11,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 11,99 €
Action, Witz und verrückte Monster – neue Serie über Percy Jackson auf Disney+ im Stream! Percy Jackson musste schon mehrmals die Welt retten, nun hat er die Nase voll! Er hofft auf einen normalen Start am College zusammen mit seiner Freundin Annabeth. Doch leider sind die Götter noch nicht ganz fertig mit ihm. Angeblich braucht er für seine Zulassung drei Empfehlungsschreiben vom Olymp … Natürlich lassen sich die Götter da erst mal ordentlich bitten. Für sein erstes Schreiben muss er zusammen mit Annabeth und Grover in ein neues Abenteuer ziehen und den gestohlenen Kelch des Ganymed, des Mundschenks der Götter, wiederbeschaffen. Und die Aufgabe hat es in sich! Die Jugendbuch-Bestsellerserie mit nachtragenden Ungeheuern und schrulligen Göttern Als Percy Jackson erfährt, dass er ein Halbgott ist und es die Kreaturen aus der griechischen Mythologie wirklich gibt, verändert das alles. Von nun an stehen ihm und seinen Freunden allerlei Monster, göttliche Streitigkeiten und epische Quests bevor. Gespickt mit Heldentum, Chaos und Freundschaft ist die sechsteilige Fantasy-Reihe rund um den Halbgott Percy Jackson inzwischen millionenfach verkauft. Der Mix aus Spannung, Witz und Mythologie begeistert Jung und Alt aus mehr als 40 Ländern und ist die bekannteste Serie von Rick Riordan. ***Griechische Götter in der Gegenwart: chaotisch-wilde Fantasy für junge Leser*innen ab 12 Jahren und für alle Fans der griechischen Mythologie***
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 315
Rick Riordan
Percy Jackson – Der Kelch der Götter
Aus dem Englischen von Gabriele Haefs
Percy Jackson musste schon mehrmals die Welt retten, nun hat er die Nase voll! Er hofft auf einen normalen Start am College zusammen mit seiner Freundin Annabeth. Doch leider sind die Götter noch nicht ganz fertig mit ihm. Angeblich braucht er für seine Zulassung drei Empfehlungsschreiben vom Olymp … Natürlich lassen sich die Götter da erst mal ordentlich bitten. Für sein erstes Schreiben muss er zusammen mit Annabeth und Grover in ein neues Abenteuer ziehen und den gestohlenen Kelch des Ganymed, des Mundschenks der Götter, wiederbeschaffen. Und die Aufgabe hat es in sich!
Wohin soll es gehen?
Buch lesen
Glossar
Viten
Für Walker, Aryan und Leah.
Auf neue Anfänge!
Ich werde weggespült
Echt, ich wollte die Schule eigentlich gar nicht fertig machen.
Ich hatte gehofft, mein Dad würde mir eine Entschuldigung schreiben:
Liebe Leute,
bitte entschuldigen Sie Percy Jackson für alle Zeiten vom Unterricht und geben Sie ihm einfach das Abschlusszeugnis.
Danke.
Poseidon
Ich hatte gedacht, das hätte ich verdient, schließlich hatte ich gegen Götter und Monster gekämpft, seit ich zwölf Jahre alt war. Wie oft hatte ich die Welt gerettet – dreimal? Vier? Ich habe den Überblick verloren. Die Einzelheiten brauchen euch nicht zu interessieren. Ich bin nicht mal sicher, dass ich mich noch daran erinnern kann.
Vielleicht denkt ihr jetzt: Hey! Du bist der Sohn eines griechischen Gottes! Das ist doch bestimmt super!
Aber ganz ehrlich? Meistens ist es einfach nur nervig, ein Halbgott zu sein. Und wer euch was anderes erzählt, will euch bloß auf einen Einsatz mitschleifen.
Aber hier war ich nun, nachdem ich aufgrund von magischem Gedächtnisverlust ein ganzes Schuljahr verloren hatte (fragt nicht!). Ich stolperte am ersten Unterrichtstag an einer neuen Schule – mal wieder eine – durch den Gang, hatte die Arme voller Schulbücher und keine Ahnung, wie ich den Raum für den Englischunterricht in der dritten Stunde finden sollte. Mein Gehirn war bereits während Mathe und Bio geschmolzen. Ich wusste nicht, wie ich diesen Schultag überleben sollte.
Und dann ertönte eine Stimme aus dem knisternden Lautsprecher: Percy Jackson bitte ins Büro der Studienberaterin.
Wenigstens kannten mich die anderen, die hier zur Schule gingen, noch nicht. Niemand glotzte mich an und lachte. Ich machte einfach kehrt, total lässig, und mäanderte zurück in den Verwaltungsflügel.
Die Alternative High ist in einer ehemaligen Grundschule in Queens untergebracht. Das bedeutet Tische in Kindergröße und keine Schließfächer, deshalb müssen alle ihren ganzen Kram von einem Raum zum anderen schleppen. In jedem Gang waren fröhliche Erinnerungen an die Kindertage der Schule zu finden – Fingerfarben an der Wand, Einhorn-Aufkleber, die von den Feuerlöschern abblätterten, hier und da ein gespenstischer Hauch von Obstsaft und Vollkornkeksen.
Die AHS nimmt alle, die irgendwie die Highschool beenden müssen. Es ist egal, ob du aus dem Jugendknast kommst oder heftige Lernschwierigkeiten hast oder zufällig ein vom Pech verfolgter Halbgott bist. Die AHS war außerdem die einzige Schule im Großraum New York, die mich für das letzte Jahr aufnehmen und mir ermöglichen wollte, alles aufzuholen, was ich im vorigen Jahr verpasst hatte.
Immerhin hat die AHS ein Schwimmteam und einen Pool von Olympiagröße (keine Ahnung, wieso), und mein Stiefdad, Paul Blofis, dachte, deswegen könnte ich gut hierher passen. Ich hatte ihm versprochen, es ernsthaft zu versuchen.
Das hatte ich auch meiner Freundin Annabeth versprochen. Wir hatten abgemacht, dass ich rechtzeitig die Schule beenden würde, um mit ihr zusammen aufs College zu gehen. Ich wollte sie nicht enttäuschen. Die Vorstellung, dass sie ohne mich nach Kalifornien verschwinden könnte, bereitete mir schlaflose Nächte.
Das Büro der Studienberaterin war in dem Raum, in dem früher wohl die Schulschwester gesessen hatte. Ich schloss das daraus, dass ein trauriger lila Frosch mit einem Fieberthermometer im Mund an die Wand gemalt war.
»Mr Jackson! Hereinspaziert!«
Sie kam hinter dem Schreibtisch hervor und wollte mir die Hand schütteln. Dann sah sie, dass ich sechstausend Kilo Schulbücher in den Armen hatte.
»Leg sie irgendwo hin«, sagte sie. »Bitte, nimm Platz.«
Sie wies auf einen blauen Plastikstuhl, der an die dreißig Zentimeter zu niedrig für mich war. Als ich saß, befand ich mich auf Augenhöhe mit einem Glas Fruchtbonbons auf dem Schreibtisch.
»Also!« Die Studienberaterin strahlte mich aus ihrem offenbar bequemen Stuhl in Erwachsenengröße an. Ihre flaschenbodendicken Brillengläser ließen ihre Augen verschwimmen und die grauen Haare waren zu regelmäßigen Wellen gelegt, die mich an Austernbänke erinnerten. »Hast du dich schon eingewöhnt?«
»Der Stuhl ist ein bisschen zu niedrig.«
»Ich meine, in der Schule.«
»Na ja, ich hatte ja erst zwei Stunden …«
»Hast du dich schon um deine College-Bewerbungen gekümmert?«
»Ich hab doch gerade erst hier angefangen.«
»Eben! Wir sind bereits im Rückstand!«
Ich warf einen Blick zu dem lila Frosch hinüber, der so elend aussah, wie ich mich fühlte. »Hören Sie, Ms. …«
»Nenn mich Eudora«, sagte sie fröhlich. »Na, dann wollen wir doch mal sehen, was wir hier für Broschüren haben.«
Sie wühlte in ihrem Schreibtisch herum. »Poly Tech. BU. NYU. ASU. FU. Nein, nein, nein.«
Ich wollte sie aufhalten. Meine Schläfen pochten. Mein ADHS jagte unter meiner Haut hin und her wie Billardkugeln. Ich konnte heute nicht übers College nachdenken.
»Ma’am, ich bin Ihnen wirklich dankbar für Ihre Hilfe«, sagte ich. »Aber wirklich, ich hab schon einen Plan. Wenn ich einfach nur dieses Jahr schaffe …«
»Ja. Die Universität von Neu-Rom«, sagte sie und wühlte noch immer in ihrer Schreibtischschublade. »Aber meine sterbliche Kollegin scheint keine Broschüre dafür zu haben.«
Meine Ohren sausten. Ich spürte ganz hinten in der Kehle Salzwasser. »Ihre sterbliche Kollegin?«
Meine Hand wanderte zur Tasche meiner Jeans, wo meine Lieblingswaffe steckte: ein tödlicher Kugelschreiber. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich mich gegen einen Angriff in der Schule wehren müsste. Ihr würdet staunen, wie viele Lehrer, Schulsekretärinnen und andere Schulangehörige verkleidete Monster sind. Na ja, vielleicht würdet ihr auch nicht staunen.
»Wer sind Sie?«, fragte ich.
Sie setzte sich auf und lächelte. »Das hab ich dir doch gesagt. Ich bin Eudora.«
Ich sah sie mir genauer an. Ihre welligen Haare waren wirklich eine Austernbank. Ihr Kleid schimmerte wie Quallenhaut.
Es ist seltsam, wie der Nebel funktioniert. Selbst als Halbgott, der dauernd übernatürlichen Kram sieht, musst du dich gut konzentrierten, um die Schranke zwischen der menschlichen und der göttlichen Welt zu durchdringen. Sonst verkleistert der Nebel einfach alles, was du siehst, und lässt Oger aussehen wie normale Passanten oder einen Riesendrakon wie die U-Bahn-Linie N. (Und glaubt mir, es ist echt peinlich, in einen Drakon einsteigen zu wollen, der in die Station Astoria Boulevard getrampelt kommt.)
»Was haben Sie mit der eigentlichen Studienberaterin angestellt?«, fragte ich.
Eudora machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, mach dir wegen der keine Sorgen. Die hätte dir mit Neu-Rom ohnehin nicht helfen können. Deshalb bin ich ja hier!«
Etwas an ihrem Tonfall sorgte dafür, dass ich mich zwar nicht gerade beruhigt, aber immerhin nicht bedroht fühlte. Vielleicht fraß sie nur Studienberaterinnen.
Das Gefühl in ihrer Nähe kam mir auch vertraut vor – das salzige Kitzeln in meinen Nasenlöchern und der Druck in meinen Ohren, als ob ich mehr als dreihundert Meter unter Wasser wäre. Mir ging auf, dass ich schon einmal einer wie ihr begegnet war – als ich zwölf Jahre alt war, auf dem Grund des Mississippi.
»Sie sind ein Meeresgeist«, sagte ich. »Eine Nereide.«
Eudora kicherte. »Ja, natürlich, Percy. Hast du mich etwa für eine Dryade gehalten?«
»Und … mein Vater hat Sie geschickt?«
Sie hob eine Augenbraue, als ob sie sich Sorgen machte, ich könnte ein bisschen schwer von Begriff sein. Seltsamerweise passierte mir das ziemlich oft.
»Ja, der liebe Poseidon. Dein Vater? Mein Boss? Also, tut mir leid, ich kann keine Broschüre finden, aber ich weiß, dass du für die Universität von Neu-Rom all die üblichen menschlichen Bedingungen erfüllen musst: Testergebnisse, Zeugnisse und eine aktuelle psychologische Beurteilung. Das ist nicht das Problem.«
»Wirklich nicht?« Nach allem, was ich durchgemacht hatte, war das beim letzten Punkt vielleicht eine etwas voreilige Annahme.
»Aber du musst noch einige, äh, besondere Aufnahmebedingungen erfüllen.«
Der Salzwassergeschmack in meinem Mund wurde stärker. »Was für besondere Bedingungen?«
»Hat schon irgendwer mit dir über die Empfehlungsschreiben gesprochen?« Sie sah aus, als ob sie allen Ernstes auf ein Ja hoffte.
»Nein«, sagte ich.
Sie machte sich an dem Glas mit den Fruchtbonbons zu schaffen. »Okay. Also. Du brauchst drei Empfehlungsschreiben. Von drei verschiedenen Gottheiten. Aber ich bin sicher, für einen Halbgott von deiner Begabung …«
»Was?«
Eudora zuckte zusammen. »Oder wir könnten uns sicherheitshalber einige andere Colleges anschauen. Das Ho-Ho-Kus Community College ist wirklich nett.«
»Soll das ein Witz sein?«
Das Gesicht der Nereide fing an zu glitzern. Salzwasserbächlein sickerten aus ihrer Austernbankfrisur.
Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich so wütend wurde. Das hier war ja nicht ihre Schuld. Sie versuchte nur, mir zu helfen, weil mein Dad es ihr befohlen hatte. Aber das war nicht die Art von Nachricht, die ich an einem Montagmorgen gebrauchen konnte. Oder irgendwann sonst.
Ich versuchte, ruhig zu atmen. »Tut mir leid. Es ist bloß … ich muss einfach nach Neu-Rom. Ich hab im Laufe der Jahre ganz schön viel für die Gottheiten getan. Kann ich denen nicht einfach, äh, einen Empfehlungsvordruck mailen?«
Eudora runzelte die Stirn. Ihr Kleid gab jetzt ganze Meerwasserbäche ab. Auf dem grün gefliesten Boden bildete sich eine Lache, die sich auf meine Schulbücher zubewegte.
Ich seufzte. »Uff. Ich muss auf neue Einsätze, was?«
»Nun, mein Lieber, der Aufnahmeprozess bei einem College ist immer eine Herausforderung. Aber ich bin ja hier, um dir zu helf…«
»Wie wäre es damit?«, unterbrach ich sie. »Wenn mein Vater mir wirklich helfen will, sollte er mir das Ganze vielleicht selbst erklären, anstatt Sie herzuschicken, damit Sie mir die Sache schonend beibringen.«
»Oh. Na ja, das wäre, äh …«
»Nicht seine Art«, sagte ich zustimmend.
Etwas summte in Eudoras Haarpracht (Austernpracht?), und sie zuckte zusammen. Ich dachte, in ihrer Austernbank hätte sich vielleicht ein Zitteraal versteckt, aber dann zog sie eine Austernschale heraus. »Entschuldige. Den muss ich kurz annehmen.«
Sie hielt sich die Austernschale ans Ohr. »Hallo? … Selbstverständlich, Sir, ich … ja, ich verstehe. Natürlich. Sofort.«
Sie legte die Austernschale auf den Schreibtisch und starrte sie an, als ob sie Angst hätte, sie könnte noch einmal klingeln.
»Dad?«, vermutete ich.
Sie versuchte, zu lächeln. Der Salzwassersee verteilte sich immer weiter auf dem Boden, zog in meine Schulbücher ein und durchnässte meine Socken.
»Er meint, du hast vielleicht recht«, sagte Eudora. »Er wird es dir persönlich erklären.«
Sie betonte »persönlich«, wie die meisten Lehrer »beim Nachsitzen« betonen.
Ich versuchte, cool zu bleiben, als ob ich gewonnen hätte, aber mein Dad und ich hatten seit … einer ganzen Weile nicht mehr miteinander gesprochen. Er holte mich normalerweise nur in seinen Meerespalast, wenn ein Krieg bevorstand. Ich hatte eigentlich gehofft, dass er mir eine Woche oder so lassen würde, um mich an der Schule einzuleben, ehe er mich zu sich bestellte.
»Super. Also … dann kann ich zurück in den Unterricht?«
»Aber nein, mein Lieber. Er meint, jetzt.«
Das Wasser um meine Füße verwandelte sich in einen Strudel. Die Fliesen bekamen Risse und lösten sich auf.
»Aber keine Sorge«, versprach Eudora. »Wir sehen uns wieder!«
Der Boden verschwand unter meinem Stuhl, und ich wurde mit einem gewaltigen Rauschen in einen wirbelnden Mahlstrom gespült.
Mein Dad hilft mir mal kurz (was allerdings wenig hilfreich ist)
Wenn ihr aus eurer Schule geradewegs in den Atlantik geschwemmt werdet und nicht einmal überrascht seid, dann seid ihr schon viel zu lange ein Halbgott.
Ich versuchte nicht, mich gegen die Strömung zu wehren. Ich konnte unter Wasser atmen, das war also kein Problem. Ich saß einfach auf meinem blauen Plastikstuhl und jagte durch Poseidons privates Abwassersystem, angetrieben von einem Fünf-Millionen-Liter-Tsunami. Bevor ich auch nur hätte sagen können, echt, das nervt,brach ich schon durch den Meeresboden, als wäre ich von einer Molluske ausgehustet worden.
Als die Sandwolke um mich herum zur Ruhe kam, versuchte ich, mich zu orientieren. Meine nautischen Sinne sagten mir, dass ich mich an die vierzig Meilen südwestlich der Küste von Long Island befand, etwa siebzig Meter tief, nicht weiter der Rede wert für ein Kind des Poseidon, aber, Leute, macht das nicht nach. Knapp dreißig Meter vor mir fiel die Kontinentalplatte in die Finsternis ab. Und genau am Abgrund ragte ein funkelnder Palast auf: Poseidons Sommerresidenz.
Wie immer baute mein Dad gerade um. Ich nehme an, wenn man unsterblich ist, will man nicht jahrhundertelang in derselben Butze hocken. Poseidon war immer damit beschäftigt, zu entkernen, zu renovieren oder etwas Neues zu errichten. Es half natürlich, dass er so ziemlich unbegrenzte Macht und Arbeitskräfte zum Nulltarif hatte, was unterseeische Bauprojekte anging.
Zwei Blauwale zogen eine Marmorsäule von der Größe eines Wohnblocks hinter sich her. Hammerhaie schmierten mit ihren Flossen und breiten Köpfen Mörtel zwischen Reihen aus Korallenziegeln. Hunderte von Meerleuten eilten hin und her, und alle trugen knallgelbe Schutzhelme, die zu ihren lampenartigen Augen passten.
Zwei von ihnen winkten mir zu, als ich durch die Baustelle schwamm. Ein Delfin in einer reflektierenden Schutzweste gab mir High Five.
Ich fand meinen Dad neben einem halbfertigen Infinitypool mit Blick über den Abgrund des Hudson Canyon. Ich fragte mich, wozu so ein Pool gut sein sollte, wenn man ohnehin schon unter Wasser war, aber ich war nicht so dumm, zu fragen. Mein Dad war meistens ziemlich pflegeleicht, aber seine Stilentscheidungen sollte man lieber nicht anzweifeln.
Seine Kleidung, zum Beispiel.
Einige der griechischen Gottheiten veränderten ihre Erscheinung so ungefähr täglich. Kein Problem, schließlich waren sie, ihr wisst schon, Götter. Aber Poseidon schien sich für einen Look entschieden zu haben, der ihm zusagte, auch wenn er da der Einzige war.
Heute trug er zerknitterte Cargoshorts zu Crocs und Socken. Sein kurzärmliges Hemd sah aus, als ob es in einem Paintball-Krieg zwischen Team Lila und Team Hello Kitty zum Einsatz gekommen wäre. Er trug einen Anglerhut, der mit Kunstködern gepickt war, und in seiner Hand vibrierte ein Dreizack aus himmlischer Bronze und brachte das Wasser an den Zinken zum Kochen.
Mit seiner athletischen Gestalt, dem dunklen, kurz geschnittenen Bart und den grau melierten Locken wirkte er wie Mitte vierzig – bis er lächelte. Dann bildeten sich tiefe Furchen in seinem Gesicht, wie bei einem verwitterten Felshang; man sah die tiefe Melancholie in seinen Augen, und damit war klar, dass dieser Typ älter war als die meisten Nationen – mächtig, uralt und beladen mit viel mehr als nur dem Druck des Wassers.
»Percy«, sagte er.
»Hallo.«
So tiefsinnige Gespräche führen wir.
Sein Lächeln wirkte jetzt verkniffen. »Wie ist die neue Schule?«
Ich wies nicht darauf hin, dass ich erst zwei Unterrichtsstunden hinter mich gebracht hatte, ehe ich ins Meer gespült worden war. »Bisher in Ordnung.«
Ich klang offenbar nicht gerade überzeugend, denn mein Dad zog seine buschigen Augenbrauen zusammen. Ich stellte mir vor, wie sich an der Atlantikküste Sturmwolken bildeten und die Boote von wütenden Wellen hin- und hergeschleudert wurden. »Wenn die Schule nicht deinen Erwartungen entspricht, schick ich nur zu gern eine Flutwelle …«
»Nein, alles bestens«, sagte ich eilig. »Aber, na ja, diese Empfehlungsschreiben fürs College …«
Poseidon seufzte. »Ja. Eudora hat angeboten, dich zu beraten. Sie ist die Nereide der Meeresgaben, musst du wissen. Hilft anderen nur zu gern. Aber vielleicht hätte sie noch ein bisschen mit der Nachricht warten sollen …«
Mit anderen Worten: Jetzt musste er das tun, und dazu hatte er überhaupt keine Lust.
Wenn ihr zu dem Ergebnis gekommen seid, dass man von Eltern wie Poseidon besser die Finger lässt, dann liegt ihr zu hundert Prozent richtig. Ich war ihm zum ersten Mal begegnet, als ich schon in der Mittelstufe war und er (rein zufällig natürlich) etwas von mir wollte.
Aber wir kommen mittlerweile ganz gut miteinander aus. Es ist eben schwer für Götter, eine enge Beziehung zu ihren sterblichen Nachkommen aufzubauen. Wir Halbgötter leben einfach nicht lange genug. Für Götter sind wir wie Wüstenrennmäuse, die dauernd umgebracht werden. Außerdem hatte Poseidon noch eine Menge andere Sachen am Laufen: über die Weltmeere herrschen, sich mit Ölkatastrophen, Wirbelstürmen und streitsüchtigen Meeresungeheuern rumschlagen, seine Paläste umbauen.
»Ich will doch nur an der Uni von Neu-Rom angenommen werden«, sagte ich. »Kannst du nicht irgendwie …« Ich wackelte mit den Fingern, in dem Versuch, eine göttliche Magie darzustellen, die Probleme verschwinden ließ. Nicht, dass ich so etwas jemals gesehen hätte. Götter sind viel besser darin, auf magische Weise Probleme entstehen zu lassen, als sie zu beheben.
Poseidon kämmte sich mit einer Spitze seines Dreizacks den Schnurrbart. Keine Ahnung, wie er das schaffte, ohne sich das Gesicht zu zerschneiden.
»Leider«, sagte er, »ist das mit den Empfehlungsschreiben das Beste, was ich raushandeln konnte. Nur so lässt der Olympische Rat dich deine Schulden abarbeiten.«
Kommunikation unter Wasser ist schwierig. Ich musste seine Worte zum Teil aus dem Summen und Klicken von Walgesängen übersetzen, einen anderen Teil hörte ich telepathisch in meinen Gedanken, weshalb ich nicht sicher war, dass ich ihn richtig verstanden hatte.
»Ich hab doch noch gar kein Studiendarlehen aufgenommen«, sagte ich. »Ich hab ja noch nicht mal einen Studienplatz.«
»Ich rede nicht von einem Studiendarlehen«, sagte Poseidon. »Sondern von den Schulden, die du zu bezahlen hast, weil du … existierst.«
Mein Herz wurde schwer. »Du meinst, weil ich ein Kind von einem der Großen Drei bin. Ein Kind von Dir.«
Poseidon starrte in die Ferne, als ob er gerade etwas Interessantes im Abgrund entdeckt hätte. Ich rechnete fast damit, dass er Sieh dir das mal an! brüllte und gleich darauf verschwinden würde.
Vor ungefähr siebzig Jahren hatten die Großen Drei – Zeus, Poseidon und Hades – beschlossen, keine Halbgötter mehr zu zeugen. Wir waren zu mächtig und zu unberechenbar. Wir brachen Weltkriege vom Zaun, lösten Naturkatastrophen aus, produzierten miese Sitcoms … was auch immer. Doch weil sie nun mal Götter waren, schafften es die Großen Drei immer wieder, gegen ihre Abmachung zu verstoßen und trotzdem keinen Ärger zu kriegen. Wer zu leiden hatte, waren wir, die Halbgottkinder.
»Ich dachte, wir hätten das hinter uns«, murmelte ich. »Ich hab euch doch im Kampf gegen die Titanen geholfen …«
»Weiß ich«, sagte mein Dad.
»Und bei dem gegen Gaia und die Giganten.«
»Weiß ich.«
»Und …«
»Mein Sohn.« Der scharfe Unterton in seiner Stimme verriet mir, dass ich die Aufzählung meiner größten Hits lieber beenden sollte. »Wenn ich zu entscheiden hätte, würde ich diese alberne Bedingung sofort abschaffen. Aber leider ist da jemand«, er schaute nach oben, denn jemand war sein Codewort für mein absolut uneinsichtiger Bruder Zeus, »ein kleinlicher Paragrafenreiter. Du hättest niemals geboren werden dürfen, deshalb bist du streng genommen an der Universität von Neu-Rom nicht zugelassen.«
Ich konnte es nicht fassen.
Und ich konnte es problemlos fassen.
Immer wenn ich glaubte, mal eine Atempause zu haben, hatte ich keine. Die olympischen Gottheiten schienen mich für ihr persönliches Spielzeug zu halten.
Ich lockerte meine Kiefer, nachdem ich ausgiebig mit den Zähnen geknirscht hatte. »Also, drei Empfehlungsschreiben.«
Poseidons Miene hellte sich auf. »Zeus wollte eigentlich fünfundzwanzig. Ich hab ihn auf drei runterhandeln können.«
Er sah aus, als ob er auf etwas wartete.
»Danke«, knurrte ich. »Ich nehme an, du kannst mir keins schreiben?«
»Ich bin dein Vater. Ich wäre nicht objektiv.«
»Ach ja, klar, wir wollen immer schön objektiv bleiben.«
»Ich bin froh, dass du das einsiehst. Für jedes Schreiben musst du einen neuen Einsatz leisten. Alle drei müssen vor Bewerbungsschluss zur Wintersonnenwende vorliegen. Wenn ein Gott dir ein Empfehlungsschreiben gibt, dann reichst du es an Eudora weiter und sie legt es in deinem Dossier ab.«
Ich suchte in Gedanken nach Göttern, die mir vielleicht entgegenkommen und mir leichte Einsätze auftragen würden. Ich hatte im Laufe der Jahre schon ganz schön vielen Unsterblichen geholfen. Das Problem war nur, dass ich welche finden musste, die sich erinnern würden, dass ich ihnen geholfen hatte, oder die wenigstens meinen Namen noch wüssten. »Ich könnte Hermes fragen. Und Artemis …«
»Nein, du kannst die Götter nicht einfach fragen. Sie müssen zu dir kommen. Aber mach dir keine Sorgen.« Poseidon sah richtig selbstzufrieden aus. »Ich habe es mir erlaubt, einen Aushang am Schwarzen Brett des Olymp zu machen.«
»Am was?«
Poseidon schnippte mit den Fingern, und ein neongelber Flyer tauchte in seinen Händen auf. Darauf war mein Foto zu sehen, und darunter stand:
PERCY JACKSON ERLEDIGT EINSÄTZE JEGLICHER ART
(für ein College-Empfehlungsschreiben)
Der untere Rand des Flyers war in kleine Streifen zerschnitten, und auf jedem stand meine Adresse.
Das Foto sah aus wie aus meinem Badezimmerspiegel heraus aufgenommen, und das warf eine Menge von beunruhigenden Fragen auf. Meine Haare waren nass. Die Augen waren halb geschlossen. Aus meinem Mund ragte eine Zahnbürste.
»Du hast das schon gepostet, was?«, sagte ich.
»Das war gar kein Problem«, beruhigte mich Poseidon. »Und meine Meeresgeister haben es überall auf dem Olymp aufgehängt.«
»Ich bin so …«
»Dankbar.« Seine schwere Hand legte sich auf meine Schulter. »Ich weiß. Ich weiß auch, dass du mit diesem zusätzlichen Hindernis nicht gerechnet hattest, aber überleg mal! Wenn du erst am College bist, wird dein Leben bestimmt viel einfacher. Du und deine Freundin …«
»Annabeth.«
»Ja. Du und Annabeth, ihr könnt dann alles locker angehen lassen und Spaß haben.«
Poseidon richtete sich auf. »Ich glaube, da ruft meine Innenarchitektin. Wir haben noch immer nicht entschieden, ob wir für die Fliesen im Badezimmer Seeschaum oder Aquamarin nehmen wollen. Wunderbar, dich mal wiederzusehen, Percy. Viel Glück bei den Einsätzen.«
Er klopfte mit seinem Dreizack auf den Terrassenboden. Der öffnete sich und ich wurde durch den Meeresgrund zurückgespült, und diesmal hatte ich nicht einmal einen Plastikstuhl zum Sitzen.
Wir beschweren uns über Einsätze und Zierkürbisse
»Du musst was?«
Annabeth und ich saßen auf der Feuerleiter vor meinem Zimmer, und unsere Füße baumelten über der 104th Street. In den vergangenen Wochen, während der Sommer in den letzten Zügen lag, war die Feuerleiter unser Glücksort geworden. Und trotz allem, was heute passiert war, war ich glücklich. Es ist schwer, traurig zu sein, wenn ich mit Annabeth zusammen bin.
Ich erzählte ihr von meinem ersten Tag an der AHS, dem Unterricht, den Kopfschmerzen, dem unfreiwilligen Ausflug auf den Meeresboden. Annabeth baumelte mit den Beinen – eine nervöse Angewohnheit, als ob sie Mücken oder nervige Meeresgeister vertreiben wollte.
»Das ist doch lächerlich«, sagte sie. »Vielleicht kann ich meine Mom überreden, dir eine Empfehlung zu schreiben.«
Annabeths Mom ist Athene, die Göttin der Weisheit, und eine Empfehlung von ihr wäre sicher eine große Hilfe. Leider hatte Athene mich bei unseren wenigen Begegnungen mit ihren bohrenden grauen Augen von Kopf bis Fuß gemustert, als wäre ich ein Deepfake.
»Deine Mom kann mich nicht leiden«, sagte ich. »Und Poseidon war da sehr klar. Ich muss für drei Götter neue Einsätze erledigen. Und sie müssen mich von sich aus damit beauftragen.«
»Uäh.«
»Habe ich auch gesagt.«
Annabeth richtete ihren Blick auf den Horizont, als ob sie drüben in Yonkers nach einer Lösung suchte. Kann aus Yonkers je eine Lösung kommen?
»Wir kriegen das schon hin«, sagte sie. »Wir haben schon Schlimmeres durchgemacht.«
Ich liebte ihre Zuversicht. Und sie hatte recht. Wir hatten zusammen schon so viel durchgemacht, ich konnte mir kaum etwas vorstellen, mit dem wir nicht fertigwerden würden.
Manchmal wurde ich gefragt, ob ich je ein anderes Mädchen als Annabeth gedatet oder auch nur mit dem Gedanken gespielt hätte. Ganz ehrlich? Die Antwort war nein. Wenn ihr euch gegenseitig durch den Tartarus geholfen habt, den tiefsten und entsetzlichsten Ort im ganzen Universum, und danach stärker wart als zuvor … also, das ist keine Beziehung, die je ersetzbar ist. Wenn man das überhaupt wollte. Na ja, okay, ich war noch nicht mal achtzehn. Aber trotzdem … niemand kannte mich besser oder hatte sich mehr von mir gefallen lassen oder mich häufiger vor dem Absturz gerettet als Annabeth, und ich wusste, sie würde über mich dasselbe sagen – denn wenn ich als Freund unzureichend wäre, würde sie mir das ziemlich schnell klarmachen.
»Vielleicht sind das ja nur kleine Einsätze«, sagte ich hoffnungsvoll. »Wie samstags am Highway den Müll aufsammeln oder so. Aber das hier ist mein Ding, nicht unser Ding. Ich will dich da nicht mit reinziehen.«
»He!« Sie legte ihre Hand auf meine. »Du ziehst mich nirgendwo rein. Ich werde dir helfen, die Highschool zu schaffen und mit mir auf dem College angenommen zu werden, egal, wie.«
»Du schreibst mir also meine Aufsätze?«
»Netter Versuch.«
Wir saßen eine Minute schweigend da, und unsere Schultern berührten sich. Wir hatten beide ADHS, aber ich hätte stundenlang so sitzen bleiben können, absolut zufrieden, und mich darüber freuen, wie die Nachmittagssonne Annabeths Haare funkeln ließ, oder wie ihr Pulsschlag sich meinem anpasste, wenn wir uns an den Händen hielten.
Auf ihrem blauen T-Shirt stand mit goldenen Buchstaben SODNYC. Das klang wie eine Beleidigung, aber es war einfach nur der Name ihrer neuen Schule: School of Design, New York City.
Ich hatte sie schon nach ihrem ersten Tag gefragt. Sie hatte erst angefangen, mir von ihrem Architekturlehrer und dem Thema ihrer ersten großen Hausarbeit zu erzählen, dann aber abrupt geendet mit: »Alles super. Wie war es bei dir?« Sie wusste wohl, dass ich mehr zu erzählen und mehr Probleme zu lösen haben würde.
Das kam mir nicht fair vor – nicht, weil sie sich da irrte, sondern, weil ich sie nicht zurücksetzen wollte. Bei Leuten, die gut Probleme lösen können, ist es oft so, dass sie sich von anderen bei ihrem eigenen Kram nicht helfen lassen.
Ich wollte sie gerade noch einmal nach ihrem Tag fragen, um sicherzugehen, dass keine Götter oder Monster bei ihr aufgetaucht waren, um sie auf Einsätze zu schicken, als meine Mom aus dem Haus rief: »He, ihr zwei. Lust, beim Abendessen zu helfen?«
»Klar, Sally.« Annabeth zog die Beine hoch und kletterte durch das Fenster. Wenn es einen Menschen gab, dem Annabeth noch lieber half als mir, dann war das meine Mom.
Als wir in die Küche kamen, schnitt Paul gerade Knoblauch für die Gemüsepfanne klein. Er trug eine Schürze, die einer seiner Schüler ihm am Ende des Schuljahres geschenkt hatte. Darauf stand: »EIN REZEPT IST EINE GESCHICHTE, DIE MIT EINER KÖSTLICHEN MAHLZEIT ENDET.« – PAT CONROY.
Ich hatte keine Ahnung, wer Pat Conroy war. Vermutlich irgendein literarischer Mensch, da Paul Literatur unterrichtet. Mir gefiel das Zitat jedenfalls, einfach weil mir köstliche Mahlzeiten gefallen.
Annabeth schnappte sich ein Messer. »Der Brokkoli ist für mich reserviert.«
Paul grinste sie an. Seine grau melierten Locken waren im Laufe des Sommers etwas länger und lockiger geworden, und er rasierte sich jetzt nur noch alle zwei Tage, deshalb sah er aus wie ein »netter Verbrecher« (Zitat meiner Mom).
»Ich überlasse das Schneidbrett Athenens Tochter«, sagte er und machte eine kleine Verbeugung.
»Ich danke Euch, gütiger Herr«, sagte Annabeth ebenso feierlich.
Meine Mutter lachte. »Ihr zwei seid hinreißend.«
Paul zwinkerte Mom zu, dann drehte er die Herdplatte unter dem Wok höher. Seit dem letzten Frühling, als Paul Annabeth bei irgendeinem unmöglichen Englischprojekt geholfen hatte, verband die beiden so ein Insider-Shakespeare-Ding, und wenn sie miteinander redeten, klangen sie meistens so, als ob sie irgendeine Szene aus Macbeth aufführten.
»Percy«, sagte meine Mom. »Würdest du den Tisch decken?«
Sie hätte eigentlich nicht zu fragen brauchen, weil das meine übliche Aufgabe war. Fünf nicht zusammenpassende Teller in Pastellfarben. Ich bekam immer den blauen. Papierservietten. Gabeln. Gläser und ein Krug voll Leitungswasser. Nichts Großartiges.
Ich fand es schön, so ein schlichtes Ritual zu haben – etwas, bei dem es nicht um Kämpfe mit Ungeheuern, göttliche Weissagungen oder Nahtoderfahrungen in den Tiefen der Unterwelt ging. Einen Abendbrottisch zu decken klingt für euch vielleicht langweilig, aber wenn ihr in eurem Leben nie eine Atempause habt, dann kann etwas Langweiliges sehr verlockend sein.
Meine Mom überprüfte den Reiskocher und nahm eine Schüssel mit mariniertem Tofu aus dem Kühlschrank. Sie summte dabei – irgendeinen Nirvana-Song, glaube ich. Come as you are? Das Leuchten in ihrem Gesicht und das Funkeln in ihren Augen sagten mir, dass es ihr gut ging. Sie bewegte sich, als ob sie schwebte, oder als ob sie jeden Moment ein paar Tanzschritte machen würde. Ich musste lächeln.
Sie war viel zu lange eine total gestresste, viel zu schlecht bezahlte Mutter gewesen, mit gebrochenem Herzen nach ihrer kurzen Affäre mit dem Meeresgott, und immer besorgt um mich, ihr Halbgottkind, das von Monstern gejagt wurde, seit es alt genug war zu krabbeln.
Jetzt hatten sie und Paul zusammen ein gutes Leben. Und obwohl es mich ein bisschen traurig machte, irgendwie nicht ganz dazuzugehören, gerade jetzt, wo die Lage sich besserte, waren daran wirklich nicht meine Mom oder Paul schuld. Sie gaben sich alle Mühe, mich in alles einzubeziehen. Außerdem wollte ich ja selbst aufs College. Wenn ich die Wahl hatte, entweder mit Annabeth zusammen zu sein, oder … na ja, was auch immer, dann war die Sache klar.
Paul ließ eine Knoblauchzehe in den Wok fallen, und sie zischte und dampfte wie ein niesender Drache (ja, ich habe Drachen niesen sehen). »Mich dünkt, wir sind bereit, Milady.«
»So sei es.« Annabeth kippte das Gemüse ins Öl, als unsere Türglocke ertönte.
»Ich geh schon«, sagte ich und lief zur Tür, um unseren fünften Essensgast einzulassen.
Sowie ich die Tür öffnete, drückte mir Grover Underwood einen Obstkorb in die Hände. »Ich hab Erdbeeren mitgebracht.« Seine Nase zuckte. »Ist das eine Tofu-Pfanne?«
»Dir auch einen guten Tag«, sagte ich.
»Ich liebe Tofu-Pfanne!« Grover trottete um mich herum und steuerte die Küche an, denn Grover isst gerne und weiß, was gut ist.
Mein bester Freund hatte sein Aussehen ein bisschen verwildern lassen, was einiges besagt, schließlich ist er ein Satyr. Seine Hörner und seine Locken wetteiferten darum, wer höher aufragte. Im Moment schienen die Hörner den Sieg davonzutragen, aber nur mit einem winzigen Vorsprung. Sein ziegenhaftes Hinterteil war so zottig geworden, dass er es nicht mehr mit einer Menschenhose bedeckte. Er versicherte mir aber, dass Menschen das Fell noch immer für eine Hose hielten, wenn sie es durch die irreführende Magie des Nebels sahen. Wenn ihn jemand seltsam musterte, sagte Grover einfach irgendwas von Trainingsklamotten.
Er trug sein übliches oranges Camp-Half-Blood-T-Shirt und spezialgefertigte Tennisschuhe über seinen Hufen, denn Hufe machen Krach und sind für den Nebel schwer zu tarnen. Ich nehme an, die Erklärung »Trainingsklamotten und Steppschuhe« wäre nicht so glaubwürdig.
Meine Mom umarmte Grover und freute sich wahnsinnig über die Erdbeeren, als ich den Korb auf den Küchentresen stellte.
»Die duften wunderbar«, sagte sie. »Perfektes Dessert.«
»Letzte Ernte des Sommers«, sagte Grover sehnsüchtig.
Er lächelte mich traurig an, als ob er daran dachte, dass das auch mein letzter Sommer im Camp gewesen war. Wenn Halbgötter die Highschool abgeschlossen haben (falls wir lange genug leben), wechseln die meisten von uns in die normale Welt. Wir sollten dann stark genug sein, um uns selbst zu verteidigen, und die Monster lassen uns in Ruhe, weil wir keine so leichte Beute mehr sind. So weit die Theorie …
»Jetzt kommt die Kürbissaison«, fuhr Grover seufzend fort. »Versteht das nicht falsch. Ich liebe Zierkürbisse, aber richtig lecker sind die nicht.«
Meine Mom tätschelte seine Schulter. »Wir werden diese Beeren gebührend würdigen.«
Der Reiskocher piepste, als Paul gerade den Herd ausschaltete und den dampfenden Wok ein letztes Mal umrührte. »Wer hat Hunger?«
Alles schmeckt besser, wenn ihr mit Leuten esst, die ihr liebt. Ich erinnere mich an jede einzelne Mahlzeit mit meinen Freunden in der Kombüse der Argo II – auch wenn wir meistens nur zwischen lebensgefährlichen Kämpfen Junkfood hinunterschlangen. Hier zu Hause versuchte ich, jedes Essen mit meiner Mom und Paul zu genießen.
Fast meine ganze Kindheit hindurch war ich von Internat zu Internat weitergereicht worden, deshalb hatte ich diese ganze Sache mit dem Familienessen nie richtig kennengelernt. Wenn ich zwischendurch mal zu Hause gewesen war, damals, als meine Mom mit dem stinkenden Gabe Ugliano verheiratet war, hatte ein gemeinsames Essen nie besonders verlockend gewirkt. Nur eins war schlimmer als Gabes Gestank, nämlich, wie er mit offenem Mund kaute.
Meine Mom wollte nur das Beste für mich. Alles, was sie tat, diente dazu, mich zu beschützen, auch das Leben mit Gabe, dessen Gestank die Monster von meiner Fährte ablenkte. Und meine ätzende Vergangenheit sorgte dafür, dass ich jetzt alles umso schöner fand.
Wir sprachen über die Schriftstellerei meiner Mom. Nachdem sie jahrelang davon geträumt hatte, sollte nun im Frühling ihr erster Roman veröffentlicht werden. Sie hatte keinen großen Vorschuss bekommen, aber immerhin, ein Verlag hatte sie für das Schreiben bezahlt! Sie schwankte zwischen Begeisterung und furchtbarer Angst davor, was passieren würde, wenn ihr Buch endlich erschien.
Wir sprachen auch über Grovers Tätigkeit beim Rat der Behuften Älteren, der Satyrn in alle Welt schickte, um sich über Naturkatastrophen zu informieren. Und davon gab es derzeit ja wirklich genug.
Dann erzählte ich Grover von meinem ersten Schultag und den drei Empfehlungsschreiben, die ich mir von irgendwelchen Göttern besorgen musste.
Für einen Moment flackerte Panik in seinem Gesicht auf, aber er unterdrückte sie schnell, setzte sich auf und wischte sich ein paar Reiskörner aus seinem Ziegenbart. »Na gut, dann machen wir diese Einsätze eben zusammen!«
Ich versuchte, nicht zu zeigen, wie abgrundtief erleichtert ich war. »Grover, du musst nicht …«
»Soll das ein Witz sein?« Er grinste Annabeth an. »Eine Chance auf Einsätze, nur wir drei? Wie in den alten Zeiten? Die Drei Musketiere?«
»Die Powerpuff Girls«, schlug Annabeth vor.
»Shrek, Fiona und Donkey«, konterte ich.
»Moment mal«, sagte Grover.
»Passt für mich«, sagte Annabeth.
Paul hob sein Glas. »Die Monster werden nie erfahren, was da über sie hereingebrochen ist. Seid nur vorsichtig, ihr drei.«
»Ach, wird schon gut gehen«, sagte Grover, aber sein linkes Auge zuckte. »Außerdem dauert es immer eine Weile, ehe sich so was bei den Göttern rumspricht. Wir haben sicher noch Wochen, bis der erste Auftrag reinkommt.«
Ich nehme einen Himbo-Smoothie
Der erste Auftrag kam am nächsten Tag rein.
Immerhin hatte ich diesmal schon alle Unterrichtsstunden hinter mich gebracht. Ich hatte Mathe überlebt, bei Englisch die Augen offen halten können, hatte im Leseraum ein Nickerchen eingelegt (die beste Stunde vom ganzen Tag) und in der siebten Stunde das Schwimmteam kennengelernt. Der Trainer sagte, unser erstes Training wäre am Donnerstag. Kein Problem, solange ich nur daran dachte, unter Wasser nicht zu atmen, nicht in Schallgeschwindigkeit zu schwimmen und nicht knochentrocken dem Pool zu entsteigen. Mit solchen Sachen handelte ich mir immer seltsame Blicke ein.
Erst als ich nach der Schule auf dem Weg zu Annabeth und Grover ins Himbo Juice war, wurde ich von einem Gott angesprochen.
Ich saß im Zug der Linie F, als ein Schatten über mich fiel. »Darf ich mich zu dir setzen?«
Ich wusste sofort, dass das Ärger bedeutete. In der U-Bahn wird nur gesprochen, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt, und schon gar nicht mit Unbekannten. Nie im Leben würde jemand fragen, ob er sich zu euch setzen darf. Alle quetschen sich einfach auf einen freien Platz, wenn es einen gibt. Und außerdem war der Wagen fast leer.
Der Typ vor mir sah aus wie ungefähr zwanzig und hatte kurze schwarze Haare, große braune Augen und kupferfarbene Haut. Er trug zerfetzte Jeans, ein hautenges schwarzes T-Shirt und jede Menge Gold: Fingerringe, Ohrringe, Halskette, Nasenring, Armreifen. Sogar seine Schnürsenkel funkelten golden. Er sah aus wie frisch aus einer Reklame für irgendeine Boutique in der Madison Avenue entsprungen: Kaufen Sie unseren Schmuck, dann sehen Sie auch so hinreißend aus!
Ich nahm auch einen Hauch von Parfüm wahr, eine Mischung aus Nelken und Zimt. Mir tränten die Augen davon.
Dann sagte er noch mal etwas.
»Was?«, fragte ich.
Er zeigte auf den Sitz neben mir.
»Ach so. Äh …«
»Danke.« Er ließ sich in einer Wolke aus zu süßem Duft auf den Sitz sinken und schaute sich die anderen sechs Fahrgäste im Wagen an. Dann schnippte er mit den Fingern, wie um einen Hund zu rufen, und alle erstarrten. Nicht, dass wirklich ein Unterschied zu sehen gewesen wäre.
»Also.« Er spreizte seine manikürten Finger auf den Knien und lächelte mich von der Seite an. »Percy Jackson. Freut mich.«
»Welcher Gott bist du?«
Cover
Rick Riordan – Der Kelch der Götter
Wohin soll es gehen?
Widmung
Ich werde weggespült
Mein Dad hilft mir mal kurz (was allerdings wenig hilfreich ist)
Wir beschweren uns über Einsätze und Zierkürbisse
Ich nehme einen Himbo-Smoothie
Was kann der Ganymed dafür, dass er so schön ist
Weil: Lakritz
Der große Schocker: Ich beleidige eine Göttin
Ich will zu meiner Mommy
Das Federvieh hat Blut geleckt
Mein Gesang macht alles schlimmer, und alle sind total geschockt
Wir dürfen keine Lose ziehen
Ganymed schenkt nach
Wir halten auf dem Wochenmarkt Ausschau nach totem Kram
Iris gibt mir einen Stock
Yonkers!
Grover schmettert Schlangenschlager
Ich begegne dem Männerdutt der Verdammnis
Annabeth besiegt alle mit Kräutertee
Ich probiere den Regenbogen und der schmeckt ganz schön scheußlich
Iris akzeptiert auch PayPal
Ich biete jetzt auch Paarberatung an. Im Ernst. Wieso lacht ihr?
Ich kriege einen Cupcake und eine Überraschung
Ganymed lässt alle Getränke explodieren
Ich putze mir die Zähne so heldenhaft wie überhaupt möglich
Ich begegne dem Kelchklauer
Ich verhandele über die Bedingungen meiner Auflösung
Meine letzten Worte sind unbeschreiblich peinlich
Jetzt regnet es Spielzeug
Ich balanciere am Abhang des Mount Brunch
Ich infiltriere den Bau des Blitzgottes
Ich trete einem gefährlichen Raubtier gegenüber, bei dem es sich möglicherweise um meine zukünftige Schwiegermutter handelt
Grover isst meine Essensreste
Noch ein Fruchtbonbon zur Erinnerung an alte Zeiten
Ich schreibe den schlimmsten Brief aller Zeiten – löschen, löschen!
So ziemlich der allerbeste Gutenachtkuss ever
Glossar
Rick Riordan
Gabriele Haefs
Impressum