Paläo-Nerds - Stefan Schröder - E-Book

Paläo-Nerds E-Book

Stefan Schröder

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Beschreibung

Urzeit, Dinos, Abenteuer: Die Sehnsucht des Menschen nach der Geschichte unseres Planeten ist ungebrochen. Weltweit lassen Paläo-Nerds dieser Leidenschaft freien Lauf. Doch was zum T.rex sind Paläo-Nerds? Es sind Menschen wie Sie und ich, die als Hobby- und professionelle Paläontologen eifrig, fast schon besessen, die Vorzeit in all ihren Facetten erkunden. Die Urwelt bezaubert sie so sehr, dass sie jede freie Minute nach Fossilien jagen, Museen bevölkern und aktiv die Diskussionen in Wissenschaft und Popkultur mitgestalten. Stefan Schröder ist einer von ihnen und nimmt Sie in diesem Buch mit auf eine Abenteuerreise voller faszinierender Menschen und Gestalten. Er geht der Entwicklung des Lebens ebenso auf den Grund wie dem Ursprung und den teils bizarren Spielarten unserer Faszination für Brontosaurus, Mammut und Co. Unzählige überraschende Begegnungen, Erkenntnisse und Einsichten säumen den Weg. Lassen Sie sich mitreißen von einer Leidenschaft, die vieles ist, aber niemals »knochentrocken«!

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Seitenzahl: 338

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Stefan Schröder

Paläo-Nerds

Stefan Schröder

Paläo-Nerds

Dinosaurier, die Sehnsucht nach Abenteuer und das Erbe der Vergangenheit

Telemach-Verlag

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links

vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden

konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung

des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage

© 2024 Mentoren-Media-Verlag,

Königsberger Str. 16, 55218 Ingelheim am Rhein

Lektorat: Sarah Küper, Mainz

Korrektorat: Marie Schumacher, Leipzig

Umschlaggestaltung: Nadine Nagel, Mainz

Autorenfoto: Fotostudio Carina Faust, Fotografin Kristin Voss, Schmallenberg

Grafiken: Oliver Klein (S. 80, La Smerna), Marie Rohde (S. 154f., Das letzte Abendmahl),

Simon Felix Zoppe (S. 196, Dorudon atrox)

Satz und Layout: Sarah Küper, Mainz

eBook: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

eISBN: 978-3-98641-126-8

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher

Genehmigung des Verlages. Sämtliche Inhalte des Buches entsprechen nicht automatisch

der Ansicht und Meinung des Mentoren-Media-Verlags.

www.telemach-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Vorwort von Dr. Achim Schwermann, Paläontologe am LWL-Museum für Naturkunde, Münster

Kapitel 1 Herzlich willkommen!

Ihr Reiseleiter

Erwartungen

Unsere Route

Kapitel 2 Was mache ich hier eigentlich?

Eine Frage, die verbindet

Balve damals, Balve heute

Grabungsalltag

Die Neugier bleibt

Intermezzo Nr. 1: Jurassic Park – Eine Bilanz

Kapitel 3 Auf ins Abenteuer!

Werkseinstellung: Etwas erleben!

Macht Euch die Erde untertan?

Ein Haltungswandel

Zurück nach Balve

Die Initiation

Staunen

Ein Dinosaurierpark für Gazas Kinder

Sehnen

Suchen

Natürlich: Die »Krebse aus der Urzeit«

Intermezzo Nr. 2: Menschliche Dramen vor episch-ewiger Kulisse

Kapitel 4 Der Dino in uns

Getrennte Wege

»Procy« und »Proto«

Rammstein und die Riesenechsen

Kapitel 5 Die alte Diva Erdgeschichte

Terra, Theia und Luna

Ein Fußbad in der Ursuppe oder: LUCA

Zeitsprung

Ruckzuck liegt der Schiefer tiefer

Landgang

Die Menschheit

Intermezzo Nr. 3: Gruppen und Communities, die es in puncto »Besessenheit« mit den Paläo-Nerds aufnehmen können

Kapitel 6 Erdgeschichte(n): Wie und warum Menschen in die Urzeit reis(t)en

Mary Anning Rocks!

Anya und Evie

»Steine klopfen«: Warum Adam Stuart Smiths Berufsberater Recht behalten sollte

Simon Felix Zoppe hat ernst gemacht

»Es ist kein einfacher Brotjob« – wie Dr. Achim Schwermann über die Paläontologie denkt

Im »Dinoversum« von Kathrin Manz

Peter Gensels Wunderkammer

Ein Mammutzahn im Lennebett – In Erinnerung an Rolf Blindert

Rex, Drugs and Rock’n’Roll: Slash ist ein Paläo-Nerd!

Kapitel 7 Der Paläo–Nerd: Entstehung, Verbreitung und Lebensraum

Tags im Museum

Eine Doku der besonderen Art

Innenleben

Frühgeschichte

Lebensräume

Haltung und Pflege

Intermezzo Nr. 4: Wie man einen Dinosaurier gleich zweimal ausgräbt

Kapitel 8 Hilfe, mein Kind spricht dinosaurisch!

Was die Psychologin sagt

Hilfe aus der Urzeit

Mehr wissen als die Großen

Artgerechte Kindererziehung

Kapitel 9 Muss man die Dinos mögen?

Das Wissen über Dinosaurier und die Beschäftigung mit ihnen sind vollkommen nutzlos

Dinosaurier sind ekelig, fies und bedrohlich

Dinosaurier stehlen anderen Urzeittieren und Erdzeitaltern gnadenlos die Show

Dinosaurier sind ausgedachte Produkte der Kommerzialisierung und Projektionsfläche des Imperialismus

Intermezzo Nr. 5: Leidenschaft bis auf die Knochen: Der Weg der Elaine Howard

Kapitel 10 Der Nerd in Ihnen darf Heimat finden

Mit Vokuhila in die Lokalredaktion

Passionen

Der sächselnde Koi-Karpfen-Mann

Sandburgen

Ein Kneipengespräch

Tränen der Rührung

Das »Dinosaur Toy Forum«

Leidenschaft schlägt Sinnlosigkeit

Kapitel 11 Das Leben findet einen Weg

Kapitel 12 Jetzt aber raus mit Ihnen!

Schaffen Sie im Kleinen Großes!

Erleben und gestalten Sie Erdgeschichte vor Ort!

Unterstützen Sie eine Sammlung!

Besuchen Sie ein Denkmal oder setzen Sie gleich selbst eins!

Geben Sie Ihr Anliegen an Schulen und Kindergärten weiter!

Tun Sie Gutes!

Schreiben Sie ein Buch!

Besuchen Sie ein Museum!

Häufen Sie Devotionalien an, bis Ihr Zuhause aus allen Nähten platzt!

Malen, zeichnen, skulpturieren Sie!

Peppen Sie Ihren Smalltalk auf!

Abonnieren Sie eine Zeitschrift!

Suchen Sie selbst nach Fossilien!

Epilog

Dank

Paläo-Nerds im Netz / Kontakt

Literaturverzeichnis

Endnotenverzeichnis

Prolog

Oktober 2018. Während der Rückfahrt von einem Familienausflug hörten wir uns im Radio ein Hörspiel an. Mein damals sechsjähriger Sohn hörte gespannt zu. Es handelte von einem Jungen, den die Großeltern in den Sommerferien mit einem Ausflug nach Südfrankreich überraschen. Dort findet eine große Sauriergrabung statt, der unser junger Hauptdarsteller beiwohnen darf. Die Geschichte neigt sich dem Ende zu. Nach der aufregenden Mitwirkung am Ausgrabungsort braucht der Kleine offenbar eine Stärkung. »›So, mein kleiner Archäologe‹, sagt die Oma, ›jetzt wollen wir mal ein Eis essen gehen.‹«

»Paläontologe«, fuhr es aus mir heraus und ich nahm einem verdutzten Autofahrer die Vorfahrt. »Es sind Paläontologen, die nach Sauriern graben, nicht Archäologen!« Das »A« in den Berufsbezeichnungen dehnte ich betont aus, damit meine Familie auch unbedingt mitbekam, wie angefressen ich war. »Warum versteht das denn niemand? Paaaläontologen sind in der Vorzeit tätig, Aaaarchäologen beginnen ungefähr bei der Entstehung der menschlichen Kultur! Schreibt denn gar keiner mehr gute Bücher heutzutage?«

Geradezu gleichmütig – diese nerdige Aufregung kannte sie längst von mir – erwiderte meine Frau auf dem Beifahrersitz: »Dann schreib doch selbst eins!«

Das hatte gesessen. Hier ist das Buch.

Hinweis:

Für ein angenehmes Leseerlebnis verwende ich hauptsächlich das generische Maskulinum. Es versteht sich von selbst, dass ich dabei stets Angehörige aller Geschlechter meine.

Vorwort von Dr. Achim Schwermann, Paläontologe am LWL-Museum für Naturkunde, Münster

Das Telefon klingelt: »Kannst du mal eben runterkommen? Hier ist jemand mit Fossilien1.« Manchmal ist es der spontane Besuch im Museum, doch häufiger sind es Fragen, die per E-Mail eintreffen. Tatsächlich sind wir von Fossilien umgeben – am Wegesrand, im Wald, am Strand, sogar im Garten. Nicht selten führt die Entdeckung zu einer spontanen Faszination für die »Urzeit« und der Suche nach Erklärungen. Schließlich hält man Zeitzeugen in der Hand, von denen uns nicht selten Millionen von Jahren trennen.

In einem Naturkundemuseum trifft man naturgemäß die unterschiedlichsten Fossilienbegeisterten. Nicht selten durchleben Kinder eine »Dino-Phase«, die manchmal ganze Kindergartengruppen infiziert. Sie schicken interessante Mails, gespickt mit Fragen. Nicht für alle handelt es sich dabei nur um eine Phase, sodass gelegentlich Anfragen nach einem Schülerpraktikum oder einer Facharbeit kommen. Auch Studierende kommen für Praktika, Exkursionen und Abschlussarbeiten in das Naturkundemuseum. Die Vernetzung mit Fachkollegen ergibt sich aus dem reichhaltigen Fossilienspektrum der Museumssammlung sowie der Geologie im Umland. Hier sind es vor allem die emsigen Fossiliensammler, die mit wachen Augen durch das Gelände streifen, ihre Fundstücke vorstellen und für Forschungszwecke zur Verfügung stellen. Das Finden der Fossilien ist die Basis für die Wissenschaft des vergangenen Lebens. Präparatoren können die Fossilien aus ihrer steinernen Hülle befreien. Forscher nehmen sich dieser Stücke nur zu gern an, stellen Fragen und Hypothesen auf, testen ihre Annahmen mithilfe dieser Fossilien. Wenn tatsächlich neue Erkenntnisse entstehen, werden sie gern von Paläo-Künstlern aufgegriffen, die den Organismen wieder neues Leben einhauchen – zumindest in Bildern.

Die Erdgeschichte hat eine erschlagende Vielfalt an Lebewesen hervorgebracht. Eine Gruppe steht dabei ganz oben auf der Liste der Lieblinge: die Dinosaurier. Die Verfilmung von Michael Crichtons Buch Dino Park unter dem Namen Jurassic Park ließ die Welt in eine Begeisterung verfallen, die bis heute anhält. Das allgemeine Interesse an Fossilien und Dinosauriern hilft auch dem wissenschaftlichen Fach: Die Grundlagenforschung liefert die harten Fakten, die dann auf verschiedenen Wegen für populäre Zwecke genutzt werden. Die Präsenz in der breiten Öffentlichkeit schafft in der Umkehr wiederum eine größere Akzeptanz für die Wissenschaft. In diesem sehr einfach dargestellten Kreislauf spielen eine Vielzahl von Interessierten, Faszinierten, Sammlern und Forschern eine Rolle, und nicht immer kann man hier von klar abgrenzbaren Kategorien sprechen. Die Übergänge können fließend sein. Die Wissenschaft lebt von unterschiedlichen Betrachtungs- und Herangehensweisen, sodass es oftmals zweitrangig ist, welche Position tatsächlich eingenommen wird.

Ein schönes Beispiel für diese fließenden Grenzen ist der Autor dieses Buches. Verpackt in eine Interviewanfrage erreichte mich vor einigen Jahren seine Idee, die Ausgrabung des LWL-Museums für Naturkunde im Sauerland zu besuchen. Er selbst beschrieb sich damals als erwachsenen Urzeit-Fan und hatte schon handfeste Pläne für seinen später in einem sauerländischen Lebensart-Magazin erschienenen Artikel. Nur zu gern sagte ich ihm zu: Dem Interview und »einem Tag Dinograbung« stand nichts im Weg. Schon vor dem geplanten Datum hatte er vom Grabungsteam seinen Titel bekommen: der »Grabende Reporter«. Aus dem Urzeitfan war ein wichtiges Bindeglied zwischen trockener Wissenschaft und breiter Öffentlichkeit geworden.

Stefan blieb der Grabung treu und kam auch in den folgenden Sommern immer wieder vorbei. Mit seinem Buch Paläo-Nerds folgt nun ein Ergebnis seiner Faszination für fossile Lebewesen und die Paläontologie. Für den Leser spinnt er unterschiedliche Fäden aus Wissenschaft, Popkultur und persönlichen Erfahrungen zusammen.

Gerne möchte ich Stefan nicht nur als Urzeitfan, sondern auch als Wissenschaftler für dieses Buch danken, da es in seiner Weise das Verständnis für Grundlagenforschung unterstützt. Dem Leser wünsche ich gute Unterhaltung. Möge ein Teil der Faszination abfärben!

Herzliche Grüße

Dr. Achim Schwermann

Kapitel 1 Herzlich willkommen!

»Ich habe das Gefühl, nur dann wirklich über mich selbst zu bestimmen, wenn

ich der Drift meiner Einbildungskraft, der Schwerkraft meiner Phantasie

folge.«2

Peter Bieri, Schweizer Philosoph und Schriftsteller

Liebe Leserin, lieber Leser!

Wir produzieren täglich weltweit etwa 500 Millionen Tweets, 294 Milliarden E-Mails, vier Millionen Terabyte an Facebook-Daten, 65 Milliarden WhatsApp-Nachrichten und 720.000 Stunden an neuen Inhalten im Internet. Zudem sind im Jahr 2022 rund 64.300 neue Buchtitel allein auf dem deutschen Markt erschienen.3 Eine Flut an Informationen überrollt uns. Und dann komme ich daher und bringe ein weiteres Buch auf den Markt. Im Ernst?

Ja, im Ernst. Seit über 40 Jahren schicken die Dinosaurier und andere Lebewesen der Urzeit meine Vorstellungskraft auf Reisen: Wie sahen sie wirklich aus? Wo und wie haben sie gelebt? Wie sind sie umgekommen? Wie sahen ihre Lebensräume aus? Als Wesen, die wirklich existierten, brauchen sie von uns zu ihrer »Wiederauferstehung« neben präziser wissenschaftlicher Arbeit auch Kreativität und Fantasie. Manchmal finden wir nur kleine Knochenbruchstücke, wenig eindeutige Abdrücke oder winzige Zähnchen. In seltenen Glücksfällen konservierte sich sogar Interaktion, zum Beispiel beim bibergroßen Säuger Repenomamus, in dessen Magengegend zahlreiche Knochen von Dinosaurierbabys der Gattung Psittacosaurus entdeckt wurden. Das stellt den Mythos der im Erdmittelalter ständig von den Dinosauriern unterdrückten, »armen« Säugetiere ein wenig auf den Kopf, oder?

In derartige Fragestellungen kann ich mich stundenlang vertiefen. Weil ich obendrein Bücher mag, die sich wie Fanpost an die Urzeit lesen, habe ich nun selbst eins geschrieben. Das Erscheinungsjahr ist günstig, denn die Dinos feiern ein besonderes Jubiläum: Vor genau 200 Jahren wurde mit dem enormen Fleischfresser Megalosaurus erstmals ein Dinosaurier wissenschaftlich beschrieben.4

Und Sie? Wollten Sie sich nicht schon längst mal wieder in ein Abenteuer stürzen, abtauchen in eine Expedition zu den Schnittmengen von nüchterner Wissenschaft und überbordender Fantasie?

Lieber ein Abenteuer als ein teurer Abend: In einer Zeit des oberflächlichen Konsums, der wachsenden Verzweiflung angesichts der Menge schlechter Nachrichten sowie der verzweifelten Frage nach dem Sinn all dessen, was gerade schief geht, sehnen sich viele Menschen einerseits nach karnevalistischem Rausch, andererseits nach Erlebnissen und Erkenntnissen, die wirklich bewegen. Mehr denn je brauchen wir eine umfassende Geschichte, die uns von unserer Herkunft, unserem Platz in der Welt und davon ausgehend von dem erzählen, was zukünftig möglich ist. Eine Geschichte, die trotz zahlreicher kritischer Abschnitte auch Spaß macht und Hoffnung gibt. Niemand kann durchgehend als tumber Eierkratzer in müffelnder Jogginghose vor sich hin vegetieren, ab und an braucht man die ganz großen Fragen.

Wenn wir uns gelegentlich mal mies fühlen, sollten wir daran denken: Das Leben selbst war schon von dem endgültigen Aus bedroht, da war an das Erscheinen des Menschen nicht mal ansatzweise zu denken. Feuriges Magma, das sich aus gigantischen Höllenschlünden über ganze Kontinente ergoss, weltumspannende Eiszeiten, die das wenige noch vorhandene Leben in tief gelegene Höhlen zurückdrängten oder Himmelskörper aus dem All, von denen einer binnen weniger Wochen die Dynastie der Dinosaurier auslöschte: An existenziellen Bedrohungen hat es dem Leben in den gut vier Milliarden Jahren seit seiner Entstehung nun wirklich nicht gemangelt.

Und doch fand es immer wieder einen Weg, sich trotzig aus der Asche zu erheben. Es reckte sich, streckte sich, wischte sich den Staub aus den Augen und fragte: »War was?« Aufstehen, Krönchen richten, weiter gehen – Mut, Fantasie und Forschergeist helfen auch uns, unser Leben befriedigend zu gestalten.

So wie die wackeren Gesellen auf dem Buchcover5 aus Knochenbergen auferstanden sind, um uns forsch den Spiegel vorzuhalten, eröffnen sich auch in unseren Leben immer wieder neue, brauchbare Perspektiven, egal, wie groß die vermeintliche Niederlage auch gewesen sein mag.

Ich bin fest davon überzeugt, dass eine Reise in die Erdgeschichte und zu Menschen, deren Leben sie ebenso nachhaltig beeinflusst wie meins, uns aus dem Grau der alltäglichen Niederlagen reißen kann. Dabei ist die Vielfalt der Menschen, die das Erbe der Dinosaurier und anderer Lebewesen der Vorzeit in Wissenschaft und Kulturbetrieb pflegen – einige davon lernen Sie in Kürze kennen – ebenso bunt wie die Menagerie der Lebewesen, die sie ausgraben, erforschen und feiern. Vielfalt ist ansteckend.

Ein echtes Abenteuer verlangt Einsatz und kann uns tief beeindrucken. Vom lateinischen »Adventus« für »Ankunft« abgeleitet, hat ein Abenteuer von Beginn an sein Ziel im Blick. Bestenfalls schickt es eine veränderte Version unserer selbst gestärkt zurück in die anstrengende Welt.

Ihr Interesse, Ihre Sehnsucht und vielleicht auch der Nerd in Ihnen haben Sie mit dem Griff zu diesem Buch in Richtung Urzeit gelenkt. Dabei haben Sie, keine Frage, die heiteren Knochengestelle auf dem Cover schnell als Dinosaurier identifiziert, obwohl es die beiden als echte Arten so gar nicht gegeben hat. Wäre ja auch noch schöner, ein Saurier mit Brille. Die Grafikabteilung des Verlages hat sich die beiden ausgedacht, und doch weiß jeder, auch ohne den Blick auf den Untertitel, was gemeint ist. Woran das wohl liegt? Finden wir auch das heraus!

Hier liegen Sie richtig! Doch bleiben Sie bitte nicht zu lange liegen! Lassen Sie uns lieber aufbrechen zu wunderbaren Episoden, wie sie uns so nur die Erdgeschichte und ihr Gefolge erzählen können!

Bereits seit vier Jahrzehnten bin ich in der Prähistorie unterwegs und immer wieder spüre ich: Kaum ein anderes Forschungs- und Betätigungsfeld liefert so viel Überraschung, Leidenschaft und Wahnsinn; kaum ein anderer Bereich in Wissenschaft und Kultur lässt Menschen immer noch und immer wieder derart über sich hinauswachsen; kaum irgendwo sonst liegt eine tiefere Befriedigung verborgen als hier. Doch Vorsicht! Mut und Verzweiflung liegen eng beieinander. Auf den folgenden Seiten balancieren wir durchgängig auf dem schmalen Grat zwischen dem, was wir längst zu können glauben und dem, wovor wir uns noch fürchten. Wir sind eben typische Säugetiere und tapsen permanent in der Schnittmenge von Können, Wissen und Angst vor dem Ungewissen umher.6 Aber es hilft ja nix: Nur in dieser Zone sind vergnügliche Lernerfolge möglich.

Pirschen wir uns also kühn heran an oft vertraute, andersartige Kreaturen in ihrem natürlichen Lebensraum! Hören wir gespannt den Nerds und Fans zu, denen die Urzeit die Welt bedeutet. Blicken wir staunend den Menschen über die Schulter, die sie ans Tageslicht befördern. Sie sind Meister der Ausgrabung sowie der Rekonstruktion und transportieren oft anhand dürftiger Hinweislagen ganze vorzeitliche Welten aus vermeintlich ewiger Versenkung in die heutige Welt.

Ihr Reiseleiter

Ich möchte ehrlich zu Ihnen sein: Ich bin kein professioneller Geowissenschaftler. Als nach meinem Abitur die Berufsentscheidung anstand, bekam ich kalte Füße und schreckte aufgrund des hohen Chemieanteils vor dem Studium der Geologie zurück. Während einer der damals leider viel zu seltenen Berufswahlveranstaltungen war ich bereits im Geologisch-Paläontologischen Institut der Universität Münster zu Besuch, hatte Hammer und Meißel quasi schon in der Hand. Doch das Periodensystem der Elemente an der Wand und der stark chemielastige Studienplan der ersten Semester waren echte Abtörner. Was hatte das alles mit den Dinos zu tun? Also schrieb ich mich ganz pragmatisch als Lehramtsstudent für Gymnasien ein. Clever, wie ich war, hatte ich mich dabei für die Fächer Englisch und Biologie entschieden. Biologie! Natürlich war auch dieses Mal mein Endgegner die Chemie. Dazu gesellte sich das wunderbar lebendige, vor wundervollen, praxisnahen, erquicklichen Angeboten geradezu berstende Altenglisch. Oh my God! Ich konnte nicht erkennen, dass ich, der wollte, auch Lehrer werden sollte. Frustriert brach ich das Studium ab und verdingte mich zunächst für viele Monate als Fabrikarbeiter. Schließlich wurde ich diplomierter Sozialarbeiter.

Verhinderter Geologe? Studienabbrecher? Sozialpädagoge? Einen geeigneteren Reiseführer in die Vorzeit werden Sie wohl nirgends finden! Wenn uns einmal ein gefährlicher Raptor zu nahe kommt, kann ich ihn ja bei einem netten Tässchen Tee fragen, was genau ihn denn gerade so wütend macht und was er jetzt für sich braucht, um ein bisschen herunterzukommen. Gern vermittle ich außerdem mit erprobten Gesprächstechniken zwischen den inneren Teams eines hormongetränkten Triceratops und eines kampfeslustigen T.rex, dem in ewiger Streitlust verbundenen Traumpaar der Paläontologie. Wenn ich schlussendlich mein Ziel einer friedlichen Einigung der Kolosse verfehlt habe und als vor Blut triefendes, vom Horn des Triceratops durchstoßenes Wrack an dessen Riesenschädel hin und her baumle, werde ich ein letztes Mal und unverzagt wie eh und je in die Anti-Aggressions-Runde fragen: »Was macht das jetzt mit euch?« Sehen Sie? Ihnen kann wirklich nichts passieren!

Erwartungen

Was ich von Ihnen erwarte? Nun, neben dem Kaufpreis des Buches, dafür ganz herzlichen Dank, Sie sind ein guter Mensch, verlange ich nicht weniger, als dass Sie sich mir mit Haut und Haaren verschreiben, mir blind und ergeben überall hin folgen und dabei meine unerschöpfliche Weisheit auf Schritt und Tritt bewundern. Und werfen Sie keinen Müll auf den Weg!

Blödsinn! Ein gerüttelt Maß an Neugier auf kluge Menschen und bizarre Tiere, eine Handvoll Abenteuerlust sowie ein wenig Courage werden genügen, um unsere Reise lohnenswert zu gestalten. Fantasie natürlich. Und Mut zur Lücke. Die Erdgeschichte ist ein Zeitraum, der sich dem menschlichen Vorstellungsvermögen komplett entzieht.7 Viereinhalb Milliarden Jahre, überlegen Sie mal! Zudem befassen sich so unendlich viele Menschen mit der Geschichte der Erde, dass ich leider nicht alle treffen, begleiten und interviewen kann. Haben Sie bitte auch den Mut, sich immer wieder Ihr eigenes Urteil zu bilden. Ich bin nicht perfekt, aber ich lasse Sie nicht allein!

Unabdingbar ist eine kurze Information zum Buchtitel. Die Beschreibung »Paläo-Nerd« ist ein kombinierter Begriff und wurde erstmals vor etwa sechs Jahren in den USA verwendet. Man hatte beobachtet, wie verbreitet und ausgeprägt der Drang einiger Menschen zur Erforschung der Urzeit und zur populärwissenschaftlichen Begleitung dieses Bereiches war. Der Begriff setzt sich zusammen aus dem altgriechischen Wort »palaós«, was so viel wie »alt« bedeutet, und dem englischen Wort »nerd« (ursprünglich »nert«), das als verlängerte Aussprache des Wortes »nut« interpretiert wird. Als »nut«, wörtlich »Nuss«, wurden anfangs verrückte und/oder übermäßig stark einem bestimmten Thema anhaftende Personen bezeichnet.8 Bezog sich »Nerd« zu Beginn seiner Verwendung eher auf von der damals neu aufkommenden Computertechnologie besessene Menschen, erweiterte sich der Verwendungsbereich im Laufe der Zeit auch auf andere Bereiche von Wissenschaft und Popkultur. Anfangs wurden mit einem »Nerd« häufig asoziales Verhalten, schlecht sitzende, übel riechende Cordkleidung und fettiges Haar assoziiert. Darüber hinaus galt als Markenzeichen eines »Nerds« sein Referieren über scheinbar abseitigste Themen und Details, denen er geradezu verfallen schien. Schließlich fand eine positive Umdeutung des Begriffs statt, vermutlich, indem die so bezeichneten Gruppen ihn in augenzwinkernden Akten der Selbstermächtigung für sich selbst benutzten. Heute gilt »Nerd« als selbstironisch verwendetes »Geusen-« oder »Trotzwort«, vergleichbar mit dem anfangs abfällig gemeinten »schwul« oder der von den Alliierten verwendeten Produktwarnung »Made in Germany«, die heute als Qualitätsmerkmal gilt.

Ich beschreibe mich selbst als Paläo-Nerd und habe durch mein nebenberufliches Selbststudium der Urzeitforschung und aktive Mitarbeit in von ihr angetriebenen Teilen der Popkultur meine fehlende fachliche Ausbildung kompensiert. Selbstverständlich war ich schon Jahrzehnte vor dem Ernst des Lebens der Dino-Experte schlechthin, hielt als solcher Vorträge in Kindergärten (»… und das Nest von Maiasaura war sooooo groß, dass eure gesamte Bienengruppe locker hinein gepasst hätte!«) und Schulen (»Die ersten Wale lebten an Land. Wie, das glaubst du nicht? Na dann schau mal hier…«) und habe einer Schülerin lange vor Wikipedia bei einem anspruchsvollen Referat über den gar nicht mal so spektakulären Wannanosaurus geholfen, wodurch sie eine Eins bekam. Was kann schon schief gehen? Brechen wir auf!

Auf einer Abenteuerreise ist das Verharren im Bekannten ebenso gefährlich wie unüberlegtes Vorpreschen. Hören wir zu sehr auf unsere Angst, verwahrlosen Körper und Geist. Geben wir ihr zu wenig Raum, würden wir noch im Maul des Säbelzahntigers jauchzen, wie geil sich denn jetzt dieser Adrenalinkick wieder anfühlt! Jippie!

Stillstand, Furcht und Mut: Nur unsere eigene Art ist sich dieses herausfordernden Spannungsfeldes bewusst. Immer, wenn wir Menschen es uns im Laufe unserer Entwicklungsgeschichte zu lange bequem gemacht haben, ging die Sache nach hinten los. Das Tückische an unserer Programmierung als Mängelwesen ist: Je mehr wir haben, desto mehr wollen wir. Die Sesshaftwerdung des Menschen erweist sich genau deshalb jetzt als Bumerang. Die gleiche Erfahrung werden spätere Generationen mit der Digitalisierung machen, denn sie ist schon jetzt zum bloßen Selbstzweck degeneriert. Mit Implantaten im Kopf, die uns virtuelle Wunschwelten wie gebratene Tauben ins Maul transportieren, werden sich einige wenige Homo sapiens, wunderbar miteinander vernetzt, den neuesten B-Promi-Smalltalk entgegen schnattern und dabei in von Dürre oder Flut verwüsteten, artenarmen und resonanzschwachen Landschaften herumsitzen, die Rücken kaputt, die Lungen vergiftet, die Hirne korrumpiert. Da bevorzugen wir doch Mut, Schweiß und Tränen, oder? Sollen Sie haben!

Niemand will, dass sein Leben nur ein vergänglicher Furz im Kosmos ist. Wir brauchen ein Gefühl von Bedeutung, sehnen uns nach Anerkennung und möchten, dass das, was wir tun, gesehen und gewürdigt wird. Wir möchten frei, unabhängig und selbstwirksam leben. Wir brauchen die Geborgenheit und Resonanz des warmen Feuers, an dem wir mit Artgenossen unsere Vergangenheit, unsere Geschichten und unsere Hoffnungen teilen. Und immer wieder brauchen wir den Aufbruch.

Unsere Route

Zu Beginn unserer Reise werden wir uns fragen: Was genau machen wir hier eigentlich? Wir legen Rüstzeug und Marschverpflegung bereit und reisen zunächst in das Sauerland, ja, tatsächlich, und damit auch ins Deutschland der unteren Kreidezeit. Anschließend steigen wir hinab in die sumpfigen Tiefen des Karbon-Zeitalters, wo sich unsere Säugetiervorfahren von ihren schuppigen Ursprüngen lossagten, um fortan eigene Wege zu gehen. Bei dieser Dschungelprüfung lernen wir mit unseren reptilischen Wurzeln auch den Dino in uns besser kennen. Er wird uns zugleich vertraut und fremd erscheinen, was ihn zu einem perfekten Verbündeten macht.9 Daran anschließend übergebe ich Sie für ein Kapitel an einen Stargast, um den ich lange werben musste – lassen Sie sich überraschen! Im Anschluss an einen fulminanten Auftritt nebst Zugabe lässt er an der Theke noch ein Weilchen lang lehrreiche Nähkästchengeschichten aus erster Hand vom Stapel: wie einst der Mond entstand, was Leben eigentlich ist, wie sich ein Fußbad in der Ursuppe angefühlt hätte, welche(n) Wirbel unsere frühesten Ahnen um ihre Säule machten, warum das Leben an Land zunächst eher stolperte als ging, wie ganze Kontinente auf der Erdoberfläche auftauchten sowie wieder vergingen und wie in Afrika erstmals die menschengemachten Feuer flackerten.

Er wird uns auch ganz schön die Leviten lesen, ihm können wir schon längst nichts mehr vormachen. Er hat unseren Aufstieg erlebt, er wird wohl unseren Niedergang bezeugen. Doch er zeigt uns auch, dass für das Leben an sich immer wieder Hoffnung besteht.

So ermutigt treffen wir auf Verbündete, die auf dieselben Themen abfahren wie wir: andere Paläo-Nerds! Sie werden uns berichten, wie die Erdgeschichte sie in ihren Bann zieht und warum sie sich nicht dagegen wehren.

Anschließend sind wir hoffentlich bereit für eine kleine Prüfung. Dann gilt es, diejenigen angemessen zu begleiten, die sich erstmals in das »Abenteuer Urzeit« stürzen möchten. Ganz instinktiv und unbedarft stellen uns nämlich die Kinder ihre Fragen. Woher kommt alles, wohin will alles und warum ist nicht nichts? Die Dinosaurier sind dafür als Antworten so geeignet wie ein Achter-Legostein: für sich schon interessant, zugleich kompatibel mit fast allen anderen Klötzchen und dadurch oft wesentlicher Bestandteil komplexerer Bauten.

Dann wird es kurz heikel, denn die Urzeit und die Dinosaurier braucht es ja nicht unbedingt. Es soll sogar Menschen geben, die Dinosaurier nicht mögen und die mit der Geschichte unseres Planeten so überhaupt nichts anfangen können. Das können wir aber gut aushalten, denn seine Sehnsucht und seinen inneren Nerd kann man auf tausendundeine andere Art und Weise nähren. Auch darüber wird zu sprechen sein.

Doch wer wie Sie, ich und unsere neugewonnenen Bekannten die Erdgeschichte auch als Erwachsener noch liebt, braucht sich genauso wenig dafür zu schämen wie all die Nerds und Abenteurer, die anderen Leidenschaften frönen.

Schließlich trennen sich unsere Wege, aber nicht, ohne dass ich Ihnen einige praktische Ideen an die Hand gegeben habe: Wie können Sie den Paläontologen in Ihnen mal so richtig von der Leine lassen?

Eins noch: Abenteuer kann man naturgemäß nicht zu 100 Prozent planen. Ab und zu könnten wir uns in einer Sackgasse wähnen. In manchen Momenten können wir bestenfalls erahnen, was ein bestimmter Teil der Reise noch mit uns und der Erdgeschichte zu tun hat. Hier hilft uns die Überzeugung, dass Umwege die Ortskenntnis erhöhen. Wer schwankt, hat mehr vom Weg. Zur Ermutigung: Es kommt nur sehr selten vor, dass mir wirklich gar nichts mehr einfällt, egal, wie weit ich mich augenscheinlich verrannt habe.

Mein zwischenzeitlich vielleicht etwas ausgeprägtes Fallenlassen von allerlei Namen bitte ich zu verzeihen: Verstehen Sie es als Zeichen meines geradezu kindlichen Stolzes, Teil dieser enormen Vielfalt von Menschen zu sein, die in Gedanken, Worten und Werken der Erdgeschichte huldigen.

Ich werde immer wieder mal eine heitere oder nachdenkliche Rast einbauen. Diese Pausen möchte ich »Intermezzo« nennen. Dann dürfen Sie nach Belieben Aufgaben lösen und provokative Anregungen überdenken. Jetzt aber los!

Kapitel 2 Was mache ich hier eigentlich?

»Wir leben in einer mysteriösen Welt voller Unsicherheiten. Und regelmäßig

treffen wir Annahmen, um uns diese zu erklären. Frieden mit der Komplexität

unserer menschlichen Erfahrung zu schließen, erlaubt uns, unserem natürlichen

Zustand der Verwirrung zu entkommen. Erlaubt uns zu überleben.«10

Rick Rubin, US-amerikanischer Musikproduzent (Übers. d. A.)

Fragen wir zunächst uns selbst und, das klingt jetzt vielleicht ein bisschen esoterisch, das Leben selbst, was genau wir auf dieser Welt zu suchen haben. Oft denke ich: Antworten haben wir schon genug, stellen wir uns lieber gute Fragen. Eine, die uns immer wieder dabei helfen kann, unseren Standort zu bestimmen, ist: »Was mache ich hier eigentlich?«

Eine Frage, die verbindet

»Was mache ich hier eigentlich?«, fragt sich der Forschende, der Stunde um Stunde mit dem Zahnarztbohrer Gestein von vorzeitlichen Knochen löst. Die Erdgeschichte könnte antworten: »Du suchst nach Erkenntnis. Du befriedigst das urmenschliche Bedürfnis, deinen Standort im großen Ganzen zu bestimmen. Du befriedigst deine angeborene Neugier.«

»Was mache ich hier eigentlich?«, fragt sich die Liebhaberin von Dinosaurier-Devotionalien, die ihrer opulenten Sammlung schon wieder ein sündhaft teures Exponat hinzugefügt hat. Die Antwort könnte lauten: »Du schaffst Ordnung. Das Leben da draußen ist wild und chaotisch, da ist es verständlich, wenn du den Wunsch hast, etwas nach deiner Regie zu arrangieren und zu zähmen, und sei es, dass du die Schädelreplik eines Diplodocus in einer Schauvitrine in Szene setzt.«

»Was mache ich hier eigentlich?«, fragt sich der mittlere Angestellte mit Führungsverantwortung, der dank sinkender Umsätze wieder einmal seinen drängelnden Chef im Nacken spürt und den Stress abends an seiner Familie auslässt. Wenn er genau auf die Antwort hört, wird er womöglich bemerken, dass ihm gerade die Erdung fehlt.

»Was mache ich hier eigentlich?«, fragt sich auch der Neuautor, der gut und gerne weitere Jahrzehnte die Erdgeschichte und ihr Gefolge fruchtlos hätte anschwärmen können. So hätte er sich mühsame Stunden am Schreibtisch gespart – nur, um sich für den Rest seines Lebens zu fragen, wie es wohl gewesen wäre, ein eigenes Buch über seine Leidenschaft zu veröffentlichen.

»Was mache ich hier eigentlich?«, das hat sich keiner unserer tierischen Vorgänger und Mitbewohner auf diesem Planeten jemals gefragt. Es liegt an uns, diese genuin menschliche Fähigkeit zum »Waswäre-wenn?« zu würdigen und zielführend – das bedeutet für mich, dem Leben dienend – zu nutzen.

»Was machen wir hier eigentlich?«, fragen sich die Menschen, seit sie sich ihres beängstigenden Hineingeworfenseins in diese Welt bewusst sind und sich als Antwort Geschichten über das große Ganze ausdenken. Solche Geschichten schafften Zugehörigkeit und Struktur. Durch sie konnten schon unsere Vorfahren den Mut aufbringen, die enormen Anstrengungen auf sich zu nehmen, die die Entdeckung von Neuland und der längst darauf etablierten Lebenswelt immer wieder erforderte.

So. Nach so viel Pathos wird es Zeit, mal etwas Handfestes zu tun. Gehen wir also auf die Knie, aber nicht aus Ehrfurcht, sondern um zu arbeiten. Dafür belohnen wir uns mit einem verwegenen Ausflug in die Kreidezeit, doch ob der wirklich so harmlos wird? Sonnencreme brauchen wir übrigens sowohl für die Arbeit als auch für unsere kleine Zeitreise – Sie haben doch welche eingepackt?

Balve damals, Balve heute

»Was mache ich hier eigentlich?«, fragte ich mich in einem Massenkalk-Steinbruch im nördlichen Sauerland. Hier sah es aus, als sei der Dino-Killer höchstpersönlich eingeschlagen. Über Jahrzehnte hinweg haben Baufahrzeuge aller Art ein gigantisches Loch in die idyllische Hügellandschaft des Sauerlandes gefressen, um die Bauindustrie mit dem Pulver zermahlenen Kalksteins zu versorgen. Vor rund 400 Millionen Jahren, im Devon-Zeitalter, sanken mikroskopisch kleine Lebewesen mit ihren Außenskeletten auf den Meeresgrund. Unter enormem Druck und großer Hitze wurden sie zu kilometerdicken Gesteinsschichten verschmolzen, wie das vorliegende Gestein zeigt.

Fleischflosser wie der in Kanada entdeckte Tiktaalik wagten zu dieser Zeit erste Vorstöße an Land, das bis dahin nur von frühen Landpflanzen und hektisch umher krabbelnden Wirbellosen erschlossen worden war. Im Meer dagegen wimmelte es längst vor Leben. Die meisten der Wesen dort unten hätten wir wohl mühelos als Fische erkannt, wenngleich manchen ein Unterkiefer fehlte.

Vom Meer war hier heute nichts mehr zu sehen. Die Sonne knallte erbarmungslos auf dieses künstliche Loch, ein wahres Tor zur Unterwelt. Gelegentlich zeichnete sich am Himmel die Silhouette eines Greifvogels ab. Dornbüsche, Flechten und niedrige Sträucher rangen wie einst die allererste Vegetation um Nährstoffe aus dem Gestein. Am Anfang war die Erde wüst und leer.

Am Rande dieses Lochs hockte ich auf den Knien in gut zehn Metern Höhe auf dem Sims einer ziemlich steilen Wand. Vor mir verlief eine gut einen Meter hohe und rund vier Meter breite Stufe aus grauem, zähem Ton. Sie wurde »Balve X« genannt. Hinter mir gähnte der durch ein grünes Tornetz gesicherte Abgrund. Ich arbeitete ein Stückchen urzeitlichen Schildkrötenpanzer aus dem lehmigen Ton heraus, gut erkennbar an seiner noppigen Oberflächenstruktur. Erdgeschichte im Feld lehrt Entschleunigung, denn ein Fossil zeigt sich nicht früher, wenn man heftiger schabt. Sorgfalt ist gefragt; man folge den Formen des Fossils. Grabzeit und ausgegrabene Zeit näherten sich gefühlt einander an. Schweiß durchtränkte meine Baseballmütze, irgendwo surrte ein Insekt. Rechts neben mir hockte Tom aus New Jersey, ein junger Spezialist für ausgestorbene Haie, und legte ein Knochenfragment frei. Links neben mir pellte Dennis, Student der Geowissenschaften aus dem Ruhrgebiet, mit einer Tonschlaufe zähe »Dönerstreifen« von einem der vielen lästigen Felsbrocken ab, die unseren Wunsch nach Fortschritt bei der Grabung immer wieder auf eine im wahrsten Sinne harte Probe stellten. Zentimeter für Zentimeter schabte Dennis vom Fels, bis er das im Durchmesser gut 60 Zentimeter große Stück schließlich aus dem Ton rütteln konnte, um es dann trotzig den Abhang hinunterzuwerfen. Mit einem lauten »Platsch!« fiel der Stein in den Schlämmwassersee. Empört sprangen einige Heuschrecken aus dem angrenzenden Gebüsch, dann kehrte wieder konzentrierte Ruhe ein.

Meine Gedanken gingen auf Reisen und malten ein Bild der vorzeitlichen Landschaft, deren Überreste wir in diesen Sommertagen des Jahres 2023 bargen. Ich schweifte ab in eine Zeit ohne Menschen, genau genommen auch ohne Zeit. Das Insekt surrte noch immer. Ich hockte jetzt in dichtem Unterholz, dort, wo ein weiter Sandstrand mit dem bewaldeten Inneren der Insel zusammenwuchs. Karibikflair umwehte mich, doch statt Kokospalmen wuchsen hier am Ufer Schachtelhalme und Nadelgehölz.

Ich blickte auf einen weiten, flachen Meeresarm. Erst weit dahinter schien am Horizont wieder Land in Sicht. War ich auf einer Insel? Da! In der Ferne zeichnete sich eine Herde vierfüßig laufender Saurier ab. Nase voran! Längliche Köpfe, eineinhalbmal so groß wie der eines Pferdes, vorn mit schnabelartigen Mäulern ausgestattet, reckten sich gemächlich, aber wachsam in die Brise. Vom Hals einiger Exemplare schlabberten rosa Lappen. Waren das etwa die Männchen? Die Vorderfüße sahen aus wie Multifunktionswerkzeuge. Diese Leathermans des Erdmittelalters waren mit fünf Fingern ausgestattet und liefen elegant auf den mittleren drei. Ihre Daumen hingegen sahen aus wie gigantische Stachel. Was sie wohl damit taten? Nach außen schließlich stand ein kleiner, scheinbar sehr biegsamer Finger ab. Wow, waren das schöne Tiere! Ich kannte sie, ich hatte sie so ähnlich schon einmal gesehen!

Sie werden aufgrund ihrer weiten Verbreitung, ihrer großen Zahl sowie ihres Fressverhaltens oft als »Kühe der Kreidezeit« bezeichnet; von ihren Händen schwärmt die Wissenschaft. Iguanodon! Wie viele Tiere es wohl waren? Vielleicht 30, vielleicht 50, schwer zu sagen hier im Gebüsch. Von rechts nach links liefen sie zügig zur Höhe meines Strandabschnittes. Ich blieb lieber hocken!

Der Himmel war mit leichten Federwolken bedeckt, über Land und Wasser lag ein nebliger Schleier. Die Herde kam zügig näher, war jetzt vielleicht noch einhundert Meter entfernt. Eine an Dezibel nicht gerade arme Mischung aus Grunzen und Schnaufen erreichte meine Ohren, der wattschmatzende Sound der riesenhaften Geschöpfe mischte sich hinein. Die Iguanodons wogen ihre Köpfe sanft hin und her und hielten ihre Schwänze schräg in die Höhe, als wollten sie mit ihm geheimnisvolle Signale empfangen. Ein elegantes Gesamtbild war das, nicht so unbeholfen wie das der Tauben, ihrer entfernten späteren Verwandten, die in Millionen Jahren über die Marktplätze stolpern und die Abfälle unserer Zivilisation aufpicken würden. Das hier dagegen war Anmut pur.

Zwischen den vierbeinig laufenden Erwachsenen spurtete behände auf den Hinterbeinen die Kinderstube mit. Jetzt konnte ich sie zählen: Es waren 41 Tiere in unterschiedlichen Altersstufen. 13 davon bilden den Nachwuchs. Später, wenn die Mägen größer und sich dadurch der Körperschwerpunkt weit nach vorn verlagern würde, werden sie zu einem vierfüßigen Gang übergehen. Noch 50 Meter. Jetzt erkannte ich, wie die Tiere miteinander kommunizierten. Vorn und seitlich witterten große Individuen in den auflandigen Wind hinein. Immer wieder schienen sie »keine Gefahr« zu trompeten, was einige der Jungtiere übermütig machte. Sie entfernten sich vom Strom der Masse.

Eines der Jungtiere rannte plötzlich genau auf mein Gebüsch zu! Ach du liebe Güte! Es kribbelte in meinem Bauch, im Brustkorb schlug das Herz wie verrückt. Das Jungtier war an seiner Hüfte gute eineinhalb Meter hoch und wirkte ziemlich bullig. Jetzt blieb es stehen, schniefte und schnüffelte am Geäst. Sein schnabelartiges Maul riss eine Handvoll blättriger Zweige ab. Eine kräftige, pockige Zunge zog das Material in den Schlund. Ich blickte auf schuppige Haut, erkannte verheilte Narben. Wieso wollte ich mich ausgerechnet jetzt an Körperstellen kratzen, von denen ich bis dahin gar nicht wusste, dass sie existierten? Und warum musste ich niesen?

Komm ruhig näher, nein, bleib bloß weg! Was, wenn es noch weiter vordrang und mich dabei mir nichts, dir nichts erdrückte? Sollte ich wirklich so enden? Als Fettfleck an einem Strand der unteren Kreidezeit? »Okay«, tröstete ich mich, »immerhin werde ich im Anschluss so noch den einen oder anderen Fleischfresser ernähren.« Von denen sollte es ja hier so einige geben, hatte ich gelesen. Megalosaurier, frühe Tyrannosaurier, Raptoren, diese Sorte halt.

Hatte ich da gerade Fleischfresser gesagt?! Oh je, ich wollte den Teufel lieber nicht an die Wand malen! Immer wieder zuckte das Tier, um die hartnäckigen Fliegen zu verscheuchen, die ihre Leckwerkzeuge in das mineralhaltige Salzbad seiner Augen tunken wollten. Diese hatten runde Pupillen. »Wer hatte eigentlich die glorreiche Idee, die Raptoren in Jurassic Park mit geschlitzten Pupillen auszustatten?«, konnte ich mich gerade noch fragen, als sich die Ereignisse überschlugen!

Links von mir brachen zwei riesige Kiefer aus dem Dickicht und machten ein, zwei raumgreifende Schritte auf das kleine Iguanodon zu, um es dann kräftig an der Rückseite seines Halses zu packen. Knacks! Jetzt fuhr das überrumpelte Wesen gegen seinen Willen in die Höhe, wurde scheinbar mühelos mehrmals hin und her geschüttelt und sank schließlich als lebloser Körper auf den körnigen Boden. Kein Insekt war mehr zu hören. Zu schlechter Letzt gruben sich die Kiefer tief ins Fleisch und zerlegten die frische Mahlzeit behände in mundgerechte Happen. »Wenigstens ging es schnell«, dachte ich, und immerhin hatte es nicht mich erwischt. Für diesen Gedanken schämte ich mich ein bisschen. Wie lange hatte dieser Raubsaurier wohl schon neben mir gelauert? Warum hatte er mich nicht gewittert? Knack! Schmatz! Krach! Dinosaurierblut sickerte in den Sand.

Ich wollte mir das nicht mehr länger ansehen und blickte auf, um … zu erkennen, dass Dennis gerade trotzig einen weiteren dicken Felsen aus dem Ton rüttelte. Ich hockte noch immer in einem Steinbruch in Balve-Beckum, wo er mich jetzt verdutzt anschaute. »Wo immer du gerade auch warst«, lächelte er irritiert, »in dieser Welt warst du jedenfalls nicht.« Damit hatte er Recht!

Während die Wände und der Boden dieses Steinbruchs gute 400 Millionen Jahre auf dem Buckel haben und am Grunde eines riesigen Meeres in der Devonzeit entstanden sind, hatten sich die Tone, in denen wir gerade buddelten, in der unteren Kreidezeit gebildet. Dies war die Zeit, in der die Entwicklung der Dinosaurier einen ihrer zahlreichen Höhepunkte erlebte und weltweit ganze Heerscharen von Langhälsen, Leguanzähnen und Raubsauriern vielfältige Landschaften durchstreiften. Viele der berühmtesten Dinosaurier, wie Allosaurus, Apatosaurus oder Stegosaurus, hatten kurz vor dieser Periode den Planeten verlassen, der Tyrannosaurus hingegen war zu dieser Zeit noch eine ferne Ahnung. Damals war Norddeutschland Teil des zentraleuropäischen Massivs, einer gigantischen Insel im westlichen Ausläufer des Tethysmeeres, das sich im Osten bis zum späteren Indischen Ozean erstreckte. An den Küstensäumen ästen Dinosaurier der Gattung Iguanodon. Nur wenige Jahrmillionen zuvor hatten etwas weiter südlich von hier einige Dinosaurier erste Flugversuche unternommen, in Gestalt von Archaeopteryx, einer Ikone der Paläontologie.

Die Iguanodonten wurden verfolgt von Raubsauriern unterschiedlicher Größe. Kleine Raptoren fanden ebenso reiche Beute wie an die zehn Meter messende Allosaurier, enorme Räuber mit mannstarken Vorderarmen, aus denen gebogene Krallen wuchsen. Die Iguanodonten hatten mit ihrem neuartigen Gebiss eine effektive Nahrungsverwertungsmaschine entwickelt, mit der sie die bis dato dominierenden Langhalsdinosaurier ins Hoch- und Hinterland verdrängt hatten. Diese Langhälse waren wahre Fressmaschinen und zählten, den heutigen Elefanten ähnlich, in Sachen Pflanzenkost eher auf Quantität als auf Qualität. Im Schatten dieser Riesen wuselten kleine Säugetiere umher, unsere Vorfahren also, und suchten vorwiegend nachts ihr Auskommen mit Insekten.

Hier im Steinbruch waren wir ganz vernarrt in die Überreste dieser Säugetiere, denn bei aller Liebe zu den Dinosauriern wollen wir Menschen doch auch wissen, wie es unseren Vorfahren damals erging. Und tatsächlich fanden wir immer wieder kleinste Kieferchen und Zähnchen! Meistens stoßen diese einem nicht direkt bei der Grabung ins Auge, sondern erst später beim Schlämmen oder Wochen später im Museum, wo das durchsiebte Material mikroskopisch untersucht wird.

Ob Saurier oder Säuger: Irgendwann endete auch damals das Leben eines jeden Tieres. Wenn ein großer Kadaver an Land lag, konnte so einiges mit ihm geschehen. Flugsaurier pickten die saftigen Augen heraus, Aasfresser taten sich gütlich an Eingeweiden und Muskelfleisch und waren dabei gewiss nicht zimperlich, am Ende mag sich ein zerrupftes Skelett über ein fußballfeldgroßes Areal ausgebreitet haben. Die Knochen wurden schließlich von Pilzen und Bakterien zu neuem Boden zersetzt. Die allermeisten vorzeitlichen Tiere versteinerten nicht, sondern gingen den üblichen Gang aller Materie: Zersetzung, Umwandlung in elementare Bestandeile, Einbau in etwas Neues und Komplexeres. Doch ab und an wurden ganze Kadaver oder Teile davon vor ihrer Zersetzung luftdicht mit Sediment bedeckt. Wenn ein Tier zum Beispiel in einen See fällt, ist das eine klare Sache – der Kadaver sinkt, sofern er nicht im Absinken noch von Raubfischen oder Krokodilen zerfetzt wird, auf den Grund und wird über lange Zeiträume hinweg von Sand und Schlick bedeckt, der schließlich unter gigantischem Druck zu Stein wird. Darin erhalten sich wie Fenster in die Vorzeit die Fossilien, zum Beispiel die bislang zwölf bekannten Individuen des berühmten Archaeopteryx aus Bayern.

Die Fragmente, die wir heute in Balve fanden, hatten allerdings eine andere Geschichte hinter sich. Saisonale, sintflutartige Regenfälle im Inland rissen diese – Knochen und Knochenstücke, Zähne oder Panzer – immer wieder mit sich, dazu auch Holzkohlestückchen als Zeugen urzeitlicher Waldbrände und Steine unterschiedlicher Größen. Während viele Flüsse, wie es sich für einen anständigen Fluss gehört, im Meer mündeten, platschten manche von ihnen auch in oder durch unterirdische Höhlen. Über Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte hinweg wurden die von den regelmäßig strömenden Fluten mitgeführten Teile ins Sediment solcher Höhlen eingetragen. Das Wasser sickerte tiefer und hinterließ gräulich-bräunliche Sedimentschichten mit den heute heiß begehrten Funden darin. Wenn ich meine Müslischale nie spüle, entsteht in kleinem Maßstab etwas Ähnliches. Der Vergleich hinkt natürlich, denn die Milch im Bodensatz verdunstet und versickert nicht wie das urtümliche Höhlenwasser. Im Ergebnis sehen wir kleinere und große Getreidestücke eingebettet in eine dünne, vom Löffel nicht mehr erreichbare Bodenschicht aus halb getrockneter, kalkiger Milch. Würde ich über Monate hinweg diese Schüssel immer wieder ungespült benutzen, wäre darin irgendwann kein Platz mehr, denn die verkrusteten Schichten würden bis an den oberen Rand der Schale reichen. Ersetzen Sie zum Vergleich die noch leicht feuchte Milch durch Wasser mit Tonsediment und die Getreideflocken mit Knochen, Panzern und Zähnen, dann passt es schon irgendwie.

Grabungsalltag