reflektiert anhand ihrer langjährigen Praxis als Organisationsberaterin im Bildungsbereich darüber, vor welchen Herausforderungen Erwachsenenbildungseinrichtungen stehen. Sie adressiert das Spannungsfeld von öffentlichen Vorgaben, Konkurrenz, Selbstorganisation und Hierarchie und bietet einen facettenreichen Einblick in den konkreten Alltag dieser Institutionen.

Michael Tölle hebt hervor, dass entgegen dem hohen Stellenwert („Schlüsselfunktion“), welcher dem Spracherwerb in Deutsch für die Integration zugeschrieben wird, die öffentliche Hand im Bereich DaZ (Deutsch als Zweitsprache) primär Kurse fördert, die am Markt von den (eher ohnehin ressourcenschwachen) TeilnehmerInnen selbst finanziert werden müssen. Aus bildungs- und gesellschaftspolitischer Perspektive sollte DaZ nach Ansicht des Autors jedoch Bestandteil öffentlicher Verantwortung (bspw. in Form eines öffentlich finanzierten „Zentrums für die österreichische Sprache“) sein, analog der Basisbildung und dem Pflichtschulabschluss.

Christina Buczko stellt die Akademie für Gemeinwohl und deren Verständnis einer kritischen Finanzbildung als eine Form der Politischen Bildung vor.

Susanne Reitmaier-Juárez skizziert das Selbstverständnis und die Aktivitäten des Demokratiezentrums Wien. Zugang zu öffentlichen Forschungsergebnissen sowie Schaffung politischer Diskursräume abseits wirtschaftlicher Verwertbarkeitslogik bilden den Hintergrund für ihr Plädoyer einer grundlegenden Absicherung derartiger Angebote durch die öffentliche Hand.

Lorenz Lassnigg bespricht das Buch von Elizabeth Anderson, „Private Government: How Employers Rule our Lives (And Why We Don’t Talk About It)“.

Erich Ribolits rezensiert das jüngst erschienene Werk von Daniela Holzer „Weiterbildungswiderstand. Eine kritische Theorie der Verweigerung“.

Aus der Redaktion

Mit der auf dieses Magazin folgenden Ausgabe 33, die im Februar 2018 erscheint, möchten die beiden Herausgeberinnen Sonja Muckenhuber und Julia Schindler Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung der Basisbildung als Teil der Erwachsenenbildung beleuchten. Die Beiträge sollen das Verständnis von „Basisbildung“ in ihrer Vielfalt fördern und kritisch darstellen.

Ausgabe 34 thematisiert Mechanismen und Rahmenbedingungen für Bildungszugänge und Bildungsaufstiege. Die beiden Herausgeber Philipp Schnell und Stefan Vater suchen Bearbeitungen, Überlegungen und Projektberichte, die der Frage nachgehen, was den Zugang zu Bildung ermöglicht oder behindert und was Aufstieg durch Bildung bedeutet und beeinflusst. Redaktionsschluss ist am 26. Jänner, die Veröffentlichung im Juni 2018. Den Call zur Ausgabe sowie weitere Informationen dazu finden Sie unter:

https://erwachsenenbildung.at/magazin/calls.php.

Literatur

Adamson, Frank/Åstrand, Björn/Darling-Hammond, Linda (Hrsg.) (2016): Global Education Reform. How Privatization and Public Investment Influence Education Outcomes. New York: Routledge. Online im Internet: https://edpolicy.stanford.edu/GlobalEdReform [Stand: 2017-09-17].

Alexander, Patricia A./Levine, Felice J./Tate, William F. (2016): Education Research: A Century of Discovery. In: Review of Research in Education, Vol. 40, Issue 1.

Goergen, Klaus (2006): Teilen oder helfen. Zum Streit um die richtige Gerechtigkeit. Online im Internet: https://www.lehrer-online-bw.de/site/pbs-bw/get/documents/KULTUS.Dachmandant/KULTUS/Seminare/seminar-weingarten/pdf/Teilen_oder_helfen.pdf [Stand: 2017-09-17].

Goergen, Klaus (2010): Zugänge zur Ethik: allgemeine und angewandte Ethik im Überblick. Münster: LIT Verlag.

Ladwig, Bernd (o.J.): Gerechtigkeit und Gleichheit. Bericht. Information Philosophie. Online im Internet: http://www.information-philosophie.de/?a=1&t=226&n=2&y=1&c=2 [Stand: 2017-09-17].

Gutmann, Amy (1999): Democratic education. With a new preface and epilogue. Princeton: Princeton UP.

Lassnigg, Lorenz (2016a): Faktenbasierte Anregungen für eine neue Kultur in der Bildungspolitik und Bildungsreform: Kooperation und Augenmaß. In: IHS Policy Brief, Nr. 14, Wien. Online im Internet: http://irihs.ihs.ac.at/4051/ [Stand: 2017-09-17].

Lassnigg, Lorenz (2016b): Complexity in a bureaucratic-federalist education system. In: Burns, Tracey/Köster, Florian (Hrsg.): Governing Education in a Complex World. Paris: OECD, S. 115-137. Online im Internet: http://meyda.education.gov.il/files/Planning/GoverningEducaioninacomplexworld2016.pdf [Stand: 2017-09-17].

Lassnigg, Lorenz (2017): Community Education – Grundlagen, Ziele und Methoden in Österreich. In: Höbsch, Werner/Marxer, Wilfried (Hrsg.): Community Education. Stark durch Bildung. Erasmus+ Projekt Community Education. Bendern und Brühl, S. 147-165. Online im Internet: http://www.equi.at/dateien/CE-Liechtenst-draft.pdf [Stand: 2017-09-17].

Meyer, Heinz-Dieter/Benavot, Aaron (Hrsg.) (2013): PISA, Power, and Policy: the emergence of global educational governance. Oxford: Symposium Books.

Ravitch, Diane (2011): School “Reform”: A Failing Grade. The New York Review of Books, 29.9.2011 Issue. Online im Internet: http://www.nybooks.com/articles/2011/09/29/school-reform-failing-grade/?pagination=false [Stand: 2017-09-17].

Verger, Antoni/Lubienski, Christopher/Steiner-Khamsi, Gitta (2016): World Yearbook of Education 2016. The global education industry. London: Routledge.

Dr. Lorenz Lassnigg

[email protected]

http://www.ihs.ac.at

+43 (0)1 59991-214

Lorenz Lassnigg studierte Pädagogik, Politikwissenschaft und Soziologie in Wien und am IHS (www.ihs.ac.at), wo er seit 1985 tätig ist. 1990, 2004, 2006 war er Gastwissenschafter am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin (WZB); 1991 Visitor an der UC-Berkeley (Center for Studies of Higher Education, CSHE); 1995 Reviewer der Berufsbildung von Minas Gerais, Brasilien; 1998/99 für die OECD in Finnland (Transition Projekt); 2004 Experte für die ILO (Social Dialogue); 2010 für die ETF-Turin; 2012-2013 in einem EU-Twinning Projekt in Mazedonien; 2011-16 Experte im OECD Projekt „Governing Complex Education Systems (GCES)“. Seine Erfahrungen bringt er auch fallweise in Lehraufträge an verschiedenen Universitäten ein, darunter 2009 als Gastprofessor an der Universitat Autònoma de Barcelona und seit 2010 an der Universität Tampere, Finnland. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Sozialwissenschaftlichen Bildungsforschung.

Mag. Kurt Schmid

[email protected]

http://www.ibw.at

+43 (0)1 5451671-26

Kurt Schmid studierte Volkswirtschaft an der Universität Wien. Seit 1998 ist er Bildungsökonom und Projektleiter am Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw). Er verfasste zahlreiche Publikationen zu Themen der beruflichen Bildung mit Arbeitsschwerpunkten in den Feldern: Schulwahl und Bildungsstromprognosen, Nutzen beruflicher Weiterbildung, Qualifikationsbedarfsforschung sowie diverse internationale Vergleichsstudien zu Berufsbildungssystemen, SchülerInnenleistungen, Schulgovernance und Schulfinanzierung.

Editorial

Abstract

In more recent international comparative research, strong privatization trends in the education system have been observed in different forms, and in political debates about reform, measures that strengthen private initiatives are frequently proposed as solutions to problems in the public education system. However, the implications of this strong trend to privatize education, educational offerings and educational institutions are not sufficiently explored and discussed. In the best case, the dimensions of justice/equality and democracy/democratization above all receive very superficial consideration in the discourses. It is precisely to the latter that The Austrian Open Access Journal on Adult Education (Magazin erwachsenenbildung.at,Meb) wanted to respond, thereby encouraging a deeper examination of the relationship between the public sphere, the market and education. The goal was to make tangible and conceivable more than just the familiar catchphrases (market vs. state, representative vs. participative democracy, administration vs. management, political education vs. democracy education). The articles show that the distortion and overemphasis of “capitalization” go hand in hand with a corresponding decrease in the social embeddedness of education and learning and its significance for democracy, that those who are active in continuing education, especially the providers and associations, bear a share of the responsibility for the increasing economization of the field and also how they can perceive this shared responsibility. Further areas discussed include the booming market for German as a Foreign Language training programmes, the (lack of a) market value for political education and critical financial education, challenges in adult educational institutions between the market, control mechanisms and competitive pressure along with a plea for education as “public sphere learning” in a political public sphere and the assessment of two political journalists to the state of democracy of Austrians. (Ed.)

1 Wichtige repräsentative Publikationen für diese Tendenz liefern Verger/Lubienski/Steiner-Khamsi 2016; Adamson/Åstrand/ Darling-Hammond 2016 und Meyer/Benavot 2013; ein sehr instruktiver Spiegel der US-Entwicklung findet sich in Alexander/Levine/ Tate 2016; mittlerweile schon „klassisch“ ist das Buch von Ravitch 2011, das auch im Hinblick auf Europa gelesen werden kann.

2 Forschungsergebnisse gehen – mit Ausnahmen – stark in die Richtung, dass private (v.a. gewinnorientierte) Bildungsanbieter jedenfalls nicht klar eine bessere (messbare) Qualität aufweisen als öffentliche Anbieter.

3 Eine Dezentralisierung der Entscheidungsbefugnisse kann in Kombination mit neuen Formen/Schneidungen von öffentlicher und privater Trägerschaft erfolgen, die Verknüpfung mit Finanzierungsregimes kann unterschiedlich gestaltet sein (Beispiel Niederlande mit gleichem öffentlichem Finanzierungsregime sowohl für öffentliche wie für private Schulträger).

4 Abgesehen von den traditionellen politischen „Lagern“ gibt es Ausformungen von „Kritisch“ vs. „Neoliberal“; „Positivistisch“ vs. „Poststrukturalistisch“. Im „neuen Gerechtigkeitsdiskurs“ werden Unterscheidungen zwischen „strengen, reinen Egalitaristen“, „liberalen Egalitaristen“ und „reinen Liberalen“ (siehe Goergen 2006) oder auch zwischen Marxisten, Marktliberalen, Kommunitaristen und Utilitaristen (siehe Ladwig o.J.) getroffen.

5 Ein Beispiel, an dem diese Phänomene paradigmatisch studiert werden können, ist die Struktur der LLL:2020-Strategie und ihr Monitoring (zu diesen Fragen siehe Lassnigg 2017, 2016a u. 2016b).

Thema

02 Wandel von Öffentlichkeit und die Zukunft der öffentlichen Bildung

Jürgen Oelkers

Oelkers, Jürgen (2017): Wandel von Öffentlichkeit und die Zukunft der öffentlichen Bildung.

In: Magazin erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs.

Ausgabe 32, 2017. Wien.

Online im Internet: http://www.erwachsenenbildung.at/magazin/17-32/meb17-32.pdf.

Druck-Version: Books on Demand GmbH: Norderstedt.

Schlagworte: Öffentlichkeit, öffentliche Bildung, Strukturwandel, Demokratie, Zukunft der Öffentlichkeit, Bildungssystem, Bildungsverständnis, Bildungsmedien, Neue Medien

Kurzzusammenfassung

Ist das Verhältnis von Bildung und Öffentlichkeit einem Strukturwandel unterworfen? Gibt es sie noch, die öffentliche Bildung, die dem Zusammenleben in der Gesellschaft dient? Dies sind nur zwei der Fragen, denen sich Jürgen Oelkers in seinem Beitrag widmet, der auf einem Vortrag, gehalten im Juli 2016 an der Universität Lodz in Polen, basiert. Oelkers skizziert hierfür nicht nur, wie die großen Sozialen Bewegungen als „Öffentlichkeit“ der Intellektuellen entstanden sind, sondern auch, wie sich die politische Öffentlichkeit von der Elitenkommunikation zur Massendemokratie wandelte. Zentral für seine Ausführungen ist in Anlehnung an Jürgen Habermas, dass eine demokratische Gesellschaft sich vom Zusammenleben her bestimmt. Folglich sollte Bildung sich auf den/die mündige/n BürgerIn beziehen. Aber was geschieht, wenn diese/r das Medium der politischen Öffentlichkeit verliert oder einfach nicht mehr nutzt? Und was soll getan werden, wenn dieser Öffentlichkeit die großen LehrerInnen abhandenkommen? Wesentlich für den Strukturwandel der Öffentlichkeit sind Oelkers zufolge die Neuen Medien – die mediale Öffentlichkeit sucht aber mehr nach Bestätigung als nach Ausgleich. Und: Partizipation im Netz setzt anonyme Meinungsbildung voraus und bringt daher die traditionelle Vorstellung der persönlich diskutierenden Öffentlichkeit in Verlegenheit. Schlusspunkt ist die zentrale Frage, was dieser Wandel der Medien für die öffentliche Bildung bedeutet und bewirkt. (Red.)

Wandel von Öffentlichkeit und die Zukunft der öffentlichen Bildung

Jürgen Oelkers

Das Thema meines Beitrages6bezieht sich auf das Verhältnis von Bildung und Öffentlichkeit sowie darauf bezogen auf die Rolle von Intellektuellen. Diese Frage beschäftigt mich seit meiner Studienzeit und genauer: seit meiner Lektüre von Jürgen Habermas‘ Buch „Der Strukturwandel der Öffentlichkeit“, das 1962 erschienen ist. Das Buch war damals Pflichtlektüre in allen Universitätsdisziplinen, die mit Politik, Bildung und Gesellschaft zu tun hatten.

Habermas geht nicht direkt auf den Zusammenhang von Bildung und Öffentlichkeit ein, aber die These des Strukturwandels von der räsonierenden Öffentlichkeit des 18. Jahrhunderts hin zur medialen Öffentlichkeit des 20. Jahrhunderts legt die Frage nahe, ob auch das Verhältnis von Bildung und Öffentlichkeit einem Strukturwandel unterworfen war und wenn ja, welche Entwicklungen damit verbunden gewesen sind (siehe Binder/Oelkers 2017). Auf den ersten Blick muss das ausgeschlossen werden. In zahlreichen Texten der Aufklärung von Joseph Priestley bis Thomas Jefferson ist von „öffentlicher Bildung“ die Rede, ohne die die Gesellschaftsform der Demokratie nicht bestehen könne. Die Anfänge dieser Überzeugung gehen auf die Englische Revolution zurück, der bis heute gültige theoretische Ausdruck ist John Deweys Buch „Democracy and Education“, das 1916 erschienen und immer noch maßgebend ist. Gefordert und in westlichen Ländern auch weitgehend realisiert wurde eine kostenlose, qualifizierte Bildung für alle, die gewährleisten soll, dass künftige StaatsbürgerInnen sich an den politischen Geschäften beteiligen und ihre Anliegen öffentlich artikulieren können. In diesem Sinne diente die öffentliche Bildung der Öffentlichkeit und genauer gesagt der politischen Öffentlichkeit oder dem Zusammenleben in der Gesellschaft.

Die politische Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit setzt eine gemeinsame Sprache voraus und verlangt ein möglichst hohes Minimum an Bildung für alle. Dabei ist keine bestimmte Kultur oder Herkunft maßgebend, sondern nur die Kultur der demokratischen Öffentlichkeit selbst. „Volk“ ist dabei nicht völkisch zu verstehen, sondern als Versammlung der Wahlberechtigten unabhängig von Rasse, Geschlecht oder Ethnie. Diese abstrakte Form des Volkes ist die große Errungenschaft der modernen Demokratie. Notwendig ist der Pass und nicht die Abstammung.

Der historische Prozess der Verschulung ist den Postulaten der Aufklärung weitgehend gefolgt, auch wenn die Begründungen verschieden waren. In den angelsächsischen Ländern wird von „public education“ gesprochen, weil Bildung als „public good“ gilt.

Ähnliches trifft auch für die Schweiz zu, während in Deutschland von „Volksbildung“ die Rede ist und Öffentlichkeit nur indirekt einen Bezugspunkt darstellt. Unabhängig von der Begründung: Im 19. Jahrhundert entstand überall in Europa das Schulmonopol des Staates, das bis heute besteht und ungebrochen scheint. Die Nationalstaaten wurden für die Volksbildung zuständig, nämlich erließen Schulgesetze, bauten eigene Verwaltungen auf, drängten die Privatschulen zurück und übernahmen auch weitgehend die Finanzierung der Schulen (siehe Geiss 2014; Aubry 2015). Was oft übersehen wird: In der historischen Schulentwicklung löste das Schulmonopol den Bildungsmarkt ab, während häufig umgekehrt argumentiert wird. Mitte des 19. Jahrhunderts beherrschten Privatschulen das Feld und die staatliche Verschulung setzte noch im 20. Jahrhundert voraus, dass Schulgeld entrichtet werden musste. Eine komplett freie und unentgeltliche Verschulung ist etwa in Deutschland keine sechzig Jahre alt.

„Öffentlichkeit“ kennt verschiedene historische Formen: Damit kann gemeint sein der Platz für die Versammlung und den freien Austausch der BürgerInnen einer Gemeinde, weiter der Ort für soziale Anlässe, Geselligkeit und die gesittete Begegnung, damit zusammenhängend der Raum der sozialen Kontrolle, die Beziehungen in der Öffentlichkeit, schließlich das publizistische Medium der Kritik und zunehmend auch die Meinungsbildung durch und mit den Massenmedien. Was Habermas vor Augen hatte, war die Öffentlichkeit der Intellektuellen oder der Kritik von Gesellschaft und Politik, die mit Namen wie Voltaire und Rousseau im 18. Jahrhundert entstanden ist und ihre große Zeit aber erst im 19. und 20. Jahrhundert erhalten sollte. Intellektuelle wurden Wortführer von Sozialen Bewegungen und galten als Wahrheitslieferanten. Aus dem Kritiker Karl Marx konnte der „Marxismus“ werden, der mit seinen Lehren Gefolgschaft verlangte und Widerspruch nicht duldete. Mit den Massenmedien des 20. Jahrhunderts wurden die historischen Formen der Öffentlichkeit entgrenzt und verloren ihren singulären Charakter. Mediale Botschaften konnten unabhängig vom Entstehungsort jede/n erreichen, vorausgesetzt war nur die Alphabetisierung, aber weder Herkunft noch Abstammung. Das Ideal der persönlichen Kommunikation und des sozialen Austausches im Nahraum wurde aber nicht preisgegeben und blieb erhalten.

„Die demokratische Gesellschaft bestimmt sich vom Zusammenleben her, die staatliche Verwaltung ist nachgeordnet und hat im Idealfall dienenden Charakter.“

Noch John Deweys These der Demokratie als „Lebensform“ ist dieser historischen Öffentlichkeit geschuldet. Die beiden Pfeiler seiner Theorie sind politische Partizipation und sozialer Austausch, beide beziehen sich auf überschaubare Räume und persönliche Anwesenheit, damit auf nachbarschaftliche Demokratie als Lebensgrund der Politik (siehe Rosenblum 2016). Ähnlich hat bekanntlich Jürgen Habermas die Kommunikation in der „Lebenswelt“ stark gemacht und darauf hingewiesen, dass sie nicht durch Systemrationalität ersetzt werden könne. Die demokratische Gesellschaft bestimmt sich vom Zusammenleben her, die staatliche Verwaltung ist nachgeordnet und hat im Idealfall dienenden Charakter. Das Zusammenleben wiederum wird geregelt durch öffentliche Diskussionen und demokratische Entscheide, nicht durch „Führung“, die davon unabhängig wäre. Der Austausch in dieser Öffentlichkeit setzt Beobachtung und Distanz voraus, es gibt immer ein persönliches Gegenüber und damit den generalisierten Anderen in der Erwartung der Interaktion.

Wer sich in der Öffentlichkeit verhalten will, muss sich an Regeln halten und Erwartungen erfüllen, also – wie man früher sagte – sich „benehmen“ können. Daher war auch Benimm die Grundforderung an jede Erziehung. Aber wir sind nicht mehr im 18. Jahrhundert. „Benimm“ taucht in den Zielkatalogen der heutigen Pädagogik nicht mehr auf und auch das Verhalten in der Öffentlichkeit hat sich gewandelt. Man sieht das an der schwindenden sozialen Kontrolle, am Dresscode, am Individualisierungsdrang oder auch an den Regeln der Selbstdarstellung im öffentlichen Raum. Und schließlich hat sich auch die politische Öffentlichkeit geändert, nämlich von der Elitenkommunikation zur Massendemokratie. Aus diesem Grunde kann danach gefragt werden, wie die Zukunft der Öffentlichkeit in der öffentlichen Bildung beschaffen sein wird. Bildung sollte sich auf den/die mündige/n BürgerIn beziehen, aber was geschieht, wenn die/der das Medium der politischen Öffentlichkeit verliert oder einfach nicht mehr nutzt? Und was soll getan werden, wenn dieser Öffentlichkeit die großen LehrerInnen abhandenkommen? Öffentlichkeit ist nicht nur das Medium für den Austausch, sondern auch für die Formung von Argumenten. Dabei haben seit der Antike immer Lehrer eine Rolle gespielt. „Lehrer“ nicht im Sinne eines Berufsstandes, sondern der Belehrung durch Theorie, Wissenschaft und Kritik. Intellektuelle des 20. Jahrhunderts wie John Dewey oder Jürgen Habermas waren oder sind daher Lehrer in der Öffentlichkeit, „public intellectuals“, deren Stimme über das eigene Lager hinaus Gewicht hatte. Sie setzen eine bestimmte Öffentlichkeit voraus, nämlich die der traditionellen Medien, also Bücher, Zeitschriften und Zeitungen, die intellektuelle Ansprüche vertreten. Es ist nicht die Öffentlichkeit des Boulevards und der Marktschreier, sondern der theoriegeleiteten Auseinandersetzung, in der bei allem Streit Klärung und letztlich auch Verständigung angestrebt werden. Vorausgesetzt sind zivile Formen der Disputation, die nicht ungestraft verletzt werden dürfen. Die Präsidentschaft von Donald Trump etwa ist damit ersichtlich nicht vereinbar.