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Examensarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Didaktik für das Fach Deutsch - Literatur, Werke, Note: 1,3, Universität Münster, Sprache: Deutsch, Abstract: „In den finsteren Zeiten Wird da auch gesungen werden? Da wird auch gesungen werden. Von den finsteren Zeiten.“ Der Augsburger Schriftsteller Bertolt Brecht (1898-1956) ist vor allem als politischer Autor bekannt. Die finsteren Zeiten, in denen er lebte, spiegeln sich in seinem Werk. Zwei Weltkriege und fünf Staatsformen – das Kaiserreich, die Weimarer Republik, die nationalsozialistische Diktatur und die zwei Staaten des geteilten Deutschland ab 1949 – kamen und gingen zu Brechts Lebzeiten...
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Der Augsburger Schriftsteller Bertolt Brecht (1898-1956) ist vor allem als politischer Autor bekannt. Die finsteren Zeiten, in denen er lebte, spiegeln sich in seinem Werk. Zwei Weltkriege und fünf Staatsformen - das Kaiserreich, die Weimarer Republik, die nationalsozialistische Diktatur und die zwei Staaten des geteilten Deutschland ab 1949 - kamen und gingen zu Brechts Lebzeiten.
Vor dem Faschismus und dem aufstrebenden Adolf Hitler warnte Brecht schon Jahre vor der ‚Machtergreifung’ 1933. Einen Tag nach dem Reichstagsbrand, der Brecht als Vorausdeutung auf die Methoden der neuen Herrschaft galt, verließ er seine Heimat und lebte im Exil. Dort schrieb er weiterhin Texte, die sich gegen das verbrecherische Regime der deutschen Faschisten, aber auch gegen Gewalt und Krieg im Allgemeinen wandten. Über ein Jahrzehnt seines Lebens verbrachte er auf der Flucht und erfuhr, welche Konsequenzen es für einen Schriftsteller hat, wenn man in Ländern seinen Lebensunterhalt verdienen muss, deren Sprache man nicht beherrscht. Seine Arbeit galt in dieser Zeit und auch danach dem antifaschistischen Kampf.2
Weil er 1948 den deutschen Staat im Osten dem im Westen vorzog, wurde er in der Bundesrepublik als Kommunist abgetan, was die Rezeption seines
1Brecht, Bertolt: Svendborger Gedichte. In: Ders.: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlef Müller. Berlin, Weimar, Frankfurt a.M. 1988-2000. Bd. 12, S. 16. Im Folgenden wird diese Ausgabe innerhalb des Textes zitiert als GBA mit Bandnummer und Seitenzahlen.
2Walter, Jens: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Band 3 (BP - CK), München 1989. Hier S. 69ff..
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Werkes lange Zeit behinderte. Seine politischen Gegner in Westdeutschland versuchten mit zahlreichen Kampagnen seine Stücke aus den westdeutschen Theatern zu verbannen. Später fand man einen anderen Weg, mit Brecht zu verfahren: Man spaltete die Rezeption auf in den Dichter, den man schätzte und dessen Werke Schulstoff wurden, und in den Kommunisten, den man herabsetzte - was zur Folge hatte, dass Brecht als politischer Autor im Westen nicht ernst genommen wurde und die politische Dimension seines Werks ungewürdigt blieb.
Doch auch in der DDR wurde Brecht widersprüchlich wahrgenommen. Hier nahm man irritiert zur Kenntnis, dass er nicht der SED (sowie zeitlebens keiner Partei) beigetreten und außerdem seit 1950 österreichischer Staatsbürger war. Im Gegensatz zur Bundesrepublik wurde hier aber der politische Brecht gewürdigt. Es war der poetische Brecht, der den DDR-Kulturfunktionären missfiel. Zwar bemühte man sich, Brecht als Vertreter des sozialistischen Realismus und als Nationaldichter zu vereinnahmen, seinem ‚epischen Theater’ konnte man hier aber kaum etwas abgewinnen, weil es mit den in der DDR propagierten Kunstformen nicht in Einklang zu bringen war. Weder die Orientierung an der Wirklichkeit, noch das Experimentieren mit darstellerischen Mitteln sagte in der DDR zu, wo man nach den Maßstäben des sozialistischen Realismus in den 1950er Jahren verstärkt die Gestaltung eines positiven Helden mit sozialistischer Lebens- und Arbeits-moral forderte und Formexperimente als Ausdrucksweise einer bürgerlichen ‚Dekadenzliteratur‘ verstand.
Sowohl für Brechts Gegner im Osten als auch für die im Westen war eine Handlungsweise typisch: Ihre Anfechtungen richteten sich gegen die Person Brecht, seine Haltung zur DDR oder seine Einstellung zur Kunst. Die Werke Brechts gerieten dabei an den Rand der Aufmerksamkeit und wurden höchstens als Gelegenheit verstanden, die eigenen Vorurteile zu bestätigen.
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Erst seit der Wiedervereinigung scheint ein freierer Umgang mit dem Augsburger Autor möglich. Dies kommt vor allem seinem Werk zugute, dem man sich nun unbefangener nähern kann denn je zuvor.3
So kann man nun auch Brechts politische Stücke von einer neutraleren Warte aus untersuchen. Die vorliegende Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, zwei der antifaschistischen Dramen Brechts -Die Rundköpfe und die SpitzköpfesowieDer Aufstieg des Arturo Ui- zu analysieren. Freilich war Brechts Sichtweise zum Faschismus stark geprägt von den Konzepten der Kommunisten, wie in Kapitel 2 näher ausgeführt wird. Im Gegensatz zu den Interpretationen früherer Jahrzehnte kann man diese Tatsache heute gelassen als gegeben hinnehmen, ohne daraus eine prinzipielle Verurteilung der Person Brecht oder seiner politischen Stücke abzuleiten.
Die Frage, inwiefern man Brecht überhaupt als Kommunisten bezeichnen darf, wird in der neueren Forschungsliteratur sehr differenziert beantwortet, so etwa bei Roland Jost in seinem entsprechenden Artikel imBrecht-Lexikon,das 2006 erschien.4Jost hebt hervor, dass sich Brecht keineswegs auf eine eindeutige politische Linie, auf eine ‚Weltanschauung’ festlegen lasse. Zwar habe Brecht sich zweifellos mit den sozialistischen Gesellschaftsexperimenten in der Sowjetunion bzw. in der DDR mit großem Interesse beschäftigt, ebenso zahlreich und bedeutend seien aber auch die kritischen Auseinandersetzungen mit den verschiedenen offiziellen Parteilinien von KPD und SED und den unterschiedlichen Strömungen marxistischer Theorie und Praxis.
3Zur Rezeptionsgeschichte nach 1989 vgl. auch Hermand, Jost: Aufs Körperliche reduziert. Der „arme b.b.“ nach 1989. In: Ders.: „Das Ewig-Bürgerliche widert mich an“. Brecht-Aufsätze. O.O.u.J. (Theater der Zeit, Recherchen 8), S. 312-330.
4Jost, Roland: Kommunist B. In: Brecht Lexikon. Hg. v. Ana Kugli und Michael Opitz. Stuttgart 2006, S. 163. Alle folgenden Zitate von Jost sind hier entnommen.
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„Zu spielerisch-sinnlich orientiert, zu unsystematisch und keiner historisch-gesellschaftlichen Teleologie verpflichtet war B[recht]s Denken, das zudem entschieden von der Kunst, vor allem der praktischen Theaterarbeit ausging, als dass es sich auf einen Begriff bzw. ein System fixieren ließe“,
erläutert Jost. „In diesem Sinne könnte man auch sagen: B[recht] war Marxist oder Kommunist, indem er es zugleich nicht war.“
Kapitel 3 und 4 widmen sich den einzelnen Stücken selbst, die unterschiedliche Gesichtspunkte der faschistischen Herrschaft in Deutschland beleuchten. WährendDie Rundköpfe und die SpitzköpfeHitlers Rassenideologie und die Judenverfolgung thematisiert, versuchtDer Aufstieg des Arturo Uizu hinterfragen, wie es Adolf Hitler und seiner Gefolgschaft gelingen konnte, sich in Deutschland die Macht zu sichern. Abschließend wird in Kapitel 5 ausgeführt, inwiefern es sich bei den beiden Stücken um „Parabelstücke“ handelt. In der Sekundärliteratur wird diese Frage kontrovers diskutiert.
Der Begriff Faschismus bezeichnet allgemein extrem nationalistische, nach dem Führerprinzip organisierte antiliberale und antimarxistische Bewegungen und Herrschaftssysteme. Ausgehend von Italien, das mit der Machtübernahme Mussolinis 1922 zum faschistischen Staat wurde, gab es in fast allen europäischen Ländern in den 1920er und 1930er Jahren faschistische Bewegungen, von denen die deutsche in Form der Nationalsozialisten eine besondere Rolle in der Weltpolitik spielen sollte.5
Als Beginn der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ wird der 30. Januar 1933 angesehen, als Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler
5Hans-Ulrich Thamer: Der Nationalsozialismus. Stuttgart 2002, S. 27.
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zum Chef des Präsidialkabinetts ernannte.6Während der folgenden Monate gelang es Hitler und seinem Gefolge sowohl durch scheinbar legale als auch durch offen aggressive gewalttätige Aktionen, ihre politischen Gegner systematisch auszuschalten und die politische Verfassung des Deutschen Reiches umzustürzen. Seit dem 14. Juli 1933 war Deutschland ein Ein-Partei-Staat, zudem vereinigte Hitler nach dem Tode Hindenburgs am 2. August 1934 in seiner Person auch die Machtbefugnisse des Reichspräsidenten. Aus einer pluralistischen, parlamentarisch regierten Demokratie war damit innerhalb kurzer Zeit ein totalitärer „Führerstaat“ geworden.
Damit war der Scheitelpunkt der Krise, welche die Weimarer Republik von Beginn an begleitet und die mit der Weltwirtschaftskrise 1929/30 ihren bitteren Höhepunkt erreicht hatte, überschritten. In den letzten Jahren ihres Bestehens waren die demokratischen und bürgerlich-liberalen Parteien zunehmend in die Minderheit geraten. Die enttäuschten Wähler bescherten den Kommunisten, aber vor allem den Nationalsozialisten einen regen Zulauf. Letztere konnten ihren prozentualen Stimmenanteil bei den Reichstagswahlen der frühen 1930er Jahre von 2,6 Prozent (1928) über 18,3 Prozent (1930) auf 37,3 Prozent (1932) steigern. Die Kommunisten nahmen im gleichen Zeitraum von 10,6 Prozent auf 14,3 Prozent der Wählerstimmen zu.
Beide Parteien wurden von den jeweiligen „Anhängern“ aus Protest gewählt. Sie bündelten die existenziellen Ängste der Menschen. Während die KPD ihre Anhängerschaft vornehmlich in den proletarischen Schichten fand, sicherte sich die NSDAP den Zuspruch vieler sozialer Schichten mit
6Zu den folgenden Ausführungen vgl. von Hehl, Ulrich: Nationalsozialistische Herrschaft. München 1996 (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 39), S. 1-5 und Schmuhl, Hans-Walter: Rassismus unter den Bedingungen charismatischer Herrschaft. Zum Übergang von der Verfolgung zur Vernichtung gesellschaftlicher Minderheiten im Dritten Reich. In: Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft. Hg. v. Karl Dietrich Bracher, Manfred Funke und Hans-Adolf Jacobsen. Bonn 1993, S. 182-197.
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einem unverkennbaren Schwerpunkt im mittelständisch-kleinbürgerlichen und protestantisch geprägten Wählerbereich.
Die alten politischen Eliten trugen nicht unerheblich dazu bei, dass sich die Weimarer Republik destabilisierte. Regierungen wie die von Papens oder dessen Amtsnachfolger von Schleicher diskreditierten die ohnehin von den Menschen eher skeptisch gesehene junge Demokratie und machten es der Nazi-Bewegung einfach, sich mit Versprechungen das Vertrauen der Bevölkerung zu sichern.
Die NSDAP, die sich den Deutschen als Retter aus der Not anbot, war 1919/20 im völkisch-nationalistischen Milieu Münchens entstanden und hatte erst in den Krisenjahren der Republik ihre großen Stimmenzuwächse erzielt. Ihr Erscheinungsbild war zunächst uneinheitlich und widersprüchlich. Die 25 Punkte des Parteiprogramms von 1920 waren ein krauses Gemisch aus nationalistischen, rassistisch-antisemitischen, antiliberalen, auch sozialistischen, ja sozialrevolutionären Versatzstücken. Den Kern von Hitlers Weltanschauung bildete ein primitiver, den Mythos von Rasse, Blut und Boden beschwörender Biologismus. Hitler erhob in seiner Vorstellungswelt die „Arier“ zur vermeintlich überlegenen Rasse, der es bestimmt sei, über die „minderwertigen“ Rassen zu herrschen und sich neuen Siedlungsraum im Osten zu erobern.
Hitlers strategischer Hass kulminierte in „dem Juden“, den er als Feindbild aller Deutschen und „Arier“ stilisierte. Seine auf Beeinflussung der Massen zielenden plakativen Vereinfachungen fanden vor allem deshalb ein breites Echo, weil sie an in der Bevölkerung vorhandene Ressentiments anknüpfen konnten und ein weit verbreitetes Krisenbewusstsein ansprachen, dabei aber so vage blieben, dass sie den verschiedensten Personenkreisen als Retter aus Not und Hoffnungslosigkeit erschienen.