Perfect Game. Eine neue Ära im Profi-Darts - Elmar Paulke - E-Book + Hörbuch

Perfect Game. Eine neue Ära im Profi-Darts Hörbuch

Elmar Paulke

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Beschreibung

Es ist viel passiert im Darts-Sport in den vergangenen Jahren. Der Boom setzt sich unvermindert fort, ein Generationswechsel ist in vollem Gange. Einige Superstars sind zurückgetreten, dafür mischen junge Profis die Szene auf, getrieben von der Liebe zum Spiel und der Chance, zum Multi-Millionär zu werden. Mit Fallon Sherrock gewinnt die erste Frau bei einer Weltmeisterschaft ein Match gegen einen Mann und wird über Nacht zum Star. Paradiesvogel Peter Wright, Publikumsliebling mit einer bewegenden Lebensgeschichte, wird sensationell Weltmeister. Die Hoffnung auf einen deutschen Top-10-Spieler lebt. Kein deutscher Journalist kennt den internationalen Darts-Zirkus so gut wie Elmar Paulke, niemand ist den Spielern so nah wie er, als TV-Kommentator und Live-Moderator ist er längst selbst eine Kultfigur. In seinem neuen Buch führt er uns hinter die Kulissen der ungewöhnlichen Darts-Szene, porträtiert und analysiert die größten Stars und interessantesten Newcomer, berichtet von spannenden und kuriosen Erlebnissen, bietet jede Menge Hintergründe und exklusive Insider-Informationen.

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Zeit:6 Std. 23 min

Sprecher:Elmar Paulke
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Inhalt

Vorwort von Russ Bray

Prolog:     Nichts geht mehr

Kapitel 1: Dimitri van den Bergh – der mit dem Corona-Bart

Tagebuch

Kapitel 2: Das Ende einer Ära – Abschied von van Barneveld und Taylor

Tagebuch

Kapitel 3: Blick zurück – Entwicklung des Profi-Darts

Tagebuch

Kapitel 4: Die jungen Wilden – Beginn einer neuen Ära

Tagebuch

Kapitel 5: Gerwyn Price – der Grinch

Tagebuch

Kapitel 6: Nathan Aspinall – der Believer

Tagebuch

Kapitel 7: Peter Wright – Der Kämpfer

Tagebuch

Kapitel 8: Fallon Sherrock – die Gelassene

Tagebuch

Kapitel 9: Darts in Deutschland

Tagebuch

Kapitel 10: Gabriel Clemens – der Saarländer

Tagebuch

Zum Schluss: Perfect Game

Vorwort

Professionelles Darts hat sich in den letzten 40 Jahren enorm entwickelt. Ich habe das selber zunächst als Spieler, später als Caller hautnah miterlebt, auch wenn ich als Spieler letztlich nicht gut genug war, um meinen Lebensunterhalt durch Darts zu finanzieren. Ich war „county player“ für Herfordshire und durfte mit dem großen Eric Bristow zumindest im Doppel zwei große BDO-Turniere in Norwegen und Finnland gewinnen.

Die 80er-Jahre waren eine ziemlich wilde Zeit, in der es für Profis kaum Regeln gab. Jeder machte, was er wollte, und versuchte, seinen eigenen Weg zu finden, um sich von den anderen abzusetzen. Es gibt aus dieser Zeit die verrücktesten Geschichten, von denen einige sicher niemals an die Öffentlichkeit gelangen werden. Wir hatten damals unglaublich viel Spaß zusammen, waren tatsächlich eine große Darts-Familie, mit der man viel Zeit verbrachte.

Mit der heutigen Profitour, in der junge Spieler im Kampf um sehr viel Geld nach vorne preschen, ist das überhaupt nicht mehr zu vergleichen. Darts ist zum Beruf, zum Profisport geworden, und der erste Spieler, bei dem ich diese Entwicklung erlebte, war Phil Taylor. Phil hatte sich einen Trainingstag zu Hause wie einen Bürotag eingeteilt: Er stand morgens um sieben Uhr auf, frühstückte, ging um acht Uhr in sein Büro, trainierte zwei, drei Stunden, legte eine Mittagspause ein und trainierte dann am Nachmittag ein zweites Mal. Er versuchte damit, eine Trainingsroutine zu etablieren, von der er überzeugt war, sie würde ihm helfen, die klare Nummer eins der Welt zu bleiben.

1996 kam ich dann als Caller zur PDC, das World Matchplay war mein erstes Turnier. Ich hatte das Glück, 2002, ebenfalls in Blackpool beim World Matchplay, den allerersten 9-Darter auf dem PDC-Circuit live im englischen Fernsehen zu callen. Eine große Ehre. Phil Taylor schaffte das „Perfect Game“ im Viertelfinale gegen Chris Mason. Das werde ich nie vergessen. Damals hat kein Mensch geglaubt, dass Profis irgendwann mal 47 „perfekte Spiele“ in einem Jahr werfen würden, so wie es 2019 passierte. Der Standard hat sich enorm gesteigert in den letzten 20 Jahren, vor allem auch, was die Breite betrifft. Heute spielt auch eine Nummer 40-mal einen 110er-Average, das hat es in den 80er-, 90er-Jahren nicht gegeben. Zudem ist der Konkurrenzgedanke gewachsen. Mit Michael van Gerwen, Gerwyn Price oder Nathan Aspinall ist eine völlig neue Generation entstanden, die die Tour inzwischen diktiert.

Ich habe Elmar mit Beginn der European Tour 2012 kennengelernt. Damals war natürlich noch Phil Taylor dabei, genauso wie Raymond van Barneveld. Andy Hamilton erlebte seine Topzeit, Wes Newton war sehr erfolgreich sowie auch Paul Nicholson. Kevin Painter hatte endlich seinen ersten Major-Sieg bei den Players Championship Finals eingespielt. Alles gute Jungs, die heute keine Rolle mehr auf der Profitour spielen. Der Zeitpunkt, sich dieser neuen Profigeneration in einem Buch zu widmen, ist perfekt gewählt. Die Tour hat gute Typen, neue Gesichter bekommen, die den Mut haben, ihren Charakter, ihre Eigenarten auch auf der Bühne zu leben. Ich glaube, es ist enorm wichtig, dass der Dartsport seine Typen pflegt, damit weiterhin so charakterstarke Kerle die Szene prägen. Denn das war immer eines der Erfolgsrezepte des Darts. „Perfect Game“ – wer es noch nicht weiß: Darts ist tatsächlich das perfekte Spiel, das uns alle seit Jahrzehnten nicht mehr loslässt.

Gratuliere, Elmar, zu diesem Buch. Euch wünsche ich viel Spaß beim Lesen!

Russ „The Voice“ Bray

PrologNichts geht mehr

Es ist Anfang April 2020. Deutschland geht in die vierte Woche des Coronavirus-Lockdowns. Meine letzte Darts-Übertragung fand vor etwa drei Wochen am 12. März 2020 statt: der sechste Spieltag der Premier League Darts, bei dem ich für DAZN live von der Veranstaltung aus Liverpool berichtete. Es war einer dieser Premier-League-Abende, die in einer riesigen Multifunktionsarena stattfinden, mit einer Kapazität von rund 10 000 Zuschauern. An diesem Abend hatten einige hundert Fans ihr Eintrittsticket nicht wahrgenommen, aus Sorge, sich mit dem Virus anzustecken.

Es kursieren verschiedenste Szenarien: Die einen hoffen, dass es in ein paar Wochen wieder losgeht, andere vermuten, dass es 2020 zu keiner einzigen Großveranstaltung kommt. Die größten Pessimisten befürchten, dass Großevents in der Art, wie wir sie kennen, nie mehr stattfinden werden.

Wie erlebt der Dartsport die Corona-Krise? Wie viel Schaden richtet diese womöglich monatelange Pause an? Zumindest droht eine Kettenreaktion, die die Verluste besonders groß werden lassen könnte. Auch wenn die PDC bereits signalisiert hat, dass die Preisgelder über Jahre hinweg sicher wären: Irgendwann geht es nicht mehr ohne Sponsoren, denn bei sämtlichen Major-Turnieren sind Wettanbieter als Titel-Sponsoren die größten Geldgeber. Und auch diese Branche erwischt es mit voller Breitseite, weil es eben keinen Live-Sport gibt. Sollten Sponsoren in diesen Zeiten tatsächlich abspringen, könnte das am Ende einen direkten Einfluss auf die Anzahl an Profispielern bei der PDC haben.

Könnte der Profisport Darts an dieser Pandemie eventuell zugrunde gehen oder zumindest weit nach hinten geworfen werden? Wandert „the funny old game“ zurück in die Kneipe, dorthin, wo alles begann? Das wäre der „worst case“. Es spricht vieles dagegen, doch auch solche Gedanken flackern in diesen Tagen der Ungewissheit auf. Viele Sportverbände signalisieren große finanzielle Einbußen und sorgen sich vor allem um ihren Profibereich. Man darf nicht vergessen: Darts ist ein Individualsport. Anders als im Mannschaftssport, im Fußball, Eishockey oder Handball, wo ich Angestellter eines Vereins bin und mich der Verein selbstverständlich auch bezahlt, ist ein Dartprofi soloselbstständig, vergleichbar mit einem freischaffenden Künstler. Als Nummer 60 der Welt hast du in den letzten zwei Jahren vielleicht 50 000 Pfund eingespielt. Davon wurden sämtliche Reisekosten beglichen und so ganz nebenbei ja auch noch Steuern gezahlt. Wir reden von 25 000 Pfund im Jahr, rund 2000 Pfund im Monat. Brutto.

Profispieler außerhalb der Top 50 kämpfen bereits jetzt, nach nur vier Wochen, ums finanzielle Überleben. Keine Turniere bedeutet keine Preisgelder, sprich null Einnahmen. Die PDC hat schnell reagiert. Noch im März 2020 schüttete PDC-Chef Barry Hearn eine Soforthilfe von 1000 Pfund für jeden Spieler aus; ein Betrag, der unbürokratisch helfen sollte und nicht zurückgezahlt werden muss. Kurze Zeit später gab es das Angebot von Krediten, die Tour-Card-Besitzer beim Verband aufnehmen konnten. Kredite, die man später über sein eingespieltes Preisgeld tilgen kann. Wer die Notbremse zieht und in seinen alten Job zurückkehren oder auf eine neue Tätigkeit ausweichen will, merkt schnell, dass es in der aktuellen wirtschaftlichen Situation unglaublich schwierig ist, Jobs zu finden.

Not macht erfinderisch

Auch für mich persönlich fühlt es sich an, als habe jemand die Pausetaste gedrückt. Gerade in meiner Berufsbranche geht aktuell gar nichts mehr: Sämtliche Veranstaltungen wurden abgesagt, auch kleinere Firmenevents. Damit steht meine Auftragslage bei ziemlich genau null. Für mich als selbstständigen Reporter, Moderator und Eventmanager bedeutet das: Ich muss in nächster Zeit von meinen Rücklagen leben. Als Vater von drei Kindern bin ich beunruhigt. Ich setze mich an den Schreibtisch und versuche auszurechnen, wie lange ich ohne Aufträge durchkommen würde, welche Geldquellen es noch anzuzapfen gäbe, im Notfall.

Ich habe mich im April 2016 selbstständig gemacht, damals meine 18-jährige Festanstellung bei SPORT1 gekündigt, weil ich an die Entwicklung im Dartsport geglaubt habe und rauswollte aus den Fängen einer Festanstellung. Meine Mutter fragte mich gestern tatsächlich noch, ob ich diesen Schritt jetzt bereuen würde. Auf keinen Fall! Auch wenn für wichtige Auftraggeber wie die PDC Europe oder gerade auch für DAZN, den Livestream-Sender, diese Situation der Super-GAU ist. Da glaubst du an die Idee, dass Live-Sport die Menschen fasziniert, dass du sie durch Live-Übertragungen an deinen Sender bindest, und dann findet weltweit kein einziges Sportevent statt. Über Wochen, Monate.

Aber Hause rumsitzen und abwarten, dass etwas passiert, ist nicht mein Ding. Corona hat auch seine guten Seiten, weil man plötzlich Zeit für andere Projekte hat. Der Wunsch, aktiv zu sein, regt die Fantasie und Kreativität an. So rufe ich Ende März die „Elmar Paulke’s Lonely Darts Club Show“ ins Leben, eine YouTube-Live-Show mit folgendem Grundgedanken: Da einerseits Darts eine der ganz wenigen Sportarten ist, die zu Hause von jedem betrieben werden können, und andererseits zurzeit keine Profiturniere stattfinden, warum nicht die Gelegenheit nutzen und etwas kreieren, was im Tour-Alltag nicht möglich ist: Fans und Profis zusammen ans Board bringen? Ohne Turniere, ohne Tour ist der Profi am Ende ja auch nur ein „Normalo“, dem die Arbeit entzogen wurde und der deshalb wie alle anderen zu Hause festsitzt und sich langweilt. Zweimal die Woche einen Moment schaffen, bei dem wir nicht an Corona und seine Auswirkungen denken, das ist die Idee. Als ich meinem Freund Thomas Scherer davon erzähle, ist er nicht nur begeistert, er stellt mir auch seinen Chefgrafiker Franz Hoegl und den Marketingexperten Florian Wirthgen zur Verfügung, sodass wir innerhalb von ein paar Tagen starten können. Sechs Profis müssen nicht lange überzeugt werden: Michael Smith, Weltmeister Stephen Bunting, Joe Cullen, Gabriel Clemens, Max Hopp und „Shorty“ Seyler. Sie bilden mit jeweils zwei Fans ein Team und treten gegeneinander an. Die Zuschauer können durch ihr Voting ebenfalls mitmischen. Das ist zwar alles mit einer Menge Aufwand verbunden, aber insgesamt eine wunderbare Ablenkung.

Und dann gibt es da noch die Idee zu diesem Buch, die ich bereits seit einigen Monaten in mir trage. Entstanden ist sie nach der letzten WM, als der fünfmalige Weltmeister Raymond van Barneveld seinen Abschied nahm. Nachdem der große Phil Taylor sich schon 2018 verabschiedet hatte, ging damit endgültig eine Ära zu Ende. Und gleichzeitig wächst eine neue Generation hungriger junger Spieler heran – die „jungen Wilden“. Es hat sich unheimlich viel getan in den letzten Jahren im Dartsport. Diese Entwicklung wollte ich in einem Buch aufzeigen, die neuen Stars am Darts-Himmel vorstellen und etwas näher unter die Lupe nehmen. Vor Corona hatte ich dafür keine Zeit, aber jetzt heißt es: Game on!

Doch im Moment sind die Superstars von morgen weniger damit beschäftigt, einer neuen Ära ihren Stempel aufzudrücken als sich, wie wir alle, zu fragen, wie es weitergeht. Wenn dieses Buch erscheint, Anfang Dezember, wissen wir hoffentlich, dass es die Weltmeisterschaft im Ally Pally geben wird. Und wenn nicht im Alexandra Palace, dann womöglich woanders. Vielleicht wird es aber auch eine WM ohne Zuschauer sein. Ist das im Darts auf Dauer vorstellbar? Könnte der Profibereich der Sportart Darts ohne Publikum überleben? Ohne dieses Wechselspiel Partystimmung vs. Mentalsport? Es würde meiner Meinung nach seine Massenkompatibilität verlieren. Da bin ich mir sogar ziemlich sicher. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Partie Darts ohne Jubel, ohne Gesänge, ohne Schilder, ohne Kostüme ein Millionenpublikum erreicht. Die Faszination umfasst mehr als den reinen Sport, das Darts-Paket für den Fan ist größer und deshalb auch besonders geil. Momentan wissen wir tatsächlich sehr wenig. Werner von Moltke, der CEO der PDC Europe, hat zuletzt im Interview gesagt, dass er keine Prognosen abgeben könne. Alles ist möglich und damit auch nichts. Die PDC Europe ist angewiesen auf den Ticketverkauf – die Bedrohung ist existenziell. Wie lange der Verband, die PDC, diesen Zustand überbrücken kann? Das werden uns PDC-Chef Barry Hearn und sein engster Kreis nicht verraten.

Kapitel 1Dimitri van den Bergh – der mit dem Corona-Bart

Sonntag, der 26. Juli 2020. Die Corona-Pandemie bringt tatsächlich auch strahlende Sieger hervor: Dimitri van den Bergh, 26 Jahre jung, gewinnt völlig überraschend das World Matchplay. Es ist das zweitgrößte Ranking-Turnier nach der Weltmeisterschaft. Van den Bergh war als Nummer 26 der Welt in dieses Turnier gestartet, durch den Sieg ist er 14 Plätze in der Weltrangliste nach oben geklettert, jetzt ist er die Nummer zwölf. „Ich bin ein Major-Champion!“, sagt van den Bergh kurz nach seinem Sieg ein wenig ungläubig. „Glaube an dich und du kannst alles erreichen! The sky is the limit!“

„Dimi. Vidi. Vici“, titelt später das britische Darts World Magazine. Dimi kam, sah und siegte. Van den Bergh, der von allen Dimi genannt wird, trat mit dem guten Gefühl an, sich endlich zum ersten Mal für das World Matchplay qualifiziert zu haben. Nicht mehr und auch nicht weniger. Und dann schrieb er Geschichte.

Wie außergewöhnlich dieser Erfolg ist, zeigen ein paar Rekorde, die der „Dreammaker“ mit seinem Sieg aufstellt: Er ist der erste Belgier, dem ein PDC-Major-Sieg gelingt. Er ist seit dem Sieg des US-Amerikaners Larry Butler von 1994 der erste Debütant, der dieses Turnier gewinnt. Er ist der erste World Youth Champion, der sich beim World Matchplay durchsetzt. Und er ist der Erste und Einzige, der dieses Turnier nicht in Blackpool, im Winter Gardens, im wunderbaren Ballroom mit seiner goldenen Decke gewinnt, sondern in der sehr modernen Marshall Arena von Milton Keynes.

Die Frage, ob Dimitri van den Bergh dieses Turnier auch im traditionellen Austragungsort vor Zuschauern gewonnen hätte, ist müßig. Er war am Ende der konstanteste Spieler von allen 32 Teilnehmern. Und er hatte zudem eine schwierige Auslosung, bezwang zum Auftakt den UK-Open-Champion Nathan Aspinall, gegen den er zuvor in vier Versuchen noch nie gewinnen konnte. Ein Erfolg, der ihm Selbstvertrauen gab. Danach kämpfte er sich gegen Joe Cullen durch und schlug drei Weltmeister nacheinander, die alle mindestens zwei WM-Titel auf dem Kerbholz haben: Adrian Lewis, Glen Durrant und im Finale Gary Anderson.

Feiern kann Dimi diesen Megaerfolg nur ganz alleine. Die Party fällt wegen Corona natürlich aus. Es ist ja auch niemand da: weder die Freundin noch die Familie oder sein langjähriger Manager Mac Elkin. Die Corona-Vorschriften sind streng und so holt sich der frisch gekürte World Matchplay Champion 2020 zur Feier des Tages eine Pizza mit extra viel Knoblauch, einen sogenannten „garlic sizzler“. Um 1.30 Uhr, nach zig Sieger-Interviews, sitzt er ziemlich erschöpft auf dem Bett seines Hotelzimmers und postet ein Foto mit Pizza und Pokal. Irgendwie traurig und irgendwie rührend, weil van den Bergh diesen Moment so gerne teilen möchte, notfalls mit knapp 14 000 Twitter-Followern. Angestoßen wird später zu Hause mit der Familie. Er ist mit dem Auto nach Milton Keynes gereist und möchte sich gleich am nächsten Tag auf die Rückfahrt nach Antwerpen begeben.

Dieser Sieg soll für ihn nur der Beginn seiner nächsten Entwicklungsstufe sein: „Ich bin noch jung und habe noch so viel vor mir. Ich will jetzt Pro-Tour-Siege einfahren, Erfolge auf der European Tour.“ Es ist ungewöhnlich, dass ein junger Spieler den ersten Sieg auf dem Profi-Circuit bei einem so großen Turnier erzielt. Meistens benötigen unerfahrene Spieler erst kleinere Turniererfolge, um dann für den großen Wurf gewappnet zu sein. „Ich bin seit sieben Jahren auf der Tour“, erzählt Dimi, „ich musste sieben Jahre warten, ich habe sieben Jahre lang gelernt und Erfahrungen gesammelt. Und ich glaube, dass ich mich noch steigern kann. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich am Limit bin.“

Van den Bergh gehört einer neuen Spielergeneration an. Einer Generation, die seit ein paar Jahren immer mehr Aufmerksamkeit erfährt, letztlich angetrieben von Michael van Gerwen. Van den Bergh ist nicht der typische Vertreter dieser „jungen Wilden“, weil er sich gegen das aggressive Spiel entschieden hat. Was nicht heißt, dass sein Spiel langweilig ist. Wer bei 66 Punkten Rest, Bullseye, Doppel-8 spielt, der muss nicht permanent die Faust auspacken, um seinem Spiel noch mehr Kraft zu verleihen.

Flights statt Schnuller

Dimitri van den Bergh kommt aus einer klassischen Darts-Familie. Sein erstes Darts-Equipment hielt er als Baby in der Hand, noch bevor er laufen konnte. Sein Vater Chris, der selbst erfolgreich bei der BDO unterwegs war und zehn Jahre lang in der belgischen Nationalmannschaft spielte, steckte ihm immer Shafts und Flights in den Kinderwagen. „Ich muss eineinhalb, vielleicht auch zwei Jahre alt gewesen sein, als ich zum ersten Mal einen Pfeil auf ein Board warf“, erzählt Dimitri. „Ich habe ihm in der Anfangszeit unterhalb des Boards ein Schild aufgehängt“, erinnert sich der Papa, „das sollte er treffen.“ Der Sohnemann hat einen komplett anderen Stil als der Vater zu seiner Topzeit: „Ich war ein sehr aggressiver Spieler“, erzählt der BDO-French-Open-Sieger von 2001, „Dimitri ist teilweise so freundlich, dass es manchmal schon süß ist.“ Dimitris drei Brüder spielen auch Darts, aber nicht so gut wie er, das wurde relativ schnell klar. Die gesamte Familie van den Bergh ist unglaublich stolz auf Dimi, der Zusammenhalt groß.

Schlüsselmomente in einer Karriere müssen nicht immer Erfolge sein. Ende Oktober 2019 ist van den Berghs Niederlage gegen Dave Chisnall bei der European Darts Championship so ein Moment, der einiges verändert. „Nach dieser Niederlage“, sagt Dimitri, „habe ich meinen Vater angerufen und geweint. Nicht weil ich verloren hatte, sondern wegen der Art und Weise, wegen seines [Chisnalls] Spiels, ich war ratlos.“ Papa Chris reagierte damals wunderbar auf diesen Notruf seines ältesten Sohnes. Dimitri erinnert sich noch genau an seine Worte: „Mein Junge, jetzt ist deine Zeit gekommen. Wenn du einer der besten Spieler der Welt werden möchtest, ist es jetzt an der Zeit.“

Chris van den Bergh stellte für Dimitri einen Trainingsplan auf und brachte ihn damit zurück in die Spur. Drei Turniere später erreichte der zweimalige World Youth Champion bei der Weltmeisterschaft im Ally Pally das Viertelfinale. Acht Monate später, Ende Juli 2020, beim World Matchplay ist er der einzige Spieler, der es bei allen Major-Turnieren in 2020 mindestens bis ins Viertelfinale geschafft hat.

Seine Mutter hat übrigens die gesamte Woche über so ein Gefühl, als könnte etwas Besonderes passieren. Sein Vater sagt ihm gleich nach dem Triumph am Telefon: „Junge, du bist ein Mann geworden.“ Vielleicht macht es auch der Bart, den sich Dimitri mit Beginn der Corona-Pandemie hat wachsen lassen. „Ich hatte immer so ein Babyface und dachte, ich rasiere mich mal eine Zeitlang nicht.“ Dimitri selbst nennt ihn den Corona-Bart.

Unterschlupf beim aktuellen Weltmeister

Fast noch außergewöhnlicher als der unerwartete Erfolg sind vielleicht Dimis Lebensumstände rund um das Turnier. Am letzten Turnierwochenende in Barnsley, Mitte März, vor Beginn der Corona-Pandemie, überlegt sich van den Bergh, in England zu bleiben, nicht ahnend, dass er dadurch für knapp drei Monate nicht in seine Heimat Belgien wird reisen dürfen. „Ich hatte mitbekommen, dass sich die internationalen Spieler auf die Heimreise machten, weil klar war, dass die Grenzen schließen“, erinnert er sich. „Ich dachte aber, wenn da jetzt bald weitere Turniere anstehen, bleibe ich einfach in England.“ Normalerweise quartiert er sich zwischen Turnieren bei seinem englischen Manager Mac Elkin, ein, zu dem er eine sehr enge und freundschaftliche Beziehung hat. Doch das geht diesmal nicht. Joanne und Peter Wright bekommen das mit, stehen plötzlich vor ihm und laden ihn ein, bei ihnen zu wohnen. Dimitri fühlt sich geehrt, nimmt die Einladung an. Niemand ahnt zunächst, dass daraus ganze elf Wochen werden. „Ich bin häufig woanders zu Gast, aber drei Monate lang? Du bist niemals über drei Monate irgendwo zu Besuch“, so van den Bergh, der die Gastfreundschaft der Wrights nicht überstrapazieren möchte. Nach ein paar Wochen bemüht er sich deshalb auch über sein Management, wieder nach Hause zu kommen. Aber es gibt keine Möglichkeiten, die Grenzen bleiben geschlossen. „Joanne und Peter haben mir immer gesagt: Entspann dich, wir haben dich gerne hier, du bist hier herzlich willkommen.“

Das Haus der Wrights ist allerdings auch groß genug, um sich auch mal aus dem Weg gehen zu können. Wie ein großer Bauernhof, samt riesigem Grundstück. Trainiert wird anfangs kaum. Da geht es mehr um die Frage, wer die Eier aus dem Hühnerstall holt, wer das Frühstück macht und wer abends kocht. Peter ist bekannt für seine Kochkünste, Dimitri ist laut eigener Aussage eher ungeübt am Herd. Eigentlich sollen die Menschen ihre Häuser nicht verlassen, aber die Wrights leben irgendwo in der Pampa und ob da jemand zum Bogenschießen auf ein Feld geht, so wie sie das häufiger tun, interessiert letztlich keine Menschenseele. Es gibt aber auch viel Leerlauf, viele Stunden, die van den Bergh allein in seinem Zimmer verbringt. Trotzdem ist es für ihn eine intensive Zeit. „Ich habe in der Zeit viel über mein Leben nachgedacht. Peter hat hart gearbeitet, um sich dieses Haus leisten zu können. Das hat mir die Augen geöffnet, hat mir verdeutlicht, was ich mit Darts erreichen kann.“ Eine Erkenntnis, die ihm sicherlich geholfen hat, das World Matchplay zu gewinnen.

Als irgendwann klar ist, dass in ein paar Wochen wahrscheinlich wieder Turniere stattfinden, fangen der World Champion und der World Youth Champion auch wieder an zu trainieren. „Ich dachte immer, dass ich trainieren, trainieren, trainieren muss“, erzählt van den Bergh. Aber Peter Wright schüttelt den Kopf und sagt, dass es nicht um das Training gehe, sondern darum, seinem Wurfstil zu vertrauen. Peter Wright ist ein fleißiger Arbeiter, der in den letzten 25 Jahren viel versucht hat. Inzwischen verbindet er mit einzelnen Doppelfeldern nur noch ein inneres Gefühl. Im Wettkampf versucht er, dieses Gefühl entstehen zu lassen, um damit das jeweilige Doppel zu treffen. Van den Bergh arbeitet daran – mit Erfolg, wie man sieht. Und er nimmt sich inzwischen in wichtigen Momenten eine Sekunde mehr Zeit, so wie Peter ihm das geraten hat. Das klingt bei diesen kurzen Zeiteinheiten fast albern, macht im Match aber einen gewaltigen Unterschied aus. Eine Sekunde kann manchmal lang sein. Man kennt van den Berghs Handbewegung, bei der sich beide Hände mit offener Handfläche vor dem Körper nach unten bewegen, um anzudeuten, dass jetzt Ruhe vonnöten ist.

Die Phil Taylor Trophy

Als der „Dreammaker“ im Finale des World Matchplay beim 16:9 in die letzte Pause von der Bühne geht, verschränkt er die Hände hinterm Rücken wie ein Professor. Vielleicht weiß er nicht, wie er seine Dominanz anders ausdrücken soll. Es ist ein witziges Bild, weil man van den Bergh so noch nie gesehen hat. „Beim 16:9 wusste ich, dass ich mir das Ding hole. Das ist hier mein Turnier, dachte ich. Im Kopf war ich schon der Sieger.“ Drei Legs später besiegelt er den mit Abstand größten Erfolg seiner Karriere. Beim Stand von 17:10, sein Gegner Gary Anderson hat gerade alle drei Versuche auf der Doppel-10 ausgelassen, haut er den ersten Championship-Dart mitten in die Doppel-16. Geht nach vorne, hebt verlegen die Arme kurz nach oben, zieht die Darts aus dem Board und bedankt sich per Ghetto-Faust beim „Flying Scotsman“.

Dimitri van den Bergh ist erst der zehnte Spieler in der 27-jährigen Turniergeschichte, der dieses Event gewinnen kann. Neben Michael van Gerwen, Rob Cross, Gary Anderson, James Wade, Colin Lloyd, Rod Harrington, Peter Evison und Larry Butler steht natürlich auch der Name des großen Phil Taylor in der Siegerliste. 16-mal hat er dieses Turnier gewonnen, zuletzt 2017 im Finale gegen Peter Wright. Seit 2018 ist die World-Matchplay-Trophäe nach „The Power“ himself benannt.

Die Siegerehrung 2020 fühlt sich ohne Zuschauer besonders merkwürdig an. Die Phil Taylor Trophy steht unbeachtet auf einem kleinen Tisch. Wegen der Hygiene-Vorschriften gibt es niemanden, der dem Champion den Pokal überreicht, van den Bergh muss zum Tisch gehen und sich das Ding selber greifen. Wie immer fliegen Papierschnipsel, aber allein auf der Bühne ohne Applaus ist das nicht wirklich stimmungsvoll.

Nach seiner Heimreise lässt Dimitri die Phil Taylor Trophy zunächst einfach im Auto, weil er sie einerseits überallhin mitnehmen und andererseits die schwere Kiste nicht in die Wohnung in der dritten Etage schleppen will. Phil Taylor hat ihm übrigens gleich am nächsten Tag gratuliert. Der verfolgt natürlich noch das, was in seinem Sport passiert. Aber auf den World-Matchplay-Sieger Dimitri van den Bergh hätte wohl auch „The Power“ nicht im Traum getippt.

Tagebuch

6. April

Es ist wie ein Lebenszeichen: Die PDC kündigt die PDC Home Tour an. 25 Tage nach dem letzten Darts-Event mit Zuschauern, dem sechsten Spieltag der Premier League Darts in Liverpool, soll es wieder eine Darts-Liveübertragung geben. Alle Spieler bleiben dabei natürlich zu Hause, es ist ein Online-Turnier, das aus den Wohnungen bzw. Häusern der Profis in die Welt gesendet wird. Die Idee ist klasse und irgendwie auch ein Muss. Im Gegensatz zu den allermeisten Sportarten kann Darts jeder von zu Hause aus spielen. Also ran ans Board. Mal sehen, ob so ein Hauch Tour-Alltag aufkommt. Die erste Turnierphase wird an 32 aufeinanderfolgenden Abenden gespielt, jeweils in 4er-Gruppen, jeder gegen jeden. Der Sieger zieht in die Play-offs ein. Eingeladen sind alle 128 Tour-Card-Halter. Die PDC Home Tour startet mit Gruppe 1 am 17. April.

13. April

Wie es aussieht, werden „Shorty“ und ich einen Podcast starten. Hatte am Vormittag ein gutes Gespräch mit einer Podcast-Agentur, die mich darin bestärkt hat, eine alte Idee endlich umzusetzen. Und wenn nicht jetzt, wann dann?! „Shorty“ ist begeistert von der Idee, muss nur abchecken, ob sich das mit seinem bestehenden Podcast Shortleg vereinbaren lässt.

15. April

Die PDC Europe folgt dem Gesetzentwurf zur „Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Veranstaltungsrecht“. Bedeutet: Wer sich vor dem 8. März 2020 ein Ticket für eine Veranstaltung der PDC Europe im Jahr 2020 gekauft hat, hat zunächst nicht das Recht, sich den Kaufpreis erstatten zu lassen. Für Turniere, die verschoben oder abgesagt werden, können Gutscheine ausgestellt werden. Eine Rückerstattung des Kaufpreises würde frühestens in 2022 geschehen. Es ist ein wichtiger Schritt für alle Veranstalter. Auch für die PDC Europe entspannt sich damit die Situation, da sie ja durch den Ticketverkauf bereits Geld eingenommen hat.

16. April

Gerade läuft eine Live-Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie verkündet, dass Großveranstaltungen bis Ende August verboten sind. Für die PDC Europe ist damit der erste Krisenplan hinfällig, bei dem man gehofft hatte, ab August Veranstaltungen der European Tour stattfinden zu lassen. Events im zweistelligen Bereich müssen jetzt verschoben werden, teilweise auch ins nächste Jahr. Zudem steht fest, dass es die European Tour 2020 nicht wie geplant mit 13 Turnieren geben wird. Au Mann, jetzt ist Kreativität gefragt. Die PDC sowie die PDC Europe müssen Lösungen für jegliche Eventualität finden. Dazu gehören natürlich auch Veranstaltungen ohne Zuschauer.

17. April

Seit knapp drei Wochen läuft die EPLDCS: Elmar Paulke’s Lonely Darts Club Show. Ein großer Spaß, weil wir Profis und Fans auf ungewöhnliche Weise zusammenbringen. Das verrückte an dieser Zeit ist ja, dass alle zu Hause sind, also auch die Profis. Und der professionelle Dartspieler wird ohne hochdotiertes Dartturnier, ohne seine Bühne, irgendwie auch zum Normalo. Während einer solchen Pandemie sitzen eben alle in einem Boot.

Die Idee zur Show entstand Mitte/Ende März, ziemlich schnell nach dem Lockdown. Ich hatte durch Zufall mit Moritz Blume telefoniert, mit dem ich damals die Road to Ally Pally umsetzte. Er erzählte mir, dass er im Kölner Raum für kleine, unbekanntere Bands einen Stream umsetzen würde, bei dem die Künstler zumindest die Chance hätten, durch virtuelle Tickets ein bisschen Geld zu verdienen. Wir kamen schnell drauf, dass man dieses Streaming Tool doch auch für ein Darts-Home-Turnier nutzen könnte.

Ein Freund von mir, Thomas Scherer, fand diese Idee so gut, dass er mir den Chefgrafiker, Franz Hoegl sowie den Marketingexperten Florian Wirthgen aus seiner Firma „Denk mal neu“ kostenfrei zur Verfügung stellte. Thomas mochte die Idee, weil sie Hoffnung macht und Darts-Fans vielleicht auf andere Gedanken bringt. Innerhalb von 48 Stunden entstand so die Lonely Darts Club Show.

Gestern war Comedian Markus Krebs, das alte Darts-Zebra, mit dabei. Technisch war diese Ausgabe ein Desaster. Wir wissen nicht, warum uns die WLAN-Leitung mal abkackt und mal nicht. Trotzdem, es hat Bock gemacht. Markus’ Fundus an Witzen ist unfassbar. Er behauptet ja selber, dass die Chance, ihm einen Witz zu erzählen, den er nicht kennt, ziemlich gering ist. Eigentlich war vereinbart, dass sich Markus nach zehn Minuten wieder vom Acker macht. Er sollte eine Partie gegen Gabriel Clemens spielen und blieb am Ende eine knappe Stunde. „Gaga“ ist neben Weltmeister Stephen Bunting, Michael Smith, Max Hopp, Joe Cullen und „Shorty“ Seyler einer von sechs Team-Kapitänen, die an unserer Show teilnehmen.

18. April

Luke Woodhouse schreibt Geschichte. Er wirft am zweiten Tag der PDC Home Tour den ersten 9-Darter live aus einer Küche, im Match gegen Gerwyn Price. Es ist der erster 9er, den die Nummer 57 der Welt bei einem PDC-Turnier hinbekommt, und das schlägt Wellen: Selbst die Washington Post berichtet von diesem perfekten Moment und erzählt von der wunderbaren Idee der Home Tour, weil der Sport ja ansonsten stillsteht. So viel Aufmerksamkeit hat Woodhouse in seiner ganzen Karriere noch nicht bekommen. Er ist in diesen Tagen vor allem mit der Betreuung der Schulaufgaben seiner beiden Kinder, acht und neun Jahre alt, beschäftigt.

Ansonsten wird auch für die PDC Home Tour das WLAN-Signal zur echten Herausforderung. Spieler, die auf dem Land wohnen, kämpfen intensiver mit ihrer Verbindung als die Städter. Es gibt zudem die Ansage der PDC, dass für Ruhe während der Matches gesorgt werden muss, da sonst ein Ton-Chaos entsteht. Für Familienväter ist das gar nicht so einfach. So durfte die Familie von Luke Woodhouse bei seinem Spiel gegen Price weder von der Küche noch über WLAN vom Wohnzimmer aus zuschauen. WLAN hat nur der Papa, der sein Handy in eine am Küchenregal befestigte Halterung gesteckt hat. Improvisation ist entscheidend in diesen Zeiten.

Kapitel 2Das Ende einer Ära – Abschied von van Barneveld und Taylor

Der Sport lebt von großen Rivalitäten, ob im Mannschaftssport oder im Individualsport. Vielleicht sind die Duelle eins gegen eins noch ein bisschen besonderer: Muhammad Ali gegen Joe Frazier, Tyson gegen Holyfield, McEnroe gegen Borg, Federer gegen Nadal. Und Taylor gegen van Barneveld. Über viele Jahre hinweg war Darts vor allem das Duell „The Power“ vs. „Barney“. Van Barneveld selbst sprach bei diesem Aufeinandertreffen immer vom „El Classico“. Und die Rivalität entstand nicht erst 2006, als van Barneveld zur PDC wechselte.

Bis 2006 spielten Taylor und van Barneveld nur wenige Male im Jahr gegeneinander, doch bei ihren Matches stand immer wieder die Frage im Raum, wer denn nun der beste Spieler der Welt sei (und welcher Verband die wahre Nummer eins habe, die BDO oder die PDC). Ich denke, die Antwort kennen wir alle, sie lautet natürlich: Philip Douglas Taylor.

Wahrscheinlich war diese Rivalität auch deshalb so faszinierend, weil dabei zwei Legenden des Sports aufeinandertrafen, die unterschiedlicher kaum sein konnten. Taylor war der Arbeiter, der Perfektionist, der mit viel Fleiß sein Spiel auf ein bis dahin nicht gekanntes Niveau brachte und die Darts-Welt mit seiner Konstanz gnadenlos dominierte. Raymond van Barneveld auf der anderen Seite verkörperte eher den Typus des genialen Künstlers – das große Talent mit smoothem Wurf, das die Darts nicht warf, sondern eher jazzte.

Gerade im jeweils letzten Jahr ihrer Karrieren – bei Taylor war es 2017, bei van Barneveld 2019 – war dieser Mentalitätsunterschied gut zu erkennen: „Barneys“ Selbstvertrauen war schwer angeschlagen, die Konstanz fehlte. Taylor zog sein Ding einfach bis zum Schluss eisern durch, bis in das allerletzte Match seiner Karriere, das WM-Finale 2018.

Die Idee, dieses Buch zu schreiben, hat, wie gesagt, nichts mit Corona zu tun. Sie entstand nach der letzten Weltmeisterschaft, nach dem Abgang des fünfmaligen Weltmeisters Raymond van Barneveld. Damit ging endgültig eine Ära zu Ende, die natürlich besonders von DER Legende, dem 16-maligen Weltmeister Phil Taylor geprägt war, aber auch maßgeblich von van Barneveld. Phil Taylor hatte nach dem WM-Finale 2018 adieu gesagt. „Barney“ hoffte, bei der Weltmeisterschaft 2020 einen ähnlich spektakulären Abgang hinlegen zu können, verlor aber sein WM-Auftaktmatch gegen den krassen Außenseiter Darin Young aus Pennsylvania am 14. Dezember 2019. Wer die Bilder des völlig enttäuschten van Barneveld live erlebt hat, wird sie sein Leben lang nicht vergessen. Vor allem nicht das Interview wenige Minuten nach dem WM-Aus, als er sagte: „Ich werde mir diese Niederlage niemals verzeihen. Never ever.“

Es war ein unwürdiger Abgang, der traurig stimmte, weil man selber in diesem Abschiedsmoment ja auch die großen „Barney“-Momente vor Augen hatte. Oder anders: Nur weil van Barneveld einer der erfolgreichsten Spieler der Darts-Geschichte war und ist, wurde diese Niederlage zu einem solchen Drama. Vor allem für ihn selbst. Für ihn gab es in diesem Moment offenbar nur die Niederlage. Er war nicht imstande, das große Ganze zu sehen, seine fünf WM-Siege, seine insgesamt 82 Turniererfolge. Keines dieser Highlights konnte er in diesem Augenblick abrufen, sich vor Augen führen. Sie waren für einige Minuten aus seinen Erinnerungen gelöscht, was unterstreicht, wie überrascht er selber von seinem WM-Aus war.

Raymond van Barneveld: der Emotionale

Wenn Raymond van Barneveld heute auf dieses letzte Match seiner Karriere schaut, schüttelt er den Kopf und kann es immer noch nicht fassen: „Ich hatte so gehofft, einen guten, einen würdigen Abschied zu finden. Vielleicht noch mal ein WM-Finale zu spielen, so wie Phil damals. Man hätte mich nicht gleich nach der Niederlage gegen Daren Young interviewen sollen. Das war nicht fair, ich war überfordert in diesem Moment“, erkennt er mit Abstand.

Auch am Ende seiner 32-jährigen Karriere ist Ray kein guter Verlierer. Das war er noch nie. Eine Tatsache, die ihn natürlich auch zu dem gemacht hat, was er ist: ein Champion. Sein gesamtes Jahr 2019 war durchwachsen, sportlich und privat. Er verlor viel zu häufig in der ersten oder zweiten Runde eines Turniers. „Das habe ich nicht ertragen“, gibt der fünfmalige Weltmeister zu, „das war nicht ich. Ich war immer einer aus den Top Fünf, einer, der um den Turniersieg mitspielte.“ Van Barneveld fühlte sich bis zum Ende wie ein Sieger, obwohl sein letzter großer Turniersieg aus dem Jahr 2014 stammt: der Erfolg bei der Premier League Darts. „Hätte mir jemand nach dem WM-Sieg 2007, nach dem Finale gegen Phil Taylor gesagt, das war dein letzter Erfolg bei einer Weltmeisterschaft, ich hätte ihn ausgelacht. Ich war mir damals sicher, ich würde noch vier oder fünf WM-Kronen gewinnen.“ Doch dazu kommt es nicht. Und 2019, in seinem Abschiedsjahr, warteten plötzlich auch private Herausforderungen auf den vierfachen Vater und zweifachen Großvater: angefangen mit der Scheidung von seiner Frau Sylvia über private Probleme mit seinem Sohn bis hin zu gesundheitlichen Schwierigkeiten aufgrund einer Diabetes-Erkrankung. „Meine Hände waren teilweise kalt, ich konnte im Match kein Gefühl, keinen Touch entwickeln. Ich hatte mit meinen Augen Probleme, versuchte mit Brille zu spielen, dann wieder ohne.“ So kam der große van Barneveld nicht mehr in seinen Flow. Und im Nachhinein bereut er es, seinen Abschied schon ein Jahr zuvor angekündigt zu haben, im November 2018. Es wurde zum Dauerthema. Überall wo er hinkam, trat er ein letztes Mal an. Eine einjährige Abschiedstour, die er rückblickend so nicht mehr machen würde.

Erst jetzt, da er kein Spieler auf der Profitour mehr ist, spürt van Barneveld, wie hoch die Belastung damals war. Der permanente Erfolgsdruck, die Angst, wieder frühzeitig zu verlieren. „Mein Körper ist in den ersten Wochen 2020 richtig runtergefahren“, sagt der 53-Jährige. „Ich bin wieder zu meiner Ruhe gekommen und bin bereit für all das, was da in Zukunft kommt.“ Eines ist klar: Raymond van Barneveld liebt Darts weiterhin über alles. Auch heute ist es sein Leben. Er hatte lediglich den Turnierstress satt, so wie es auch Phil Taylor nach seinem Karriereende beschrieben hat. Und tatsächlich: Am 23. September 2020 gab er mit den Worten „Ich bin noch nicht fertig“ sein Comeback bekannt. „Barney“ wird im Januar 2021 die Qualifying School spielen und versuchen, sich die Tour Card zu sichern. Hoffentlich hat er sich das gut überlegt. 

Phil Taylor: der Getriebene

Phil Taylor ist dem Sport ebenfalls erhalten geblieben. Auch zwei Jahre nach seinem Abschied spielt er noch richtig gute Darts, besiegt auf Exhibitions immer wieder mal die Topspieler-Spieler, auch Michael van Gerwen. Solche Siege sind für ihn bis heute die größte Genugtuung. Diesen unbändigen Ehrgeiz wird Taylor niemals ablegen, da kann seine Zeit auf der Tour noch so weit zurückliegen. Für die Veranstalter von Exhibitions ist das teilweise gar nicht so einfach. „The Power“ zu bitten, eine Partie gegen einen krassen Außenseiter zumindest eine Zeitlang etwas ausgeglichener zu gestalten, weil es dadurch für die Fans und Zuschauer unterhaltsamer wäre, kannst du knicken. Da gibt es sehr böse Blicke vom Altmeister.

Und es geht auch ums Finanzielle. So viel der Multimillionär in seiner Karriere auch verdient hatte: Ordentlich abzusahnen ist ihm auch mit 60 noch sehr wichtig. Das hat wohl mit seiner Lebensgeschichte zu tun. Aufgewachsen in der Arbeiterstadt Stoke-on-Trent in ziemlich armen Verhältnissen, fasziniert ihn das, wovon er in seinen ersten knapp 30 Lebensjahren ziemlich wenig hatte: Geld. Und so schien es ihm nach der WM 2018 auch wichtiger, auf Weltreise zu gehen und viele Einladungsturniere zu bestreiten, als zu Hause zu bleiben und Zeit mit seiner Familie und den Enkelkindern zu verbringen.