One More Chance - Vi Keeland - E-Book

One More Chance E-Book

Vi Keeland

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Beschreibung

Eine einzige Minute kann ein ganzes Leben für immer verändern ...

Neue Stadt, neuer Job, neue Liebe - so lautet Aubreys Plan. Doch ein platter Reifen und ein kleiner Ziegenbock werfen alles durcheinander. Zum Glück macht der charmante Australier Chance nicht nur ihr Auto wieder flott, sondern überredet sie auch, die restliche Strecke nach Kalifornien gemeinsam zurückzulegen. Es folgen die glücklichsten Tage und aufregendsten Nächte, die Aubrey je erlebt hat, aber dann ist Chance auf einmal verschwunden ...

"Originell, absolut süchtig machend und mit einem Twist, der überrascht. Ganz sicher eines unserer Lieblingsbücher!" THE ROCK STARS OF ROMANCE

Auftaktband der erfolgreichen NEW-YORK-TIMES-Bestsellerreihe von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Vi Keeland und Penelope Ward

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Seitenzahl: 364

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Inhalt

TitelZu diesem BuchWidmungTeil I123456789101112Teil II1314151617181920212223242526272829EpilogDanksagungDie AutorinnenDie Romane von Vi Keeland und Penelope Ward bei LYXImpressum

VI KEELAND 

PENELOPE WARD

One more Chance

Roman

Ins Deutsche übertragen von Antje Görnig

Zu diesem Buch

Neue Stadt, neuer Job, neue Liebe – das ist Aubreys Ziel, als sie von Chicago nach Kalifornien aufbricht. Doch das Schicksal macht ihr einen ordentlichen Strich durch die Rechnung: Denn mit einem platten Reifen, einem zu Ohnmachtsanfällen neigenden kleinen Ziegenbock und vor allem ihrem neuen Beifahrer, dem attraktiven australischen Biker Chance, hatte die organisierte Aubrey ganz gewiss nicht gerechnet. Obwohl der arrogante und vorlaute Chance ihr anfangs gehörig auf die Nerven geht, merkt sie schnell, dass sein charmantes Lächeln nicht nur ihre Reisepläne, sondern auch ihre Gefühle ganz schön durcheinanderwirbelt. Aubrey stellt fest, wie glücklich es machen kann, auch mal vom gewohnten Weg abzuweichen. Es könnte ein harmloser Roadtrip sein, wäre da nicht die knisternde Anziehung, gegen die Aubrey und Chance irgendwann einfach machtlos sind. Als die beiden eine leidenschaftliche Nacht zusammen verbringen, erlebt Aubrey am nächsten Morgen ein böses Erwachen: Chance ist einfach verschwunden. Aufs Tiefste verletzt versucht Aubrey neu anzufangen, bis Chance nach zwei Jahren unvermutet wieder in ihr Leben tritt.

Für unsere Männer, die wahren Cocky Bastards

TEIL I

Aubrey

1

Ich fragte mich, wie gut sich die Vibrationen zwischen meinen Beinen anfühlen würden.

Ein paar Meter weiter funkelte eine chromblitzende Harley Davidson in der glühenden Mittagssonne. Seltsam fixiert auf das zweirädrige Männerspielzeug wartete ich noch, bis Maroon 5 im Radio zu Ende war, und kramte mein Handy aus der Tasche. Das Motorrad sah schlicht aus, ohne viel Schnickschnack: schwarz und silberglänzend, dazu verschlissene Ledersatteltaschen mit einem Totenkopf unter den Initialen C. B.

Wie gut mochte es sich anfühlen, eine Runde darauf zu drehen? Den Wind in den Haaren, die Arme um einen Mann gelegt, der einen derben Spitznamen hatte, und dann diesen brummenden Motor unter meinen Jeans. Horse? Oder Drifter? Oder vielleicht Guns? Nein, Moment! Pres. Mein imaginärer Biker nannte sich bestimmt Pres. Und er sah aus wie Charlie Hunnam.

Auf meinen iPhone fand ich ein halbes Dutzend neue Nachrichten von Harrison. Innerlich musste ich grinsen. Garantiert gab es keinen Harley-Fahrer, der sich Harrison nannte. Ich warf mein Handy wieder in die Tasche, schaltete den Motor meines voll gepackten BMWs aus und warf einen Blick nach hinten auf den Rücksitz. Mit den bis unter die Decke gestapelten Kartons wirkte mein geräumiges Auto regelrecht klein.

Ein rappelvoller Reisebus kam auf die Raststätte gefahren. Na toll! Wenn ich jetzt nicht schnell da reinging und mir meinen Lunch besorgte, kam ich hier nie wieder weg. Ich war unterwegs von Chicago nach Temecula, Kalifornien. Nach zehn Stunden Fahrt befand ich mich irgendwo mitten in Nebraska und hatte noch gut zwanzig Stunden vor mir.

Nachdem ich drinnen eine Viertelstunde auf eine Pepsi und Popeyes-Hähnchen-Nuggets gewartet hatte, die ich im Auto essen wollte, ging ich in den kleinen Andenkenladen. Ich war hundemüde und hatte kein bisschen Lust, die nächsten fünf Stunden zu fahren, die ich noch runterreißen musste, bevor ich mir eine Übernachtungsgelegenheit suchen konnte. Gähnend beschloss ich, ein bisschen zu trödeln und in dem Geschäft zu stöbern. Ich sah mir allerlei Nippes an und nahm schließlich eine Barack-Obama-Wackelkopffigur aus dem Regal, schüttelte sie und betrachtete das irre Grinsen, während der Kopf auf und ab wippte.

»Hol’s dir! Du weißt doch, du willst es«, sagte eine tiefe Stimme hinter mir. Ich erschrak und zuckte so heftig zusammen, dass mir die Figur aus den Händen rutschte und zu Boden fiel. Der Kopf brach von dem Federhals ab und kullerte weg.

»Entschuldigen Sie, gute Frau«, rief die Kassiererin. »Die müssen Sie jetzt aber bezahlen. Zwanzig Dollar!«

»Verdammt!«, stieß ich hervor und verfolgte den rollenden Kopf. Als ich mich bückte, um ihn aufzuheben, meldete sich die Stimme wieder.

»Und da sagen manche Leute, er behielte den Kopf immer oben!« Ein australischer Akzent.

»Findest du das witzig, Blödmann?«, fragte ich, bevor ich mich umdrehte und den Kerl ansah, dem die Stimme gehörte.

Oh. Verflixt.

Ich erstarrte.

»Kein Grund, gleich zickig zu werden.« Er grinste mich frech an und gab mir die untere Hälfte von Obama. »Und fürs Protokoll: Ja, ich fand es tatsächlich witzig.«

Ich schluckte, und als ich den Adonis genauer betrachtete, der da vor mir stand, verschlug es mir die Sprache. Sein unverschämtes Grinsen hätte ich ihm allerdings gern aus dem Gesicht gewischt – aus seinem hinreißenden, markanten, stoppligen Gesicht, das von vollem dunkelbraunem Haar umrahmt wurde. Ich traute meinen Augen nicht. Der Mann war wahnsinnig heiß; ein Typ, von dem ich nie gedacht hätte, ihn hier draußen anzutreffen. Schließlich war ich mitten im Nirgendwo von Amerika und nicht im Hinterland von Australien.

Ich räusperte mich. »Tja, ich fand es überhaupt nicht witzig.«

»Dann zieh den Stock aus deinem Arsch und mach dich locker!« Er streckte die Hand aus. »Gib her, Prinzessin, ich bezahl das verdammte Ding.« Bevor ich reagieren konnte, nahm er mir die kaputte Figur ab. Ich fluchte unterdrückt, weil mir bei der kurzen Berührung unserer Hände ein Schauer über den Rücken gelaufen war. Und zu allem Überfluss musste er natürlich auch noch gut riechen.

Ich folgte ihm zur Kasse und suchte im Chaos meiner Handtasche nach Geld, aber er war zu schnell und hatte längst gezahlt.

Dann überreichte er mir die zerbrochene Figur in einer Plastiktüte. »Das Wechselgeld ist auch da drin. Kauf dir eine Portion Humor.«

HJU-MA. Dieser Akzent.

Mir fiel die Kinnlade runter, als er sich umdrehte und den Laden verließ.

Was für ein Arsch.

Aber wirklich, ein richtiger Prachtarsch! In der engen Jeans sah er unheimlich rund, prall und knackig aus. Gott, ich musste wohl dringend mal wieder flachgelegt werden, denn es schien mir völlig egal zu sein, dass dieser Kerl mich gerade beleidigt hatte. Mein Slip war praktisch nass.

Nachdem ich einige Minuten vor einem Regal mit Nebraska-Cornhuskers-T-Shirts gestanden und Löcher in die Luft gestarrt hatte, gab ich mir innerlich einen Tritt. Meine Reaktion auf das Geschehen zeigte, wie erschöpft ich war. Normalerweise war ich nicht so unbeherrscht. Allmählich wurde es Zeit, die merkwürdige Begegnung zu vergessen und weiterzufahren. Mir knurrte der Magen, und ich freute mich schon darauf, die Hähnchen-Nuggets in Angriff zu nehmen, sobald ich wieder auf der Straße war. Beim Rausgehen stibitzte ich schon mal eins aus der Schachtel, die ich in meiner Tasche verstaut hatte, hielt dann aber mitten im Kauen inne, als ich ihn schon wieder sah. Zwei Stellplätze von meinem Wagen entfernt – und zwar auf genau dem Motorrad, von dem ich zuvor fantasiert hatte.

Ich näherte mich langsam und hoffte, dass er mich nicht bemerkte. Leider vergeblich. Als er mich entdeckte, warf er mir ein übertriebenes Lächeln zu und winkte.

Fieberhaft nach meinen Schlüsseln suchend verdrehte ich die Augen und brummelte: »Du schon wieder.«

Er gluckste. »Und? Hast du dir eine Portion Humor gekauft?«

»Nein, ich hab dir ein paar Manieren gekauft.«

Schmunzelnd schüttelte er den Kopf. Dann fuhr er sich mit den Fingern durch die Haare, setzte seinen schwarzen Helm auf und ließ seine Maschine an. Das tiefe, kraftvolle Bollern des Motors ging mir durch und durch.

Ich stieg ins Auto und knallte die Tür zu, konnte es mir aber in der Annahme, dass ich den Kerl nie wiedersehen würde, nicht verkneifen, noch einen letzten Blick auf ihn zu werfen. Er zwinkerte mir durch das Visier seines Helms zu, und da tat mein erbärmliches Herz einen Sprung.

Im Rückspiegel beobachtete ich, wie er rückwärts aus der Parklücke rollte. Ich dachte, er würde losrasen wie ein geölter Blitz, aber nachdem er ein paar Meter im Schneckengang gefahren war, blieb er abrupt stehen. Er gab immer wieder Gas, um die Maschine in Bewegung zu setzen, aber es klappte nicht. Schließlich schaltete er den Motor aus, setzte den Helm ab und raufte sich frustriert die Haare, bevor er abstieg, um nach dem Problem zu forschen. Ich hätte einfach losfahren sollen, aber ich konnte den Blick nicht davon losreißen, wie er sich abmühte, sein Bike zum Laufen zu bringen. Au Mann, echt ätzend, dachte ich.

Ich dippte ein Nugget in die Honig-Senf-Sauce und steckte es mir in den Mund, während ich minutenlang gespannt zusah. Irgendwann zückte er sein Handy und telefonierte mit jemandem, wobei er hektisch auf und ab ging.

Dann steckte er das Handy weg, blickte in meine Richtung und machte ein finsteres Gesicht. Ich lachte nervös, weil er mich beim Gaffen erwischt hatte. Ich hatte mich nicht über seine missliche Lage lustig machen wollen; es war einfach so aus mir herausgeplatzt. Als er die Augenbrauen hochzog, gackerte ich noch lauter. Mit dem Helm unter dem Arm kam er langsam auf mich zu und klopfte an mein Fenster. Ich ließ es runter.

»Findest du das witzig, Prinzessin?«

Ich prustete. »Nein, eigentlich nicht … oder … vielleicht schon.«

»Freut mich, dass du doch so was wie Humor hast.«

HJU-MA.

Gott, sein Akzent war sexy.

Ihm fielen die Kartons auf dem Rücksitz auf. »Bist du obdachlos oder so? Lebst du aus dem Auto?«

»Nein, ich stecke mitten im Umzug.«

»Und wohin willst du?«

»Nach Temecula.«

»Kalifornien.« Er nickte. »Ich auch.«

Ich warf einen Blick auf seine Harley. »Tja, wie es aussieht, kommst du vorläufig nirgendwohin. Das ist wahrscheinlich die Rache dafür, dass du mich ›zickig‹ genannt hast.«

»Hm, scheint zu stimmen.«

»Dass es Rache ist?«

»Nein, dass du eine Zicke bist.«

»Sehr witzig.«

»Weißt du, was noch besser ist als Rache?«, fragte er und beugte sich vor, sodass mich der köstliche Duft seines Rasierwassers umwehte.

»Was denn?«

Er wackelte mit den Augenbrauen. »Karma.«

»Was meinst du damit?«

»Guck dir deinen Bimmer von hinten an!«

BIMMAH.

Ich stieg aus und ging auf die Rückseite meines Wagens, um festzustellen, dass der rechte Hinterreifen platt war.

Oh nein, das kann ja wohl nicht wahr sein!, dachte ich und fasste mir an den Kopf. Als ich zu ihm rübersah, fiel mir seine selbstgefällige Miene auf. »Was soll das? Wusstest du etwa die ganze Zeit schon, dass ich einen Platten habe?«

»Ist mir aufgefallen, als ich dich dabei erwischt hab, wie du mich ausgelacht hast – Hähnchen futternd. Da fiel es mir verdammt schwer, mir nichts anmerken zu lassen.«

Ich hatte nicht die geringste Ahnung von Radwechsel.

»Weißt du, wie man … das wechselt?« Ich konnte nicht fassen, dass ich ihn darum bitten wollte.

»Natürlich weiß ich das. Was für ein Mann wär ich, wenn ich das nicht wüsste!«

»Würdest du mir helfen? Mir ist schon klar, dass du keinen Grund hast, es zu tun … nach unserem kleinen Zwist. Aber ich bin in einer echten Notlage. Ich möchte hier nicht mutterseelenallein über Nacht festsitzen.«

»Kann ich dir eine Frage stellen?«

»Okay …«

Er rieb sich sein Stoppelkinn. »Was würdest du dafür tun?«

»Worauf willst du hinaus?« Ich wich vor ihm zurück.

»Na, na, na, Süße! Wer wird denn da gleich auf schmutzige Gedanken kommen? Ich will nichts von dir, falls du das denkst. Du bist nicht mein Typ.«

»Und was ist dein Typ?«

»Ich stehe auf Frauen, die nicht so kalt wie eine Türklinke sind.«

»Danke.«

»Keine Ursache.«

»Also, was sind deine Bedingungen?«

»Na ja, wie du eben gesehen hast, hat meine Harley einen Defekt. Sie braucht ein Teil, das ich nicht dabeihabe. Den Abschleppdienst habe ich schon angerufen. Aber ich habe einen Termin und muss – wie du – nach Kalifornien.«

»Du schlägst doch nicht im Ernst vor …«

»Doch, doch! Wenn ich das Rad für dich wechsele, nimmst du mich mit.«

»Ich soll dich mitnehmen?«

»Ja, nimm mich.«

»Was hast du gerade gesagt?«

»Nimm mich mit.«

Ich schüttelte den Kopf, um die Bilder loszuwerden, die auf einmal darin herumspukten. Hatte sich mein müdes Hirn nur eingebildet, dass er es gesagt hatte, oder wollte er mich verarschen?

»Ich kann doch nicht Hunderte von Kilometern mit einem Fremden fahren«, sagte ich.

»Ist tausendmal sicherer, als allein zu fahren.«

»Nicht, wenn du ein Serienmörder bist!«

»Das sagt die Richtige! Du bist doch diejenige, die Obama enthauptet hat.«

Unwillkürlich musste ich lachen. Die Situation war völlig irre.

»Oh Scheiße, Prinzessin, amüsierst du dich etwa auf deine eigenen Kosten?«

»Ich fürchte, du treibst mich in den Wahnsinn.«

Er streckte die Hand aus. »Einverstanden?«

Statt einzuschlagen verschränkte ich die Arme vor der Brust. »Was bleibt mir anderes übrig?«

»Na, du könntest ihn da auch das Rad wechseln lassen.« Er deutete auf einen großen furchterregenden Mann, der uns zu beobachten schien. Er sah aus wie Frankenstein.

Ich schnaufte und gab mich geschlagen. »Schon gut, ich bin einverstanden! Ich will hier nur weg!«

»Dachte ich mir. Und jetzt sag mir bitte, dass du ein Ersatzrad hast.«

»Ja, habe ich. Aber ich muss ein paar Kartons ausräumen, damit du drankommst.«

Er lachte sich schief, als er den Inhalt meines Kofferraums sah. »Verdammt, was zum Teufel ist das alles?«

Ich sah ihm in die Augen und gab eine ehrliche Antwort: »Mein ganzes Leben.«

Ich stapelte die Kartons hinter dem Auto auf. Er holte das Ersatzrad heraus und machte sich gleich an die Arbeit.

Während er das Rad wechselte, rutschte sein weißes T-Shirt so weit hoch, dass ich seine gebräunten, steinharten Abduktoren und eine feine Linie aus Härchen sehen konnte, die im Hosenbund verschwand. Unwillkürlich begann es zwischen meinen Beinen zu kribbeln. Um mich abzulenken, ging ich ein paar Schritte und setzte mich auf sein Motorrad. Ich legte die Hände um die Lenkergriffe und malte mir aus, wie es wäre, im Wind zu fahren. Doch dummerweise sah ich ihn in meiner Fantasie vor mir sitzen, was nicht eben hilfreich war.

Er kam hinter meinem Auto hervor. »Vorsicht, Kleine! Das ist kein Spielzeug.«

Ich stieg ab und fuhr mit den Fingern über die in die ledernen Satteltaschen geprägten Buchstaben.

»Wofür steht C. B. eigentlich?«

»Das sind meine Initialen.«

»Lass mich raten … Cocky Bastard?«

»Siehst du? Ich hätte dir meinen Namen auch gleich gesagt, aber weil du so ein Schlaumeier bist, belassen wir’s einfach beim Raten.«

»Wie auch immer, Cocky.«

Er bückte sich. »Ich zieh noch schnell die Muttern fest, dann können wir los.«

»Die Nutten?«

»Die Radmuttern, du ungezogenes Mädchen!«

»Oh.« Entweder war er ein großer Nuschler, oder ich hatte echt ein Problem mit den Ohren.

»Fertig!« Er sprang auf, zog sein T-Shirt hoch und wischte sich damit die Stirn ab.

Verdammt.

»Das ging aber schnell. Bist du sicher, dass das Rad richtig sitzt?«

»Ich habe zwar ein paar Schrauben locker, Süße, wie du sicher bald feststellen wirst, aber das Rad sitzt bombenfest.« Als er mir zuzwinkerte, fielen mir seine Grübchen auf. »Am besten machen wir morgen halt und lassen ein neues Rad montieren. So ein Ersatzrad ist nicht für den Dauergebrauch bestimmt.«

Morgen. Wow. Es war ihm wirklich ernst.

»Dann nichts wie weg hier!«, sagte ich. »Ich fahre. Ich muss die Situation unter Kontrolle haben.«

»Wie du willst«, entgegnete er.

Ich spürte die Verspannung in meinem Nacken, als ich rückwärts aus der Parklücke fuhr. Um es mal so zu sagen: Das konnte ja noch lustig werden! Er vergriff sich augenblicklich an meinen Hähnchen-Nuggets.

Ich schlug ihm auf die Hand. »Hey, Finger weg von meinem Essen!«

»Honig-Senf? Ich mag Barbecue lieber.« Er leckte seinen Daumen ab, und ich verfluchte mich, weil es mich anmachte. Das würde eine lange Fahrt werden …

Feixend hob er die Plastiktüte aus dem Andenkenladen hoch. »Hast du mal reingeguckt?«

»Nein. Wozu? Ist doch nur eine kaputte Wackelkopffigur.«

Er hielt mir die Tüte hin. »Wirklich?«

Ohne die Straße aus den Augen zu lassen, nahm ich die Figur heraus – die gar nicht kaputt war.

»Was zum … Wie hast du …?«

»Sie schien dir zu gefallen, also hab ich die andere bezahlt und dir noch eine neue gekauft. Du hast es nicht gemerkt, weil du die ganze Zeit in deiner Tasche gewühlt hast.«

Ich musste lächeln und schüttelte den Kopf.

»Was sagt man dazu! Ein echtes Lächeln.« Er streckte die Hand aus. »Gib mal!« Als ich ihm die Figur reichte, entfernte er die Schutzfolie von dem Klebestreifen auf der Unterseite und pappte sie auf das Armaturenbrett. Nun hörte Obama nicht mehr auf, mit dem Kopf zu wackeln.

Der Anblick war dermaßen lächerlich, dass ich in schallendes Gelächter ausbrach, aber gleichzeitig wurde mir angesichts der süßen Geste richtig warm ums Herz. Vielleicht war er ja doch kein Blödmann.

Nach einer Weile legte er den Kopf an die Lehne und schloss die Augen. Wir schwiegen eine Zeit lang. Irgendwo auf der Interstate 76, als die untergehende Sonne dem Himmel einen rot glühenden Schein verlieh, wandte er sich mir zu.

»Ich heiße Chance«, sagte er mit bleierner Stimme.

Nach einigen Sekunden Stille entgegnete ich: »Aubrey.«

»Aubrey«, widerholte er leise und schien über meinen Namen nachzusinnen. Dann schloss er die Augen wieder und drehte den Kopf weg.

Chance.

2

»Willst du das weiter ignorieren und die Mailbox rangehen lassen?« Er warf einen missbilligenden Blick auf mein Handy, das in der Mittelkonsole summte. Das verdammte Ding hatte sich zuerst etwa jede halbe Stunde gemeldet, aber nun hatten sich die Abstände zwischen den Anrufen sogar auf zehn Minuten verkürzt.

»Japp.« Es hörte auf herumzutanzen, und ich gab keine weitere Erklärung. Ich dachte, er würde vielleicht aufgeben.

Das tat er natürlich nicht. Fünf Minuten später summte das Handy schon wieder, und ehe ich verstand, was los war, griff Chance danach.

»Harry ruft an.« Er hielt das Gerät zwischen Daumen und Zeigefinger und schwang es vor und zurück, bis ich es ihm wegnahm.

»Harrison heißt er. Und es geht dich nichts an.«

»Die Fahrt ist lang, Prinzessin. Du weißt, dass wir irgendwann darüber reden werden.«

»Werden wir nicht, das kannst du mir glauben.«

»Wir werden sehen.«

Es vergingen nur wenige Minuten und mein Handy meldete sich erneut. Bevor ich etwas tun konnte, hatte Chance es schon wieder in der Hand. Diesmal hielt er es sich allerdings ans Ohr.

»Hallo.«

Ich war so geschockt, dass ich einen Schlenker machte und beinahe von der Straße abgekommen wäre. Ich brachte keinen Ton heraus.

»Harry. Wie läuft’s, Kumpel?«

Was ich als Anflug eines australischen Akzents wahrgenommen hatte, war auf einmal ziemlich ausgeprägt. Harrisons Stimme kam aus dem Handy, aber verstehen konnte ich ihn nicht. Ich sah Chance in sein arrogantes Gesicht. Er zuckte nur mit den Schultern, lächelte selbstgefällig und lehnte sich gemütlich in seinem Sitz zurück. In diesem Augenblick beschloss ich, dass unsere gemeinsame Reise beendet war. Gleich an der nächsten Ausfahrt konnte er seinen Hintern aus meinem Auto schwingen. Sollte er das perfekte runde Muskelpaket doch zu Fuß durch dieses gottverlassene Nebraska tragen!

»Ja, klar, sie ist hier. Aber wir sind gerade ziemlich beschäftigt.«

Die nächste Frage war klar und deutlich zu verstehen. Chance hielt das Handy von sich weg, als Harrison brüllte: »Wer zum Teufel ist da?«

»Ich bin Chance. Chance Bateman. Einige meiner Freunde nennen mich Cocky«, sagte er in einem Tonfall, der – wie ich mir vorstellte – Harrisons Halsschlagader gehörig anschwellen ließ.

»Geben. Sie. Aubrey. Das. Verdammte. Telefon!« Jedes einzelne abgehackte Wort war ein kurzer Zornausbruch. Plötzlich war ich nicht mehr sauer auf Chance, weil er ans Telefon gegangen war. Ich war vielmehr wütend, weil Harrison die Unverfrorenheit besaß, sich über etwas aufzuregen, das ich tat.

»Geht nicht, Harry. Sie … kann grad nicht.«

Prompt folgte eine ganze Salve von Kraftausdrücken aus dem Handy.

»Hör mir mal zu, Harry. Ich sag dir das jetzt von Mann zu Mann, weil du ein guter Kerl zu sein scheinst. Aubrey hat deine Anrufe aus Höflichkeit nicht angenommen. Die Wahrheit ist, dass sie nicht mit dir reden will.«

Meine Wut wuchs schon wieder. Inzwischen wusste ich nicht, über wen ich mich mehr ärgerte. Obwohl … AH-BREE. Zwar hätte ich Chance am liebsten erwürgt, aber gleichzeitig wünschte ich, er würde meinen Namen noch einmal sagen. Was zum Teufel war mit mir los? Ich verpasste Harrisons Antwort, weil ich im Geist hundertmal meinen mit australischem Akzent gesprochenen Namen wiederholte. Wie dieser freche Mistkerl ihn aussprach, bescherte mir ein Kribbeln in der Magengegend. Und ich hatte sogar einen kleinen Aussetzer, als ich mir ausmalte, wie er ihn mir mit rauer Stimme ins Ohr stöhnte. AH-BREE.

Ich blinzelte und kehrte jählings in die Realität zurück, als Chance einen übertriebenen Seufzer ausstieß. »Alles klar, Harry. Aber du musst jetzt damit aufhören. Wir machen eine schöne lange Reise, und dieses ständige Handy-Gesumme bringt unser Mädchen so langsam auf die Palme. Also sei ein guter Kumpel und halt dich mal eine Weile zurück, ja?«

Unser Mädchen. Die besagte Halsschlagader musste kurz vor dem Platzen sein.

Chance wartete die Antwort gar nicht erst ab, sondern beendete das Gespräch.

Mindestens fünf Minuten lang sagte keiner von uns etwas. Er rechnete wohl mit einem gewaltigen Donnerwetter.

»Willst du mich nicht fertigmachen, weil ich mit Harry geredet habe?«

Ich umklammerte das Steuer so fest, dass meine Handknöchel weiß hervortraten. »Ich verarbeite.«

»Du verarbeitest?« Er klang amüsiert.

»Ja, genau.«

»Was zum Teufel soll das bedeuten?«

»Es bedeutet, dass ich nicht das Erste sagen möchte, was mir in den Sinn kommt. Im Gegensatz zu gewissen anderen Leuten denke ich darüber nach, was ich empfinde, und bringe es angemessen zum Ausdruck.«

»Du kontrollierst dich.«

»Mache ich nicht!«

»Doch, genau das machst du. Wenn du sauer bist, dann sag es! Schrei, wenn es sein muss. Aber meckre lieber einmal ordentlich und lass es raus, statt ständig so rumzuzicken.«

Weil die Straße ziemlich leer war, stieg ich kurzerhand auf die Bremse und fuhr an den Rand. Ich überquerte drei Fahrspuren und blieb ruckartig stehen. Es war dunkel; das einzige Licht kam aus meinen Scheinwerfern und von gelegentlich vorbeifahrenden Autos. Ich stieg aus, ging auf die Beifahrerseite und wartete mit den Händen in den Hüften darauf, dass er auch aus dem Wagen stieg.

»Du hast vielleicht Nerven! An der Raststätte hab ich dir den Arsch gerettet, und dann steigst du in mein Auto, isst mir das halbe Essen weg, wechselst den Radiosender, und zur Krönung des Ganzen gehst du auch noch an mein Telefon!«

Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Du hast mir nicht den Arsch gerettet, ich habe ein Nugget gegessen, dein Musikgeschmack ist grottenschlecht und Harry mit dem Stock im Arsch hat dich genervt.«

Ich starrte ihn wütend an.

Er starrte genauso wütend zurück.

Oh. Mein. Gott. Das Licht eines vorbeifahrenden Wagens fiel auf sein Gesicht, und da war sie: Nummer dreizehn. Seine Augen hatten exakt die Farbe Nummer dreizehn. Früher hatte ich das Papier des Wachsmalstifts »Kadettenblau« in der Crayola 46er-Packung immer schon abziehen müssen, bevor bei den anderen Stiften überhaupt die Spitze abgenutzt gewesen war. Ich liebte diese Farbe so sehr, dass ich sie nicht nur für den Himmel verwendete. Als Kind hatte ich ein ganzes Jahr lang alle Gesichter in meinen Malbüchern in diesem faszinierenden Blaugrau eingefärbt. In natura hatte ich diesen Farbton noch nie gesehen, als Augenfarbe schon gar nicht.

Ich war halb weg. Und dann gab er mir den Rest.

»Aubrey«, sagte er und trat auf mich zu.

AH-BREE.

Zur Hölle mit ihm! Ich sagte kein Wort. Ich war beschäftigt … mit Verarbeiten.

»Ich wollte helfen. Harry hat das gebraucht. Ich weiß zwar nicht, in welchem Verhältnis ihr zueinander steht, aber wer immer er auch ist, er hat dir offensichtlich wehgetan. Und du bist es leid, dir seine Entschuldigungen anzuhören. Er erzählt eh nur Mist, und das weißt du. Lass ihn eine Weile schmoren und darüber grübeln, dass du eine Reise mit einem anderen Mann machst. Frauen wie du werden von Männern umschwärmt, das sollte er wissen. Daran sollte man ihn nicht erinnern müssen.«

Frauen wie ich?

Ich versuchte so zu tun, als wäre ich noch sauer, obwohl ich es eigentlich schon gar nicht mehr war. »Na gut, aber lass gefälligst die Finger von meinem Telefon!«

»Zu Befehl, Prinzessin!«

Ich nickte. Ich brauchte das Gefühl, einen Sieg errungen zu haben. Ich konnte meine Wut doch nicht einfach ziehen lassen, nur weil er eine sexy Stimme und Augen in der Farbe Nummer dreizehn hatte!

»Wie wär’s, wenn ich eine Weile fahre?«

Ich konnte im Dunkeln sowieso nicht gut sehen, und meine Augen wurden allmählich müde. »Okay.«

Er öffnete die Beifahrertür, ließ mich einsteigen und lief auf die andere Seite. Bevor er sich ans Steuer setzte, bückte er sich und hob etwas von der Straße auf, das er in seine Tasche auf der Rückbank steckte. Dann stellte er den Fahrersitz ein.

»Was hast du da aufgehoben?«

»Nichts«, bügelte er meine Frage ab. »Wer fährt, darf die Musik aussuchen.«

Und schon brausten wir los.

»Als ich gefahren bin, hast du den Sender alle fünf Minuten gewechselt!«

Er zuckte lächelnd mit den Schultern. »Das ist eine neue Regel.«

Auf dem Beifahrerplatz zu sitzen gab mir die Möglichkeit, ihn genauer zu studieren. Gott, er hatte wirklich hübsche Grübchen! Und auch der Bartschatten an seinem Kinn gefiel mir. Sehr. Wie es aussah, würde ich ihn noch ziemlich lange fahren lassen.

Nach drei Stunden beschlossen wir, Pause zu machen. Es war kurz vor Mitternacht. Wir hatten es so weit geschafft, wie ich geplant hatte, obwohl wir wegen des neuen Reifens Zeit verloren hatten.

Die Frau am Empfang des Hotels war in ein Handyspiel vertieft und sah kaum auf, als wir hereinkamen.

»Wir hätten gern ein Zimmer für heute Nacht«, sagte Chance.

»Äh … zwei Zimmer, bitte«, korrigierte ich.

»Was? Ich wollte eins mit zwei Betten nehmen.«

»Ich teile mir kein Zimmer mit dir!«

»Wie du willst.« Er zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder der Frau zu. »Sie hat Angst, dass sie die Hände nicht von mir lassen kann, wenn wir uns ein Zimmer teilen.« Er zwinkerte ihr zu. Ihre Haut war dunkel, aber ich sah trotzdem, dass sie rot wurde.

Ich verdrehte die Augen. Zu müde, um erneut mit ihm zu streiten, fragte ich: »Könnte ich ein Zimmer haben, das nach Westen geht, nicht im Erdgeschoss ist und, wenn möglich, eine gerade Nummer hat?«

»Ich hätte gern eins mit Bett, Toilette und Fernseher, wenn es möglich ist«, zog er mich grinsend auf.

»Ich kann Ihnen Zimmer 217 und 218 geben. Sie liegen nebeneinander.«

»Perfekt. Sie ist gern in meiner Nähe.«

Ich wusste nicht, ob ich allmählich an seinem egozentrischen Humor Geschmack fand oder einfach nur total überdreht von der langen Fahrt war, aber ich musste einfach lachen.

Er schmunzelte zufrieden.

Die Frau gab uns die Schlüssel und jedem einen warmen Schokokeks. Auf dem Weg zum Aufzug bot ich ihm meinen an. »Willst du meinen Keks? Ich werde ihn nicht essen.«

»Klaro, dich will ich.«

»Was hast du gesagt?«

»Ich sagte, den will ich.«

Ich brauchte wirklich dringend eine Portion Schlaf. Und wahrscheinlich auch eine schöne kalte Dusche.

Er trug unsere Reisetaschen in die Zimmer, und mir entging nicht, dass er mir beim Betreten und Verlassen des Aufzugs den Vortritt ließ. Dieser großspurige Kerl hatte also doch Manieren.

»Nacht, Prinzessin.«

»Nacht, Cocky.

Ich war froh, dass er meinen Namen nicht aussprach – im Zimmer neben ihm zu übernachten machte mir schon genug zu schaffen.

Nach einer Viertelstunde war ich mit meinem Zu-Bett-geh-Ritual fertig und schlüpfte unter die Decke. Ich atmete tief durch und ließ mich in die weiche Matratze sinken.

Ein Klopfen an der Tür schreckte mich auf.

Genervt kletterte ich aus dem Bett und stellte mich auf die Zehenspitzen, um durch den Türspion zu gucken. Warum waren diese Dinger eigentlich immer so weit oben in der Tür? Zu meiner Überraschung war auf der anderen Seite niemand zu sehen. Vielleicht hatte ich ja nur fantasiert.

Es klopfte wieder.

Ich schaltete das Licht an. Das Klopfen kam nicht von der Eingangstür meines Zimmers, sondern von einer Verbindungstür, die mir jetzt erst auffiel.

Es war die Tür zu Chances Zimmer.

Ich schloss auf und öffnete sie nur so weit, dass ich sehen konnte, was er wollte. Und da stand er.

So gut wie nackt.

Lediglich mit dunkelgrauen, hautengen Retropants bekleidet.

Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, warum er da stand, obwohl er mit fragendem Blick eine Zahnbürste hochhielt.

»Ich dachte, wir hätten geklärt, dass ich kein Serienmörder bin.«

Ich öffnete die Tür etwas weiter.

Er lächelte.

O Gott! Hör auf damit! Sofort!

»Ich habe meine Zahnpasta anscheinend in meiner Satteltasche im Auto vergessen.«

Ich schluckte. »Aha.«

Er sah mich schräg an. »Kann ich deine benutzen?«

»Oh. Ja, klar.«

Er ging an mir vorbei ins Bad. Ich wartete an der Tür.

»Für eine Nacht hast du hier unheimlich viel Zeug rumstehen«, sagte er mit dem Mund voller Zahnpasta. »Private Collection Tuberose Gardenia.«

Er las das Etikett meines Parfüms.

Ich hörte, wie er den Mund ausspülte und spuckte. Dann gurgelte er. Er machte also auch von meinem Mundwasser Gebrauch. Kein Problem, bedien dich ruhig!

»Ist die Tuberose eine Rosenart?«, fragte er, als er herauskam und das Badezimmerlicht ausschaltete.

Immer noch irritiert von der ganzen Situation schüttelte ich den Kopf.

»Ah, deshalb«, murmelte er.

»Deshalb was?«

»Ich bin den ganzen Tag nicht drauf gekommen, wonach du riechst. Ich weiß gar nicht, ob ich Tuberosenduft überhaupt schon mal gerochen hab.« Er zuckte die Achseln, und als er in sein Zimmer ging, drehte er sich noch mal um. »Sogar deine Seidenunterwäsche riecht danach.«

Ich dachte, ich höre nicht richtig. Ich hatte meinen BH und meinen Slip ausgezogen und im Bad liegen lassen.

»Du … du –«

»Entspann dich! Ich will dich nur ärgern. Seh ich etwa wie ein Unterwäsche-Schnüffler aus?«

Ja. Nein. Oder vielleicht doch?

»Nacht, Aubrey.« Er beehrte mich mit einem Grübchen und verschwand.

AH-BREE. Zur Hölle mit ihm!

Ich schloss die Tür ab und kontrollierte es noch zweimal nach – ob zu meiner Sicherheit oder seiner, war schwer zu sagen. Nachdem ich mich hingelegt hatte, hörte ich ihn im Geist immer wieder meinen Namen sagen. Mit jedem meiner Atemzüge wurde seine Stimme leiser, so wie ein beruhigendes Schlaflied, während ich allmählich ins Traumland abdriftete.

Dann klopfte es erneut.

Ich glaube, ich hatte vielleicht sogar schon drei Sekunden geschlafen, bevor ich wieder aufstehen musste, um die Tür zu öffnen.

»Lust auf einen Film?«

In meinem Zimmer war es stockdunkel; seins war hell erleuchtet. Sobald sich meine Augen darauf eingestellt hatten, fiel mein Blick auf seine Unterhose. Statt einfach Nein zu sagen und die Tür zu schließen, begann ich mit ihm zu streiten – schon wieder.

»Du hast nur eine Unterhose an. Mit dir gucke ich keinen Film!«

Er sah an sich hinunter. »Was? Ist ja nicht so, als hätte ich eine Erektion.«

Angesichts seines ungehörigen Kommentars riss ich fassungslos die Augen auf. Dann malte ich mir allerdings aus, wie es wohl aussah, wenn er in seiner unglaublich engen Unterhose eine Erektion hatte. Plötzlich wusste ich nicht mehr, wo ich hinsehen sollte. Wenn ich nach unten sah, glotzte ich sein Gemächt an. Wenn ich aufsah, erriet er garantiert meine Gedanken.

Er lachte in sich hinein. »Ich zieh mir eine Shorts an.«

Ich hatte keine Ahnung, warum ich überhaupt mit ihm verhandelte, obwohl ich gar keine Lust auf einen Film hatte. Er verschwand und kehrte kurz darauf mit einer weiten, locker sitzenden Shorts zurück. Der Bund seiner Calvin-Klein-Unterhose schaute oben heraus. Aber da es nun nichts Hautenges mehr zum Anstarren gab, wurde mir bewusst, dass die Shorts alles nur noch schlimmer machte. Sie hing lose an seinen schmalen Hüften; genau da, wo sein ansehnliches Muskel-V begann. Und weil sein Knackarsch jetzt verhüllt war, blieb mir nichts anders übrig, als meine Aufmerksamkeit seiner Brust zuzuwenden. Und seinen Wahnsinnsabduktoren.

»Jetzt bist du dran«, sagte er.

Ich sah ihn verdutzt an.

»Wenn ich nicht in der Unterhose dasitzen darf, musst du dir auch was anderes überziehen.«

»Was spricht denn gegen mein Schlafshirt?«, erwiderte ich patzig.

Er blickte auf meine Brust, und ein verschmitztes Grinsen spielte um seine Mundwinkel. »Gar nichts. Behalt es ruhig an, wenn du willst.«

Ich folgte seinem Blick. Ich hatte völlig vergessen, dass ich ein weißes T-Shirt ohne BH darunter trug. Meine Brustwarzen standen stramm und machten Anstalten, den dünnen Stoff zu durchbohren.

Wir zankten uns zwanzig Minuten lang darüber, was für einen Film wir gucken wollten, bevor wir uns für einen Horrorthriller entschieden, den ich eigentlich nicht sehen wollte. Fünf Minuten später – und nachdem ich ein Sweatshirt übergezogen hatte – schlief ich angelehnt an Chance ein, der auf dem Doppelbett neben mir saß.

Als ich am nächsten Morgen wach wurde, war er wieder in seinem Zimmer. Die Verbindungstür stand aber offen. Ich hörte, wie er jemandem am Telefon von seinen Tagesplänen berichtete. Alles, was er sagte, war eindeutig gelogen, denn ich war mir ziemlich sicher, dass er den Tag nicht in Los Angeles verbringen würde.

3

Bei einem nur wenige Meter vom Hotel entfernten Diner hielten wir an, um zu frühstücken.

Ich bestellte als Erste mein Getränk. »Ich nehme einen extra heißen, fettfreien Latte mit drei Schuss Vanillesirup und wenig Schaum.«

Chance sah mich mit zusammengekniffenen Augen an und wandte sich der Kellnerin zu. »Haben Sie das alles? Sie will einen Fetten mit einer heißen Latte und extra viel Sahne.«

Bertha – wie sie laut ihrem Namensschild hieß – fand das kein bisschen lustig. »Wir haben nur Kaffee, ohne Koffein und normalen«, leierte sie monoton herunter und schwenkte ihre Kanne.

»Dann nehme ich einen schwarzen Kaffee.«

»Ich auch«, sagte er.

Sie schenkte uns ein. »Ich komme gleich wieder und nehme Ihre Bestellung auf.«

Chance schüttelte ein Zuckertütchen und lachte.

Ich verschränkte die Arme. »Was ist so witzig?«

»Du.«

»Wieso?«

»Dachtest du wirklich, du könntest dir in so einem Lokal dein Schickimicki-Zeug bestellen?«

»Latte gibt es ja wohl überall. Sogar bei McDonald’s!«

»Dann besorgen wir dir zum Abendessen einen Latte und ein Happy Meal – mit einem kleinen Spielzeug drin. Würde dich das glücklich machen?«

Kopfschüttelnd sah ich mir die Speisekarte an. Es gab nichts, was ich essen konnte. »Alles so fett hier.«

»Mmm, Schinkenspeck. Ab und zu ein bisschen Fett bringt dich nicht um.«

»Ich habe meine Monatsration Fett schon intus – die Hähnchen-Nuggets gestern.«

»Monatsration?«

»Ja. Eine Cheat-Mahlzeit pro Monat.« Ich seufzte. »Die haben hier gar nichts Gesundes. Ich weiß wirklich nicht, was ich nehmen soll.«

»Keine Sorge, ich bestell für dich.«

»Was? Nein!«

Chance hob den Finger. »Bertha, Schätzchen, können wir?«

Gott, er war sogar imstande, diese muffelige Kellnerin erröten zu lassen.

»Was darf’s sein?«

Er zeigte auf die Speisekarte. »Ich nehme das Gericht, das ihr ›deftige Platte mit Herzinfarktgarantie‹ nennt. Sie nimmt nur etwas Vollkorntoast ohne Butter.«

»Kommt sofort.«

»Ich bekomme nur trockenen Toast?«

»Nein. Du wirst gleich von meinem Teller essen. Das ist dir nur noch nicht klar. Der Toast ist meine Art, dir begreiflich zu machen, dass du die Sachen, die du zu wollen vorgibst, an und für sich gar nicht magst. Und die Sachen, die du für schlecht hältst, wünschst du dir tief drinnen am meisten.«

»Also, wirklich …«

»Ich durchschaue dich. Je mehr du dich anstrengst, gut zu sein, desto mehr sehnst du dich danach, böse zu sein. Du wirst mein fettes Essen nicht nur probieren, du wirst es mitsamt meiner Gockelsoße verschlingen, und es wird dir sogar schmecken!«

»Wie bitte? Mitsamt deiner was?«

Lachend legte Chance den Kopf in den Nacken, bevor er die Reißverschlusstasche seiner Jacke öffnete und eine kleine Plastikflasche auf den Tisch stellte, auf der ein Hahn abgebildet war.

»Gockelsoße. Auch bekannt als Sriracha. Das ist eine thailändische Chilisauce. Die hab ich immer dabei.«

Bertha brachte eine ovale Platte, die turmhoch mit Rührei, Bratkartoffeln, Würstchen, Frühstücksspeck, kanadischem Schinken und Cornedbeef-Haschee beladen war. Sie stellte sie Chance hin und reichte mir einen kleinen Teller mit Toast.

Großzügig verteilte er mehrere Spritzer der roten Sauce auf seinem Essen. Dann langte er kräftig zu und sah mich dabei an.

Fest entschlossen, nichts von ihm abhaben zu wollen, fixierte ich ihn mit starrem Blick und biss übertrieben geräuschvoll in meinen Toast. Zugegebenermaßen hatte ich einen Riesenhunger.

Um mich selbst daran zu hindern, auf seine Platte zu schauen, richtete ich den Blick nach oben und konzentrierte mich auf seine Baseballkappe. Er hatte sie im Souvenirshop des Hotels gekauft und trug sie mit dem Schild nach hinten. Der Look war cool, und es stand ihm gut, wie seine Haare an den Seiten herausschauten. Ein Sonnenstrahl fiel durch das Fenster in unsere Nische und ließ Blau Nummer dreizehn erstrahlen.

Verdammt.

Seine Stimme riss mich aus meinen Gedanken. »Du weißt, dass du es willst, Aubrey.«

Hä? Hatte er mich dabei erwischt, wie ich ihn abcheckte, oder meinte er das Essen?

Er schnitt ein Stück von einem Würstchen ab, spießte es mit der Gabel auf und bot es mir an. Dabei warf er mir ein verführerisches Grinsen zu. »Komm schon. Nur einen kleinen Happen.«

Die Wurst roch würzig … und unwiderstehlich. Ich öffnete den Mund und ließ mich von ihm füttern. »Mmm«, machte ich, während ich den saftigen Bissen langsam kaute und genießerisch die Augen schloss. Als ich sie wieder öffnete, ruhte Chance’ Blick auf meinen Lippen.

»Willst du mehr?«, flüsterte er mir mit rauer Stimme zu.

Mir lief das Wasser im Mund zusammen. »Ja.«

Diesmal nahm er etwas Schinken und steckte ihn mir mit den Fingern in den Mund. Ich gab es nur ungern zu, aber was die Sauce anging, hatte er recht. Sie machte alles noch viel köstlicher.

»Mehr?«

Ich leckte mir die Lippen. »Ja.«

Chance gab mir drei weitere Happen. Als ich stöhnte, warf er seine Gabel hin. »Du lieber Himmel! Das Essen ist gut, aber so gut nun auch wieder nicht.«

»Was willst du damit sagen?«, fragte ich mit vollem Mund.

»Wann wurdest du zum letzten Mal so richtig gebumst?«

»Ge… was?«

»Durchgevögelt, Prinzessin. Wann wurdest du zum letzten Mal ordentlich gevögelt?«

»Was hat das denn damit zu tun?«

»Wenn Essen so heftige Reaktionen bei dir auslöst, musst du schon lange auf dem Trockenen sitzen.« Er wackelte mit den Augenbrauen. »Prinz Harry hat’s wohl nicht so gebracht, was?«

»Das geht dich nichts an.«

»Dein Gesicht wird allmählich röter als die Sauce.« Chance beugte sich vor und flüsterte mir zu: »Aubrey … wann hattest du zum letzten Mal einen Orgasmus beim Sex?«

»Spielt keine Rolle.«

Sein Ton wurde drängender. »Wie … lange … ist es her?«

»College«, hustete ich mehr oder weniger aus. Oh Gott, was zum Teufel hatte ich da zugegeben? »Ich kann nicht glauben, dass ich das gesagt habe! Jetzt schäme ich mich.«

Er atmete geräuschvoll aus. »Das musst du nicht. Aber ich werde nicht lügen. Ich bin wirklich fassungslos. Eine Frau wie du sollte einen Mann haben, der sich auskennt.«

»Was kümmert es dich? Du sagst das immer wieder – ›eine Frau wie ich‹. Ich habe nicht mal gedacht, dass du mich besonders magst.«

Chance lehnte sich zurück und guckte aus dem Fenster, bevor er mir in die Augen sah. »Du bist zwar eine Nervensäge, aber … ich mag dich, Aubrey. Du bist witzig. Nicht zum Brüllen komisch, aber witzig. Du bist ein anständiger Mensch. Du bist schlagfertig. Du bist smart. Du bist verdammt süß …« Er schaute weg; fast schien es, als wollte er sich daran hindern fortzufahren. »Aber was ist eigentlich passiert?«

»Womit?«

»Warum läufst du vor dieser Niete Harrison weg?« Als ich zögerte, winkte er Bertha herbei. »Könnten wir bitte noch etwas Kaffee bekommen, meine Schöne?«

Ich wusste nicht, was in mich gefahren war. Vielleicht lag es an der scharfen Sauce. Jedenfalls wollte ein Teil von mir einfach alles rauslassen. Nachdem uns Bertha nachgeschenkt hatte, begann ich mich ihm zu öffnen.

»Harrison war Partner in der Großkanzlei in Chicago, bei der ich gearbeitet habe. Ich war da als Rechtsanwältin angestellt. Patent- und Markenrecht. Ich bin etwas mehr als ein Jahr mit ihm zusammen gewesen. Wir haben auch zusammen gewohnt. Und vor ungefähr zwei Monaten fand ich heraus, dass er mich mit einer Praktikantin betrog. Also, tja …«

»Du bist ausgezogen?«

»Ja. Und ich habe meinen Job gekündigt. Harrison hat sich in den vergangenen Wochen täglich bemüht, mich davon zu überzeugen, dass ich einen Fehler mache. Dass ich meine Karriere wegwerfe, weil er mich angeblich schneller zur Kanzlei-Partnerin machen kann als ich es aus eigener Kraft schaffe. Ich habe alles stehen und liegen lassen und die erste Stelle angenommen, die ich bekommen konnte: bei einer kleinen Startup-Kanzlei in Temecula. Ich habe Angst. Ich kenne niemanden im Westen, und ich weiß nicht, ob meine Entscheidung die richtige ist. Ich bin nicht mal sicher, ob ich überhaupt noch Anwältin sein will. Im Moment fühle ich mich ziemlich verloren.« Mir kamen die Tränen.

Aus Chance’ Augen sprach eine Ernsthaftigkeit, die ich bisher noch nicht bei ihm gesehen hatte. »Hast du für irgendwas eine Leidenschaft, Prinzessin?«

Ich überlegte eine Weile, aber mir fiel im Grunde nur eines ein. Ich lachte unsicher. »Da gibt es nicht viel … außer Tiere. Ich interessiere mich für alles, was mit ihnen zu tun hat. Ich wollte Tierärztin werden, aber mein Vater war Anwalt und hat mich dazu gedrängt, in seine Fußstapfen zu treten.«

»Wahrscheinlich hast du das Gefühl, du kommst mit Tieren besser klar als mit Menschen, hm?«

»Ja, manchmal habe ich wirklich den Eindruck.«

Er kratzte sich am Kinn und lächelte. »Du wirst schon deinen Weg gehen. Bestimmt. Was in Chicago passiert ist, ist noch zu frisch. Gut verständlich, dass du noch nicht klar denken kannst. Wenn du erst mal in Kalifornien angekommen bist, wird dir die Veränderung guttun. Lass dir Zeit, denk nach und finde raus, was du wirklich willst, und dann mach dir einen Plan, wie du es erreichen kannst. Du hast dein Schicksal selbst in der Hand – nur in den nächsten vierundzwanzig Stunden bestimme ich darüber.« Er zwinkerte mir verschmitzt zu. »Du hast mich am Hals, ob es dir nun gefällt oder nicht.«

»Sieht so aus.« Ich lächelte. Der Kerl wuchs mir langsam ans Herz, und das beunruhigte mich. Ich wusste rein gar nichts über ihn. »Jetzt bist du dran. Wer bist du, Chance Bateman? Wie lange bist du schon in den Vereinigten Staaten?«

»Ich bin hier geboren. Mit fünf bin ich mit meinen Eltern nach Australien gezogen. Mein Vater war lange im australischen Profifußball aktiv, erst als Spieler, dann als Trainer. In dieser Welt bin ich aufgewachsen.«

»Ist ja cool.«

»Das war es eine Zeit lang … aber dann nicht mehr.« Er schluckte, und seine Miene verdüsterte sich.

»Wie meinst du das?«

»Das ist eine lange Geschichte.«

In diesem Moment summte mein Handy. Es war Harrison.

Mist. Mist. Mist.

Ich zeigte Chance den Namen auf dem Display.

Er nahm es mir aus der Hand. »Harry! Alter Wichser!«

»Geben Sie mir Aubrey«, hörte ich Harrison sagen.

»Aubrey und ich, wir haben eben grad von dir gesprochen! Beim Frühstück. Sie hat eins von diesen kleinen Würstchen genommen und gesagt: ›Guck mal, das ist ungefähr Harrys Größe.‹«

»Sie verdammtes Arschloch!«, tönte es wütend aus dem Telefon. »Sagen Sie Aubrey, wenn sie sich mit Gesindel wie Ihnen abgibt –«

Klick. Chance beendete das Gespräch. »Wollen wir dann mal wieder?«

»Das war fantastisch!« Ich klatschte ihn ab, als er die Hand hob. »Ja, lass uns gehen.«

»Bye, Bertha!« Chance zwinkerte unserer Kellnerin zu.

»Bye, scharfer Typ.«

Ich verdrehte die Augen, schüttelte lachend den Kopf und folgte dem scharfen Typ nach draußen.

Es war ein herrlicher, sonniger Nachmittag. Ich sagte Chance, dass ich gern fahren würde. Ehrlich gesagt brauchte ich eine Pause von diesem dauernden Ihn-Anstarren. Es bereitete mir immer mehr Unbehagen, dass ich mich wider Willen zu ihm hingezogen fühlte. Außerdem konnte ich als Fahrerin über das Radio bestimmen.

»Michael Bolton? Im Ernst, Prinzessin? Das willst du mir antun?«

»Was denn? Er ist gut! Seine Stimme ist … intensiv … eindringlich.«

Chance begann den Text von »When a Man Loves a Woman« laut mitzusingen. Es klang entsetzlich. Das haarsträubende Duett von Chance und Michael brachte mich dazu, sofort den Sender zu wechseln.

Bald darauf hielten wir zum Tanken an und Chance besorgte uns im Shop ein paar Snacks, nachdem er mein Auto vollgetankt hatte.

Mit einer großen Papiertüte stieg er wieder ein. Ich schaute kurz zu ihm rüber, als ich den Motor anlassen wollte, und erstarrte.

Er hatte weißen Puder unter der Nase.