Omniworld - Mark Taler - E-Book + Hörbuch
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Omniworld E-Book und Hörbuch

Mark Taler

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Beschreibung

Omniworld ist besser als die Realität. In der nahen Zukunft hat das Simulationsprogramm eine gesellschaftliche Revolution ausgelöst. Die Menschen leben, arbeiten und verwirklichen sich in der beliebtesten Metaverse-Plattform mit dem Motto "Sei, wer du wirklich bist". Aber während die Technologie hinter Omniworld immer besser wird, verkümmert die reale Welt. Der von den Nutzern vergötterte Omniworld-Gründer Ethan Hubble wird unterdessen immer einflussreicher. Wissen ist Macht und Omniworld bietet ihm unbegrenzte Möglichkeiten, Einfluss auf die Politik zu nehmen und die Gesellschaft in seinem Sinne umzubauen. Doch nicht jeder glaubt den Heilsversprechungen des simulierten Zeitalters. Und dann geschehen immer mehr seltsame Dinge... Wem kannst du noch trauen, wenn die Simulation besser als die Realität ist? Spannung und aktuelle Themen vor einem erschreckenden Zukunfts-Szenario. "Diese Version von Omniworld war echt ein Meisterwerk. Sie konnte schon spüren, wie ihre Synapsen sich in freudiger Erwartung an die neue Umgebung anpassten, der erste Widerstand nachließ. Bereit, eine neue, gütigere Realität zu akzeptieren." (Auszug aus "Omniworld")

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Seitenzahl: 354

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Zeit:10 Std. 10 min

Sprecher:Bastian Palmersheim
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Inhaltsverzeichnis

2033

2033 – 1. Ethan

2033 – 2. Marie

2033 – 3. Steffen

2033 – 4. Ethan

2033 – 5. Marie

2033 – 6. Steffen

2035

2035 – 1. Ethan

2035 – 2. Marie

2035 – 3. Ethan

2035 – 4. Steffen

2035 – 5. Marie + Ethan

2035 – 6. Steffen

2035 – 7. Marie

2035 – 8. Ethan

2040

2040 – 1. Ethan

2040 – 2. Marie

2040 – 3. Steffen

2040 – 4. Lisa

2040 – 5. Ethan

2040 – 6. Marie

2040 – 7. Lisa

2040 – 8. Ethan

2040 – 9. Steffen

2040 – 10. Marie

2040 – 11. Lisa

2040 – 12. Steffen

2040 –13. Ethan

2040 – 14. Steffen

2040 – 15. Lisa

2045

2045 – 1. Ethan

2045 – 2. Steffen

2045 – 3. Marie

2045 – 4. Lisa

2045 – 5. Steffen

2045 – 6. Ethan

2045 – 7. Marie

2045 – 8. Lisa

2045 – 9. Steffen

2050

2050 – 1. Ethan

2050 – 2. Lisa

2050 – 3. Marie

2050 – 4. Steffen

2050 – 5. Marie

2050 – 6. Steffen

2050 – 7. Marie

2050 – 8. Steffen

2050 – 9. Jason

2050 – 10. Marie

2050 – 11. Jason + Marie

2050 – 12. Steffen

2052

2033

2033 – 1. Ethan

Die erste Zeile von Queens „Bohemian Rhapsody” ertönte aus den Lautsprechern: „Is this the real life? Is this just fantasy?” Das Lied stoppte abrupt und die Bühne wurde abgedunkelt. Kurze Kunstpause, bevor die himmelblauen Omniworld-Farben aufleuchteten und Ethan Hubble zu Retro-Synthesizer-Klängen plötzlich auf der Bühne auftauchte. Wie ein Flaschengeist schien er aus dem Kunstnebel aufgestiegen zu sein. Die hellen Lichtstrahlen, die eben noch wie ein Schwarm Bienen aufgeregt über die Bühne getanzt waren, sammelten sich um ihn und verliehen ihm eine heilige Aura. Nur ein leichtes Schimmern an den Umrissen seiner Silhouette verriet dem geschulten Auge, dass es sich um ein Hologramm handelte.

„Willkommen, liebe Omniworld-Gemeinde“, begrüßte Ethan das frenetisch jubelnde Livepublikum und die Millionen Menschen, die seine jährliche Ansprache live streamten. Seine Anhänger gierten nach Innovationen aus dem Hause des größten Metaverse-Netzwerkes der Welt und nach den weisen Worten des Gründers und CEOs von OMNI, dem Konzern hinter Omniworld. Tech-Guru. Simulations-Gott. Milliardenschwerer Geschäftsmann und Innovator. Ethan Hubbles Ansprachen waren ein Event, die Nachrichtenticker und die Aktienkurse würden wieder von seinen Worten elektrisiert werden. Ganz im Gegensatz zur allgemeinen Anspannung, die dem „Hubble’s Scope“, wie die Show in Anspielung auf das namensgleiche Weltraumteleskop hieß, war Ethan wie immer lässig gekleidet: weiße Sneakers, Jeans, blaues Sweatshirt mit der stilisierten Omniworld-Wolke – typischer Silicon-Valley-Stil. Er hätte auch als Barista bei Starbucks durchgehen können. Nichts deutete darauf hin, dass er sich in den letzten Jahren zum wichtigsten Tech-Unternehmer seiner Zeit hochgearbeitet hatte. Einflussreichster Mensch des Jahres 2031 im Time Magazine. Die Anstrengungen der letzten Monate, um Omniworld zur unbestrittenen Nummer eins bei den Metaverse-Anbietern zu machen, sah man ihm nicht an. Er war braun gebrannt und wirkte entspannt, als käme er gerade vom Surf-Urlaub aus Hawaii zurück.

„Wir haben viel erreicht“, fuhr er mit gewohnt sonorer und sicherer Stimme fort. Er war sich seiner Präsenz und seines Status durchaus bewusst. Gelassen führte er durch die Events als spräche er mit ein paar Freunden über ein Basketballspiel. Eine seltsame Mischung aus gutaussehendem Nerd und bodenständigem Größenwahn. Ein ‚special brew‘, wie man sie nur in diesem Teil von Nordamerika findet.

„Omniworld ist inzwischen das größte und umfassendste Metaverse und wir wachsen weiter mit rasender Geschwindigkeit. Jeden Tag schreiben über 2,5 Milliarden Nutzer, Omni-Menschen, wie wir sie nennen, ihre eigenen Geschichten in Omniworld. Gemeinsam haben wir die Art und Weise revolutioniert, wie Menschen arbeiten, miteinander interagieren und sich weiterbilden. Echte Interaktion dank immersiver Simulation. Omniworld bietet jedem Menschen die Möglichkeit, sein bestes Selbst zu sein!“

„Danke für das Intro, Omni-Ethan!“, lachte der echte Ethan Hubble, als er auf die Bühne joggte und ins Publikum winkte. Applaus brandete auf, gepaart mit überraschtem Gelächter, als der echte Ethan mit seiner Hand durch sein Hologramm wischte, was dieses mit einem angewiderten Gesichtsausdruck quittierte. Im Vergleich zu seinem Hologramm sah er etwas blasser aus, sein Haar war dünner und seine Stimme war etwas höher und brüchiger.

„Ich weiß, was ihr denkt. Der Omni-Ethan ist viel heißer als der echte. Hast du keine Angst, dass er dir die Freundin ausspannt?“ Gelächter.

„Ich habe mein Omni-Ich mitgebracht, meinen Omni-Avatar, um hier und heute ein Statement zu machen. Ja, ich glaube, dass er eine bessere Version von mir ist. Omni-Ethan ist mein Abbild, eine Kopie. Aber ich konnte an den Ecken und Kanten feilen. So wie ich gesehen werden möchte. So wie ich mich wirklich fühle. Wie ich wirklich bin. Und viele meiner Freunde und Mitarbeiter haben schon heute mehr Interaktion mit Omni-Ethan als mit mir. Warum? Weil ich der festen Überzeugung bin, dass das die Zukunft ist. Warum sollte ich mich mit meinen Schwächen abgeben? Vielleicht möchte ich in Omniworld eine Prinzessin sein oder ein Kieselstein.“

Hinter die Bühne wurden nun Bilder aus dem simulierten Omniworld-Universum projiziert, fantastische 3D-Welten, spektakuläre Landschaften, glückliche Wesen in allen Formen und Farben. Ein großer Kieselstein.

„Schon zum Start vor drei Jahren haben wir die Vision gehabt, dass Omniworld der Gegenentwurf zur Objektwelt ist und diese eines Tages überflüssig machen wird. Für die Newbies unter euch: Die Objektwelt ist die physische Welt, euer Objektkörper ist euer physischer Körper. Die Objektwelt ist voller Restriktionen, die euer wahres Ich und euer volles Potential beschränken. Omniworld ist der Gegenentwurf dazu. Eine simulierte Welt, in der wir diese Schranken sprengen können. Die einzige Grenze ist unsere Fantasie. Und unser Mut. Ein Universum, das die unerfüllten Versprechen von Gleichheit, Freiheit und Selbstverwirklichung einlöst. Wie weit wollen wir gemeinsam gehen?“

Menschen und Fantasiewesen aller Formen und Farben reichten sich die Hände, Pfoten und Tentakeln, während eine Armada weißer Friedenstauben den Bildschirm weiß färbte, woraufhin sich die Omniworld-Wolke abzeichnete.

„Doch zum gemeinsamen Gehen brauchen wir Omni-Menschen, die vorangehen. Errichtet mit mir diese neue Welt unbegrenzter Möglichkeiten! Ich möchte einer dieser Omni-Menschen sein und hoffe, dass mir viele von Euch folgen. Deshalb wird in Zukunft nur noch Omni-Ethan bei internen Meetings und bei ‚Hubble’s Scope‘ auftreten. Das heißt auch: Heute verabschiede ich mich als ‚Objekt-Ethan‘ von der Bildfläche.“

Raunen ging durch das Live-Publikum.

„Macht es gut und wir sehen uns in Omniworld. Und passt auf, vielleicht bin ich der Kieselstein, den ihr in den Fluss schmeißt.“ Raunen mischte sich mit Gelächter.

„Omni-Ethan, übernimm!“

Der echte Ethan Hubble rannte von der Bühne, vorbei an der Security, in einen sterilen, vollkommen leeren Raum. Dort zog er sich ein Headset an und stülpte sich zwei Controller über die Hände, die wie Fitness-Handschuhe die Finger frei ließen. Damit konnte er nun sein zweites Ich steuern, genau wie in Omniworld. Die Show ging weiter, der Übergang war nahtlos. Seine Anhänger brauchten noch mehr Futter.

Omni-Ethan präsentierte nun das Headset der neuesten Generation: „Das hier ist das Omniface 3, das erste Virtual Reality Headset, das den virtuellen Turing Test bestanden hat.“

Jubel brandete auf, bei den Personen, die wussten, was das bedeutete. Die Kamera fing ein paar offene Münder und sprachlose Gesichter aus dem Publikum ein.

Für die anderen erklärte Ethan: „Das heißt, dank einer Auflösung von 12K, einer verbesserten Fokustiefe, einer neuartigen Verzerrungskorrektur und dem Ausnutzen von High Dynamic Range wird das menschliche Auge das Bild für absolut real halten. Das ist ein technologischer Quantensprung für Omniworld! Ich zeige euch jetzt Live-Bilder, schaut hinter mich.“

Das staunende Publikum konnte aus der Ich-Perspektive einen Menschen sehen, der einen Berg aus schwarzem Vulkan-Stein hinaufsprintete. Er blickte links zum schäumenden Meer, rechts über tropische Vegetation, hastete weiter nach oben. Es gab keine Möglichkeit zu sagen, ob dies gefilmt war oder computergeneriert. Fotorealismus. Lediglich die rosaroten Wolken sahen etwas kitschig aus, aber unrealistisch? Das Publikum versuchte verbissen Fehler zu entdecken. Nach einem kurzen Sprint war die Person am Gipfel angekommen. Unter ihr das tosende Meer. Dann sprang sie in die Tiefe. Luftblasen, Schaum, Wirbel, die sich plötzlich in Wolken verwandelten. Freier Fall aus dem Himmel. Unten die Erde. Also doch eine Simulation. Dann kristallisierte sich die Omniworld-Wolke heraus. Die Simulation endete in einem flüssigen Übergang ins Omniworld-Blau.

Tosender Applaus kam vom Publikum. In den Live-Streams überschlugen sich die Zuschauer mit Smileys und Kommentaren. Die Leute hatten angebissen und Ethan würde ihnen nun sagen, wann sie das Omniface 3 von ihm kaufen durften. Dank der sensationellen neuen Grafik würde Omniworld den noch bestehenden Konkurrenten endgültig den Garaus machen, egal ob Metaverse oder klassisches soziales Netzwerk. Das Auge war immer das Einfallstor für neue Technologien und Ethan Hubble hatte nicht weniger als das Rad der Virtual Reality erfunden.

2033 – 2. Marie

Als die Vorstellung beendet war, sprintete Marie zu Ethan. Er hatte noch das Headset auf, ein Omniface 3, als Marie ihn stürmisch umarmte und auf den Mund küsste. Ethan lächelte: „Bist das du, Isabelle? Sei vorsichtig, Marie ist hier irgendwo.“ Marie lachte und boxte ihn sanft in die Schulter.

„Du warst super, Schatz. Wir haben einen neuen Rekord aufgestellt. Mehr als 320 Millionen waren im Livestream!“

Ethan schien sprachlos. Es gab immer wieder Momente, in denen er den eigenen Erfolg nicht fassen konnte. In letzter Zeit hasteten sie von Rekord zu Rekord.

„320 Millionen“, wiederholte er leise, als wäre die Zahl eine magische Formel.

Marie war nicht nur die Freundin des milliardenschweren Tech-Moguls Ethan Hubble. Sie war gleichzeitig das gute Gewissen von OMNI und war für die Abteilung „Social & Ethics“ zuständig. Sie kannte Ethan bereits aus College-Zeiten. Er hatte sie an Bord geholt, als das Unternehmen noch wie ihr erstes Programm Omniworld hieß; als sie noch ein kleines Startup-Unternehmen mit fünf Mitarbeitern gewesen waren. Spezialisiert auf die Entwicklung von Grafik-Anwendungen für andere Metaverse-Anbieter. Sie waren ein Paar geworden, bevor Ethan seine erste Million verdient hatte. Marie wurde nicht müde, dies zu betonen, besonders in letzter Zeit. Und er hatte sich ins Zeug legen müssen, um sie zu bekommen. Denn Marie war immer noch eine Rarität: Sie konnte programmieren, obwohl sie Grafik-Design studiert hatte. Sie mochte Videospiele, obwohl sie auf einer Farm in Oregon bei den alten Hippies, wie Ethan ihre Eltern nannte, aufgewachsen war. Und zu allem Überfluss sah sie gut aus. Als sie sich früher noch mit ihrer Cosplay-Gruppe als „Maka Albarn“ aus ihrem Lieblings-Manga „Soul Eater“ verkleidet hatte, waren Jungs und Mädels Schlange gestanden, um sie zu daten. Dafür gab Ethan ihr jeden Tag das Gefühl, dass er dies wusste. Intern wurden beide umeinander beneidet.

„Gehst du vor der Party nochmal nach Hause?“, wollte sie wissen.

„Ich habe noch ein paar Meetings, ich bleibe wohl gleich hier.“ „Alles klar, dann sehen wir uns nachher, Schatz“.

Sie küsste ihn auf die Wange, wischte sich eine braune Locke aus dem Gesicht und verließ den Raum.

Marie fuhr mit dem sprachgesteuerten Aufzug in die oberste Etage des OMNI-Gebäudes. Von dort hatte sie einen sensationellen Überblick über den gesamten Campus – mehr als 15.000 Menschen arbeiteten hier. Dahinter glitzerte die Bucht von San Francisco in der Abendsonne. Natürlich hatten sie Ableger in allen wichtigen Märkten weltweit, aber das war die Zentrale ihres Reiches, das Nervenzentrum. Gebaut mitten im Silicon Valley, trotz der wahnsinnigen Grundstückspreise. Aber die Investoren hatten sie mit Geld überschüttet, ein anderer Ort wäre niemals in Frage gekommen. Es gab hier Fitnessstudios, Apartments, ein Theater, ein Kino, verschiedene Restaurants und eine eigene Universität. Der Campus war so rasend schnell gewachsen wie die Nutzerzahlen von Omniworld.

Ethan und Marie hatten ebenfalls ein kleines, abseits gelegenes Haus hier, auch wenn sie sich längst ein gigantisches Anwesen am Meer hätten leisten können. Unwichtig. Von ihrem Haus waren es zehn Minuten zu Fuß ins Büro, zwei Minuten mit dem selbstfahrenden Shuttle. Das war, was zählte. Denn es gab keine Zeit für unnötigen Luxus. 15.000 Menschen – eine kleine Stadt, ganz dem Fortschritt verschrieben. Noch. Denn laut Ethans inoffiziellen Plänen sollten alle OMNI-Mitarbeiter spätestens ab 2035 komplett remote arbeiten. Ein Mittelfinger für die Objektwelt, wie Ethan sagen würde. Ein Statement, dass das Leben sich in das simulierte Universum von Omniworld verlagerte. Lediglich ein paar gut geschützte Entwicklungsabteilungen und Server-Farmen in entlegenen Bunkern wären langfristig noch als physische Infrastruktur nötig.

Beim heutigen „Hubble’s Scope“ wollten sie dies aber noch nicht verkünden. Marie hatte um mehr Vorbereitung gebeten. Die Zeit war noch nicht ganz reif; die Gefahr, die Menschen zu überfordern, war groß. Und die Presse liebte Schlagzeilen wie „Tech-Milliardär will Realität abschaffen!“ Gleichzeitig arbeitete OMNI an einer schall- und sichtisolierten Kammer, die man auf engstem Raum zu Hause aufstellen konnte. Zusammen mit dem Omniface und den Omnigloves sollte so die Omniworld-Erfahrung verbessert werden. Totale Immersion war das Ziel. In der Wohnung der Zukunft sollte eine sogenannte Omnichamber genauso zum Inventar gehören wie ein Kühlschrank. So könnte man ungestört in der virtuellen Realität von Omniworld arbeiten oder Spaß haben.

Marie machte der Gedanke hin und wieder nachdenklich. Sie liebte das Leben auf dem Campus, die Partys, sie liebte das „echte“ Leben, wenngleich sie schon oft mit Ethan über die Definition von „echtem“ Leben gestritten hatte. Für sie war Omniworld eine Ergänzung zur Objektwelt. Für ihn war Omniworld die Ablösung der Objektwelt. Eine echte Alternative. Eine Auflösung des Campus war somit aus seiner Perspektive ein logischer und notwendiger nächster Schritt. Eine Transformation der Gesellschaft in ein Metaverse-basiertes Leben. Sie musste Ethan in letzter Zeit immer wieder bremsen, damit dieser mit seinen radikalen Ideen die Öffentlichkeit nicht verprellte.

Marie sah sich in dem weitläufigen Büro um, das, bis auf sie, menschenleer war. Ihr Team arbeitete bereits jetzt die meiste Zeit remote, Meetings und sogar Einstellungsgespräche fanden in Omniworld statt. Vor drei Jahren war das Büro noch recht konventionell konzipiert worden: Lounge, Videospielecke, Anger Room, der eigene Starbucks im Erdgeschoss. Früher hatten sie hier tagelang durchgearbeitet und auf den Sofas übernachtet. Und gefeiert. Es hatte ja auch allen Grund zum Feiern gegeben.

Von Erfolg zu Erfolg waren sie gehetzt. Von den Fehlern der anderen sozialen Netzwerke hatten sie gelernt und es besser gemacht. Fotorealismus statt Comic-Stil. Weniger nervige Werbung, keine offensichtlichen Algorithmen, die nur das Ziel haben, dir den nächsten Scheiß zu verkaufen. Weniger Zensur. Bei Omniworld war jeder User der Schöpfer seiner eigenen, einzigartigen Erfahrungen. OMNI bot die virtuelle Plattform und das Equipment und die User füllten es mit Leben. Heute war Omniworld bereits die unbestrittene Nummer eins bei den Metaverse-Plattformen. Wer heute von Metaverse sprach, meinte Omniworld. Die Konkurrenz war in kleine Nischen gedrängt worden.

Dies war auch Maries Arbeit als „Social & Ethics“ Managerin zu verdanken. Denn von Anfang an hatte OMNI eine klare Vision, wie mittels Omniworld die Welt schrittweise verbessert werden könnte. Unablässig arbeitete Maries Team an der Kommunikation daran, wie durch das Arbeiten in Omniworld von zu Hause aus 30 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr eingespart wurden, da der Transport vom und zum Arbeitsort entfiel. Virtueller Urlaub, virtuelle Klassentreffen, alles ganz ohne Reisen und dem damit verbundenen Energieverbrauch. Die Server waren von Anfang an zu 100 % durch Wind- und Solarenergie betrieben worden. Kein Greenwashing, sondern wirklich nachhaltig.

Dazu die ganzen Identitätsthemen: Jeder Mensch konnte in Omniworld sein eigenes Selbst sein. Geschlecht, Alter, Hautfarbe – das waren alles Kategorien der alten, physischen Welt, der Objektwelt. Die Gewinne aus dem Verkauf des Equipments und der vorsichtig platzierten Werbung waren immer nur Mittel zum Zweck gewesen. Auch das war ein großer Unterschied zur Konkurrenz. Das System war nicht mit dem Ziel geschaffen worden, Dinge zu verkaufen. Wenn Dinge verkauft wurden, dann diente dies dem Erhalt des Systems. Zur Finanzierung der gigantischen Rechenleistung, die für die fotorealistischen Simulationen benötigt wurde.

An diese Vision glaubte Marie immer noch, auch wenn ihre Entschlossenheit in letzter Zeit immer öfter durch Ethans radikalere Vorstellungen herausgefordert wurde. Umso mehr freute sie sich auf die Party später. Wie viele Partys würden sie hier noch feiern? „Ob es die letzte ist, werden wir erst wissen, wenn es vorbei ist“, dachte Marie. Sicherheitshalber nahm sie sich vor, zu tanzen und zu feiern, als gäbe es kein Morgen.

Die Party am Abend war ein hybrides Event. Neben den tatsächlichen Besuchern, die zur Freude Maries zahlreich waren, gab es für alle OMNI-Mitarbeiter die Möglichkeit, virtuell teilzunehmen. Dank der letzten Pandemiewelle war die Vorbereitung ein ziemliches Drama gewesen. Mitarbeiter, die nicht auf dem Campus wohnten, hatten eine dreitägige Quarantäne und mehrere Tests auf sich nehmen müssen, um teilzunehmen. Das große Party-Areal vor dem Hauptgebäude erinnerte an ein Festivalgelände – wenigstens auf das Wetter im Silicon Valley war zu dieser Jahreszeit Verlass.

Marie schnappte sich ein eisgekühltes Bier in einem wiederverwertbaren Papp-Becher und lief einmal quer über das Gelände an der Bühne vorbei, um die Atmosphäre einzusaugen. Eigentlich waren sie angehalten, ihre Smart-Brillen zu tragen, damit sie mit den Kollegen kommunizieren konnten, die per Omniworld teilnahmen. Marie hatte jedoch entschieden, heute eine reine Objektwelt-Party zu feiern. Sich auf eine Dimension zu konzentrieren. Singularität erlaubte Fokussierung.

Sie prostete der Gruppe Praktikantinnen zu, die laut lachend an ihr vorbeischlenderten und nickte zu den dumpfen Beats, die von der Hauptbühne herüberschallten. Als der DJ die Musik leiser drehte, wandte sich das Publikum der Bühne zu, die in ein himmelblaues Licht getaucht war.

„Und hier ist unser einzigartiger Ethan!“, verkündete der DJ. Das Publikum brach in Jubel aus, mehrere tausend Stimmen vereinten sich zu einem „Ethan! Ethan! Ethan!“-Sprechchor, bis er sie endlich mit seinem Erscheinen erlöste. Es war wieder ein Hologramm, wie Marie sofort auffiel. Warum musste er sich selbst auf solch einem Event hinter seinen Technologien verstecken? Marie machte der Gedanke, dass Ethan nur 300 m weiter in seinem Büro saß und hier seinen Omni-Avatar projizieren ließ, wütend. Klar wollte er seine Vision pushen, aber manchmal schien ihm das Augenmaß zu fehlen. Außerdem war der Auftritt nicht abgesprochen. Hoffentlich sagte er nichts Unüberlegtes.

Ethan war schon mitten in seiner Ansprache: „Wir lieben ja das Silicon Valley, Kalifornien, die Westküste. Nur besondere Orte bringen besondere Menschen zusammen, um Großes zu erschaffen. Wer könnte das besser verstehen als dieser Typ hier?“

Neben Ethan war ein Hologramm von 2Pac erschienen, der Ethan einen Handschlag gab. Die Beats von „California Love“ erklangen, das Publikum wippte mit. Marie überlegte, wie viele der Anwesenden hier 2Pac kannten, den 1996 erschossenen Rapper. Das Durchschnittsalter der Omniworld-Mitarbeiter war 27,3. Wahrscheinlich musste Ethan noch ein paar Komplexe aus seiner Kindheit verarbeiten. Bitte fang nicht an zu rappen, dachte Marie, als sie ihr Bier exte.

2033 – 3. Steffen

Steffen Mieler hatte wieder schlecht geschlafen. Seine Sorgen schienen immer weiter zu wachsen, ganz im Gegenteil zum Kryptowährungs-Fonds, den ihm sein Nachbar empfohlen hatte. Wobei Wertverluste bei Kryptowährungen im Moment zu seinen geringeren Sorgen zählten. Gerade hatte er sich mit seinem Witwerdasein arrangiert – oder zumindest hatte er das geglaubt. Das hatte immerhin fast zwei Jahre gedauert, während er gleichzeitig ein starker Vater für Noah sein musste – oder zumindest hatte er das versucht.

Doch in letzter Zeit konnte er sich nicht mehr einreden, dass Noahs Probleme ganz normaler Pubertätsstress waren. Zumindest wenn man Noahs Therapeuten glauben sollte. Oder Noahs Großeltern. Doch was sollte er tun? Er hatte schon mehrmals das Internet abgestellt. Eine mehrtägige Flucht von zu Hause und ein angedrohter Suizid waren die Folge.

Am meisten ärgerte Steffen sich darüber, dass er keine Ahnung hatte, wie er seinem Sohn helfen könnte. Gerade er, der beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) damit beauftragt war, das Gebaren von Omniworld zu verfolgen und Handlungsempfehlungen abzugeben. Wenn er schon damit überfordert war, seinen eigenen Sohn vor Omniworld zu beschützen, wie sollten das all die anderen Eltern dieser Welt schaffen?

Er goss sich eine dritte Tasse pechschwarzen Kaffees ein. So bitter, dass er die Luft zwischen den Zähnen einsaugte. Kurz versuchte er sich mit den Nachrichten abzulenken und überflog die Schlagzeilen auf der Suche nach etwas Lesenswertem.

Eine neuere, gefährliche Variante des Corona-Virus in Indien aufgetaucht.

EU-Parlament diskutiert Gesetzesentwurf zur Home-Office Pflicht.

Rhein-Schifffahrt eingestellt wegen historischem Tiefstand. Grenzkonflikt zwischen Thailand und Vietnam aufgrund neuen Damms im Mekong.

Im Jahr 2033 würde Steffen sicher kein Kind mehr auf die Welt bringen. Als sie sich damals für ein Kind entschieden hatten, vor 16 Jahren, war die Welt noch eine andere gewesen. Er war ein anderer Mensch gewesen. Krisen und Probleme hatte es immer gegeben. Doch damals gab es noch Optimismus. 2012, als er von der Uni kam, hatten sich einige Menschen auf den Weltuntergang vorbereitet, weil ein Zyklus im Maya-Kalender endete, ausgeschlachtet von einem mittelmäßigen Hollywood-Blockbuster. Im Jahr 2033 schien das Ende der Menschheit näher als je zuvor. Kein Wunder zogen sich die Menschen zurück und entzogen sich der Realität. Vorneweg die Kinder und Jugendlichen, überfordert von den Problemen, die die Generationen vor ihnen angehäuft hatten. Flucht in simulierte Welten. Wieder war er bei seinem ursprünglichen Gedankenstrang gelandet.

Der Streit gestern Abend war im Rückblick vielleicht doch heftiger gewesen als gedacht. Er schrieb eine kurze Mail an seinen Vorgesetzten beim BSI. Ein Tag Urlaub. Ein Tag mit meinem Sohn. Das machten gute Väter doch so. Donnerstags hatte Noah nur vormittags Unterricht. Er könnte ihn von der Schule abholen und danach könnten sie gemeinsam etwas unternehmen. So wie früher.

Schon hatte sich seine Laune von sehr miserabel auf normal miserabel verbessert und er bereitete das Frühstück für beide vor, während er seinen Geschichts-Podcast hörte. Ereignisse aus längst vergangenen Zeiten, als Menschen noch ihre gesamte Wachzeit in der Realität verbachten hatten und damit beschäftigt waren, ihre Grundbedürfnisse zu erfüllen. Beruhigend.

Als das Rührei bereits wieder kalt war und erst nach mehrmaligem Rufen, erschien ein schlecht gelaunter Teenager in der Küche.

„Morgen“, murmelte Noah.

Sein Vater war der Meinung, dass sein Sohn eigentlich ganz gut aussah. Sicher, die paar Kilos zu viel hatten sich nicht rausgewachsen, wie er gehofft hatte. Aber Noah machte auch überhaupt keinen Sport mehr. Außer dem Weg zur Schule gab es keine nennenswerte Bewegung. Die Verlagerung auf Online-Unterricht aufgrund von Hitzetagen, Pandemiewellen oder Lehrermangel machte die Sache nicht besser. Dabei war Noah mal ganz gut im Breakdancing gewesen. Steffen hatte es geliebt, seinem Sohn dabei zuzusehen, wie er über den Boden wirbelte und sich auf dem Kopf drehte. Wie stolz war Noah gewesen, als er seinem Vater seinen ersten Headspin gezeigt hatte. Seine Akne war, trotz aller möglicher Cremes und Salben, nicht besser geworden. Aber hatten nicht alle Teenager darunter zu leiden? Noah selbst schien die Akne weniger zu stören als seinen Vater. Oder dachte jeder Vater, sein Sohn sähe eigentlich ganz gut aus? Steffen war klar, dass sich dahinter die Hoffnung verbarg, Noah möge eine Freundin finden, oder einen Freund, ganz egal. Hauptsache etwas für sein Selbstbewusstsein. Etwas, nein, so was sollte man nicht denken, das ihm Kraft zum Leben gibt. Aber danach sah es nicht aus. Gut, er war erst 16, oder schon?

Vielleicht hatte in den prägendsten Jahren der Pubertät eine positive Mutterrolle gefehlt. Steffen hätte doch etwas mit Sarah vom Sekretariat anfangen sollen. Aber die roch so seltsam. Ein Grund, die gesunde Entwicklung seines Sohnes aufs Spiel zu setzen?

Steffen war beim bloßen Anblick seines Sohnes in Selbstzweifel zerflossen und von tausend bohrenden Fragen aufgespießt worden. Kollegen beschrieben ihn als sachlichkühlen Menschen. Doch wenn es um seinen Sohn ging, war Steffen genauso überfordert und unsicher wie am Tag von Noahs Geburt, als er ihn zum ersten Mal im Arm gehalten hatte. Die Angst, eine falsche Bewegung zu machen, das kleine Leben, für das er verantwortlich war, fallen zu lassen, hatte ihn nie wieder verlassen. Damals hatte für ihn auch ein neuer Zyklus begonnen.

„Kaffee?“, fragte Steffen, nur um die Frage gleich zu bereuen.

„Nee, macht Akne schlimmer“, murrte Noah.

Das hätte er wissen müssen, das hörte er nicht zum ersten Mal. Schlechter Start.

„Was habt ihr denn heute in der Schule?“, erkundigte sich Steffen.

„Mathe, Geschichte, Doppelstunde Deutsch und dann Biologie…“, entgegnete Noah gelangweilt, ohne das Frühstück anzurühren. Er tippte eifrig etwas in seine Smart-Uhr und würdigte seinen Vater keines Blickes.

„Und was lernt ihr gerade so? Zum Beispiel in Biologie?“

Noah atmete schwer, als würde ihm das Gespräch physische Schmerzen verursachen. „Genetik.“

„Oh. Interessant. Und was genau?“

„Wir nutzen eine Omniworld-Simulation, um die DNA von verschiedenen Pflanzen und Tieren zu ändern und besprechen dann die Ergebnisse.“

Steffen hatte genug gehört. Omniworld-Anwendungen in der Schule waren zwar keine Pflicht, aber viele Lehrer nutzten die Simulationen, um die junge Generation für den Stoff zu begeistern. Und natürlich rieb ihm Noah das genüsslich unter die Nase.

„Hör mal“, fuhr Steffen fort, „ich habe mir heute freigenommen. Ich dachte ich hole dich nachher von der Schule ab und dann machen wir was zusammen. Kino, Paintball, Go Cart… Freie Wahl.“

„Ich kann nicht. Habe nachher ein Turnier.“

„Was für ein Turnier denn?“

„Kennst du eh nicht.“

„Versuch es.“

„Call of Honor 6. Heute ist Vorentscheidung für die Europameisterschaft.“

„Okay. Aber du kannst doch nicht die ganze Zeit in Omniworld verbringen. Wir hatten das Thema doch. Komm, lass uns was Echtes machen.“

„Mensch, Papa. Checkst du das immer noch nicht? Das ist echt. Wir haben die Chance bei der EUROPAMEISTERSCHAFT mitzuspielen. Mann. Ich muss los, ich kauf mir was auf dem Weg.“

„Aber…“

„Ciao.“

Steffen blickte aus dem Küchenfester seinem Sohn nach. Diesem Halbkind, Halberwachsenen, der für ihn nicht mehr zu greifen war. Seine Sorgen würden heute wohl nicht mehr schrumpfen.

Gedankenverloren schlurfte er Richtung Noahs Kinderzimmer. Die Tür war angelehnt, Steffen spähte hinein. In dem abgedunkelten Raum roch es, als wäre seit Wochen nicht mehr gelüftet worden. Trotzdem wagte Steffen nicht, den Raum zu betreten. Aus Angst, die Privatsphäre seines Sohnes zu verletzen? Oder fürchtete er sich, etwas zu sehen, das er nicht sehen sollte oder wollte?

Eigentlich war das Zimmer seines Sohnes für einen Teenager sehr ordentlich. Die wenigen Gegenstände, die er benötigte, waren in den Schränken verstaut. Es lagen keine Klamotten am Boden, keine Poster von Musikern oder Hanf-Pflanzen an den Wänden. Als Steffen noch ein Teenager war, hatte man noch auf den Postern an den Wänden die Vorlieben des Zimmerbewohners erkennen können.

Doch diese Generation war anders. Introvertiert, abwesend und omni. In Noahs Zimmer hätte auch ein Kaktus leben können, so minimalistisch und nichtssagend war der Raum. Nur das Bett war nicht gemacht. Auf dem Schreibtisch war ein Arsenal von Energy-Drinks in 1,5-Liter-Flaschen aufgereiht. Der Treibstoff für nächtelanges Zocken in den Simulationen. Steffen hatte aufgegeben, Noah von der Gesundheitsschädlichkeit dieser Zucker- und Koffeinbomben überzeugen zu wollen.

Die hintere Hälfte seines Zimmers hatte Noah mit schwarzen Trennwänden versehen, das Fenster dort war mit schwarzer Pappe überklebt, um die Sonne zu verbannen. Die Wände hatte er mit Styropor verkleidet, um sich bei zu wilden Bewegungen in der virtuellen Welt nicht zu verletzen.

Hier lag die Ausrüstung, um nach Omniworld zu gelangen. Das sogenannte Omniface, eine VR-Brille, Version 2. Und die Omnigloves, Handschuhe, mit denen man die Bewegungen in Omniworld steuerte. Fixerbesteck, dachte Steffen, mit denen OMNI die Jugend abhängig macht und um ein normales Leben bringt. Wenigstens kannte Steffen durch seine Arbeit all diese Dinge. Wusste um die Gefahren. Hinter dieser schwarzen Trennwand fand das zweite Leben von Noah statt. Abgesehen vom Schlaf und dem Schulbesuch waren diese fünf Quadratmeter alles, was er brauchte. Stubenarrest war für die Generation Omni keine Strafe, sondern Lebensinhalt.

Steffen nahm sich vor, heute Nachmittag beim „Call of Honor 6“-Turnier seines Sohnes dabei zu sein. Nun hatte er den Vormittag für sich und wendete sich wieder den Nachrichten zu.

Ethan Hubble, der CEO von OMNI, hatte auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos gesprochen, in einem Artikel wurde sein Auftritt beschrieben:

Wasserkonflikte, Klimakrise, Pandemien – an Themen von globaler Bedeutung mangelt es derzeit wahrlich nicht. Doch die Politik scheint keine Antworten zu haben. Stattdessen gibt es Schuldzuweisungen, Abschottung und Drohungen. Ethan Hubble, CEO von OMNI und wahrscheinlich der momentan reichste und, wie man munkelt, auch einflussreichste Mensch der Welt, präsentierte gestern Abend einen erfrischenden Gegenentwurf zum kleinkarierten Denken der Nationalstaaten, das oft nur bis zur nächsten Wahl reicht. Seine Vision einer vernetzten Welt, deren Bewohner einen Großteil ihrer Arbeits-und Freizeit in der simulierten Realität seiner Metaverse-Plattform „Omniworld“ verbringen, würde Grenzen jeder Art, territorial, kulturell oder religiös, überflüssig machen. Durch die globale Vernetzung und unterstützt durch Künstliche Intelligenz könnte ein Unternehmen wie OMNI die Probleme dieser Welt anpacken. „Wir verstehen uns in erster Linie als Weltbürger, unsere User sitzen überall. Wir können uns nicht hinter irgendwelchen Landesgrenzen verstecken. Flüsse, Meere und die Atmosphäre können dies auch nicht“, erklärte Ethan Hubble. So habe OMNI mit einem 2032 gestarteten Algenfarm-Projekt einen ersten Schritt zur Ernährung der Zukunft gestartet. Die Meere erwärmen sich, während traditionelle Landwirtschaft immer schwieriger wird und für einen Großteil des weltweiten Wasserverbrauchs und CO2-Austoßes verantwortlich ist. In Zukunft werde Nahrung aus Algen einen Großteil der Menschheit ernähren, so Hubble. Außerdem würde eine Lebensweise, die hauptsächlich virtuell stattfindet, den Energieverbrauch massiv senken. Ethan Hubble, der sich, wie meistens bei öffentlichen Auftritten, als Omni-Avatar zuschalten ließ, verwies auf die 700– 800 Flüge, die allein durch die persönliche Teilnahme am Wirtschaftsforum anfielen. Hätte das Meeting via Omniworld stattgefunden, könnten bis zu 9.000 Tonnen CO2 eingespart werden. Er forderte die anwesenden Entscheider aus Wirtschaft und Politik auf, es ihm gleichzutun. Es gebe sicher auch Gründe, die eine physische Reise nötig machten. Auch dafür arbeite OMNI mit seiner Mobilitäts-Division an einer individuellen, elektrifizierten Transportlösung am Boden und in der Luft. „Wir springen dort ein, wo die traditionellen Nationalstaaten versagen“, schloss Hubble seine mitreißende Rede, „und das ist eine ganze Menge Arbeit.“ In den sozialen Netzwerken wurden die Rede und Ausschnitte daraus millionenfach geteilt. „Ethan Hubble for president of the world“ war das Schlagwort des Tages. Besonders bei den durch den Klimawandel politisierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen trifft Ethan Hubble einen Nerv. Zum ersten Mal scheint es konkrete Antworten auf zumindest einige der drängendsten Fragen unserer Zeit zu geben. Dafür sehen sie ihm nach, dass er selbst ein Großunternehmer ist. So lange OMNI glaubhaft Kapital für gemeinnützige Projekte aufwendet, scheinen Ethan Hubble seine astronomischen Gewinne verziehen. In jedem Fall wird beim Gestalten der Zukunft OMNI mit am Tisch sitzen.

2033 – 4. Ethan

Ethan war euphorisch. Dieses Jahr endete voller guter Nachrichten. Gerade war er dabei, beim wöchentlichen Board-Meeting richtig auf den Putz zu hauen und neue Projekte zum Laufen zu bringen. Dank der fantastischen Cashflow-Situation konnte er alles freigeben, worauf er Lust hatte. Die Buchhaltung bei OMNI diente lediglich zum Transferieren von Geld, niemand nervte ihn mit Ausgabenkontrolle. Dafür hatten sie gar keine Zeit. Ob ein Projekt machbar war, entschied er.

Zunächst hatte er die Userzahlen von Omniworld präsentiert – ein Plus von 5 % zur Vorwoche, es ging immer nur nach oben. Die Skala des Diagramms musste regelmäßig vergrößert werden. Omniface 3 war der heißeste Suchbegriff und die physischen OMNI-Stores und der eigene Online-Handel überschlugen sich mit den Vorbestellungen zum Weihnachtsgeschäft.

Gerade stellte Jason Huang, Chef des „Digital World AI“-Teams sein neuestes Tool vor. Dank künstlicher Intelligenz konnte Omniworld immer schneller und besser immersive digitale Welten kreieren.

„Unser Update des Verse Creators erlaubt es dem User, per Sprachkontrolle aus einem vorgefertigten Set von Szenarien zu wählen. Die Details können sie dann selbst bearbeiten. Ein Baum weniger hier, ein Haus mehr dort. Gleichzeitig füttern sie damit unseren Algorithmus. Je mehr Menschen ein ähnliches Szenario abrufen, umso genauer weiß unser Verse Creator, was die User mögen und was nicht. Die Verknüpfung der gängigen Wissens-Plattformen, Bilder und Videos aus sozialen Netzwerken erlaubt eine bisher unbekannte Vielfalt an Szenarien. Eine ständig wachsende Simulations-Bibliothek. In ein paar Jahren werden wir komplett auf Designer verzichten können. Wir werden das Update am 15.12. launchen, bis dahin testet bitte noch fleißig in der Beta. Jedes Feedback zählt. Danke euch.“

Die anderen anwesenden Omni-Avatare klatschten höflich, Craig ließ eine kleine Feuerwerksrakete starten. Omni-Ethan nickte zufrieden.

„Gute Arbeit! Dann gebe ich das Wort an Krish weiter. Erzähl uns doch, was unsere Drohnen machen!“

Krish hatte als Omni-Charakter einen überzeichneten Neandertaler gewählt, samt Hose aus Säbelzahntiger-Fell und Steinknüppel. Am Anfang hatten es alle noch lustig gefunden, dass ein Neandertaler über die neuesten technologischen Errungenschaften berichtet. Krish hatte seinen Avatar beibehalten, konsequent seit Mitte des Jahres. Aber Ethan hatte ihn gewähren lassen. Sei, wer du wirklich bist. Wenn Krish in Omniworld ein Neandertaler sein wollte, sei es drum.

„Danke Ethan. Ich kann euch berichten, dass es in der Mobilitäts-Abteilung sehr gut läuft.“

Neben Krish tauchte ein Diagramm auf. Mit dem Steinknüppel zeigte er auf die November-Absatzzahlen der OMNI-Pods und Drohnen. Freudig hoben sich die großen Augenbrauen unter seiner gigantischen Überaugenwulst.

„Wie schon im letzten Meeting angekündigt, rollen seit November mehr als drei Millionen selbst-fahrende Pods über die Straßen Nordamerikas. Wir haben unsere internen Ziele erhöht und denken, dass wir im nächsten Jahr die zehn Millionen knacken können. Die Herausforderung liegt nicht in der Nachfrage, sondern produktionsseitig. Deshalb hat unser Team einen Investitionsantrag gestellt – wir wollen die Fertigstellung der neuen Fabrik in Chennai unbedingt beschleunigen. Wie ihr wisst, wird sich das Fenster für Individualverkehr nicht lange offenhalten, wenn sich die letzte Projektion zur Omniworld-Nutzung realisieren sollte. Wir müssen jetzt von der Entwicklung profitieren. Darum Ethan, bitte asap den Antrag genehmigen!“

Ethan nickte, und suchte den entsprechenden Antrag aus der Flut seiner Mails heraus. Mit einer Handbewegung war er genehmigt, Neandertal-Krish erhielt die Benachrichtigung augenblicklich.

„Danke Ethan! Auch unser autonomes Flugdrohnen-Projekt geht voran. In Dubai fliegen jetzt bereits 139 Stück. Wir rechnen mit einer Zulassung durch die FAA im März 2034, die EASA sollte im Mai so weit sein. Hier seht ihr ein paar Videos der Drohnen im Einsatz.“

Die Avatare blickten auf einen eingeblendeten Bildschirm, auf dem ein Highway vor der Skyline Dubais zu sehen war. Wie Schlangen bei der Paarung waren die einzelnen Straßen ineinander verknotet. Ein Geflecht aus Asphalt und Autos. Im Hintergrund verschmolzen das Beige des Wüstensandes und das Blau des Himmels. Nun schoss eine Drohne kerzengerade über den Highway hinweg, die Kamera hinterher. Unabhängig von Ampeln, Staus und der Straßenführung. Eine weitere Flugdrohne flog ihr entgegen und noch eine. Mit einer eleganten Schwenk-Bewegung wich die Drohne einem Hochhaus aus, folgte dann wieder dem Highway, der Blick auf den Burj Khalifa wurde nun frei. Die Drohne stoppte kurz vor dem gigantischen Bauwerk und begann dann senkrecht aufzusteigen. Immer höher, die anderen Hochhäuser unter sich lassend, während die Kamera rotierte. Kurz unter der Spitze eine Plattform, auf der die Drohne sanft aufsetzte. Das Cockpit öffnete sich und ein gut gelaunter Mann in einer traditionellen Dishdasha entstieg dem Gefährt, lächelte in die Kamera und verschwand im Gebäude.

„Auf jeden Fall können wir uns vor Vorbestellungen kaum retten. Eine Mammutaufgabe! Das wars von mir!“

Den Status beim Mars-Projekt stellte Ethan persönlich vor. Dies war sein Baby, sein Kindheitstraum. Er war besessen von der Idee, dass der erste Mensch auf dem Mars eine OMNI-Wolke auf dem Raumanzug tragen würde. Gemeinsam mit seinem Mars-Team hatte er bereits detaillierte Pläne für eine Besiedelung des roten Planeten ausgearbeitet. In Omniworld entwarfen sie komplexe Simulationen von Mars-Stationen, unterlegt mit den letzten atmosphärischen und geologischen Daten des Ziel-Planeten. Noch war keine Simulation komplett machbar, aber sie standen kurz vor einem Durchbruch. Ein neuer Planet als etwaiger Rückzugsort, falls sich die Situation auf der Erde weiter verschlimmern sollte. Als nächster Schritt bei der Eroberung des Weltraums.

Alle Mars-Pläne scheiterten momentan aber noch am Transport, deshalb lag der Fokus des Forschungs- und Entwicklungsbudgets auf der Triebwerkstechnologie. Im Laufe des Jahres hatten sie erste Versuche mit der nächsten Generation eines auf rotierender Detonationsverbrennung basierenden Raketentriebwerks durchgeführt. Beim nächsten Meeting könnte er hoffentlich mehr zeigen.

Nach Ethan war Max an der Reihe, verantwortlich für das Thema Haptik/Motorik in Omniworld: „Hi miteinander! Wir entwickeln gerade unsere Omnisuit weiter. Ihr habt ja alle die neuen Prototypen bekommen. Bitte lasst eure Abteilungen diese eifrig testen und die Fragebogen ausfüllen. Wir wollen auch nächstes Frühjahr auf den Markt, nachdem sich das Omniface 3 etabliert hat. Wir sprechen bei dieser Generation der Omnisuit von 80 vibro-taktilen Motoren, die über 500 verschiedene haptische Muster simulieren können. Ihr könnt jetzt sogar Regentropfen spüren! Ich denke für das nächste „Hubble’s Scope“ könnte das ein Highlight sein.“

Max blickte erwartungsvoll zu Ethan, doch dieser schien beschäftigt. „Erst die Optik, dann die Haptik“, beendete er seinen Vortrag.

Die Runde wurde von „Social & Ethics“ beendet, deren Neuigkeiten von Marie präsentiert wurden. So konnten die technik-lastigen Board-Meetings immer mit einem „Feel Good Vibe“ beendet werden.

„Zunächst einmal willkommen zusammen vom ‚Social & Ethics‘ Team“, begann Maries gutgelaunter Avatar seine Ansprache. Im Gegensatz zu Krish benutzte sie keinen Fantasie-Charakter. Ihr Avatar war eine fotorealistische Abbildung ihrer selbst – wie die der meisten anderen Board-Mitglieder. Noch kam sie ohne Filter aus, nichts zu verbergen.

Marie blendete ein paar Charts ein, Suchmaschinen-Hitlisten, Buzzwords.

„Der Auftritt von Ethan beim Weltwirtschaftsforum war ein voller Erfolg, die Berichterstattung und die Kommentare waren zu 87 % positiv. Laut einer Umfrage des ‚Guardian‘ trauen inzwischen 54 % der Menschen am ehesten OMNI zu, die Probleme der Menschheit zu lösen. Zur Info: Platz zwei ist die UNO mit 13 %, Platz drei Greenpeace mit 8 %. Unsere Strategie, Gutes zu tun und darüber zu sprechen, macht sich also bezahlt. Wir werden diese Strategie für das Branding fortführen. Für 2034 werden wir den Fokus insbesondere auf die Algenfarmen setzen, also die ‚Ernährung der Zukunft‘. Unser Ziel sind zehn neue Farmen, um eine regionale Versorgung zu gewährleisten und Transportwege zu reduzieren. Wir können jetzt die Erfahrungen der British-Columbia-Farm skalieren. Und mehr gute Nachrichten: Die Smoothies und Burger aus Algenextrakt haben den internen Test in unserer Mensa bestanden. Die Bewertungen waren 8,3 bzw. 7,9 von 10. Mit ein paar neuen Geschmacksrichtungen können wir nun in die breite Vertriebsphase einsteigen. Pünktlich zum Weihnachtsgeschäft bringen wir in Kooperation mit Starbucks den ‚Green Latte‘ auf den Markt, das nachhaltigste Produkt aus ihrem Sortiment, basierend auf unserem Algenextrakt. Also: Algen für die Welt!“

Ethan blieb noch eine Weile im virtuellen Meeting-Raum, als die anderen Avatare sich bereits ausgeloggt hatten, um über die besprochenen Projekte zu reflektieren. Die Bandbreite war inzwischen sehr groß, umso wichtiger war es, den Überblick zu behalten und sich auf das Top Management verlassen zu können. Dieser Gruppe musste er blind vertrauen können.

Für ihn war Omniworld als soziales Netzwerk und führendes Metaversum das Herz seines Imperiums, der Beginn und das Ziel seines Schaffens. OMNI als Konzern generierte durch den Verkauf des benötigten Equipments und durch dezente, aber effiziente Werbung in Omniworld den Großteil des Umsatzes aller Unternehmungen. Von Anfang an hatte er die Entwicklung von Hardware strikt bei OMNI belassen und etwaige Konkurrenten aufgekauft oder dafür gesorgt, dass sie unrentabel wurden. Der Verkauf ging direkt an die Endkunden, über die eigenen Kanäle und die OMNI-Stores. Amazon hatte keinen Cent an Omniworld verdient und die eigenen virtuellen Shops hatten den einstigen Giganten in die Schranken gewiesen. Sowieso gab es kein anderes Unternehmen mit einem vergleichbaren Forschungs-und Entwicklungsbudget wie OMNI mehr. Wer omni gehen wollte, musste das Equipment von OMNI kaufen.

Die anderen Projekte umkreisten die Omniworld-Plattform wie Putzerfische einen Hai: eine Symbiose mit klarer Hierarchie und Nutzen für den Hai. Wie das Projekt zum autonomen Fahren und Fliegen. Zwar glaubte Ethan, dass es in der Welt der Zukunft kaum noch Bedarf für physische Infrastruktur geben würde. Denn der Omni-Mensch konnte jeden Ort der Welt in Omniworld besuchen; physische Reisen waren somit unnötig. Jedoch könnte dieser Prozess je nach Szenario noch 10–15 Jahre dauern. Sein Kapital ermöglichte ihm einen technologischen Vorsprung, der OMNI sofort an die Spitze des autonomen Transports gebracht hatte.

Die Umsätze aus dem Verkauf von Pods und Flugdrohnen waren dabei eher zweitrangig. Wichtiger, und den Wenigsten klar, waren die Erkenntnisse über Künstliche Intelligenz. Hier konnten die Algorithmen aus Omniworld und die autonomen Verkehrsmittel sich gegenseitig befruchten. Kameras filmten die Umgebung der Drohnen in Echtzeit und stellten Bilder für Simulationen und Kartendienste zur Verfügung. Zudem war die autonome Fortbewegung eine elegante Methode, weitere Daten zu sammeln und aufzubereiten.

Der Hai bekam Futter. Letztlich verbesserte sich Omniworld mit jedem Drohnen-Flug. Inzwischen hatten sie auch festgestellt, dass die Datenmassen der Drohnen auch eine dezente Möglichkeit waren, mit politischen Entscheidungsträgern ins Gespräch zu kommen.

Die Algenfarmen wiederum waren ein Herzensprojekt von Marie, deren Anliegen es war, das viele OMNI-Kapital für die Verbesserung der Welt zu nutzen. Günstiges, CO2-freies Protein aus den Meeren, statt Fleischkonsum. Für Ethan war es PR. Die Möglichkeit, das Image von OMNI zu verbessern und politischen Einfluss zu gewinnen. OMNI und Omniworld waren gut für die Menschheit. Sie mussten es nur ständig beweisen und an die große Glocke hängen, womit er gelegentlich haderte.

Die Mars-Mission hingegen war ein reines Ego-Projekt, welches die ersten Jahre nur Verluste schreiben würde. Zwar war mittelfristig eine Marskolonie denkbar, die sich mit Bergbau und Tourismus finanzierte, eventuell als Fluchtort für Superreiche. Aber bis eine Marskolonie technisch möglich wäre, würde sich die menschliche Existenz größtenteils in Omniworld abspielen. Also ein „just for fun“-Projekt und etwas Ego-Marketing für Ethan Hubble. Ein Milliardärs-Hobby.

Er loggte sich kurz aus Omniworld aus, rieb sich die schmerzenden, roten Augen. Er brauchte Augentropfen, war wieder zu lange omni gewesen.

Marie war bereits auf dem Sprung. Herausgesputzt, schön wie eh und je. Seine Manga-Göttin. Ethan verabschiedete sie, wünschte ihr viel Spaß. Tatsächlich hatte er völlig vergessen, dass sie heute Pläne hatte. Das Leben in der Objektwelt fand auf dem Seitenstreifen statt, womit er kein Problem hatte. Marie wollte mit ihrem Team im „C++“, dem campus-eigenen Pub, das erfolgreiche Jahr feiern.

Das unerwartet sturmfreie Haus gab Ethan Zeit für das neue Projekt, welches nicht im Board-Meeting besprochen worden war. Er wusste nicht, ob die Öffentlichkeit bereit war, aber er fand es geil. Max’ Team hatte es in den letzten vier Monaten programmiert. Keiner aus dem Board wusste von diesem Projekt, auch Marie nicht.

Ethan überschrieb per Sprachbefehl den Zugangscode zu ihrem Haus und entkleidete sich. Anschließend legte er eine Omnisuit an, die im Intimbereich um eine „Omnipussy“ erweitert war – der vorläufige Arbeitsname. Eine leichte Vibration um sein bestes Stück signalisierte die Einsatzbereitschaft. Dann setzte er das Omniface 3 wieder auf und loggte sich ein. Mit ein paar Wischbewegungen öffnete er das Programm „birds and bees“. Seine Vorfreude stieg schon beim Ladebildschirm. Er hatte ein Profilbild von Lisa aus der Buchhaltung hochgeladen. Damit erstellte das Programm nun einen Avatar. Manuell passte Ethan ihre Proportionen an und verpasste ihr größere Brüste und einen runderen Hintern. Ein paar Sprachsamples aus dem letzten Buchhaltungs-Meeting, und schon war Omni-Lisa fertig. Ethan wählte ein Szenario.

Ladebildschirm. Die Simulation startete.

Er war allein in seinem Büro, Feierabend. Da kam Lisa herein, in einem viel zu kurzen Kleid. Ihre Brüste fielen fast aus dem üppigen Dekolleté. Sie stolzierte direkt auf ihn zu, mit einem vielsagenden Lächeln auf den Lippen.

„Ethan“, säuselte sie, „ich habe hier eine Unstimmigkeit bei der Fuhrpark-Abschreibung entdeckt. Kannst du dir das mal anschauen?“