Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Im Jahr 3586 n. Chr. steht die Menschheit im Brennpunkt galaktischer Konflikte: Im heimatlichen Solsystem sind die Loower, die sogenannten Trümmerleute, mit einer großen Raumflotte aufmarschiert. Und in der weit entfernten Galaxis Tschuschik versucht Perry Rhodan mit seinen Gefährten, die Gefahr zu beseitigen, die vom uralten Sporenschiff Pan-Thau-Ra ausgeht. In der Zentrale des riesigen Raumschiffs treffen die Terraner auf den einäugigen Roboter Laire, ein kosmisches Wesen mit einer lange zurückreichenden Geschichte. Laire ist ein Werkzeug der Kosmokraten, doch seine Macht wurde vor Äonen geraubt - von jenen Trümmerleuten, deren Raumschiffe mittlerweile die Erde bedrohen. Davon wiederum kann Perry Rhodan nichts ahnen. Die Loower wollen das mysteriöse Auge zurück, das ursprünglich Laire gehörte. Doch längst hat es der machtbesessene Mutant Boyt Margor an sich gebracht. Und er setzt den Fund skrupellos für seine Zwecke ein ...
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 666
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Nr. 106
Laire
Im Jahr 3586 n. Chr. steht die Menschheit im Brennpunkt galaktischer Konflikte: Im heimatlichen Solsystem sind die Loower, die sogenannten Trümmerleute, mit einer großen Raumflotte aufmarschiert. Und in der weit entfernten Galaxis Tschuschik versucht Perry Rhodan mit seinen Gefährten, die Gefahr zu beseitigen, die vom uralten Sporenschiff PAN-THAU-RA ausgeht.
In der Zentrale des riesigen Raumschiffs treffen die Terraner auf den einäugigen Roboter Laire, ein kosmisches Wesen mit einer lange zurückreichenden Geschichte. Laire ist ein Werkzeug der Kosmokraten, doch seine Macht wurde vor Äonen geraubt – von jenen Trümmerleuten, deren Raumschiffe mittlerweile die Erde bedrohen.
Bilder aus der Vergangenheit
Laire war von so hinreißender Vollkommenheit, dass die Bezeichnung »Roboter« für ihn geradezu abwegig erschien. Mit seinem Anhänger, dem konisch geformten Tork, hielt er sich in einem Zugang der Halle verborgen und beobachtete, was sich auf der Ebene tat. Ein Gefühl maßloser Enttäuschung und schwer unterdrückbaren Widerwillens ergriff von ihm Besitz.
Das waren sie also!
Sieben unförmige Gestalten in plumpen Anzügen, die in einem kleinen Raumschiff mit hoffnungslos veralteter Technik auf der Ebene im Weltraum gelandet waren. Laire wusste, dass er früher oder später hinaustreten und die neuen Mächtigen begrüßen sollte, das gehörte einfach zur Zeremonie. Doch dafür musste er sich innerlich wappnen. Bisher waren die Mächtigen der verschiedensten Art in Energieblasen zur Ebene gekommen oder einfach auf ihr materialisiert. Keiner der Ankömmlinge hatte je einen Schutzanzug getragen, jedenfalls keine derart primitive Ausrüstung.
Was konnte die Mächte jenseits der Materiequellen dazu bewogen haben, diese Figuren zu schicken? Würden die Fremden überhaupt in der Lage sein, Sporenschiffe zu fliegen und mit ihnen Lebenskeime in bislang unbelebte Regionen des Kosmos zu transportieren?
»Wir müssen hinausgehen und sie begrüßen«, mahnte der konische Tork.
Etwas in der Stimme seines Anhängers irritierte Laire, aber er war zu sehr mit der Betrachtung der sieben Gäste beschäftigt und achtete nicht weiter darauf.
»Warte noch!«, befahl Laire. »Ich muss mich erst mit ihrem Anblick vertraut machen. Oder findest du, dass sie wenigstens entfernt jenen Mächtigen ähneln, mit denen wir bislang zu tun hatten?«
»Jede Generation von Mächtigen unterscheidet sich von der vorausgegangenen«, antwortete Tork ausweichend.
Wahrscheinlich ist er nicht in der Lage, wirklich zu differenzieren, überlegte Laire. Er musste sich mit der Situation abfinden. Kemoauc und seine Brüder durften niemals spüren, wie geringschätzig er von ihnen dachte. Die ganze Zeit über hatte Laire auf eine Unterbrechung seiner Einsamkeit gewartet, nun hätte er gerne weiter allein ausgeharrt, nur um den Besuchern nicht entgegentreten zu müssen. Es war mehr als zweifelhaft, dass ihr Denken und Handeln kein Spiegelbild ihres Auftritts sein würde.
Allerdings durfte er nicht vergessen, dass er selbst nur ein Werkzeug der Mächte jenseits der Materiequellen war. Ihm stand nicht zu, ihre Entscheidungen zu kritisieren. Wenn sie diese Geschöpfe geschickt hatten, gab es bestimmt einen Grund dafür.
Die neuen Mächtigen waren von geringem Wuchs, sie reichten Laire nur wenig höher als bis zur Körpermitte. Ihre Haut, soweit er das in ihren plumpen Anzügen sehen konnte, war lederartig grau. Ihr seltsamer Doppelkörper ging im oberen zusammengewachsenen Bereich nicht in einen Kopf über, sondern verfügte nur über einen höckerartigen Wulst.
»Nun gut«, sagte Laire zu dem konischen Tork. »Lass uns hinausgehen und sie willkommen heißen.«
Der Anhänger, der die ganze Zeit über gedrängt hatte, zögerte mit einem Mal.
»Was ist?«, erkundigte sich Laire. »Sind dir Bedenken gekommen?«
»Ich habe überlegt, ob es eine gute Idee wäre, wenn ich sie allein begrüßen würde«, antwortete Tork. »Du könntest später hinzukommen.«
»Was bedeutet das?«, fragte Laire.
»Nichts, nichts!«, beteuerte der Anhänger. »Ich wollte dir nur mehr Zeit geben, dich an sie zu gewöhnen.«
Laire sah den konischen Roboter nachdenklich an. »Es ist sicher absurd, aber je länger ich dich mit meinem rechten Auge betrachte, desto wahrscheinlicher kommt es mir vor, dass du aus einem mir unbekannten Grund ein schlechtes Gewissen hast.«
»Ich habe überhaupt kein Gewissen!«, sagte Tork lakonisch.
»Das weiß ich. Trotzdem ist dein Verhalten merkwürdig, als würdest du mir etwas verheimlichen.«
»Ich bin dein Anhänger!«, rief der konische Tork entsetzt.
»Weißt du mehr über die Wesen als ich selbst?«
Der konische Tork schwankte.
»Sobald ich die Mächtigen begrüßt habe, werden wir uns darüber unterhalten«, kündigte Laire streng an. »Mit dir ist etwas nicht in Ordnung. Vermutlich nur eine kleine Störung, aber ich werde mich dieser Sache annehmen.«
»Ja, Laire«, hauchte Tork.
Der Roboter verließ den Zugang zur Halle, die für die Zusammenkunft der Mächtigen zur Ebene hinaufgefahren war, und trat ins Freie hinaus. Der konische Tork hielt sich dicht hinter ihm. Die sieben Mächtigen sahen beide sofort und blieben stehen.
»Das müssen Barbaren sein!«, stieß Laire in ohnmächtiger Wut hervor.
»Was willst du tun?«, erkundigte sich sein Anhänger besorgt.
»Ich werde sie begrüßen und ihnen zu Diensten sein«, antwortete Laire. »Aber ich werde zugleich für jede Sekunde danken, in der ich mich nicht in ihrer Nähe aufhalten muss.«
Vier Tage vorher:
Laires Rückkehr von den Bereichen jenseits der Materiequellen zur Ebene verlief mit einer gewissen Hast, denn er wollte auf keinen Fall die Ankunft der neuen Mächtigen versäumen. Die Eile, in der Laire vorging, bescherte ihm einige Probleme. Vor allem die Umstellung vom linken Auge auf das rechte bereitete bei dieser Geschwindigkeit Schwierigkeiten. Jenseits der Materiequellen benötigte er sein linkes Auge, um sich orientieren zu können. Ohne dieses komplizierte künstliche Sinnesorgan wäre es ihm außerdem unmöglich gewesen, die Materiequelle zu passieren, weder nach der einen, noch nach der anderen Richtung. Im Normalraum bediente er sich seines rechten Auges.
Das Verhalten im Normalraum war unkomplizierter als das im Bereich jenseits der Materiequellen, aber es dauerte einige Zeit, bis die Funktionen des linken Auges erloschen. Da Laire diesmal die notwendige Zeitspanne nicht eingehalten hatte, überlappten sich die von beiden Augen eingehenden Daten.
Die Folge war, dass er nach seiner Ankunft auf der Ebene alles verzerrt wahrnahm und unter postoptischen Effekten aus dem jenseitigen Bereich litt. Laire blieb einfach stehen und wartete, dass diese lästigen Begleiterscheinungen abklangen.
Er hörte, dass sich etwas näherte, und wandte sich, immer noch halb blind, in die Richtung, aus der die Geräusche kamen.
»Sei gegrüßt, Laire!«, rief eine ihm wohlbekannte Stimme, und er sah die Konturen eines metallischen Gebildes auf sich zuschweben. »Ich bin froh, dass du zurückgekehrt bist.«
Laire rührte sich noch immer nicht, denn er wollte vermeiden, dass der konische Tork erkannte, was mit ihm los war. Dabei war es absurd, dass er sich wegen seines Anhängers Gedanken machte: Tork war wahrscheinlich nicht in der Lage, Veränderungen in Laires Verhalten wahrzunehmen. Die Einstellung des Roboters zu dem konischen Tork war zwiespältig. Sosehr er ihn als brauchbaren Diener schätzte, so sehr waren ihm die unkomplizierten Denkvorgänge seines Anhängers verhasst.
Der konische Tork war etwa einen Meter hoch und hatte Trichterform. Er bestand aus dem gleichen dunkelbraunen Metall wie Laire, war aber ungleich schwerfälliger und verfügte nicht über einen Bruchteil von dessen hochwertigen Anlagen. Tork wäre nie fähig gewesen, die Ebene zu verlassen.
Laire registrierte zufrieden, dass sein linkes Auge allmählich zur Ruhe kam.
»Hat sich etwas ereignet?«, fragte er routinemäßig, und er hörte auch kaum hin, was Tork darauf antwortete.
»Ich bringe Neuigkeiten mit«, sagte er dann zu seinem Anhänger. »Die Mächtigen, die zuletzt den Ruf erhalten haben, sind nicht mehr einsatzfähig. Eine Gruppe von sieben Neulingen wird an ihre Stelle treten. Ihre Namen sind Kemoauc, Ganerc, Partoc, Murcon, Lorvorc, Bardioc und Ariolc. Sie werden in Kosmischen Burgen wohnen, von denen aus sie vor jedem neuen Auftrag zur Ebene kommen werden.«
»Das bringt Abwechslung in unser Dasein.« Der konische Tork freute sich.
»Ja«, stimmte Laire zu, obwohl er genau wusste, dass sein Anhänger nur das nachplapperte, was er von ihm aufschnappte. Doch sein Groll gegen den kleinen Roboter war nicht allzu groß. Immerhin unterhielt ihn Tork in Zeiten der Einsamkeit.
»Hast du erfahren, warum die alten Mächtigen abgelöst wurden?«, erkundigte sich Tork.
Laire verneinte. Er hatte sich ausführlich mit dieser Frage beschäftigt, aber keine Antwort darauf gefunden. Auch jenseits der Materiequellen hatte er keine Erklärungen erhalten. Für ihn genügte es, zu wissen, dass neue Mächtige kamen, Sporenschiffe durch das Weltall steuern und befähigte Völker zum Bau von Schwärmen animieren würden. Das war der sich wiederholende Ablauf, dessen tieferer Sinn Laire verborgen blieb.
Endlich hatte er sich auf die Bedingungen des Normalraums eingestellt, sein rechtes Auge wurde nicht mehr durch die linke Komponente gestört. Sofort erkannte er, dass mit dem konischen Tork etwas nicht in Ordnung war. Der Anhänger machte einen veränderten Eindruck, als wäre er beschmutzt worden. Laire sann über seine Feststellung nach. Er musste in dieser Beziehung vorsichtig sein, denn er litt ab und zu unter relativistischen Symptomen. Soweit ihm bekannt war, stellte er auf robotischem Gebiet in dieser Beziehung etwas Einzigartiges dar. Was er an Tork zu bemängeln hatte, war nicht konkret.
Er wiederholte seine Anfangsfrage: »Hat sich etwas ereignet?«
»Nein«, antwortete der Konische wie zuvor. Falls er irritiert war, dass Laire nachhakte, zeigte er es jedenfalls nicht.
»Es hat den Anschein, dass du von etwas berührt worden bist!«, sagte Laire nachdenklich.
Sie bewegten sich nebeneinander über die Ebene, die stumpfen Außenhüllen ihrer Körper schienen das Licht der wirbelnden Sonnenmassen in sich aufzusaugen. Laire schritt leicht und lässig dahin, während Tork an seiner Seite schwebte.
»Berührt?«, echote der Anhänger.
»Vergiss es!«, sagte Laire.
Auf Dauer war der konische Tork ein langweiliger Unterhalter. Vielleicht würde Laire, wenn er zum nächsten Mal durch die Materiequelle ging, auf der anderen Seite darum bitten, dass ihm ein anspruchsvollerer Partner zur Verfügung gestellt würde.
Er konnte nicht ahnen, dass er soeben von seinem letzten Besuch zurückgekommen war. Denn während Laire auf die Ankunft der neuen Mächtigen wartete, näherte sich ihm das Unheil bereits.
Der Hyperraum spie die GOLSERZUR an einer Stelle des Weltraums aus, an der die Sonnen wie ein dichter Vorhang standen. Sofort zerrten ihre heftigen Gravitationsströme an dem kegelförmigen Raumschiff der Loower.
»Alle Triebwerke abschalten! Die verfügbare Energie in die Schutzschirme!«
Kommandant Kumor Ranz entwickelte die kühle Sachlichkeit einer Maschine. Keiner seiner Besatzung konnte sich vorstellen, dass er jemals die Übersicht verlieren oder gar einen Gefühlsausbruch erleiden würde. Kumor Ranz zeigte nicht einmal Betroffenheit, als ihm gemeldet wurde, dass die meisten Triebwerke ausgebrannt waren. Niemand hatte erwarten können, dass die GOLSERZUR die hinter ihr liegende Serie von Großtransitionen unbeschadet überstand. Und der Flug zurück würde noch schlimmer werden, ein Kampf um Leben und Tod.
»Glaubst du, dass wir hier richtig sind?«, fragte der Stellvertretende Kommandant, Nisor Kuhn.
In Ranz' Gesicht, einer starren Maske aus Erfahrung und äußerster Beherrschung, wetterleuchtete es. »Die Koordinaten wurden von den Robotsonden und den Scouts mit äußerster Sorgfalt zusammengetragen«, erwiderte er. »Kein Zweifel – es ist hier!«
Mit beiden Stielaugen, die er aus den Höckerspitzen ausfuhr, starrte Kumor Ranz auf die wirbelnden Sonnenmassen. Er fror. Seine Sprechblase blähte sich zuckend auf, aber er schwieg. Er dachte an die Scouts, die unter Einsatz ihres Lebens die Informationen weitergeleitet hatten. Keiner von ihnen war je zurückgekehrt. Sobald ihre winzigen Schiffe alle Speicherenergie verbraucht hatten, waren sie in die Sonnen gestürzt – mikroskopisch kleine Ascheflocken in unerträglicher Einsamkeit.
In Selbstaufopferung hatten die Scouts alle nötigen Daten zusammengetragen. Trotzdem hätten sie wahrscheinlich versagt, hätte ihnen nicht in der Gestalt des konischen Torks ein unschätzbarer Helfer zur Seite gestanden. Ob Tork seinen Besitzer aus Naivität oder Wichtigtuerei heraus verraten hatte, war schwer abzuschätzen, doch letztlich bedeutungslos.
»Ich kann die Ebene nicht sehen«, sagte Vruder Tink, einer der Ortungsspezialisten.
»Wir sind noch zu weit davon entfernt«, gab Ranz zurück.
Nur sieben Besatzungsmitglieder der GOLSERZUR würden die Ebene betreten – und der Kommandant war einer der sieben. Er, der Waffenschmied Brozon Halv und die fünf Loower Moden Sulk, Vahrden Ol, Kinert Gahn, Sylo Folg sowie Maner Huhm. Eigentlich war es Wahnsinn, dass der Kommandant mit zur Ebene gehen sollte, denn wer außer ihm konnte die GOLSERZUR zurückbringen. Aber Ranz besaß viele überragende Fähigkeiten.
Vielleicht finden wir alle sieben den Tod! Mit einer unwilligen Bewegung wischte er diesen Gedanken beiseite.
Eine zweite Chance, das wusste er, würden sie nicht bekommen. Wenn sie den Roboter überlisten wollten, musste dies beim ersten Versuch geschehen.
Kumor Ranz war stolz darauf, dass sein Volk einen Sternenschwarm erbaut hatte. Durch intensive Nachforschungen hatten die Loower jedoch herausgefunden, dass fast alle Völker, die von den geheimnisvollen Mächten zum Bau eines Schwarms veranlasst worden waren, früher oder später degenerierten und in Bedeutungslosigkeit versanken. Die Loower ahnten, dass sie der Zufall vor dieser Entwicklung gerettet hatte. Doch eines Tages musste den Mächten von jenseits der Materiequellen bekannt werden, dass die Loower eine blühende Zivilisation entwickelt hatten. Dann war damit zu rechnen, dass sie der ausgebliebenen rückläufigen Entwicklung nachhelfen würden. Um sich davor zu schützen, hatten die Loower entschieden, den Unbekannten zuvorzukommen. Sie mussten eine Materiequelle durchdringen, um einen Präventivschlag in jenem Bereich zu führen, der als Ursprung der geheimnisvollen Mächte galt. Bisher waren alle Versuche der Loower, eine Materiequelle zu finden und zu durchdringen, kläglich gescheitert. Sie besaßen nicht den »passenden Schlüssel«, hatte Ranz treffend gesagt.
Nun waren sie in diesen Raumsektor gekommen, zu der Ebene mit der sie umgebenden Sonnenfülle, um sich den Schlüssel zu beschaffen.
Der Kommandant blickte auf. Nur einer der Schirme zeigte ihm die Ebene, jenes schon aufgrund seiner Position erstaunliche Objekt. Sie war in der Wiedergabe nicht mehr als ein leuchtender Balken, eine flackernde Linie, die sich nur zögernd stabilisierte und der man ihre Bedeutung nicht ansah. Trotzdem war der Hauch einer schicksalsträchtigen Einrichtung wahrzunehmen, der Pulsschlag unaussprechlicher Fremdartigkeit.
»Da ist sie! Der Treffpunkt der Mächtigen!«
Kumor Ranz wusste, dass jene Mächtigen, die sein Volk zum Bau des Schwarms veranlasst hatten, nicht mehr existierten. Sie waren von den Unbekannten jenseits der Materiequellen abgezogen worden, ohne dass Hinweise auf ihr Schicksal existierten. In extrem großen zeitlichen Abständen, die der Kommandant kaum zu erfassen vermochte, wurden die Mächtigen immer wieder gegen neue Gruppen ausgetauscht. Vermutlich geschah das, weil sie nach mehreren Aufträgen innerlich zusammenbrachen.
Die Ankunft neuer Mächtiger stand bevor, das hatten die Scouts von dem konischen Tork erfahren. Sieben Mächtige sollten in absehbarer Zeit auf der Ebene erscheinen. Sie würden die Aufgaben ihrer Vorgänger übernehmen: mit gigantischen Sporenschiffen Lebenskeime in den verlassensten Bereichen des Universums ausstreuen und Schwärme bauen lassen, die das aufblühende Leben mit Intelligenz erfüllten.
Die Ebene erschien inzwischen ein wenig größer. Sie lag unter den wirbelnden Sonnenmassen wie ein abgeräumtes Tablett, eine funkelnde Fläche überwältigender Leere und Einsamkeit.
»Macht das Beiboot startbereit!«, befahl der Kommandant. »Wir brechen in einer Stunde auf.«
Er übergab seinen Platz an den Kontrollen an Nisor Kuhn, der ebenfalls ein Mann mit überragenden Fähigkeiten war. »Falls ich nicht zurückkomme, wirst du die GOLSERZUR auf Heimatkurs bringen«, sagte Ranz und beorderte im nächsten Atemzug alle Ausgewählten in den Hangar.
»Hast du Angst?«, hörte er Vahrden Ol den Waffenschmied fragen.
Brozon Halv blickte starr vor sich hin. »Panische Angst«, gab er zu und zog die verkümmerten Flughäute schützend an seinen nierenförmigen Doppelkörper. Die Geste war eindeutig. Wäre es ihm möglich gewesen, er wäre auf der Stelle umgekehrt.
Ol nickte zögernd. »Eigentlich ist es bedauerlich, dass wir sieben nicht mehr voneinander wissen. Wir haben uns nicht einmal während des Flugs richtig kennengelernt.«
»Dafür war keine Zeit«, erwiderte der Waffenschmied. »Die Ausbildung war zu intensiv und gedrängt.«
»Ich stamme von Loowern ab, die den Schwarm auf der ersten Etappe begleiteten«, sagte Ol verträumt. »Später gaben meine Vorfahren ihre Stellung an jene Wesen weiter, die von den Mächtigen als Wächter des Schwarms ausgewählt worden waren.«
»Wie viel Schwärme mag es geben?«
»Niemand weiß das. Aber es sieht so aus, als sollten die Sporenschiffe bald wieder aufbrechen. Dann wird ein neuer Schwarm geschaffen werden.«
Der Kommandant wollte sich schon an den beiden Schwätzern vorbeischieben, da hörte er Halv fragen: »Wer wirst du sein?«
»Lorvorc«, antwortete Ol. »Und du?«
»Ich werde Bardioc sein.«
»Ob der Roboter darauf hereinfällt?«
»Ich weiß nicht. Wenn wir den Informationen trauen können, kennt der Roboter nur die Namen die sieben Mächtigen, die bald auf der Ebene ankommen werden. Er hat sie nie zuvor gesehen. Das ist unsere Chance.«
Sie schwangen sich in den Antigravschacht und glitten mit ausgebreiteten Häuten zum Hangar hinab. Durch das offene Schott konnte Kumor Ranz das Beiboot sehen, eine kompakte Masse aus blauem Stahl. Die Panzerungen waren so dick, dass ihre Wülste wie Fettlappen über die offene Luke reichten.
Die Techniker schleppten die Ausrüstung heran und stapelten sie vor dem Beiboot auf. Von der anderen Seite des Hangars näherten sich zwei Loower. Es waren Moden Sulk und Kinert Gahn, erkannte der Kommandant. Sie würden Ariolc und Partoc sein.
Ranz nahm sein Ausrüstungsbündel und schleifte es auf das Schott des Beiboots zu. Das gepanzerte Kleinstraumschiff schien mit seiner Anwesenheit etwas von seinem bedrohlichen Aussehen zu verlieren.
Ranz wartete, bis alle ihre Plätze eingenommen hatten. »Eines müsst ihr euch merken«, sagte er. »Wir werden mit dem Schlüssel unsere Heimat wiedersehen – oder überhaupt nicht.«
Sie hockten eng nebeneinander in den kabinenähnlichen Wandnischen der Beibootzentrale. Nur Kumor Ranz als Pilot hatte einen gewissen Freiraum und konnte sich nach allen Richtungen bewegen.
Auf dem Panoramaschirm sah er die allmählich größer werdende Ebene. Dieses Objekt, das ihm von Bord der GOLSERZUR aus noch winzig erschienen war, entpuppte sich als Gebilde von so gewaltigen Ausmaßen, dass eine Flotte loowerischer Raumschiffe darauf hätte landen können. Unwillkürlich dachte er daran, wie viel Robotsonden die Loower hierher entsandt hatten. Einige tausend, erinnerte er sich, und nur ein paar Dutzend waren zurückgekommen, ausgeglüht, mit zernarbter Oberfläche und Schlackebrocken ähnlicher als flugfähigen Objekten.
Das Beiboot wurde von den ungeheuren Gravitationskräften der Sonnen durchgeschüttelt. Nur einen flüchtigen Gedanken verschwendete der Kommandant an die Frage, ob die Konstrukteure des Spezialschiffs in der Lage gewesen waren, alle besonderen Bedingungen dieses Raumsektors zu berücksichtigen. Davon hing schließlich ab, ob sie ihr Ziel erreichten.
Aber dann würden die Probleme erst beginnen. Ob der Roboter sich so leicht überrumpeln lassen würde, wie Ranz sich das vorstellte?
Laire war ein monoider Denker, das wussten die Loower. Eigentlich seltsam, dass ein Roboter, der über zwei so gegensätzliche Instrumente wie seine beiden Augen verfügte, als Monoid-Denker erbaut worden war. Das ließ nur den Schluss zu, dass Laires Konstrukteure ebenfalls Monoid-Denker gewesen sein mussten.
Zum ersten Mal spürte Kumor Ranz Übelkeit in sich aufsteigen. Der Flug im Beiboot erwies sich als reine Folter. Das kleine Schiff war so konstruiert worden, dass es die Durchquerung dieses Raumsektors überstand, ohne zerquetscht zu werden. Nur hätten die Konstrukteure daran denken sollen, dass es dazu diente, Loower zu transportieren.
Auf der Ebene herrschte normale Gravitation. Das war auch die einzige Chance der sieben Loower, denn Ranz konnte sich keinen Schutzanzug vorstellen, der den Gewalten standhalten würde, denen das Beiboot jetzt ausgesetzt war. Er wollte gar nicht daran denken, unter welchen Bedingungen die Scouts gearbeitet hatten. Es war ein Wunder, dass sie überhaupt einige Berichte durchgebracht hatten.
Die Ebene erschien ihm so glatt und poliert wie ein Spiegel. Weit und breit war nichts von Laire oder dem konischen Tork zu sehen, aber das war angesichts der gewaltigen Ausdehnung der glatten Fläche im Nichts nicht erstaunlich. Trotzdem ahnte Kumor Ranz die Gefahr.
Was, wenn Laire wusste, wie die wirklichen sieben Mächtigen aussahen und auf welche Weise sie auf der Ebene ankommen würden?
Die Antwort war einfach. Der Roboter würde die Annäherung des gepanzerten Kleinstraumschiffs als Angriff betrachten und die sieben Loower aus dem Raum pusten. In der fernen Heimat würde das Volk ihrer gedenken, eine Zeit lang jedenfalls, und dann mit der Vorbereitung einer zweiten Expedition beginnen. Denn der Gedanke, dass sie dem unbekannten Gegner zuvorkommen mussten, ließ die Loower nicht mehr los. Ihr Denken und Handeln wurde davon bestimmt.
Es ist wie ein Trauma, dachte Ranz.
Dabei war nie bewiesen worden, dass die Mächte von jenseits der Materiequellen gegen sein Volk vorgehen würden. Die Loower nahmen lediglich an, dass die Unbekannten es nicht gern sahen, wenn eine Zivilisation, die zu viel wusste, weiter aufblühte. Aus dieser Annahme war allmählich eine Gewissheit geworden, nach der die Loower ihre Handlungen ausrichteten.
Vielleicht, überlegte Ranz, war alles nur ein gigantisches Missverständnis oder die Reaktion mit einem Minderwertigkeitskomplex behafteter maßgeblicher Personen. Früher hatte er nie so intensiv darüber nachgedacht, vor allem hatte er die Dinge nicht auf diese Weise betrachtet. Aber hier, in dieser Enge eingesperrt und gequält von den Schockfronten des Sonnendschungels, erschien ihm alles in einem anderen Licht.
»Sobald ich mit dem Landemanöver beginne, sollten die unerträglichen Begleiterscheinungen eigentlich aufhören«, sagte Ranz. »Jetzt!«
Das kleine Schiff, das die ganze Zeit über mehr durch den Raum gestampft und geschlingert als geflogen war, sackte jäh ab und segelte wie ein Papiervogel zur Ebene hinab. Einige der sieben falschen Mächtigen wurden in ihrer Nische hochgewirbelt und prallten gegen die Decke. Sekundenbruchteile später kam die Gegenreaktion. Schmerzensschreie erklangen.
»Alles in Ordnung?«, fragte der Kommandant. Er schaute sich um. Er selbst war im Spezialabsorber des Pilotensitzes in Sicherheit gewesen, seine Gefährten hingen jedoch schlaff in ihren Nischen.
»Macht euch fertig zum Aussteigen und vergesst vor allem nicht, wer ihr ab sofort seid! Tretet selbstbewusst auf! Keinesfalls darf der Eindruck entstehen, dass wir Schwierigkeiten haben oder unsicher sind.«
Der Waffenschmied stülpte sich den Helm über. »Was ist, wenn bisher alle Mächtigen ohne Schutzanzüge gekommen sind?«, fragte er mühsam.
»Wir sind die neuen Mächtigen! Wir kommen so und nicht anders«, erwiderte Ranz. »Laire darf keine Möglichkeit erhalten, über das Beiboot und die Schutzanzüge nachzudenken, das wäre gleichbedeutend mit unserem Ende. In dem Fall müssen wir ihn sofort überwältigen.«
Das Beiboot setzte sanft auf wie ein fallendes Blatt. Die Antriebsaggregate verstummten. Augenblicke später glitt die Schleuse auf und versank mit einem schmatzenden Geräusch in der Arretierung. Sollte es auf der Ebene eine Atmosphäre geben oder hatte ihm sein Unterbewusstsein die Geräusche des aufgleitenden Tores nur suggeriert? Kumor Ranz wusste es nicht. In den Berichten der Scouts war nie von einer Lufthülle die Rede gewesen.
Von seinem Standort aus konnte er nur einen schmalen Ausschnitt der Ebene sehen – ein glattes und im Sonnenlicht glänzendes Stück Metall.
Umständlich kletterte Maner Huhm als Erster aus dem Beiboot. Er wirkte nicht sehr überzeugend in seiner Rolle als Mächtiger Ganerc. Die anderen folgten ihm. Die Ebene breitete sich vor ihnen aus wie ein erstarrter Ozean aus Stahl, aber weit im Hintergrund glaubte der Kommandant schadhafte Stellen zu erkennen. Das waren keine Spuren von Kämpfen, sondern Anzeichen des einsetzenden Zerfalls. Daraus konnte er ableiten, dass diese Ebene schon unermesslich lange bestand. Kumor Ranz betrat die Ebene zuletzt, jeder Zoll ein wirklicher Mächtiger.
»Der Lieblingsplatz des Roboters ist der Sockel der Unberührbarkeit«, sagte er über Helmfunk. »Wir müssen diese Stelle finden.«
Kinert Gahn zitterte. »Es geht nicht«, jammerte der falsche Partoc. »Wir beherrschen nicht einmal diese Sprache perfekt.«
Der Kommandant packte zu und zerrte Gahn gewaltsam mit sich. »Wir sind Mächtige, die in einem Beiboot kommen und Schutzanzüge tragen«, sagte er gelassen. »Und wir beherrschen diese Sprache nicht vollkommen. Wo ist das Problem?«
Er hielt Gahn eisern fest. »Der Roboter wartet auf sieben Mächtige, Partoc«, erinnerte er. »Vielleicht denkst du auch daran, dass du für uns alle mitverantwortlich bist.«
»Das ist mir egal.« Gahn stöhnte. »Wir werden ohnehin umkommen.«
Ranz machte eine herrische Tentakelbewegung. »Tretet zur Seite!«, befahl er den anderen. »Ich werde ihn erschießen.«
Gahns Sinnesorgane bewegten sich in äußerstem Entsetzen, er wich zurück. »Das wirst du nicht tun ...«, jammerte er.
»Wirklich nicht? Ich werde es tun!« Ranz zog seine Waffe, und das half. Kinert Gahn taumelte breitbeinig davon.
»Gib dir Mühe!«, rief Ranz. »Jeder Schritt muss kontrolliert wirken!«
Was für ein läppischer Auftritt!,
Natürlich hatten die Scouts versucht, in ihren Beschreibungen dem Aussehen Laires gerecht zu werden, aber keiner der von ihnen benutzten Begriffe entsprach nur annähernd der Wirklichkeit.
Der Waffenschmied Brozon Halv konnte nicht anders, als den Wächter der Ebene unentwegt anzustarren.
Laire war zweieinhalb Meter hoch und von ästhetischer Schlankheit. Die Ausgewogenheit seiner Konstruktion kam auf den ersten Blick vor allem im Verhältnis zwischen Körpergröße, Durchmesser des Rumpfes und in der Länge von Armen und Beinen zum Ausdruck. Laire hatte je zwei Arme und Beine. Er schien aus einem Stück erschaffen worden zu sein, wirkte aber so unglaublich beweglich und elastisch, dass Halv sich prompt fragte, aus welchem Material er bestehen mochte. Diese Frage war natürlich absurd, denn der Roboter bestand zweifellos aus Stahl. Allerdings musste es sich um eine Speziallegierung mit besonderer Geschmeidigkeit handeln. Am gesamten Körper des Roboters waren keine Gelenke zu erkennen. Wenn Laire sich bewegte, entstanden an den benutzten Körperteilen Falten in der offensichtlich selbsttragenden Hülle. Diese Hülle hatte auf der Außenfläche eine dunkelbraune Farbe, die kein Licht reflektierte und daher stumpf wirkte. Laire war äußerlich völlig glatt und fugenlos. Er besaß sechsfingrige, sensitiv wirkende Hände.
Der Blick des Waffenmeisters blieb am Kopf des Roboters haften, der die Form einer kurzen, dicken Birne aufwies. Vom halbrunden Kinn ausgehend, erstreckte sich die Schädelhülle ausladend nach oben und endete in einer schwach gekrümmten Schädeldecke. Es gab schlitzförmige Andeutungen von Mund-, Nasen- und Ohrenöffnungen, doch am faszinierendsten in diesem Robotergesicht waren die beiden Augen. Wie glitzernde Riesendiamanten traten sie aus ihren Höhlen hervor.
Halv erschauerte, als er sich entsann, dass diese Augen besondere Instrumente waren. Das linke gestattete seinem Besitzer, das Normaluniversum zu verlassen und durch eine Materiequelle zu gehen. Dieses Auge war der Schlüssel. Seinetwegen waren die sieben Loower auf die Ebene gekommen.
Obwohl ihm das Unternehmen bisher schon unsinnig und unwirklich erschienen war, empfand Brozon Halv das in diesem Moment besonders intensiv. Er wusste nicht, was ihn steif verharren ließ. Dabei drängte alles in ihm nach schneller Flucht.
»Willkommen, ihr Mächtigen!« Laires Stimme klang angenehm. »Ich habe euch erwartet und bin bereit, euch über die Ebene in die Halle zu führen. Eure Ankunft hat mich verwirrt – vielleicht deshalb, weil ihr alle zusammen in einem Raumschiff eingetroffen seid.«
Täuschte sich Halv, oder schwang in der Stimme Ablehnung mit? Der Waffenschmied nahm irritiert zur Kenntnis, dass er die Sprache des Roboters gut verstehen konnte. Doch sie zu verstehen und sie zu sprechen waren zwei verschiedene Dinge. Die eigentliche Prüfung stand also noch bevor.
»Wir haben nicht viel Zeit«, antwortete Kommandant Ranz etwas holprig, aber nichtsdestoweniger kaltblütig. »Ich bin Kemoauc, und das sind meine Brüder Ariolc, Ganerc, Bardioc, Partoc, Lorvorc und Murcon.« Bei jedem Namen deutete er auf den entsprechenden Loower.
»Ich führe euch sofort zur Halle«, verkündete Laire und drehte sich in einer eleganten Bewegung um.
Das Ding neben ihm muss der konische Tork sein!, schoss es Halv durch den Kopf. Er hatte dem kleinen Roboter, dem sie so viel verdankten, bisher keine Beachtung geschenkt, so sehr war er von Laires Anblick in Bann geschlagen worden.
»Jetzt!«, sagte Ranz in loowerischer Sprache.
Das verabredete Signal kam für Halv und die anderen unerwartet, und der erste Türmer mochte wissen, was Ranz dazu bewogen hatte, sofort anzugreifen. Vielleicht fürchtete der Kommandant, dass sie ihr unwürdiges Schauspiel nicht länger durchhalten konnten, vielleicht gefiel ihm Gahns Haltung nicht, oder er folgte nur seiner inneren Eingebung, die sich in vielen Einsätzen bewährt hatte.
Beim ersten Türmer!, dachte Brozon Halv benommen. Nun geschieht es wirklich! Er zog seine Waffe, genau wie die anderen.
Laire war beim Klang des fremden Satzes herumgefahren, seine Haltung drückte überdeutlich aus, dass er sofort verstand, was um ihn herum geschah. Diese unglaubliche Reaktion schockierte den Waffenschmied so sehr, dass er innerlich beinahe erstarrte, ohne jedoch in der begonnenen Bewegung innezuhalten.
Laire war schnell, viel schneller, als die Loower in ihren düstersten Befürchtungen jemals vermutet hatten. Aus seiner Brust zuckte ein Blitz, traf Ol und Huhm und hüllte beide ein. Sie verwandelten sich in leuchtende Ballons, torkelten zurück und zerplatzten in unregelmäßig geformte Schwärme winziger Bläschen, die davonstoben.
Laire kam schnell auf die Loower zu, noch bevor Halv den Tentakelarm mit der Waffe ganz erhoben hatte. Die Geschwindigkeit des Roboters besaß etwas von einer Wildheit, die nicht zu einem mechanischen Geschöpf passte. Laire traf Gahn mit einem Arm und riss den Anzug des Loowers über die gesamte Länge hinweg auf.
»Schießt doch!«, schrie Ranz mit sich überschlagender Stimme.
Den Kommandanten in Not zu sehen erfüllte Halv mit Kummer. Er schluchzte, als neben ihm Sulk regelrecht auseinanderbrach. Wieder blitzte es auf, und diesmal wurde Folg getroffen und erlitt dasselbe Schicksal wie vor ihm Ol und Huhm.
Der Waffenschmied nahm die sich überstürzenden Vorgänge nur mehr unbewusst in sich auf. Er hörte das Zischen von Ranz' Waffe und sah Laire eine seltsame Drehung vollführen. Der Roboter hing sekundenlang scheinbar schwerelos in der Luft, den elastischen Körper wie zum Schutz verkrümmt, dann landete er wieder auf der Ebene.
Brozon Halv feuerte seine Waffe ab. Laire ging zu Boden, ein schrecklicher und grandioser Anblick zugleich. Halv taumelte auf ihn zu, wollte erneut schießen, stolperte aber über den am Boden liegenden Sulk und kam selbst zu Fall. Er schrie, ohne aufzuhören, richtete sich wieder auf und hätte wahrscheinlich das volle Magazin der Waffe in den stählernen Körper entleert, wäre Ranz ihm nicht in die Arme gefallen.
»Bist du wahnsinnig?«, keuchte der Kommandant. »Willst du ihn zerstören?«
Halv rang nach Atem. Etwas drohte von innen heraus seine Brust zu sprengen, er befand sich in einem unbeschreiblichen Zustand zwischen tiefer Trauer und nie gekannter Aggressivität.
Ranz schlug ihn ins Gesicht. »Halv!«, schrie der Kommandant. »Halv, komm zu dir! Es ist vorbei!«
In dem Moment drängte sich der konische Tork zwischen sie. »Es war ausgemacht, dass ihr ihn nicht umbringen würdet!«, kreischte die kleine Gestalt. »Es war ausgemacht! Ihr habt das Versprechen, das eure Scouts mir gegeben haben, nicht gehalten!«
Ranz stand schwer atmend da, er hatte etwas von seiner überlegenen Haltung verloren. »Sei still!«, herrschte er Tork an. »Laire ist nichts geschehen, die Energie hat ihn lediglich bewegungsunfähig gemacht. Das wird vorbeigehen.«
Tork glitt auf den am Boden liegenden Roboter zu. »Ihr habt ihn vernichtet!«, heulte er.
Ranz schoss. Er hatte seine Waffe auf volle Leistung gestellt. Der konische Tork zerbarst, und seine Überreste ergossen sich in einem Regen glühender Teilchen auf Laire, die toten Loower und auf die Ebene.
»Nun bist du an der Reihe, Brozon Halv!«, sagte der Kommandant nach einer Weile. »Wir müssen den Schlüssel mitnehmen. Sprenge dem Roboter das Auge aus dem Kopf! Mach schnell!«
Halv starrte seinen Befehlshaber an, dann schaute er auf den am Boden kauernden Laire. »Ich ... ich kann es nicht!«, brachte der Waffenschmied stockend hervor.
Er dachte, Ranz würde den Verstand verlieren. Der Kommandant brüllte, aber er brachte kein verständliches Wort hervor. Schließlich zielte er mit der Waffe auf Halv.
»Du weißt, was wir auf uns genommen haben, um hierherzukommen!«, schrie er außer sich vor Zorn. »Erinnerst du dich, wie viel Loower ihr Leben gelassen haben, damit unser Volk den Schlüssel bekommt?« Ranz deutete auf die Toten. »Und das hier? Bedeutet dir das nichts?«
Wenn ich nur tot wäre!, schoss es Halv durch den Kopf, von Ekel und Abscheu über ihr Tun überwältigt. Tot oder an irgendeinem anderen Ort in diesem Universum. Doch er stand hier auf der Ebene, zwischen den Opfern des wahnwitzigen Unternehmens, und musste zu Ende bringen, was sie begonnen hatten.
Der Waffenschmied öffnete sein Ausrüstungspaket und nahm die Utensilien heraus, die er für seine schreckliche Arbeit benötigte. Mit zitternden Tentakelenden legte er einen Sprengkranz um das linke Auge des Roboters. Laire bewegte sich schwerfällig, aber das waren keine gewollten oder gar gesteuerten Aktionen.
»Beeil dich!«, drängte Ranz. »Er kann sich jeden Moment erholen.«
»Wenn ich nicht aufpasse, zerstöre ich das Auge. Dann ist keinem von uns geholfen.«
Für Halv gab es nur ein Problem: Er musste das Auge unversehrt herausholen. Das bedeutete, dass die Sprengwirkung sich nur auf die Hülle des Robotkörpers ausdehnen durfte. Obwohl er diesen Vorgang in unzähligen Experimenten geübt hatte, wusste Halv nicht, ob er Erfolg haben würde. Es war ein Unterschied, ob man an Puppen arbeitete oder an diesem Roboter selbst. Halv wusste nicht genau, wie das Auge befestigt war. Falls es Querverstrebungen zum rechten Auge und in die seitlichen Kopfpartien gab, würde der Versuch wohl zwangsläufig scheitern.
Die Sprengung musste in Sekundenbruchteilen ungeheure Hitzegrade erzeugen. Der Waffenschmied ging davon aus, dass er das Auge danach mit einem kleinen Feldprojektor aus der Höhle ziehen konnte.
»Tritt zurück!«, forderte er den Kommandanten auf. »Es ist möglich, dass Laire eine Selbstvernichtungsanlage besitzt, von der wir nichts wissen.«
Ranz befolgte den Rat nicht, sondern sah dem Waffenschmied wie gebannt weiter aus unmittelbarer Nähe zu.
Halv löste die Sprengung aus. Um Laires linkes Auge entstand ein glutender Ring, der sich blitzschnell in die Tiefe auszudehnen schien. Der Mann von Gaigstor handelte mehr instinktiv als überlegt. Er schob den Feldprojektor über Laires linke Gesichtshälfte. Die Hitze war so stark, dass sie die Schutzstulpen von Halvs Anzug über den Tentakelenden aufzulösen begann. Doch das Auge hatte sich bereits gelockert und kam aus der Höhle geglitten. Halv ergriff es mit dem freien Tentakelende.
Laire bewegte sich wieder. Mit quälender Langsamkeit hob er beide Arme und führte sie zum Gesicht. Halv sah zu, wie der Roboter beide Hände in die glühende Augenhöhle schob, als wollte er nach dem verlorenen Auge tasten. Es war ein erschütterndes Bild. Die unvorstellbare Hitze, die noch in der Augenhöhle tobte, ließ Laires schlanke Fingerspitzen aufglühen. Als er seine Hände wieder aus der stählernen Wunde löste, fielen die Fingerspitzen ab und tropften auf den Boden. Zurück blieben ausgeglühte Stummel.
Halv musste sich abwenden.
Er ergriff das unter dem Projektor hängende Auge. Die Sprengung war so exakt ausgeführt worden, dass sich das Auge kaum erhitzt hatte.
Er überreichte es Ranz, der es mit beiden Tentakeln umklammerte. Im Gesicht des Kommandanten entstand ein seltsamer Ausdruck. In einer triumphierenden Geste hob er die Arme.
»Wir haben den Schlüssel!«, stieß er hervor.
Sie rannten nebeneinander über die Ebene zum Landeplatz des Beiboots. Brozon Halv konnte jetzt nicht an den Rückflug denken. In seinem Gedächtnis brannte das Bild des Roboters Laire, wie dieser in einer verzweifelten Bewegung in seine Augenhöhle griff. Halv wusste, dass diese Szene ihn zeit seines Lebens verfolgen würde.
Als der Schock abklang, stand Laire langsam auf und schaute sich um. Er wusste, dass die Angreifer die Ebene längst wieder verlassen hatten. Es war sinnlos, an eine Verfolgung zu denken, außerdem hatte er jetzt Wichtigeres zu tun. Jeden Augenblick konnten die wahren Mächtigen kommen. Er würde ihnen verschweigen, was geschehen war. Sie wussten nicht, wie er vorher ausgesehen hatte, und wenn sie ihn wirklich nach seinem Auge fragen sollten, würde er etwas von einem Unfall erzählen.
Laire räumte die Trümmer des konischen Torks beiseite. Er empfand keinen Groll gegen den vernichteten Anhänger. Tork war ein Opfer seiner mangelhaften Konstruktion geworden. Danach entfernte Laire die toten Fremden; die Mächtigen sollten keine Spur von ihnen finden.
Die ganze Zeit über vermied Laire, daran zu denken, was wirklich geschehen war und was die Konsequenzen dieses heimtückischen Angriffs waren.
Der Regen prasselte in nicht enden wollenden Sturzbächen auf das silberne Landefeld von Urzurk-Urzurkan herab und verwandelte es in eine spiegelnde Fläche. Groden-Loran, der Türmer von Oprertais, ging unter seinem Regenschutz an der Spitze des Empfangskomitees auf die DALOSER zu. Vor wenigen Augenblicken war das Schiff aus den dunklen Wolken über dem Raumhafen herabgesunken. Die Schleusen öffneten sich bereits und gaben die breite Gangway frei.
Was für ein Aufwand für den größten Misserfolg in unserer Geschichte!, dachte Groden-Loran missgestimmt.
Die Kühle dieses Morgens passte so richtig zu der Stimmung, die von den Heimkehrern verbreitet wurde. Der Türmer schaute sich nach den anderen Mitgliedern seiner Delegation um und stellte fest, dass die höchsten Würdenträger von Oprertais zusammengekommen waren, wenn man von dem kranken Kuner-Grol absah.
Als die führenden Besatzungsmitglieder, allen voran Kommandant Zuhlen-Orb, oben in der Schleuse der DALOSER erschienen, empfand der Türmer Mitleid für diese Loower. Keine noch so großartige Begrüßung konnte darüber hinwegtäuschen, dass ihr Unternehmen gescheitert war.
Zuhlen-Orb trug den Kasten mit dem Auge darin in beiden Tentakelenden.
Die Loower am unteren Ende der Gangway standen wie versteinert im Regen. Das Prasseln der Tropfen auf dem Metall war das einzige Geräusch in diesem Augenblick. Zuhlen-Orb kam die Gangway herab, ein geschlagener Mann!
Mit welchen Hoffnungen war er an der Spitze der größten loowerischen Flotte, die jemals aufgestellt worden war, vor vielen Jahren aufgebrochen. Mithilfe des Auges hatte er die Materiequelle passieren und dem unheimlichen Gegner, von dem die Loower sich bedroht fühlten, eine militärische Lektion erteilen sollen.
Dabei hatte sich herausgestellt, dass das Auge nur der Schlüssel für eine einzige Materiequelle war. Die von den Loowern entdeckte Materiequelle ließ sich damit nicht durchqueren.
Bei dem Gedanken, wie lange sie brauchen würden, um die richtige Quelle zu finden, überkam den Türmer ein Schwindelgefühl. Groden-Loran riss sich von diesen trübsinnigen Überlegungen los und konzentrierte sich auf die Ankömmlinge, die das Recht hatten, dass man ihren Stolz respektierte.
Kommandant Zuhlen-Orb blieb vor der Delegation stehen. Seine Stummelschwingen waren verfärbt und zerfurcht, deutlich sichtbare Zeichen hohen Alters. Seinem Gesichtsausdruck war jedoch nicht zu entnehmen, wie sehr er unter dem verpfuschten Abschluss seines ansonsten erfolgreichen Lebens litt.
»Wir bringen das Auge zurück, Türmer!« Er reichte Groden-Loran den Kasten, und dieser hielt ihn ein wenig ungeschickt in den Händen, als wüsste er nichts damit anzufangen.
»Kommandant, das loowerische Volk ist dir zu großem Dank verpflichtet«, sagte der Türmer bewegt.
»Wofür?« Zuhlen-Orb ließ seiner Bitterkeit freien Lauf.
Die Frage ging im zögernden Beifall unter. Groden-Loran trat unter dem Regenschutz hervor. Nachdem er den Kasten mit dem Auge darin an einen seiner Begleiter weitergereicht hatte, umarmte er Zuhlen-Orb und dessen Stellvertreter.
Später, beim inoffiziellen Teil der Zeremonie, saß er mit Zuhlen zusammen im Turmtreff von Urzurk-Urzurkan. Sie plauderten so zwanglos miteinander, wie das bei zwei Loowern von so unterschiedlichem Rang und unterschiedlicher Ausbildung nur möglich war.
»Deine Arbeit war nicht umsonst«, versuchte der Türmer Zuhlen zu trösten. »Wir wissen nun, welche Aufgabe wir wirklich zu bewältigen haben. Es gilt, die richtige Materiequelle zu finden. Wir werden unter den dafür geeigneten Personen einen Loower mit überragenden Qualifikationen auswählen.«
Der Türmer konnte nicht wissen, dass er mit diesen Worten die Wahl für den ersten Quellmeister einleitete.
Zuhlen-Orbs düstere Stimmung besserte sich nicht. »Was für einen Sinn hätte das?«, fragte er. »Bis wir die richtige Quelle gefunden haben, wird uns dieses Auge zum Verhängnis werden.«
»Ein berechtigter Einwand«, gab Groden-Loran zu. »Es ist durchaus möglich, dass der rechtmäßige Besitzer des Auges uns auf die Spur kommt.«
Zuhlen gab ein klagendes Geräusch von sich. »Immerhin ist Kumor Ranz jetzt nicht mehr die einzige tragische Figur in der loowerischen Geschichte. Er hat in mir einen Schicksalsgenossen gefunden.«
»Was ihr beide getan habt, war nicht umsonst«, wiederholte der Türmer mit Nachdruck. Er blickte durch die Trennscheibe hinaus auf ein am Turmtreff vorbeiführendes Schwebeband. In jeder Minute wurden dort Tausende von Loowern vorbeigetragen. Das war das Tröstliche an dieser Sache, dachte der Türmer, dass das Leben weiterhin einen Verlauf nahm, als wäre nichts geschehen. Die meisten Loower dort draußen ahnten nicht einmal etwas von den schicksalhaften Vorgängen in ihrer Nähe.
»Ich glaube, dass wir das Auge verstecken müssen«, sagte Groden-Loran nachdenklich. »Jedenfalls bis zu dem Augenblick, da wir die richtige Materiequelle gefunden haben.«
»Wo wollen wir es hinbringen?«, erkundigte sich Zuhlen, von der vagen Hoffnung beseelt, dass man ihn damit beauftragen könnte.
»Auf eine Welt, auf der keine Intelligenzen leben. Es gibt genügend jungfräuliche Planeten in den verschwiegenen Seitenarmen jener Galaxie, die als Versteck infrage kommen.«
Zuhlen-Orb wagte nicht zu fragen, ob er diese Mission übernehmen könnte, und Groden-Loran wagte nicht, ihm jetzt zu sagen, dass er zu alt dafür war. Beide spürten, dass sie einander nichts mehr zu sagen hatten. Wie auf ein heimliches Signal hin erhoben sie sich.
»Gutes entelechisches Denken, Türmer«, verabschiedete sich der Kommandant.
Groden-Loran murmelte eine Antwort, die einen ähnlichen Sinn besaß, aber das hörte der Raumfahrer schon nicht mehr. Er ging davon, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.
Jedes Mal, wenn Muden-Sprengan sich der Neunturmanlage auf Alkyra-II von außen näherte, wurde er von dem Gefühl überwältigt, dass er einem Zweig der loowerischen Zivilisation angehörte, der sich nur zu dem Zweck entwickelt hatte, regelmäßig den Impuls des Auges zu empfangen. Das verlieh seinem Leben den Anschein von Sinnlosigkeit.
Der Planet, auf dem die Loower das Auge versteckt hatten, gehörte zu einem Sonnensystem, das 226.000 dieser Planetenjahre benötigte, um innerhalb der Galaxie eine volle Rotation auszuführen. Nachdem ein solcher Zeitraum verstrichen war, strahlte das Auge einen auf Alkyra-II gerichteten Impuls ab, dann wussten die Loower, dass es sich unbeschädigt in seinem Versteck befand.
Der letzte Impuls war zeitgemäß lange vor Muden-Sprengans Geburt erfolgt, und der nächste würde erst lange nach seinem Tod ankommen. Auch dieser Umstand war ein Teil der Leere, die der junge Loower empfand. Er wusste, wofür er lebte, aber er konnte diesen Sinn gefühlsmäßig nicht begreifen. Das änderte sich auch nicht, wenn er daran dachte, dass unzählige Loower unter der Führung von Quellmeistern unterwegs waren, um die zu dem Auge passende Materiequelle zu finden. Diese Geschehnisse, von denen er nur vom Hörensagen wusste, waren unendlich weit entfernt, sie ereigneten sich in räumlichen und zeitlichen Abständen, die kaum übersehbar waren.
Muden-Sprengan fühlte sich als bedeutungsloser Bestandteil einer unüberschaubaren Maschinerie, und er wusste, dass es vielen Artgenossen genauso erging.
Er steuerte seinen neunrädrigen Sumpfwagen auf die Schleuse eines der neun Türme zu. Die Zahl Neun spielte im Leben der Loower eine immer größere Rolle, seit einer der Quellmeister herausgefunden hatte, dass die gesuchte Materiequelle neun Auslässe besaß. Die Loower wussten außerdem, dass einer dieser neun Auslässe in rhythmischen Abständen strahlte, und hatten die Intervalle ihrer kosmischen Leuchtfeuer entsprechend eingestellt. (In terranischen Zeitbegriff umgerechnet, betrug der Abstand zwischen zwei Impulsen dreiundzwanzig Stunden und achtzehn Minuten.)
Vor der Schleuse hielt Muden-Sprengan an und identifizierte sich bei den Wächtern. Diese Vorsicht war geboten, weil vermutet wurde, dass es auf Alkyra-II Wesen mit paranormalen Fähigkeiten gab.
Muden-Sprengan arbeitete als Gehilfe eines Waffenschmieds, eine interessante und abwechslungsreiche Arbeit, die ebenfalls dem großen Ziel untergeordnet war. Die Waffenschmiede betrieben die Herstellung eines Großroboters, den die Loower in Krisensituationen einzusetzen gedachten.
Der junge Loower durfte passieren und fuhr mit dem Sumpfwagen an den überall liegenden Trümmern vorbei ins Zentrum der Neunturmanlage. Die besondere Art, ihre Unterkünfte einzurichten, sollte die Loower im Fall einer Entdeckung durch die Mächte von jenseits der Materiequellen schützen und den Gegner glauben lassen, dass die Loower ausgestorben waren. Muden-Sprengan bezweifelte, ob der gewünschte Effekt im Ernstfall erzielt werden konnte. Das Ganze schien ihm mehr ein psychologischer Trick zu sein.
Manchmal fragte sich der Schmiedgehilfe, ob die befürchtete Gefahr wirklich bestand. Seit dunkler Vergangenheit fühlten die Loower sich bedroht, aber es war nie zu einem Angriff gekommen.
Muden-Sprengan hielt den Sumpfwagen an und nahm den Beutel mit Grolsand vom Rücksitz, den er im Auftrag des Schmieds im Allartal geholt hatte. Um ihn herum herrschte rege Geschäftigkeit. Er watschelte quer durch eine Schneise und legte den Beutel an einer umgestürzten Säule ab. Dann hockte er sich auf das brüchige Metall und wartete, dass Kemen-Ortep, der Schmied, kommen würde. Sie hatten sich hier verabredet, weil Kemen-Ortep den Grolsand für private Experimente brauchte und nicht wollte, dass er in die Werkstatt geliefert wurde.
Während Muden-Sprengan auf den Schmied wartete, überlegte er, wie er den scheinbar vorgegebenen Verlauf seines Lebens beeinflussen könnte. Diese Frage beschäftigte ihn in letzter Zeit häufiger, obwohl er wusste, dass er niemals eine Antwort darauf finden würde. Seine einzige Hoffnung war, dass ein Quellmeister die richtige Materiequelle rechtzeitig finden würde. Dann würden die Loower das Auge aus seinem Versteck im Boden des dritten Planeten einer namenlosen Sonne holen und den Flug durch die Materiequelle wagen. Es war leider unsinnig, anzunehmen, dass dieses Ereignis ausgerechnet zu Lebzeiten Muden-Sprengans stattfinden würde. Zu viel Zeit war seit dem Beginn der Suche schon verstrichen.
Er war so in Gedanken versunken, dass er den Schmied nicht herankommen hörte. Erst als Kemen-Ortep nach dem Beutel griff, um den Inhalt zu begutachten, fuhr er hoch.
»Wieder einmal am Träumen?«, fragte der alte Loower.
»Und es ist immer der gleiche Traum«, bestätigte Muden-Sprengan.
Der Waffenschmied nahm ein Tentakelende voll Sand aus dem Sack heraus und ließ ihn langsam zurückfließen.
»Wie dieser Sand durch meine Tentakel rinnt, so vergeht die Zeit, junger Freund«, sagte Kemen-Ortep. »Und die Zeit dieses Universums schöpft aus einem schier unendlichen Vorrat.«
»Was für ein Leben«, empörte sich der Jüngere. »Es beginnt mit Warten und wird dereinst mit Warten enden.«
»Du wirst es lernen. Geduld zu haben ist nicht die Eigenart der Jugend.«
Muden-Sprengan sah den Waffenschmied an. »Du hast keinen einzigen Impuls erlebt, und du wirst keinen erleben. Genau wie ich. Das lässt dich kalt?«
»So ist es«, bestätigte Kemen-Ortep. »Was ich tue, hilft unseren Nachkommen, den nächsten Impuls zu empfangen. Und eines Tages wird unser Volk das Auge holen.«
Muden-Sprengan griff in den Sack und hob ebenfalls Sand heraus. Er ließ ihn jedoch nicht zurückfließen, sondern streute ihn in den Wind. »Auch das ist symbolhaft«, sagte er ärgerlich. »Es zeigt, wie Zeit ebenfalls verstreichen kann – nutzlos!«
»Mit dieser Haltung schändest du das Andenken von Männern wie Kumor Ranz und Zuhlen-Orb«, warf ihm der Schmied vor.
»Glaubst du, dass sie wirklich gelebt haben? Vielleicht sind sie nur Gestalten einer erfundenen Geschichte, die uns in die Verantwortung nehmen soll.«
»Für mich haben sie gelebt!«, rief Kemen-Ortep. Er nahm den Beutel und ging davon.
Das war es!, erkannte Muden-Sprengan, während er dem Alten nachstarrte. Das war die Methode, wie er sein Leben zwischen zwei Impulsen ertragen konnte. Er musste an die Vergangenheit und an die Bestimmung der Loower glauben.
Wie alt muss ich werden, um das zu lernen?, fragte sich Muden-Sprengan.
Manchmal hockte Laire jahrelang auf dem Sockel der Unberührbarkeit und bewegte sich nicht. Er konnte den Prozess seiner Überlegungen nicht abstellen, obwohl er sich nichts sehnlicher als das gewünscht hätte. Er war auch nicht in der Lage, seiner Existenz aus eigener Kraft ein Ende zu bereiten, denn seine Erbauer hatten ihn mit einer entsprechenden Hemmnisschaltung ausgerüstet. Die Einsamkeit des Roboters war so vollkommen, dass er einen noch dümmeren Anhänger, als der konische Tork es gewesen war, mit Freude akzeptiert hätte. Das stupide Einerlei von Laires Dasein wurde nur unterbrochen, wenn der Ruf an die sieben Mächtigen erging und sie auf seine Ebene kamen, um den Einsatz vorzubereiten. Die Treffen der Mächtigen waren die einzige Abwechslung für Laire, aber sie fanden in so großen zeitlichen Abständen statt, dass er sich nach einer gewissen Zeit immer fragte, ob er nicht einer Halluzination erlegen war.
Laires Einsamkeit gebar schließlich einen Traum, der sich zur fixen Idee auswuchs. Der Roboter beschloss, nach dem gestohlenen Auge zu suchen. Nur wenn er es zurückeroberte, konnte er sich wieder in die Bereiche jenseits der Materiequellen begeben, in sein eigentliches Zuhause. Nur dort würde seine schreckliche Verlassenheit ein Ende finden.
Laire wusste, dass er nur eine Chance hatte, die Ebene zu verlassen – im Sporenschiff eines der Mächtigen.
Die Sporenschiffe durchquerten weite Gebiete des Universums, und nur auf diese Weise würde er vielleicht eine Spur seines Auges finden. Er rechnete sich aus, was die Fremden mit dem Auge angefangen haben mochten. Dabei kam er zu dem Schluss, dass sie es sicher nicht behalten hatten. Als intelligente Wesen mussten sie früher oder später bemerkt haben, dass der Besitz des Auges mit Gefahren verbunden war. Es war möglich, dass sie aus dieser Erkenntnis heraus das Auge zerstört hatten. Noch wahrscheinlicher erschien ihm jedoch, dass sie sein Auge versteckt hatten, um es zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu holen, sobald sie in ihrer Entwicklung einen ausreichend hohen Wissensstand erreicht hatten.
Laire war sich darüber im Klaren, dass keiner der sieben Mächtigen ihn freiwillig mit an Bord eines Sporenschiffs nehmen würde. Das bedeutete, dass er sich unbemerkt einschleichen musste, sozusagen als blinder Passagier. Dieses Problem beschäftigte ihn mehrere Jahrhunderte, und er tat kaum etwas anderes, als über die Lösung nachzudenken. Er tüftelte einen Plan aus, der ihm so perfekt erschien, dass es keinen Fehlschlag geben konnte. Dabei überließ er nichts dem Zufall, er legte sogar fest, welches Schiff es sein würde, und wählte die PAN-THAU-RA, das Sporenschiff des Mächtigen Bardioc. Die Wahl fiel nicht etwa auf dieses Schiff, weil es besser oder schöner gewesen wäre als die sechs anderen, sondern weil Bardioc der Besitzer war. Laire wusste nicht, warum, aber Bardioc erschien ihm weniger weltentrückt als seine sechs Brüder. Bardioc war während des Aufenthalts der Mächtigen auf der Ebene am ehesten geneigt, Laire Aufmerksamkeit zu schenken und sich über die zeremoniellen Abläufe hinaus mit ihm zu beschäftigen. Laire dürstete nach solchen intellektuellen Zuwendungen, doch er durfte das nicht zeigen. Es war absurd und außerdem völlig unrobotisch, aber Bardioc genoss von allen Mächtigen seine größte Zuneigung.
Als der Ruf endlich wieder erging und ein Einsatz der Sporenschiffe bevorstand, bereitete Laire sich auf die Durchführung seines Plans vor. Er hatte nicht vor, die Ebene sofort zu verlassen, denn jede übertriebene Eile barg den Keim des Scheiterns in sich. Er hatte so lange allein und in Einsamkeit gelebt, dass er durchaus bereit war, noch einige Jahrtausende zu warten. Mit der bevorstehenden Ankunft der Mächtigen sollte sozusagen eine Generalprobe verbunden sein.
Die sieben Mächtigen trafen ein – und Laire erlebte einen Schock. Sie hatten sich verändert, vor allem der geschätzte Bardioc. Ihre Unrast war unverkennbar, sie signalisierte den baldigen Untergang dieser Gruppe, ohne dass die einzelnen Brüder dies bewusst spürten. Die Veränderung der Mächtigen bestürzte Laire. Er befürchtete, dass dieser Prozess seinen Plan gefährden könnte.
Ein zweites Mal die Angewohnheiten einer neuen Gruppe von Mächtigen zu studieren, viele Jahrtausende zu planen und zu warten, das hätte Laire nicht mehr durchgestanden. Er war bereit gewesen, die Frist zwischen zwei Treffen verstreichen zu lassen, jenen Zeitraum, der zwischen dem Einsatz der Sporenschiffe und dem Bau des dazugehörigen Schwarms lag, aber länger konnte er es nicht mehr aushalten.
Das bedeutete, dass die Zeit gekommen war. Er musste sofort zur PAN-THAU-RA überwechseln. Die Generalprobe wurde unversehens zur Premiere.
Die Explosion erfolgte in so weitem Abstand, dass die empfindlichen Sensoren Laires sie gerade noch wahrnehmen konnten. Trotzdem hatte sie unmittelbare Folgen. Die Triebwerke der PAN-THAU-RA schalteten sich ab, das Schiff schwebte ohne Beschleunigung im Weltraum.
Im ersten Augenblick befürchtete der Roboter in seinem Versteck, dass es zu einer Katastrophe gekommen sein könnte, doch er entsann sich der Vollkommenheit dieses Schiffes, die einen derartigen Zwischenfall in einen kaum noch berechenbaren Bereich der Wahrscheinlichkeit entrückte. Offensichtlich hatte Bardioc, der in der Hauptzentrale saß, diese Explosion bewusst ausgelöst. Auch das Abschalten der Triebwerke war weiter nichts als ein Trick.
Er hat mich entdeckt!, schoss es Laire durch den Kopf.
Obwohl er nie an eine solche Entwicklung geglaubt hatte, war der Roboter in seinen Planungen davon ausgegangen, dass es dazu kommen könnte. Daher war er für den Fall seiner Entdeckung gewappnet und wollte die Flucht nach vorn ergreifen. Um jedoch sein Vorgehen nicht zu durchsichtig erscheinen zu lassen, wartete er einige Zeit ab, bevor er sich in die Hauptzentrale begab. Er konnte sich vorstellen, wie intensiv Bardioc ihn suchte.
Andererseits konnte Bardioc ihn nicht einfach von Bord schicken. Vielleicht war der Mächtige sogar zu Verhandlungen bereit.
Als Laire die Zentrale betrat, sah er Bardiocs große Gestalt vor den Kontrollen stehen. Die glühenden Augen des Mächtigen waren auf eine Holoprojektion gerichtet.
»Bardioc«, sagte Laire müde und trat zwischen den Apparaturen in den Raum.
»Laire!«, stieß Bardioc mit grenzenloser Überraschung hervor.
Er wusste nicht, dass ich es bin!, dachte der Roboter erstaunt. Bardioc hatte lediglich festgestellt, dass ein Fremder an Bord war, aber er war nicht darauf gekommen, dass es der Roboter sein könnte.
Seltsam!, erkannte Laire. Der Mächtige, der da vor ihm stand, machte einen schuldbewussten Eindruck. In dieser Haltung erinnerte ihn Bardioc unwillkürlich an den konischen Tork.
»Nachdem die Explosion erfolgt war und die Triebwerke ausgeschaltet wurden, wusste ich, dass du mich entdeckt hast«, sagte Laire bedächtig. »Es hat also keinen Sinn mehr, mich länger zu verbergen.«
Augenblicke später erfuhr Laire, dass Bardioc im Begriff war, dieses wunderbare Schiff zu stehlen.
Das Versteck, das Bardioc für das Sporenschiff ausgewählt hatte, erschien Laire so gut wie jedes andere, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass die sechs anderen Mächtigen die PAN-THAU-RA jemals suchen würden. Genau wie Bardioc befanden sich die anderen Mitglieder aus dem Bund der Zeitlosen in einer schweren psychischen Krise und hatten wahrscheinlich genügend mit sich selbst zu tun.
Das Versteck lag ziemlich genau 35.000 Lichtjahre vom Zentrum dieser Galaxie entfernt, im Gebiet einer zwölf Lichtjahre durchmessenden galaktischen Turbulenzzone, in der fünfzehn Sonnen standen. Einer dieser Sterne hatte einen kollabierenden Prozess eingeleitet und würde in den nächsten Jahrtausenden zur Nova werden. Darüber hinaus existierte in der Turbulenzzone ein weiteres interessantes kosmisches Objekt, eine sonnenlose Dunkelwelt.
Laire und Bardioc standen gemeinsam vor der Raumbeobachtung in der Hauptzentrale der PAN-THAU-RA.
»Was hältst du von diesem Versteck?«, erkundigte sich der Mächtige mit offensichtlicher Zufriedenheit.
»Ein guter Platz«, erwiderte Laire lakonisch.
»Kein vernünftiges Wesen wird sich hierher wagen«, prophezeite Bardioc. »Abgesehen davon, dass wir mit den Anlagen der PAN-THAU-RA in den Ablauf der kosmischen Prozesse eingreifen und sie in unserem Sinn manipulieren können.«
Bardioc hatte vor, die natürlichen Bedingungen in diesem Sektor zumindest optisch zu verschlimmern, um unerwünschte Besucher fernzuhalten. »Wir werden Sonden ausschicken«, fuhr er fort. »Mich interessiert, ob es in der Umgebung bewohnte Planeten gibt.«
»Aber nicht aus Sicherheitsgründen ...?«, mutmaßte Laire.
»Du weißt, dass ich mir ein eigenes Sternenreich aufbauen will. Dabei brauche ich Intelligenzen, die mir treu ergeben sind. In diesem Schiff befindet sich ein gewaltiger Schatz, eine unvorstellbar große Biophore-Ladung.«
»Ich verstehe«, sagte Laire. »Du willst dir mithilfe der Biophore andere Wesen gefügig machen.«
Bardioc wurde nachdenklich. »Das nächste Treffen der sieben Mächtigen auf der Ebene steht bevor«, erinnerte er. »Ich habe nicht mehr viel Zeit. Meine Brüder und ich treffen uns, um die zweite Phase einzuleiten, den Bau eines Sternenschwarms.«
Der Roboter antwortete nicht. Wie die Ereignisse ablaufen würden, war ihm hinreichend bekannt.
»Ich glaube, dass ich die Rückkehr der Sonden abwarten kann«, fuhr Bardioc fort. »Ich brenne darauf, zumindest ein Experiment vor meiner Abreise durchzuführen. Verstehst du? Ich möchte mit dem Gefühl vor meine Brüder hintreten, dass ich einen Anfang gemacht habe.«
Laire verstand es nicht, aber er schwieg.
Die nächsten Stunden verbrachten sie damit, ein paar hundert Sonden auszuschicken. Eine der Sonden, die schon nach wenigen Tagen zurückkehrten, brachte die Koordinaten eines kleinen, dunkelgelben Sterns mit zwei Planeten. Dieses System war sechs Komma sieben Lichtjahre vom Versteck der PAN-THAU-RA entfernt und 34.000 Lichtjahre vom galaktischen Zentrum. Im Orbit des zweiten Planeten befand sich ein mächtiger Gürtel aus verschieden großen Materiebrocken. Dabei handelte es sich zweifellos um die Überreste eines ehemaligen Mondes. Der Planet selbst hatte einen Durchmesser von 14.000 Kilometern. Er besaß eine für Planeten solcher Größe normale Schwerkraft, und seine Achsrotation betrug etwas mehr als neunzehn Stunden. Es war eine warme Welt mit reicher Vegetation.
Doch das alles interessierte Bardioc erst in zweiter Linie. Was ihn erregte, war die Tatsache, dass auf diesem Planeten intelligente Wesen lebten. Die Aufnahmen der Sonde ließen keinen Zweifel daran, dass es sich um Insektenabkömmlinge handelte.
»Ein gut funktionierender Insektenstaat mit einer Königin an der Spitze«, stellte Bardioc fest, während er die Bilder betrachtete. Er konnte seine Nervosität kaum verbergen. »Weißt du, was wir jetzt tun, Laire?«
»Ja«, sagte der Roboter.
»Wir holen ein paar hundert dieser Wesen an Bord der PAN-THAU-RA und behandeln sie mit Noon-Quanten.« Bardiocs Augen glänzten wie im Fieber. »Sie werden meine späteren Diener sein, der Ausgangspunkt eines gewaltigen Reiches, über das ich herrschen werde. Nach meiner Rückkehr von der Ebene werden wir überall Sporen ausstreuen, dann wird sich Leben entwickeln, das mir bis in die fernste Zukunft zur Verfügung stehen wird.«
»Ich werde dir dabei helfen«, versicherte Laire, obwohl er den Sinn dieses Plans nicht verstand.
In den nächsten Wochen arbeiteten sie so intensiv, dass der Zeitlose sich oft bis zur Erschöpfung verausgabte. Mit einem Beiboot holten sie die von Bardioc benötigten Insektenwesen an Bord des Sporenschiffs. Es waren zwei Meter große, grazile Wesen mit Laufbeinen, die zwei Drittel der Körperlänge ausmachten. Sie hatten vier Arme, die aus Doppelgelenken wuchsen. Ihr Oberkörper wirkte tonnenartig und war stark nach vorn gewölbt. Der gesamte Körper war von einem rosaroten Chitinpanzer geschützt. Auf der Vorderseite des Kopfes verlief ein Facettenband, das den Insektoiden einen guten Rundblick ermöglichte.
»Sie werden die Trennung von ihrer Königin nicht überstehen«, prophezeite Laire. »Als Mitglieder eines gewaltigen Kollektivs sind sie von ihr abhängig.«
»Unter normalen Umständen würden sie das sicher nicht«, stimmte Bardioc zu. »Aber nach der Behandlung mit Noon-Quanten werden sie vergessen, dass sie verschiedenen Kasten angehörten. Ihre Nachkommen werden sich schon nicht mehr daran erinnern, dass sie von einer Königin abhängig waren.«
Sie hatten die Ansken, wie sich die Insektoiden nannten, in einer großen Halle eingesperrt. Bardioc begann mit den Vorbereitungen für das Experiment. Laire hingegen wünschte, sie hätten sich mehr Zeit dafür gelassen. Doch Bardioc drängte, weil das nächste Treffen der Zeitlosen bevorstand. Er musste sich beeilen, wenn er nicht zu spät kommen und den Argwohn seiner Brüder auf sich lenken wollte.
Die Zeit war für Bardioc schon so knapp, dass er nicht abwarten konnte, ob die Behandlung der Ansken mit Noon-Quanten den gewünschten Erfolg brachte.
»Wenn ich zurückkomme, werde ich sehen, wie groß der Erfolg ist«, sagte Bardioc zu Laire. »Inzwischen beaufsichtigst du das Schiff.«
Der Roboter war enttäuscht. Er hatte insgeheim gehofft, Bardioc würde ihn zur Ebene mitnehmen.
»Die anderen werden sich wundern, dass ich nicht da bin«, gab Laire zu bedenken.
Bardioc schüttelte den Kopf. »Darüber brauchen wir uns keine Gedanken zu machen. Vergiss nicht den Zustand der Ebene. Du bist ein Teil davon. Meine Brüder werden glauben, dass du ausgefallen bist.«
Laire schaute sich um. »Ich werde hier so einsam sein wie auf der Ebene.«
»Aber nicht für lange! Ich komme zurück und hole dich.«
Nach diesen Worten schien Bardioc den Roboter bereits vergessen zu haben. In Gedanken weilte er schon auf der Ebene. Laire verstand den Mächtigen gut. Bardioc stand unter großer seelischer Anspannung, denn er musste seinen Brüdern gegenübertreten und ihnen seinen Verrat verheimlichen. Es war fraglich, ob ihm das überhaupt gelingen würde.
Laire zog sich in den Raum zurück, von dem aus er die manipulierten Ansken beobachten konnte. Er wollte nicht bei Bardioc sein, wenn dieser die PAN-THAU-RA verließ. Solange er zurückdenken konnte, erlebte er immer wieder, dass die Mächtigen gingen und ihn verließen. Er hatte gehofft, dass dies nun anders sein würde, aber im Grunde genommen hatte sich nichts verändert.
Bardioc ging und ließ den Roboter allein.
Auf der Ebene war Laire seine Einsamkeit oft unerträglich erschienen, aber er hatte wenigstens in einer vertrauten Umgebung gelebt. Hier war alles fremd, obwohl Bardioc ihn gelehrt hatte, die technischen Einrichtungen des gigantischen Schiffes zu bedienen. Laire war überzeugt davon, dass er in der Handhabung der PAN-THAU-RA bereits eine größere Perfektion erreicht hatte als Bardioc. Das lag an seiner robotischen Einstellung zu den Dingen.
Für Laire begann wieder eine Zeit des Wartens.
Er wartete geduldig, Jahr für Jahr, Jahrzehnt für Jahrzehnt, Jahrhundert für Jahrhundert.
Doch Bardioc löste sein Versprechen nicht ein. Er kam nicht zurück.
Die Überzeugung, dass der Mächtige niemals zurückkehren würde, gewann in Laires Bewusstsein allmählich die Oberhand. In all den Jahren, da er auf den Mächtigen gewartet hatte, war Laire durch das Schiff gestreift und hatte es gründlich erforscht. Bardiocs Experiment mit den Ansken war gelungen, längst hatten die Nachkommen der einst von ihrer Heimatwelt entführten Insektoiden an Bord des Sporenschiffs eine kleine Zivilisation aufgebaut. Laire kümmerte sich nicht um diese Wesen. Sie erschienen ihm bösartig und machthungrig, die denkbar ungeeignetsten Freunde für einen einsamen Roboter.
Laire überlegte, was Bardioc zugestoßen sein mochte, und er kam zu dem Schluss, dass der Mächtige von seinen Brüdern aus dem Bund der Zeitlosen als Verräter entlarvt worden war. Es war anzunehmen, dass sie Bardioc für die Entführung des Sporenschiffs bestraft hatten.
Dieser Gedanke ließ Laire nicht mehr zur Ruhe kommen. Tagelang stand er vor den Kontrollen in der Hauptschaltzentrale und dachte über die Konsequenzen nach, die sich aus einer solchen Entwicklung ergeben konnten. Das Ergebnis seiner Überlegungen war dazu angetan, ihn im höchsten Maß zu beunruhigen.