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Nordkorea, Bhutan, Iran und Tibet sind alles andere als beliebte Reiseziele. Abgeschieden, teils von der Außenwelt isoliert, in zerklüfteten Landstrichen gelegen und oft gezeichnet von einer schwierigen politischen Lage, finden Sie dort weder All-inklusive-Hotelanlagen noch Urlaubsangebote zum Entspannen. Wer sich dennoch zu diesen Orten aufmacht, darf sich auf unglaubliche Abenteuer einstellen … Der Autor von »Pauschalreisen für Irre«, Dirk Chervatin, hat es gewagt und diese Orte besucht! Und ja, er hat schier unvorstellbare Abenteuer auf seinen Reisen erlebt … Skurrile Begegnungen statt Animateure am Strand, irre Radtouren durch zerklüftete Gebirge, statt mit der Bimmelbahn durch die Stadt zu eiern, ranziger Yak-Käse in einer Hütte ohne Strom auf 4.800 Meter Höhe, statt einem üppigen Buffet im Hotel ... so laufen Dirk Chervatins Reisen ab, denn er sucht stets nach der einmaligen Erfahrung und dem ganz besonderen Kick. Dafür verzichtet er gerne auf den Komfort einer klassischen Urlaubsreise. Lieber radelt er Hunderte Kilometer auf einem Fahrrad durch Bhutan, besichtigt Kolchosen in Nordkorea und buddhistische Tempel in Tibet. Er nimmt dafür Entbehrungen, außerordentliche Anstrengungen und so manche skurrile Situation gerne in Kauf. Wenn ihm die Nordkoreaner in Spiritus getränkte Muscheln als Abendessen anbieten oder er in Bhutan mit dem Rad über völlig verschlammte Pisten steil bergab radelt, während am Straßenrand der gähnende Abgrund ohne Absicherung klafft, dann spürt er dem Lebensgefühl in Regionen nach, die die allermeisten höchstens vom Namen her kennen und erst recht noch nie besucht haben. Ein ums andere Mal wird es gefährlich, oft kurios und ganz sicher kommt es immer wieder zu Begegnungen mit ganz außergewöhnlichen Menschen. Greifen Sie zudem mittels QR-Codes im Buch digital auf die üppige Fotosammlung des Autors zu, um einen noch besseren Eindruck von seinen Reisen zu bekommen Wenn auch Sie immer schon mal wissen wollten, welches Geschlechtsorgan in Bhutan an jeder Hauswand prangt, dann zögern Sie nicht und holen sich dieses Buch.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Inhaltsverzeichnis
Ihre Zufriedenheit ist unser Ziel!
Vorwort
Nordkorea
Tibet und China
Bhutan
Iran
Meine Fotos
Danksagung
Dirk Chervatin
Pauschalreisen für Irre
Nordkorea, Tibet, Bhutan, Iran – Außergewöhnliche Reiseberichte aus dem Orient und Fernost
Liebe Leser, liebe Leserinnen,
zunächst möchten wir uns herzlich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie dieses Buch erworben haben. Wir sind ein kleines Familienunternehmen aus Duisburg und freuen uns riesig über jeden einzelnen Verkauf!
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Jill & Moni von EK-2 Publishing
Ich verabscheute Pauschalreisen. Das war für mich der Inbegriff von Bettenburgen, überfüllten Stränden, Buffets mit schubsenden Rentnern und Mitreisende, die mir so schwer auf die Nerven gingen, dass ich während einer Safari am liebsten aus dem Jeep gesprungen wäre.
Nachdem ich nämlich in Tansania mit einer Gruppe mittelalter Touris in weißen Socken und Sandalen eine Woche Serengeti in einem kleinen und überfüllten Jeep „erleben“ durfte, habe ich mir geschworen, nie wieder eine Pauschalreise zu buchen.
Die allermeisten meiner Reisen unternehme ich seitdem nach dem Grundsatz „Flug buchen, ankommen und dann mal weitersehen“. Das ging größtenteils gut, von einigen Ausnahmen mal abgesehen.
Auf einer Pauschalreise wäre ich in Buenos Aires wahrscheinlich nicht in einen Raubüberfall geraten, der mit einer Schlägerei endete. Möglicherweise wäre mir auch die Amöbenruhr in Myanmar erspart geblieben. Die Erfahrung, mitten in einer Großstadt in Kuba auf einer überfüllten Kreuzung ein Rad an meinem Leihwagen zu wechseln, weil mir ein paar Idioten an der Ampel ein Ventil gezogen hatten, wäre sicherlich auch an mir vorbei gegangen.
Trotzdem liebe ich dieses unbestimmte Gefühl, abends um 19.00 Uhr in irgendeiner afrikanischen Großstadt herumzulaufen, ohne zu wissen, wo ich später übernachten würde. Mir macht es nichts aus, im Hinterland von Bolivien auf den Nachtbus nach La Paz zu warten ohne jede Ahnung, was mich dort erwartete. Ich möchte im Voraus gar nicht wissen, was ich am zehnten, elften oder zwölften Tag meiner Reise unternehmen würde. Dieses spontane Sich-treiben-lassen war genau mein Ding.
Mir geht es dabei um die Routen und Orte abseits vom Massentourismus. Mich irgendwo anzustellen, um eine vermeintliche Sehenswürdigkeit zu bestaunen, ist mir ein Gräuel.
Allerdings gibt es Reiseziele und Länder, die man nicht „auf eigene Faust“ bereisen kann – zumindest nicht, wenn man berufstätig ist und maximal drei Wochen Urlaub am Stück nehmen kann.
Nordkorea darf man nur als Gruppenreise besuchen. Es ist unmöglich, alleine und unbeaufsichtigt durch das Land zu reisen. Da ich unbedingt dorthin wollte, ohne mich einer Touristengruppe anzuschließen, meldete ich mich sozusagen als Ein-Mann-Reisegruppe an, und siehe da, die nordkoreanischen Behörden genehmigten meine Anfrage. Ich hatte vor Ort drei Aufpasser für mich allein; es war die einzige legale Möglichkeit, auf meine Art durch das Land zu reisen.
Bhutan mit dem Mountainbike zu erkunden, hielt ich für eine super Idee. Zumindest vor Reiseantritt …
China und Tibet wären wahrscheinlich ohne Guide möglich gewesen, aber ich hätte wahnsinnig viel Zeit benötigt. Für jede Region brauchte ich ein eigenes Erlaubnisschreiben, das bürokratisch-umständlich organisiert werden musste. Für die Mount Everest-Region hieß das Ding tatsächlich „Alien Travel Permit“ und wurde – kein Scherz – auf einer Polizeistation im Basiscamp auf über 5.000 Meter Höhe genauestens kontrolliert.
Dieses Buch ist kein Reiseführer, nicht mal ansatzweise. Das können andere viel besser schreiben. Sie finden hier keine Restaurant- oder Hoteltipps. Da hätte ich auch gar nicht viel zu erzählen, da die kulinarischen Angebote beispielsweise in Nordkorea – nun ja – sehr übersichtlich waren. Erfreuliche Schilderungen über die Unterkünfte in Tibet und China passen auf einen Bierdeckel.
Dafür erwarten Sie kurzweilige Schilderungen meiner ganz persönlichen Erfahrungen in sehr ungewöhnlichen Ländern, in die nur wenige Europäer je einen Fuß gesetzt haben. Ich weiß von ganz außergewöhnlichen Regionen und Menschen zu berichten, und meine Reisen brachten mich in so manche absurde Situation …
Ich habe auf meinen Reisen zahlreiche Fotos angefertigt, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Am Ende dieses Buches finden Sie einen Link, über den Sie sich eine pdf-Datei herunterladen können mit einer Zusammenstellung der interessantesten Fotos.
Oft wurde ich gefragt, warum um Himmels Willen ich nach Nordkorea fahren wolle. Nun, die Voraussetzungen damals waren einfach perfekt. Ich war Single, und ich hätte (vermutlich) keine Frau der Welt nach Nordkorea bekommen. Der Zeitpunkt war also günstig.
All die verrückten Geschichten über die Kims, das weltweit restriktivste politische System und der faktisch nicht vorhandene Tourismus machten mich neugierig. Da wollte ich unbedingt hin.
Über ein befreundetes Reisebüro lies ich in der nordkoreanischen Botschaft nach einer Einreisemöglichkeit für mich als Alleinreisenden anfragen. Die Antwort kam prompt: Geht nicht, wir lassen nur Gruppenreisen zu. Okay, kein Problem. Dann bin ich eben meine eigene Ein-Mann-Gruppe. Neue Anfrage gestellt und siehe da, sie wurde genehmigt!
Jetzt wurde es ernst. Ich wurde gefragt, was ich denn alles in Nordkorea besichtigen wolle.
Ich nannte meine drei bis vier Orte, die ich unbedingt sehen wollte. Wieder bekam ich eine schnelle Ablehnung. Gleichzeitig wurde mir mitgeteilt, was ich natürlich alles sehen dürfe. Da ich nicht sehr wählerisch sein konnte, sagte ich also zu.
Nordkorea und ich: Das wird eine Erfolgsgeschichte. So dachte ich jedenfalls.
Der erste Dämpfer kam prompt, und zwar in Form des unaussprechlichen isländischen Vulkans Eyjafjallajökull, der fröhlich seine Vulkanasche in ganz Europa verteilte. Mein Flug sollte am 20. April nach Peking und von dort aus weiter nach Pjöngjang gehen. Leider wurden ab dem 15. April ein Großteil der Flüge gestrichen, so auch meiner. Das Reisebüro meines Vertrauens nahm also Kontakt mit der nordkoreanischen Tourismusagentur auf, um den Flug und die weitere Reise zu verschieben.
Was folgte, gab mir schon mal einen ersten Eindruck von dem Land. Sie glaubten uns die Geschichte mit dem Vulkanausbruch schlicht nicht und unterstellten mir, dass ich nicht mehr in das Land reisen wolle! Unfassbar, dieses Ereignis war wochenlang in der Weltpresse, aber Nordkorea war der einzige Flecken auf Erden, wo niemand davon wusste.
Nach etlichen Mails und Kopien von Internetnachrichten und Zeitungsausschnitten, die dieses einmalige Ereignis dokumentierten, wurde mir dann Glauben geschenkt und man verschob die Reise um zwei Wochen nach hinten. Das Ganze geschah ohne zusätzliche Kosten, worüber ich mich heute noch wundere.
Am 03. Mai ging es dann endlich los. Ich flog von Frankfurt nach Peking und sollte von da weiter nach Pjöngjang fliegen. Am 04. Mai kam ich nach einem völlig ereignisarmen Flug in Peking an und irrte erstmal durch diesen gigantischen Flughafen. Der Weiterflug nach Pjöngjang war auf keiner Anzeigetafel ausgeschildert und niemand konnte mir Auskunft geben.
Nach einer langen und stressreichen Stunde teilte man mir schließlich mit, dass ich zum Terminal 2 fahren müsse. Dafür musste ich aber den Transitbereich verlassen. Gesagt, getan – und schon war ich offiziell in China eingereist. Da ich aber nur ein sogenanntes Single Entry Visum besaß, würde ich beim Rückflug aus Nordkorea eigentlich nicht mehr nach China einreisen können. Ich hatte aber vor, im Anschluss noch ein paar Tage in Peking zu bleiben.
Egal, dachte ich mir, erstmal nach Nordkorea kommen, der Rest wird sich dann klären. Eine leise Stimme in mir sagte, dass das noch Stress geben werde … sie sollte recht behalten.
Jedenfalls reiste ich letztlich aus Peking aus und befand mich wieder im Transit im Terminal 2. Hier lief alles völlig reibungslos ab. Ich holte mein Ticket am Schalter ab und wartete, bis der Flug um 13.00 Uhr startete. Das Gate für den Flug nach Pjöngjang befand sich in der hintersten Ecke des Terminals. Hier saß schon ein Dutzend Nordkoreaner, alles ältere Männer, alle mit großem Parteiabzeichen am Revers, alle mit einer Dose Coca-Cola in der Hand und alle mit zahlreichen Tüten aus den Duty-Free-Shops ausgestattet. Wie es sich halt für parteitreue Hardcore-Sozialisten gehörte: Wasser predigen und Wein trinken. Alle zwölf glotzten mich an wie ein seltenes Tier im Zoo. Ich lächelte in die Runde und winkte ihnen fröhlich zu – keine Reaktion.
Nun gut, dachte ich mir. Ich darf in ein paar Tagen wieder raus, ihr aber müsst dortbleiben.
Schon bald konnten wir uns zu Fuß auf den Weg in die betagte Tupolev-Maschine begeben. Von außen machte das Ding nun nicht den besten Eindruck und es wurde auch überall davon abgeraten, die Dienste der einzigen Fluggesellschaft Nordkoreas, der Air Koryo, in Anspruch zu nehmen. Aber das war die einzige Möglichkeit, in dieses Land zu kommen. Als ich das Flugzeug betrat, hätte ich jedenfalls beinahe laut losgelacht. Das Ding war komplett mit nagelneuen, knallroten Recaro-Sitzen ausgestattet.
Der nordkoreanische Pilot war in seinem früheren Leben sicherlich mal MIG-Kampfjets geflogen und zeigte uns direkt einmal, was man aus so einer alten Kiste alles rausholen kann. Es ging sehr schnell, sehr steil nach oben, und die Kurven zog er auch schnittiger, als ich das sonst so gewohnt war. Da ich zu jener Zeit noch unter recht schlimmer Flugangst litt, war das für mich kein wirkliches Vergnügen. Ich verkrallte mich in meinen roten Ledersitz und hoffte, dass der Flug schnell vorübergehen würde. Der Pilot brachte uns sicher und wohlbehalten an unser Ziel und so landete ich am Nachmittag auf dem Flughafen von Pjöngjang.
Das Flughafengebäude sah aus wie ein vergessenes Relikt aus den 60er Jahren. Riesige Fensterfronten zierten dieses etwa 80 Meter breite und 20 Meter hohe Betongebäude. Links und rechts befanden sich zwei große Landschaftsmalereien, die so typisch für Nordkorea sind. Oben auf dem Gebäude in der Mitte thronte neben dem großen, roten Pjöngjang-Schriftzug das unverzichtbare und allgegenwärtige Gemälde von Kim Il Sung, dem großen Führer und ewigen Präsidenten Nordkoreas, der 1994 im Alter von 82 Jahren einem Herzinfarkt erlegen war.
Die Zoll- und Passkontrolle verlief ohne größere Probleme. Man fragte mich lediglich, ob ich ein Handy bei mir hätte. Dies hätten sie mir abgenommen, weil es strengstens verboten ist, ein solches Gerät ins Land einzuführen, um damit Fotos zu schießen.
Draußen erwartete mich dann meine Entourage: Zunächst war da Han, meine Reiseleiterin, eine circa dreißigjährige, sehr schlanke, recht gutaussehende Nordkoreanerin, die in etwa 160 cm groß war und erstaunlich gut Englisch sprach. Dann war da mein zweiter „Reiseleiter“, Kim, circa 45 Jahre alt, für einen Nordkoreaner recht groß, hager, mit Brille und Anzug, der deutlich schlechteres Englisch sprach und ein massives Alkoholproblem hatte (dazu später mehr). Last, but not least war da unser Fahrer, der mir leider nicht vorgestellt wurde, der aber überhaupt kein englisches Wort von sich gab. Ich fragte irgendwann nach seinem Namen, der recht kompliziert klang, muss aber zu meiner Schande gestehen, dass ich ihn leider wieder vergessen habe. Ich war überzeugt, dass er jedes Wort verstand; oft genug schauten wir uns an und er lächelte wissend. Ein überaus netter Kerl.
Klasse, dachte ich, drei Leute ganz für mich allein! Auf der Fahrt zum legendären Yanggakdo-Hotel unterhielt ich mich ein wenig mit Han. Ihr Vater war als Diplomat in verschiedenen osteuropäischen Ländern gewesen, was ihre Englischkenntnisse erklärte.
Das Yanggakdo-Hotel erlangte 2016 traurige Berühmtheit, als ein junger Amerikaner in die verbotene fünfte Etage eindrang, dort ein Plakat von der Wand entfernte und damit leider erwischt wurde. In einem Schauprozess wurde er zu einer Strafe von 15 Jahren in einem Arbeitslager verurteilt. Nach 17 Monaten in Gefangenschaft verschlechterte sich sein Gesundheitszustand dramatisch, so dass die Nordkoreaner ihn schleunigst in die USA ausfliegen ließen. Unglücklicherweise starb er ein paar Tage später.
Das Hotel ist circa 170 Meter hoch, verfügt über 47 Etagen, 1.000 Zimmer, und liegt auf einer Insel im Fluss Taedong. Ich bezog ein recht ordentliches Zimmer im 38. Stockwerk und war komplett allein auf dieser riesigen Etage. Die Aussicht auf die Stadt war sensationell. Direkt hinter dem Fluss verlief eine Schnellstraße, auf der – wenig überraschend – kaum Verkehr herrschte. Nur Militärs und hohe Parteimitglieder fahren in diesem Land Auto.
In einiger Entfernung konnte ich das sehr futuristisch anmutende Ryugyong-Hotel ausmachen. Leider ist der 330 Meter hohe Bau, der 1987 begonnen worden war, nie fertiggestellt worden. Da hat man sich wohl ein wenig übernommen. Es gibt massive Material- und Konstruktionsprobleme. Typisch für Nordkorea ist, dass die riesige Bauruine totgeschwiegen wird und Stadtpläne und Karten das Hotel nicht ausweisen.
Das Gebäude hatte in etwa die Form einer langgestreckten Pyramide und war recht hübsch anzuschauen.
Mein Zimmer unterschied sich überhaupt nicht von Mittelklassezimmern überall auf der Welt. Ja, die Badezimmerausstattung war recht betagt, aber da war ich aus anderen Ländern noch ganz anderes gewohnt. Es war allerdings auffällig, dass sich das große Fenster komplett öffnen ließ. Ich fand das super, da ich so sehr schöne Aufnahmen von dem sagenhaften Panorama schießen konnte. Aber es stockte mir schon der Atem, wenn ich runterschaute. Ich befand mich immerhin in der 38. Etage!
Ich habe mich oft gefragt, ob ich in meinem Hotelzimmer abgehört oder gefilmt wurde. Falls das der Fall gewesen sein sollte, stellten sie es jedenfalls verdammt gut an. Ich habe nichts bemerkt. Allerdings hatte ich auch keine Lampen oder andere Einrichtungsgegenstände auseinandergenommen, um nachzuschauen. Das wäre mir im Zweifel wohl auch nicht gut bekommen.
Es gab verschiedene Aufzüge im Hotel, aber wirklich spektakulär war der Glasaufzug an der Außenfassade des riesigen Gebäudes, von wo aus man einen tollen Blick auf das Stadion „Erster Mai“ erhaschen konnte – das größte Stadion der Welt. Es fasst mindestens 110.000 Gäste und bietet alljährlich die Kulisse für das berühmte Arirang-Festival, welches ich aufgrund der Aktivitäten des unaussprechlichen isländischen Vulkans leider verpasst hatte. Jenes Festival ist eine gigantische Massenveranstaltung mit über 100.000 Menschen, wo die heroische Geschichte Nordkoreas im Allgemeinen und natürlich die ruhmreichen Taten der Kims im Besonderen nachgetanzt und nachgestellt werden.
Ich erwähnte bereits jenen unglücklichen Amerikaner, der in die verbotene fünfte Etage eindrang. Tatsächlich konnte man die Etage mit dem Aufzug gar nicht anfahren. Auf den Knopf für die vierte Etage folgte auf dem Fuße der Knopf für die sechste. Und wenn ich von der vierten in die sechste Etage fuhr, merkte ich, dass ich eine weitere Etage passierte.
Ich ging unten in eines der Restaurants im Hotel und bekam einen ersten Eindruck was mich kulinarisch die nächste Zeit hier erwarten würde. Es gab lauwarmen Kohl und kalten Reis. Das Ganze wurde serviert in einem riesigen, unpersönlich und kalt wirkenden Raum, in dem ich so gut wie allein saß. Die unfassbar schmutzigen Tischdecken durfte ich in der darauffolgenden Zeit ebenfalls jeden Tag in unterschiedlicher Ausprägung bewundern. Ich bekam zum Essen eine Flasche nordkoreanisches Bier serviert, und das war erstaunlich gut und somit das Highlight des Abends.
Im Laufe der folgenden Tage stellte ich allerdings fest, dass man auf keinen Fall mehr als eine Flasche davon trinken sollte, da man sonst schlimme Kopfschmerzen bekam.
Ich konnte diese Reise übrigens nur mit Vollpension buchen. Mit der einheimischen Währung oder gar frei zugänglichen Restaurants oder Cafés kam ich in Nordkorea nicht in Berührung.
Ich ging zeitig schlafen und freute mich auf den nächsten Tag.
Am nächsten Morgen traf ich meine drei Begleiter pünktlich um 09.00 Uhr vor dem Hotel in einem alten russischen Jeep. Die beiden Männer saßen schweigend vorne; Han und ich nahmen auf der Rückbank Platz. Wir fuhren in die Myohyang-Berge im Norden des Landes. Die Fahrt dauerte zwei Stunden, und nach 160 Kilometer auf einer sehr breiten, völlig verwaisten Autobahn – sie sah eher aus wie eine Panzerstraße – erreichten wir unser Ziel: die sogenannte Freundschaftsausstellung, die in zwei pagodenförmigen Prachtanlagen untergebracht war.
Jene Ausstellung beinhaltet auf mehreren tausend Quadratmetern Gaben und Geschenke von Staatsmännern aus aller Welt und soll dokumentieren, wie unglaublich populär und beliebt die beiden Kims bei den wichtigen Staatsmännern und -frauen waren. Am Eingang holte uns eine junge Nordkoreanerin in einem traditionellen, reichhaltig geschmückten Kleid ab und führte uns durch die Ausstellung. Sie sprach kein Englisch, also musste Han für mich übersetzen. Während wir so durch die Ausstellung schlenderten, interessierte sich die junge Dame allerdings mehr für mich als für ihren Job, und fragte Han alles Mögliche über mich. Ob ich verheiratet sei, ob ich Kinder hätte, oder eine Freundin, was ich beruflich mache und so weiter. Zum Schluss teilte sie uns mit, dass die Kims auch eine Menge lebendige Tiere aus aller Welt geschenkt bekommen hätten und es somit auch einen Zoo gebe. Sie bot mir an, hier als Tierpfleger zu arbeiten und bei ihr zu wohnen. Ich dachte kurz darüber nach und entschied, dass es mir daheim doch noch ein wenig besser gefällt als hier in Nordkorea. Schweren Herzens lehnte ich also dieses verlockende Angebot ab.
Ach ja, die Ausstellung. Alle Geschenke und Ausstellungsstücke befanden sich in großen Vitrinen, die endlose Gänge zierten. Ich hatte das Gefühl, ich wäre in einer Bunkeranlage. Natürlich durfte ich auch hier nicht fotografieren. Einiges von dem unglaublich geschmacklosen Plunder hätte ich allerdings wirklich gerne für die Nachwelt festgehalten. So gab es zum Beispiel ein ausgestopftes Krokodil, das man auf die Hinterbeine gestellt und als Kellner mit Frack und Tablett verkleidet hatte. Auffällig war, dass die allermeisten Geschenke von irgendwelchen Schurkenstaaten in Zentralafrika oder Mittelamerika stammten. Es befanden sich auch unübersehbar viele Waffen in der Ausstellung. Auch solche Menschen dachten pragmatisch. Die mir zugeneigte Dame teilte uns mit, dass die Kims grundsätzlich alle Geschenke selbstlos an diese Ausstellung weitergeben und wirklich nichts für sich selbst behalten würden. Das Volk sollte schließlich die Liebe und Zuneigung der anderen Staatspräsidenten für Nordkorea sehen und gleichzeitig die Großzügigkeit der beiden Kims erkennen.
Alle Geschenke? Naja, nicht ganz. In der Ausstellung fehlten zwei Omega Speedmaster, ein Geschenk aus der Schweiz. Da war die Versuchung doch ein wenig zu groß gewesen …
Die revidierte Romanisierung, also die offizielle Umschrift des Namens der Freundschaftsausstellung, lautet übrigens Gukjechinseonjeonnamgwan.
Anschließend besichtigten wir noch eine sehr schöne, 1.000 Jahre alte buddhistische Tempelanlage, ehe wir in einem nahegelegenen Hotel einkehrten. Meine drei Begleiter wollten mich erst alleine essen lassen. Ich bestand aber darauf, gemeinsam zu speisen. Ich empfand die Gesellschaft meiner Begleiter bisher als sehr angenehm – alle waren bemüht, mir meinen Aufenthalt in Nordkorea so angenehm wie möglich zu gestalten.
Es gab natürlich wieder Reis und Kohl – dieses Mal warm – und dazu eine Flasche Bier, die ich aber nicht trank.
Nach dem Essen fuhren wir wieder zurück nach Pjöngjang, um uns das Fußballländerspiel der Damen zwischen Nigeria und Nordkorea anzuschauen. Das Spiel fand im Kim-Il-Sung-Stadion statt, das 1926 erbaut worden war und eine Kapazität von circa 50.000 Plätzen besaß.
Meine drei Begleiter knöpften mir für den Eintritt 20 Euro ab, worüber ich mich doch arg wunderte. Han erklärte mir, dass Ausländer immer mehr bezahlen müssten. Egal, ich wollte mir die Laune nicht vermiesen lassen und freute mich auf das Spiel.
Im Stadion angekommen, stellte ich Folgendes fest:
Das Stadion war fast voll
Das Publikum bestand zu einer Hälfte aus Soldaten und zur anderen aus Frauen
Ich war der einzige Europäer im ganzen Stadion
Alle Gäste, die ein Fernglas besaßen (und das waren nicht wenige), beobachteten mich
Wir hatten tolle Sitzplätze, fast auf Höhe der Mittellinie. Die Koreaner feuerten ihr Team lautstark an, wenn sie das Treiben nicht gerade durch ihr Fernglas verfolgten. Die Stimmung war sehr angenehm und friedlich.
Während des Spiels begann es zu regnen, was der nordkoreanischen Mannschaft offensichtlich zugutekam. Sie wurde immer stärker.
Nordkorea gewann verdient mit 3:0. Mir fiel auf, dass die nordkoreanischen Spielerinnen alle wie Männer aussahen. Im Gegensatz zu den Nigerianerinnen, die ich durch die Bank weg recht hübsch anzusehen fand, zeichneten die einheimischen Spielerinnen ausnahmslos ein Kurzhaarschnitt und ein auffallend breites Kreuz aus. Dies war auch deswegen bemerkenswert, da die nordkoreanischen Frauen auf mich zumeist außerordentlich hübsch wirkten.
Zum Abendessen fuhren wir in ein kleines Restaurant irgendwo in der Stadt. Es gab traditionellen koreanischen Feuertopf mit Kohl und Reis. Das war richtig lecker! Von dem angebotenen Schnaps ließ ich aber die Finger, ganz im Gegensatz zu meinem zweiten Begleiter Kim, der hier erstmals zeigte, was trinktechnisch so alles bei ihm ging.
Während des Abendessens versuchte Han, eine politische Diskussion mit mir anzufangen. Sie ermunterte mich, offen meine Meinung zu äußern. Dazu verspürte ich aber an jenem Abend, auch weil es ein sehr schöner Tag gewesen war, einfach keine Lust. Ich konnte nicht wirklich einschätzen, ob mir ein offenes Gespräch Erkenntnisse oder doch Arbeitslager einbringen würde …
Im weiteren Verlauf meiner Reise ließ ich mich aber des Öfteren darauf ein und wir führten dann sehr angeregte Diskussionen über koreanische Geschichte und Weltpolitik. Da sie in einigen osteuropäischen Ländern gelebt hatte, hatte sie natürlich eine deutlich umfassendere politische Bildung genossen als ihre Mitbürger. Dennoch merkte ich zu jeder Zeit, dass sie stramm auf Parteilinie getrimmt war. Das führte stets und unmittelbar zu kontroversen Gesprächen, die ausnahmslos ohne Konsens endeten. Trotzdem fing sie immer wieder an, mit mir zu diskutieren. Sie hatte offensichtlich Spaß daran.
Als die drei mich zurück zum Hotel brachten, teilte mir Han mit, dass wir morgen den lieben Führer Kim Il Sung besuchen würden. „Aber der ist doch schon lange tot“, bemerkte ich. Sie schaute mich finster an.
„Wir fahren ins Mausoleum“, sagte sie dann. Mir rutschte ein, „Och nee, muss das sein?“, heraus, worauf sich ihr Blick weiter verfinsterte. Ihre Retourkutsche folgte umgehend. Sie musterte mich abschätzig und sagte: „Und bitte zieh dir etwas Vernünftiges an. Zumindest ein neutrales T-Shirt …“
Abends im Hotel wurde ich gegen 22.00 Uhr von einer mir völlig unbekannten Person angerufen, die mich in schlechtem Englisch darauf hinwies, dass ich kein gültiges Visum für China besäße. Ich war beeindruckt, wie schnell die das herausgefunden hatten.
Am nächsten Morgen um 07.45 Uhr wurde ich dann erneut angerufen und auf das fehlende Visum hingewiesen. Ich konnte aber glaubhaft versichern, dass ich das innerhalb der letzten zehn Stunden nicht vergessen hatte. Ich fuhr mit dem Aufzug ins Restaurant im Erdgeschoss, um zu frühstücken. Dort wartete bereits Kim, mein zweiter Begleiter, und drückte mir einen Visumantrag in die Hand, den ich doch bitte ausfüllen sollte.
Ob ich denn Passfotos dabeihätte?
Sonst immer, heute leider nicht! Was jetzt?
Sodann bezahlte ich Kim 60 Euro für eine neues Visum.
Nach dem Frühstück, es gab wie immer Toast, Butter, jeweils eine Scheibe Käse und Formschinken sowie etwas, das wie Kaffee aussah, aber eher schmeckte wie kaltes Spülwasser, warteten die drei draußen vor dem Hotel auf mich. Es war ein unglaublich nebeliger und trüber Tag. Die Luft war feucht und kalt und ich stand in Jeans, T-Shirt und Turnschuhen vor Han. Sie musterte mich missbilligend. Ich zuckte mit den Schultern. Beim nächsten Mal bringe ich Anzug und Krawatte mit – versprochen! Sie hingegen hatte sich echt chic zurechtgemacht. Sie trug ein zauberhaftes fliederfarbenes Kleid mit aufwändigen Blumenstickereien, dazu hochhackige Schuhe und eine weiße Umhängetasche. Die beiden Männer trugen wie immer einen dunklen Anzug. Ich kam mir vor wie der letzte Penner. Aber ich hatte ein neutrales T-Shirt an!
Erstmal fuhren wir zur chinesischen Botschaft. Wir hielten am Straßenrand, ich kurbelte die Fensterscheibe herunter. Ein Mann, der draußen auf uns wartete, zückte sein uraltes Handy und fotografierte mein völlig verdutztes Gesicht. Fenster wieder hochgekurbelt – das war’s.
Mit den 60 Euro, dem ausgefüllten Visumantrag und dem Handybild hatte die chinesische Botschaft nun alles, um meinem bereits konfiszierten Reisepass einen weiteren China-Stempel zu verpassen.
Weiter ging es zum Mausoleum. Wir liefen durch gigantische Marmorhallen mit riesigen Decken, durch endlose Gänge, über zahllose Treppen, bis wir endlich in jenem Raum angelangten, in dem der große, liebe Führer Kim Il Sung in seinem Glassarkophag seine letzte, nicht ganz so friedliche Ruhe gefunden hatte.
Der Typ sah wirklich schlecht aus. Ho Chi Minh in Hanoi war in deutlich besserem Zustand, aber der wurde auch regelmäßig nach Moskau zu den dortigen Einbalsamierungsspezialisten geflogen.
Das machten die Nordkoreaner mit ihrem geliebten Führer wohl nicht. Entweder hatte das finanzielle Gründe oder, was ich eher glaube, sie waren zu misstrauisch und befürchteten, die Russen würden diese unförmige, mit Formalin vollgepumpte Masse im Anzug nicht wieder herausrücken.
Überall im Raum standen Soldaten und beobachteten mich. Somit war ich gezwungen, mich dreimal vor dem großen Führer zu verbeugen. Ich war froh, als wir den Raum wieder verließen. Wir gelangten in eine weitere riesige Kammer, wo wir die Kim Il Sung verliehenen Orden bewundern durften.
Die meisten stammten von so zwielichtigen Gestalten wie Arafat, Gaddafi und Konsorten – wen wundert’s. Ich hielt mich mit Kommentaren brav zurück – besser ist das. Außerdem war ich Gast in diesem Land und nicht in missionarischer Tätigkeit unterwegs. Für mich war alles „amazing“ und „very impressive“.
Anschließend fuhren wir zu einem Vergnügungspark. Das trübe, graue und trostlose Wetter passte zu den traurigen Attraktionen, die bei uns in Deutschland selbst in den 50er Jahren niemanden vom Hocker gerissen hätten.
Es gab zwei Karussells, eine Achterbahn und so etwas wie einen Autoscooter. Keines der Geräte erweckte einen vertrauenswürdigen Eindruck. Überall blätterte die Farbe ab und es sah aus, als wären diese Fahrgeschäfte schon länger nicht mehr in Betrieb gewesen.
Bezeichnenderweise befand sich außer uns kein einziger Besucher auf der Anlage.
Es wurde peinlich genau darauf geachtet, dass ich bloß nicht mit Einheimischen in Kontakt kam. Auch konnten wir nicht in die wenigen Teestuben oder Imbisse gehen. Begründung: Die Nordkoreaner seien Ausländer nicht gewohnt und die Regierung wünsche keine Kontakte. Auch schön war folgende Ausrede: „Das ist zu gefährlich für dich.“ Ich vermutete, es war eher für die Einheimischen zu gefährlich, mit einem Fremden zu sprechen. Frei nach dem Motto: „Was sprichst Du mit dem Ausländer? Kennst Du den? Bist Du etwa ein Spion?“
Ich hatte mal irgendwo gelesen, dass von den circa 24 Millionen Einwohnern Nordkoreas etwa ein Prozent in Arbeitslagern eingesperrt sind …
Bis auf ganz wenige Ausnahmen, war ich für sämtliche Nordkoreaner auf der Straße und in öffentlichen Gebäuden Luft. Wirklich niemand schaute mich an. Ich gewann den Eindruck, dass die Menschen mit Absicht geflissentlich an mir vorbeiblickten. Da war kein Blick, der mir galt, keine Neugierde, keine Reaktion in irgendeiner Weise auf mich. Wo man in anderen Ländern als Tourist gerne mal zu viel Aufmerksamkeit bekam, war hier genau das Gegenteil der Fall. Manchmal – ganz selten – in Parks oder in der U-Bahn in Pjöngjang trafen mich Blicke, kurz und zufällig. Es gab kein Lächeln, auch keine Erwiderung auf ein freundliches Lächeln von mir. Der Blick wurde sofort und unmittelbar abgewandt. Ich verstand, warum die Menschen so reagierten, und in solchen Momenten taten sie mir unglaublich leid.
Nur einziges Mal erlebte ich Menschen in der Öffentlichkeit ein wenig ausgelassen. Das war in einem Park irgendwo im Süden des Landes, wo es kleinere Personengruppen gab, die ein Picknick veranstalteten und dabei tatsächlich lachten. Nicht laut und herzlich, wie man das vielleicht von uns oder ganz besonders von südeuropäischen Ländern gewohnt war. Es war eher leise und verhalten, und ich gewann den Eindruck, dass die Menschen nicht auffallen wollten.
Wir fuhren zurück ins Hotel, wo ich das Mittagessen – es gab Reis und Kohl – allein zu mir nahm.
Dann ging es weiter in die Filmstudios, die circa 16 Kilometer außerhalb von Pjöngjang liegen. Hier konnte ich Kulissenstraßen bewundern, die europäischen und japanischen Straßenzügen der 30er Jahre nachempfunden waren. Ich fühlte mich ein wenig wie in einer Geisterstadt. Klar, außer uns war ja auch niemand dort. Kim Jong Il, der als großer Filmfan gilt, soll zu diesem Zeitpunkt bereits satte 650-mal hier gewesen sein. Jaja, man zählte akribisch seine Besuche! Mein zweiter Aufpasser Kim erzählte stolz, dass Kim Jong Il bei seinen Besuchen aktiv ins Filmgeschehen eingreife und Anweisungen gebe, die dann auch umzusetzen seien. Ob er das denn auch könne, fragte ich Kim.
„Er kann alles“, bekam ich zur Antwort.
Halt jetzt bloß den Mund, sagte ich zu mir selbst. Ich stellte mir vor, wie sich das ganze Filmteam freute, wenn Kim Jong Il auf dem Set erschien, kurzerhand das Drehbuch umschrieb, Schauspieler feuerte, neue einstellte und den Regisseur massiv unter Druck setzte, während das Damoklesschwert einer langjährigen Haft im Arbeitslager über allen Beteiligten schwebte … So entstanden gute Filme!
Obwohl ich nichts sagte, merkte Kim, dass ich nicht überzeugt war. Vielleicht war es seine kleine Rache, dass ich kurze Zeit später allein in einen muffigen Vorführraum gesteckt wurde und mir zähe 20 Minuten lang einen Ausschnitt aus einem nicht synchronisierten Spielfilm anschauen musste, der auf eben diesem Gelände gedreht wurde. Eine Handlung konnte ich, wahrscheinlich aufgrund des Sprachdefizits, nicht ausmachen. Da standen Menschen um ein Lagerfeuer und stritten, zumindest interpretierte ich das so.
Als ich wieder ans Tageslicht durfte, wo ich mich zunächst über die saubere Luft freute, meinte Kim, dass er auch gerne Filme schaue. Ob er denn westliche Filme kenne, fragte ich ihn.
„Klar“, sagte er, „Titanic, und Vom Winde Verweht.“ Letzterer entsprach ungefähr dem technischen Stand, den die Nordkoreaner aktuell auf dem Gebiet besaßen. Auch verstanden sie etwas völlig anderes unter einer Spannungskurve als die Bewohner der westlichen Hemisphäre.
Weiter ging es zu einer Hochbegabtenschule in Pjöngjang. Hier wurden ausgesuchte Schüler nach dem regulären Schulunterricht in Kunst, Musik und Sport unterrichtet. Wir durften bei den Unterrichtsstunden zuschauen. Es schien, als hätten alle Schüler wirklich Spaß am Unterricht – nichts wirkte ge- oder erzwungen.
Abgedreht fand ich lediglich die Kalligraphiestunde. Hier mussten die Schüler die Handschrift von Kim Il Sung und Kim Jong Il auf das Genaueste kopieren.
Anschließend gab es im großen Saal eine Tanz- und Musikaufführung. Das war wirklich sensationell. Unglaubliche Choreografien der Tänze, eine sagenhafte Virtuosität einer circa zehnjährigen Violinistin und sehr beeindruckende Gesangsdarbietungen ließen diese Stunde sehr kurzweilig werden.
Apropos Personenkult: Am nächsten Morgen fuhren wir als Erstes zum Mansu-Hügel, um die 20 Meter hohe Bronzestatue von Kim Il Sung zu bewundern. Auf dem Weg dorthin wurde ich entsprechend instruiert: Die Statue dürfe nur im Ganzen fotografiert werden. Dann sollte ich einen Blumenstrauß kaufen (für zehn Euro) und dem „Großen Führer“ vor die legierten Füße legen. Anschließend sollte ich mich vor der Figur verbeugen. Da hatten wir aber jetzt Diskussionsbedarf …
Fotografieren im Ganzen: Okay. Hatte ich auch nicht anders vor. Blumen für zehn Euro und Verbeugung vor einer Statue: nein. Es gab eine längere Diskussion. Ich redete mich raus: „Ich kann mich nicht verbeugen, ich habe Rückenschmerzen.“ Han schaute mich sauer an, sagte aber nichts weiter.
Links und rechts der Statue befanden sich zwei 50 Meter lange steinerne Figurengruppen mit Fahnen, die den Freiheitskampf der Nordkoreaner symbolisierten. Etwas weiter stand die berühmte und etwa 50 Meter hohe Ch’ŏllima-Statue, die aussah wie ein riesiger Pegasus aus Bronze und den schnellen Wiederaufbau nach dem Koreakrieg darstellte. Generell fiel mir auf, dass die Denkmaldichte hier in Pjöngjang enorm war. Überall standen gigantische Statuen herum, die irgendetwas mit dem Koreakrieg oder dem Wiederaufbau des Landes oder der scheinbaren Unabhängigkeit Nordkoreas zu tun hatten. Die Einweihung dieser Dinger fand, soweit ich das überblicke, immer am Geburtstag von einem der beiden Kims statt. Wenn man überlegt, wie arm und unterdrückt dieses Land ist … und gleichzeitig wurden zig Millionen für Denkmäler zur Huldigung der Kim-Dynastie ausgegeben, die man an anderer Stelle sicherlich sinnvoller hätte einsetzen können.
Anschließend fuhren wir zum Kim Il-Sung-Platz (es hätte auch keinen besseren Namen gegeben) und schlenderten über dieses gigantische Areal. Sicherlich haben Sie schon mal Bilder dieses Platzes gesehen. Paraden und Aufmärsche finden dort regelmäßig statt.
Wir liefen weiter zum Kaufhaus Nr. 1, das prinzipiell ein großes Einkaufszentrum war. Von außen erschien es riesig – und ich durfte es auch nur von außen bewundern, denn der Eintritt war für mich nicht erlaubt. Ich fragte nach dem Grund, da es doch für ausländische Gäste gedacht war. Leider erhielt ich zur Antwort nur ein Schulterzucken von Kim.
Weiter ging es dann zum Studienhaus des Volkes, eine unfassbar große Bibliothek, die sich auf eine Fläche von über 100.000 Quadratmeter erstreckte und angeblich 30 Millionen Bücher beherbergte. Die Bibliothekare waren ausgesprochen freundlich und erzählten stolz, dass sie hier auch drei deutsche Bücher hätten. Das erste trug den Titel „Bäume“, stammte aus dem Jahr 1980 und war ein Fachbuch über – nun ja – Bäume.
Das zweite Buch trug den Titel „Java 4“, war 1990 erstveröffentlicht worden und befasste sich mit der Erstellung von Webseiten.
Das dritte und letzte Buch war ein uralter Schmöker über Microsoft. Ich fragte mich, was die Nordkoreaner damit wollten und wie sie an diese Bücher gekommen waren …
Ich durfte während meines Besuchs das für nordkoreanische Verhältnisse moderne Rohrpostsystem der Bibliothek ausprobieren. Und das ging so: Zunächst durfte ich mir ein beliebiges Buch aussuchen. Ich entschied mich für „Bäume“, das erschien mir am ehrlichsten. Einer der freundlichen Bibliothekare sprach in ein seltsames Gerät und nach gefühlt fünf Minuten kam „Bäume“ durch das ausgeklügelte Rohrsystem geflogen und landete direkt vor mir in einem Korb. Das Schönste war zu sehen, wie unglaublich stolz die Mitarbeiter der Bibliothek auf ihre Rohrpost waren. Sie strahlten über das ganze Gesicht und freuten sich über die schnelle Beförderung des Buches von einem verstaubten Regal irgendwo in den Eingeweiden dieses Monumentalbaus bis in meine Hände. Ich freute mich mit ihnen und bedankte mich sehr herzlich für die tolle Vorführung.
Weiter ging es in einen eher langweiligen Buchladen, der nicht mehr als etwa 200 Bücher, allesamt in der Landessprache verfasst, anbot. An jeder Straßenecke und Kreuzung standen Polizistinnen, die den Verkehr regelten. Ampeln gab es auch, aber aufgrund der sehr unzuverlässigen Stromversorgung blieben sie abgeschaltet.
Wir fuhren zurück zum Hotel, wo man mir als Mittagessen kalten Kohl mit Reis auftischte. Mir fiel auf, dass ich nichts zu trinken hatte; so schlenderte ich in Richtung Küche, um nach einem Getränk zu fragen. Da sah ich Kim hinter einem Paravent stehen, wo er sich die Flasche Bier, die für mich bestimmt war, auf ex und in Rekordzeit hinter die Binde kippte. Jetzt wurde mir auf einmal klar, warum mir in den letzten Tagen mittags und abends kein Bier mehr serviert worden war. Kim hatte das am Kücheneingang einfach abgefangen. Was soll’s, ich trank eh nie Alkohol zu den Mahlzeiten.
Unser Ziel für den Nachmittag lautete Nampo, die drittgrößte Stadt in Nordkorea mit circa 450.000 Einwohnern. Nampo ist eine Hafenstadt und liegt etwas südlich von Pjöngjang. Unterwegs wurde mir von Han strengstens untersagt, in Nampo zu fotografieren.
Zunächst hielten wir noch am Geburtshaus vom geliebten Führer an. Hier durfte ich fotografieren, der Ort war aber eher mäßig spannend. Meine Begleiter hingegen fanden es hier sehr aufregend, was ich wiederum verstehen konnte, da dieser Ort für sie wahrscheinlich etwas Heiliges hatte.
Weiter ging es zu einer Mineralwasserfabrik in Nampo, wo ich die hiesigen Erzeugnisse auch probieren durfte. Und dann erreichten wir am späten Nachmittag eine idyllische Parkanlage namens Ryonggang Hot Spring House. Man stellte uns hier ein großes Haus mit mehreren Zimmern zur Verfügung. Die beiden Herren teilten sich ein Zimmer im Erdgeschoß, Han kam im Zimmer daneben unter. Ich bezog ein großes Zimmer im ersten Stockwerk. Han sagte mir, dass ich doch die Badewanne benutzen solle, da hier das Wasser direkt aus den heißen Quellen kam. Ich solle aber nicht zu lange drinbleiben, da das Wasser leicht radioaktiv sei. Ich beschloss, dass eine kurze Wäsche am kleinen Waschbecken für den Tag ausreichend war.
Kim fragte mich, ob ich Lust auf ein nordkoreanisches Muschelbarbecue hätte.
„Na klar“, sagte ich. „Super Idee!“
Ich war dankbar, etwas anders als Reis und Kohl zu bekommen, und hätte in diesem Moment (fast) alles gegessen.
Kurze Zeit später fand ich die Idee doch nicht mehr so super. Kim organisierte einen großen Sack mit Muscheln, legte sie am Straßenrand (da fuhren eh keine Autos) auf eine uralte Bambusmatte, schüttete reichlich Spiritus darüber und zündete dann alles an. Er hatte zudem zwei Flaschen selbstgebrannten Schnaps besorgt. Mir wurde ein wenig mulmig zumute.
Das wird ein interessanter Abend, dachte ich mir und sollte recht behalten. Während ich also beobachtete, wie die großen Muscheln in den Flammen immer dunkler wurden, öffnete Kim die erste Flasche und goss uns allen einen großen Schluck in die mitgebrachten Zahnputzbecher aus den Zimmern ein. Das Zeug schmeckte so schlimm, wie ich es insgeheim bereits befürchtet hatte, nahm mir aber gleichzeitig ein wenig die Angst vor den spiritusgetränkten Muscheln. Nach dem zweiten Glas war es mir dann auch schon egal und wir machten uns über die Mahlzeit her. Durch den Spiritus schmeckten die Muscheln wirklich scheußlich. Nach dem dritten Glas bemerkte ich davon aber nichts mehr und nahm noch einen Nachschlag.
Nachdem wir die Muscheln und den Schnaps vernichtet hatten, begaben wir uns in das etwas entfernte Restaurant der Anlage. Dort ging es fröhlich weiter mit Bier und Schnaps; wir veranstalteten ein heftiges Saufgelage. Eigentlich wäre das noch ganz lustig gewesen, leider begann Kim mit zunehmendem Alkoholpegel erst die junge Kellnerin und später Han zu bedrängen. Unser Fahrer und ich wiesen ihn erst sanft – und dann, als er partout nicht mehr zugänglich war – sehr deutlich in die Schranken.
Zunächst beschäftigten wir ihn mit weiteren Getränken. Das war aber keine gute Idee. Also nahmen wir ihm den Alkohol weg, was er nicht goutierte. Er konnte aber nichts dagegen unternehmen. Später, nachdem er Besserung gelobt hatte, wollte er tanzen. Erst mit dem Fahrer, der sich auch noch darauf einließ. Der war auch völlig hinüber, konnte sich aber zumindest noch benehmen. Dann mit mir, das habe ich dankend abgelehnt. Dann schnappte er sich Han, wobei es schnell so aussah, als wären Kim fünf Hände zusätzlich gewachsen. Wir trennten ihn also wieder von ihr. Als wir den Rückweg antreten wollten, klappte er im Restaurant zusammen. Wir schnappten ihn uns und schleppten ihn nach draußen. Dort mussten wir feststellen, dass plötzlich der Strom ausgefallen war. Es war also stockdunkel und niemand von uns hatte eine Ahnung, wo auf dieser weitläufigen Anlage unsere Unterkunft lag. Also irrten und wankten wir mit dem völlig fertigen, aber immer wieder renitent werdenden Kim im Schlepptau durch die sternenlose Nacht. Es war bitterkalt und wir waren total am Ende. Es gab niemanden weit und breit, den wir nach dem Weg hätten fragen können. Die ganze Anlage war verwaist und außer uns vier völlig betrunkenen Gestalten befand sich keine Menschenseele vor Ort. Die junge Kellnerin hatte sicherlich längst die Flucht ergriffen, um nicht nochmal die äußerst unangenehmen Flirtversuche von Kim ertragen zu müssen.
Der wurde alsbald bewusstlos, so dass wir ihn auch noch durch die Nacht tragen mussten. Den Weg zurück ins Restaurant hätten wir, davon abgesehen, auch nicht mehr gefunden. Später – sehr viel später – erreichten wir endlich das kleine Häuschen. Wir trugen Kim, der mittlerweile fest schlief und laut schnarchte, auf sein Bett. Der Fahrer schaute mich erwartungsfroh an.
„Oh nein, ich werde ihn nicht ausziehen. Das kannst Du vergessen. Meinetwegen kann er in seinem Anzug schlafen!“
Als Han auf ihr Zimmer gehen wollte, schnellte Kim mit dem Oberkörper hoch, entwickelte auf einmal eine ungeahnte Dynamik und wollte ihr sofort an die Wäsche gehen. Glücklicherweise konnte Han im letzten Moment die Tür von innen verriegeln. Wir packten Kim, warfen ihn zurück ins Bett und machten ihm deutlich, dass jetzt endgültig Schluss sei. Ich verzog mich auf mein Zimmer, völlig fertig von dieser ungewohnten Menge an Alkohol.
Am nächsten Morgen wachte ich auf. Ich öffnete die Augen. Gott sei Dank, ich war von dem Schnaps nicht blind geworden! Aber ich lag verkehrtherum im Bett. Ich ahnte, dass das ein harter Tage werden würde.
Mir ging es schlecht, richtig schlecht!
Nach vier Kopfschmerztabletten, einem Liter Wasser und den obligatorischen kalten Toastbroten wurde es ein wenig besser, aber ich war weit davon entfernt, auch nur halbwegs fit zu sein …
Wir fuhren weiter zum Taedong-Staudamm. Hier hätte ich die acht Kilometer lange Staumauer sowie ein Museumsgebäude in Ankerform bewundern dürfen, falls ich nicht noch gefühlt drei Promille vom Vorabend im Blut gehabt hätte. Wir besuchten eben dieses Museum und man setzte mich sofort allein in einen Raum, wo ich mir 30 Minuten lang einen Film über den Bau des Staudamms anschauen musste. Ich sah alles wie durch einen dichten Nebel. Mein Magen rebellierte und ich hoffte, dass der Tag schnell vorbeigehen würde.
Der Staudamm an sich war wirklich sehr beeindruckend und eine technische Meisterleistung. Bei Fertigstellung 1986 war er der größte Staudamm der Welt.
Die Fotos, die ich hier schoss, sind jedenfalls sehr schön. Ansonsten kann ich mich aber an kaum etwas von dort erinnern.
Im Anschluss ging es weiter über ruppige Schotterpisten. Die Umgebung wirkte auf mich wie Russland in den 50er Jahren. Wir fuhren an endlosen Feldern vorbei. Es gab keine Maschinen; die Landwirte pflügten den Boden von Hand. Wir sahen so gut wie keine Fahrzeuge und alles wirkte sehr, sehr ärmlich. Han verbot mir zu fotografieren, aber dazu war ich eh nicht in der Lage. Der Rest des Tages zog an mir vorbei. Mein Gehirn fühlte sich an, als hätte man es in einen dicken Flokati-Teppich gewickelt.
Irgendwann hielten wir in einem Dorf, um zu Mittag zu essen. Gratulation nachträglich an den Betreiber der Lokalität. Ich dachte, ich hätte hier in Nordkorea schon die denkbar schmutzigsten Tischdecken gesehen. Diese hier toppte alle anderen um Längen. Wenn ich hätte schätzen müssen, hätte ich vermutet, dass diese Tischdecke seit Jahren keine Wäsche mehr gesehen hat. Das war wirklich ekelhaft.
Zum Glück gab es dieses Mal eine Alternative zum üblichen Essensangebot. Ich entschied mich für eine Suppe. Bei Reis und Kohl hätte ich die Tischdecke noch schmutziger gemacht.
Wir fuhren weiter nach Kaesong, das in unmittelbarer Nähe zur südkoreanischen Grenze lag. Kaesong war die fünftgrößte nordkoreanische Stadt mit über 300.000 Einwohnern.
Man glaubt es kaum, aber auf einem Hügel nahe der Stadt gab es ebenfalls eine riesige Kim Il Sung-Statue. Da mussten wir natürlich unbedingt hin. Ganz wichtig: Ich wurde darauf hingewiesen, dass ich die Statue nur als Ganzes fotografieren dürfe … Das Teil wurde übrigens nachts hell angestrahlt und besaß eine eigene Stromversorgung. In der Stadt hingegen fiel dauernd der Strom aus. Es passierte also regelmäßig, dass die Stadt stockdunkel war, das hässliche Bronzeteil oben auf dem Hügel aber taghell leuchtete.
Irgendwann am späten Nachmittag wollte ich gerne einen Kaffee trinken.
„Ja, können wir machen. Im Hotel“, sagt Han.
„Nein, nicht im Hotel. Wir könnten doch hier in ein Café gehen“, schlug ich vor.
Große Ratlosigkeit. Erst diskutierten die drei ganz angeregt. Dann stiegen wir in den Wagen und fuhren ziellos durch Kaesong, um ein Café oder Teehaus zu finden. Es gab aber keins. Irgendwo, in der Nähe einer Fabrik, organisierten die drei einen alten Plastiktisch und vier wackelige Stühle. Wir saßen also mitten auf dem Bürgersteig, tranken kalten Milchkaffee aus der Dose. Dabei beobachtete ich die Arbeiter, die nach Schichtende die Fabrik verließen. Han spielte Sudoko auf meinem Nintendo DS, den ich ins Land geschmuggelt hatte, und die beiden Herren langweilten sich. Hunderte Menschen liefen an unserem Tisch vorbei, aber es nahm niemand Notiz von uns. Es war so, als würden wir gar nicht existieren. Alle trugen die gleiche Arbeitsuniform, die ich auch sonst überall in den Städten sah. Es gab wenig Gespräche untereinander. Jeder blieb für sich. Viele fuhren Fahrrad, und wer etwas zu transportieren hatte, schob eine einfache, meist selbstgebaute Schubkarre vor sich her. Allerorts prangten riesenhafte Propagandaplakate, die die immer gleichen Parolen verbreiteten: „Zerstört die äußeren Feinde“, „Die Armee kommt immer zuerst“ und „Macht Korea schöner“.
Kurze Zeit später stiegen wir im Kaesong Folklore-Hotel ab. Aufgrund meiner Erfahrungen aus früheren Reisen wusste ich, dass der Zusatz „Folklore“ im Namen eines Hotels meist nichts Gutes verheißt. Han nannte es: „Traditional Style“. Das war auch nicht wirklich ermunternd.
Es gab drei Zimmer, die um einen kleinen Innenhof lagen. Die Stromversorgung funktionierte nicht, es gab kein warmes Wasser und auch kein Bett. Auf dem Boden lag eine durchgelegene alte Matratze. Das wäre ja alles noch prima gewesen. Unglücklicherweise verlief direkt unter meinem Zimmer ein großes Heizungsrohr, das den Boden und somit meine Matratze unerträglich heiß werden ließ. Ich hatte eine sehr unruhige Nacht.
Am nächsten Morgen konnte ich das aber bei einer kalten Dusche im dunklen Badezimmer wieder ausgleichen.
Nach einem mäßigen Frühstück – es gab Toast, Käse, Formschinken und eine lauwarme, bräunliche Flüssigkeit in einer Kaffeetasse – ging es weiter zur demilitarisierten Zone, kurz DMZ. Diese liegt circa acht Kilometer südlich von Kaesong. Bei unserer Ankunft am Zugangstor mussten wir circa 30 Minuten warten, bis uns eine Militäreskorte abholte. Während wir warteten, näherten sich zwei Reisebusse mit chinesischen Touristen. Ich unterhielt mich ein wenig mit einer Universitätsangestellten aus Peking, die ganz nett war. Der Rest von denen war einfach lärmend und sehr unhöflich. Dass die mich dauernd fotografierten und mir dabei ihre Kamera circa 30 cm vors Gesicht hielten, so dass ich mich wie ein seltenes Tier fühlte, sei nur am Rande erwähnt.
Endlich kam unsere Militäreskorte und wir fuhren ein paar Kilometer weiter zu den berühmten Baracken in Panmunjeom, wo die Waffenstillstandsverhandlungen des Jahres 1953 stattgefunden hatten. Etwas weiter lag die Halle, in der der Waffenstillstandsvertrag zwischen Nord- und Südkorea nach ganzen 765 Konferenzen endlich im Beisein der Vertreter Nordkoreas, Südkoreas, Chinas und der UNO (vertreten durch die USA) am 27. Juli 1953 unterzeichnet worden war. Auffallend war, dass der nordkoreanische Tisch mit der Landesflagge einen sehr gepflegten Eindruck machte, während der Tisch der Gegner mit einer völlig vergammelten UNO Flagge aufwartete. Genau auf der Grenze zwischen Nord- und Südkorea standen sieben Baracken, von den ich eine sogar besichtigen durfte. Ja, ich war an diesem Tag somit auch in Südkorea! Ich schlenderte einfach auf die andere Seite und setzte mich dort auf einen Stuhl, immer unter den wachsamen Augen der nordkoreanischen Soldaten. Draußen, vor den Baracken, konnte man auf die südkoreanische Seite schauen, von wo aus wir von einigen Menschen mit Ferngläsern beobachtet wurden. Ich winkte ihnen, aber es kam keine Reaktion.
Hier auf der nordkoreanischen Seite trieben sich viele Offiziere herum, die den chinesischen Besuchern die Geschichte dieses Ortes näherbrachten. Grundsätzlich verhielten sich die nordkoreanischen Soldaten/Offiziere mir gegenüber stets sehr reserviert, aber nie unhöflich. Für mich übernahm Han die Rolle der Dozentin, die sie mit einem großen Zeigestock in der Hand nicht nur ernst nahm, sondern anscheinend auch genoss.
Weiter gab es hier nichts zu sehen, und so fuhren wir wieder nach Kaesong, um dort zu Mittag zu essen.
Ich war zu jenem Zeitpunkt so weit, viel Geld – sehr viel Geld – für eine ordentliche Pizza auszugeben. So langsam konnte ich Reis und Kohl, egal ob warm oder kalt, oder auch die ab und an servierte Eierstichsuppe nicht mehr sehen. Meine drei Aufpasser setzten mich wieder allein in einen riesigen und sehr unschönen Raum, in dem ohne weiteres 100 Personen und mehr Platz gehabt hätten. Es roch nach abgestandener Luft und saurer Milch. Ich schaute auf die völlig verdreckte Tischdecke, und spätestens, als mir eine Kellnerin wortlos Reis und Kohl servierte, verging mir nicht nur der Appetit, ich wollte auch nicht mehr allein in diesem Raum sein.
Ich spazierte also aus diesem – nun ja – Restaurant und lief ein wenig durch Kaesong. Es war ein wunderschöner, warmer und sonniger Tag. Die Luft roch nach Frühling und ich genoss es sehr, mich allein durch die Straßen zu bewegen. Damit löste ich allerdings einen riesigen Aufstand bei meinen Aufpassern aus. Ich saß auf einer Bank in einem kleinen Park, unweit der Lokalität, und konnte von weitem beobachten, wie die drei nach wenigen Minuten panisch auf die Straße liefen und sich taktisch aufteilten, um mich zu finden. Kim machte das Rennen, er fand mich zuerst. Gut, das war nicht schwer, da ich einfach weiter auf der Bank sitzen blieb. In seinem Gesicht konnte ich unschwer die Mischung aus Panik, Erleichterung und Wut erkennen. Kim musste sich beherrschen. Er fragte mich, warum ich meine Mahlzeit nicht gegessen hätte, ob es mir nicht schmecke, warum ich überhaupt so wenig esse, ich hätte ja eben nur etwas Reis zu mir genommen.
Da platzte mir der Kragen. Ich fragte ihn, ob es sein Job sei, zu kontrollieren, ob und wieviel ich esse. Außerdem erklärte ich ihm, dass ich wohl mehr Kalorien zu mir nehmen würde, wenn er mir mittags und abends nicht immer das Bier wegtrinken würde. Ja, mein Nervenkostüm war in diesem Moment ein wenig dünn, aber nach einer Woche Diät mit kaltem Kohl und Reis war meine Laune zugegebenermaßen auf dem absoluten Tiefpunkt. Dass ich hier in Nordkorea nicht allein herumlaufen durfte, verstand ich. Ich respektierte es auch eigentlich zu jedem Zeitpunkt, aber diese andauernde Isolation bei den Mahlzeiten, die ich überhaupt nicht verstand, und die langen Abende ohne Gesellschaft taten ihr Übriges.
Ich schreibe es so, wie es war: Kim war mächtig angepisst. Han auch, nachdem sie zu uns gestoßen war. Nur der Fahrer blinzelte mir verschwörerisch zu und schenkte mir in einem unbeobachteten Moment ein verständnisvolles Lächeln. Ich hätte ihn umarmen können.
Etwas außerhalb von Kaesong besichtigten wir noch das Mausoleum von Kongmin Wang, der im 14. Jahrhundert ein bedeutender König des Königreichs Goryeo gewesen war.
Das wäre jetzt nicht weiter erwähnenswert gewesen, wenn mir Han auf dem Gelände des Mausoleums nicht eine furchtbare Szene gemacht hätte. Sie war noch immer unglaublich sauer auf mich und unterstellte mir, dass ich nicht den notwendigen Enthusiasmus für Nordkorea und seine Errungenschaften aufbringe.
Doch, das würde ich tun, versicherte ich ihr. Nur lebe ich meine Freude und Begeisterung nicht so aus wie viele Nordkoreaner, die teilweise in Tränen ausbrachen, wenn sie sich vor einer dieser riesigen Metallstatuen der Kims einfanden. Ich begegnete allen Sehenswürdigkeiten mit dem notwendigen Respekt und freute mich mit allen Menschen, die sehr ergriffen von ihnen waren. Nach kurzer Zeit beruhigten wir uns beide und wir konnten die Rückreise nach Pjöngjang antreten.
Damit hatten wir gut 170 Kilometer vor der Brust. Unterwegs sahen wir genau zwei Militärfahrzeuge. Man hätte sich für ein Schläfchen mitten auf den Kaesong-Highway legen können. Die Wahrscheinlichkeit, überfahren zu werden, war gleich null.
Fun Fact am Rande zu dieser Straße: Sie ist auch als „Autobahn der Wiedervereinigung“ bekannt und war, wenig überraschend, am 15. April 1992 fertiggestellt worden – pünktlich zum Geburtstag des großen Führers.
Han erzählte mir, dass man in Nordkorea prinzipiell Autos kaufen konnte. Das günstigste Modell kostete aber 8.000 Won und bei einem Durchschnittslohn von 150 Won blieb das wohl für immer ein unerreichbarer Traum.
Benzin musste importiert werden, und da Nordkorea wegen seiner permanenten Drohgebärden und Raketenschiessübungen in Richtung Südkorea und Japan mit Sanktionen überzogen wurde, war die Verfügbarkeit des flüssigen Goldes hier im Land bestenfalls suboptimal.
Auf halbem Weg hielten wir an einer Brücke an. Dort standen zwei Frauen und verkauften schwarzen Beuteltee in Plastikbechern. Ich frug, ob sie auch eine Kleinigkeit zu essen hätten. Vielleicht ein paar Kekse?
„Nein, nur Tee“, meinte Han. Das war wohl die nordkoreanische Variante einer Autobahnraststätte.
Als wir Pjöngjang erreichten, fuhren wir unter dem Denkmal für die Wiedervereinigung hindurch. Es handelte sich um ein 30 Meter hohes Monument, das zwei steinerne Koreanerinnen darstellte, die eine Karte mit dem vereinigten Korea in die Höhe hielten. Das war schon sehr beeindruckend. Wir hielten an und ich durfte das Teil fotografieren.
Überhaupt schien sich in Nordkorea alles um die Wiedervereinigung mit Südkorea zu drehen – allerdings zu nordkoreanischen Bedingungen. Das hieß, Südkorea hatte sich Nordkorea unter nordkoreanischer Führung anzuschließen, was ein bestenfalls interessanter Gedanke war.
In Pjöngjang hielten wir an einem Souvenirladen – für genau zwei Minuten. Dann musste ich raus, sonst wäre ich blind geworden. Jede nur erdenkliche Geschmacklosigkeit, die man schnitzen, malen oder basteln konnte, war hier für unverschämtes Geld zu kaufen.
Tja, um 16.30 Uhr waren wir wieder im Hotel. Aufpasser Nummer 2, Kim, wünschte mir einen schönen Abend, eine gute Nacht, und am nächsten Morgen würden wir uns um 09.50 Uhr wiedersehen.
„Das ist jetzt nicht euer Ernst?“, erwiderte ich. „Was soll ich denn jetzt mit dem Rest des Tages anfangen? Es gibt hier im Hotel nichts, aber auch wirklich gar nichts zu tun. Raus darf ich bekanntermaßen ja auch nicht und im Übrigen ist mir 09.50 Uhr morgen viel zu spät! Ich möchte eher los und etwas sehen.“
Han versuchte es mit einer fadenscheinigen Ausrede: Ich könne mich ja ausruhen.
„Gut“, sagte ich, „dann werde ich in einer Stunde durch Pjöngjang laufen. Und zwar allein.“
Große Bestürzung! Ich drehte mich um, ging in den Aufzug und fuhr die circa 120 Meter hoch in mein Zimmer.
Die können mich mal, dachte ich so für mich. Ich war mir sicher, dass die sich die halbe Nacht volllaufen lassen würden, um dann am nächsten Morgen ausschlafen zu können. Auch Han nahm ich da nicht aus. Ich hatte aber nicht ernsthaft vor, allein durch Pjöngjang zu laufen. Das Hotel lag auf einer Insel im Fluss und ich hätte locker drei bis vier Kilometer gehen müssen, um ins Stadtzentrum zu gelangen. Und es gab dort auch nichts, was sehens- oder lohnenswert gewesen wäre. Auch gab es ganze Straßenzüge, die nachts stockdunkel blieben, und ich wollte auch nicht unbedingt von der Polizei, dem Militär oder gar dem Geheimdienst aufgegriffen werden.
Im Zimmer angekommen, packte ich erstmal aus und fuhr dann wieder runter, um zu schauen, ob es in einem der Restaurants unten im Keller nicht doch etwas Brauchbares zu essen gab. Wie erwartet: Fehlanzeige! Rechts neben dem Eingangsbereich gab es so etwas wie ein Teehaus oder Café. Ich trank dort einen Cappuccino, für den ich 3,50 Euro (natürlich Euro) abdrückte, und fuhr dann wieder in mein Zimmer, um den Rest des Tages dort zu verbringen. Kaum im Zimmer angekommen, rief mich Han an, um mir mitzuteilen, dass wir am nächsten Morgen doch eher losfahren würden. Nämlich „schon“ um 08.50 Uhr. Immerhin!
Sie leistete mir noch Gesellschaft beim Abendessen – wohl, um sicherzugehen, dass ich nicht allein in die Stadt ging. Es gab Reis und Kohl und eine Flasche Bier, weil Kim nicht da war. Bevor Han sich verabschiedete, musste ich ihr noch versprechen, auf dem Zimmer zu bleiben.
Am nächsten Tag fuhren wir also um 08.50 Uhr los. Unser Ziel war eine staatliche (was sonst?) Stickerei in Pjöngjang. Anschließend besuchten wir noch eine gigantische Kunstwerkstatt, wo ich die Maler und Künstler kennenlernen durfte, die in der Nationalgalerie ausstellten. Dann schlenderten wir ein wenig durch Pjöngjang. Wir hatten ja jetzt mehr Zeit.
Wir fuhren schließlich ein paar Stationen mit der U-Bahn, was sehr interessant war. Die U-Bahnstationen waren reichhaltig mit den obligatorischen Darstellungen der geliebten Führer geschmückt. Überall grinste mich mindestens eine der Visagen an. Jede Station glich einer riesigen Halle mit aufwändiger Beleuchtung, extrem viel Marmor und vielen, für Nordkorea typischen Wandbemalungen. Die Stationen lagen teilweise sehr tief unter der Erde, bis zu 110 Meter, und waren nach Themen und Ereignissen der nordkoreanischen Revolution benannt. Hier unten tummelten sich zahlreiche Menschen, was mich doch ein wenig erstaunte.
Weiter ging es für uns zur berühmten USS Pueblo. Die USS Pueblo, oder wie alle Nordkoreaner ausnahmslos sagten, die USS Spyship Pueblo, ist das einzige amerikanische Kriegsschiff, das sich im Besitz eines anderen Landes befindet.
Das Schiff war 1968 während der Hochzeit des Vietnamkrieges beim Ausspionieren in den Hoheitsgewässern Nordkoreas von der nordkoreanischen Marine aufgebracht worden. Dabei gab es eine kurze, aber heftige Schießerei, bei der ein amerikanischer Soldat ums Leben kam. Zunächst wurde das Schiff nach Wonsan gebracht, das an der Ostküste liegt.
Den 82 Besatzungsmitgliedern machte man den Prozess, benutzte sie ein Jahr lang als politisches Druckmittel und ließ sie zahllose Entschuldigungsschreiben verfassen, die die nordkoreanische Regierung dann zu Propagandazwecken einsetzte.
Es wurden auch immer wieder Fotografien von den Gefangenen angefertigt, um vor der Welt zu dokumentieren, wie gut es ihnen in ihrer Gefangenschaft doch ging. Auf einigen der Fotos zeigen die amerikanischen Gefangenen versteckt den Mittelfinger. Als die Nordkoreaner hinter die wahre Bedeutung dieser Geste kamen, waren sie „not amused“, um es vorsichtig auszudrücken. Das Zeigen des Mittelfingers als Beleidigung war wohl in Nordkorea zuvor völlig unbekannt gewesen. Diese Episode hatte jedenfalls schwere Sanktionen für die Gefangenen zur Folge.
Nach einem knappen Jahr wurden die Amerikaner dann über die „Brücke ohne Wiederkehr“ in der DMZ wieder in die Freiheit entlassen. Die USS Pueblo verblieb aber in Nordkorea. Trotz wiederholter Versuche, das Schiff zurückzuerhalten, rückten es die Nordkoreaner nicht wieder heraus. Schlimmer noch, Nordkorea machte aus dem amerikanischen Kriegsschiff ein für die Öffentlichkeit zugängliches Museum! In einer spektakulären Aktion überführte Nordkorea im Jahr 1998 das Schiff getarnt um die ganze koreanische Halbinsel bis nach Pjöngjang, wo es bis 2012 auf dem nördlichen Teil des Taedong-Flusses als Museumsschiff sein Dasein fristete. Danach kam es in gleicher Funktion an eine andere Stelle in Pjöngjang.