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Auch wenn eine steife Brise aufkommt, weiß Oma Rat! Im warmherzig-humorvollen Familienroman »Oma hat die Hosen an« von Spiegel-Bestseller-Autorin Regine Kölpin warten turbulente Sommer-Tage an der Nordsee auf Oma Elisa und ihren neuen Bekannten Marten, bis der Familienfrieden wiederhergestellt ist. Die alleinstehende Oma Elisa Krull ist berühmt für ihren Erdbeerkuchen – nur fehlen ihr in der Familie die willigen Abnehmer. Als sie eines Tages allein auf den Kuchenbergen sitzt, lädt sie kurzerhand Marten, der auf einem Resthof am Deich in Otterndorf wohnt, auf ein Stück ein. So erfährt sie von der Einsamkeit und den Familienproblemen des rüstigen Rentners. Kurz darauf steht Elisas Teenager-Enkel Tobias mit seiner Freundin Ike vor der Tür und bittet um Asyl: Er hat sich furchtbar mit seinem Vater und dessen Lebensgefährtin verkracht. Auch Marten erhält einen Anruf, denn seine 17-jährige Enkelin ist von Zuhause weggelaufen – zusammen mit Tobias. Eine unlösbare Situation? Nicht für Oma Elisa, die schon eine Idee hat ... Mit Herz und Lebenserfahrung – und dem ein oder anderen Stück Erdbeerkuchen – nehmen sie und Marten die Sache in die Hand. Warmherzig, lustig und voller Nordsee-Flair eignet sich »Oma hat die Hosen an« perfekt als Urlaubslektüre und natürlich für alle, die gerne heitere Familienromane lesen. Entdecken Sie auch die anderen humorvollen Oma-Romane von Bestseller-Autorin Regine Kölpin (alle unabhängig voneinander lesbar): - Oma zeigt Flagge - Oma geht campen - Oma wird Oma - Oma tanzt auf Wolke 7 - Oma kriegt die Kurve - Oma macht klar Schiff
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Seitenzahl: 390
Regine Kölpin
Roman
Knaur eBooks
Die alleinstehende Oma Elisa Krull ist berühmt für ihren Erdbeerkuchen – nur fehlen ihr in der Familie die willigen Abnehmer. Als sie eines Tages allein auf den Kuchenbergen sitzt, lädt sie kurzerhand Marten, der auf einem Resthof am Deich in Otterndorf wohnt, auf ein Stück ein. So erfährt sie von der Einsamkeit und den Familienproblemen des rüstigen Rentners.
Kurz darauf steht Elisas Teenager-Enkel Tobias mit seiner Freundin Ike vor der Tür und bittet um Asyl: Er hat sich furchtbar mit seinem Vater und dessen Lebensgefährtin verkracht. Auch Marten erhält einen Anruf, denn seine 17-jährige Enkelin ist von Zuhause weggelaufen – zusammen mit Tobias. Eine unlösbare Situation? Nicht für Oma Elisa, die schon eine Idee hat … Mit Herz und Lebenserfahrung – und dem einen oder anderen Stück Erdbeerkuchen – nehmen sie und Marten die Sache in die Hand.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Rezepte für Erdbeerkuchen
Erdbeerkranz
Erdbeerkuchen mit Grießboden
Beschwipste Erdbeertorte
Danksagung
Leseprobe »Oma macht klar Schiff«
Der Tag roch nach Sommer, frisch gemähtem Gras und den Erdbeeren, die Elisa gerade neben den anderen Zutaten eingekauft hatte und die nun frisch geputzt vor ihr auf dem Küchentisch standen, um für die drei Kuchen verarbeitet zu werden.
Denn es war Erdbeertag, und den zelebrierte sie seit Jahren mit ihrer Familie. Hatte sie doch extra nach neuen Kuchenrezepten gegoogelt, denn sie wollte nicht jedes Jahr mit den gleichen Torten aufwarten.
Auf ihre Familie warteten am morgigen Sonntag ein Erdbeerkranz nach Frankfurter Art, den sie selbst kreiert hatte, ein Erdbeerboden mit saftigem Grundteig und ihr neuer Versuch – die beschwipste Erdbeertorte.
Elisa liebte den süßen Geschmack der reifen Früchte, denn wenn sie die kosten durfte, wusste sie, dass die dunklen Tage nun endgültig vorbei waren und sie fortan lange draußen auf der Bank sitzen und den Vögeln bei ihrer Gutenachtmusik zuhören konnte. In ihrem Alter waren solche Dinge schöner als jedes Abenteuer. Obwohl – mal wieder richtig etwas erleben, nicht so viel allein sein … das hätte auch etwas.
Elisa konnte es kaum erwarten, endlich mit dem Backen zu beginnen. Diese Tätigkeit entspannte sie und vertrieb die Einsamkeit, die sie in den letzten Monaten immer häufiger schmerzhaft verspürte.
»Aber zuerst werde ich ein Käffchen auf meiner Terrasse einnehmen und den kommenden Tag in Ruhe angehen. Hektik hat noch keinem geholfen.«
Elisa schenkte sich einen Kaffee in ihren Lieblingsbecher ein und setzte sich nach draußen auf ihre Terrasse.
Von hier aus hatte sie einen fantastischen Blick auf das Flüsschen Medem, das sich mit ruhigem Strom Richtung Nordsee und Elbmündung durch das Hadelner Land zog.
Ihr kleines Fachwerkhaus, das Elisa seit über vierzig Jahren bewohnte, schien im Sommer den Himmel anzulachen, im Winter aber duckte es sich vor der Kälte zwischen die umliegenden Häuser und versprach anheimelnde Gemütlichkeit. Elisa liebte ihr Städtchen Otterndorf, in dem es an manchen Stellen schien, als wäre die Zeit stehen geblieben. Für sie eine beruhigende Vorstellung, denn manchmal glaubte sie, das Leben sprudelte viel zu schnell an ihr vorbei. Plötzlich war sie alt. Plötzlich zeigten ihr die fünfundsiebzig Jahre, dass die Sanduhr des Lebens immer leerer wurde.
»Noch bin ich fit«, murmelte sie und nahm einen Schluck Kaffee, den sie immer schwarz trank. »Und neugierig darauf, was mir die Zukunft so bringen mag.«
Denn auch in ihrem Alter hatte man noch Hoffnung auf positive Veränderungen. Sonst müsste sie ja Morgen für Morgen in den Garten gehen und beginnen, ihre Endzeitgrube auszuheben. Dazu war sie allerdings noch nicht bereit, und schließlich zahlte man am Ende ja genug für die letzte Ruhestätte, sodass es auch die Totengräber übernehmen konnten.
»Über was denkst du schon wieder nach«, sagte Elisa mit einem leisen Kichern zu sich selbst. »Jetzt freust du dich mal lieber auf morgen!«
Dann schlug sie die Hand vor den Mund, weil sie sich schon zum x-ten Mal dabei ertappte, dass sie Selbstgespräche führte. Ja, sie war wirklich einsam geworden.
Elisa hatte sich sogar schon ein paarmal als Besucherin einer Beisetzung wiedergefunden, weil sie nichts Besseres vorhatte. So konnte sie an der Kaffeetafel teilnehmen, etwas vom gefüllten Butterkuchen naschen und sich mit den anderen Leuten unterhalten.
Doch solche Besuche sollten nicht zur Gewohnheit werden.
Früher, ja früher, da hatte sie das Tanzbein geschwungen, bis der Morgen graute. Sie war auf dem Pferderücken durch die Marsch und am Deich entlanggeritten und hatte die Weite genossen. Den Wind, der ihr die damals langen Haare aus dem Gesicht geblasen hatte. Aber diese Zeiten waren lange vorbei.
»Das Leben ändert sich eben«, murmelte Elisa. Sie erhob sich, hielt sich aber mit der rechten Hand sofort das Kreuz. Sie sollte mal wieder ihren Physiotherapeuten aufsuchen und sich generalüberholen lassen. Das war wie mit einem Oldtimer, der gehörte auch ab und zu frisch geölt. Ihre Abstände verringerten sich allerdings ständig.
»Bei mir kann der gute Heinzi oben am Hals beginnen und an den großen Zehen wieder aufhören. Nur reichen dazu die von der Kasse vorgesehenen zwanzig Minuten nicht.«
Weil Elisa die krankengymnastischen Behandlungen sehr mochte, buchte sie so manches Mal eine zweite Therapie in Folge und ließ sich von Heinzi so richtig durchkneten. Er hatte Töwerhannen, Zauberhände.
Bis zum großen Zeh arbeitete er sich aber nie durch, so weit kam er gar nicht, weil ihn auf dem Weg dorthin zu viele andere Baustellen abhielten. Hier ein verspannter Muskel, da eine Blockade.
»Bin eben schon ein richtiger Oldie«, sagte Elisa zu sich und warf einen prüfenden Blick zu ihrem blauen Ruderboot mit dem kleinen Seestern vorn am Bug. Es lag gut vertäut am Steg und hatte die steife Brise gestern wohlbehalten überstanden. Damit fuhr sie noch regelmäßig raus, wenn sie den Kopf frei haben wollte. Weit ging es nicht mehr, weil sie das Rudern anstrengte, aber Heinzi war wie sie der Ansicht, dass es sie fit hielt. Und es war so schön, die Augen zu schließen und dem leisen Schlagen der kleinen Wellen am Bootsrumpf zu lauschen, das leichte Schaukeln zu genießen und sich den Wind um die Nase wehen zu lassen. Dann der leicht fischige Geruch, der Wasser zu eigen war und sie mit Frieden erfüllte. Elisa wollte nirgendwo anders leben als in Otterndorf und in der Nähe des Meeres. Wenn sie wollte, konnte sie auf ihrem Hollandrad zum Deich Richtung Cuxhaven strampeln und die unendliche Weite der Nordsee genießen, denn nichts machte Seele und Geist freier, als bis zum Horizont blicken zu können.
»Morgen, wenn alles vorbei ist, dann mache ich mich wieder auf den Weg«, flüsterte sie. »Bis zur Schleuse schaffe ich es zwar nicht mehr, aber etwas weiter als bis zum Alten Hafen ist schon drin. Das kräftigt dann meine Muckis!«
»Moin!«
Elisa schrak aus ihren Gedanken hoch, als ein kleines grün gestrichenes Motorboot, auf dessen Seite eine lachende Möwe abgebildet war, gemächlich über die Medem schipperte. Ihr winkte ein Mann in ihrem Alter und mit blau gestrickter Skippermütze auf dem Kopf zu. Darunter quoll langes Haar hervor, das Gesicht wurde von einem dichten Rauschebart verdeckt, und er war gekleidet wie ein alter Fischer mit Troyer und schwarzer Cordhose.
Gleich würde der Mann zurückkommen, denn er fuhr immer nur bis zur Brücke am Stadtpark, machte dort kehrt und schipperte Richtung Hafen zum Großen Specken und dann vermutlich weiter gen Nordsee.
Elisa kannte den Skipper nur vom Sehen, seinem täglichen und freundlichen »Moin« – gepaart mit einem fröhlichen Winken. Seit etwa einem halben Jahr tuckerte er häufig an ihrem Häuschen vorbei.
Trotzdem fand Elisa es nett, wie freundlich er sie jedes Mal begrüßte. Und ein bisschen ertappte sie sich auch dabei, dass sie auf sein Boot wartete, wenn sie im Garten stand und auf die Medem blickte. Weil ihr die freundliche Stimme gute Laune bescherte. Und das Gefühl, nicht allein zu sein.
Irgendwie sagte ihr das Gefühl, dass der Mann ebenfalls allein war und das Bootfahren als seine Abwechslung sah. So wie sie das Backen oder das Herumwuseln in ihrem kleinen Garten. Aber dennoch fehlte ihr etwas. War es die Herausforderung oder doch einfach ein Mensch an ihrer Seite, für den sie sich verantwortlich fühlte oder derjenige für sie?
Das Alleinsein setzte Elisa täglich mehr zu, und es machte ihr immer weniger Spaß. Sie musste dringend etwas an dieser Situation ändern, wenn sie nicht Gefahr laufen wollte, dass ihr die Decke auf den Kopf fiel.
Elisa hatte sich sogar vor einiger Zeit ein paar Tage bei einem Onlineportal angemeldet. Also da, wo laut Werbung auch alten Damen wie ihr die Herzen schöner Männer sofort zuflogen und sie sich im Dreiminutentakt verlieben konnte.
Aber das stimmte gar nicht, wie sie ernüchtert hatte feststellen müssen.
In den drei Tagen waren Briefe von etwa zehn Kerlen eingetrudelt. Bei vieren handelte es sich um amerikanische Mariner, allesamt verwitwet mit Kindern. Ja, sollte sie sich auf ihre alten Tage noch um den Stars-and-Stripes-Nachwuchs kümmern und sich dann auch noch für einen jungen Kerl aufhübschen, damit er ihr nach der Brutpflege nicht gleich wieder wegflog? Was für ein Stress!
Mit etwas Pech hatte sie dann seine Ableger auf ewig an der Backe, während er bereits neue Kulturen mit einer jungen Pflanze angesetzt hatte.
Nicht mit ihr!
Diese Herren hatte sie gleich weggeklickt, auch wenn sie mit ihren Uniformen recht schmuck aussahen. Aber eigentlich war sie eher pazifistisch unterwegs und legte auf Lametta an der Brust keinen Wert.
Drei der anderen Galane trugen Vollbart, einer sogar bis zur Brust, und sie hatten allesamt Tattoos auf den muskulösen Oberarmen. Das war gar nichts für Elisa. Dieses Herumgesteche auf der Haut, wo dann diese eigenartigen Gemälde entstanden, die sich je nach Hautzustand entweder ausdehnten oder hoffnungslos zusammenfalteten, als wäre einem Ballon die Luft ausgegangen. Was sollte sie also mit einem lebendigen Gemälde? Wenn sie ein Bild schön fand, kaufte und rahmte sie es, und ab an die Wand. Das konnte sie aber ja mit einem Verehrer nicht machen – also falls sie das Bild dann wider Erwarten doch schön fand und es gern ständig betrachten wollte.
Die mussten also auch von ihrem Bildschirm verschwinden.
Die restlichen drei Männer wirkten schon auf den Fotos so, als würden sie den Mund nicht aufbekommen, denn ihnen gelang nicht einmal ein Lächeln. Dann die pomadigen Haare und dieser Business-Auftritt, als hätten sie ein Bewerbungsgespräch bei der Bank vor sich und buhlten nicht um ein Liebesabenteuer mit einer Dame, denen sie ihr Herz schenken wollten, sondern darum, ihr einen Kredit anzuschnacken. Also: weg damit.
Ihr Papierkorb mit aussortierten Verehrern hatte sich so schnell gefüllt, wie das Portal versprochen hatte, dass sie eigentlich ihre Liebe finden sollte.
Der letzte und einzig attraktive Kandidat war fünfundzwanzig, hatte sich bestimmt nur verklickt oder gehörte der Zunft der Heiratsschwindler an. Also war auch er von ihrem Bildschirm verschwunden.
Das Projekt Onlinedating hatte Elisa folglich wieder ad acta gelegt. Von wegen, jeder verliebt sich alle drei Minuten!
Bei ihr war der Funke jedenfalls nicht übergesprungen, und er würde es wohl auch nicht mehr. Manchmal war es einfach besser, ein Häkchen zu setzen.
Sie war mit dem Thema Beziehung und Liebe durch. Das hatte auch viele Vorteile, schließlich war es nicht schlecht, einfach ihr Ding machen zu können und sich nicht absprechen zu müssen. Und sie lief nicht mehr Gefahr, dass ihr das Herz gebrochen werden konnte. Das hatte sie mit Julius’ Tod hinter sich und war froh, endlich wieder lachen zu können.
Es war dennoch befremdlich, dass sie sich über ein grün gestrichenes Boot und dem damit verbundenen freundlichen »Moin« derart freuen konnte – selbst wenn der Fahrer einem gefährlichen Piraten ähnelte.
Elisa hörte das leise Brummen des Motorbootes erneut, und ihr Herz schlug unwillkürlich schneller. Das Tuckern wurde lauter, und dann war der Bärtige wieder auf der Höhe ihres Hauses.
Dieses Mal tippte er sich mit Zeige- und Mittelfinger an die aufgekrempelte Mütze und lächelte freundlich.
Elisa winkte wie jeden Tag zurück, und erst als das Boot verschwunden war, drehte sie sich um und ging zurück zum Haus.
»Ich sollte wirklich mal nachforschen, wie er heißt und wo er wohnt«, murmelte sie. »Auch Piraten können ja nett sein. Sind nicht alle Verbrecher.« Elisa kicherte übermütig. »Aber heute habe ich keine Zeit, heute ist Backen angesagt.«
Schließlich sollte morgen alles fertig sein, wenn Immo mit der Familie kam. Es war immer etwas eng, weil sie nur zwei freie Dachzimmer hatte, aber Elisa hatte die Betten schon bezogen und die Zimmer gereinigt. Wie in jedem Jahr kamen sie am Sonntagnachmittag und blieben eine Nacht. Ihr Montagsfrühstück, bevor es zurück in den Alltag ging, hatten sie stets sehr genossen. Und auch die Enge beim Schlafen war kein Problem.
»Fast wie früher, wenn wir als Halbstarke unterwegs waren und irgendwo geschlafen haben«, sagte sie zu sich. »Da gab es auch keine Himmelbetten und viel Platz. Oft musste eine Isomatte reichen.«
An Immos Seite war aber leider seit drei Jahren Gesa zu finden. Sie glich von der Statur her einer jungen Birke. Schön und biegsam, gertenschlank. Vom Wesen her erinnerte sie Elisa aber eher an die böse Königin von Schneewittchen. Gesa ließ keinen Zweifel an dem Anspruch, dass sie allein die Schönste im ganzen Land war, und ihren Stiefsohn Tobias nahm sie eben in Kauf. Gut, das war nicht Elisas Baustelle, das mussten Immo und Tobias mit Gesa klären.
»Ich sollte jetzt loslegen«, beschloss sie.
Obwohl Elisa die Rezepte zum Teil aus dem Internet hatte, musste sie die Seite nicht erneut aufrufen. So etwas konnte sie sich schließlich merken. So morsch ihre Knochen auch an einigen Stellen schienen, sosehr sich die Muskeln auch hin und wieder versteiften: Ihr Kopf funktionierte noch einwandfrei.
Und Kuchenrezepte konnte sie ausnahmslos in ihren Gehirnwindungen abspeichern. Da war sie spitzfindig.
Jetzt schnell die Schürze umbinden, und dann konnte es losgehen. Sie wollte mit dem Grießboden beginnen, dann hatte sie sich warm gebacken. Das war wie vor einem Sportprogramm, wenn man etwas Vorbereitungszeit mit leichten Aufwärmübungen brauchte, damit später auch die schweren Disziplinen gut zu bewerkstelligen waren.
Mit flinken Bewegungen zauberte sie den ersten Teig.
Was war es für ein erhebendes Gefühl, wenn der Duft süß und vanillelastig durch die Küche waberte! Das löste in ihr ähnliche Glücksgefühle aus wie die Sommertage in ihrem Garten auf jener Bank. Oder das Lächeln des Piraten. Verdammt, sie sollte sich ihn ganz schnell aus dem Kopf schlagen. Auch er trug Vollbart, und das war für sie ein absolutes Ausschlusskriterium, weil sie glaubte, dass der Bart ganz sicher kratzte, wenn man sich näher kam.
Der Teig für den Grießboden war fertig. Sie füllte ihn in eine Springform, nachdem sie die runde Platte zuvor mit Backpapier ausgelegt hatte. Dann löste er sich später leichter. Danach kam der Boden in den Backofen.
Weil sie jeden Kuchen der Reihe nach abbuk, um den unterschiedlichen Temperaturen gerecht zu werden, konnte sie sich mit dem Rührteig Zeit lassen und auch schon den Teig für ihren beschwipsten Erdbeerkuchen vorbereiten.
Elisa stellte das Radio lauter und freute sich über den Hit von Neil Diamond: »It’s a beautiful noise«. Dazu ließ es sich herrlich rühren, und ihr ging der passende Hüftschwung dazu gut von den Füßen. Heinzi wäre begeistert!
Inzwischen zog schon der Duft des Grießbodens durch die Küche. Elisa prüfte ihn, ja, er hatte sowohl die richtige Festigkeit als auch die leicht braune Färbung. Bei dem Kuchen musste sie immer höllisch achtgeben, damit er nicht zu dunkel wurde und dann an Geschmack einbüßte.
Der Rührteig für den Erdbeerkranz war schon in der Springform mit dem geschwungenen röhrenförmigen Boden eingefüllt, so hätte er später oben eine schöne wellige Form.
Ein wenig würde er gleich noch aufgehen und dann hoffentlich nach dem Backen eine lockere Konsistenz haben.
So vergingen die Stunden mit Rühren, Vermischen und Dekorieren, bis alle drei Kuchen fertig waren. Kurz überlegte Elisa noch, ob sie auch einen Waffelteig machen sollte, denn an einem Kaffeenachmittag wäre es die Krönung, wenn der Duft der frischen Waffeln durchs Haus zog und einfach Lust auf Kuchen machte. Dazu frisch geschlagene Sahne und gezuckerte Erdbeeren.
Doch ein Blick auf ihren Vorrat an Früchten zeigte ihr, dass sie von der Idee Abstand nehmen musste, denn die Früchte würden nicht ausreichen. Es war wohl besser, sie selbst und sofort zu vertilgen.
Danach betrachtete Elisa zufrieden ihr Werk. Der Kuchen und die beiden Torten sahen meisterhaft aus. Nun noch alles kalt stellen, und dann konnte es morgen losgehen.
Der Sonntag brachte nicht nur strahlenden Sonnenschein, sondern auch eine große Hitze mit sich, sodass Elisa schon befürchtete, ihre Kuchen würden später bei der Wärme zerlaufen. Aber sie hatte im Keller einen großen Kühlschrank und musste sich deswegen nicht den Kopf zerbrechen.
Gleich wollte sie noch Sahne schlagen, und dann konnte ihr Sohn Immo mit Gesa und Tobias kommen. Dank ihm wusste sie nun immerhin, was das Wort chillen bedeutete. Sie hatte es nicht einmal googeln müssen, denn es reichte, ihm zuzuschauen.
Tobias betrieb dieses merkwürdige Ausruhen, bei dem man sich offenbar gedankenmäßig oder mental, wie man heute sagte, weit weg katapultierte, allerdings stets so akribisch, dass Elisa befürchtete, er könnte dabei einschlafen, vom Stuhl fallen und sich den Kopf aufschlagen. Das konnte er schon als Kind gut, deshalb wusste Elisa, wie doll diese Wunden bluteten. Und wenn er dann auch noch den Teller Erdbeerkuchen samt Schlagsahne in der Hand hatte und es Scherben gab … Sie mochte es gar nicht zu Ende denken.
»Er ist ja jetzt auch älter geworden, vielleicht braucht man das Chillen dann nicht mehr ganz so oft«, machte sie sich selbst Mut. Kleinkinder benötigten schließlich auch keinen Mittagsschlaf mehr. So war es ja möglich, dass auch Teenager dem Chillen eines Tages entwuchsen.
»Hauptsache, Immo und Co. sagen nicht wieder ab«, murmelte Elisa. Ihr Herz klopfte heftig bei dem Gedanken, denn im letzten Jahr …
Sie erinnerte sich nur ungern daran. Gerade als sie damals den herrlichen Biskuit aus dem Ofen gezogen hatte, war der Anruf gekommen. Die Erdbeeren hatte sie dann den Nachbarskindern geschenkt und den Boden nach und nach selbst weggeknabbert. Nach drei Tagen war er allerdings schon recht hart gewesen, und sie war sich vorgekommen wie ein Pferd, das auf hartem Brot herumnagte.
»Das passiert in diesem Jahr nicht«, machte sich Elisa selbst Mut. »Immo hatte schließlich einen triftigen Grund, weil er beruflich eingespannt war! Er hätte längst abgesagt, wenn es heute nicht klappt.«
Dennoch blieb diese Unruhe, denn seit Gesa bei ihrem Sohn das Sagen hatte, war alles anders als früher. Elisa hatte sich immer geschworen, niemals gegen die Beziehungen ihres Sohnes zu arbeiten, aber da hatte sie noch nicht gewusst, dass es eine Gesa geben konnte. Sie war Influencerin und verdiente ihr Geld damit, dass sie neckische Filmchen viral gehen ließ und dabei Produkte vorstellte und verkaufte. Zusätzlich feilte und dekorierte sie die Nägel von anderen Frauen.
Das allein wäre ja kein Grund, sie nicht zu mögen, aber wie schwer war es, wenn die Freundin ihres Sohnes ständig suggerierte, sie hätte es bei Elisa mit einer betagten und senilen Person zu tun, obwohl sie doch noch selbstständig war und sich mit dem Internet gut auskannte. Sonst würde sie die Gesa-Postings schließlich nicht kennen.
Erdbeerkuchen war auf jeden Fall nicht Gesas Leibgericht, denn er schadete ihrer Figur, und zum Gesamtbild der Schwiegertochter in spe gehörte Bodyforming. Das hatte Elisa begriffen.
Mit jeder Minute, in der das Telefon still blieb, wuchs Elisas Zuversicht auf einen wunderbaren Erdbeertag. Es würde alles gut gehen. Ganz sicher würde es das. Auch ihrem Sohn war dieses Familienevent heilig.
»Nun chill du mal!«, machte sie sich selbst Mut. Aber das blöde Gefühl wollte einfach nicht verschwinden.
Der gedeckte Tisch sah wundervoll aus. Weil die Sonne kraftvoll vom Himmel schien, hatte Elisa beschlossen, das Kaffeetrinken auf die Terrasse zu verlegen. Sie liebte es eben, sich draußen aufzuhalten, dem Treiben auf der Medem zuzuschauen und dem Gesang der Vögel zu lauschen.
Für die Terrasse nutzte sie immer ein besonderes Gedeck, weil sie fand, dass es wunderbar zu ihrem rustikalen Holztisch passte. Es handelte sich um ein schweres blaues Steingutgeschirr. Das Gesamtbild rundeten ihre karierten Servietten und der dickbauchige Glaskrug ab. Darin servierte sie Wasser, in dem Minzestängel und Limetten schwammen, die für einen fruchtigen Geschmack sorgten.
Seitlich befand sich eine schlichte Vase, in die sie prächtige rosafarbene zarte Röschen drapiert hatte – vor einer Stunde frisch im Garten geschnitten.
Es sah aus wie in Elisas Lieblingsgartenzeitschrift. Dort schaute sie sich gern solche Arrangements an.
Auf ihrer lauschigen Terrasse war es angenehm schattig, weil sie von Clematis und Kletterhortensien begrünt wurde. An der Wand zur Medem blühten schon seit Jahren bunte Stockrosen und wiegten sich im Wind.
Elisa schaute auf die Uhr. Noch eine Stunde, dann wäre ihre Familie da. Sie musste nur noch den Kaffee aufsetzen, und dann begann der schönste Tag des Jahres für sie. Den Erdbeerkuchentag fand Elisa viel wichtiger als Ostern und Weihnachten zusammen.
Weil er seit vielen Jahren etwas Besonderes war. Na ja, und an Weihnachten war Immo mit der Familie schon lange nicht mehr bei ihr gewesen. Es war eine lange Strecke von Köln nach Otterndorf, und Tobias hatte andere Interessen, als die Oma zu bespaßen. Aber der Erdbeertag, der hatte, bis auf das letzte Jahr, immer geklappt.
Elisa schrak zusammen, als das Telefon klingelte, und kurz überlegte sie, einfach nicht dranzugehen. Wenn es tatsächlich Immo war, der sie nun kurz vor ihrem Termin versetzte … Das würde sie kein zweites Mal ertragen.
»Elisa!«, machte sie sich selbst Mut. »So gemein ist er nicht.« Denn wenn sie nicht losgefahren wären, hätte er sich schon am Morgen gemeldet.
Sie ging also hinein und nahm den Hörer von ihrem neumodischen Funktelefon ab. Es hatte ein schickes silbernes Design, natürlich verfügte es über eine Freisprechanlage und ein weiß beleuchtetes Grafikdisplay. Auch den Wecker mit Wocheneinstellung fand Elisa schick. Wenn es um moderne Technik ging, ließ sie sich nie lumpen. Sie überlegte sogar, ihr Haus richtig »smart« zu gestalten. Was wäre es fein, wenn der Kaffee beim Nachhausekommen schon durch den Filter gelaufen wäre. Ein Klick mit dem Handy, und sie würde von den Klängen der Moldau und dem Duft frischen Kaffees empfangen. Geradeso als hätte bereits wer auf sie gewartet. Das wäre zwar eine Illusion, weil sie ein Gemäuer und kein Mensch empfing, aber immer noch besser als diese eigenartigen Männerangebote der Flirtbörse.
Leider war die Umrüstung ihres Hauses nicht ganz billig, und so schreckte Elisa vor diesen Kosten doch etwas zurück.
»Krull«, meldete sie sich mit zögerlicher Stimme.
Bestimmt war es wieder einer der dämlichen Werbeanrufe, bei denen man erst eine lange Zeit gar nichts hörte, bevor sich dann eine schnarrende Stimme meldete und ihren Namen grundsätzlich falsch aussprach. Warum auch immer es so schwer war, sie einfach Frau Krull zu nennen. Und nicht Mull, was manchmal wie Müll klang. Oder Kull, Bull, Brull. Sie hatte schon alles erlebt.
Doch dieses Mal hatte sich wer verwählt, und der Mann entschuldigte sich wortreich für seinen Fauxpas.
Elisa fiel ein Stein vom Herzen. Sie hatte wirklich befürchtet, Immo könnte sie wieder versetzen.
Erleichtert und mit großem Elan stellte sie die Kaffeemaschine an – weil sie den Filter schon eingesetzt hatte, musste sie nur den Knopf drücken, und so schlimm war es dann doch nicht, das selbst zu tun. Anschließend schnitt sie die beiden Torten und den Kuchen an. Sie war da sehr pingelig und achtete stets darauf, dass gleich große Stücke entstanden, denn alles andere zerstörte die Optik. Nun fehlte für den Grießerdbeerkuchen nur noch die geschlagene Sahne. Natürlich gab sie eine Prise Vanillezucker dazu, denn nur dann fand sie die Sahne richtig schmackhaft.
Hach, wie das duftete!
Nun noch alles vorsichtig raustragen und so anrichten, dass einem das Wasser im Munde zusammenlief. Es machte durchaus einen Unterschied, wie sie die Kuchen platzierte.
Als Elisa fertig war, klatschte sie begeistert in die Hände, denn es sah fantastisch aus. Sie ging zurück in die Küche, um dort noch etwas Ordnung zu schaffen.
Endlich hörte sie Schritte und Stimmen. Kurz darauf klopfte es an der Tür des Fachwerkhäuschens in der Eschstraße. Sie hatte neben der Klingel auch diesen rustikalen Messingring, den ein Löwe im Maul trug. Das passte wunderbar zu der alten Tür und dem Fachwerkhaus.
Elisa hatte die Holzbalken erst im letzten Jahr wieder neu weißen lassen, sodass der rote Klinker dazwischen gut zur Geltung kam.
Sie öffnete und strahlte ihren Jungen an. Er war braun gebrannt und hatte immer einen verschmitzten Gesichtsausdruck.
»Moin«, begrüßte Immo sie, schaute zwar die Fassade hinauf, verlor aber kein Wort darüber, wie hübsch es geworden war. »Da sind wir!«
Immo küsste seine Mutter rechts und links auf die Wangen.
»Moin, mien Jung. Schön, dass ihr da seid.« Sie reckte den Hals, weil sie es gar nicht abwarten konnte, dass Tobias gleich auf ihrer Terrasse mit dem Chillen begann. Doch hinter Immo stand nur Gesa mit ihren schlanken und wohlgeformten Beinen, die mangels Po nahtlos in einem genauso schlanken und wohlgeformten Körper endeten.
»Wo steckt denn Tobias?«, fragte Elisa mit betont fröhlicher Stimme, doch sie ahnte schon, welche Antwort folgen würde.
»Er hat ein Handballspiel«, antwortete Gesa. »Das passte mit der Reise nicht.«
Elisa schluckte die Enttäuschung über das Fehlen ihres Enkels tapfer hinunter. So war es eben, wenn die Kinder älter wurden, da hatte ein Besuch bei Oma keine oberste Priorität mehr. Elisa, das hat nix mit dir zu tun, das ist der Lauf der Welt. Für Tobi gibt es eben nur drei Dinge: Chillen, Gamen und Handball.
Am besten stellte sie gleich die nächste Frage, dann würde es ihr besser gelingen, das Thema abzuhaken. »Wo habt ihr denn den Wagen gelassen?«
»Wir stehen auf dem Parkplatz in der Mühlenstraße«, gab Immo Auskunft. »Dann kommen wir wohl erst einmal rein, was?«
Elisa machte einen Schritt zur Seite. »Ich habe auf der Terrasse gedeckt.«
Gesa nickte und hatte wieder einen leidenden Gesichtsausdruck, denn irgendwas plagte sie immer. Mal schmerzte der Kopf, dann die linke Wade oder die Kuppe vom rechten Zeh. Ab und zu zuckte auch ihre Braue, und das immer dann, wenn sie aufgebracht war. Allerdings deutete sie das als schwere Nervenerkrankung, basierend auf ihrem hohen emotionalen Stress, weil sie ständig auf der Suche nach einem kalorienarmen Essen war, das keine Pfunde auf die Hüfte tackerte, oder weil es so anstrengend anmutete, stets den optimalen Social-Media-Post mit dem richtigen Lächeln zu erstellen.
Es war allerdings gleichgültig, was Gesa fehlte: Ihre Leiden waren stets dramatisch, und sie plagten sie auch immer schlimmer als jeden anderen.
Plötzlich hielt sich Gesa die linke Hüfte fest.
Elisa kam gar nicht dazu, nachzufragen, was sie denn heute so quälte, denn Gesa stöhnte leise auf und sagte mit schmerzerfüllter Stimme: »Mein Magen!« Sie verdrehte theatralisch die Augen, so als würde sie in Kürze kollabieren. »Einmal was Falsches gegessen. Einmal nicht gut gekaut. Du weißt ja, wie gern er rebelliert!«
Hauptsache, nicht quer über den Tisch, dachte Elisa, lächelte weiter freundlich, fragte sich aber zugleich, warum Gesa eigentlich ihre Hüfte mit der Hand streichelte. Der Magen saß schließlich woanders, so viel anatomische Kenntnisse besaß sie durchaus.
Gesa bemerkte Elisas fragenden Blick. Ihre Hand schnellte in die Bauchmitte.
»Es strahlt manchmal nach unten hin aus«, erklärte sie. »Richtig weit, das ist ganz furchtbar. So etwas Schlimmes hast du in deinem ganzen Leben sicher noch nicht mitmachen müssen.«
Elisa runzelte die Stirn. Gesa war kinderlos und konnte deshalb nicht einschätzen, wie schlimm ein Geburtsschmerz sein konnte. Elisa hatte nach einer schweren Kolik auch schon eine Gallen-OP geschafft und die eine oder andere Magengrippe überlebt. Also war sie, was Schmerzen und Unwohlsein anging, nicht vollkommen unerfahren.
Doch diese Diskussion würde nichts bringen, weil Gesa eben immer schlimmer dran war als alle anderen. Manchmal kamen Elisa bei den Litaneien ihrer Fast-Schwiegertochter ketzerische Gedanken. Auch jetzt konnte sie sich nicht erwehren, dass ihr etwas besonders Fieses durch den Kopf schoss und es ihr auch leise über die Lippen floss.
»Wenn Gesa mal stirbt, dann übertreibt sie so richtig«, murmelte sie, riss sich dann aber zusammen und lächelte die Freundin ihres Sohnes breit an, in der Hoffnung, auf diese Weise Mitleid zu suggerieren. Aber so ganz konnte sie es doch nicht lassen zu sticheln. »Der Bauch also. Hatte ich auch schon mal. Ist nicht so schlimm.« Diese Bemerkung bescherte ihr sogleich einen bitterbösen Blick, sodass sie sich lieber korrigierte, um die Situation nicht eskalieren zu lassen. Stimmte man Gesa nicht in allen Punkten zu, konnte das böse Folgen haben. »Also bei mir war es nicht so schlimm, das verhält sich bei dir sicher anders.«
»Allerdings«, bestätigte Gesa spitz.
»Es ist schön und tapfer, dass du trotzdem gekommen bist.«
Gesas Gesichtszüge wurden weicher, genau das hatte sie wohl hören wollen.
Elisa beschloss, das Thema zu wechseln, denn auf Dauer würde sie diese Scharade nicht ertragen. Wie Immo das schon so lange aushielt, war ihr ein Rätsel.
»Nun wenden wir uns mal dem Genuss zu«, schlug sie vor. »Die Erdbeeren haben in diesem Jahr ordentlich Sonne bekommen und schmecken besonders süß. Das wird dir schmecken und dich bestimmt wieder aufpäppeln.«
»Ich habe seit ein paar Wochen eine Erdbeerallergie«, gab Gesa zurück und war damit schon wieder bei ihrem Lieblingsthema. Sie schaffte es tatsächlich immer wieder, das Gespräch zurück zu ihren Erkrankungen zu bringen.
Immo schob seine Freundin vorsichtig in Richtung Tisch. »Gesa, setz dich doch schon mal. Nicht dass dir dein Kreislauf bei der Wärme noch einen Streich spielt.« Er wandte sich wieder an seine Mutter. »Ihr geht es schon die ganze Reise über nicht gut. Schlimm, was sie so durchmachen muss, oder?«
»Ganz deiner Meinung«, lenkte die mit aufgesetzter Fröhlichkeit ein. »Ich habe oben die Zimmer fertig gemacht. Wenn nur ihr beiden da seid, ist es zumindest nicht zu eng, und wir müssen morgen früh nicht so lange am Bad anstehen. Alles hat Vor- und Nachteile.«
Immo verzog das Gesicht, wie er es gern tat, wenn ihm eine Sache unangenehm war. »Also, dass Tobias nicht dabei sein kann, hängt mit dem Handballspiel zusammen. Das ist heute Abend.«
»Ja, und?« Elisa deutete zum Tisch, wo sich Gesa sofort mit schmerzverzerrtem Gesicht auf einen der Stühle fallen ließ.
»Dieses Handballspiel ist immens wichtig und entscheidet darüber, ob Tobis Mannschaft aufsteigt.«
»Toll, dann ist er ja sehr erfolgreich. Das ist doch super!«, sagte Elisa erfreut.
»Ja, nicht wahr?«, mischte sich Gesa ein. »Sport ist sehr wichtig für den Muskelaufbau und die geistige Fitness. Das muss gefördert werden.«
Da war doch was im Busch! »Was wollt ihr mir bitte schön sagen?«
Immo rang mit sich, bevor er erklärte: »Wir müssen deshalb gleich wieder los. Schließlich wollen wir ihn und seine Jungs ja kräftig anfeuern.«
Daher wehte also der Wind. Die Betten hatte Elisa folglich umsonst bezogen.
»Wie jetzt?«, brachte sie hervor. »Ihr seid die ganze Strecke aus Köln nur nach Otterndorf gekommen, um mir zu sagen, dass ihr gar keine Zeit habt?« Sie fasste es nicht.
»So ganz ist das nicht«, erklärte Immo. Er lief nun puterrot an und schabte mit der Schuhspitze über das Pflaster.
Elisa legte fragend den Kopf schief. »Ich höre!«
»Nun ja. Deswegen sprach ich eben von der Reise. Gesa und ich haben zwei Tage lang Urlaub in Cuxhaven gemacht. Ein bisschen Duhnen und den Strand genießen, zur Alten Liebe gehen und solche Sachen. Du weißt schon.«
Solche Sachen also. Elisa fehlten die Worte, und Immos weitere Erklärungen prallten an ihr ab.
»Wir sind quasi auf dem Rückweg von einer kleinen Auszeit. Die hatten wir bitter nötig.«
Hörte Elisa da einen Unterton, der zeigte, dass es mit der Beziehung der beiden gerade nicht zum Besten stand?
»Hat es geholfen?«
»Ja«, entfuhr es Gesa blitzschnell. »Duhnen hat einen tollen Strand. Perfekt für meine neue Insta-Kampagne mit dem Sonnenöl.«
»Und wo war Tobi? Allein zu Hause?«
»Waren ja nur drei Tage«, sagte Gesa. »Und er ist schon siebzehn. Da kommt er schon zurecht. Gibt schließlich den Pizzadienst und etliche Fast-Food-Ketten in Köln.«
Elisa atmete tief durch. Dann war es eben, wie es war. Ein Schmalhans-Erdbeerfest.
Sie lächelte Immo und Gesa an, als wäre die Welt vollkommen in Ordnung. »Dann wollen wir die kurze Zeit einfach genießen. Ich habe dann wohl etwas viel Kuchen gebacken, was?«
»Das wäre auch zu viel gewesen, wenn Tobi mitgekommen wäre und wir drei Stunden zusammengesessen hätten«, warf Immo ein, als er sah, wie üppig Elisa aufgetischt hatte.
»Boah, ist mir schlecht, wenn ich die Kuchenmassen sehe!«, quakte Gesa und verdrehte theatralisch die Augen.
Immo biss sich genervt auf die Unterlippe und sah aus, als müsste er sich merklich am Riemen reißen, seine Freundin nicht anzufahren.
Elisa schenkte Immo und sich Kaffee ein. Gesa hatte die Hand über die Tasse gelegt, sie hatte ja Bauchweh und mochte keinen Kaffee.
In Elisas Kopf sprangen die Gedanken wild ringsumher, als sie realisierte, was genau Immo ihr da eben gesagt hatte.
Sosehr sie die Motivation der beiden verstand, tat es dennoch richtig weh, dass Immo keine Zeit für seine alleinstehende Mutter gefunden hatte. Da weilte ihr Sohn, den sie nur einmal im Jahr sah, wenn er zum Erdbeerkuchenessen nach Otterndorf kam, ein paar Kilometer entfernt in Cuxhaven und befand es weder für nötig, kurz vorbeizukommen, noch, ihr überhaupt davon zu erzählen? Er hatte also exakt dreißig Minuten für sie eingeplant. Obwohl er genau wusste, wie wichtig ihr dieser Tag war. Das musste sie erst einmal sacken lassen.
»Du hättest was sagen können«, stammelte Elisa.
»Hab ich doch. Jetzt.« Immo rieb seine Hände und warf einen Blick auf die Armbanduhr. »Wir wollen pünktlich zu Tobias’ Spiel in Köln sein, und da sich Gesa wohl gestern den Magen verdorben hat, ergibt es auch keinen Sinn, sich jetzt mit Erdbeerkuchen und Sahne vollzustopfen. Das verstehst du sicher.«
»Nein, das verstehe ich alles nicht«, rutschte es Elisa heraus. »Ganz und gar nicht verstehe ich das. Wenn ihr heute keine Zeit habt, dann hättet ihr doch nur kurz was sagen müssen, und wir hätten das Erdbeerfest eben einen Tag früher gefeiert. Oder an einem anderen Tag. Wir sprechen es doch immer ab.« Sie schnaufte. »Und ich hätte gestern nicht den ganzen lieben langen Tag in der Küche gestanden, um Kuchen zu backen, den ich nun in die Tonne werfen darf.«
Von der Bettenbezugsaktion mal ganz abgesehen.
»Elisa, nun hör bitte auf, herumzuschimpfen«, warf Gesa mit nunmehr matter Stimme ein. Sie klang so schwach, als würde sie in Kürze das Zeitliche segnen. »Gönne deinem Sohn doch ein paar Stunden allein mit seiner Freundin! Und ein wenig mehr Verständnis für meinen Umstand kann ich doch auch erwarten, oder nicht?«
»Bist du schwanger?«, entfuhr es Elisa entsetzt.
»Nein, Mutter, keine Sorge«, versuchte Immo, sie zu beruhigen.
Elisa atmete erleichtert auf. »Ihr seid so selten hier …« Sie brach ab. Es war zwecklos, und Lamentieren half nichts. Immo und Gesa hatten so entschieden, und ihre Befindlichkeit tat hier nichts zur Sache. »Gut, dann ist es eben so«, sagte sie und betrachtete wehmütig die drei Kuchen. Alles Leckereien, die dringend verspeist werden wollten. »Dann nehmt doch einfach etwas mit. Wer soll das denn alles essen?«, schlug sie vor, bloß um etwas zu sagen und den Schmerz zu überbrücken. »Tobi freut sich doch bestimmt darüber.«
Gesa stöhnte laut auf. »Elisa! Es sind fünfundzwanzig Grad! Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass wir diesen Kuchen«, sie spie das Wort regelrecht aus, als hätte Elisa sie gebeten, schimmliges Brot einzupacken, »mit der geschlagenen Sahne mitnehmen und morgen ganz sicher beide Salmonellen haben werden.«
»Es gibt Kühlboxen«, gab Elisa ungerührt zurück. »Sogar in elektrisch, das kühlt so weit runter, dass die Salmonellen frieren und sich ganz bestimmt nicht in deinem Bauch vermehren. Ich habe so eine im Keller.«
»Lass gut sein, Mama!«, meinte Immo. »Vorschlag zur Güte: Ich trinke meine Tasse Kaffee in aller Ruhe aus und koste dabei gern von deinem leckeren Kuchen.«
»Du lebst Low Carb«, krähte Gesa. »Da darfst du so ein Zuckerzeug mit Kohlenhydraten nicht. Denk an deine schlanke Linie! Zu viel Bauchfett erhöht den Blutdruck! Und ratzfatz kann ich dich beerdigen.«
Elisa runzelte bei dieser erneuten Dramatik die Stirn, aber es war besser, Gesa nicht zu widersprechen. Auch wenn man ihr das Low Carb ansah, denn sie schaute aus wie ein Skelett auf Urlaub, und ihre Proportionen hatten mit dem viel zu großen Kopf auf dünnem Hals das Kindchenschema zurückerworben. Es wäre schade, wenn sich Immo dieser Silhouette anpassen würde, denn sie fand seine Teddyform sehr ansprechend.
»Ich esse nur ganz wenig. Mutter hat sich schließlich solche Mühe gegeben.«
Gesa nickte, warf jedoch zugleich einen Blick auf die Uhr. »Spute dich aber bitte! Nicht dass der Tobi nachher auf uns wartet!«
»Wird er nicht«, sagte Immo. »Ich esse ganz schnell.«
»Das schnelle Essen verursacht Gastritis oder sogar Magengeschwüre«, dozierte Gesa weiter und wandte sich mit strengem Blick an Elisa. »Für mich wäre ein Kamillentee gut.«
»Prima, dann gehe ich jetzt fix die Blüten dafür pflücken, trockne sie kurz im Backofen, und danach kann ich dir den Tee brühen.«
Elisa wusste selbst, wie zickig sie klang. Aber was sollte dieses Theater?
Gesa winkte natürlich dankend ab.
»Ich kann auch einen Beutel in die Tasse hängen. Der Tee ist erst seit Kurzem abgelaufen, und schlecht wird so was nicht. Nur geschmacklos.« Elisa hoffte, dass sie etwas versöhnlicher klang, aber dazu waren ihre Worte wohl zu scharf gewesen.
Ihr war der Appetit derweil vergangen, und sie hätte den Kuchen am liebsten in die Medem geworfen.
Um des lieben Friedens willen machte sie Gesa dann doch einen Becher mit Kamillentee fertig und stellte ihn mit einem liebenswürdigen Lächeln vor sie auf den Tisch.
Sie schaute zu, wie sich ihr Sohn eine winzige Ecke des Kuchens auf den Teller gab und ihn mit einem einzigen Happs verschlang. Den Kaffee kippte er hinterher, und nach etwa dreißig Minuten mahnte Gesa zum Aufbruch. Sie selbst hatte nichts angerührt und auch am Kamillentee nur zweimal genippt, weil ihr eingefallen war, dass der Beuteltee unter Umständen doch einen zu hohen Pestizidanteil hätte und auch sonst viel zu heiß bei den herrschenden Außentemperaturen war.
»Ich mache später noch einen Post über unser Treffen«, versprach Gesa. »Als Trost!« Sie zückte das Handy und fotografierte den Tisch. »Das kommt gut, so hübsch gedeckt. Und dass ein Stück fehlt, macht es so wunderbar authentisch!«
Kurz darauf winkte Elisa ihrem Sohn traurig hinterher. Sie durchquerte ihr kleines Fachwerkhaus und setzte sich unten an den Bootsanleger, wo sie eine Entenfamilie beobachtete und sie in diesem Augenblick unglaublich beneidete. Die Küken schwammen fröhlich piepsend hinter der Mutterente her, und der Vater gab acht, dass ihnen nichts geschah.
Elisa hatte nach Immos und Gesas Abrauschen lange vor sich hin gestarrt und mit den aufkommenden Tränen gekämpft. Als sie nach etwa einer Stunde das leise Tuckern eines Motors hörte, schrak sie zusammen.
Das Brummen verstummte.
Elisa hob den Blick und erkannte, dass der Mann im grünen Boot an ihrem Steg angelegt hatte! Er winkte fröhlich.
»Darf ich mal kurz zu dir kommen?«
Er duzte sie also einfach! Eigenartig, aber es störte Elisa kein bisschen. Über ihr zwitscherte eine Amsel, als würde sie den Fremden freudig willkommen heißen.
Weil ihr kein Wort über die Lippen kam, nickte sie nur, und der Mann näherte sich behände.
»Moin!«, sagte er und nahm seine Skippermütze ab. Hervor kamen jene struppigen blonden, langen Haare, durch die sich ein paar silberne Strähnen zogen. »Wieder allein?«
Elisa nickte und deutete zum Tisch, auf dem noch immer der Erdbeerkuchen stand. Ihr hatte die Kraft gefehlt, alles wegzuräumen.
»Es ist so traurig«, sagte sie. »Erst eine kleine Mannschaft angekündigt und dann mit halber Besetzung eingelaufen und nur kurz vor Anker gegangen.«
Marten schürzte die Lippen.
»Nützt jo nix, Frau Krull. So heißt du doch, oder? Oder ick sach mol Elisa, so nennt man dich im Ort. Ist nicht so förmlich. Ick bün Marten Boekhoff.« Er kratzte sich am Kopf. »Da müssen wir alten Leute wohl durch. Das nennt man Abnabelung.«
Elisa stand nicht der Sinn nach einer solchen Diskussion, dazu war es noch viel zu schmerzhaft. Und ihr Problem wurde dadurch ebenfalls nicht gelöst.
»Jetzt habe ich Berge von Erdbeerkuchen auf dem Tisch, zwei Kannen Kaffee, und wer soll das verputzen?«, fragte sie.
»Ich hätte da schon eine Idee.« Marten grinste, und unter seinem dichten Bart zeigten sich wohlgeformte weiße Zähne.
Elisa ahnte, worauf ihr Besuch hinauswollte. »Du magst Erdbeerkuchen?«
»Ertappt. Also ich wäre der Anfang für das Verringern deines Problems«, sagte er. »Das können wir gerne steigern. In meinen Bauch geht viel rein, aber ich will nicht zu dick auftragen. Diese Mengen da werden auch mich überfordern.«
»Du müsstest mit der beschwipsten Erdbeertorte beginnen«, erklärte Elisa. »Die hält sich nicht so lange.«
Inzwischen amüsierte sie die Situation. Da legte plötzlich an ihrem Steg ein wildfremder Kerl an und schlug vor, ihre Erdbeerkuchenmassen zu vertilgen. Und sie hatte nichts, aber auch wirklich gar nichts dagegen.
»Dann nimm bitte Platz!«, forderte sie Marten auf.
»Ich habe auch richtig Appetit«, sagte er. »Lange nicht mehr so was Leckeres gegessen. Sonst lebe ich eher aus der Dose oder von der heißen Theke beim Schlachter. Das ist zwar eintönig, aber zweckmäßig.« Er lachte auf. »Und Dosenkuchen ist echt nicht der Hit. Oder der aus der Folie.«
»Warum bist du eigentlich wirklich hergekommen? Du konntest doch nicht ahnen, dass mich meine Familie versetzt und ich meine Kuchenberge nicht loswerde.«
»Ich habe das gerochen«, gab Marten zur Antwort, nahm sich ein weiteres Stück Kuchen und kaute genüsslich.
»So ein Quatsch!«, entfuhr es Elisa. »Also, raus mit der Sprache! Warum bist du hier?«
Nun lief Marten feuerrot an, und er legte die Kuchengabel auf den Teller. »Weil ich dich endlich kennenlernen wollte. So oft bin ich nun extra an deinem Häuschen vorbeigetuckert, so oft haben wir uns nur von Weitem begrüßt. Und als ich dich da eben so allein habe sitzen sehen, da konnte ich nicht anders, als anzulegen. Dass ich für meinen Mut nun auch noch beschwipste Erdbeertorte essen darf, ist ein Geschenk.«
Elisa war über so viel Ehrlichkeit verblüfft. Sie beäugte ihren Gast jetzt intensiver.
Marten hatte wirklich wirres Haar, das den Eindruck erweckte, es wolle dringend mal geschnitten werden. Es war allerdings frisch gewaschen, und Marten roch leicht nach dem Rasierwasser Tabac. Seine Kleidung war alt, aber nicht ungepflegt, an manchen Stellen stümperhaft geflickt. Ein bisschen wirkte er wie ein aus der Zeit gefallener Waldschrat. Und doch – Elisa wollte gern mehr über ihn wissen.
»Wo wohnst du eigentlich?«, fragte sie schließlich, um die Unterhaltung nicht verstummen zu lassen.
Marten vertilgte derweil das dritte Stück von der beschwipsten Torte, linste allerdings schon zum Erdbeerkranz.
»Gar nicht so weit weg«, erklärte er. »Die Medem hinab und dann direkt am Deich in der Nähe vom Wohnmobilstellplatz auf einem alten Hof.« Er schaute Elisa fragend an. »Darf ich etwas Kaffee zur Torte? Dann schmeckt der ohnehin fantastische Kuchen noch besser. Ich habe noch nie so etwas Leckeres gegessen.«
Elisa schenkte ihm eine Tasse Kaffee ein, nahm selbst auch etwas und entschloss sich, die beschwipste Torte ebenfalls zu probieren. Sie nahm eine Gabel voll und konnte gar nicht anders, als die Augen zu schließen. Mit dieser Torte hatte sie sich selbst übertroffen. Die perfekte Süße, dann die Weiche der Creme in Verbindung mit den gerösteten Mandeln und der leichte Campari-Geschmack waren mehr als ein Traum. Das war spektakulär!
Es dauerte, ehe sie sich gefangen hatte und Marten anschauen konnte.
»Du bist von deiner eigenen Torte regelrecht begeistert«, stellte der fest und angelte sich endlich ein Stück vom Erdbeerkranz. »Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Ich lebe dort allein und sehr zurückgezogen. Also nix mit Vereinsleben in Otterndorf oder so. Ich weiß, mein Äußeres schreckt ein wenig ab. Es ist – praktisch und ungewöhnlich.« Er kicherte. »Ich bin aber kein Wald-, sondern ein Deichschrat.«
Elisa stimmte in seinen Heiterkeitsausbruch ein. »Waldschrat ist mir tatsächlich vorhin auch durch den Kopf geschossen. Du hast allerdings recht. Wo kein Wald, da kein Schrat.«
»Aber wo Deich, da dann schon, also der Schrat«, meinte Marten zufrieden und rieb seinen Bauch. »Eigentlich bin ich wirklich voll, aber hättest du ein Problem damit, wenn ich noch ein Stück vom letzten Kuchen probiere? Nur eine winzige Ecke, ich platze nämlich gleich.«
»Nur zu!«, forderte Elisa ihn auf. »Was soll ich mit alldem machen? Für den Müll ist es wirklich viel zu schade.«
Marten nahm sich ein kleines Stück und erzählte weiter. »Jedenfalls lebe ich sehr zurückgezogen und bin eher menschenscheu. Dass ich heute gewagt habe, bei dir anzulegen, verwundert mich selbst. Wahrscheinlich habe ich doch diesen leckeren Kuchen gerochen. Und das hat mich verzaubert.«
Elisa fühlte sich ein bisschen geehrt, doch sie wollte das nicht vertiefen.
»Wenn du nur selten in Otterndorf bist oder eben nur zum Einkaufen, erklärt das natürlich, dass wir uns in der Stadt nie begegnet sind«, meinte sie ausweichend. »Ich bin nur selten an der Schleuse, meist fahre ich mit dem Rad in die andere Richtung.«
Marten hatte alles aufgegessen, und noch immer war viel zu viel Kuchen da. »Auf jeden Fall bin ich froh, dass ich nun bei dir auf dieser wunderschönen Terrasse sitzen darf. Manchmal ist das Deichschratdasein doch ziemlich einsam. Und dass es dir gerade ähnlich geht, passt zusammen.«
Ein wenig war es Elisa peinlich, weil sie wohl ebenso verloren wirkte wie ihr Gegenüber. Nur würde sie das nie zugeben, denn Schwäche war keine Eigenschaft, die sie schätzte, und bei sich schon gar nicht.
Dennoch wunderte sich Elisa, dass sie einen Wildfremden einfach so nah an sich heranließ. Das hatte sie noch nie getan und wollte es auch keinesfalls zur Gewohnheit werden lassen.
Aber Marten Boekhoff war im Augenblick der einzige Mensch, bei dem sie kurzfristig ihren Erdbeerkuchen hatte loswerden können. Und der in diesen schrecklichen Stunden, in denen sie sich einsam und verlassen gefühlt hatte, an ihrer Seite war.
Wäre er nicht gekommen, hätte sie vor lauter Frust den Kuchen in die Mülltonne gepfeffert, denn nicht einmal die Entenfamilie hätte Freude daran gehabt, sondern allenfalls Bauchweh. Außerdem war es ohnehin umstritten, weil die Tiere den Teig schwer vertrugen, ja sogar gefährdet wurden und man mit den Fütterungen die Ratten anlockte. Also war besser gewesen, Marten etwas abzugeben, als alles in die Tonne zu werfen, was dann wohl als einzige Alternative geblieben wäre, denn diese Kuchensorten konnte sie nicht einfrieren, weil die Früchte matschig werden würden und der Tortenguss …
»Du bist also satt, und was jetzt?«, fragte Elisa. »Wir haben uns nun den Bauch vollgeschlagen, und hast du jetzt eine Idee, wie wir den restlichen Kuchen loswerden? Denn dass wir von dem hier noch mehr verputzen, halte ich für utopisch.«
»Jo, da hast du wohl recht. Ich habe alles genossen, und es ist an der Zeit, mir den Kopf über die Weiterverwertung zu zerbrechen. Ich bin nämlich Schrottexperte!«
Elisa blieb beinahe die Luft weg. »Mein Kuchen ist doch kein Schrott! Das ist feinstes Backwerk.«
Marten verzog erschrocken das Gesicht. »Oje, so war das gar nicht gemeint. Also ich wollte nur sagen, dass ich aus Alt Neu mache.«