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Casper Munk in seinem gefährlichsten Fall "Sie wollen mir eine Chance geben, in den Polizeidienst zurückzukehren. (...) Aber dazu müsste ich das Leben von jemanden schützen, der einen sehr seltsamen Humor hat." Politiker und Bürger sind schockiert, als der schwedische König Sultan Daix nach Stockholm einlädt. Der unumschränkte Herrscher eines Ölstaates lässt Oppositionelle ins Gefängnis sperren und foltern. Der schwedische König ist jedoch seit seinem Besuch im Sultanat begeistert von Daix' riesigem Fuhrpark, dem Harem des Herrschers und dessen skurrilen Humor. Zwei Wochen vor dem angekündigten Besuch geht eine Morddrohung gegen den Sultan bei der Stockholmer Polizei ein. Kommt sie von Menschenrechtlern? Von Exilanten aus dem Sultanat? Oder hat sich der Sultan bei seinen zwielichtigen Ölgeschäften Feinde gemacht? Den seit seinem letzten Fall suspendierten Casper Munk interessieren die brisanten Entwicklungen wenig. Er sitzt mit seinem Freund Pontus im Café und denkt darüber nach, einen Humor-Ratgeber zu schreiben, als der Polizeipräsident ihm vorschlägt, er dürfe seine Arbeit wieder aufnehmen, wenn er den Sultan schütze. Dann geschieht etwas völlig Überraschendes: Casper Munk wird angeschossen und liegt im Koma. Sein altes Team um Hauptkommissar Halldor Selander und die Polizisten Per Henrik Grip, Kajsa Tapper, Achatz Larsson und Leila Andersson tut alles, um die Fälle aufzuklären. Wer will Munk und den Sultan tot sehen?
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Seitenzahl: 279
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Lasse Blom
Opfer ohne Wahl
Ein Schweden-Krimi
Casper Munk in seinem gefährlichsten Fall
Politiker und Bürger sind schockiert, als der schwedische König Sultan Daix nach Stockholm einlädt. Der unumschränkte Herrscher eines Ölstaates lässt Oppositionelle ins Gefängnis sperren und foltern. Der schwedische König ist jedoch seit seinem Besuch im Sultanat begeistert von Daix’ riesigem Fuhrpark, dem Harem des Herrschers und dessen skurrilen Humor. Zwei Wochen vor dem angekündigten Besuch geht eine Morddrohung gegen den Sultan bei der Stockholmer Polizei ein. Kommt sie von Menschenrechtlern? Von Exilanten aus dem Sultanat? Oder hat sich der Sultan bei seinen zwielichtigen Ölgeschäften Feinde gemacht? Den seit seinem letzten Fall suspendierten Casper Munk interessieren die brisanten Entwicklungen wenig. Er sitzt mit seinem Freund Pontus im Café und denkt darüber nach, einen Humor-Ratgeber zu schreiben, als der Polizeipräsident ihm vorschlägt, er dürfe seine Arbeit wieder aufnehmen, wenn er den Sultan schütze. Dann geschieht etwas völlig Überraschendes: Casper Munk wird angeschossen und liegt im Koma. Sein altes Team um Hauptkommissar Halldor Selander und die Polizisten Per Henrik Grip, Kajsa Tapper, Achatz Larsson und Leila Andersson tut alles, um die Fälle aufzuklären. Wer will Munk und den Sultan tot sehen?
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- oder Bildteile.
Alle Akteure des Romans sind fiktiv, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und sind vom Autor nicht beabsichtigt.
Copyright © 2021 by Maximum Verlags GmbH
Hauptstraße 33
27299 Langwedel
www.maximum-verlag.de
1. Auflage 2021
Lektorat: Cathérine Fischer
Korrektorat: Angelika Wiedmaier
Satz/Layout: Alin Mattfeldt
Covergestaltung: Alin Mattfeldt
E-Book: Mirjam Hecht
Druck: Booksfactory
Made in Germany
ISBN 978-3-948346-32-4
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Postskriptum
Über den Autor Lasse Blom
Mehr vom Autor
Der erste Teil um Kommissar Casper Munk
Der zweite Teil um Kommissar Casper Munk
MAXIMUM Kriminalromane
MAXIMUM Spionage-Krimis
MAXIMUM Spionage-Krimis
„Wann wirst du damit aufhören, immer noch mehr vom Leben zu verlangen?“
Casper Munk und sein Freund Pontus Mattsson wankten durch den Vergnügungspark Gröna Lund in Stockholm. Munk war bei der Polizei hinausgeflogen, weil er bei der Lösung eines Falles ein paar Fußballer für tot erklären ließ, obwohl sie gar nicht tot waren. Und Mattsson hatte gerade die Hypochonder-Klinik in Bergen in Norwegen verlassen. Er galt als geheilt, aber er wusste nicht, was er draußen mit seinem Leben anfangen sollte.
Munk und Mattsson hatten auf Gröna Lund hastig ein paar Bier getrunken und waren danach Achterbahn gefahren. Mattsson hatte die ganze Fahrt über gelacht und mehrmals gesagt, er würde nach der Runde gleich noch einmal einsteigen. Munk war furchtbar schlecht gewesen. In jeder Kurve hatte er das Gefühl gehabt, sein Gleichgewichtsorgan habe ihn und den Wagen, in dem sie fuhren, fluchtartig verlassen – alles hatte sich gedreht. Bei jeder Steigung hatte er das Gefühl gehabt, er würde hinauskatapultiert in den Himmel, bei jedem Sturzflug nach unten hatte sich sein Magen bis hoch in den Hals gehoben. Mattsson hatte das nicht wahrgenommen. Als sie ausgestiegen waren, hatte er Munk auf den Rücken gehauen und gerufen: „Auf ein Neues!“ Als sich Munk zu ihm umgedreht hatte, war Mattsson erschrocken. „Du bist ja richtig grün im Gesicht!“, hatte er gerufen. Und dann hatte er gelacht und gesagt: „Kannst du auch eine andere Farbe annehmen – blau oder gelb?“
Jetzt lehnte Munk am Kassenhäuschen. Er atmete tief durch. Neben ihm stand Mattsson, der sich nicht mehr einkriegte. Irgendwann lachte Munk auch. Beide konnten gar nicht mehr aufhören. Dann sah Munk das Spiegelkabinett auf der anderen Seite der Straße und sagte zu Mattsson: „Da gehen wir jetzt rein!“
Die beiden wankten hinüber und lasen ein Schild: „Nicht für Schwangere!“
„Sind wir nicht!“, rief Mattsson.
„Nicht für Behinderte!“, las Munk vor.
„Sind wir nicht!“, brüllte Mattsson.
„Nicht für Betrunkene!“, las Munk.
Mattsson zögerte.
„Sind wir auch nicht!“, lallte er schließlich.
Das Personal des Spiegelkabinetts sah das anders. Ein kräftiger Mann versperrte Munk und Mattsson den Weg. Mattsson wollte gerade protestieren, da fiel ihm Munk, der sich mittlerweile gefangen hatte, ins Wort. Er fragte den kräftigen Mann, warum es denn nicht möglich sei, sich „in angetrunkenem Zustand“ – er betonte die drei Worte – im Spiegel zu betrachten? Das mache man zu Hause doch auch. Es sei grundsätzlich schon möglich, sagte der Mann, ohne eine Miene zu verziehen, aber es befänden sich außer den Spiegeln auch noch rotierende Röhren in dem Spiegelkabinett. Durch diese Röhren müsse man balancieren, um zu den Spiegeln zu gelangen.
Munk und Mattsson sahen sich an.
„Kein Problem“, sagte Mattsson, zog einen Fünfziger aus der Hosentasche und legte ihn der Dame im Kassenhäuschen hin. Die Frau zögerte und schaute zum kräftigen Mann hinüber. Dieser nickte. Munk schob ebenfalls einen Fünfziger ins Kassenhäuschen und folgte Mattsson. Er fragte sich, ob sein Gleichgewichtsorgan, das in der Achterbahn arg gelitten hatte, mittlerweile wieder stabil geworden war. Mehr Gedanken machte er sich nicht, es war keine Zeit dafür, denn Mattsson stürzte sich sofort in die erste rotierende Röhre, die einen Durchmesser von etwa zwei Metern hatte und mit einer Art Teppichboden ausgelegt war. Man musste ungefähr zehn Meter zurücklegen, um zu den Spiegeln zu gelangen. Munk traute seinen Augen nicht, was dann geschah: Wie eine Gazelle rannte Mattsson durch die halbe Röhre, ehe er nach gut fünf Metern plötzlich das Gleichgewicht verlor und auf die Nase fiel. Er versuchte nicht, sich aufzurappeln, vermutlich war er zu betrunken; er blieb stattdessen reglos liegen und machte eine halbe Umdrehung mit der Röhre mit, ehe er von oben nach unten fiel. In diesem Moment sprang ein junger Mann, der gerade ebenfalls in der Röhre war, herbei, packte Mattsson und zog ihn ins Innere des Spiegelkabinetts. Gleichzeitig hörte Munk von hinten eine Anweisung.
„Bleiben Sie stehen!“, rief der kräftige Mann, „sonst passiert Ihnen das Gleiche!“
Aber Munk rief nur „Ich muss zu den Spiegeln!“ und rannte wie ein junger Hase durch die rotierende Röhre. Als er auf der anderen Seite ankam, setzte er sich neben Mattsson, der ihn mit rot unterlaufenen Augen ansah, auf den Boden. Dann lachten beide.
„Bitte verlassen Sie das Spiegelkabinett“, rief der kräftige Mann von der anderen Seite der Röhre aus.
„Yes, Sire, yes!“, antwortete Munk, „aber zuvor möchten wir uns noch im Spiegel betrachten, ob wir auch gut genug aussehen, um wieder an die Öffentlichkeit zu treten.“
Um seine Worte zu unterstreichen, drapierte er dem derangierten Mattsson die Haare. Mattsson hatte seinen Sturz offenbar unverletzt überstanden.
Der kräftige Mann schüttelte den Kopf, machte eine wegwerfende Handbewegung und sagte: „Meinetwegen, aber schnell!“
Munk und Mattsson standen auf und gingen zum ersten Spiegel. Sie waren darin klein und dick, im nächsten Spiegel waren sie dünn und lang, im übernächsten hatten sie kurze Beine und einen langen Oberkörper. Beide lachten unentwegt. Und immer wieder zeigten sie auf die Spiegel, um sicherzugehen, dass der andere auch sah, was der eine gesehen hatte. Als sie das Spiegelkabinett wieder verließen, schlug Munk vor, in ein Café in der Innenstadt zu gehen.
„Ein Kaffee wird uns jetzt guttun“, sagte er.
Die vier Männer, die im Regierungssitz Rosenbad in Stockholm zusammensaßen, sahen aus, als hätte man ihnen einen Schubkarren voll Mist vor die Füße gekippt. Schwedens Premierminister spielte mit den Unterlagen, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Der Innenminister, der danebensaß, sah dem Premierminister dabei zu. Der Leiter der Stockholmer Mordkommission stand am Fenster und blickte hinaus. Er sah direkt auf das pompöse Reichstagsgebäude, das die kleine Insel Helgeandsholmen zur Hälfte bedeckte. Und der Polizeipräsident spielte mit seiner gelb-blauen Krawatte, die er dem Anlass gemäß angelegt hatte. Es ging hier ja um eine Angelegenheit von nationaler Bedeutung: Sultan Daix aus dem ölreichen Emirat Daixistan, das natürlich nach dem Sultan benannt war, stand kurz vor einem Besuch in Stockholm. Und es hatte Morddrohungen gegen ihn gegeben. Der Sultan, hieß es darin, sei ein rücksichtsloser Alleinherrscher, der nicht nur politische Gegner in Gefängnissen foltern lasse, sondern auch Homosexuelle. Frauen durften keine öffentlichen Ämter bekleiden und mussten tun, was die Männer sagten.
Die vier Männer im Regierungssitz Rosenbad wussten das. Die meisten Schweden wussten das. Nur der König wusste es offenbar nicht. Oder es war ihm egal. Er hatte den Sultan eingeladen.
„Warum eigentlich?“, fragte der Leiter der Mordkommission, Halldor Selander, vom Fenster herüber.
„Warum was?“, fragte der Premierminister zurück.
„Warum hat der König diesen komischen Sultan eingeladen?“
Der Premierminister seufzte. „Sie können sich doch sicher daran erinnern, dass unser König vor Jahren im Sultanat Daixistan zu Besuch gewesen ist“, sagte er dann.
Jetzt stöhnten die drei anderen Männer auf. Sie erinnerten sich offenbar, welche diplomatischen Verwerfungen es damals gegeben hatte. Der schwedische König war auf Einladung des Sultans nach Daixistan geflogen, hatte fürstlich gespeist und sich dann den Fuhrpark des Herrschers angesehen. Der König, bekanntlich ein Autonarr, war sehr beeindruckt gewesen von den 100 Ferraris des Sultans in allen Farben, die man sich vorstellen kann, und er hatte im Anschluss daran auf einer Pressekonferenz gesagt, das Sultanat sei eine vorbildliche Demokratie, der Sultan sei ein großzügiger Mann und „einen Sklaven“ habe er während seines Aufenthalts nirgendwo sehen können.
Schwedens Politiker hatten die Welt nach der Pressekonferenz des Königs damit beruhigt, dass dieser nicht im Sinne seines Landes sprach. Er müsse da etwas durcheinandergebracht haben. Schweden sei stolz auf seine demokratischen Werte und immer schon ein Vorreiter für Freiheit und Gleichberechtigung gewesen. Der König hatte dazu nie mehr etwas gesagt. Stattdessen lud er nun den Sultan zu einem Gegenbesuch ein.
„Wie viele Ferraris hat der König?“, fragte der Innenminister.
„Nur zwei“, antwortete der Premierminister, „aber er versucht, sich von schwedischen Bürgern welche zu leihen, damit er dem Sultan auch einen ordentlichen Wagenpark präsentieren kann.“
„Mich hat er auch gefragt“, sagte Polizeipräsident Lasse Bosse Ström, der seine Eitelkeit nur selten verbergen konnte.
Als die anderen drei konsterniert auf ihn blickten, sagte er schnell: „Ich habe meinen nicht verliehen.“
„Wann kommt der Sultan?“, fragte Selander, um das Thema wieder in die richtigen Bahnen zu lenken.
„Übernächste Woche“, antwortete der Premierminister. „Er will eine ganze Woche bleiben. Und Sie müssen ihn schützen, meine Herren.“
Er meinte Ström und Selander, die beiden Polizisten.
„Wo wird er wohnen und wie sieht sein Programm aus?“, fragte Selander.
„Er wohnt auf dem Gut Harpsund in Sörmland“, sagte der Premierminister, „er wird dort zusammen mit seiner Entourage der einzige Gast sein. Der König wird ihm ein Bankett mit viel Pomp im Rådhuset ausrichten, sie werden zusammen auf Elchjagd gehen, die Autosammlung des Königs besichtigen, einige Herrenabende mit Damenbegleitung verbringen …“
„Ohne uns!“, sagte Selander.
„Mit Ihnen!“, erwiderte der Premierminister, „aber Sie bleiben vor der Tür. Und der Sultan wünscht sich, dass die besten Komiker Schwedens für ihn auftreten.“
„Die versteht er doch gar nicht“, warf Selander ein. „Der kann doch kein Schwedisch.“
Der Premierminister blätterte in seinen Unterlagen. „Die besten Pantomimen Schwedens“, verbesserte er sich. „Aber es sollen komische Nummern sein.“
„Komische Nummern“, wiederholte Selander und schüttelte den Kopf.
„Ja, der Sultan hat sehr viel Humor, heißt es, wenn auch einen sehr eigenartigen“, sagte der Premierminister.
Selander sah sehr unglücklich aus.
„Wir schaffen das schon“, sagte Ström eilfertig.
Nachdem der Premierminister weitere Programmpunkte genannt hatte, sagte er am Ende: „Ich erwarte, dass Sie den Sultan schützen. Passiert ihm etwas, dann gnade uns Gott. Ich will an die internationalen Verwerfungen gar nicht denken, wenn der Sultan eines der ölreichsten Länder der Erde ausgerechnet in Schweden getötet wird. Suchen Sie die Leute, die diese Morddrohungen ausgestoßen haben. Und schützen Sie den Sultan, wenn er da ist.“ Der Premierminister stand auf, schlug Ström auf die Schulter und sagte: „Ich will dafür die besten Polizisten!“
Munk und Mattsson standen in einer Espressobar am Sveavägen. Der Weg dorthin war lustig gewesen, weil sie an Gröna Lund und an die Spiegel denken mussten, auf denen sie mal groß, mal klein, mal dick, mal dünn gewesen waren.
„Stell dir vor, wenn jeder mit ganz viel Humor durchs Leben gehen würde“, sagte Munk, der Glück gehabt hatte. Er war nicht nass geworden, im Gegensatz zu Mattsson. Ein Schauer hatte diesen auf den letzten Metern erwischt. Munk war schneller gewesen.
„Ah, ware Sie ssonn Swimmbad …?“, fragte der Barkeeper mit seinem italienischen Akzent.
„Einen Milchkaffee bitte“, antwortete Mattsson etwas genervt.
„Latte macchiato?“, fragte der Kellner.
„Nein, Milchkaffee bitte, in der großen Tasse!“, knurrte Mattsson und ging, Munk ein Zeichen gebend, zur Toilette, um sich abzutrocknen. Munk sah sich um. Es gab hier keine Sitzplätze – getrunken wurde an der Bar. Ein Stück Italien mitten in Stockholm. Diesen Satz hatte er einmal über dieses Lokal gelesen. In der Zeitung? In einem Touristenführer? Er wusste es nicht mehr.
„Ich glaube, es wäre ganz schrecklich – das mit dem Humor“, sagte Mattsson beim Zurückkommen. Die Hosenbeine waren immer noch feucht. „Stell dir vor, es gäbe überall nur diese heiter gelassene Stimmung!“
„Sagst du das jetzt, weil du nass geworden bist?“, zog Munk ihn auf.
Mattsson stellte sich neben Munk, ohne richtig zu antworten. Er grummelte nur ein „ist doch wahr“.
Munk schwieg. Was hatte er zuvor genau gesagt? Wie es wäre, wenn alle Menschen mit ganz viel Humor durchs Leben gehen würden? Der Gedanke gefiel ihm. Könnte man daraus ein Buch oder ein Bühnenstück machen? Er hatte gerade keinen Job. Und Mattsson auch nicht. Warum nicht andere Wege gehen?
„Man muss doch manchmal in unpassenden Situationen lachen“, sagte er zu Mattsson. „Und manchmal bringt man kein Lachen zustande, wenn man es dringend brauchen könnte, etwa in beklemmenden Situationen.“
„Da fehlt halt dann die Distanz“, erwiderte Mattsson und strich sich über die nassen Hosenbeine.
„Kann man Humor in diesen Situationen lernen?“, fragte Munk.
„Wenn es in dir angelegt ist“, antwortete Mattsson. „Aus einem Misanthropen wirst du nie einen heiteren Lebenskünstler machen.“
„Vielleicht geht es doch“, sagte Munk. „Was hältst du von einer Versuchsanordnung, eine Art Labor? Wir bauen uns einfach einen Dummy, einen komplett humorlosen Misanthropen.”
„Und dem bringen wir dann das Lachen bei?”, fragte Mattsson.
„Genau! Wir erfinden Klas-Ingmar, einen nörgelnden, jammernden Mittvierziger, der dem Verkäufer die Schuld gibt, wenn die Hosen zu eng sind; und der den Filmvorführer maßregelt, wenn im Kino angeblich der Ton zu leise ist oder das Bild zu unscharf“, sagte Munk.
„Den Ton im Kino regelt schon lange nicht mehr der Filmvorführer“, sagte Mattsson. „Passt zu dir, dass du das nicht weißt.“
Munk hatte nicht mal ein Smartphone.
„Außerdem: Klas-Ingmar – so heißt mein Vetter“, sagte Mattsson.
Munk zögerte, etwas zu sagen. Er wartete auf eine Fortführung, die nicht kam. Er nahm einen Schluck von seinem Espresso.
„Ach so, du meinst Vetter!“, rief er plötzlich. „Ich dachte, du sagst: So heißt mein fetter … und dann kommt Freund oder Bruder oder Hausmeister. Ich habe auf die Ergänzung zu fetter gewartet.“
Mattsson schüttelte lachend den Kopf. „Meinetwegen kann der Misanthrop Klas-Ingmar heißen“, sagte er dann.
„Mit vollem Namen Klas-Ingmar Sodbrenner“, sagte Munk.
„Meinetwegen auch Klas-Ingmar Sodbrenner“, sagte Mattsson.
„Wir schicken Klas-Ingmar auf eine Reise mit zehn Stationen“, sagte Munk, „in den Urlaub, in die Klinik oder auf eine Beerdigung …“
„Es wird eine beschwerliche Reise“, sagte Mattsson, der nun doch Gefallen an der Idee fand und sie weiterspann. „Über diese Reise können zunächst nur diejenigen lachen, die Klas-Ingmar dabei zusehen. Aber irgendwann fängt er vorsichtig an, über sich selbst zu lachen und merkt mit zunehmender Übung, dass es im Leben meistens zwei Möglichkeiten gibt: die Dinge mit Humor zu nehmen, oder eben verbiestert zu sein.“
„Das klingt jetzt wie ein banaler Humor-Ratgeber mit der Überschrift: Sorge dich nicht, lache“, sagte Munk.
„Wir müssen es eben witzig hinkriegen, nicht belehrend oder pathetisch“, erwiderte Mattsson. „Klas-Ingmar muss da reinwachsen, eher beiläufig.“
„Okay, und am Ende sind die anderen Touristen für Klas-Ingmar im Urlaub nicht mehr laut, sondern gesellig“, fuhr Munk fort. „Die Karte für das Konzert ist nicht überteuert, sondern das Erlebnis einmalig; und der Winter ist zwar kalt und nass und trüb, aber nichts ist so schön, wie in der überheizten Stube einen Schokoladen-Nikolaus zu essen.“
Munk nahm die Serviette, holte einen Kugelschreiber aus der Innentasche seiner Lederjacke und zeichnete mit ein paar einfachen Strichen einen leicht übergewichtigen Spießer. Brille. Strickjacke. Stoffhose. Schnürschuhe. Herunterhängende Mundwinkel. Die Haare konnte man nicht sehen. Denn Klas-Ingmar trug einen Helm.
„Warum das denn?“, fragte Mattsson und zeigte auf den Helm.
„Für Klas-Ingmar ist das Leben ein Kampf“, antwortete Munk. „Immer hat sich alles gegen ihn verschworen. Jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde zieht er in eine Schlacht, um das Widrige abzuwehren. Deshalb trägt er einen Helm, symbolisch sozusagen.“
„Aber ein bisschen schöner hättest du ihn schon zeichnen können“, sagte Mattsson. Er hatte mittlerweile vergessen, dass er nass geworden war.
„Schöner? Wie George Clooney?“
„Nein, ich meinte nicht die Figur – ich meine die Zeichnung.“
Beide lachten.
„Also, machen wir ein Bühnenstück?“, fragte Munk. „Oder besser einen Film? Oder ein Buch?“
„Können wir das überhaupt?“ fragte Mattsson. „Und Humor ist doch Geschmackssache. Haben wir da auf dem Buchmarkt eine Chance?“
„Auf dem Buchmarkt, auf dem Heiratsmarkt und auf dem Weihnachtsmarkt – uns stehen alle Märkte offen“, sagte Munk überzeugt. Er wollte das machen. Es reizte ihn. Und wenn ihn etwas reizte, wurde er übermütig.
„Ich bin für ein Bühnenstück“, sagte Mattsson. „Humor funktioniert auf der Bühne besser als in einem Buch. Und ein Film ist zu langatmig. Außerdem kriegen wir einen Film eh nicht hin.“
Munk überlegte kurz. „Stimmt“, sagte er dann. „Ein Film ist ein paar Nummern zu groß. Und ein Bühnenstück ist besser als ein Buch. Man hat auf der Bühne mehr Werkzeuge als im Buch. Mimik, Gestik, solche Sachen.“
„Und wir lassen den Humor auftreten!“
Munk stutzte. „Wie meinst du das?“
„Der Humor ist eine Person“, sagte Mattsson. „Eine Figur. Er kann eingreifen, helfen und mahnen, wenn Klas-Ingmar seine Reise macht. Er kann angezogen sein wie ein Narr mit einer Schelmenkappe. Oder wie ein Joker beim Kartenspiel. So was Mittelalterliches.“
„Das ist gut!“, rief Munk und schlug mit der Faust auf den Tresen.
„Besssahlen?“, fragte der Barkeeper.
Munk wollte gerade antworten, als sein Handy klingelte. „Munk.“
Es war Halldor Selander, sein alter Chef, den Munk vor seiner Suspendierung vertreten hatte, weil Selanders Frau schwer erkrankt war. Mittlerweile war sie gestorben und Selander als Leiter der Mordkommission zurückgekehrt.
Munk hörte Selander einige Minuten zu, dann sagte er, er brauche Bedenkzeit und beendete das Gespräch.
„Was ist?“, fragte Mattsson, der sah, dass Munk etwas verstört wirkte.
„Sie wollen mir eine Chance geben, in den Polizeidienst zurückzukehren“, sagte Munk. „Aber dazu müsste ich das Leben von jemandem schützen, der einen sehr seltsamen Humor hat.“
Casper Munk fühlte sich eigenartig, als er sich dem Polizeipräsidium auf Kungsholmen näherte. Munk war den Weg von seiner Wohnung zum Präsidium zu Fuß gegangen, um in Ruhe seine Gedanken und Gefühle ordnen zu können. Es war jetzt drei Monate her, seit er suspendiert worden war. Er hatte eigentlich damit abgeschlossen gehabt, Polizist zu sein. Er wollte zu seiner Freundin Tove nach Norwegen ziehen. Er hatte sich sogar schon in einem Bettengeschäft nach einem großen Doppelbett umgesehen, das er kaufen wollte. Der Verkäufer hatte sich dabei um Kopf und Kragen geredet, als er ständig seine Frau ins Spiel brachte. Der Verkäufer hatte Munk geraten, ein „sehr breites Bett“ zu kaufen, so wie er eines habe; er habe nämlich eine Frau mit „sehr breiten Hüften“. Und ein Gästebett empfahl er Munk auch; denn seine Frau schnarche oft und sehr laut, da habe es sich bewährt, das „Schlafzimmer mal verlassen zu können“. Munk hatte das Bettengeschäft sehr rasch verlassen.
Sein Wunsch, zu Tove nach Bergen zu ziehen und ein neues Leben zu beginnen, hatte sich ohnehin schnell zerschlagen. Tove hatte gemeint, es sei keine gute Idee, wenn Munk, so aufgewühlt wie er nach der Suspendierung war, sofort nach Norwegen kommen würde, ohne Plan, ohne innere Ruhe. Sie hatte ihm vorgeschlagen, dass er sie öfter besuchen könne als früher, aber dass er erst mal in Stockholm bleiben und sich darüber klarwerden solle, was er mit seiner Zukunft anfangen wolle. Munk wusste, dass Tove irgendwie recht hatte, aber ihre Sichtweise war ihm zu vernünftig. Er hätte sich gewünscht, dass sie ihn auffange, irgendwie. Munk war deshalb etwas beleidigt gewesen und hatte zu Tove gesagt, er sei für eine Beziehungspause, bis er sein Leben wieder geordnet habe. Tove war darüber erstaunt gewesen, hatte aber eingewilligt.
Munk hatte sich danach treiben lassen, er war meistens mit seiner besten Freundin Luna unterwegs gewesen oder mit Pontus Mattsson. Er hatte viel getrunken und in den Tag hineingelebt, was eine Zeit lang Spaß gemacht hatte, ihn aber nicht erfüllte. Er war nicht mehr 20, sondern Ende 40. Er wusste aber immer noch nicht recht, was er künftig tun sollte. Ein Bühnenstück über den Humor, zusammen mit Mattsson. Das war bisher alles, was ihm eingefallen war.
Und dann war der Anruf von Halldor Selander gekommen.
Noch mal zurück zur Polizei? Munk wusste nicht recht, ob ihm der Gedanke gefiel. Wahrscheinlich war er ein sehr guter Polizist, und für alles andere im Leben reichte es nur zu Mittelmaß. Sollte er also wieder das tun, was er am besten konnte?
Munk kam an der Pforte an. Er hatte seinen Polizeiausweis abgeben müssen und musste sich nun anmelden wie jeder andere Besucher auch. Eine junge Frau saß an der Pforte. Munk kannte sie nicht. Sie musste neu sein. Sie kannte ihn auch nicht, obwohl Casper Munk über Jahre hinweg Schwedens herausragender Ermittler gewesen war. Munk sagte, dass der Polizeipräsident ihn erwarte. Und auch Halldor Selander, der Leiter der Mordkommission. Die junge Frau schaute kurz in ihren Computer und sagte dann, er sei angemeldet und müsse den Aufzug rechts nehm…
„… ich weiß, wo ich hinmuss“, unterbrach Munk und dachte plötzlich darüber nach, wie vergänglich das Leben war. Und wie wenig Spuren man hinterlässt.
Er sah auf die Uhr. Es war Viertel vor zehn. Um zehn Uhr hatte er den Termin bei Ström und Selander. Munk beschloss, bei Grip vorbeizuschauen. Sie hatten sich ein paar Mal privat getroffen, immerhin waren sie befreundet, aber die letzte Begegnung lag bestimmt drei Wochen zurück.
Munk klopfte an Grips Bürotür und trat ein, als er ein helles „Herein“ hörte. Grip saß hinter seinem Schreibtisch und lächelte, als Munk den Raum betrat. Aber was hatte er da an? Ein Hawaiihemd, blau, gelb, rot, grün, pink und türkis gepunktet. Munk konnte nicht anders, als laut zu lachen und auf das Hemd zu deuten.
„Was ist das denn?!“, rief er und lachte weiter.
Grip hätte empört sein können, aber er war nie beleidigt. Auch diesmal protestierte er nur kurz mit den Worten „Was ist denn? Du solltest auch mal was Neues ausprobieren“, aber dann lachte er mit. „Findest du es wirklich so schlimm?“, fragte er schließlich.
„Ja!“, antwortete Munk, der das Lachen nun ebenfalls eingestellt hatte, aber immer noch grinste.
Grip stand auf, zog das Hawaiihemd aus, zerknüllte es und warf es in den Mülleimer. Dann ging er mit nacktem Oberkörper zum Schrank, holte ein taubenblaues T-Shirt heraus und streifte es sich über. „Besser?“, fragte er.
„Viel besser“, antwortete Munk. „Aber ich will eigentlich nicht dein Typberater sein. Wenn es dir gefallen hat …“
Grip machte eine wegwerfende Handbewegung. „Leila und Kajsa haben mich heute auch schon ausgelacht“, sagte er dann.
„Wo ist Kajsa denn?“, fragte Munk und schaute auf den leeren Bürostuhl, auf dem sie gewöhnlich saß.
„Sie ist in dein altes Zimmer gezogen“, sagte Grip, „Halldor meinte, es sei besser, Kajsa und ich würden nicht mehr im selben Raum sitzen.“
Grip war in die sportliche, gut aussehende Kajsa Tapper verliebt gewesen; er hatte ihr Blumen geschickt, sie sehr oft angerufen und vergeblich versucht, sie einzuladen. Kajsa hatte bereits Munk gebeten, Grip zurechtzuweisen. Munk hatte das zwar in aller Deutlichkeit getan, aber mit wenig Erfolg. Offenbar hatte Halldor Selander dann zu härteren Maßnahmen gegriffen.
„Ist vielleicht besser so“, sagte Grip und blickte zu Boden. „Vielleicht war ich zu übergriffig.“
Endlich hatte er es eingesehen, dachte Munk.
„Wie geht es dir?“, fragte er.
„Passt schon, ich schlage sie mir gerade aus dem Kopf“, erwiderte Grip, hieb sich gegen den Schädel und lachte. „Und ja, ich sage mir jeden Tag, dass ich trotzdem schön bin. Wenn ich vor dem Spiegel stehe, würde ich am liebsten sofort mit mir vögeln.“
Munk schüttelte amüsiert den Kopf. Grip hatte sich nicht verändert.
„Und wie geht es dir?“, fragte Grip. „Lass mich raten: Du wanderst in die hintere Slowakei aus und wirst dort Schleusenwärter?“
Hatte man ihm nichts gesagt?
„Weißt du nicht, warum ich heute da bin?“, fragte Munk.
„Nein, ich dachte, du wolltest mir helfen, mich neu einzukleiden“, sagte Grip. „Vielleicht sollte ich mir ein Westernhemd mit Fransen kaufen. Marshall Grip!“ Dann wurde er ernst. „Warum bist du hier, Casper?“
Munk erzählte Grip von dem Anruf des Polizeipräsidenten, aber bevor Grip, der konzentriert zugehört hatte, darauf reagieren konnte, verschwand er mit einem kurzen Gruß aus dessen Büro.
„Sorry, es ist schon zehn“, rief er ihm über die Schulter zu. „Ich komme danach noch mal bei dir vorbei.“
Munk fuhr mit dem Fahrstuhl in das oberste Stockwerk. Natürlich hatte Polizeipräsident Lasse Bosse Ström sein Büro nicht im Erdgeschoss. Ström war eitel, profilneurotisch, machtgeil und schlicht. Munk verachtete ihn. Aber er dachte auch daran, dass er in Ströms Büro Halldor Selander treffen würde, seinen früheren Chef. Munk mochte Selander, der für die alten Werte stand: Zuverlässigkeit, Loyalität, Pflichtbewusstsein, Pünktlichkeit, Fairness. Bei Halldor Selander wusste man, was man hatte.
Munk kam im obersten Stockwerk an. Er musste sich bei Ströms Vorzimmerdame anmelden. Es war vier Minuten nach zehn. Die Dame guckte verstohlen auf die Uhr, als sich Munk ihrem Schreibtisch näherte.
„Herr Ström schätzt keine Verspätungen“, sagte sie knapp und musterte Munk. Er trug eine Jeansjacke, was die Dame wohl als nicht standesgemäß beurteilte.
Munk überlegte, wie er reagieren sollte. Er war kein Polizist mehr, er war ein freier Mensch, der dieser in seinen Augen überheblichen Tippse gleich in knapper Form mitteilen würde, dass sie …
„Casper!“
Es war Halldor Selander, der die Tür des Polizeipräsidenten von innen geöffnet hatte und Munk entgegenkam. Selander schien sich zu freuen, Munk zu sehen. Munk ging es genauso.
„Hej, Halldor“, sagte er und lächelte. „Schön, dich zu sehen!“
„Komm rein, Casper“, sagte Selander und deutete mit der rechten Hand auf die geöffnete Tür. Dann sagte er zur Vorzimmerdame: „Bringen Sie Herrn Munk eine Cola. Du trinkst doch noch Cola, Casper?“
„Tagsüber nur Cola. Abends Rotwein und Cola“, erwiderte Munk und sah die Vorzimmerdame an. „Manche meinen, das sei stillos. Aber ich liebe es.“
Selander lächelte. „Rotwein gibt es nicht. Nur eine Cola, Frau …“
Die Vorzimmerdame stand wortlos auf und ging den Flur hinunter Richtung Küche. Munk und Selander betraten das Büro des Polizeipräsidenten. Als Munk zum letzten Mal hier gewesen war, lag ein roter Teppich im Raum, und dieser Teppich führte zu einem riesigen Mahagoni-Schreibtisch, hinter dem Ström residierte. Er saß dort auf einem großen Sessel und blickte auf seine Besucher herab, die für gewöhnlich auf einem kleinen Stuhl vor dem Schreibtisch Platz nehmen mussten.
Den Teppich und den Mahagoni-Schreibtisch gab es noch, aber Ström saß nicht erhöht auf seinem Sessel, sondern er befand sich mitten im Raum. Er bemerkte nicht, dass Munk und Selander eingetreten waren und lief im Stechschritt hin und her. Er sah aus wie ein Spielzeugsoldat, den man aufgezogen und der sich nun selbstständig gemacht hatte. Den Eindruck vom Soldaten unterstrich Ströms Kleidung: Er trug eine Uniformjacke, deren rechte Brustseite mit Orden geschmückt war.
Selander räusperte sich, um sich bemerkbar zu machen.
Ström erschrak und drehte sich ruckartig zu den beiden Eingetretenen um. Munk sah, wie durch die schnelle Bewegung die Orden auf der Uniform wackelten. Er grinste.
„Ich kann mir vorstellen, weshalb Sie lachen, Herr Munk“, sagte Ström. „Ich kenne Sie und Ihren, sagen wir, ungewöhnlichen Humor. Aber die Lage ist so ernst, dass ich angemessen gekleidet sein muss.“ Ström bemühte sich, ein wichtiges Gesicht aufzusetzen. „Wir sind kurz vor dem nationalen Notstand!“, rief er. „Und wir, die Polizei, müssen unser Land vor der Katastrophe bewahren.“ Er ging auf Munk zu, schüttelte ihm die Hand und sagte: „Wir brauchen Sie, und ich bin deshalb bereit, sowohl über Ihren Spott hinwegzusehen, mit dem Sie mir entgegentreten, als auch über Ihre unglaubliche, eigentlich unentschuldbare Entgleisung im Fall dieses Torwarts … wie hieß er noch mal?“
„Rune Katt“, antwortete Munk ruhig. Der frühere Nationaltorwart war ermordet worden, und Munk hatte den Mörder mit, nun ja, ungewöhnlichen Methoden gesucht.
Ström bekam ein rotes Gesicht. „Wie konnten Sie nur diese anderen Fußballer, die gar nicht tot waren, für tot erklären“, brüllte er. „Und wie konnten Sie es wagen, mich davon nicht in Kenntnis zu setzen …“
Selander ging auf Ström zu und bewegte seine Hände von oben nach unten. Er wollte ihn beruhigen. „Herr Ström, wir brauchen Casper …“
Ström straffte sich, strich die Uniform mit beiden Händen glatt, schürzte die Lippen und sagte: „Ich will nicht kleinlich sein, Herr Munk, Sie sind ein … nun ja … ganz … guter … Polizist …“ Ström hüstelte. „… gewesen … und ich hoffe, dass Sie das auch wieder werden. Wir brauchen Sie, um Sultan Daix davor zu bewahren, dass er von Verrückten hier in Stockholm getötet wird. Die Welt würde darüber reden, Schweden wäre blamiert, die Polizei wäre blamiert. Ich wäre blamiert.“
„Dazu kämen die internationalen Irritationen, die verheerenden Auswirkungen auf den Ölmarkt und die geopolitsche Balance in der Region, aus der der Sultan kommt, die Wut der Schutzmacht China …“, warf Selander ein.
Ström sah ihn von der Seite an, als würde Selander nach seiner, des Polizeipräsidenten, großen Rede Kochrezepte vorlesen. „Ja, gut, auch das“, sagte er.
Es klopfte. Die Vorzimmerdame brachte die Cola herein und stellte sie auf den runden Mahagoni-Tisch, um den drei Mahagoni-Stühle gruppiert waren.
„Setzen wir uns“, sagte Ström und nahm als Erster Platz.
Selander ließ Munk den Vortritt.
Warum tue ich mir das an, dachte Munk. Ström und das Ganze. Warum soll ich diesem irren Polizeipräsidenten helfen, diesen irren Sultan zu schützen?
Munk wusste, dass die Antwort sehr einfach war: Er wollte sich rehabilitieren. Aber Munk war in seinem Leben mit einfachen Antworten selten zufrieden.
„Sultan Daix“, sagte Ström in Munks Gedanken hinein. „Sultan Daix mag nicht alle Standards westlicher Demokratien erfüllen …“
Keinen, dachte Munk. Keinen einzigen erfüllt er.
„… aber es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, sein Leben zu schützen.“
Ström drückte auf einen Knopf, der auf dem Mahagoni-Schreibtisch angebracht war. Wenige Sekunden später stand ein schüchterner, junger, blasser, Anzug tragender Mann im Zimmer und übergab Ström einen schmalen Aktenordner.
Ström wedelte mit den Fingern der rechten Hand in Richtung des blassen Jünglings, der wortlos und mit leicht gebückter Haltung den Raum verließ.
Das ist hier ja alles noch schlimmer geworden, dachte Munk.
„Das ist ein Dossier über Sultan Daix“, sagte Ström. „Und in diesem Ordner ist auch eine Handlungsanweisung, wie wir – wie Sie, Herr Munk – ihn schützen werden.“
„Casper hat noch nicht Ja gesagt“, warf Selander ein, er wusste um Munks Stolz und seine Impulsivität. Würde das Gespräch nicht gut verlaufen, Munk würde aufstehen und gehen.
„Jaja“, sagte Ström und starrte auf den Deckel des Aktenordners.
„Lassen Sie hören“, sagte Munk. Es war der zweite Satz, den er sprach, seit er den Raum betreten hatte.
Ström holte tief Luft. „Sultan Daix wird auf Einladung des Königs nach Schweden kommen“, sagte er dann. „Die Politiker wollen nicht, dass er kommt, die Bürger wollen es nicht, wir wollen es nicht. Aber der König, der seit fast 50 Jahren in Schweden auf dem Thron sitzt, der unser Land immer gut repräsentiert hat, dieses Land, das, was Antirassismus, Laizismus …“
Halldor Selander räusperte sich.
„… Antimilitarismus, Egalität, Antiimperialismus …“, fuhr Ström fort.
„Herr Polizeipräsident“, sagte Selander nun, „es geht nicht um unser Land, sondern um den Sultan.“
„Danke, Selander“, sagte Ström, „das weiß ich doch. Der Sultan. Er kommt aus … woher noch mal, Selander?“
„Asien, grob gesagt, aber ich glaube, Casper weiß das, vielleicht sollten wir …“
„Der Sultan kommt also aus Asien und er unterdrückt die Opposition. Folter und so. Was noch, Selander?“
Das „Folter und so“ hatte Ström gesagt, als ginge es um Aufbissschienen für Leute, die nachts mit den Zähnen knirschen. Empathie war nicht herauszuhören.
„Sultan Daix lässt keine freie Presse zu, keine freie Justiz, keine Parteien, keine Frauen in öffentlichen Ämtern – aber ich glaube, auch das weiß Casper. Wollen wir nicht über den, nun ja, kuriosen Humor des Sultans reden und wie wir den Sultan beschützen könnten? Und was Casper dabei tun soll?“
„Dann übernehmen Sie das, Selander“, sagte Ström.
Er wollte großzügig wirken, in Wahrheit war er hilflos. Etwas zu erklären, das komplexer war als das Bestellen eines Mittagessens, war zu schwierig für den Polizeipräsidenten. Munk fragte sich immer wieder, wie Ström an diese Position gelangen konnte.
„Also, Casper“, sagte Selander und wandte sich zu Munk, der rechts von ihm am Mahagonitisch saß. „Sultan Daix ist ein, nun ja, brutaler Spaßvogel.“
Selander hatte das schon am Telefon angedeutet. Und Munk hatte ein großes Interesse an Menschen mit abseitigem Humor.
„Daix verkleidet sich gerne, als Buffalo Bill, als Hitler, als Eisbär, als Robin Hood, als Dschingis Khan – was ihm gerade einfällt“, fuhr Selander fort, „und er lädt gerne Gäste zu sich ein, an eine lange Tafel. Wenn sie sich gesetzt und etwas getrunken haben, betätigt er einen Knopf, und über versteckte Düsen, die mit den Stühlen der Gäste verbunden sind, werden diese von unten nass gespritzt.“
Wie albern. Aber noch nicht brutal.