Partizipation in der Kita - Michael Regner - E-Book

Partizipation in der Kita E-Book

Michael Regner

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Beschreibung

Partizipationsprozesse in Kindertageseinrichtungen sind ein entscheidender Wegbereiter, um Bildungsprozesse zu ermöglichen und zu begleiten. Kinder erleben sich dabei als aktiv Handelnde und ihre Umwelt verändernde Akteure. Das dazu notwendige Handwerkszeug, von der Theorie und den Grundlagen zur Partizipation bis hin zu Praxisbeispielen, bietet dieses Buch.

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Michael Regner/​Franziska Schubert-Suffrian

Partizipation in der Kita

Projekte mit Kindern gestalten

Impressum

Titel der Originalausgabe: Partizipation in der Kita

Projekte mit Kindern gestalten

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2011

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlagkonzeption und -gestaltung: Schwarzwaldmädel, Simonswald

Umschlagfoto: © sonya etchison – Fotolia.com

Fotos innen: Michael Regner/Franziska Schubert-Suffrian

E-Book-Konvertierung: epublius GmbH, Berlin

ISBN (E-Book): 978-3-451-80471-7

ISBN (Buch): 978-3-451-32552-6

Inhalt

Vorwort

1. Was bedeutet Partizipation in Kindertageseinrichtungen?

1.1 Was ist Partizipation? – Eine Annäherung

1.2 Wie eignen sich Kinder die Welt an? Selbstbildungsprozesse brauchen Beteiligung

1.3 Demokratie in der Kita

1.4 Die Macht der Erwachsenen

1.5 Was haben Kinder von Partizipation? „Und plötzlich hatten wir das Theater!“

2. Praxis der Partizipation

2.1 Ebenen der Beteiligung – Beteiligungsbausteine

2.2 Grundsätzliches zur Umsetzung von Beteiligungsprozessen

2.3 Projektbezogene Beteiligung

2.4 Schriftlich verankerte Beteiligung in Form einer Kita-Verfassung

2.5 Gremien und Strukturen

2.6 Partizipative Entscheidungsverfahren

2.7 Verschiedene Beteiligungsaspekte

3. Partizipation durch dialogische Haltung – „Nudeln im Kopf“

3.1 Die dialogische Haltung

3.2 Grundsätzliches zum Thema Fragenstellen

3.3 Fragen stellen in Partizipationsprozessen

3.4 Die Körper- und Gefühlswahrnehmung fördern

4. Der Blick auf besondere Themen: Was Partizipation auch ist

4.1 Gemeinsames Aushandeln von Regeln

4.2 Beobachtung und Dokumentation im Dialog mit Kindern – der Lernstern

4.3 Beteiligung von Kindern unter drei Jahren

5. Die Auseinandersetzung der Erwachsenen – Partizipation verändert ein Team

5.1 Partizipationsprozesse in der Kita implementieren

5.2 Ein neues Selbstverständnis

5.3 Einigungsprozesse im Team gestalten

5.4 Leitung und Träger ermöglichen oder verhindern Partizipation

5.5 Die Veränderung der pädagogischen Perspektive – ein Interview

5.6 Wie sich Partizipationsprozesse auf die pädagogische Arbeit auswirken

6. Ohne Eltern geht es nicht: Erziehungspartnerschaft in der Kita

6.1 Grundsätzliches zur Erziehungspartnerschaft mit Eltern

6.2 Die gemeinsame Suche nach tragfähigen Lösungen

6.3 Erfahrungsbericht: „Das würden wir uns gern mit euren Kindern trauen.“

6.4 Eltern in Beteiligungsprozesse einbeziehen

6.5 Praxisbeispiele für Partizipationsprojekte gemeinsam mit Eltern

6.6 Partizipation verändert die Elternsicht

6.7 Wie Eltern Partizipation empfinden – Ein Erlebnisbericht

Schlussbemerkung

Anhang

Rechtliche Grundlagen

Literatur

Danksagung

Vorwort

Im Morgenkreis der Kita-Gruppe gibt es heute etwas Wichtiges zu besprechen. Luna war bei einem Arzt und der hat festgestellt, dass sie allergisch auf Nüsse reagiert. Die Kindergruppe sitzt nun zusammen und plant den nächsten Frühstückseinkauf. Dabei steht die Frage im Raum, wie in Zukunft mit diesem Problem umgegangen werden soll. Luna erzählt von ihrem Jucken im Mund und dem Arztbesuch: „Der hat gesagt, ich darf kein Nutella mehr essen. Das ist ganz doof. Ich mag doch so gerne Nutella. Und wenn das auf dem Frühstückstisch steht, dann esse ich das bestimmt wieder“, meint sie traurig. Die anderen Kinder überlegen einen Augenblick „Und wenn wir alle aufpassen, dass du kein Nutella isst?“, entgegnet Andreas schließlich. „Aber ich mag doch so gerne Nutella!“, sagt Luna, ohne weiter auf die Bemerkung von Andreas einzugehen. Einen Moment ist es ruhig. Dann schlägt Besa vor: „Na, dann gibt es ab jetzt eben kein Nutella mehr bei uns.“ „Nur wenn Luna nicht da ist!“, wirft Andreas ein. Bei der anschließenden von der Erzieherin moderierten Abstimmung entscheiden die Kinder einstimmig, dass es in Zukunft bei ihrem Frühstücksbüfett kein Nutella mehr gibt, dafür aber mehrere Sorten Marmelade und auch Honig eingekauft werden.

Wenn Kinder die Möglichkeit haben, sich zu beteiligen und gemeinsam Lösungen für Probleme zu finden, versetzen sie uns Erwachsene immer wieder in Staunen. Und obwohl Kindergruppen nicht immer so einhellige und beeindruckend soziale Lösungswege wie im Beispiel oben einschlagen, hat das Zutrauen der Erwachsenen in ihre Kompetenzen immer spürbare Auswirkungen. In vielen von uns begleiteten Beteiligungsprojekten konnten wir förmlich sehen und spüren, wie die Kinder mit der an sie übertragenen Verantwortung gewachsen sind. Wie sie Fähigkeiten und Kompetenzen entwickelt haben, die wir ihnen vorher nicht zugetraut hätten. Deshalb möchten wir mit diesem Buch pädagogische Fachkräfte ermutigen, sich auf Partizipationswege zu begeben, vielfältige Erfahrungen zu sammeln und so ein neues Bild vom Kind zu gewinnen.

Michael Regner/​Franziska Schubert-Suffrian

KAPITEL 1

Was bedeutet Partizipation in Kindertageseinrichtungen?

In diesem Kapitel erfahren Sie…

was der Begriff Partizipation bedeutet,

warum Partizipation die Grundlage für eine demokratische Gesellschaft ist,

warum Kinder für Selbstbildung unbedingt Beteiligungsprozesse brauchen,

was pädagogische Fachkräfte durch die Abgabe von Macht gewinnen

wie Kinder selbst Partizipation erleben.

1.1Was ist Partizipation? – Eine Annäherung

Allgemeine Begriffsdefinition

Das aus dem Lateinischen ins Deutsche gelangte Fremdwort „Partizipation“ bedeutet ganz allgemein „Teilhabe(n)“, „Teilnehmen“ oder „Beteiligtsein“. Im gesellschaftspolitischen Sinn wird der Begriff „Partizipation“ wie folgt verwendet:

Stichwort: Partizipation

(lat.: Teilhabe). allg.: P. bezeichnet die aktive Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen bei der Erledigung der gemeinsamen (politischen) Angelegenheiten bzw. der Mitglieder einer Organisation, einer Gruppe, eines Vereins etc. an den gemeinsamen Angelegenheiten.

Partizipation ist das lateinische Fremdwort für Teilhabe(n), Beteiligtsein

Spez.: 1) P. bezeichnet die Teilhabe der Bevölkerung an politischen Willensbildungsprozessen, insbesondere an Wahlen und Referenden. 2) In einem rechtlichen Sinne bezeichnet P. die Teilhabe der Bevölkerung an Verwaltungsentscheidungen.

Quelle: Politiklexikon von Schubert/​Klein

Eine allgemeinere Definition hat der ehemalige Leiter des ersten Kinderbüros in Deutschland, Richard Schröder, formuliert: „Partizipation heißt, Entscheidungen, die das eigene Leben und das Leben der Gemeinschaft betreffen, zu teilen und gemeinsam Lösungen für Probleme zu finden.“ (Schröder 1995, S.14.)

Diese Definition, die ursprünglich für ältere Kinder und Jugendliche gedacht war, wird mittlerweile auch häufig für den Kindertagesstättenbereich genutzt, mit dem sich dieses Buch beschäftigt. Wir verwenden hier neben „Partizipation“ den Begriff „Beteiligung“ in gleicher Bedeutung.

Anwendung des Begriffs Partizipation auf Kindertagesstätten

„Seit wir mit Partizipationsprojekten angefangen haben, traue ich den Kindern viel mehr zu. Viele Dinge werden dadurch einfacher, denn die Kinder übernehmen Verantwortung und gestalten mit.“

„Erst habe ich gedacht, das ist schon wieder ein Thema, das wir auch noch umsetzen sollen, aber jetzt merke ich, wie entlastend die Klärungsprozesse im Team und die Aushandlungsprozesse mit den Kindern letztendlich sind.“

(Kommentare von Erzieherinnen aus unseren Beteiligungsprojekten)

Die Beteiligung von Kindern an der Gestaltung ihres Lebensalltags in Kindertagesstätten ist eine Herausforderung. Eine Herausforderung für die Kinder selbst, die pädagogischen Fachkräfte und die Eltern. In Beteiligungsprozessen geht es immer um das Festlegen neuer Grenzen und das Verhandeln von unterschiedlichen Interessen. Partizipation in Kitas ist vielschichtig und berührt die verschiedensten Bereiche. Einzelne Aspekte davon werden im Folgenden herausgegriffen und kurz beleuchtet:

• Partizipation ist die Grundlage für Selbstbildungsprozesse

Bildung kann nicht beigebracht werden, sondern findet immer in Selbstbildungsprozessen statt. Sie können nur durch die Beteiligung der Kinder gewährleistet werden, da Selbstbildung immer in die eigenen individuellen Interessens- und Lebensbezüge eingebettet ist. Nur wenn diese wahrgenommen, gehört und berücksichtigt werden, haben Kinder bestmögliche Bildungschancen.

• Partizipation ist Demokratieförderung

Ohne Partizipation gibt es keine Demokratie

Die Kinder setzen sich in Beteiligungsprozessen mit ihren Wünschen und Bedürfnissen und denen anderer auseinander und gestalten gemeinsam tragfähige Lösungen. Dabei erleben sie eigene Grenzen und die Grenzen der Gemeinschaft. Demokratisches Denken und Handeln wird in partizipativen Prozessen fast „nebenbei“ mitgelernt und erlebt. Partizipation ist also mehr als bloße Teilhabe, sie ist: Mitbestimmen, selbstbestimmen und Verantwortung für sich und die Gemeinschaft übernehmen.

• Partizipation ist teamfordernd und teamfördernd

Partizipation ist eine Haltungsfrage und keine Methode oder ein Programm. Einerseits fordert sie dem pädagogischen Team eine Menge ab, denn Partizipation bedeutet ein Hinterfragen(lassen) der täglichen Arbeit und die Abgabe von Macht. Andererseits bietet sie eine Entlastung, denn die pädagogische Fachkraft ist nicht mehr die Person, die alleine für alles zuständig ist, sondern sie kann gemeinsam mit den Kindern Lösungen entwickeln. Sie kann sich neugierig und fragend auf die Kinder einlassen und auf deren Fähigkeiten vertrauen. Trotzdem ist es für Erwachsene manchmal schwierig, eine ernsthafte Beteiligung auf gleicher Augenhöhe zuzulassen und zu fördern.

Auch unter den Kindern entstehen „Teamprozesse“ durch die erworbenen Beteiligungskompetenzen. Die Kinder haben so die Chance, ihre sozialen Fähigkeiten und Fertigkeiten im Umgang mit den anderen auszuprobieren und weiterzuentwickeln.

•Partizipation ist selbstverständlich

Die Beteiligung ist gesetzlich vorgeschrieben (s. „Rechtliche Grundlagen“ im Anhang, S.138ff.) und insbesondere im Kindertagesstättenbereich oft in den Bildungsplänen der einzelnen Bundesländer verankert. Wenn aus unseren Kindern mündige, engagierte, selbstbewusste und demokratische Bürgerinnen und Bürger werden sollen, dann müssen sie so früh wie möglich die Chance bekommen, ihren Alltag mitzugestalten.

•Partizipation sorgt für Konfliktlösekompetenz

Partizipation fordert alle Beteiligten, Lösungen für die Gemeinschaft zu entwickeln

Das Entwickeln gemeinsamer Lösungen und die Berücksichtigung der Interessen aller Kinder stehen in Beteiligungsprozessen im Vordergrund. Dies erfordert sowohl bei den Kindern als auch bei den Erwachsenen, eigene Anliegen und Ziele zu klären und mit dem Gegenüber zu kommunizieren. In vielen Fällen entsteht in den Kindertagesstätten durch diese Prozesse eine neue, positive Streitkultur.

•PartizipationstärktdieBeziehungzwischenKindernundErwachsenen

Die Beteiligung von Kindern macht Sinn, da die Kinder oft unmittelbar und zeitnah die Ergebnisse und Auswirkungen ihres Engagements miterleben können und sich dadurch stärker mit den gemeinsam ausgehandelten Regeln und Entscheidungen identifizieren.

Erwachsene (pädagogische Kräfte und Eltern) bekommen ein anderes Bild vom Kind und erleben die Kinder als Experten und Expertinnen in eigener Sache. Das Zu- und Vertrauen in die Kinder wird zunehmend größer.

WICHTIGES IM ÜBERBLICK

ZEHN ARGUMENTE FÜR PARTIZIPATION

Beteiligung macht Sinn,

weil Kinder und Jugendliche unmittelbar demokratische Erfahrungen machen können,

weil Kinder und Jugendliche die Auswirkungen ihres Engagements sehen, nachvollziehen und sich damit identifizieren können,

weil Kinder und Jugendliche als Expertinnen und Experten in eigener Sache ernst genommen werden,

weil sie zum Dialog der Generationen anstiftet und das Gemeinwesen belebt,

weil sie ein Recht der Kinder und Jugendlichen ist,

weil sie Konflikte verringern hilft und zu mehr Lebensqualität im Gemeinwesen beiträgt,

weil sie die personalen Ressourcen von Kindern aus sozial benachteiligten Familien stärkt und so ein Weg aus der „Armutsfalle“ ist,

weil sie die Politik durch neue Formen anregt, weil sie die Verwaltung bürgerinnen- und bürgerfreundlicher agieren lässt,

weil kinderfreundliche Kommunen lebenswert für alle sind,

weil Kinderfreundlichkeit und Familienfreundlichkeit wichtige Standortfaktoren und damit auch ökonomisch sinnvoll sind.

(aus: Deutsches Kinderhilfswerk 2010, S.7f.)

Stufen der Beteiligung

Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Partizipation

In Anlehnung an Richard Schröder, Roger Hart (1992) und Wolfgang Gernert (1993) haben wir in Zusammenarbeit mit Kindertageseinrichtungen folgendes Stufenmodell der Kinderbeteiligung entwickelt, das an einem Fallbeispiel erläutert wird:

1.Stufe: informiert werden

Auf der untersten Stufe der Beteiligung geht es darum, den Kindern eine Information angemessen und verständlich zur Verfügung zu stellen. Erwachsene haben dabei die Aufgabe zu klären, welche Informationen die Kinder brauchen, um die jeweiligen Entscheidungen fällen zu können. Diese werden in geeigneter Weise vermittelt. Das klingt zunächst relativ einfach. In der Praxis ist es allerdings nicht immer leicht, die Information für die Kinder so aufzubereiten, dass sie wirklich eine selbstbestimmte Entscheidung fällen können.

••Fallbeispiel: Bau einer Hochebene für den Gruppenraum

Die Kinder werden informiert

Für einen Gruppenraum soll eine neue, „maßgeschneiderte“ Hochebene angefertigt werden. Der beauftragte Tischlermeister erklärt den Kindern, dass er die neue Hochebene so bauen will, wie sie sich das wünschen. Fest steht allerdings schon, dass die Hochebene aus Buchenholz gefertigt werden soll und dass ein bestimmter Betrag nicht überschritten werden darf. auch der Standort im Gruppenraum ist von den Erwachsenen im Vorhinein festgelegt worden. Damit sich die Kinder ein Bild machen können, wie die Hochebene aussehen könnte, hat der Tischler viele Fotos, Zeichnungen und Holzmodelle mitgebracht.

2.Stufe: Gehört werden

In der nächsten Stufe der Beteiligung geht es darum, dass die Bedürfnisse und Ideen der Kinder gehört werden.

•• Fortsetzung Fallbeispiel:

Die Kinder können ihre Ideen äußern

Nachdem der Tischlermeister die Rahmenbedingungen und die grundsätzlichen Möglichkeiten vorgestellt hat, beratschlagen die Kinder mit den Erzieherinnen, was sie für ihre Gruppe gerne umsetzen würden. „Ich will so ne Höhle ganz weit oben zum Kuscheln und Bücher angucken.“ „Unten hin soll unsere Puppenecke mit einer Tür und Fenstern.“

In der darauf folgenden Zeit werden die Ideen von den Kindern gezeichnet und Modelle gebaut. Es entstehen ganz neue, individuelle Ideen, die zum Teil nur noch wenig mit den Vorschlägen des Tischlers gemeinsam haben. auch die pädagogischen Fachkräfte und die Eltern bringen ihre Vorstellungen mit ein.

3.Stufe: Mitbestimmen

Nachdem alle Beteiligten ihre Ideen darstellen konnten, geht es in der Stufe der Mitbestimmung darum, gemeinsam eine Entscheidung zu treffen. Hier steht der gleichwertige Austausch von Argumenten und Standpunkten zwischen Kindern und Erwachsenen im Vordergrund, um gemeinsam zu einer tragfähigen Entscheidung zu gelangen. Die Kinder können dabei die Entscheidung durch ihr Stimmrecht beeinflussen. Die größtmögliche Form der Mitbestimmung beinhaltet, dass jedes Kind und jede pädagogische Fachkraft die gleiche Anzahl an Stimmen bekommt.

••Fortsetzung Fallbeispiel:

Die Kinder bestimmen mit

Die Entscheidung, welche Elemente die neue Hochebene erhalten soll, wird in diesem Prozess von der Mehrheit getroffen. Dabei haben die pädagogischen Fachkräfte und die Kinder das gleiche Stimmrecht. Jeder bekommt die Möglichkeit, jeweils drei Elemente zu bepunkten. Im Prozess haben sich die Erwachsenen darauf verständigt, dass die Eltern nur ein Element bepunkten dürfen.

4.Stufe: Selbst bestimmen

Die Selbstbestimmung stellt die umfassendste Beteiligungsmöglichkeit der Kinder dar. Dies bedeutet aber nicht, dass die immerwährende individuelle Selbstbestimmung jedes einzelnen Kindes Ziel pädagogischen Handelns ist.

Zum einen geht es um die Selbstbestimmung der Kinder als Gruppe. Im oben beschriebenen Prozess würde dies bedeuten, dass die Kinder als Gruppe allein, ohne die Einflussnahme oder Stimmabgabe der Erwachsenen, die Entscheidung treffen, welche Elemente die Hochebene beinhalten soll. Die pädagogischen Fachkräfte hätten in diesem Fall eine ausschließlich moderierende Rolle.

Neben der Selbstbestimmung der Kinder als Individuen steht ihre Selbstbestimmung als Gruppe

Zum anderen geht es dabei um die Selbstbestimmung des Kindes als Individuum. Entscheidungen wie „Ziehe ich Hausschuhe an oder laufe ich barfuß?“ oder „Bastele ich eine Laterne und wenn ja, welche?“ trifft jedes Kind für sich selbst eigenverantwortlich.

Die Erwachsenen überlassen in dieser Stufe den Kindern die Entscheidung.

Bei den oben beschriebenen aufeinander aufbauenden Stufen setzt die aktive Beteiligung der Kinder erst im Bereich der Mitbestimmung und der Selbstbestimmung ein. Die Bereiche Informiert werden und Gehört werden stellen Vorstufen dar, die erforderlich sind, um den Prozess mit den Kindern anzubahnen.

PERSÖNLICHE REFLEXION

In der konkreten Umsetzung in der Kindertagesstätte gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Kinder im Alltag zu beteiligen (Tagesablauf, Regeln, Raumnutzung, Raumgestaltung, Projekte, Feiern, Spiele, Speiseplan, Anschaffungen, Kleidung). Es gibt kaum Themenfelder, die nicht partizipativ bearbeitet werden können. Sie als pädagogische Fachkraft haben die Aufgabe, gemeinsam mit den anderen Teammitgliedern die passenden methodischen Zugänge zu gestalten, um eine Mit- oder Selbstbestimmung der Kinder zu ermöglichen.

Unabdingbare Grundvoraussetzung für jede Art der Beteiligung ist dabei, dass Sie Ihre partizipative Haltung reflektieren und sich immer wieder neu fragen, ob Sie die Kinder wirklich ernsthaft beteiligen wollen.

1.2Wie eignen sich Kinder die Welt an? Selbstbildungsprozesse brauchen Beteiligung

Was bedeutet Bildung bei Kindern?

Wenn die Eltern in einer Kindertagesstätte gefragt werden, welche Wünsche sie für ihr Kind haben, steht der Wunsch nach einer guten Bildung häufig ganz weit oben. Mit „guter“ Bildung ist dann meist gemeint, einen möglichst hoch qualifizierten Schulabschluss zu erreichen.

Dabei wird der Begriff Bildung häufig im Sinne von Wissensvermittlung oder Aneignung von Wissen benutzt. Diese Sichtweise unterstellt, dass einem Kind Wissen und Bildung „beigebracht“ werden können. Die meisten Forschungsergebnisse gehen jedoch inzwischen davon aus, dass niemand unmittelbar bewirken kann, dass ein anderer etwas lernt oder sich bildet. Bildung ist eine Leistung der Kinder, die „das, was um sie herum geschieht, aufnehmen und zu einem inneren Bild ihrer Wirklichkeit verarbeiten“ (Schäfer 2003, S.14). Kinder versuchen, die Welt um sich herum zu verstehen, und das nicht in erster Linie durch die Erklärungen oder Vermittlung von Erwachsenen, sondern durch eigenes Ausprobieren und „Tun“. Sie wollen eigene Hypothesen aufstellen und die Richtigkeit selbst überprüfen. Jedes Kind bildet sich also selbst.

Bildung kommt nicht von außen

Dies bedeutet für die pädagogische Arbeit in der Kindertagesstätte, dass Bildungsprozesse von Fachkräften nur angeregt, unterstützt und begleitet werden können. Wenn ein Kind hingegen kein Interesse am Thema oder am Prozess hat, laufen alle unsere Bemühungen ins Leere (vgl. Schäfer 2003, S.16).

Diese Selbstbildungsprozesse brauchen einen Bezug zur Lebenswirklichkeit der Kinder, sie müssen dort anknüpfen, wo die Kinder gerade stehen, an ihren Interessen und an ihrer Motivation. Dazu ist die Beteiligung der Kinder notwendig. Beteiligung in der Kindertagesstätte ermöglicht, dass Kinder ihre Themen, Interessen und Anliegen einbringen, und gewährleistet damit, dass Bildungsthemen und -prozesse auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder und ihre Lebenswirklichkeit zugeschnitten sind.

Veränderte Lebenswirklichkeiten bedingen neue Bildungsanforderungen

Neben der Frage, wie Kinder sich bilden, spielt auch der Aspekt der Bildungsinhalte eine große Rolle. Welche Kompetenzen und Fähigkeiten brauchen Kinder in der Welt von morgen? Welche Kompetenzen sollte die pädagogische Arbeit in der Kindertagestätte unterstützen und fördern? Die gesellschaftlichen Bedingungen verändern sich heute sehr schnell. Sie sind unendlich komplex geworden und damit für den Einzelnen nur noch schwer überschaubar. Während viele von uns Erwachsenen noch mit einer geringen Anzahl von Fernsehprogrammen und dem Sendeschluss um Mitternacht groß geworden sind, scheint dies für die heutige Kindergeneration kaum noch vorstellbar. Internet, MP3 oder Handy sind für die meisten alltäglich geworden. Auch die Produktionsbedingungen und der Arbeitsmarkt sind in unserer Gesellschaft massiven Veränderungen unterworfen. Nur noch wenige Berufe kommen ohne ständig fortschreitende technische Neuerungen aus. Neben diesen beruflichen Aspekten haben sich auch das Zusammenleben in der Familie und die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung deutlich verändert.

Insgesamt sind also heute sehr viel mehr unterschiedliche und individuellere Lebensentwürfe möglich als noch vor einigen Jahrzehnten. Diese Veränderungen haben natürlich auch immer Einfluss auf unser gesellschaftliches Leben und damit auf Bildungsthemen und Aneignungsmöglichkeiten. Eine Folge der Entwicklung ist, dass immer größere Flexibilität von jedem Einzelnen erwartet wird. Ohne Fort- und Weiterbildung ist beispielsweise berufliches Überleben kaum noch möglich (vgl. Sturzbecher/​Großmann 2003, S.39ff.).

Zu Schlüsselkompetenzen in der modernen Welt werden deshalb:

die Fähigkeit, sich immer wieder neue Inhalte selbsttätig anzueignen (lebenslange Lernprozesse),

Problem- und Konfliktlösekompetenzen,

Kommunikationsfähigkeiten,

Verantwortungsbewusstsein und Verantwortungsbereitschaft sowie

die Fähigkeit, Informationen auszuwählen und zu entscheiden.

Kinder brauchen Angebote zur Selbstbildung

Da niemand vorhersagen kann, welches Wissen im späteren Leben eines Kindes notwendig sein wird, geht es auch in der Kita-Pädagogik nicht mehr in erster Linie darum, eine Bandbreite von „speziellem Wissen“ zu vermitteln, sondern darum, Kindern die Chance zu geben, unterschiedliche methodische, personale und soziale Kompetenzen zur Wissensaneignung auszubilden. Konkret rückt damit das Produkt (also z.B. das Wissen: Ich kann schon bis zehn zählen!), in den Hintergrund und dem Prozess der Aneignung kommt eine entscheidende Rolle zu.

••PRAXISTIPP FÜR ERZIEHER/​INNEN

Es lohnt sich bei der Beobachtung eines Kindes das Augenmerk weniger auf das Ergebnis seiner Aktivität zu richten als auf folgende Fragestellungen: Wie engagiert ist das Kind? Wie kommt es zu Informationen? Welche Wege geht es, um sich neue Inhalte anzueignen? Wie kooperiert es dabei mit anderen? Überträgt das Kind das Gelernte auf andere Bereiche? Traut es sich auch neue Herausforderungen zu?

Partizipationsprozesse fördern die sozialen Fähigkeiten von Kindern

Um vielfältige lernmethodische Kompetenzen zu entwickeln, braucht jedes Kind Zutrauen in seine eigenen Fähigkeiten, die Überzeugung, etwas bewirken zu können, und Kooperationsfähigkeit. In Partizipationsprozessen bekommen die Kinder die Möglichkeit, diese personalen und sozialen Fähigkeiten weiter zu entwickeln (vgl. Sturzenhecker/​Knauer/​Richter/​Rehmann 2010). Sie erhalten die Chance, ihre eigene Meinung zu äußern und zu vertreten. Ihre Äußerungen werden wahrgenommen und zum Gegenstand von Aushandlungsprozessen gemacht. Sie erleben, wie wichtig ihr persönlicher Beitrag für die Gruppe ist, und entwickeln damit die Überzeugung, etwas in der Kita bewirken zu können. Dabei eignen sie sich nicht nur für sich isoliert Fähigkeiten an, sondern erarbeiten Strategien, um gemeinsam mit anderen Kindern und Erwachsenen Probleme zu lösen. Kommunikationsfähigkeiten, individuelle Lösungskompetenzen und die Fähigkeit zu kooperieren werden kontinuierlich weiterentwickelt und sorgen damit für den Ausbau des eigenen Handlungsrepertoires.

Transparente Entscheidungen fördern das Verantwortungsbewusstsein

Zudem erfahren die Kinder im Beteiligungsprozess sowohl die eigenen Grenzen als auch die Grenzen, die ihnen die Gemeinschaft setzt. Nicht alle Bedürfnisse und Wünsche können berücksichtigt werden. Die Entscheidungsfindung ist dabei nicht mehr der unsichtbare Prozess, der in einer Person – meist einem Erwachsenen – abläuft, sondern ist für alle sichtbar, beeinflussbar und nachvollziehbar. Die Kinder erfahren, was geschieht und wo, wie und warum es geschieht. Dies erleichtert es ihnen, die Prozesse zu begreifen, und erweitert gleichzeitig ihre Fähigkeit, Konflikte auszuhalten und sozial akzeptiert auszutragen. Nicht eine pädagogische Fachkraft hat entschieden, dass es Eis zum Nachtisch gibt, sondern die Mehrheit der Kinder aus der Gruppe. Diese Entscheidung zu akzeptieren und mitzutragen, auch wenn sie nicht dem eigenen Wunsch entspricht, fällt den Kindern meist leichter als bei einer alleinigen Entscheidung durch die Erwachsenen.

In Beteiligungsprozessen erleben Kinder, dass ihr Handeln Folgen hat. Dies ermöglicht es ihnen, ihr Vorgehen einzuschätzen und zu überdenken („Wenn ich mich entscheide, nicht zu frühstücken, muss ich bis zum Mittag warten und bekomme vielleicht Hunger“). So können sie nach und nach Verantwortung zunächst für sich selbst und später auch für andere übernehmen. Diese Fähigkeit wird gerade in unserer vielschichtigen Gesellschaft von heute, in der es eine Vielzahl von Lebensentwürfen und Möglichkeiten gibt, immer wichtiger.

1.3Demokratie in der Kita

„Unter Demokratie verstehe ich, dass sie dem Schwächsten die gleichen Chancen einräumt wie dem Stärksten.“

Mahatma Gandhi (1869–1948), Führer der indischen Befreiungsbewegung

Demokratie beginnt bei den Kindern

In der Bundesrepublik Deutschland leben wir in einer demokratischen Gesellschaft, die uns Mitbestimmung und Selbstbestimmung in Grenzen ermöglicht und uns weitgehend die Verantwortung für unser Leben überlässt. Diese Staatsform und gleichzeitig Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist in den letzten sechzig Jahren gewachsen. Dabei hat sich unser Verständnis von Demokratie und Teilhabe in den letzten Jahrzehnten verändert. „Herkömmliche Formen politischer Partizipation, wie etwa die Teilnahme an Wahlen, sind durch Formen wie Demonstrationen, Unterschriftensammlungen, Petitionen etc. erweitert worden.“ (Aus: Olk/​Roth 2007, S.38.)

Beteiligung macht aus Kindern mündige Bürger

Wenn diese demokratische Gesellschaftsform erhalten und gestärkt werden soll, dann müssen wir uns auch fragen, wie Kinder auf dieses System vorbereitet werden können. Wo können Kinder Erfahrungen im demokratischen Aushandeln von Interessen sammeln? Wie können sie in eine Gesellschaft hineinwachsen, die die aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger voraussetzt?

Untersuchungen wie die Studie „Vita gesellschaftliches Engagement“, die das Deutsche Kinderhilfswerk 2007 herausgegeben hat, belegen, dass aus Kindern und Jugendlichen, die sich selbst als aktiv gestaltend erfahren konnten, auch Erwachsene werden, die sich eher als andere an der Gestaltung des Gemeinwesens beteiligen. Fast 83Prozent derjenigen, die sich heute gesellschaftlich stark engagieren, haben dies bereits in der Kindheit und Jugend getan. Wenn also vermieden werden soll, dass sich Menschen dem parlamentarischen System und der aktiven Mitgestaltung unserer Gesellschaft entziehen oder verweigern, brauchen wir Orte an denen Partizipation gelernt und gelebt werden kann.

Kindertagesstätten sind der erste öffentliche Raum, in dem sich Kinder regelmäßig ohne ihre Eltern bewegen. Hier erleben sie häufig das erste Mal, wie eine größere Gemeinschaft funktioniert. Jede Kindertagesstätte bietet durch die gemeinsame Gestaltung des Alltags grundsätzlich vielfältige Möglichkeiten, demokratische Strukturen und ein demokratisches Grundverständnis beim „Tun“ kennenzulernen und zu erleben.

Kinder sind Experten in ihren eigenen Belangen

Wenn ernsthaft und nachhaltig demokratische Prozesse gestaltet werden sollen, gelingt das nicht ohne die Beteiligung der Kinder. Dies bedeutet, in der Kindertagesstätte Bedingungen zu schaffen, die es Kindern ermöglichen, verändernd in die Strukturen, Regeln, und Entscheidungen des Alltags einzugreifen. Partizipation ist damit der Schlüssel zur Demokratie.

Kinder lernen demokratisches Handwerkszeug kennen, indem sie

Gesprächs- und Diskussionsregeln erproben,

Wahrnehmung, Achtung und Aushandlung von Interessen in Gruppen erleben,

Interessenvertretung durch Delegation von Beauftragten kennenlernen,

mitbestimmen und selbst bestimmen,

demokratische (Entscheidungs-)Strukturen kennenlernen,

lernen, Verantwortungsbewusstsein für sich und die Gruppe zu übernehmen.

Dazu bedarf es einer partizipativen Haltung der Erwachsenen, die den Kindern wirkliche demokratische Beteiligungsmöglichkeiten und Entscheidungsräume zugesteht. Es geht um eine Auseinandersetzung auf gleicher Augenhöhe bei Akzeptanz des Expertenwissens der Kinder für ihre Belange. Interessen werden gemeinsam ausgelotet und ausgehandelt. Dafür ist es notwendig, dass die Erwachsenen einen Teil ihrer Macht abgeben, und dazu müssen die pädagogischen Fachkräfte, aber auch die Leitung und der Träger bereit sein.

1.4Die Macht der Erwachsenen

Erwachsene und Kinder haben in unserer Gesellschaft nicht die gleichen Entscheidungsrechte über Mittel, Personen und soziale Systeme. Erwachsene entscheiden zumeist über die räumliche Nutzung, finanzielle Mittel, Strukturen und Umgangsformen. Sie bestimmen darüber, welches Verhalten zu akzeptieren ist und welches nicht, über Regeln und darüber, was richtig oder was falsch ist. Auch in jeder Kindertagesstätte besteht ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen. Dies ist für uns so selbstverständlich, dass es selbst im pädagogischen Kontext nur selten zum Thema gemacht wird.

Wenn Kinder an Entscheidungen beteiligt werden sollen, stehen die Erwachsenen vor der Frage, in welchen Bereichen und wie weitgehend sie ihre Macht mit den Kindern teilen wollen. Denn die entscheidende Grundlage für die verlässliche Beteiligung der Kinder ist die freiwillige und bewusste Machtabgabe der Erwachsenen. Nur wenn pädagogische Fachkräfte bereit sind, auf einen Teil ihrer Entscheidungsmacht zu verzichten, wird es möglich, den Kindern Mitbestimmungs- oder Selbstbestimmungsrechte einzuräumen. Dies bedeutet für die pädagogischen Fachkräfte, sich mit der Frage der Erwachsenenmacht in der Kita und der eigenen Rolle auseinanderzusetzen. Das Ziel ist dabei nicht eine Umkehr der Machtverhältnisse wie in Herbert Grönemeyers Lied „Kinder an die Macht“, sondern die eigene Macht im Umgang mit den Kindern wahrzunehmen, bewusst zu teilen und zu reflektieren.