Perfect Player - Vi Keeland - E-Book

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Vi Keeland

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Beschreibung

Alles beginnt mit einer Wette

Single-Mom Presley Sullivan kehrt in ihr Heimatstädtchen zurück, als ihr kleiner Sohn Alex die Hälfte eines Bed & Breakfast von seinem Urgroßvater erbt. Die andere Hälfte geht an Alex’ Onkel, den berühmten Quarterback Levi Miller. Doch der Neustart steht unter keinem guten Stern, denn Presley und Levi sind wie Hund und Katz und können sich einfach nicht einigen, wie es mit dem Palm Inn weitergehen soll. Schließlich lassen sich die beiden auf eine Wette ein, die über die Zukunft der Pension entscheiden soll. Aber dabei wird immer deutlicher, dass sie die Anziehung zwischen ihnen nicht mehr ignorieren können.

"Temporeich, romantisch und sexy!" READ MORE SLEEP LESS

Der neue Bestseller des Erfolgsduos Vi Keeland und Penelope Ward

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

Epilog

Danksagung

Die Autorinnen

Die Romane von Vi Keeland und Penelope Ward bei LYX

Impressum

VI KEELAND / PENELOPE WARD

Perfect Player

Roman

Ins Deutsche übertragen von Antje Görnig

ZU DIESEM BUCH

Um einen Neuanfang zu wagen, zieht Presley Sullivan mit ihrem siebenjährigen Sohn Alex von New York zurück in ihre Heimatstadt in den Südstaaten. In Beaufort erwartet sie das Palm Inn, eine in die Jahre gekommene Pension, dessen eine Hälfte Alex von seinem Urgroßvater geerbt hat – die andere Hälfte ging an Alex’ Onkel, den berühmten Quarterback Levi Miller. Doch von der ersten Begegnung an sind Presley und Levi wie Hund und Katz, denn sie haben vollkommen unterschiedliche Pläne für das charmante Inn. Presley will es renovieren und zu altem Glanz zurückführen, der Profisportler möchte es am liebsten verkaufen. Sie einigen sich auf eine Wette: Wenn Presley es schafft, dass das Palm Inn nach der Instandsetzung komplett ausgebucht ist, wird Levi nicht länger auf einen Verkauf drängen. Bis dahin müssen sie notgedrungen zusammen in dem Bed & Breakfast wohnen und kümmern sich um die anfallenden Arbeiten. Dabei freunden sie sich nicht nur an, sondern entwickeln auch tiefe Gefühle füreinander. Doch dann taucht Alex’ Vater auf und will eine zweite Chance mit Presley und seinem Sohn …

1. KAPITEL

Presley

»Ist dir inzwischen wenigstens mal einer dieser Südstaaten-Gentlemen begegnet, wie man sie aus dem Kino kennt? Einer wie Ryan Gosling in ›Wie ein einziger Tag‹ oder Matthew McConaughey in … ach, in jedem Film?«

Ich seufzte, schaltete meine beste Freundin Harper auf Lautsprecher und legte mein Handy aufs Bett, um mich zum Duschen auszuziehen. »Nein, aber gestern habe ich im Postamt mit einem Mann namens Huck geredet. Er hatte so einen heftigen Akzent, dass ich zuerst dachte, er käme aus dem Ausland. Ich habe mich entschuldigt und gesagt, dass ich nur Englisch spreche. Das fand er gar nicht lustig. So klinge ich aber nicht, oder?«

»Nur nach ein paar Drinks. Manche Leute lallen, wenn sie zu viel getrunken haben, aber du hast dann diesen typischen schleppenden Tonfall und sagst Sachen wie howdy.«

»Ich würde niemals howdy sagen! Aber diese Woche habe ich jemanden getroffen, der wirklich so redet. Atticus Musslewhite.«

»Ist das sein richtiger Name?«

»Na klar. Er ist Automechaniker und arbeitet bei einer Tankstelle in der Stadt. Wir waren zusammen an der Highschool, aber ich bin ziemlich sicher, dass er mich nicht wiedererkannt hat. Als ich am Sonntag hier ankam und tanken musste, hielt ich neben der Zapfsäule, und er stand da wie ein Begrüßungskomitee. Mit einem echten Strohhalm im Mund hat er mich von oben bis unten gemustert, den Hut gezogen und gesagt: ›Howdy, schöne Frau. Willkommen in Beaufort. Wenn Sie irgendwas brauchen, rufen Sie mich an. Ich besorg’s Ihnen.‹«

»Oh Gott. Pack sofort deine Sachen und komm wieder zurück.«

Ich setzte mich lachend auf die Bettkante und zog meine Sneakers aus. »Ja, leider weit und breit kein Ryan Gosling in Sicht. Aber ich bin trotzdem froh, zu Hause zu sein. Als ich mich entschlossen habe, wieder hierherzuziehen, hatte ich Angst, dass mir das Kleinstadtleben nicht mehr liegt, aber ich muss sagen, meine Schultern sind zum ersten Mal seit Jahren wieder ganz entspannt.«

»Hmm … Dann sollte ich vielleicht auch nach Beaufort ziehen. Mein Masseur will mittlerweile hundertfünfzig pro Stunde haben.«

»Du würdest hier wahrscheinlich nach ein paar Tagen durchdrehen, weil alles viel langsamer läuft.«

Harper seufzte. »Ich finde es schrecklich, so weit weg von dir zu sein. Aber ich bin froh, wenn du zur Ruhe kommst. Wie ist denn die Lage im Palm Inn?«

Ich sah mich in meinem Zimmer um, das in einem besseren Zustand war als die meisten anderen Räume in der Frühstückspension. Die Farbe blätterte von den Wänden, das Muster des verschlissenen Teppichs war nicht mehr zu erkennen, und das Klimagerät in dem von Termiten zerfressenen Fensterrahmen war schrottreif. »Äh … Das Haus braucht ein bisschen liebevolle Zuwendung.«

»Kannst du abschätzen, wie lange die Renovierung dauert?«

»Nein. Ich stelle gerade eine Liste auf für eine Einschätzung, welche Handwerker wir uns leisten können. Dann kommt der Zeitplan. Die Arbeiten müssen auf jeden Fall abgeschlossen sein, bevor ich anfange zu unterrichten.«

Ich hatte eine Halbtagsstelle als Lehrerin für Kunst und Fotografie an der örtlichen Highschool gefunden. Es war kein glamouröses Leben mehr wie in New York, wo ich als Leiterin einer Galerie gearbeitet und auch selbst Fotos und Bilder ausgestellt hatte. Doch eigentlich war ich sowieso kein Glamour-Girl, und ich freute mich darauf, ein Fach zu lehren, das ich liebte.

»Du schaffst das schon«, sagte Harper. »Du schaffst alles.«

»Hoffentlich.«

»Und wie geht es dem süßesten Jungen der Welt?«

Ich hatte meinen siebenjährigen Sohn in New York ein paar Wochen vor den Sommerferien aus der Schule nehmen müssen, als mein Mietvertrag auslief und der Umzug vor der Tür stand. In Beaufort war das Schuljahr bereits zu Ende, aber weil er noch einiges zu lernen hatte, um die zweite Klasse abzuschließen, versuchten wir uns in Homeschooling.

Ich lächelte. »Alex ist happy. Er hat sofort Freunde gefunden. Ich hatte befürchtet, es wird schwierig für ihn, bis im Herbst die Schule beginnt, aber meine Mutter hat ihn zum Lunch mit einer Freundin und deren Enkel mitgenommen, und sie haben sich auf Anhieb gut verstanden. Seitdem spielen sie jeden Tag zusammen Football. Sie wollen beide in das Kinderteam und werden am Ferientraining teilnehmen. Als Alex dem Jungen von seinem Vater und seinem Onkel erzählt hat, ist er schlagartig zum Star geworden.«

»Bei welcher Mannschaft ist noch mal sein Onkel?«

»Bei den Broncos.«

»Und da hat Alex’ Vater auch gespielt?«

»Nein, der war bei den Jets. So bin ich überhaupt nach New York gekommen, schon vergessen?«

»Jets, Mets, Nets – wie soll ich die alle auseinanderhalten?«

Ich lachte. Das war ein weiterer Unterschied zum Leben in der Großstadt: In New York war Football ein Sport, der in den Kneipen im Hintergrund lief, hier im Süden war Football dagegen eine Religion. Ganz Beaufort versammelte sich freitagabends im Stadion – nicht nur die Familien und Freunde der Spieler. Mein Ex Tanner war vor acht Jahren – vor seiner Verletzung – ein Zweitrunden-Pick beim NFL-Draft gewesen. Sein Bruder war zwei Jahre zuvor ein Erstrunden-Pick, und ihr Vater hatte insgesamt fünfzehn Jahre in der NFL gespielt. Als ich vor fast zehn Jahren mit Tanner nach New York gezogen war, hatte unsere kleine Stadt bereits zweiundfünfzig junge Spieler in die NFL geschickt. Inzwischen waren es sicherlich mehr.

»Wie soll ich nur ohne dich klarkommen?«, sagte Harper. »Du bist erst sechs Tage weg und fehlst mir jetzt schon. Wie du weißt, mag ich Menschen nicht besonders und kann mir nicht einfach so eine neue Freundin suchen.«

Ich lächelte. »Du hast jede Menge Freunde und Freundinnen.«

»Aber außer dir keine richtige.«

Ich seufzte. Da war etwas dran. Nur wegen Harper hatte ich es überhaupt so lange in New York ausgehalten. Alex’ Vater hatte uns in den sechs Jahren seit unserer Trennung weiß Gott keinen Grund zum Bleiben gegeben. Obwohl wir in derselben Stadt lebten, hatte er seinen Sohn kaum einmal gesehen.

»Du fehlst mir auch. Aber du kommst mich ja bald besuchen, nicht wahr?«

»Natürlich. Ich kann es nicht erwarten.«

»Okay, also dann … Wir werden es überleben, indem wir uns auf Urlaube und Besuche freuen. Aber hör mal, ich muss jetzt Schluss machen. Alex ist bei seinem neuen Freund. Ich habe gerade das Dachgeschoss geputzt und muss unter die Dusche. Da oben war es furchtbar heiß und schmutzig, und ich glaube, ich stinke. In der Hitze hier könnte man Eidechsen braten.«

»Die braten da unten Eidechsen?«

Ich lachte. »Nicht dass ich wüsste. Aber meine Mutter hat das neulich gesagt, und Alex hat sie angeschaut, als wäre ihr ein zweiter Kopf gewachsen. An die Sprache hier muss er sich erst noch gewöhnen.«

Sie lachte. »Wir hören uns in ein paar Tagen wieder, schöne Frau.«

»Bye, Harp.«

Ich schob die Yogahose an meinen feuchten Beinen hinunter, befreite mich von meinem Tanga, der an meinem Po festklebte, und stellte mich vor das kaputte Klimagerät. Das Ding produzierte nur noch heiße Luft. Ich musste meine ellenlange Renovierungsliste um den Punkt »Klimaanlage reparieren« ergänzen, wenn ich den heißen Sommer überleben wollte.

Auf meinem Nachttisch stand ein Bluetooth-Lautsprecher. Beim Klingeln des Telefons hatte ich die Musik leiser gedreht, doch nun lief »SexyBack« von Justin Timberlake, übertönt vom unaufhörlichen Gerassel des Klimageräts. Ich stellte den Song lauter, löste meinen Pferdeschwanz und ließ mir im Beyoncé-Stil die blonden Haare aus dem Gesicht pusten. Mit geschlossenen Augen begann ich, mich zur Musik zu bewegen.

Ich hatte gefühlt seit einer Ewigkeit nicht mehr getanzt, obwohl ich es immer sehr gern getan hatte. In der Highschool hatte ich das Tanzteam geleitet, und Harper und ich waren öfter zum Tanzen ausgegangen. Aber wann hatte ich das letzte Mal so richtig getanzt, als ob niemand zusehen würde? Das war Jahre her. Und so tat ich es einfach. Warum auch nicht? Ich war allein in der Pension, und die Jalousien waren geschlossen.

Ich wiegte mich eine Weile langsam hin und her, bis meine Hüfte beschloss mit einzusteigen. Als der Refrain zum zweiten Mal kam, bewegte ich alles, was an mir beweglich war. Tanner stand auf Ärsche. Als vor Jahren das Twerk-Video von Miley Cyrus viral gegangen war, hatte ich ihn dabei erwischt, wie er es sich auf seinem Laptop angesehen hatte. Und um ihn zu überraschen, hatte ich Twerken gelernt. Ich wusste allerdings nicht, ob ich mich im reifen Alter von neunundzwanzig noch so bewegen konnte. Doch als Justin »get your sexy on« sang, tat ich ihm den Gefallen. Und ich wollte verdammt sein, wenn ich es nicht immer noch draufhatte. Also wackelte ich mit meinem nackten Hintern, was das Zeug hielt – mit wehenden Haaren selbstverständlich.

Als der Song endete, war ich geradezu in Hochstimmung und bekam das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Vielleicht tat es mir doch gut, wieder in South Carolina zu sein.

Und vielleicht war nackt tanzen genau das, was ich brauchte.

Oder vielleicht auch nicht.

Als ich mich schwungvoll umdrehte, um duschen zu gehen, blieb mir fast das Herz stehen, denn ein Mann lehnte grinsend im Türrahmen.

Ich stieß einen markerschütternden Schrei aus. Mein Selbstverteidigungsmechanismus schaltete sich ein, ich griff nach dem nächstbesten Gegenstand und schleuderte ihn durch den Raum. Zum Glück hatte ich den Lautsprecher zu fassen bekommen, und der hatte es in sich. Das harte Kunststoffteil traf den Eindringling am Kopf und streckte ihn nieder.

Zitternd sah ich mich nach einer anderen Waffe um, fand aber nichts Geeignetes. Deshalb schnappte ich mir mein Telefon und wählte den Notruf, in der Hoffnung, dass es jemand hierher schaffen würde, bevor der Mann wieder zu sich kam.

Die Frau in der Zentrale fragte nach meinem Namen und meiner Adresse, dann sagte sie, sie habe die Polizei informiert. »Atmet der Einbrecher, Presley?«

Ich riss die Augen auf. Hatte ich ihn womöglich umgebracht? Oh mein Gott. Mir wurde übel. »Ich weiß nicht. Aber er bewegt sich nicht.«

»Okay, bleiben Sie einfach am Telefon. Die Polizei ist unterwegs. Können Sie irgendwie gefahrlos den Raum verlassen?«

Ich schüttelte den Kopf, obwohl mich die Frau natürlich nicht sehen konnte. »Er liegt in der Tür, und einen anderen Weg gibt es nicht. Im Fenster ist das Klimagerät installiert.«

»Okay. Versuchen Sie, ruhig zu bleiben. Reden wir einfach weiter, bis die Polizei eintrifft.«

Ich nickte, konnte mich aber nicht auf das konzentrieren, was die Frau sagte. Und wenn ich ihn tatsächlich umgebracht habe? Mein Herz hämmerte wie verrückt. Ich schaute zu dem Mann hinüber. Er trug Jeans und ein Hemd, aber sein Gesicht war von mir abgewandt, und ich konnte es von der Ecke, in der ich kauerte, nicht erkennen.

Eine Sache kam mir allerdings merkwürdig vor. Einbrecher waren normalerweise nicht so gut gekleidet. Hätte er nicht einen Strumpf über dem Kopf und zerschlissene Klamotten tragen müssen, die nach Drogenkonsum und Obdachlosigkeit aussahen?

Ich ging auf Zehenspitzen näher heran, um besser sehen zu können. Sein schneeweißes Hemd war mit einem kleinen Pferd bestickt. Hatte mein Einbrecher etwa ein sauteures Ralph-Lauren-Anzughemd an?

Mich beschlich ein ungutes Gefühl. Ich musste sein Gesicht sehen. »Sind Sie noch da?«, fragte ich ins Telefon.

»Ich bin da. Ist alles okay?«

»Ja. Ich mache jetzt ein paar Schritte auf ihn zu. Er rührt sich immer noch nicht, und ich will sein Gesicht sehen.«

»Okay. Bleiben Sie bitte am Apparat, und schauen Sie, ob Sie irgendwie um ihn herumkommen und das Haus verlassen können.«

Ich nickte. Dann wurde mir bewusst, dass ich noch immer nackt war, also riss ich das Laken vom Bett und wickelte es mir um. Zögernd trat ich einen Schritt vor und wartete ab, ob sich der Mann bewegte. Das tat er nicht, daher machte ich noch einen Schritt und noch einen, bis ich dem Einbrecher so nah war, dass ich mich über ihn beugen und mir sein Gesicht anschauen konnte.

Ich schnappte nach Luft.

»Presley? Sind Sie noch da?«, fragte die Frau am Telefon. »Ist alles okay?«

»Oh mein Gott!«

»Was ist los, Presley?«

»Ich glaube, es ist Levi!«

»Sie kennen den Einbrecher?«

»Ja. Er ist Tanners Bruder.«

»Und wer ist Tanner, Presley?«

»Mein Exverlobter.«

»Wie lautet Tanners Nachname?«

»Miller.«

»Miller?«

»Ja.«

»Okay. Dann ist der Mann auf dem Boden also Levi Miller?«

»Ja.«

»Er heißt wie der Footballspieler?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, er heißt nicht wie der Footballspieler – er ist der Footballspieler. Ich glaube, ich habe den wertvollsten Spieler des Super Bowls umgebracht.«

»Mir geht es gut«, knurrte Levi im Nebenraum die Sanitäterin an.

Die Polizei hatte uns getrennt. Mich hatte man gebeten, in der Küche Platz zu nehmen, während er im angrenzenden Wohnzimmer untersucht wurde. Ich spähte über die Schulter des Polizeibeamten, der mir gegenübersaß, um in Erfahrung zu bringen, was nebenan los war.

»Sir, Sie waren bewusstlos. Möglicherweise haben Sie eine Gehirnerschütterung. Außerdem muss die Wunde genäht werden.«

»Ich gehe rüber zu Doc Matthews. Der checkt mich durch und flickt mich zusammen.«

Die Sanitäterin runzelte die Stirn. »Das ist keine gute Idee. Wir müssen Sie ins Memorial bringen.« Sie wirkte hektisch, während sie versuchte, seinen Kopf mit Mull abzutupfen.

Der Polizeibeamte hatte sich Notizen gemacht und klappte seinen Block zu. »Sie wussten also nicht, dass es der Bruder Ihres Exverlobten war, als Sie ihn angegriffen haben? Sie haben einen berühmten Footballspieler nicht erkannt, den Sie mehr oder weniger Ihr ganzes Leben lang kennen?«

»Wie gesagt, ich habe ihn nicht angegriffen. Ich habe getanzt, und er ist hier einfach hereingeplatzt. Er trägt jetzt einen Vollbart, mit dem ich ihn noch nie gesehen habe. Ich habe Angst bekommen und das Erstbeste nach ihm geworfen, das ich zu fassen bekam. Es war ein Versehen. Ich dachte, er wäre ein Einbrecher oder so.«

»Und Sie haben … nackt getanzt?«

»Ja.«

Er klappte seinen Notizblock auf und begann wieder zu schreiben.

»Könnten Sie … dieses Detail in Ihrem Bericht vielleicht weglassen? Es ist mir total peinlich.«

Der Beamte sah kurz auf, schrieb aber weiter. »Das gehört alles zum Sachverhalt, Ma’am.«

Als Levis Stimme abermals aus dem Nebenraum zu hören war, drehte sich der Polizist ruckartig um. Levi hatte sich vor der kleinen Sanitäterin aufgebaut. »Geben Sie mir den Wisch, den ich unterschreiben muss. Wegen eines Kratzers am Kopf lasse ich mich doch nicht in ein Krankenhaus einliefern.«

Der zweite Sanitäter kam zu uns in die Küche. »Die Vitalfunktionen des Opfers sind stabil, und er lehnt jede Behandlung ab«, sagte er zu dem Polizisten. »Deshalb lassen wir ihn das Formular zum Verzicht auf medizinische Versorgung unterschreiben und machen uns wieder auf den Weg.«

Der Beamte schloss sein Notizbuch und sah mich an. »Entschuldigen Sie mich einen Moment.«

Während die Sanitäter ihre Ausrüstung zusammenpackten, sprach er in gedämpftem Ton mit Levi. Ich spitzte die Ohren, um mitzuhören.

»Sind Sie sicher, dass Sie keine Anzeige erstatten möchten, Mr Miller?«

Levi schaute zu mir herüber. Sein Blick war eisig, doch er schüttelte den Kopf.

»Na gut. Wir müssen trotzdem einen vollständigen Bericht schreiben. Aber wir werden es als häuslichen Unfall zu den Akten legen.«

Eine Viertelstunde später verließen die Letzten das Haus. Sanitäter und Polizei waren in dem Moment eingetroffen, als Levi zu sich gekommen war, und sie hatten ihn umgehend versorgt und uns dann getrennt. Ich hatte noch keine Gelegenheit gehabt, mich bei ihm zu entschuldigen.

»Es tut mir furchtbar leid, Levi, ich wollte dich nicht verletzen. Aber warum hast du mich beobachtet? Das ist gruselig.«

»Es lässt sich kaum vermeiden hinzusehen, wenn man im eigenen Haus eine nackte Frau beim Twerken vorfindet. Ich hatte keine Ahnung, dass du es bist.«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Es ist unser Haus. Und ich hatte auch keine Ahnung, dass du es bist. Du hast dich verändert. Deine Haare sind länger, und der Bart ist mir auch neu.« Ich warf einen Blick auf die Platzwunde an seinem Kopf und verzog das Gesicht. »Du hättest dich behandeln lassen sollen. Es blutet immer noch.«

»Platzwunden am Kopf bluten immer heftig. Ist schon okay.«

»Bitte geh wenigstens zu Doc Matthews.«

»Was machst du überhaupt hier?«

»Ich bin wieder hierhergezogen.«

»Warum?«

Das fragte ich mich in diesem Moment auch. »Weil es für meinen Sohn ein guter Ort zum Aufwachsen ist.«

Er musterte mich. »Wieso bist du so schmutzig?«

»Oh. Ich habe oben auf dem Dachboden saubergemacht, bevor du gekommen bist.«

»Warum?«

Ich runzelte die Stirn. Er stellte viele Fragen, und die meisten Antworten lagen eigentlich auf der Hand. »Äh … weil es da katastrophal ausgesehen hat.«

»Dem Bauunternehmer ist es egal, ob der Dachboden sauber ist. Danach fragt er nicht. Er reißt es einfach ab.«

»Was reißt er ab?«

»Das Haus.«

»Was? Wovon redest du?«

Nun runzelte Levi die Stirn und sah mich irritiert an. »Hast du das Angebot nicht erhalten?«

»Welches Angebot?«

»Für die Pension. Franklin Construction hat mehr als das Doppelte des eigentlichen Werts dafür geboten. Mein Anwalt wollte es dir schicken. Ich dachte, es wäre beschlossene Sache.«

Ich schüttelte den Kopf. »Aber ich will nicht verkaufen.«

Levi stemmte die Hände in die Hüften. »Tja, dann haben wir ein Problem. Ich will nämlich.«

2. KAPITEL

Presley

Einige Stunden danach stand Levi auf der Veranda, und ich öffnete ihm die Tür.

»Du musst nicht anklopfen. Das ist dein Zuhause.«

Er zeigte auf seinen bandagierten Kopf. »Acht Stiche sagen etwas anderes.«

Ich schlug die Hand vor den Mund. »Oh mein Gott. Acht Stiche? Es tut mir unheimlich leid. Wie konnte ich dir das nur antun?«

»Schon okay. Doc Matthews meinte, ich bin so gut wie neu.«

Ich kniff die Augen zusammen. »Der Doc hat vor fünf Minuten angerufen. Du hast deine Brieftasche in der Praxis liegen lassen. Und er hat gesagt, dass man dich besser ins Krankenhaus gebracht hätte und du achtundvierzig Stunden unter Beobachtung bleiben musst, falls noch Symptome wie undeutliches Sprechen oder Erbrechen auftreten.«

Levi schüttelte den Kopf. »Ich hatte vergessen, dass man in Beaufort nicht viel auf Datenschutz und Privatsphäre gibt.« Er sah sich um. »Weißt du, wo mein Koffer abgeblieben ist? Ich habe ihn im Flur stehen lassen, als ich reingekommen bin und sehen wollte, woher die Musik kommt.«

»Oh. Ja. Ich habe ihn in die Woodward Suite gebracht.«

Er zog die Augenbrauen hoch. »Da hast du dich doch einquartiert, oder?«

»Ich bin in ein normales Zimmer umgezogen. Ich brauche nicht so viel Platz.«

»Rede keinen Unsinn. Ich nehme irgendein halbwegs bewohnbares Zimmer.«

Die Woodward Suite war ein komplett eingerichtetes Apartment im Erdgeschoss der Pension. Sie wurde nicht vermietet und stand Familienmitgliedern und Freunden zur Verfügung, die zu Besuch in die Stadt kamen. »Die Suite gehört deiner Familie, Levi. Ich komme klar.«

Er bedachte mich mit einem finsteren Blick. Dann ging er zum Schlüsselkasten, schloss ihn auf und nahm einen Schlüssel heraus.

»Zimmer dreizehn, passt zu mir«, sagte er spöttisch. »Du nimmst die Suite.«

Am nächsten Morgen räumte ich den Frühstückstisch ab, als Levi die Treppe herunterkam.

»Können wir mal kurz reden?«, fragte ich.

»Worüber?«

Ich schaute zu dem Briefumschlag, der auf der Küchentheke lag. Am vergangenen Abend hatte ich den Poststapel durchgesehen, den ich aus New York mitgebracht hatte. Ich hatte im Umzugschaos noch keine Gelegenheit gehabt, die Umschläge zu sichten, geschweige denn zu öffnen. Doch nun hatte ich den Anwaltsbrief gefunden, von dem Levi gesprochen hatte.

Er nickte. »Wir werden kein besseres Angebot für die Bude bekommen. Sie verfällt ja täglich mehr. In Zimmer dreizehn funktioniert nur eine Steckdose, und aus der Klimaanlage kommt heiße Luft.«

»Ich weiß. Es ist viel Geld – verdammt viel Geld.«

»Gut. Ich sage meinem Anwalt, er soll die Sache in Gang bringen.«

»Weißt du …« Ich kaute an meinem Daumennagel. »Mir ist klar, dass es ein tolles Angebot ist und alles, aber ich möchte das Palm Inn nicht verkaufen.«

Levi sah mich grimmig an. »Warum nicht, zum Teufel?«

»Weil die Pension seit drei Generationen deiner Familie gehört. Sie ist so etwas wie ein Wahrzeichen, ein ganz besonderer Ort, Levi.«

»Das war sie vor fünfzig Jahren. Aber inzwischen gibt es hier ein sehr hübsches Hotel einer bekannten Kette, das nur fünf Minuten vom Stadtzentrum entfernt ist und allen Komfort bietet. Die Pension wird nicht mehr gebraucht.«

»Das Palm Inn ist nicht bloß eine Unterkunft. Hier können die Gäste noch das echte Beaufort erleben.«

Er schnaubte. »Beaufort erleben? Davon hast du doch keine Ahnung. Sobald du deinen Goldesel gefunden hattest, bist du abgehauen ohne auch nur zurückzublicken.«

Ich stutzte. Als Goldesel hatte ich Tanner nie betrachtet. Wir waren bereits in der Highschool und in den vier Jahren am College ein Paar gewesen. »Wie bitte?«

Er schüttelte den Kopf. »Vergiss es. Ich verstehe eh nicht, warum mein Großvater dir die Hälfte vermacht hat.«

»Er hat nicht mir die Hälfte vermacht, sondern meinem Sohn.«

»Mit dir als Treuhänderin. Wieso hat er meinem Bruder nicht die Verantwortung übertragen, damit jemand mit Verstand die Entscheidungen treffen kann?«

Ich wurde rot vor Zorn. »Er hat jemandem mit Verstand die Verantwortung übertragen! Mir. Und Tanner hat er sie nicht übertragen, weil er ein sehr kluger Mann war.«

»Wann hast du denn das letzte Mal mit meinem Großvater gesprochen?«

»In der Woche vor seinem Tod. Ich habe fast jeden Sonntag mit Thatcher gesprochen und Alex auch. Frag doch mal deinen Bruder, wann er zuletzt mit ihm geredet hat.«

»Warum?«

»Warum was?«

»Warum hast du jeden Sonntag mit ihm gesprochen?«

»Weil er mir viel bedeutet hat, und weil ich wollte, dass mein Sohn ihn auch gut kennt. Er war ein außergewöhnlicher Mensch.«

Levi sah mich skeptisch an.

»Glaubst du, ich lüge, oder was?«

»Ich weiß nicht, was du im Schilde führst, und im Moment interessiert es mich auch nicht. Sag mir einfach, was nötig ist, damit du dem Verkauf zustimmst. Willst du zusätzliche fünf Prozent? Oder zehn? Jeder hat seinen Preis. Wäre dir Geld egal, hättest du meinen Neffen nicht von seinem Vater getrennt.«

Ich blinzelte mehrmals. »Was soll das denn heißen?«

»Spiel nicht die Beleidigte, und sag mir endlich, was du willst, Presley.«

Ich kochte vor Wut. »Das sage ich dir gern. Ich will, dass du dich ins Knie fickst, Levi!«

Ich brachte den Großteil des Nachmittags damit zu, mich über den Bruder meines Ex und sein bescheuertes Verhalten aufzuregen. Vielleicht war es naiv von mir gewesen zu glauben, er würde das Erbe seines Großvaters bewahren wollen, statt es an den Meistbietenden zu verkaufen. Doch ich würde mich nicht kampflos geschlagen geben.

Während ich meinen Sohn suchen ging, dachte ich darüber nach, wie riesig das Haus war. Wir waren schon mehrere Tage da, und ich hatte die kleine ältere Dame, die eins der Zimmer bewohnte, kaum zu Gesicht bekommen. Fern war eine alte Freundin von Thatcher. Meiner Vermutung nach war sie ihm jedoch von Zeit zu Zeit ein bisschen mehr als eine Freundin gewesen. Er hatte ihr das Zimmer gegen eine geringe Miete überlassen. Bis auf eine kurze Begrüßung bei unserer Ankunft hatte ich nicht mehr von ihr gesehen als ihre BHs in Größe G, die sie in einem der Badezimmer zum Trocknen aufgehängt hatte. Obwohl Fern Thatcher nahegestanden hatte, würde es Levi wohl nichts ausmachen, sie vor die Tür zu setzen, um das Haus zum Höchstpreis zu verkaufen.

Nach langem Suchen entdeckte ich Alex schließlich im Garten, wo er mit seinem Onkel Football spielte. Levi war zwar ein Idiot, aber mir wurde warm ums Herz, als ich sah, wie die beiden sich den Ball zuwarfen. Genau das fehlte in Alex’ Leben: männliche Kameradschaft.

Tanner und Levi waren mit einem Vater aufgewachsen, der sich permanent – und fast zu viel – um sie gekümmert hatte, immer in dem Bestreben, sie auf eine Footballkarriere vorzubereiten. Bis zu seinem Tod vor einigen Jahren war Jim Miller ein wichtiger Teil ihres Lebens gewesen. Deshalb verstand ich es überhaupt nicht, warum Tanner als Vater derart abwesend war. Angesichts seiner Kindheit und Jugend hätte man meinen können, er wäre dem Beispiel von Thatcher und Jim gefolgt und hätte viel Wert auf eine enge Beziehung zu seinem Sohn gelegt. Doch Tanner hatte einiges an Verstand eingebüßt, als sich seine Footballhoffnungen durch eine Verletzung in einem seiner ersten NFL-Spiele zerschlugen.

Auch wenn uns mein betrügerischer Ex schlecht behandelt hatte, so bedauerte ich doch sehr, was ihm zugestoßen war. Obwohl es sein Verhalten natürlich nicht entschuldigte. Während er für seinen Vater bis zuletzt da gewesen war, hatte sich sein Verhältnis zu Levi stark verändert. Es war distanzierter geworden, wahrscheinlich weil Tanner Football nur noch indirekt durch seinen Bruder leben konnte, und das war schwer.

Ich blieb hinter einem Baum stehen und belauschte das Gespräch zwischen Alex und Levi.

»Du bist ein guter Spieler, aber du bist nicht perfekt«, sagte mein Sohn.

Levi zog eine Augenbraue hoch. »Du siehst dir meine Spiele an, hm?«

»Ja, alle. Ich sage den anderen immer, dass du mein Onkel bist. Aber es macht natürlich mehr Spaß, wenn du gewinnst.«

Levi lachte schallend. »Mir auch, Kumpel, das kannst du mir glauben.« Er warf Alex den Ball zu. »Dann sag doch mal. Was kann ich besser machen?«

»Viele Leute sagen, dass du dich zu sehr auf deine Zielperson konzentrierst. Du achtest zu wenig auf die anderen Spieler, die den Ball abfangen können. So war es auch beim letzten Spiel in Philadelphia.«

Levi nickte und fing den Ball wieder. »Ja, da hast du recht. Aber weißt du, manchmal ist es gut, Fehler zu machen, weil sie einem zeigen, woran man arbeiten muss.« Er warf den Ball erneut in Alex’ Richtung. »Was kann ich sonst noch verbessern?«

Alex schleuderte ihn zurück. »Du bist nicht gerade ein toller Onkel.«

Levi fing den Ball auf und erstarrte. Mein Herz zog sich zusammen.

Er blinzelte und schien nach einer passenden Antwort zu suchen.

»Wieso hast du mich nie in New York besucht?«, fragte Alex.

Levi schwieg eine Weile, bevor er sagte: »Darauf habe ich keine vernünftige Antwort. Die Erwachsenen sind manchmal so sehr mit ihrem Leben beschäftigt, dass sie das Wichtigste vergessen. Es tut mir leid, dass du auf meinen Besuch gewartet hast, aber hoffentlich können wir einiges von der verlorenen Zeit wieder aufholen, solange ich hier bin.« Levi ging auf Alex zu, hockte sich vor ihn hin und zerzauste ihm das Haar. »Ernsthaft. Tut mir leid, dass ich ein schlechter Onkel war.«

»Du bist ein Schonkel!«

»Was ist das denn?« Levi sah ihn verdutzt an.

»Ein Schonkel – ein schlechter Onkel.« Alex lachte. »Und als Schonkel bist du besser als auf dem Platz als Quarterback.«

Levi ließ ein aufrichtiges Lächeln aufblitzen, was nur selten vorkam. Er war offensichtlich amüsiert darüber, dass sein Neffe sich zu solch einem kleinen Schlauberger entwickelt hatte. »Vielen Dank.«

»Keine Ursache, Onkel Levi.«

Als ich mich am späten Abend dabei erwischte, wie ich über die Frage nachdachte, ob es richtig war, gegen den Verkauf des Palm Inn zu kämpfen, merkte ich, dass ich mir noch einmal bewusst machen musste, warum ich überhaupt nach Beaufort zurückgekehrt war. Also nahm ich mir den Brief vor, den ich vor Jahren an mich selbst geschrieben hatte, als ich mit Tanner zum Studieren nach New York gezogen war. Damals hatte ich natürlich nicht geahnt, auf welchen Schlamassel unsere Beziehung und mein Leben im Allgemeinen hinauslaufen würde. Ich bewahrte den Brief in einem Buch auf, um ihn wenn nötig schnell zur Hand zu haben. Er war mir schon oft eine Hilfe gewesen, seit ich erfahren hatte, dass Thatcher Alex die Hälfte der Pension hinterlassen hatte. Als ich mich mit dem Gedanken beschäftigt hatte, ob ich nach Hause zurückkehren sollte oder nicht, hatte ich den Brief mehrmals zu Rate gezogen.

Das dicke, steife Papier knisterte, als ich es auseinanderfaltete. Ich setzte mich aufs Bett und genoss die laue Abendbrise, die zum Fenster hereinkam.

Liebes zukünftiges Ich!

Ich hoffe, du hast dein Leben nicht verpfuscht, denn im Moment, während des Abschlussjahres der Highschool, ist es wirklich großartig. Du hattest eigentlich keinen Grund, es zu vermasseln. Und vielleicht hast du es auch gar nicht vermasselt – vielleicht bist du total erfolgreich. Wenn ja, ist es möglicherweise noch wichtiger, dir ein paar Dinge in Erinnerung zu rufen, die du eventuell im Lauf der Jahre vergessen hast.

Die wichtigen Dinge im Leben, auf die es ankommt, darf man nicht vergessen, egal wie erfolgreich man ist. Deshalb musst du das hier lesen, ob du nun gut dastehst oder schlecht. Du musst es lesen, so oder so.

Von wem ich das alles habe? Nun, von Mamaw, wenn du dich erinnerst. Du hast vorhin ein langes Gespräch mit ihr auf der Veranda geführt. Und dir war irgendwie klar, dass du ihre Ratschläge aufschreiben musst, damit du sie nicht vergisst, denn wenn du das hier liest, ist sie vielleicht nicht mehr da. Gott, das kann ich mir gar nicht vorstellen. Jedenfalls habe ich alles für dich in diesem Brief festgehalten. Sie möchte, dass du Folgendes immer in Erinnerung behältst:

SeidieArtMensch,derseinenPlatzimBusfürjemandenfreimacht,derihnnötighat.Essolltezwarselbstverständlichsein,aberseinichtsobeschäftigtmitdirselbst,dassduesnichtmitbekommst,wennjemandeinenPlatzbraucht.DasistnureinBeispiel.ImEndeffektgehtesdarum,nichtselbstsüchtigzusein.

Zweitens darf es nicht sein, dass man keine Zeit für seine Liebsten hat. Man kann sich immer Zeit nehmen. Da gibt es keine Ausreden. Später, wenn du alt und grau bist, wird es keine Rolle spielen, wie viel du gearbeitet oder verdient hast. Dann bleibt dir nur die Erinnerung an Dinge, für die du dir Zeit genommen hast.

Und vergiss nicht: Es ist nie zu spät für Veränderungen, wenn du feststellst, dass du im Leben nicht da bist, wo du deiner Meinung nach sein solltest. Aber du musst keinen Erfolg haben, um glücklich zu sein, denn Glück IST ein Erfolg.

Finde deine Lebensaufgabe. Es muss nichts Großartiges sein. Auch der Schuhputzer an der Ecke erfüllt eine wichtigeAufgabe. Die Leute verlassen ihn mit schwungvollem Schritt und treten selbstbewusster auf als vorher. Jemand bittet danach vielleicht sogar die zukünftige Liebe seines Lebens um eine Verabredung oder nimmt einen Job an, in dem er später Karriere macht – allein wegen der blitzblanken Schuhe.

Verdiene deine Brötchen also als Schuhputzerin oder Raumpflegerin, wenn es sein muss – Hauptsache, du machst dich nicht von einem Mann abhängig. Arbeite so viel du kannst, um für dich zu sorgen und auf niemanden angewiesen zu sein.

Geh nicht verärgert schlafen. Es könnte ja sein, dass du vielleicht nicht wieder aufwachst. Und das wäre echt schrecklich.

Sammel deinen Müll auf. Du willst doch keine Umweltverschmutzerin sein.

Kurz gefasst, sei freundlich zu anderen, arbeite viel, aber sei dir auch bewusst, dass Geld und Erfolg unwichtig sind, wenn du nicht glücklich bist.

Und vor allen Dingen: Vergiss nicht, woher du kommst. Du kommst aus einem Ort, wo sich die Leute grüßen, wenn sie aneinander vorbeigehen. Und wo die Beziehungen zu anderen Menschen wichtiger sind als die Marke deines Autos oder deiner Armbanduhr.

Vergiss nicht, wie schön es ist, unter einer Eiche zu sitzen und den fantastischen Sonnenuntergang hier im Süden zu beobachten.

Vergiss nicht, wie süßer Eistee schmeckt, wenn er richtig zubereitet wird.

Und was bodenständige Küche angeht: Wenn du niemanden findest, der so kochen kann wie Mamaw, dann mach es verdammt noch mal selbst! (Oder lern es, wenn du es immer noch nicht kannst.)

Und wenn du aus irgendeinem Grund diesen Brief liest und Heimweh bekommst, dann wird es wohl höchste Zeit, dass du nach Hause zurückkehrst.

Alles Liebe,

Presley

Ich wischte mir eine Träne aus dem Augenwinkel – wie ich es immer tat, wenn ich an meine Großmutter dachte –, faltete den Brief zusammen und steckte ihn wieder in meine Hardcover-Ausgabe von Maya Angelous »Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt«. Sie war ein paar Jahre nach Alex’ Geburt gestorben. Ich stellte mir gerne vor, dass sie stolz auf mich gewesen wäre, weil ich Thatchers Haus zu neuem Leben erwecken wollte.

Nachdem ich das Buch ins Regal zurückgestellt hatte, schaute ich aus dem Fenster und bemerkte jemanden im Garten. Es war Levi. Er machte Klimmzüge am Ast eines Baums. Offenbar war ich nicht die Einzige, die keine Ruhe fand und nicht schlafen konnte.

3. KAPITEL

Presley

Am folgenden Morgen stieß ich in der Küche mit Levi zusammen, der aus dem angrenzenden Badezimmer kam.

»Oh … äh, tut mir leid«, stammelte ich verlegen. »Ich hatte dich nicht erwartet.«

Er nickte nur und ging an mir vorbei zum Küchentisch.

Der Duft seines Eau de Cologne hing noch in der Luft, als ich das Bad betrat. Ich bekam eine Gänsehaut und sah mich mit der unangenehmen Erkenntnis konfrontiert, dass mein Körper auf den flüchtigen Körperkontakt zwischen uns reagierte. Ich schauderte. Es war der Beweis dafür, dass man sich nicht aussuchen konnte, zu wem man sich hingezogen fühlte, selbst wenn es der unpassendste Mensch der Welt war. Nachdem mich jahrelang kein Mann angefasst hatte, schien jede noch so kleine Berührung eine körperliche Reaktion bei mir auszulösen. Ich hätte mir nur gewünscht, es wäre nicht der Bruder meines Ex, der mich mit ziemlicher Sicherheit nicht ausstehen konnte.

Nachdem ich auf der Toilette gewesen war, wusch ich mir die Hände und kehrte in die Küche zurück, wo Levi mit einer Schale Frühstücksflocken am Tisch saß. Er wippte unruhig mit den Knien, als könnte er nicht schnell genug essen und verschwinden. Seine Jeans war zerrissen, und aus dem rechten Hosenbein schaute sein Knie heraus. Es sah sexy aus, besonders bei seinen durchtrainierten, muskulösen Beinen. Ich verfluchte mich dafür, dass mir solche Dinge überhaupt auffielen.

Doch Levis Attraktivität war nicht zu leugnen. Vermutlich teilte halb Amerika diese Ansicht. Sein gutes Aussehen hatte etwas Raues, und seine Züge waren eine Spur markanter als die von Tanner. Levi hatte ein kantigeres Kinn und derzeit wesentlich mehr Haare im Gesicht als sein Bruder. Bei ihm wusste man auf den ersten Blick, dass er sich nicht scheute, sich die Hände schmutzig zu machen. Tanner war eher ein Schönling. Doch beide waren auf ihre ganz eigene Art gut aussehend, und beide hatten dunkles Haar und blaue Augen. Womit auch immer ihre Mutter sie gefüttert hatte, es hatte sehr attraktive Männer aus ihnen gemacht.

Als ich mich Levi gegenüber an den Tisch setzen wollte, um vernünftig mit ihm zu reden, stand er auf, räumte seine Schale in die Spülmaschine und verschwand aus der Küche.

Tja, so viel dazu.

Wenige Minuten später tauchte Fern hinter mir auf.

»Was machst du da für eine Sauerei? Geht dir der Miesepeter derart an die Nieren?«

Erst in diesem Moment merkte ich, dass ich aus meiner Papierserviette weißes Konfetti gemacht und es auf der Küchentheke verstreut hatte.

Fern war zwar klein, aber sie war ein Drache. Sie hatte knallroten Lippenstift aufgelegt, der auf ihre Zähne abgefärbt hatte. Ihre grauen Haare hatten einen Blaustich, und während die meisten älteren Frauen in der Gegend Hochsteckfrisuren trugen, flocht sie es zu einem langen Zopf. Manchmal peitschte er hin und her, wenn sie redete.

Ich nickte. »Ja, Levi geht mir wirklich an die Nieren. Er ist gerade in Windeseile abgedampft, damit er nicht mit mir reden muss. Ich glaube, es stört ihn, dass ich hier bin.«

»Der regt sich doch über alles auf, Süße. Er ist ein wandelndes Pulverfass. Neulich habe ich gehört, wie ihr gestritten habt. Der hat offensichtlich einen Stock im Arsch. Und er hat keinen Respekt vor diesem Haus.«

Plötzlich kam mein Sohn herein. »Onkel Levi hat einen Stock im Arsch? Echt?«

Fern kam mir mit ihrer Antwort zuvor. »Das ist nur ein Ausdruck. Man sagt das über jemanden, der unleidig ist.«

»Was ist unleidig?«

»Denk mal an diesen mürrischen Luey aus der Sendung, die du so gern guckst«, sagte ich. »Der streitet sich mit jedem und will nie etwas mit seinen Freunden unternehmen.«

»Ja?«

»Siehst du, wenn jemand so brummelig ist, dann nennt man das auch unleidig.«

»Aber was hat das damit zu tun, dass Onkel Levi einen Stock im Arsch hat? Das tut bestimmt weh.«

Ich schüttelte den Kopf. »Hat er nicht, Alex. Das sagt man nur so. Es ist eine Redewendung.«

»Oh.«

»Ja, mach dir keine Gedanken.« Als ich plötzlich Levis Stimme hörte, erstarrte ich. »Es tut nicht weh, Kumpel.«

Ich räusperte mich. »Ich wusste nicht, dass du noch da bist.«

»Ja, der große, böse Wolf mit dem Stock im Arsch hat seine Brieftasche vergessen.« Er nahm sie von der Küchentheke und steckte sie in seine Gesäßtasche. »Im Übrigen bin ich nicht automatisch der Böse, weil ich einen Plan habe, der für alle Beteiligten das Beste ist.« Er wandte sich Fern zu. »Oder der Miesepeter.«

Dann sah er meinen Sohn an. »Alex, hol schnell deinen Ball. Wir treffen uns im Garten und spielen eine Runde, bevor ich wegmuss.«

Kaum war Alex nach draußen gelaufen, um den Ball zu suchen, erdolchte mich Levi geradezu mit seinem Blick. Als er auf mich zukam, lief mir ein Schauer über den Rücken.

»Du scheinst zu denken, dass ich das Erbe meines Großvaters nicht achte. Eine Vernunftentscheidung zu treffen hat nichts mit Missachtung zu tun.«

Ich schluckte. »Das Vernünftige ist aber nicht unbedingt das Richtige oder das, was er wollte.«

»Mein Großvater hat sicherlich nicht gewollt, dass du das Inn übernimmst. Beweis mir das Gegenteil, wenn du es schriftlich hast. Er hat Alex die Hälfte vermacht, damit das Geld aus dem Verkauf an ihn geht, und Schluss. Du verdrehst seine Absichten, wie es dir am besten in den Kram passt. Das ist pure Spinnerei.«

Ich stemmte die Hände in die Hüften. »Spinnerei? Also, wenn es Spinnerei ist, das Richtige tun zu wollen, dann sei’s drum.«

»Es ist das Richtige, das Haus zu verkaufen.« Er blies genervt die Wangen auf. »Das Ganze ist eine Nummer zu groß für dich.«

»Ich versuche nur das zu tun, was sich dein Großvater meiner Meinung nach gewünscht hat.«

»Indem du aus diesem Schuppen einen kitschigen Familienfilm zu deinem Privatvergnügen machst?«

Ernsthaft? »Fick dich, Levi.« Ich hatte das Gefühl, mir käme Dampf aus den Ohren. Ich hatte nicht so schroff sein wollen, aber er hatte es provoziert.

Nun schaltete sich Fern in unseren hitzigen Schlagabtausch ein. »Bei allem Respekt, ich habe in den letzten Jahren mehr Zeit mit Thatcher verbracht als jeder andere. Und ich sage euch, er hat garantiert nicht gewollt, dass ihr euch streitet!«

Levi und ich sahen uns an.

Fern baute sich vor ihm auf und drohte ihm mit dem Zeigefinger. »Und jetzt hör mir mal gut zu, du Riesenbaby. Mir ist egal, was du für das Richtige hältst. Dein Großvater hätte niemals gewollt, dass dein Neffe auf der Straße landet – oder ich. Und so lange wir hier wohnen möchten, hast du nicht das Recht, dieses Haus zu verkaufen.«

»Freut mich, dass wir wie Erwachsene darüber reden konnten«, sagte er wütend zu mir, dann wandte er sich wieder Fern zu.

»Ich weiß nicht, ob du in dieser Sache überhaupt etwas zu sagen hast, Fern. Aber ich versuche, das Richtige für meinen Neffen zu tun, indem ich verkaufe. Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig. Natürlich würdest du gern hierbleiben, weil du so wenig Miete zahlst, aber ich muss das große Ganze sehen und nicht die egoistischen Bedürfnisse Einzelner.«

Sie stampfte mit dem Fuß auf. »Ich kann dir sagen, was das große Ganze ist: Ich schneide dir die Eier ab, wenn du das Haus verkaufst, solange ich oder ein Mitglied deiner Familie hier wohnen!«

»Ohne ihre Zustimmung kann ich eh nicht verkaufen«, erwiderte Levi mit erhobener Stimme. »Wenn wir uns nicht einig werden, sind uns im Grunde beiden die Hände gebunden. Also habe ich vor, Presley zur Vernunft zu bringen, damit ihr ein Licht aufgeht.«

Ich straffte die Schultern. »Und ich habe vor, dich zu der Einsicht zu bringen, dass es machbar ist, die Pension als Wahrzeichen der Stadt zu erhalten. Im Verlauf der Zeit können wir mehr Geld mit der Zimmervermietung verdienen, während wir das Haus gleichzeitig als wichtigen Teil der Geschichte von Beaufort bewahren.«

»Nur zu, auch wenn das gerade die lächerlichste Projektpräsentation war, die ich je gehört habe.« Er verdrehte die Augen.

Ich hatte einen langen Kampf vor mir, aber ich war bereit, mich darauf einzulassen. Ich fragte mich zwar, ob ich nicht recht bei Trost war, mir das alles zuzumuten, aber mein Bauch sagte mir, dass es sich lohnen würde. Als Erstes musste ich allerdings zu diesem störrischen Kerl durchdringen.

Als er davonstürmte, um mit Alex im Garten Football zu spielen, sagte Fern: »Dieser Mann ist so starrköpfig wie sein Großvater. Aber auch genauso sexy.«

Dazu sage ich lieber nichts.

Nachmittags klingelte mein Telefon, und als ich es endlich hervorgekramt hatte, bedauerte ich, mir überhaupt die Mühe gemacht zu haben. Und ich hatte gedacht, der Tag könnte nicht beschissener werden.

Ich schloss seufzend die Augen und atmete tief durch. Als ich sie wieder öffnete, fühlte ich mich kaum besser, nahm das Gespräch aber trotzdem an und bemühte mich um einen heiteren Ton. »Hallo Tanner.«

»Bist du inzwischen zur Vernunft gekommen und hast Beaufort wieder verlassen?«

Ich verdrehte die Augen und nahm meine Einkaufstüte in die andere Hand, um den Autoschlüssel aus meiner Tasche zu ziehen.

»Alex und ich fühlen uns hier eigentlich sehr wohl.«

Das war nur die halbe Wahrheit. Während Alex sich bereits gut eingewöhnt hatte, spielte ich nach den vergangenen Tagen – und den vielen Streitereien mit Levi – mit dem Gedanken, alles zusammenzupacken und zurück nach New York zu ziehen. Ich drückte auf den Schlüsselanhänger und öffnete den Kofferraum meines Autos.

»Wie kann es meinem Sohn gut gehen, wenn seine Mutter ihn tausend Meilen weit weggeschleppt hat? Ein Junge braucht die Nähe zu seinem Vater.«

Ich lud meine Einkäufe in den Kofferraum und knallte die Haube zu. »Ein Junge braucht nicht die Nähe zu seinem Vater, Tanner, er braucht Zeit mit ihm.«

»Und wie soll ich das anstellen, wenn ihr da unten in Beaufort seid?«

Ich seufzte. In New York hatten wir nur ein paar Blocks voneinander entfernt gewohnt, und er hatte seinen Sohn im vergangenen Jahr höchstens sechsmal gesehen. Die Entfernung hatte nichts damit zu tun, dass Alex und sein Vater kein besonders enges Verhältnis hatten.

»Ich bin gerade beim Einkaufen, Tanner. Hast du angerufen, um schon wieder mit mir über dieses Thema zu streiten, oder wolltest du mich aus einem anderen Grund sprechen?«

Mein Ex räusperte sich. »Du musst noch warten, bis du den Scheck einlöst, den ich dir gegeben habe.«

Ich runzelte die Stirn. »Den Scheck? Meinst du den, den ich vor meiner Abreise von dir bekommen habe, vor fast zwei Wochen?«

»Ja, den meine ich.«

»Den habe ich vor ein paar Tagen eingereicht.«

»Also … das wird nicht klappen. Er ist nicht gedeckt.«

Ich schloss die Augen. In Erwartung des Geldes hatte ich einen Scheck für Alex’ Ferientraining ausgestellt und die Telefonrechnung und einige andere Dinge bezahlt. »Was ist diesmal der Grund?«

»Mir ist diesen Monat das Geld ausgegangen.«

Die vergangenen Jahre hatten mir beigebracht, Tanners Sprache richtig zu deuten. Übersetzt bedeutete seine Erklärung: »Ich habe beim Wetten verloren.« Leider hatte er sich nach seiner Verletzung, als er sein Geld nicht mehr auf dem Platz verdienen konnte, auf Sportwetten verlegt. Zuerst hatte er nur auf Footballspiele gesetzt, aber im Lauf der Jahre waren viele andere Sportarten dazugekommen.

Ich seufzte. »Der Scheck war nur die Hälfte von dem, was du mir schuldest, Tanner. Die zweite Hälfte hättest du mir diese Woche schicken sollen, und jetzt erzählst du mir, dass es nicht mal mit dem ersten Scheck klappt?«

»Was macht das schon? Du hast doch genug Kohle, nachdem du nun meine Hälfte der Pension abgesahnt hast.«

Thatcher hatte es zwar nie ausgesprochen, aber ich war ziemlich sicher, dass er Alex die Hälfte der Pension vermacht hatte und nicht Tanner, weil er von seiner Spielsucht gewusst hatte.

»Also, erstens deckt die Pension zurzeit nicht mal die Kosten, und zweitens wäre es Alex’ Geld und nicht meins, wenn sie Gewinn abwerfen würde.«

»Warum verkaufst du das verdammte Ding dann nicht?«

Ich ballte die Hände zu Fäusten. »Gott, jetzt klingst du genau wie dein Bruder.«

»Tja, es gibt für alles ein erstes Mal. Willst du damit sagen, dass mein großer Bruder und ich uns ausnahmsweise mal einig sind?«

Ich schüttelte frustriert den Kopf. »Ich muss Schluss machen. Gibt es noch etwas, worüber du mit mir reden wolltest?«

»Nein, ich melde mich in den nächsten Tagen bei Alex.«

Aber klar doch. »Wie du meinst …« Ich beendete das Gespräch, ohne mich zu verabschieden. Er konnte froh sein, dass ich nicht gleich Schluss gemacht hatte, als er von dem geplatzten Scheck berichtet hatte.

Ich fuhr mit einem vollkommen verspannten Nacken nach Hause und fluchte leise über die Miller-Männer. Wenn es einen Tag gab, an dem ich mir schon nachmittags ein Glas Wein gönnen durfte, dann heute. Und da Alex erst gegen Abend vorbeigebracht wurde, hatte ich genau das vor – mich auf die Couch setzen, die Füße hochlegen und mich vom Wein trösten lassen. Ja, das war mein Plan.

Zumindest bis ich das Haus betrat, ausrutschte und auf dem Hintern landete, weil der ganze Boden nass war.

»Was zum Teufel?«

»Steh nicht so blöd rum!«, schrie ich. »Besorg mir noch einen Eimer!«

Levi ging wieder zur Haustür hinaus und kehrte kurz darauf mit einer Abfalltonne zurück. »Echt jetzt? Etwas anderes hast du nicht gefunden?«

Ich hatte Alex’ Footballhelm benutzt, um das Wasser aufzufangen, das von der Decke tropfte. Es waren noch drei undichte Stellen entstanden, seit ich vor einer halben Stunde hereingekommen war, und allmählich befürchtete ich, dass die komplette Decke auf mich herabstürzen könnte. Ich zog den fast vollen Helm weg, und Levi stellte die Tonne an seinen Platz.

Dann sah er sich um. »Was ist denn hier passiert?«

»Keine Ahnung. Ich bin zur Tür rein und direkt ausgerutscht. Zuerst hat es an zwei Stellen getropft, und als es nachließ und ich alles aufgewischt hatte, fing es an einer anderen Stelle an.«

»Und du konntest nichts Besseres finden als einen Footballhelm, um das Wasser aufzufangen?«

»Es war das Erste, was mir in die Finger kam!«

Levi wies mit dem Daumen nach draußen. »Vor dem Haus stehen sechs leere Mülltonnen.«

Der Tag hatte mir wirklich zugesetzt. Ich war ohnehin genervt, und nun rastete ich endgültig aus. Ich funkelte Levi zornig an. Mein Gesichtsausdruck war ihm offenbar eine Warnung, denn er wich einen Schritt zurück.

Ich schloss jedoch zu ihm auf und rammte ihm bei jedem Wort den Finger in die Brust.

»Ich.«

»Tue.«

»Was.«

»Ich.«

»Kann.«

Levi hob die Hände. »Okay, okay. Beruhige dich.«

»Beruhige dich! Du sagst mir, ich soll mich beruhigen?!«

Der eins neunzig große Muskelprotz wirkte tatsächlich etwas eingeschüchtert. »Hey … atme einfach mal tief durch. Das wird schon alles wieder.«

Ich knurrte ihn böse an.

Levis Augen weiteten sich. Mit dem Gefühl, kurz vor der Explosion zu stehen, tat ich, was ich in einem solchen Fall immer tat – obwohl meine beruhigende Atemübung sonst nur nach Zusammentreffen mi dem anderen Miller-Bruder zum Einsatz kam. Ich schloss die Augen und atmete einige Male tief durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus. Als das nicht half, hielt ich ein stärkeres Mittel für angebracht.

Ich marschierte zum Kühlschrank und riss die Tür auf, in der eine fast volle Flasche Weißwein stand. Ich zog den Korken mit den Zähnen heraus und spuckte ihn auf den Boden. Dann trank ich direkt aus der Flasche, ohne Levi aus den Augen zu lassen, und er rührte sich nicht vom Fleck.

Als ich die Flasche irgendwann absetzte, um Luft zu holen, zog er eine Augenbraue hoch. »Schlechter Tag?«

Ich sah ihn schräg an. »Wie kommst du denn darauf?«

Er zeigte in Richtung Decke. »Ich sehe mir jetzt mal an, was da oben mit den Leitungen los ist, und stelle das Wasser ab. Du hast hier alles unter Kontrolle?«

Ich schwenkte die Weinflasche umher, als hätte ich sie nicht alle. »Sieht man das nicht?«

Mir entging das Lächeln nicht, das um Levis Mundwinkel spielte, obwohl er sich alle Mühe gab, es zu verbergen. Er verschwand wer weiß wohin, und ich trank weiter Wein und beobachtete, wie das Wasser in die Tonne tropfte.

Zehn Minuten später klingelte mein Handy. Ich hatte zwar keine Lust zu telefonieren, aber da ich die Ortsvorwahl erkannte und Alex nicht da war, blieb mir nichts anderes übrig.

»Hallo?«

»Guten Tag. Presley Sullivan?«

»Ja.«

»Hier ist Jeremy Brickson. Ich bin der Leiter des Ferientrainings von deinem Sohn Alex. Wir haben uns vergangene Woche bei der Anmeldung kennengelernt.«

Großartig.Einfachgroßartig. Mir war klar, um was es ging. Ein Ärgernis kommt selten allein … »Ja, natürlich. Hallo Jeremy.«

»Es tut mir wirklich leid, dich zu stören, aber der Scheck, den du uns gegeben hast, ist leider geplatzt.«

Ich schloss die Augen. »Ja, das habe ich auch gerade erfahren. Es tut mir furchtbar leid. Ich wollte dich anrufen und mich entschuldigen und fragen, ob ich einen neuen Scheck ausstellen muss oder du den alten vielleicht noch einmal einreichen könntest, aber ich hatte leider noch keine Zeit.«

»Wir können ihn noch einmal einreichen. Das ist kein Problem. Aber ich dachte, ich informiere dich darüber, dass wir ein Programm für Kinder haben, deren Eltern das Ferientraining nicht bezahlen können, falls dir damit geholfen wäre. Ich weiß ja, du bist gerade erst hergezogen und alles.«

Der Zorn, der noch vor Minuten in mir gewütet hatte, verrauchte. Warum war er so nett? Warum war er kein Arschloch wie Tanner oder Levi? Damit kam ich klar, doch angesichts seiner Freundlichkeit drohte ich die Fassung zu verlieren. Ich bekam einen dicken Kloß im Hals, den ich mühsam hinunterschluckte, und hatte mit einem Mal einen salzigen Geschmack im Mund.

»Nein, keine Sorge, Jeremy. Danke für das Angebot, aber ich brauche keine Hilfe. Ich … ich hätte nur Geld von einem Konto auf das andere überweisen müssen, und das habe ich vergessen. Das ist alles.«

»Okay. Dann warten wir ein paar Tage, bis wir den Scheck noch mal einreichen, damit du alles in die Wege leiten kannst. Tut mir leid, dass ich dich damit behelligen musste.«

Ich war in Zahlungsverzug, und er entschuldigte sich. Ich war eindeutig nicht mehr in New York. »Vielen Dank, und wenn du Gebühren dafür zahlen musstest, übernehme ich die natürlich.«

»Das brauchst du nicht. Alles in Ordnung. Wir freuen uns darauf, Alex in Aktion zu erleben. Es geht das Gerücht in der Stadt, dass er den typischen Miller-Arm hat.«

Ich lächelte traurig. »Das kann gut sein.«

»Bis bald.«

Nach dem Telefonat war ich fertig mit den Nerven. Ich hatte nicht einmal die Kraft, mir die Tränen wegzuwischen. Ich ließ sie einfach von meinen Wangen auf den Boden tropfen.

»Alles okay?«

Mist. Wie lange stand Levi schon da?

Ich wischte mir mit der Hand die Tränen fort. »Ja, alles in Ordnung.«

»Klang aber nicht so. Es klang eher, als hättest du finanzielle Schwierigkeiten.«

»Habe ich nicht. Es war nur ein Missverständnis.«

»Aha.«

Weißt du was? Scheiß drauf! Wenn er seine Nase in meine Angelegenheiten stecken wollte, dann sollte er es ruhig tun. Aber er würde von mir die Wahrheit zu hören bekommen.

Ich straffte die Schultern. »Dein Bruder hat mir einen ungedeckten Scheck geschickt, wenn du es unbedingt wissen willst, und das hatte nun Folgen. Er ist mit seinen mickrigen Unterhaltszahlungen inzwischen vier Monate im Verzug, und jetzt konnte er nicht einmal einen halben Monat bezahlen. Es ist leider nicht das erste Mal. Ich wusste natürlich nicht, dass ich das Geld nicht bekomme, als ich einen Scheck für Alex’ Ferientraining ausgestellt habe.«

Levi sah mich misstrauisch an. Er schien unsicher zu sein, ob er meine Geschichte glauben konnte. Also nahm ich noch einen Schluck Wein und beschloss fortzufahren.

»Und da du anscheinend alles wissen willst, gehe ich am besten ein paar Jahre zurück und fange am Anfang an. Erstens habe ich Tanner nicht verlassen, wie du zu glauben scheinst. Er hat mich verlassen – nachdem ich ihn das zweite Mal beim Fremdgehen erwischt hatte. Außerdem hat dein wunderbarer Bruder ein ernstes Problem. Er ist spielsüchtig und hat seinen Sohn in den letzten paar Jahren höchstens ein Dutzend Mal gesehen. Und was Thatcher angeht … Du hast so argwöhnisch gefragt, warum ich mit deinem Großvater in Kontakt geblieben bin. Ich sage es dir: Wir haben uns wegen Tanner verbündet und mehrfach versucht, ihm Hilfe wegen seiner Sucht zu besorgen.«

Beim nächsten Schluck Wein wurde mir leicht schwindelig. »Und wenn du mir nicht glaubst, dann frag doch Fern. Die wird dir alles bestätigen.« Ich zeigte mit der Weinflasche zum rückwärtigen Teil des Hauses, wo sie wohnte. »Ich bin nämlich ziemlich sicher, dass sie mit Thatcher ins Bett gegangen ist und nicht bloß eine gute Freundin war.«

Levi blinzelte verdutzt. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Machte ihn abermals auf und gleich wieder zu. Dann schaute er eine Weile zu Boden, bevor er langsam mit ausgestreckter Hand auf mich zukam. Mir wurde erst klar, was er wollte, als er mit den Augen auf die Weinflasche deutete.

Ich zögerte zuerst, aber dann gab ich sie ihm.

Er trank etwa ein Viertel des Inhalts. Als er fertig war, machte er laut »Ahhh« und gab mir die Flasche zurück. »Gramps und Fern also, hm?«

Ich lächelte traurig. »Ich denke schon.«

Er nickte. »Gut für ihn.«

Schweigend tranken wir abwechselnd aus der Weinflasche, die wir uns hin und her reichten, bis Levi schließlich sagte: »Tanner hat es so dargestellt, als hättest du ihn verlassen, weil er kein Footballstar mehr werden konnte.«

»Das habe ich mir gedacht. Ich schätze, er hat eine Menge falsche Informationen in deiner Familie verbreitet. Ich habe nie etwas gesagt, weil Alex derjenige ist, der darunter zu leiden hat, wenn ich mit Tanner streite. Dein Bruder hat sich nach der Verletzung enorm verändert. Es war, als hätte er nicht mehr gewusst, wer er ohne Football überhaupt ist. Ihr und euer Vater, ihr habt den Sport im Blut. Deshalb habe ich versucht, verständnisvoll zu sein, obwohl er mich schlecht behandelt hat. Aus diesem Grund habe ich es ihm auch durchgehen lassen, als ich ihn das erste Mal mit einer anderen Frau erwischt habe. Mir war klar, was er durchmachte. Doch beim zweiten Mal hatte ich kein Verständnis mehr, und wir haben uns nur noch gestritten, bis er dann schließlich ausgezogen ist.« Ich sah Levi in die Augen. »Du kennst mich genauso lange, wie Tanner mich kennt. Glaubst du wirklich, ich würde jemanden verlassen, der mir viel bedeutet, nur weil uns das Leben einen Knüppel zwischen die Beine wirft?«

Levi hielt meinem Blick stand, dann schüttelte er den Kopf und schaute zu Boden. »Nein.«

Nachdem er noch ein paar Schlucke getrunken hatte, reichte er mir die fast leere Flasche. Als ich nach ihr greifen wollte, zog er sie jedoch zurück und nahm sie in die andere Hand, um mir die rechte entgegenzustrecken. »Frieden?«

Ich nickte und schlug ein.

Dann breitete sich eine bedeutungsvolle Stille zwischen uns aus. Levi musste vermutlich erst einmal verarbeiten, was ich gesagt hatte, oder vielleicht überlegte er, wie er die Wahnsinnige, die vor ihm stand, jemals dazu bewegen konnte, den alten Schuppen zu verkaufen. Mir wiederum hatte es die Sprache verschlagen, weil die Berührung unserer Hände einen beinahe elektrischen Stromschlag ausgelöst hatte, der meinen Arm hinaufschoss. Es war unglaublich intensiv, und ich sah Levi unwillkürlich ins Gesicht, um zu sehen, ob er es auch spürte.

Aber er hatte die Augen niedergeschlagen und schien nichts zu merken. Dummerweise hatte ich so die Gelegenheit, sein Gesicht genauer zu betrachten. Er hatte seinen Bart vor ein paar Tagen abrasiert und nun einen Schatten aus dunklen Stoppeln an seinem männlichen Kinn. Er war wirklich ungeheuer attraktiv.