Perlen für die Säue - Christine Schuhmann - E-Book

Perlen für die Säue E-Book

Christine Schuhmann

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Beschreibung

In unseren unbescholtenen Schuljahren – Rund um die erste aufsehenerregende Pisastudie - hat man einmal zu uns gesagt: ‚Romane mögen ja noch angehen, aber Kurzgeschichten und Gedichte für deutsche Jugendliche unter 25 schreiben, das ist Perlen vor die Säue werfen.’ Gut, haben wir uns damals gedacht, dann ist es genau das, was wir tun wollen. ‚Perlen FÜR die Säue’ schreiben und zeigen, dass deutsche Jugend mitnichten so tumb und unreflektiert ist, wie man sie gerne sehen möchte. Und wenn wir alles richtig gemacht haben, dann ist es auch geeignet für Menschen, die sich vielleicht zum erstem Mal hinsetzen und endlich aufschreiben, was ihnen schon lange im Kopf herumgeht, weil sie uns einfach glauben, dass Sprache und Literatur Spaß machen können, wenn man es einfach mal versucht!

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Das Buch:

In unseren unbescholtenen Schuljahren – Rund um die erste aufsehenerregende Pisastudie - hat man einmal zu uns gesagt:

‚Romane mögen ja noch angehen, aber Kurzgeschichten und Gedichte für deutsche Jugendliche unter 25 schreiben, dass ist Perlen vor die Säue werfen.’

Gut, haben wir uns damals gedacht, dann ist es genau das, was wir tun wollen. ‚Perlen FÜR die Säue’ schreiben und zeigen, dass deutsche Jugend mitnichten so tumb und unreflektiert ist, wie man sie gerne sehen möchte. Dass Menschen auch in unserer schönen, neuen Konsumgesellschaft nicht nur die täglichen Gerichtsshows, sondern auch eine Pointe verstehen, und neben bunten Boulevardmagazinen auch mal ein Gedicht zu schätzen wissen.

Und wo wir schon dabei waren, wollten wir mit demselben jugendlichen Elan noch jungen Menschen zeigen, dass man nicht Elisabeth George oder Ken Follett heißen muss, um Spaß am literarischen Schaffen finden zu können und dass Geschichten und Gedichte auch dann Spaß machen, wenn man nicht der nächste Eco werden will – und nicht zuletzt, dass auch Eco irgendwann mal angefangen hat, als noch niemand dachte, dass er der nächste Eco werden könnte.

Dieses Machwerk enthält daher neben den oben erwähnten Kurzgeschichten und Gedichten auch den einen oder anderen Tipp für junge oder auch nicht mehr so junge Autoren aus dem Erfahrungsschatz der Autorinnen. Und wenn wir alles richtig gemacht haben, dann ist es auch geeignet für Menschen, die sich vielleicht zum erstem Mal hinsetzen und endlich aufschreiben, was ihnen schon lange im Kopf herumgeht, weil sie uns einfach glauben, dass Sprache und Literatur Spaß machen können, wenn man es einfach mal versucht!

Die Autorinnen:

Christine Schuhmann, née Klotz, geboren 1983 in Aachen, lebt derzeit mit Mann und einer haarenden Katze in Nürnberg, wo sie neben einem abgeschlossenen Pädagogikstudium anderthalb Romane ('Das Kunstwerk' und 'La Thalía Bleue') und eine halbe Tonne Kurzgeschichten, kurze Geschichten und Fanfiktionen zu ihrem Lieblingsthema 'Das Phantom der Oper' hervorgebracht hat.

(http://www.tine-schreibt.de/)

Manuela Sonntag, née Fonger, geboren 1983 in Aachen, lebt derzeit mit Mann und zu vielen Haustieren in ebd., wo sie Geschichte, Anglistik und Philosophie studiert hat.

Ihr literarisches Schaffen hat bislang eine wissenschaftliche Abhandlung über die historische Shakespeare-Analyse (William Shakespeare, Subject of the Crown?'), einen Roman ('Der Rosenfriedhof') eine ganze Reihe Kurzgeschichten und Gedichte (viele davon veröffentlicht in 'Perlen für die Säue' und der Anthologie 'B(r)uchstücke') hervorgebracht.

(http://jellylorum66.blogspot.de/)

Inhaltsverzeichnis

Konstruktive Kritik leicht gemacht

Akrostichon

Was ist Liebe? – Alanis

Die Ameisenkönigin

Unvollendet - Amos Grash

Was ist Liebe? - Anfang

Was ist Liebe? – Anna Karenina

Was ist Liebe? – Aspasia

Horror – Die Bettlerin

Ceridwen

Cora

Fan-Fiction - Der Tod tanzt langsam

Death dancing slowly

Diarmaid

Fantasy – Die Prüfung

Was ist Liebe? – Eifersucht

Eine Träne

Elfchen

Was ist Liebe? – Everything changes?

Feel

Was ist Liebe? Frauen sind anders...

Fantasy – Die Geister der Verstorbenen

Fantasy – Die Geschichte vom Anfang

Goethe

Was ist Liebe? – In Gold gefasst

Der Menschenzoo – Graugänse

Der Menschenzoo – Haselmäuse

Was ist Liebe? – Helena

The great Herzschmerz

Was ist Liebe? – Just married

Was ist Liebe? – Liebe deine Kleinigkeiten

Was ist Liebe? – Kurz und schmerzhaft

Was ist Liebe? – Das leidige Thema...

Horror – Leon und Leonie

Was ist Liebe? – Liebe auf Zeit

Was ist Liebe? – Freundschaft ist besser?

Lied des Raben

Unvollendet - Marietta Brown

Was ist Liebe? – Die metaphysische Würde

Was ist Liebe? – So was wie Mitleid

Mut und Einsamkeit

Nachtgebet

Was ist Liebe? – Nein, gar nicht!

Fan-Fiction – Niemals seinen Namen

Was ist Liebe? – Nostalgie

Was ist Liebe? – One night stand

Opernball

Was ist Liebe? – Orchidee

Der Menschenzoo – Papageien

Paris

Der Menschenzoo – Pfauen

Was ist Liebe? – Phasenweise verliebt

Raum und Zeit

Romantisch

Was ist Liebe? – Romeo

Fantasy – Der rote Drache

Drama – Scheherezade

Was ist Liebe? – Schlaflos

Was ist Liebe? – Schneeweißchen & Rosenrot

Schwarze Seide

Seelenbaum

Drama – Serenade

Sommerwiese

A Summer’s Day

Unvollendet - Todes Adoptivkind

Fan-Fiction – Unwillkommen

Horror – Vergebliche Liebesmüh

Was ist Liebe? – Verliebt auf Umwegen

Wasser

Was ist Liebe? – Worte sagen mehr

Zeit

Schreibtipps

Die konstruktive Kritik

Ein paar einführende Worte für Schreiberlinge – und die, die es noch werden wollen – über das wichtigste Handwerkszeug des Literaten – die Kritik. Egal ob ihr die Texte in diesem Buch, das neuste Gedicht eurer Freundin, oder eure eigenen Texte bewerten wollt: Konstruktive Kritik und faires Verhalten gegenüber dem Autor – auch gegenüber euch selbst – ist nicht nur sozial hilfreich, sondern absolut notwendig, wenn eure Kritik mehr sein soll, als ein haltloses ‚Rumgemotze’, sondern den Kritisierten auch wirklich weiterbringen soll. Ihr könnt gern an den folgenden Geschichten üben!

Konstruktiv bedeutet ‘aufbauend‘ und ‘weiterführend‘, die konstruktive Kritik ist also durchweg entwicklungsorientiert.

Kritik bedeutet "eine rationale, auf die Erweiterung von nicht ungefragt zu internalisierenden (annehmen, zu Eigen machen) Normen- und Wertsystemen zielende Beurteilung und Bewertung". (Brockhaus Enzyklopädie, 1990)

Dabei ist nicht nur das literarische Wertesystem des Schreiberlings (also dessen ästhetisches Empfinden in Bezug auf seine Schreibarbeiten) kritisch zu hinterfragen, sondern auch das des konstruktiven Kritikers.

Die Regeln sehen so aus:

Der Kritiker liest den Text nicht nur einmal, sondern zweimal, bevor er sich an seine Kritik setzt. Der erste Eindruck ist nicht immer der richtige, und man kann durchaus mal was überlesen oder erstmal falsch verstehen.

Eine Kritik beginnt immer mit einem begründeten Lob. Dies führt dazu, dass der Schreiberling sich freut, Sympathie für den Kritiker aufbaut und in der Folge offener für dessen Kritik ist.

Kritik sollte immer sachlich und neutral formuliert sein. Beleidigungen haben dort nichts zu suchen, sie führen nur dazu, dass der Schreiberling dicht macht und auch für gute Argumente nicht mehr zugänglich ist.

Der Kritiker sollte es stets für möglich halten, dass es sich bei Merkwürdigkeiten einer Geschichte um bewusst eingesetzte Stilmittel handelt, und seine Kritik daran auch dementsprechend darstellen. Der Schreiberling wird so zum einen fair behandelt (da seine Kompetenz anerkannt wird), zum anderen kann er auf diese Weise viele handwerkliche Dinge dazulernen.

Kritik sollte mit einer kurzen Zusammenfassung der Kritik und der lobenswerten Punkte an dem Werk enden.

Akrostichon

Manuela Sonntag

Ein Akrostichon nennt man ein Gedicht, dass in den Anfangsbuchstaben der Zeilen, die Quintessenz des Gedichtes zusammenfasst.

M agst du das Stück?

I ch liebe es!

T atsächlich?

S icher, klar doch, ist lustig!

O beron oder Theseus, wer ist besser?

M einst du nicht, daß das egal ist?

M ag sein, aber ich will es wissen!

E igentlich Oberon, weil er realer ist.

R ealer?

N icht so aufgesetzt!

A ch so, und Hermia?

C harisma hat sie auf jeden Fall, aber Helena ist rührender.

H elena ist total überdreht!

T atsächlich, findest du?

S icher, sie schreit fürchterlich!

T ut sie gar nicht, im Gegensatz zu Zettel!

R ichtig, aber das gehört ja auch zur Rolle!

A uch gut, möchtest du Sekt?

U nmöglich die Pause ist doch gleich vorbei!

M einetwegen, dann laß uns wieder reingehen.

Was ist Liebe?

Eine Kuzgeschichtenreihe, die in unpersönlicher ‘Er’&’Sie’ Form Beziehungsmomente auschneiden und darstellen will. Manchmal funktioniert es sehr gut sich eine formale Linie vorzugeben und dann einfach mal aus verschiedenen Sichtweisen drauflos zu probieren!

Alanis

Christine Schuhmann

Als sie die beiden sieht, wird ihr schlecht.

Aber es ist auch wirklich zum Kotzen, wie eifrig er sie umturtelt, nachdem es erst eine knappe Woche her ist, dass er wegen diesem Zuckerpüppchen mit ihr Schluss gemacht hat.

Die Wut sammelt sich als kleine glühende Kugel in ihrem Bauch. Sie flucht leise.

'Du Drecksack! Du riesengroßer Drecksack! Du Arsch!' und während sie flucht, wächst die Kugel aus Wut. 'Weißt du eigentlich, dass du das Hinterletzte bist? Vor drei Monaten war es noch für immer! Wir wollten für immer zusammen bleiben, wie in einer Ehe, bis dass der Tod und scheidet! Und was ist? Du erstetzt mich durch ein blondes Klappergestell ohne auch nur ansatzweise tot umzufallen! Du Verräter! Du mieser, hinterhältiger Lügner!" bei diesem letzten Wort platzt ihr der Kragen, explodiert regelrecht. Und bevor sie sich versieht, stampft sie auch schon auf ihren Ex und seine Neue zu.

"Du Drecksack!" schreit sie ihn an. Ah, das tut gut! Leute bleiben stehen, drehen sich nach ihr um, starren sie an, aber ihm ist sowas sehr viel peinlicher als ihr. Das weiß sie. Schließlich kennt sie ihn seit drei Jahren. "Du bist so ein Musterbeispiel von einem Arschloch, dass ich mich fast schon wieder freue, dich kennengelernt zu haben." Herrlich, wie sich sein Gesicht in einer Mischung aus Scham und Wut rötet. "Es geht mir nicht gut, danke der Nachfrage. Und wie geht es dir und deiner Neuen? Fickt sie dich genau so gut wie ich? Ja? Habt ihrs auch schon in Theater gemacht? Mitten im zweiten Akt? Oh, jetzt wird sie auch rot!" sie grinst gezwungen, damit ihre Stimme nicht zittert, bei dem, was jetzt kommt. "Und wie stehts mit der Liebe? Habt ihr schon mit der Familienplanung angefangen? Ich meine, ihr hattet ja viel Zeit, Pläne zu schmieden, in dem halben Jahr, in dem du sie und mich gefickt hast. Soll ichs nochmal sagen? Gefickt? Ohne Liebe, steriles Gerammel, du Arsch! Meine Güte, wir hätten so viel Geld verdienen können, wenn wirs jedes Mal gefilmt hätten... – Ach beruhigen soll ich mich? Wie denn? Wie soll ich mich beruhigen, wenn mich der Mann, der mir seine ewige, aufrichtige Liebe geschworen hat, über ein halbes Jahr und wer weiß wie viele Ficks angelogen hat? – Wenn ich mit dir rede, werde ich so ausfallend, wie ich will, Freundchen, denn du bist so dermaßen aus dem Rahmen gefallen, dass ich dir die Augen auskratzen könnte!" In diesen Gesichtsausdruck hat sie sich damals verliebt. Dieses erschrockene, anteilnehmende, liebevolle... Lügner! "Guck nicht so! Darauf fall ich nicht nochmal rein!"

"Ich habe es dir doch erklärt." sagt er leise. "Du wärst in dem halben Jahr nicht ohne mich zurechtgekommen."

"Ach ja? Hättest du wohl gerne! Großer starker Mann, ohne den ich nichts bin! Wie rücksichtsvoll von dir, mich ein halbes Jahr lang zu hintergehen und mit vorzulügen, dass du mich immernoch liebst, anstatt mir die Wahrheit zu sagen und mir meine Würde zu lassen!"

"Ich habe nie bei einem 'Ich liebe dich' gelogen!"

"Jaja, schon klar!"

"Einen Teil von dir liebe ich immer noch. Deshalb habe ich es nicht übers Herz gebracht, dich damals schon zu verletzen. Jetzt kommst du alleine klar."

"Oh gnädiger Jesus, hör doch auf mit dem Scheiß! Du hast mich ein halbes Jahr lang betrogen und dann sitzengelassen! Es ist mit scheißegal, was du dir für tolle Geschichten ausdenkst, du bist und bleibst ein Arschloch! Du wolltest mich nicht damit belasten? Weißt du wie viel Scheiße ich deinetwegen mit mir rumschleppe? Ein halbes Jahr, in dem ich einen miesen kleinen Verräter geliebt habe! Du hast einen riesigen, stinkenden Haufen von Scheißgefühlen bei mir hinterlassen, merk dir das!

Ich könnt mir selber in den Arsch beißen, dafür, dass ich mich überhaupt je mit dir eingelassen hab!" sie durchbohrt ihm mit einem beinahe tödlichen Blick. Dann lächelt sie und säuselt: "So, jetzt muss ich leider weiter, ich hab nämlich noch Wichtigeres zu tun, als meine Zeit damit zu verschwenden, dir Drecksack die Meinung zu geigen!"

Verhaltener Applaus begleitet sie auf dem Weg in die Buchhandlung.

Die Ameisenkönigin

Manuela Sonntag

Diese Technik nennt man im Fachjargon ‚Stream of Consciousness’, das bedeutet eine in Worte gefasste Aneinanderreihung von Gedanken. Es ist nicht ganz Gedicht und auch nicht ganz Prosa, aber manchmal muss man das auch nicht so genau wissen, um Spaß am Schreiben zu haben!

Denken Ameisen wie Menschen?

Kommunizieren sie wie wir?

Wenn nicht, was bewegt dann unzählige Völker in der ganzen Stadt ausgerechnet heute ihre sorgsam gepflegten, geflügelten Brüder und Schwestern an die Erdoberfläche zu geleiten, damit sie sich, wie Engel, in die Luft erheben?

Die Logik sagt es sind Gene, Instinkte, Zufälle, das richtige Wetter...

Aber warum sollten sie nicht kommunizieren wie wir nur auf eine völlig andere Weise?

Ist das paradox? Unvorstellbar?

Warum fällt es uns so schwer anderen Wesen das zuzugestehen, was wir für uns als selbstverständlich erachten?

Weil sie ‚nur’ Tiere sind und wir nicht?

Der Mensch als Krone der Schöpfung?

Der menschliche Geist begnügt sich nicht damit sich anzupassen, seinen Platz im Gefüge einzunehmen.

Er möchte bestimmen, beherrschen, vergewaltigen, manipulieren...aber warum?

Damit er eines Tages sagen kann:

’Sehet her, dies ist die Welt und ich habe sie mit meinen Händen geschaffen?’

Kann etwas aus sich selbst heraus geschaffen werden?

Fielen die Hummeln vom Himmel, als die Physik erkannte, dass sie nicht fliegen sollten?

Gestaltete sich der Himmel um, als die Astronomie erkannte, dass die Erde die Sonne umkreist?

Hören alle Geheimnisse, hört alle Magie dieser Erde auf zu existieren, nur weil die Wissenschaft behauptet, sie könne die Welt erklären?

Nein? Nein.

Doch der menschliche Geist begnügt sich nicht damit, seine Grenzen zu kennen.

Er verleugnet sie, komme was da wolle.

Und so schafft er ein Abbild der Welt, nennt es Zivilisation und irgendwann glaubt er selbst daran, das diese pervertierte Kopie die eigentliche Schöpfung ersetzen kann.

Er regiert nicht die Welt, aber er kann sagen und glauben seine Welt sei das einzig relevante, sein Wille der einzig zählende.

Ein Fuchs, der in eine Falle gerät, beißt lieber seine eigene Pfote ab, als weiterhin in Gefangenschaft zu leben.

Ist er zu bedauern?

Ist er zu beneiden?

Ist er frei?

Kann er eine Wahl treffen, die uns schon nicht mehr offen steht?

Ameisen haben eine Königin. Sie führen Krieg gegeneinander.

Aber ist es nicht unpassend den Vorgängen ihrer Welt die abstrakten Worthülsen unserer künstlichen Natur überzustreifen?

Wer weiß schon, was den Ameisen ihr ‚Krieg’ bedeutet? Was ihre ‚Königin’?

Und doch können wir nicht über die inzwischen so liebgewordene Selbsttäuschung hinwegsehen, alles müsste sein, wie wir es erwarten.

Der Mensch ist ein eigenartiges Tier.

Er ist sicherlich das einzige, dass sich sein Gefängnis selbst gebaut hat.

Unvollended...

Amos Grash

Christine Schuhmann

Mitten in der Nacht wacht er auf, den Nachklang eines Schreis noch in der Kehle. Sein Körper ist schweißbedeckt. Keine Kühlung liegt im Luftzug vom Fenster.

Ihn träumte, er läge im Sterben, geschüttelt von Fieberkrämpfen und Schmerz. Ihn träumte, er stürbe, der Schnitter risse ihm die Seele heraus und fräße sie an einem Stück. Ihn träumte, er wäre tot, eingesperrt in einer Kiste, der Gestank von Seide, Holz und Balsam. Ihn träumte vom dumpfen Pochen der Erde auf seinem Sarg und seine Augen sahen nur Dunkelheit.

Ein neuerlicher Schrei entrang sich ihm bei der Erinnerung an seinen Traum.

Nie war er fromm gewesen, doch nun sand er ein Stoßgebet gen Himmel.

"Herr,", rief er, "Herr im Himmel, lass mich nicht sterben! Lass mich niemals sterben!" Wieder und wieder schluchzte er die Worte, warf sich auf die Knie, schluchzend, keuchend, furchtsam horchend auf eine göttliche Stimme, die seine Bitte erfüllte.

Über sein Gebet wurde Amos Grash ruhiger. Je mehr Zeit zwischen ihn und seinen Traum glitt, desto weiter fort schienen die Schrecken des Todes, auch wenn er sich immer noch fiebrig und schwach fühlte.

Ein letztes Mal sprach er sein Gebet, leise, fast verschämt ob seines kindischen Gebarens. Dann stemmte er sich vom Boden hoch und wankte zu seiner Waschschüssel.

Und noch einmal fuhr ihm der Schreck in die Glieder, als er sein Gesicht im Spiegel sah, hohläugig und ausgezehrt, wie nach einer langen Krankheit.

"Das macht die späte Stunde,", murmelte er beschwörend, "die Angst, das Kerzenlicht spielt dir einen Streich." Er schöpfte sich kühles Wasser ins Gesicht. "Es liegt am unruhigen Schlaf."

Er trocknete sein Gesicht ab, mied dabei den Spiegel mit seinem Blick. Dann kehrte er zum Bett zurück und ließ sich erschöpft darauf fallen. Er schloss die Augen und wartete.

Doch der Schlaf wollte nicht kommen.

Rastlos lief er in seiner Kammer im Kreis, beobachtete erst die Bahn des Mondes, dann den Sonnenaufgang. Immer wieder legte er sich auf sein Bett nieder, wenn er die Kraft aus seinen Beinen weichen fühlte, doch er konnte nur daliegen, mit brennenden Augen an die Decke starrend. Und sanken ihm doch einmal die Augen zu, riss er sie gleich wieder auf, denn er vermeinte, Erde auf einen Sargdeckel fallen zu hören.

Aber mit dem Morgenlicht schwand seine Angst. Er fühlte sich geneigt, seine Schweißausbrüche und die Stoßgebete zu verlachen. Doch schlafen... schlafen konnte er immer noch nicht.

Zu einer Morgenmahlzeit konnte er sich nicht entschließen, bei seiner Arbeit war er nicht ganz bei sich, füllte die Rechnungsbücher aus wie ein Schlafwandler, bis die Sekretärin ihn heim schickte, damit er keinen Schaden anrichtete.

"Was ist nur heute mit Ihnen los, Mr Grash? Sie sind bleich wie der Tod.", sagte sie zum Abschied.

Amos Grash lachte bitter.

"So fühle ich mich auch, Miss Albany."

Daheim legte er sich gleich auf sein Bett, gierig nach Schlaf. Es gelang ihm auch tatsächlich einzuschlafen, doch lang währte dieser Schlaf nicht, war unruhig und von beängstigenden Träumen durchzogen, die ihn immer wieder aufschrecken ließen.

Langsam, von Amos Grash erst nicht bemerkt, dann mit bangem Blick erwartet, brach die Nacht herein.

Das Anreißen des Zündholzes füllte den Raum mit beißendem Schwefelgeruch. Amos Grash entzündete seine Gaslampe und alle Kerzen, die er finden konnte, doch ihr Licht konnte die Dunkelheit nicht aus der stickigen Kammer vertreiben, schien sie nur zu vergolden und mit einer diffusen Tücke zu versehen. Auch schienen die vielen kleinen Flammen die Sommerhitze zu potenzieren.

Er goss ein weiteres Glas Wasser seine ausgedörrte Kehle hinunter. Die Zunge klebte ihm am Gaumen und sein Kopf schmerzte. In seinen Augen brannte es von Müdigkeit und Schweiß.

Doch bei aller Hitze fror ihn innerlich vor neuerwachter Angst und seine Glieder zitterten vor Schwäche.

Wieder suchte er Erleichterung im Gebet, doch alle Mächte schienen ihn verlassen zu haben.

Er flehte, weite, bebte, bis er schließlich in eine Ohnmacht glitt.

Einige Stunden währte der gnädig Zustand der Leere, bis Amos Grash plötzlich mit einem Ruck, der seine Glieder schmerzen ließ, erwachte. Ein rauer Schrei erstarb in seiner Kehle.

Sein Körper troff von Schweiß, und als ein Luftzug durch die Kammer ging, verspürte er keine Erleichterung...

Was ist Liebe?

Anfang

Christine Schuhmann

Es ist nur ein Blick, den er ihr zuwirft, ein etwas längerer, ein wenig fragender Blick. Und sie erwidert ihn.

Sie würde jetzt gerne aufstehen, seine Hand nehmen und mit ihm vor die Gaststätte gehen. Sie würde gern mit ihm nach der richtigen Antwort suchen. Aber das geht nicht. Da wären immer zu viele Menschen um sie herum, und später am Tisch gäbe es Fragen, die vielleicht alles wieder kaputt machen, noch ehe es etwas Bestimmtes geworden ist.

Wie hatte das alles nochmal angefangen? Naja, irgendwie haben sie einander gleich gemocht, auch wenn sie zum Teil sehr unterschiedlich sind. Da war sofort Vertrauen zwischen ihnen, Anziehung, mit und ohne Sex.

Wenn er ihrer Meinung wäre und auch für ihn Sex nach einer angemessenen Anzahl von 'Ich lieb dich', tiefen Blicken und Geschmuse unumstößlich den Beginn einer Beziehung markieren würde, dann hätte sie kein Problem. Aber so? Für einen Moment verdunkelt sich ihr Blick. Liebe, ja, Liebe ist sehr viel für ihn da, vielleicht sogar zu viel für so ein frühes Stadium. Und Sex. Nach ihrer letzten Beziehung, die ein absoluter Rohrkrepierer war, hat sie sich geschworen, nie wieder Sex im luftleeren Raum zu haben, dazu bedeuten Körperlichkeiten zu viel für sie. Aber er ist so süß und riecht so gut und dann war ihr letzter Bus schon weg und zum Laufen war der Weg zu weit und als sie da so nebeneinander im Bett lagen, weil er keine Gästecouch hat, verließ seine Hand ihren Platz auf ihrem Magen und sie hatte nichts dagegen. Sie hätte halt nicht davon ausgehen dürfen, dass er Sex den selben Stellenwert einräumt wie sie selber.

"... aufgepasst hat? Hey! Hallo?" jemand stößt ihr in die Seite.

"Was? Entschuldige.."

"Passt schon. Wie hieß nochmal der Hund, auf den Karsten bis vor kurzem aufgepasst hat?"

"Karl-Otto von Siebenfels der Dritte. Und Frauchen hat Karsten gefeuert, weil er ihm ordinäres Chappi verfüttert hat."

"Hey, das wollte ich erzählen!"

Wieder ein Ellenbogen in ihrer Seite.

Sie gibt eine schnippische Antwort und bemüht sich, wieder am Gespräch teilzunehmen, doch irgendwann driftet sie wieder in ihre Gedanken.

Dieser Blick! Dieser fragende Blick als Antwort auf die Frage von Elsas Freund 'Und ihr zwei seid also zusammen?". Dieser Blick, ein Grinsen, ein Schulterzucken. Sie wünscht sich, sie wäre geistesgegenwärtiger und hätte nicht nur unbewusst seine Reaktion nachgeäfft. 'Ach, naja, ich weiß nicht...?' Sie hätte die Stirn runzeln, 'Ja, ich glaube schon' sagen und ihn ernsthaft ansehen sollen. So hatten sie das Grinsen im Gesicht, mit dem kleine Kinder sagen, dass sie gar nichts gemacht haben, während ihr Hirn schon an neuen Streichen bastelt. Ein pubertäres Ich-denk-an-Sex-Grinsen. Warum ein Grinsen? Warum kein Lächeln? Warum kein 'Ich will gern, und du?' Es ist doch zum Heulen!

Sie will, das ist klar, sie will mehr als alles andere diese Berziehung! Sie will mit ihm zusammen wohnen und irgendwann ihre Figur mit seinen Kindern ruinieren. Und sie war so naiv, zu denken, dass ihm das nach dem 'ich liebe dich' und dem Geschmuse und den tiefen Blicken und dem Sex klar wäre! Aber gut, sie ist nicht böse, jedenfalls nicht wirklich. Schließlich ist es nicht ihre erste Beziehung und es war nicht ihr erster Sex. Er konnte nicht wissen, dass sie so dumm-romantisch veranlagt ist. Sie seufzt. Hoffentlich findet sie auf dem Heimweg die Gelegenheit, ihn zu fragen. 'Wie soll es mit uns weitergehen?' Wenn er so unentschlossen ist, wie sie denkt, wird sich die Sache ohne eine Aussprache noch eine Zeit lang in dieser undefinierten Form hinziehen und dann werden sich ihre Wege wegen einer Kleinigkeit trennen. Oder? Sie fühlte sich so schnell so sehr von ihm angezogen, das ganze Berühren und Flüstern kam so selbstverständlich und ohne Aufregung. Nur immer diese Vorfreude, ihn wiederzusehen. Kein Stocken, kein Grübeln. Einfach 'Ich liebe dich', und seine Antwort darauf kam in so einem herrlich tiefgründigen Tonfall.

Vielleicht war es zu einfach. Wenn Sachen zu glatt gehen, legt man sich leicht damit auf die Schnauze.

Et voila, da liegt sie und reibt sich verdutzt den Hintern.

Warum muss nur alles so kompliziert werden, nachdem es so einfach war?

Der Abend plätschert seinem Ende entgegen. Die Rechungen werden verlangt und bezahlt, Jacken zusammengesucht, "Kind, was hast du so schlechte Laune heute? Ich hatte das Gefül, du warst die ganze Zeit woanders.", ein Abwinken, "Unistress.", Umarmungen zum Abschied.

Dann, im menschenleeren Park unter einer mottenumschwirrten Laterne, als sie gerade Luft holen will, um ihn zu fragen, bleibt er stehen.

Es ist nur ein Blick, den er ihr dann zuwirft, ein sehr langer, fragender Blick.

'Ich will wirklich gern. Und du?'

Was ist Liebe?

Anna Karenina

Manuela Sonntag

Das kleine, zerknitterte Papier war schon grau vom kalten Schweiß ihrer Handflächen, die ohnehin undeutliche Bleistiftschrift kaum noch zu erkennen. Nur noch vereinzelt fielen indessen kleine Tropfen von ihrem Kinn herunter und vereinigten sich mit dem Rinnsal in den Falten ihres dunkelblauen Kleides.

Samt, nur für ihn. Resignation, Aufgabe, Hoffnungslosigkeit - alles zugleich.

Mit einer vielgeübten, fahrigen Bewegung fuhr sie von ihrem Stuhl auf und wanderte in ihrer freudlosen, grauen Küche auf und ab. Selbst der Himmel verdunkelt sich in Trauer!, dachte sie, doch viel wahrscheinlicher verdunkelte er sich im Zorn.

Wütend knüllte sie den Zettel in ihrer Hand zusammen, bis ihre Fingernägel in ihre Handflächen schnitten.

Maniküre, nur für ihn. Wut, Enttäuschung, Unglauben - alles zugleich.

Was konnte er ihr schlimmeres antun, als diesen nichtssagenden Zettel? Dieses verfluchte Stück Papier! Ich werde fahren . . . wie einfach ihm das gefallen war! Wie einfach er sie hinter sich ließ, wie man ein abgetragenes Kleid wegwirft! Unsere Situation ist unerträglich . . . unsere Situation?

Was wusste er schon, über ihre Situation? Ich habe alles aufgegeben für dich, du elender Feigling! Meine Familie, mein Zuhause, selbst meinen Sohn . . . der Gedanke schnitt, wie eine Klinge in ihr Herz und der alte Stuhl knarrte ergeben, als sie sich wieder darauf fallen ließ. Ihre zitternde Hand fuhr durch ihr Haar.

Locken, nur für ihn. Ausweglosigkeit, Schmerz, Trauer - alles zugleich.

Sie hatte alles aufgegeben, an jenem Tag, als sie seinem nachdrücklichen Blicken, seinen fordernden Gesten, seinen ungeduldigen Argumenten endlich nachgab. Als sie ihre Ehe verriet, ihr Kind zurückließ und ihm folgte, ihm folgen wollte . . . wohin auch immer! Außer seiner Liebe war ihr nichts geblieben. Er war ihre letzte Rettung und er wusste es! Und dennoch dieser nichtssagende Zettel! Ein armseliges Stück Papier, ohne Wärme, ohne Trost, ohne Hoffnung! Ich werde fahren . . . fliehen, das wollte er! Fliehen vor seiner, vor ihrer gemeinsamen Schuld! Vor ihrer Abhängigkeit von ihm, vor ihrer Liebe, die er nicht mehr brauchte! Die Tränen begannen wieder zu fließen und hinterließen neue Spuren auf ihren Wangen.

Rouge, nur für ihn. Verrat, Schuld, Abscheu - alles zugleich.

Sie hatte ihn nicht einengen wollen, doch er war der einzige Mensch, der ihr noch geblieben war und so klammerte sie sich an ihre Liebe, an ihr Glück, an ihr Beisammensein. Sie liebte ihn mit ihrer ganzen Seele, seine Besonderheiten, seine Fehler, seine Vollkommenheit. Und er? Er hatte sie auch geliebt, dessen war sie sich sicher. Selbst jetzt brachte sie es nicht über sich, etwas anderes zu denken! Er hatte sie mit diesem Feuer in den Augen angesehen und seine Berührungen hatten sie tief gebrandmarkt. Und irgendwann . . . irgendwann war der Funke erloschen und die Leere, die ihm folgte, ließ sie beide zu Eis erstarren. . . Aber ich hätte uns retten können!, dachte sie verzweifelt. Sie ertrug es nicht, etwas anderes zu denken! Noch heute hätte sie alles retten können!

Wutentbrannt fegte sie das teure Porzellan vom Tisch.

Kerzenlicht, nur für ihn. Zerrissenheit, Rettungslosigkeit, Verzweiflung - alles zugleich.

Doch statt dessen kam nur dieser Zettel und brachte den Tod auf ihre Schwelle. Wieder verschwand das kleine Papier in ihrer verkrampften Hand. Er war alles, was ihr geblieben war, ohne ihn besaß sie nichts mehr . . .

Draußen fuhr ein Auto vor und hielt mit quietschenden Bremsen vor ihrem Haus. Männerschuhe klackerten auf dem Asphalt und bewegen sich auf ihre Haustür zu.

Seufzend erhob sie sich von ihrem Stuhl und ging sie langsam und ruhig zum Fenster herüber, öffnete beide Flügel weit, sog begierig die Luft ein, die ihre Tränen trocknete, stieg vorsichtig auf die Fensterbank und blickte auf die nass glänzende Straße hinunter. Dann tastete sie einen Moment mit zitternden Fingern nach dem Holz des Fensterrahmens und warf einen nachdenklichen, langen Blick auf die große Tür im Dunkel des engen Flurs.

Was ist Liebe?

Aspasia

Manuela Sonntag

“Und wenn ich ihnen hier noch etwas zeigen darf . . .”

Schweigend und ergeben folgte sie der parfumschweren Channelpuppe durch den Laden und wich vorsichtig den Ständern mit Spitze, Seide und Samt aus, die ihr von jeder Ecke entgegen starrten. Natürlich war so wenig Stoff wie nur möglich, auf möglichst teure Weise verarbeitet worden und sie sah nun wirklich aus, als tue sie den ganzen Tag nichts anderes, als das Geld ihres Mannes für so etwas zu verschwenden . . . nun ja oder eben das Geld ihrer Affäre, wen kümmerte das schon? Sicher nicht diese katzbuckelnde Verkäufern! Beifällig lächelnd betrachtete sie rote Spitzennegligés und jede Menge weißes, blaues, schwarzes und grünes Nichts, das sich auf den Armen der Verkäufern tummelte.

“Eigentlich geht es mir viel zu gut!” dachte sie und ließ ihre Gedanken genüsslich abschweifen, während sie sich weiter über die ‘neue Frühlingscollection’ belehren ließ.

Wenn es nach ihr ginge, dann wäre jeder Mann verheiratet, hätte zwei Kinder und wäre furchtbar unglücklich. Das waren die besten Liebhaber, hatte sie in langer Erfahrung festgestellt - kein Arnold aus dem Fitnesstudio und auch kein Ricky Martin aus dem Solarium. Nein der Hermann von nebenan, das war der Richtige. Natürlich war auch die Ehefrau von großer Bedeutung. Sie musste ein wenig frustriert sein, aber nicht zu eifersüchtig und natürlich so gutgläubig, oder pragmatisch, dass sie sich darüber freuen konnte, wenn er abends gutgelaunt nach Hause kam, ohne sich darüber zu wundern. Leider gab es diese Frauen weit seltener, als die unglücklichen Männer, was die Suche sehr erschwerte. Doch das interessierte sie jetzt nicht mehr. Ihr ‘Geliebter’ würde sie nie verlassen, davon war sie fest überzeugt. Ihr Sex war einfach viel zu gut! Ein kleines, spitzes Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, als sie ihre Gedanken noch ein wenig weiter abschweifen ließ.

Er besucht sie am Samstagabend, wie gewöhnlich. Auch wenn sie mit seiner Ehefrau längst auf gutem Fuß steht, bemüht er sich doch immer noch um eine Ausrede, der kleine Schelm! Sie empfängt ihn an der Tür mit dem leidenschaftlichsten Kuss, der sich in ihrem Repertoire findet, doch sie wird ihn jetzt noch nicht ins Schlafzimmer ziehen - nein, das ginge viel zu schnell! 0815 Sex das kann er Zuhause haben! Statt dessen öffnet sie eine Flasche von dem guten Rotwein und erzählt ihm von ihrer Woche - sie fragt ihn nicht nach seiner Arbeit, das kann er auch Zuhause haben! Das Geheimnis ist, immer interessant zu bleiben, nie in Routine zu verfallen, sich nie gehen zulassen! Nach der ersten Flasche Rotwein zieht sie ihn hinaus auf ihre Terrasse, wo im Wintergarten ein riesiges Doppelbett auf sie wartet. Und wieder hat sie es geschafft ihn zu faszinieren!

Jetzt nichts übereilen! Zieh mein Kleid aus - langsamer du Dummchen! Ja sieh nur, ich habe neue Unterwäsche gekauft - rot, wie die Sünde! So jetzt bin ich nackt - jetzt bist du dran!

Sie öffnet seine Hemdknöpfe mit den Zähnen - sie hat Übung darin, es werden keine Lippenstiftflecken zurück bleiben. Schließlich stehen sie sich gegenüber, übergossen vom Mondlicht und bestaunen was ihnen zuteil werden wird. Ihre Küsse werden nur langsam fordernder, doch schließlich schlingt sie ihre weißen Beine um seine Hüften und führt in genau dorthin, wo sie ihn haben will!

Stört es dich, dass du bei mir die Kontrolle verlierst? Bist du nicht glücklich damit, besessen zu werden? Zerkratzt, benutzt, besiegt? Ich bestimme alles und du bist nur derjenige, der Anweisungen ausführt . . .Gefällt es dir nicht? Ist - es - nicht - das - was - du - willst?

Ein leiser Aufschrei markiert den Gipfel ihres Aufstiegs und für einen Moment lässt sie sich völlig gehen und fällt in die Kissen zurück. Doch dann schaut sie auf und ihre Augen glitzern unternehmungslustig. Kontrolle? Das kann er auch Zuhause haben! Auf ein neues!

Noch bevor er weiß, wie ihm geschieht, nimmt sie seinen Mund wieder in Besitz.

Nein man darf nicht davon ausgehen, das einem gleich alles gehört - jeder neue Anlauf muss eine neue Eroberung sein! Erst den Mund, dann die Hände, dann . . .

“Ähm Madame? Hallo? Ist Ihnen nicht gut?”

Wie ertappt fuhr sie zusammen, doch fing sich gleich wieder.

“Nein . . . ähm mir geht es bestens! Ich denke ich nehme das rote

Negligé, danke!”

Horror

Die Bettlerin

Christine Schuhmann

Kälte. Das ist ihr einziger Eindruck, die einzige Empfindung, die in ihr Bewusstsein vordringt. Alles andere prallt einfach von ihr ab. Oder, nein, doch nicht. Etwas anderes ist da noch... Etwas, das ihr erst fremd erscheint. Sie hat es lange nicht mehr gespürt - seit gut einem Jahrzehnt nicht mehr. Mit einem Ruck erwacht sie aus ihrem Dämmerschlaf und stützt sich mit der Hand an der Mauer ab, um sich aus ihrer Hocke zu erheben. Ihre Finger in den zerlöcherten Handschuhen sind blau gefroren, doch sie nimmt den stechenden Schmerz nicht wahr. Auch ihre Knie spürt sie nicht, als sie sie langsam streckt. Ihr schwindelt leicht, doch die Mauer gibt ihr Halt. Die Mauer und die Wahrnehmung, die sie geweckt hat.

Sie lauscht in die Nacht hinaus. Da sind Schritte im Schnee, doch obwohl sie, seit sie vor zehn Jahren ihr Augenlicht verlor, so gut hört, dass sie auf fünfzig Meter Entfernung einen Polizisten erkennen kann, einzig an der Art, wie er geht, sind nicht die Schritte der Grund ihres Erwachens. Sie, Graustar-Hanni, die in der Nacht nicht den Mond sieht, kann plötzlich die Wärme eines menschlichen Körpers sehen. So wie man an einem Sommertag durch geschlossene Lider die Sonne sehen kann.

'Wärme!', das ist alles, was sie denken kann. Wärme bedeutet Leben, und Graustar-Hanni hat nicht vor, der Welt diesen Winter schon Adieu zu sagen.

Sie weiß nicht genau, was sie vorhat, als sie sich mit taumelnden Schritten aufmacht, dem roten Glühen zu folgen, fühlt sich mehr wie eine Motte, die ohne Sinn und Verstand dem Licht hinterher flattert. Doch als sie das Glühen so weit eingeholt hat, dass sie das schwere Parfum der Frau riechen kann, ist sie sich fast sicher, was sie will.

Der Griff ihrer eiskalten Finger lässt die Frau erstarren.

'Gib mir deinen Mantel! Her mit dem Mantel! Gib ihn mir!'

Graustar-Hannis Finger formen sich zu Krallen und verhaken sich in den Taschen des edlen Cashmere-Stücks.

'Lassen Sie mich los! Hey!' beschwert sich die Frau und versucht, sich loszureißen.

Graustar-Hanni spürt, wie sich die Frau bei diesen Worten erhitzt, sieht, wie die Wärme stärker durch ihre Kleider sickert.

'Ich will deinen Mantel!' Eine gewaltige Kraftanstrengung, Knöpfe reißen ab, die Frau schreit empört, und schon hüllt sich Graustar-Hanni in kostbaren Stoff und noch kostbarere Wärme.

'Sie Diebin! Verbrecherin!' zetert die Frau und Graustar-Hanni hebt den Kopf, um sie anzuknurren 'halt's Maul, du Kuh!', doch stattdessen verbirgt sie ihr Gesicht hastig hinter einem Arm, so gleißend schlägt ihr das Glühen der Frau entgegen. So lebendig und warm...

'Ich werde die Polizei rufen, sie Kriminelle!' keift die Frau 'Ich werde sie anzeigen!' und dreht sich um, will zitternd vor Empörung und Kälte davon stapfen.

Doch sie kommt nicht weit. Mit einem Satz springt Graustar-Hanni auf den Rücken der Frau.

'Wärme ist rot, Blut ist rot, Leben ist rot und du bist tot!' flüstert sie in das beringte Ohr der Frau, bevor sie ihr die Kehle mit einem angerosteten Klappmesser öffnet und in großen, genussvollen Schlucken wohlige Wärme trinkt.

Schemenhaft beginnt Graustar-Hanni das Glühen ihrer eigenen Hände zu sehen, fühlt sich von innen heraus leuchten, während die Frau an Deutlichkeit verliert, bis sie unsichtbar geworden ist und vollkommen tot.

Satt und warm lehnt die Bettlerin kurz darauf wieder an ihrer Wand. Nein, Graustar-Hanni hat nicht vor, der Welt diesen Winter schon Adieu zu sagen. Und jetzt weiß sie auch, wie sie das anstellen wird.

Ceridwen

Manuela Sonntag

Ich war in vielen Gedanken

bevor ich feste Form fand

Ich war ein Tropfen in der Luft

Ich war ein leuchtender Stern

Ich war ein geschriebenes Wort

Ich war die Gischt des Wassers

Ich war ein Schürhaken im Feuer

Ich war ein Baum im Wald

Es gibt nichts, was ich nicht gewesen

Ich ward geschaffen

aus dem Flüstern des Windes

dem Lachen des Wassers

und dem Stöhnen des Feuers

Ich ward verzaubert vom Geist der Erde

Ich bin, Ich war, Ich werde sein

Denkanstoß

Ein kleiner Anstoß zum Weiterschreiben. Schreibt auch solche winzigen Texte auf, wenn euch eine Geschichte, eine Formulierung, vielleicht auch nur ein Wort besonders gut gefällt...man weiß nie, wann man die Inspiration bekommt einen Bestseller daraus zu machen!

Cora

Christine Schuhmann

Ich fing mir Cora ein, wie sich andere Leute eine Grippe holen.

Ich weiß wirklich nicht, was los war, denn eigentlich war sie gar nicht mein Typ, sondern viel zu wild und chaotisch.

Aber vielleicht war es auch wieder genau das, dass sie mich aus meinem Trott holte, für eine Weile. Cora war dünn und sie war klein, aber sie war unglaublich sexy, wie sie ihren wirklich fast kindlichen Körper präsentierte, so selbstbewusst und fest davon überzeugt, dass sie jeden haben konnte, den sie wollte.

Sie wollte mich.

Warum weiß ich nicht, aber ich konnte es fast riechen, als sie mich zwischen dem übergroßen gelben Sonnenhut und der übergroßen gelben Sonnenbrille ansah. Ihr Lächeln entblößte...

Fan-Fiction - Nach Motiven von Anne Rice

Der Tod tanzt langsam

Christine Schuhmann

Mich verlangte nach ihr, seit ich sie das erste mal sah. Mit jeder Faser meines unsterblichen Körpers fühlte ich mich zu ihr gezogen, und ich konnte meine Augen einfach nicht mehr von ihr nehmen. Ich sah sie, ihre schlanke Silhouette im Gegenlicht. Ich atmete sie, den warmen, vollen Duft ihrer seidenweichen Haut, den Hauch von Blut, den ihre rosigen Wangen verströmten – meine Nasenflügel zitterten in unbeschreiblichem Genuss.

Ich hörte sie, das Flüstern ihres Haares, das sich bei ihrem unerträglich langsamen Tanz kaum sichtbar bewegte; so hell und blond, ein goldener Schleier, der über ihre Schultern und ihren schön geschwungenen Rücken floss. Ich hätte Stunden und Stunden damit zubringen können, ihr einfach nur zuzusehen, wie sie sich zu dieser langsamen Musik aus der Jukebox in der Ecke der Bar bewegte.

Ich hatte sofort erkannt, dass sie alleine und sehr unsicher war; wie ihre Augen ängstlich von einem Gesicht zum nächsten eilten und nach einem Zeichen suchten, dass es besser war, die Bar wieder zu verlassen, zu fliehen. Aber die Männer am Tresen waren in ihren bierseligen Phantasien versunken, bereits zu benebelt, um mehr als ein paar Schritte geradeaus zu laufen. Also ging sie zu der Jukebox und begann zu tanzen.

Als ich neben sie trat und sie berührte, war es wie die Erfüllung eines uralten Versprechens. All meine Sinne wahren angefüllt mit ihr. Wie schwarz ihre langen Wimpern waren, wie blau ihre Augen, wie unschuldig und fragend sie in mein Gesicht schauten! Doch als ich ihren Geist durchstöberte, stellte ich fest, dass sie das Gegenteil eines Engels war.

Dieses Mädchen hatte getötet - mehr als ein Mal. Und ihre Mutter schrie, als sie das Messer in der blutüberströmten Hand ihrer Tochter sah.

Ich lächelte sie an und fragte, ob es ihr etwas ausmachen würde, mit mir zu tanzen - das wäre auf jeden Fall besser, als allein.

Sie willigte ein und ihre Mundwinkel zuckten für eine Sekunde zu