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Dieses eBook: "Pauline" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: "Du kennst diesen kleinen Hafen mit seiner Bevölkerung von Fischern; er ist einer der malerischsten Punkte der ganzen Normandie. Ich blieb hier einige Tage, um Ausflüge in die Umgegend zu machen, Abends aber hörte ich am Kamine den Erzählungen meiner sehr ehrenwerten Wirtin, Madame Oseraie, von sonderbaren Ereignissen, deren Schauplatz seit drei Monaten die Departements Calvados, Loiret und la Manche geworden waren, zu. Es handelte sich um Räubereien, die mit außerordentlicher Geschicklichkeit und Kühnheit ausgeführt wurden. Reisende waren zwischen den Dörfern Buisson und Sallenelles verschwunden; man hatte den Postillon mit verbundenen Augen an einen Baum angebunden, den Postwagen auf der Chaussee und die Pferde ruhig weidend auf einer nahe liegenden Wiese gefunden." Alexandre Dumas (1802-1870) war ein französischer Schriftsteller. Heute ist er vor allem durch seine zu Klassikern gewordenen Historienromane bekannt, etwa Die drei Musketiere und Der Graf von Monte Christo.
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Seitenzahl: 256
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Gegen das Ende des Jahres 1834 waren wir eines Sonnabends Abends in einem kleinen, an den Fechtsaal des Herrn Grisier stoßenden Salon versammelt. Das Rappier in der Hand, die Zigarre im Munde, hörten wir die weisen Theorien unseres Professors, die von Zeit zu Zeit durch Anekdoten unterbrochen wurden, als die Türe sich öffnete und Alfred von Nerval eintrat.
Diejenigen, welche meine Reise in die Schweiz gelesen haben, werden sich vielleicht noch dieses jungen Mannes erinnern. Er begleitete damals eine Geheimnisvolle, verschleierte Dame und ich traf zum ersten Male mit ihm zu Fluelen zusammen, als ich mit Francesco nach der Barke eilte, die uns zum Steine Wilhelm Tell's bringen sollte. Sie werden sich dann auch noch erinnern, daß Alfred von Nerval, der, wie ich hoffte, mein Reisegesellschafter werden sollte, die Abfahrt des Fahrzeuges beschleunigte, ohne mich zu erwarten und vom Ufer abstieß, als ich wenigstens noch dreihundert Schritte davon entfernt war. Er gab mir aus der Barke mit der Hand ein Zeichen des Abschieds und der Freundschaft, welches ich so deutete: »Lieber Freund, es würde mir zum großen Vergnügen gereicht haben, dich wieder zu sehen, aber ich bin nicht allein und . . . Ich antwortete durch ein anderes Zeichen, welches sagen sollte: »Ich verstehe vollkommen, blieb stehen und verneigte mich zum Zeichen meines Gehorsams gegen diese Entscheidung, so streng sie mir auch erschien, weil ich aus Mangel eines Fahrzeuges erst den Tag darauf abreisen konnte. In's Gasthaus zurückgekehrt, fragte ich, ob Einer jene Dame kenne; allein man wußte nichts von ihr, als daß sie sehr leidend zu sein scheine und sich Pauline nenne.
Dieses Zusammentreffen hatte ich bereits wieder vergessen, als ich beim Besuch der warmen Quellen, welche die Bäder von Pfeffers mit Wasser versehen, in der langen unterirdischen Gallerie Alfred von Nerval auf mich zukommen sah. Er hatte dieselbe Dame am Arme, die ich schon mit ihm in Fluelen gesehen hatte, und die mir schon damals, wie ich bereits erzählt habe, deutlich den Wunsch zu verstehen gab, unerkannt zu bleiben. Auch diesmal schien sie ihr Incognito behaupten zu wollen, denn ihre erste Bewegung war, sich umzudrehen. Unglücklicher Weise erlaubte der Weg, den wir gingen, weder zur Linken noch zur Rechtes ein Ausweichen. Es war eine Art Brücke ans zwei feuchten, schlüpfrigen Brettern zusammengesetzt, die, anstatt quer über den Abgrund gelegt zu sein, in dessen Tiefe die Tamina in ihrem Bett von schwarzem Marmor hinbrauste, an einer der Wände dieses unterirdischen Ganges ungefähr vierzig Fuß über dem Strombette hinliefen, nur durch einige in den Felsen eingefügte Balken gestützt. Die Geheimnisvolle Begleiterin meines Freundes sah wohl ein, daß hier kein Entkommen möglich sei, und nahm ihre Maaßregeln. Sie ließ ihren Schleier herab und kam gerade auf mich zu. Ich erzählte bereits in meiner Reisebeschreibung den sonderbaren Eindruck, welchen die blasse, gleich einem Schatten Süchtige Dame auf mich machte, als sie am Rande dieses Abgrundes hinschritt, ohne Zagen, ohne Unruhe, wie ein Wesen einer andern Welt. Bei ihrer Annäherung lehnte ich mich an die Felswand, um so wenig als möglich Platz einzunehmen. Alfred wollte sie allein voranschreiten lassen, allein sie hielt seinen Arm fest, so daß wir uns in einem Augenblicke alle drei auf einem Raume von höchstens zwei Fuß Breite befanden. Aber dieser Augenblick war kurz wie das Leuchten eines Blitzes. Die Geheimnisvolle Dame, den Feen gleichend, die sich über die Ufer der Flüsse beugen und ihre Schleier in dem Schaume der Wellen spielen lassen, neigte sich über den Abgrund und passierte, wie durch ein Wunder, den engen schlüpfrigen Pfad, jedoch nicht schnell genug, um mich nicht einen Blick in ihr ruhiges, sanftes, obgleich durch Leiden gebleichtes und abgemagertes Gesicht tun zu lassen. Ich glaubte diese Figur jetzt nicht zum ersten Male zu erblicken, in meinem Geiste leuchtete eine dunkle Erinnerung auf, eine Rückerinnerung an Salons, Bälle und Feste; es dünkte mir, als habe ich diese Dame mit dem jetzt so abgezehrten, traurigen Gesichte schon gekannt, jedoch fröhlich, mit rosigen Wangen, geschmückt mit Blumen, davongetragen von einem langsamen Walzer oder einem stürmischen Galopp. Wo und wann? das wußte ich nichts Es war nur eine Vision, ein Traum, ein Echo meines Gedächtnisses, welches nichts Bestimmtes, nichts Wirkliches an sich trug, und mir entwischte wie ein Nebel, den man erhaschen will. Ich kehrte mit dem Entschlusse zurück, sie jedenfalls wieder zu sehen und hätte ich bei Erreichung meines Zweckes unbescheiden sein sollen. Allein weder sie, noch Alfred fand ich mehr in Pfeffers, obgleich ich nur eine halbe Stunde abwesend gewesen war.
Zwei Monate waren seit diesem zweiten Zusammentreffen verflossen und ich befand mich zu Baveno am lago maggiore. Es war ein schöner Herbstabend, die Sonne verschwand eben hinter den Alpen und die Schatten der Nacht stiegen am östlichen Himmel auf, welcher sich mit Sternen zu besäen begann. Vom Fenster meines Zimmers auS gewahrte man in der Ebene eine Terrasse, die ganz mit Blumen bedeckt war. Ich stieg auf dieselbe hinab und befand mich in einem Walde von Rosenlorbeeren, Myrthen und Orangen. Die Blumen sind für uns ein so angenehmer Gegenstand, daß wir uns selten begnügen, von ihnen umgeben zu sein, wir wollen sie in der Nähe genießen und wo wir sie auch finden, sei, es im Felde oder im Garten, ein innerer Trieb veranlaßt uns, sie zu pflücken, sie zu einem Strauße zu winden, damit ihr Geruch uns begleite, ihr Farbenglanz uns erfreue. Auch ich widerstand der Versuchung nicht. Ich brach einige der wohlriechenden Zweige und lehnte mich auf die Brustwehr von Granit, welche die Aussicht über den See gewährte, von dem sie nur durch die große Straße von Genf nach Mailand getrennt ist. Kaum war ich da, so tauchte der Mond auf der Seite von Sesto empor; seine Strahlen beleuchteten die Gebirge, die den Horizont begrenzten und erglänzten auf dem Gewässer, welches zu meinen Füßen ruhig schlief und die Strahlen wie ein unermeßlicher Spiegel zurückwarf. Alles war still, kein Geräusch ließ sich hören weder auf der Erde, noch auf dem See, noch am Himmel; die Nacht begann ihren Lauf mit majestätisch melancholischem Ernste. Da ertönte von einem dichtbelaubten Baume zu meiner Linken, dessen Wurzeln sich im Wasser des Sees badeten, harmonisch und zart der Gesang einer Nachtigall. Es war der einzige Ton, der erwachte; er erhielt sich einen Augenblick zierlich und tactmäßig und endete dann plötzlich in einem Laufe. Nun ließ sich, gleichsam als wenn dieser Ton einen an dem, ganz verschiedenen geweckt hätte, das ferne Rollen eines Wagens vernehmen, wie es schien, von Doma d'Ossola kommend. Der Gesang der Nachtigall begann von Neuem und ich vernahm wieder nur den Vogel Juliens. Als er endigte, hörte ich wiederholt das Rollen des Wagens näher und näher. Er kam schnell; so schnell er sich jedoch auch näherte, so hatte meine melodienreiche Nachbarin noch Zeit, vor seiner Ankunft wieder ihr nächtliches Gebet zu beginnen. Aber kaum hatte sie dieß Mal ihren letzten Ton entsandt, so erschien an der Krümmung der Straße eine Postchaise, von zwei Pferden gezogen, im Galopp, und nahm ihren Weg nach dem Gasthause. ungefähr noch zweihundert Schritte entfernt knallte der Postillon heftig mit der Peitsche, um den Kameraden seine Ankunft anzuzeigen, und in der Tat knarrte auch sogleich das große Thor in seiner Angel, aus welchem ein neues Gespann vorgeführt wurde. In demselben Augenblicke hielt der Wagen unter dem Altan, über dessen Geländer ich mich bog.
Die Nacht war, wie schon gesagt, so rein, klar und von Wohlgerüchen durchduftet, daß die Weisenden das Verdeck des Wagens zurückgeschlagen hatten, um die süßen Gerüche besser genießen zu können. Es waren deren zwei: ein junger Mann und eine junge Dame. Letztere, in einen Shwal oder Mantel gehüllt, hatte den Kopf zurückgelehnt auf den Arm des jungen Mannes, welcher sie unterstützte. In dieses Augenblicke trat ein Postillon mit einem Lichte an den Wagen, um die Laternen an demselben anzuzünden; ein heller Strahl fiel auf die Reifenden und ich erkannte Alfred von Nerval und Pauline.
Immer er und immer sie! Es schien, als wenn eine höhere Macht, nicht der Zufall, uns stets wieder zusammenführte! Immer sie, aber so verändert, seitdem ich sie zu Pfeffers sah, so blaß, so hinsterbend, daß sie nur noch ein Schatten zu sein schien; und dennoch riefen diese abgezehrten Züge meinem Geiste noch jenes dunkle Frauenbild zurück, welches gleichsam auf dem Grunde meines Gedächtnisses schlief, bei jeder dieser Erscheinungen emportauchte und über die Oberfläche desselben hinwegglitt wie ein Traum Offian's über die Nebel. Ich war in Begriff, Alfred anzurufen, allein ich erinnerte mich, wie sehr seine Begleiterin wünschte, nicht gesehen zu werden. Dennoch zog mich ein Gefühl von Mitleid zu ihr hin und veranlaßte mich, ihr wenigstens durch ein Zeichen bemerklich zu machen, daß es noch Jemand gebe, der inbrünstig zu Gott bete, ihre zum Entfliehen bereite Seele möge den wohl gebildeten Körper, den sie belebte, noch nicht sobald verlassen. Ich zog eine Visitenkarte aus der Tasche, schrieb auf deren Rückseite die Worte: »Gott schenke den Reisenden seinen Schutz, tröste die Betrübten und heile die Leidenden. Diese Karte legte ich zwischen die Myrthen, Orangen - und Rosenzweige, die ich gepflückt hatte, und ließ den Strauß in den Wagen fallen. In demselben Augenblicke fuhr der Postillon ab, doch bemerkte ich noch, wie Alfred sich aus dem Wagen bog und die Karte an das Licht der Laterne hielt. Er drehte sich hierauf nach mir um, gab mir mit der Hand ein Zeichen, und der Wagen verschwand.
Das Rollen der Chaise entfernte sich mehr und mehr, ohne jedoch diesmal von dem Gesange der Nachtigall unterbrochen zu werden. Umsonst wandte ich mich nach der Seite des Gebüsches und verweilte noch eine Stunde auf dem Altan; ich wartete vergebens! Tieftraurige Gedanken bemächtigten sich meiner; ich dachte mir, der Vogel, welcher soeben noch gesungen hatte, sei die Seele jener jungen Dame, die der Erde ihr Schwanenlied gesungen, und nun nicht mehr singe, weil sie bereits aufgestiegen gen Himmel!
Die bezaubernd schöne Lage des Gasthofes zwischen den Alpen, welche hier endigen, und Italien, welches hier beginnt, diese Gegend so still, und doch wieder so belebt durch den Iago maggiore mit seinen drei Inseln, deren eine einen Garten, die andere ein Dorf und die dritte einen Pallast trägt, dieser erste winterliche Schnee, welcher die Gipfel der Berge bedeckte, diese letzten warmen, herbstlichen Lufthauche, welche das mittelländische Meer entsandte, Alles dieses hielt mich acht Tage in Baveno zurück. Dann reiste ich nach Arona und von da nach Sesto Calende.
Hier erwartete mich eine letzte Erinnerung an Pauline; hier war der Stern erloschen, den ich hatte am Himmel vorüberziehen sehen, hier hatte der Fuß, der so flüchtig am Rande des Abgrundes dahin schritt, am Grabe gestrauchelt, und die verlorene Jugend, die verwelkte Schönheit, das gebrochene Herz deckte ein Stein. Dieser Schleier des Grabes, eben so Geheimnisvoll über den ganzen Körper gebreitet, als im Leben der Schleier nur das Gesicht verhüllt hatte, zeigte der Neugierde der Welt nichts als den Namen Pauline.
Ich ging, um dieses Grab zu sehen. Im Gegensatz zu den Gräbern Italiens, welche sich gewöhnlich in Kirchen befinden, erhob sich dieses in einem reizenden Garten, auf der Höhe eines mit Gebüsch bewachsenen Hügels, nach der Seite zu, welche die Aussicht nach dem See gewährt. Es war Abend; der Stein erglänzte in den Strahlen des Mondes, ich ließ mich an der Seite desselben nieder und strengte mein Gedächtniß an, noch ein Mal alle die zerstreuten und vorüberwogenden Erinnerungen an diese junge Dame zu sammeln. Aber auch dieß Mal war Alles vergebens. Ich konnte nichts finden als formlose Schatten, keine Gestalt mit festen Umrissen und entsagte endlich den weiteren Versuchen, in dieses Geheimnis einzudringen, bis ich Alfred von Nerval wieder sehen würdet
Man wird leicht begreifen, wie sehr sein unerwartetes Erscheinen in einem Augenblicke, wo ich seiner am wenigsten gedachte, meinen Geist und meine Einbildungskraft mit neuen Ideen erfüllte. In einem Ru schwebte mir Alles wieder vor meinen Gedanken vorüber: ich sah die Barke wieder, welche mir auf dem See entschlüpfte, die unterirdische Brücke, dem Vorhofe der Hölle ähnlich, wo die Reisenden wie Schatten erscheinen, das kleine Wirthshaus, an welchem der Sterbewagen vorüberfuhr, endlich den weißen Stein, auf welchem man beim Scheine des durch die Zweige von Orangen und Rosenlorbeeren schimmernden Mondes als einzige Grabschrift den Vornamen der jungen Dame liest, die so früh und wahrscheinlich sehr unglücklich starb.
Ich stürzte auf Alfred zu wie ein Mensch, der, lange in einem unterirdischen Gemache eingeschlossen, sich den Strahlen des Tageslichtes entgegen stürzt, die durch eine geöffnete Tür in seinen Kerker fallen. —— Er lächelte traurig und reichte mir die Hand, zum Zeichen, daß er mich verstehe; ich zog mich jedoch schnell zurück und sammelte mich einigermaßen, damit Alfred, seit fünfzehn Jahren mein Freund, die Gefühle, welche mich so heftig zu ihm hinzogen, nicht als Bewegung einer bloßen Neugierde betrachte.
Alfred trat ein. Er war einer der besten Schüler des Herrn Grisier und seit drei Jahren nicht in seinem Fechtsaale erschienen. Das letzte Mal, als er da war, hatte er den folgenden Tag ein Duell zu bestehen, und noch ungewiß, mit welchen Waffen er sich schlagen solle, war er gekommen, sich mit dem Meister zu üben. Seit dieser Zeit hatte ihn Grisier nicht wieder gesehen, sondern nur erfahren, daß Alfred Frankreich verlassen habe und jetzt in London wohne.
Grisier, der auf die Ehre seiner Schüler wie auf die seinige hielt, hatte kaum die gebräuchlichen Begrüßungsformeln mit Nerval gewechselt, als er ihm auch schon ein Rappier in die Hand gab und unter den Anwesenden einen Gegner für ihn wählte, der ihm gewachsen war. So viel ich mich noch erinnere, war es der arme Labattut, der später nach Italien reiste, um in Pisa ein eben so unbekanntes als einsames Grab zu finden.
Beim dritten Gange stieß das Rappier Labattut's auf das Stichblatt der Waffe seines Gegners, zerbrach unter dem Knopfe und zerriß, die Parade durchdringend, den Hemdärmel Alfred's, der sich augenblicklich mit Blut färbte. Labattut warf sogleich sein Rappier weg, indem er, wie wir Übrigen glaubte, Alfred sei ernstlich verwundet.
Zum Glück war es nur ein leichter Riß; allein beim Aufstreifen des Hemdärmels ließ uns Alfred die Narbe einer andern, weit gefährlicheren Wunde bemerken; eine Pistolenkugel hatte die Muskeln der Schulter durchdrungen.
Siehe da, rief Grisier voll Erstaunen, das ist ja eine Wunde, von welcher ich bisher noch nichts wußte!
Grisier kannte uns nämlich so genau, wie eine Amme ihr Kind. Keiner seiner Schüler hatte eine Verletzung am Körper, deren Zeit und Ursache er nicht kannte. Er könnte eine sehr interessante, aber auch sehr anstößige Geschichte von Liebesabenteuern schreiben, wenn er die der ihm bekannten Degenstöße und dessen, was ihnen vorherging, erzählen wollte. Allein das würde zu viel Aufsehen erregen und als Gegenwirkung seinem Amte viel schaden; er wird jedoch seine Memoiren hinterlassen.
Ich erhielt sie, sagte Alfred, nach dem Tage, an welchem ich zum letzten Male mit Ihnen focht, und denselben Tag, an dem ich sie empfing, reiste ich nach England ab.
Ich habe Ihnen wohl gesagt, daß Sie sich nicht auf Pistolen schlagen möchten. Es ist ein angenommener Satz: der Degen ist die Waffe des Tapfern und des Edelmanns; er ist die werthvollste Reliquie, welche die Geschichte von großen, dem Vaterlande zum Ruhme gereichenden Männern aufbewahrt. Man spricht vom Degen Karl's des Großen, vom Degen Bayard's, vom Degen Napoleons, aber wer hat je von ihren Pistolen gesprochen? Die Pistole ist die Waffe des Räubers, mit der Pistole auf die Brust läßt man falsche Wechsel unterschreiben, mit der Pistole in der Hand hält man Postwagen an einer Waldecke an, mit der Pistole schießt sich der Banqueroutier die Kugel durch den Kopf. . . die Pistole! Pfui. . . ich lobe mir den Degen! Er ist der Begleiter, der Vertraute des Mannes; er beschützt seine Ehre oder rächt sie.
Alles gut, erwiderte Alfred, aber warum haben Sie selbst sich vor zwei Jahren gegen Ihre Überzeugung auf Pistolen geschlagen?
Bei mir ist das eine andere Sache, ich mußte mich auf jede Waffe schlagen, die man will, ich bin Fechtmeister, und überdieß giebt es Lagen, in denen wir die Bedingungen nicht ablehnen können, die uns auferlegt werden.
Nun wohl, ich bin in der nämlichen Lage gewesen, mein lieber Grisier, und Sie sehen, daß ich mich nicht schlecht aus derselben gezogen habe.
Ja, mit einer Kugel in der Schulter!
Immer besser, als eine Kugel im Herzen!
Und darf man die Ursache dieses Duells wissen?
Verzeihen Sie, mein lieber Grisier, die ganze Geschichte ist noch ein Geheimnis, später jedoch sollen Sie dieselbe erfahren.
Pauline?... fragte ich ihn leise.
Ja, erwiderte er.
Wir erfahren sie also gewiß? fragte Grisier....
Ganz gewiß, versicherte Alfred, zum Beweise, daß ich mein Versprechen erfüllen werde, bitte ich Alfred, mich zum Abendessen zu begleiten, um sie ihm diesen Abend noch zu erzählen, damit Sie dieselbe einst, wenn ihr Kundwerden keinen der dabei Betheiligten mehr unangenehm berührt, in einem Bändchen, betitelt »Braune Erzählungen, oder »Blaue Erzählungen, selbst lesen können. Geduldigen Sie sich also bis dorthin.
Grisier mußte sich demnach fügen. Alfred führte mich mit sich zum Abendessen, wie er mir angeboten hatte, und erzählte mir dann die Geschichte Paulinens.
Jetzt ist jedes Hindernis ihres Erscheinens verschwunden. Die Mutter Paulinens ist gestorben und mit ihr erlosch die Familie und der Name dieses unglücklichen Kindes, deren Abenteuer einer Zeitepoche und einer Lokalität entnommen scheinen, die weit von der entfernt sind, in welcher wir jetzt leben.
Du weist, begann Alfred, daß ich mich der Malerkunst befleißigte, bevor mein braver Onkel starb und mir und meiner Schwester jedem eine jährliche Rente von 30000 Livres hinterließ.
Ich verneigte mich ein wenig, um meine Aufmerksamkeit auf das, was Alfred erzählte, und meine Achtung vor dem Schatten desjenigen zu bezeigen, welcher vor seinem Abschiede von dieser Welt noch ein so gutes Werk gestiftet hatte.
Von nun an, fuhr der Erzähler fort, betrieb ich die Malerei nur zum Vergnügen. Ich beschloß, zu reisen, Schottland, die Alpen und Italien zu sehen, traf deshalb mit meinem Notar ein Arrangement wegen meiner Geldangelegenheiten und reiste nach Havre ab, um von da aus meine Reise nach England anzutreten.
Zu Havre angekommen, erfuhr ich, daß Dauzats und Jadin sich in einem kleinen Dorfe am anderen Ufer der Seine, Namens Trouville aufhielten, und wollte Frankreich nicht verlassen, ohne zwei Kollegen meines frühern Ateliers die Hand zum Abschied gereicht zu haben. Ich mietete ein Boot, war in zwei Stunden in Honfleur und den andern Tag in Trouville; leider aber waren Beide den Tag, vorher abgereist.
Du kennst diesen kleinen Hafen mit seiner Bevölkerung von Fischern; er ist einer der malerischsten Punkte der ganzen Normandie. Ich blieb hier einige Tage, um Ausflüge in die Umgegend zu machen, Abends aber hörte ich am Kamine den Erzählungen meiner sehr ehrenwerten Wirtin, Madame Oseraie, von sonderbaren Ereignissen, deren Schauplatz seit drei Monaten die Departements Calvados, Loiret und la Manche geworden waren, zu. Es handelte sich um Räubereien, die mit außerordentlicher Geschicklichkeit und Kühnheit ausgeführt wurden. Reisende waren zwischen den Dörfern Buisson und Sallenelles verschwunden; man hatte den Postillon mit verbundenen Augen an einen Baum angebunden, den Postwagen auf der Chaussee und die Pferde ruhig weidend auf einer nahe liegenden Wiese gefunden. Dem Generaleinnehmer zu Caen erbrach man die Kasse und entwendete 70000 Francs, während er einem jungen Manne aus Paris, Namens Horaz von Beuzeval, und noch zwei Freunden auf dem Schlosse Burcy, ungefähr Lieues von Trouville, die dorthin gekommen waren, um das Vergnügen der Jagd zu genießen, ein Abendessen gab. Endlich war der Schullehrer von Pont l'Evêque auf dem Wege nach Lisieux, wo er 12000 Francs umwechseln wollte, ermordet worden. Sein Leichnam, von den Mördern in die Toques geworfen, von diesem kleinen Fluße aber wieder an's Ufer getrieben, hatte diese Mordthat enthüllt, deren Urheber jedoch bisher unentdeckt geblieben war, trotz der Tätigkeit der Pariser Polizei, die, durch diese Räubereien beunruhigt, mehrere ihrer geschicktesten Gehilfen in jene Departements gesendet hatte.
Diese Ereignisse und einer der häufigen Aufruhre, deren Ursachen unbekannt waren und damals von den Oppositionsjournalen der Regierung zur Last gelegt wurden, verbreiteten in der ganzen Normandie einen bisher in diesem guten Lande, bekannt durch seine Advokaten und Proceßführer, aber durchaus nicht pittoresk genug zum Aufenthalte für Räuber und Meuchelmörder, einen noch nicht gekannten panischen Schrecken. Was mich betrifft, so gestehe ich, daß ich Anfangs allen diesen Erzählungen keinen großen Glauben beimaß, weil mir dieselben mehr in die einsamen Schluchten der Sierra oder in die wilden Gebirge Calabriens, als in die reichen Ebenen von Falaise und in die fruchtbaren Thäler von Pont-Audemer, die mit Dörfern, Schlössern und Meiereien übersät sind, zu gehören schienen. Räuber konnten meiner Meinung nach nur mitten in einem Walde oder in der Tiefe einer Höhle sich finden. In allen drei oben genannten Departements gab es aber weder einen Schlupfwinkel, der den Namen einer Höhle verdient hätte, noch ein Holzgehäge, welches den eines Waldes hätte in Anspruch nehmen können.
Dennoch wnrde ich bald genötigt, an die Wahrheit dieser Erzählungen zu glauben. Ein reicher Engländer, von Havre nach Alencon reisend, wurde eine halbe Meile von Dives, wo er die Pferde gewechselt hatte, angefallen. Man hatte den Postillon geknebelt und gebunden in den Wagen auf den Platz seiner Passagiere geworfen und die Pferde, den Weg wohl kennend, waren in ihrem gewöhnlichen Schritte zu Ranville angekommen, hatten am Posthause gehalten und ruhig bis zum Anbruche des Tages auf das Ausspannen gewartet. Ein Stalljunge, welcher früh die Türe öffnete, fand den Wagen, der weiter Niemand enthielt, als den armen geknebelten Postillon. Vor den Maire geführt sagte dieser aus, daß er auf der Straße von vier maskierten, Männern angehalten worden sei, die ihrem Äußern nach zu der niedrigsten Volksklasse gehörten. Sie hätten ihn gezwungen, zu halten und die Reisenden zum Aussteigen genötigt. Der Engländer hätte versucht, sich zu verteidigen, es sei, ein Schuß gefallen und im nämlichen Augenblicke habe er ein Stöhnen gehört; gesehen habe er aber nichts, weil man ihn mit dem Gesicht auf die Erde gelegt hätte. Dann habe man ihn geknebelt und in den Wagen geworfen, in welchem er geraden Wegs so sicher, als hätte er seine Pferde geführt, nach der Post gelangt sei,. Die Gendarmerie begab sich sogleich an den Ort, welchen der Postillon als denjenigen bezeichnete, wo das Verbrechen begangen worden war, und in der Tat fand man auch den Leichnam des Engländers in einem Graben von zwei Dolchstichen durchbohrt, von seiner Frau aber bemerkte man keine Spur. Dieses Ereigniß hatte sich kaum 10—12 Lieues von Trouville zugetragen und der Leichnam des Opfers wurde nach Caen gebracht. Ich konnte demnach nicht mehr an der Wahrheit zweifeln und wäre ich so ungläubig wie Thomas gewesen, denn in weniger als 5 bis 6 Stunden konnte ich hingehen und wie er die Finger in die Wunden legen.
Drei oder vier Tage nach dieser Begebenheit, den Tag vor meiner Abreise, beschloß ich, zum letzten Male die Küste zu besuchen, welche ich nun verlassen wollte. Ich ließ das Fahrzeug, das ich, für einen Monat gemiethet hatte, wie man in Paris einen Wagen miethet, gehörig in Stand setzen. Der Himmel war heiter und versprach einen schönen Tag; ich ließ also mein Mittagsbrot und meinen Zeichenapparat bringen und ging ganz allein an Bord. Meine Person machte die ganze Equipage des Fahrzeugs aus.
In der Tat, unterbrach ich ihn, ich kenne deine Ansprüche als Seemann und erinnere mich noch sehr wohl, wie du deine Lehre zwischen der Brücke der Tuilerien und der de la Concorde bei einer Einschiffung mit der amerikanischen Flagge bestanden hast.
Ja, erwiderte Alfred lächelnd,, allein diesmal wäre mir meine Anmaßung beinahe verderblich geworden. Anfangs ging Alles gut. Ich hatte eine kleine Fischerbarke mit einem einzigen Segel, welches ich vom Steuerruder aus regieren konnte. Der Wind kam von Havre und führte mich über das nur leicht bewegte Meer mit einer außerordentlichen Schnelligkeit. Auf diese Weise legte ich in Zeit von drei Stunden acht bis zehn Lieues zurück. Da trat plötzlich Windstille ein und das Meer war ruhig wie ein Spiegel. Ich befand mich gerade der Mündung der Orne gegenüber und hatte zu meiner Rechten die Ebene von Langrune und die Felsen von Lyon, zu meiner Linken die Ruinen einer Abtei, welche zum Schlosse Burcy gehört. Das Ganze bildete eine geschlossene Landschaft, die ich nur zu kopieren brauchte, um ein Gemälde zu entwerfen. Ich zog daher mein Segel ein und machte mich an die Arbeit.
In meine Malerei vertieft, weiß ich nicht, wie lange ich gearbeitet hatte, als ich eine von jenen warmen Brisen über mein Gesicht streichen fühlte, die gewöhnlich die Annäherung eines Sturmes verkünden. Zugleich verwandelte sich die Farbe des Meeres aus Grün in Aschgrau. Ich wandte mich nach der offenen See um und ein Blitz durchzuckte den mit dichten schwarzen Wolken bedeckten Himmel, so daß es schien, als durchfurche er eine Gebirgskette. Da war kein Augenblick mehr zu verlieren. Der Wind hatte sich, wie ich am Morgen hoffte, mit der Sonne gedreht; ich zog also mein kleines Segel auf und richtete das Vorderteil meines Schiffchens gegen Trouville, um die Küste so eilig wie möglich zu erreichen und das Fahrzeug, im Falle der Gefahr, an derselben stranden zu lassen. Aber kaum hatte ich eine halbe Lieue zurückgelegt, so flatterte mein Segel schlaff am Maste herab. Sogleich nahm ich es ab, dieser scheinbaren Ruhe mißtrauend; und in der Tat, kaum war ein Augenblick vergangen, so kreuzten sich mehrere Windstöße, das Meer begann, Wellen zu schlagen und es krachte ein starker Donnerschlag. Das war eine zu beachtende Warnung; und wirklich nahte sich der Sturm mit der Schnelligkeit eines Renners. Ich legte nun meinen Rock ab, nahm in jede Hand ein Ruder und beeilte mich, nach der Küste zu steuern.
Noch war ich zwei Lieues vom Lande entfernt. Zum Glück war es die Zeit der Fluth, und trotz dem, daß ich Gegenwind oder vielmehr gar keinen Wind hatte, denn nur einzelne Windstöße kreuzten sich bisweilen, trieben mich doch die Wellen nach demselben hin. Ich that hinsichtlich des Ruderns mein Möglichstes; der Sturm war aber schneller und erreichte mich endlich doch. Um das Maaß meines Mißgeschicks voll zu machen, begann es Nacht zu werden und es blieb mir kaum Hoffnung, vor Eintritt der Finsternis das Land zu erreichen.
Ich durchlebte eine fürchterliche Stunde. Mein Fahrzeug wurde wie eine Nußschale von den Wellen geschaukelt, folgte allen ihren Bewegungen, stieg und fiel mit ihnen. Noch immer ruderte ich, sah aber endlich ein, daß ich meine Kräfte umsonst erschöpfte. Leicht konnte der Fall eintreten, daß ich mich durch Schwimmen zu retten suchen mußte; deshalb zog ich die Ruder ein, legte sie auf den Boden des Fahrzeuges zu dem Maste und Segel und entledigte mich, das Hemd und die Beinkleider ausgenommen, Alles dessen, was meine Bewegung etwa hindern könnte. Zwei oder drei Mal war ich im Begriff, über Bord zu springen, allein die Leichtigkeit meiner Barke rettete mich. Sie schwamm wie ein Kork und schöpfte keinen Tropfen Wasser, doch fürchtete ich jeden Augenblick, daß sie umschlagen möchte. Einmal glaubte ich, sie stoße an etwas an, allein das Gefühl war so vorübergehend und so leicht, daß die Hoffnung sogleich wieder verschwand. Indessen war es so finster geworden, daß ich nicht zwanzig Schritte weit sehen konnte, und ganz und gar nicht wußte, in welcher Entfernung vom Lande ich mich! noch befand. Plötzlich fühlte ich eine heftige Erschütterung. Es unterlag keinem Zweifel mehr, daß ich angestoßen hatte. War es aber gegen einen Felsen oder gegen das Sandufer der Küste? Eine Welle hatte mich wieder flott gemacht und ich fühlte mich während einiger Minuten mit neuer Heftigkeit fortgerissen. Endlich wurde die Barke mit solcher Kraft vorwärts getrieben, daß der Kiel sich in den Sand grub und das Meer zurückwich, ohne sie wieder mit sich fort zu nehmen. Ich verlor keinen Augenblick, ergriff meinen Palletot und schwang mich, alles Übrige im Stiche lassend, eiligst über Bord. Das Wasser reichte mir nur bis an die Knie und glücklich gelangte ich auf das flache Ufer, bevor mich die Welle erreichte, die sich wieder, wie ein Gebirge, heranwälzte.
Du begreifst wohl, daß ich keinen Augenblick verlor. Ich warf meinen Palletot über die Schultern und eilte, die Küste zu erreichen. Bald fühlte ich auch die kleinen runden Kieselsteine unter meinen Füßen, welche man Strandsteine nennt und die Grenzen der Fluth bezeichnen. Ich fuhr fort, noch eine Zeitlang aufwärts zu steigen. Der Boden änderte nochmals seine Natur; ich ging durch hohe Kräuter, welche auf den Dünen wachsen. Jetzt hatte ich nichts mehr zu fürchten und hielt an, um auszuruhen.