Ottmar Hitzfeld - Wolfram Porr - E-Book

Ottmar Hitzfeld E-Book

Wolfram Porr

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Beschreibung

Ottmar Hitzfeld ist ein Mann der Rekorde. Als Trainer gewann er zwei Schweizer und sieben Deutsche Meisterschaften, wurde sechsmal Pokalsieger und gewann mit zwei Teams die Champions League: erst mit Borussia Dortmund, dann mit dem FC Bayern München. Zudem ist der zweimalige Weltclubtrainer des Jahres immer noch der Bundesligacoach mit dem besten Punktedurchschnitt. Seit 2014 ist Ottmar Hitzfeld Fußballrentner. Der Stress und die nervliche Anspannung, die ihn gesundheitlich mitnahmen und im Jahr 2004 sogar in einen "Burn-out" mündeten, sind nun Ausgeglichenheit und Zufriedenheit gewichen. Zusammen mit seiner Frau Beatrix lebt er wieder in seiner geliebten Heimatstadt Lörrach. Sein Lebensinhalt sind nun seine Hobbys Golf und Skifahren sowie seine Familie mit inzwischen drei Enkelkindern. Im Januar 2019 feierte Hitzfeld seinen 70. Geburtstag. Und obwohl er die große Fußballbühne verlassen hat, ist er beliebt wie eh und je. Das Porträt geht der Frage nach den Gründen dafür nach. Lange forschen musste der Autor aber nicht: Hitzfelds Bodenständigkeit, seine Fairness als Sportler, seine Offenheit und Prinzipientreue machen ihn bis heute zu einem der beliebtesten Fußballpromis.

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Fußballverrückter.

Mutmacher.

Menschenfänger.

 

Ottmar Hitzfeld

von Wolfram Porr

 

 

 

 

 

 

kurz & bündig Verlag | Frankfurt a. M. | Basel

Zum Buch

 

Ottmar Hitzfeld

Als Grenzkind hat Ottmar Hitzfeld Deutschland und die Schweiz im Herzen. In Lörrach aufgewachsen, startete er seine Fußballprofikarriere beim FC Basel, spielte aber schon bald für die deutsche Olympiaauswahl. Der Übergang ins Trainerfach war so fließend wie logisch – ohne Fußball ging und geht es nicht bei Hitzfeld, der auf all seinen Stationen reüssierte und zu einem der erfolgreichsten und beliebtesten Fußballlehrer weltweit avancierte. Dabei blieb er stets seinen Prinzipien und seiner Heimat treu.

Zum Autor: Wolfram Porr

Wolfram Porr, geb. 1968, arbeitet als freier Sport- und Musikjournalist u. a. für den Bayerischen Rundfunk und das Rockmagazin Eclipsed. Die früheste Erinnerung des gebürtigen Oberfranken an Ottmar Hitzfeld: Zwei Siege seiner SpVgg Bayreuth gegen Hitzfelds VfB Stuttgart in der damaligen 2. Liga Süd.

Für Ottmar Hitzfeld begann alles mit einem Telefonat. Als er an einem Tag im Frühling des Jahres 1971 die Nummer des Fußballtrainers Helmut Benthaus wählte, durfte niemand davon wissen, nicht einmal seine Eltern, bei denen er noch wohnte. »Früher war Telefonieren nicht wie heute, wo jeder ein Handy hat und das ganz normal ist. Damals musste man den Hörer abnehmen und wählen. Meine Mutter hat immer aufgepasst, mit wem ich telefoniere. Sie hätte gesagt, ›du spinnst ja, du kannst doch nicht den Bent­haus anrufen! Das macht man doch nicht.‹ Man wollte einfach niemanden belästigen oder arrogant wirken.« Doch für Hitzfeld, damals erfolgreicher, treffsicherer Mittelstürmer des südbadischen Drittligisten FV Lörrach und nach eigenen Worten noch »sehr schüchtern«, war in diesem Moment sein eigenes Fortkommen wichtiger. Also rief er, als seine Eltern gerade nicht zuhause waren, an und fragte den berühmten Trainer des FC Basel, ob er zum Probetraining kommen dürfe. Er durfte. Einige Tage später meldete sich Hitzfeld beim vereinbarten Termin auf dem Trainingsgelände des FC Basel auf dem Landhof und überzeugte Bent­haus von seinen Qualitäten. Der Rest ist Geschichte.

Wer Ottmar Hitzfelds Wesen und Charakter begreifen will, kann vieles aus dieser Anekdote herauslesen. Schüchtern, aber zielstrebig, wenn es um die eigene Karriere ging. Demütig, aber auch mutig. Sich seines eigenen Wertes sehr wohl bewusst. Im Laufe der Zeit kamen weitere Charaktereigenschaften hinzu, die für den 1949 Geborenen bis heute elementar sind: Ehrlichkeit, Menschlichkeit, Prinzipientreue, Fleiß, Akribie. All das geht auf seine Erziehung zurück. Ottmar Hitzfeld entstammt einem äußerst bodenständigen, katholisch geprägten Elternhaus, in dem Werte hochgehalten und an ihn und seine vier Geschwister (Ottmar war das »Nesthäkchen«, sein ältester Bruder war 17 Jahre älter) weitergegeben wurden. »Ich habe einfach meine Grundprinzipien, so wurde ich auch erzogen. Konservativ«, erzählt Hitzfeld. Alles, was er tue, hänge mit seiner Lebensphilosophie zusammen, sagt er, »und die ist auch vom Glauben geprägt. Aber letzten Endes geht es um meine Werte und wie ich den Glauben interpretiere.« Zu seinem 70. Geburtstag machte ihm ein Freund ein ganz besonderes Geschenk: eine Audienz bei Papst Franziskus in Rom. Ein unvergesslicher Moment! Hitzfeld geht zwar nicht jeden Sonntag in die Kirche, aber doch regelmäßig alle paar Wochen. Das Gespräch mit Gott möchte Hitzfeld nicht missen: »Das tägliche Gebet ist für mich wichtig, einfach auch um dafür zu danken, was ich alles erleben durfte. Ein Dankesgebet hat immer oberste Priorität, aber ich habe nie gebetet, um zu gewinnen, denn das muss man sich selbst erkämpfen. Es wird einem ja nichts geschenkt.«

»Ein Dankesgebet hat immer oberste Priorität,

aber ich habe nie gebetet, um zu gewinnen,

denn das muss man sich selbst erkämpfen.«

 

 

Nein. Geschenkt wurde Ottmar Hitzfeld nichts. Umso erstaunlicher ist es, dass er bei all seinen Erfolgen, die er erst als Spieler und vor allem später als Trainer feierte, nie abgehoben, sondern immer Mensch geblieben ist. Einer, der sein Gegenüber schätzt und respektiert oder wie man gerne sagt: ihm auf Augenhöhe begegnet. Trifft man ihn heute, erlebt man einen ungemein höflichen, ausgeruhten, ja zufriedenen Mann, der seinen Ruhestand sichtlich genießt, der aufmerksam zuhören und auch mal herzerfrischend lachen kann. Klar, ein paar Fältchen hat der Mann, der im Januar 2019 seinen Siebzigsten gefeiert hat, im Gesicht schon bekommen. Die sind aber ganz normal und haben nichts mit den Sorgenfalten zu tun, die in seiner aktiven Trainerzeit immer dann besonders deutlich zum Vorschein kamen, wenn der Stress besonders intensiv war. Die nervliche Anspannung ist längst Ausgeglichenheit und Zufriedenheit gewichen. Zum Interview in der Lobby eines noblen Hotels unweit des Basler Messeplatzes, das Hitzfeld vorgeschlagen hat und in dem er regelmäßig Interviews gibt, erscheint er selbstredend im feinen Anzug, schon immer eines seiner Markenzeichen. Der Hotelmanager ist sichtlich erfreut, ihn zu sehen. Man kennt sich und spricht ein paar Takte. Später wird die Rechnung für den Cappuccino und die Flasche Wasser ohne Kohlensäure, die er bestellt, schon beglichen sein. Hitzfeld ist gut vorbereitet und hat sich über seinen Gesprächspartner und die Fragen, die ihn erwarten, informiert. Dem Zufall hat er in seinem Leben noch nie etwas überlassen – schon gar nicht, wenn es um ihn selbst oder seine Darstellung in der Öffentlichkeit geht. Was das betrifft, behielt und behält er die Zügel stets gerne selbst in der Hand. Von Überheblichkeit oder gar Arroganz aber keine Spur bei dem Mann, der als Trainer sage und schreibe zwei Schweizer und sieben Deutsche Meisterschaften holte, sechsmal Pokalsieger wurde (drei davon in Deutschland) und mit zwei Teams die Champions League gewann: erst 1997 mit Borussia Dortmund, 2001 dann mit dem FC Bayern München. Bis heute ist er der einzige Trainer, dem dieses Kunststück mit zwei deutschen Mannschaften gelang. Zudem hält er immer noch den Rekord als Bundesligatrainer mit dem besten Punktedurchschnitt (1,98). Lediglich Udo Lattek brachte es auf noch mehr Titel.

Bis 2014 war Hitzfeld als Trainer aktiv. Nach einer erfolgreichen Weltmeisterschaft in Brasilien mit dem Erreichen des Achtelfinals und dem unglücklichen Ausscheiden gegen den späteren Vizeweltmeister Argentinien in São Paulo (0:1 nach Verlängerung) beendete er 65-jährig sein Engagement als Schweizer Nationaltrainer – ein Job, den er schon Jahrzehnte vorher als Schlusspunkt seiner Karriere ins Visier genommen hatte und den er bis zum allerletzten Tag mit Freude und der ihm eigenen Akribie ausübte. Anders als bei vielen Kollegen, die nach ihrem Abschied entgegen aller Bekundungen doch noch einmal zurück­kamen und wieder den Trainingsanzug überstreiften – man denke nur an Jupp Heynckes –, blieb Hitzfelds Entscheidung, seine Trainerkarriere zu beenden, endgültig. Für den »General«, wie er als Trainer genannt wurde, gab und gibt es keinen Weg zurück auf die Trainerbank. Selbst als ihm der chinesische Spitzenklub Guangzhou Evergrande 25 Millionen Euro für einen Vertrag über anderthalb Jahre bot, lehnte Hitzfeld dankend ab. Seine Gesundheit war ihm wichtiger als das schnelle Geld. Den letzten ernsthaften Versuch, Hitzfeld noch einmal zu einem Comeback auf Zeit zu überreden, unternahm Ende 2017 sein Ex-Verein Borussia Dortmund. Der FC Bayern hatte nach der Entlassung von Carlo Ancelotti gerade Jupp Heynckes zurückgeholt, der BVB stand nach der Beurlaubung von Peter Bosz ebenfalls ohne Cheftrainer da. Hitzfeld würde so etwas nie an die große Glocke hängen, aber er bestätigt, dass es die Anfrage aus Dortmund gab: »Das war der Fall. Aber es gibt halt für mich keine Diskussion, nicht im Ansatz. Ich habe mein Rentnerleben, das habe ich mir hart erarbeitet. Und man weiß nicht, wie alt man wird und was in einem Jahr ist. Ich habe zu viel Demut vor dem Leben.« Für keinen Verein und keinen Verband der Welt würde sich Hitzfeld noch einmal ins Hamsterrad des Trainerdaseins begeben. Zu sehr haben in seiner Karriere Anspannung, Druck und Stress an ihm genagt. »Wir haben jetzt ein angenehmeres Leben. Das ist viel schöner, als wenn immer Spannung da ist. Für Jupp Heynckes waren die neun Monate in München sicherlich auch eine harte Zeit. Es hat bestimmt viel Kraft gekostet, und er hat wieder auf einen Lebensabschnitt verzichtet. Ich möchte das nicht.« Dass Hitzfeld mit seinem Wissen und seiner Kompetenz die Fähigkeit hätte, noch einmal einen Profiklub zu übernehmen, steht außer Frage. Dafür war er immer zu sehr Profi und ist seine Aufgaben immer mit einhundert Prozent und mehr angegangen. Aber: Wenn er einmal etwas gesagt und entschieden hat, dann bleibt es auch dabei. Ohne Wenn und Aber. Von den vielen Grundprinzipien, von denen sich Hitzfeld in seiner Karriere hat leiten lassen, gehört dieses zu den elementarsten.

Nach dem Ende seiner Trainerkarriere im Jahr 2014 arbeitete Hitzfeld weiter als Fußballexperte, u. a. für den deutschen Pay-TV-Sender Sky. Eine Arbeit, die ihm Spaß machte, aber auch gemischte Gefühle auslöste: »Das war immer so ein Spagat: Wenn ich kritisiere, dann klingt das anders, als wenn ›nur‹ ein Journalist seine Meinung artikuliert. Mein Name wird oft ausgenutzt, man versteckt sich dann hinter meiner Kritik. Deshalb muss man aufpassen, was man sagt.« Die klassische Rolle des Experten, den Finger in die Wunde zu legen und möglicherweise personelle oder taktische Fehler aufzudecken, fiel Hitzfeld schwer, wie er zugibt. »Als Kollege finde ich das schwierig. Und ich sehe andere Trainer noch immer als Kollegen. Ein Journalist kann Kritik üben. Ich betrachte einen Trainer, der etwas unternimmt, um ein Spiel zu gewinnen, noch immer als Kollegen.« Natürlich: Hitzfeld hat es in seiner Zeit als Trainer selbst erlebt, wie es ist, wenn sich sogenannte Experten zu seiner Elf oder seiner Taktik äußerten, obwohl sie von der Mannschaft weit weg waren. So forderte unter anderen der frühere Bayern-Manager Robert Schwan einmal seine Ablösung. Und auch das berühmt-berüchtigte Münchner Boulevardzeitungs-Dreigestirn aus Bild München, Abendzeitung und tz ging nicht immer zimperlich mit dem Lörracher um. Es spricht für ihn, dass er dieses Gefühl nicht vergessen hat und mit seinen Kommentaren und Einschätzungen entsprechend maßvoll war und ist. In den Redaktionen wird diese zurückhaltende Herangehensweise nicht überall gern gesehen. Hitzfelds Analysen werden mitunter als zu brav und zu milde wahrgenommen. So kommt es, dass vor allem im Boulevard eher die »Lautsprecher« der Szene eigene Kolumnen haben oder nach ihrer Meinung gefragt werden.

Sein Engagement beim Fernsehen hat Hitzfeld inzwischen beendet. »Irgendwann muss mal Schluss sein. Und man will auch nicht immer nur kritisieren.« Besuche in Fernsehstudios sind selten geworden. Hitzfeld hat sich rar gemacht. Rummel um seine Person mag er nicht. Spricht ihn jemand an und fragt nach einem Autogramm oder einem Selfie, sagt Hitzfeld nicht nein, sondern freut sich über diese Form der Wertschätzung und macht den Menschen gerne eine Freude. Einladungen zu öffentlichen Auftritten, Vernissagen etc. sagt er aber in der Regel lieber ab. »Das mache ich nicht so gerne.« Als jemand, der nach wie vor eine fundierte Meinung zum aktuellen Fußballgeschehen hat und Dinge gut einordnen kann, ist er aber weiterhin ein gefragter Gesprächspartner und steht einer Reihe von Journalisten weiterhin als solcher zur Verfügung. Mit Karlheinz Wild oder Thomas Hennecke vom kicker Sportmagazin telefoniert Hitzfeld regelmäßig, auch die verschiedenen Nachrichtenagenturen vermelden immer mal wieder, wie Hitzfeld das aktuelle Fußballgeschehen einschätzt, insbesondere dann, wenn es um seine deutschen Ex-Klubs Borussia Dortmund oder Bayern München geht. »Man tauscht sich auch mal aus, ohne dass gleich was geschrieben wird. Das ist Vertrauenssache und hat sich über die Jahre hinweg so entwickelt.« Vertrauen war und ist für Hitzfeld das A und O in einer wie auch immer gearteten Beziehung. Geben und Nehmen. Und erst recht dann, wenn es um den Umgang mit der häufig hypernervösen Presse geht: In seiner Zeit beim FC Bayern München war Mediendirektor Markus Hörwick seine engste Vertrauensperson, auf die er sich stets verlassen konnte, der ihm unter die Arme griff und möglicherweise kitzlige, unangenehme Journalistenfragen auch mal vorher in Erfahrung brachte, ihn dafür wappnete und mit Argumenten versorgte. Ein wichtiger Wegbegleiter und eine wichtige Erfahrung, die Hitzfeld später dazu bewog, Marco von Ah zum Pressesprecher zu machen, als er die Schweizer Nationalmannschaft übernahm. »Mit ihm habe ich früher häufiger gesprochen. Er hat Informationen auch mal für sich behalten und eben nicht veröffentlicht. Er war mein Vertrauensmann.«

So tickt Ottmar Hitzfeld: Er kennt die Bedürfnisse von Journalisten, will sich aber nicht vor irgendeinen Karren spannen lassen oder sich für die schnelle Schlagzeile hergeben. Dafür ist ihm der Mensch zu wichtig und wertvoll, der hinter einem Trainer, einem Manager oder einem Sportdirektor steht, zu dem er befragt wird. Allgemeine Fragen zur Taktik, zur Rivalität von Klubs, auch zur Situation von Spielern oder Trainern beantwortet Hitzfeld, so gut er kann. Stresssituationen oder Ergebniskrisen kennt er nur zu gut aus eigener Erfahrung. Das taktische Wissen, inklusive aller neuen Trends, hat er sowieso. Über die aktuellen Entwicklungen in der deutschen Bundesliga, der Schweizer Super League oder auch bei den Nationalmannschaften ist Hitzfeld bestens informiert. Er liest nicht nur die einschlägigen Zeitungen. Auch online informiert er sich mit dem Handy oder Tablet. Doch obwohl Hitzfeld immer bestens informiert ist: Er muss sich nicht mehr jedes Fußballspiel ansehen. Im Stadion trifft man ihn ohnehin kaum noch an. Lieber pickt er sich am Fernseher die »Rosinen« raus, wie er sagt. Partien seiner Ex-Klubs schaut er sich regelmäßig und in aller Ruhe im heimischen Wohnzimmer an, wenn er nicht gerade mit seiner Frau Beatrix einen Spielfilm zur Entspannung sieht oder sich bei Musik von Ludwig van Beet­hoven entspannt, seinem Lieblingskomponisten. Auch bei Länderspielen schaltet er ein, nur muss es nicht mehr jeder mittelklassige Kick sein. »Ich freue mich auf echte Klassiker. Die sind dann natürlich ein Muss.« Dass Ottmar Hitzfeld ein Fußballspiel anders, analytischer ansieht als der gemeine Fußballfan, ist auch klar. »Man schaut schon mit Traineraugen. Ich sehe mir im Vorfeld die Aufstellung an, dann weiß ich, wer wo spielt, wie die Taktik ist.« Das geschulte Auge sieht dann auch: »Wie agieren die Spieler, wie ist das Abwehrverhalten, wie ist die Ausstrahlung der Mannschaft, die Körpersprache der Spieler?« Ganz so intensiv wie früher, als er für die Videoanalyse von Spielen ganze Nachtschichten einlegte und die Bänder immer wieder vor- und zurückspulte, um den Matchplan und die taktische Grundordnung einer Mannschaft zu durchschauen, beobachtet er die Partien freilich nicht mehr. »Ich mache mir auch keine Notizen mehr, weil ich keine Spieler mehr beobachte. Für mich ist das jetzt Hobby.« Taktisch, so sagt der Trainerfuchs, gehe es heutzutage ohnehin oft nur um Nuancen, »je nachdem welcher Spielertyp reinkommt, ob ein Trainer Risiko geht«. Dafür hat er direkt ein passendes Beispiel parat: »Bei der WM2018 zum Beispiel hat Joachim Löw beim entscheidenden 0:2 gegen Südkorea Risiko gespielt und ist halt bestraft worden. Aber es ging ja darum, den Ausgleich oder den Siegtreffer zu erzielen. Da muss man alles riskieren.«

Hitzfelds Worte lassen erahnen, dass der Fußball im Traineralltag längst nicht mehr nur die »schönste Nebensache der Welt« ist, wie es ja trotz der Entwicklung der letzten Jahrzehnte immer noch heißt, in denen dieser Sport zu einem großen Kommerzspektakel geworden ist und sich die Vereine zu großen Wirtschaftsunternehmen entwickelt haben. Wirklichen Spaß am Fußball erleben Trainer wohl eher selten. »Ein Trainer lebt in einer Welt des Leistungssports, bei der Ergebnisse zählen. Bei der nicht die Art und Weise entscheidend ist, wie man spielt, sondern nur dass man erfolgreich spielt. Die Zuschauer, die Fans wollen gewinnen.« Er und jeder seiner Kollegen wollen nach Möglichkeit beides verbinden, aber das gelinge längst nicht immer. »Viele fordern zum Beispiel, junge Spieler zu entwickeln. Aber das ist leichter, wenn es läuft. Im Tagesgeschäft geht es häufig erst mal drum, Ergebnisse zu liefern.« Um junge Spieler zu entwickeln, ihnen eine echte Chance zu geben, dafür fehle einem Trainer schlicht und einfach die Zeit. Übrigens auch, um taktische Neuerungen einzuführen. »Für einen Trainer geht es immer um den Ist-Zustand, um die Geschlossenheit der Mannschaft, um Automatismen. Deshalb werden im Training Spielzüge und defensives Verhalten einstudiert, also, wer wo zu stehen hat.«

Fragt man Michael Henke, Hitzfelds Assistent bei dessen wichtigsten Trainerstationen in Dortmund und München, fällt nicht nur einmal das Wort »Professionalität«, wenn er auf seinen einstigen Chef zu sprechen kommt. Natürlich war der Fußball für Ottmar Hitzfeld eine Berufung, das betont er immer wieder. Leicht hat er seine Jobs aber nie genommen, sondern mit großer Ernsthaftigkeit und immer mit dem Ziel, das Beste für den Verein, die Mannschaft und das Trainerteam zu erreichen. »Als Trainer wirst du dafür bezahlt, dass du erfolgreich bist. Meine Stärke war immer, mich auf das Jetzt zu konzentrieren, jetzt Leistung zu bringen! Wenn man jetzt Leistung bringt, hat man viele Möglichkeiten. Man muss immer das Vertrauen des Vereins rechtfertigen, bei dem man gerade sein Geld verdient.«

Vertrauen rechtfertigen – kaum ein anderer Fußballlehrer hat diese Vorgabe wohl jemals so gut eingelöst wie Ottmar Hitzfeld. Welcher Trainer kann schon von sich behaupten, nie bei einem Klub vorzeitig entlassen worden zu sein? Und schon als Spieler war der Lörracher jemand, auf den sich die Klubs, bei denen er unter Vertrag stand, immer verlassen konnten. Da eiferte einer ganz offensichtlich einem seiner Idole nach. »Mein erstes Flutlichtspiel war FC Basel gegen den HSV, da hat noch Uwe Seeler gespielt«, erinnert sich Hitzfeld mit Begeisterung an den Tag, der sein Leben bewusst oder unbewusst nachhaltig beeinflusste. »Als wir ins Stadion kamen, plötzlich der Rasen hellgrün war, das war wie das Paradies für mich. Alles war hell – es war wie eine Erscheinung.« Auch wenn es nur ein Freundschaftsspiel war, in dem es nicht um Punkte oder ums Weiterkommen ging: An diesem Abend hat sich Ottmar Hitzfeld endgültig mit dem Fußballvirus infiziert. Klar hatte er als Kind und später als Teenager auch andere Interessen, betrieb viele andere Sportarten und hatte für seine Lebensplanung einen alternativen Plan B in der Tasche. Aber der Fußball ließ Hitzfeld von diesem Tag an einfach nicht mehr los. Dabei war seine Heimatstadt Lörrach in den 1960er-Jahren nicht gerade als Fußballstadt oder Talentschmiede bekannt. Die Kreisstadt im Markgräflerland im Südwesten Baden-Württembergs, unmittelbar im Dreiländereck Deutschland – Schweiz – Frankreich gelegen, kannte man bestenfalls als Sitz der Schokoladenfabrik Mondelez, als Ausflugsziel wegen seiner Burg Rötteln oder durch seine Fasnachtsumzüge, die ja im Alemannischen eine ganz besondere Ausprägung und speziell in Lörrach eine lange Tradition haben. Sport, und insbesondere Fußball, spielte in der heute knapp 50000 Einwohner zählenden Stadt nur eine untergeordnete Rolle. Und nachdem Ottmars Großvater den Fußball als ordinären Arbeitersport abgetan und komplett abgelehnt hatte, ist es erst recht erstaunlich, wie sich das Leben des Jungen aus dem Ortsteil Stetten entwickelte. Immerhin förderte Vater Robert das Hobby seines jüngsten Sohnes, den er auf den Namen eines der Helden von Bern hatte taufen lassen: Ottmar Walter vom 1. FC Kaiserslautern. Robert Hitzfeld, als Zahnarzt in der Lehrerdynastie sowieso eine Art »Außenseiter«, hatte sich, nachdem er sich von seinem Vater nicht beim heimlichen Fußballspielen erwischen lassen durfte, geschworen: Meine Kinder dürfen dem runden Leder hinterherjagen, wenn sie das eines Tages wollen. Und genau das tat Ottmar, wenn auch damals noch ohne den Hintergedanken, dass dies irgendwann sein Beruf werden könnte. Seine Mutter, so wird immer wieder erzählt, hätte gerne gesehen, dass er Priester geworden wäre. Und aufgrund der Tatsache, dass die Hitzfelds bis auf Ottmars Vater alle Pädagogen gewesen waren, schien zumindest seine Zukunft als Lehrer vorgezeichnet. Tja, wenn da nicht der Fußball gewesen wäre!

Als Schüler spielte er zunächst für den TuS Stetten: Und der schmächtige Stürmer war in seinen Mannschaften bald der wichtigste Spieler. Er spielte so gut, dass er früh die Aufmerksamkeit anderer Vereine auf sich zog. Und das war gar nicht so einfach in einer Zeit, in der es noch kein »Scouting« gab, keine systematische Talentsuche, wie sie heute gang und gäbe ist. Hitzfeld war schmächtig, aber sehr torgefährlich, schnell, ja richtig gut. Regelmäßig spielte der quirlige Angreifer und talentierte Dribbler die Abwehrreihen der gegnerischen Mannschaften schwindelig. Alleine für die C-Jugend schoss er in 63 Partien sage und schreibe 132