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Die Neue Galaktische Zeitrechnung ist angebrochen: Nach Jahrhunderten der Konflikte arbeiten die Völker der Milchstraße in der Kosmischen Hanse zusammen, sie forschen gemeinsam, und sie treiben Handel. Perry Rhodans großes Ziel, seit er die relative Unsterblichkeit erlangt hat, scheint zum Greifen nahe. Die Menschen auf der Erde und auf Tausenden von Welten leben im Frieden mit allen Außerirdischen. Doch längst droht eine Gefahr im Hintergrund: Die Superintelligenz Seth-Apophis, ein mächtiger, aber nahezu unbekannter Gegner, greift nach der Milchstraße. Die eigentliche Aufgabe der Kosmischen Hanse ist deshalb, die Völker der Galaxis vor dieser unvorstellbaren Bedrohung zu schützen. Mit welchen Methoden Seth-Apophis und ihre Agenten vorgehen, wird deutlich, als ein Hanse-Stützpunkt im Chaos versinkt. Der Gegner scheint überall präsent zu sein, und er hat seine Helfershelfer längst vor Ort - mit ungeahnten Aktionen bringt er die Menschheit ins Wanken ...
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Seitenzahl: 632
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Nr. 119
Der Terraner
Die Neue Galaktische Zeitrechnung ist angebrochen: Nach Jahrhunderten der Konflikte arbeiten die Völker der Milchstraße in der Kosmischen Hanse zusammen, sie forschen gemeinsam, und sie treiben Handel. Perry Rhodans großes Ziel, seit er die relative Unsterblichkeit erlangt hat, scheint zum Greifen nahe. Die Menschen auf der Erde und auf Tausenden von Welten leben im Frieden mit allen Außerirdischen.
Doch längst droht eine Gefahr im Hintergrund: Die Superintelligenz Seth-Apophis, ein mächtiger, aber nahezu unbekannter Gegner, greift nach der Milchstraße. Die eigentliche Aufgabe der Kosmischen Hanse ist deshalb, die Völker der Galaxis vor dieser unvorstellbaren Bedrohung zu schützen.
Graffiti
Sein Name ist Taou Sun Heng. Vor vier Tagen hat er zum letzten Mal eine winzige Portion Reis gegessen. Über seinen Wangenknochen spannt die Haut wie Pergament. Er ist 37 Jahre alt, verheiratet und Vater von drei Kindern.
Vor zwei Wochen haben Angehörige einer Armee, über deren Zugehörigkeit Taou Sun Heng nur rätseln kann, sein Dorf überfallen und seine Familie gefoltert und getötet. Seitdem befindet er sich auf der Flucht. Sein Weg führt durch den Dschungel auf eine Grenze zu, hinter der er sich ein wenig Nahrung und Sicherheit erhofft.
Immer wieder stößt er auf niedergebrannte Dörfer und muss sich vor Soldaten verbergen. Taou Sun Heng hat längst aufgehört, Schmerzen zu empfinden oder verzweifelt zu sein, er reagiert nur noch abgestumpft.
Taou Sun Heng ist ein Terraner.
1.
Der Auftrag
Ambur-Karbush war eine Stätte des Friedens, des Glücks und der geistigen Einheit, und Carfesch betrachtete es als Auszeichnung, dass er dorthin reisen durfte. Sein Gepäck bestand nur aus einem abgewetzten Ledermantel, Sandalen, einer Proviantbüchse mit Konzentraten und einem Memoring für jene, die in Ambur-Karbush bauten. Wegen seiner bescheidenen Ausrüstung hätten Beobachter Carfesch durchaus für den Gesandten einer unbedeutenden Macht halten können, aber genau das Gegenteil traf zu.
Carfesch war der Beauftragte des Kosmokraten Tiryk. Ein Scheitern seiner Mission wäre einer kosmischen Katastrophe gleichgekommen.
Carfesch war humanoid und an die zwei Meter groß, wirkte aber schlank, fast zierlich. Sein strohfarbenes Gesicht bedeckten achteckige schuppenähnliche Hautplättchen. Anstelle einer Nase hatte der Sorgore eine Atemöffnung, deren organisches Filtergewebe bei jedem Atemzug leise knisterte. Die starren blauen Augen standen so weit hervor, dass Carfesch leicht zur Seite sehen konnte, ohne den Kopf drehen zu müssen. Seine Finger waren Krallen, die steif und unbeweglich wirkten. Unter den sieben hornartigen Verdickungen an jeder Hand nisteten jedoch winzige Symbionten, die vom absterbenden Horn lebten und die Hände derart sensibilisierten, dass Carfesch jedes Ding, das er berührte, bis in die filigransten Feinheiten erfühlen konnte.
Carfeschs Stimme klang melodisch sanft. Schon ihre einschmeichelnde Freundlichkeit stempelte ihn zu einem überragenden Diplomaten, obwohl er sich diesen Titel weit mehr durch seinen Intellekt und seinen Charakter verdient hatte. Erstaunlicherweise entsprang diese Stimme, der eine fast hypnotische Wirkung nachgesagt wurde, einem eher düster wirkenden lippenlosen Mund, der wie eine kleine Höhle inmitten von Carfeschs breitem Kinn saß.
Nach langen Vorbereitungen war es dem Kosmokraten Tiryk gelungen, seinen Gesandten auf Ambur abzusetzen.
Carfesch war die zweite Fracht, die von jenseits der Materiequellen hier ankam. Die erste hatte aus zwei neutralisierten Zellaktivatoren bestanden, die nun mithilfe des Memorings vorjustiert werden sollten.
Niemand hätte auf Anhieb feststellen können, ob Ambur natürlichen oder künstlichen Ursprungs war. Carfesch vermutete, dass es sich um einen Planeten handelte, der aus seinem angestammten System herausgerissen und auf eine ewige Reise geschickt worden war. Die junge Superintelligenz, die Karbush baute, war zweifellos in der Lage, einen solchen Prozess zu steuern. Vor langer Zeit, so viel hatte Carfesch von Tiryk erfahren, war Ambur in zwei Halbkugeln geteilt worden.
Von den Sonnenblumenhügeln aus bot sich dem Gesandten ein guter Ausblick über Ambur-Karbush.
Die Stadt lag auf einer weiten Hochebene. Über den Rand des Felsplateaus hinweg ergoss sich ein gewaltiger Strom ins Meer. Die Gebäude schmiegten sich harmonisch aneinander, ihre Stahlhüllen funkelten im Licht der Kunstsonnen. Zentrum der Stadt war ein ausgedehnter Platz, an dessen Rand ein mehr als tausend Meter hoher, zerbrechlich anmutender Turm aufragte.
Es war sicher absurd, so von einer Stadt zu denken, doch als Carfesch auf Ambur-Karbush hinabblickte, erinnerte es ihn an ein schlafendes Lebewesen. Plätze und Straßen waren verlassen, trotzdem spürte der Diplomat die Allgegenwart intelligenten Lebens.
Carfesch stieg die Hügel hinunter bis zur grasbewachsenen Hochebene. Ambur-Karbush war längst nicht fertiggestellt, das sah er deutlich.
Eine einsame Gestalt kam ihm entgegen, während er sich den ersten Gebäuden näherte. Carfesch blieb stehen. Dass der Unbekannte ihm glich, hielt der Gesandte für einen Akt der Höflichkeit. Es war vielleicht seine schwache Stelle, dass er alles vom Standpunkt des Diplomaten aus betrachtete und zu erklären versuchte.
Als sie einander schon nahe waren, sah Carfesch, dass der andere glatter wirkte als er selbst. Dieses Aussehen verbreitete den Eindruck von Kühle und Unwirklichkeit.
Carfesch drückte den Memoring fester an sich, niemals würde er ihn einem dahergelaufenen Roboter oder Androiden überlassen. Als Gesandter der Kosmokraten hatte er sich eine andere Behandlung erhofft.
»Ich stehe zu deiner Verfügung, Bote«, sagte der Fremde in der Sprache, die Carfesch eigens für diese Mission erlernt hatte. »Du kannst mir einen Namen geben.«
Carfeschs Unruhe wich einer gewissen Belustigung. Er hatte auf Ambur bereits so viele Dinge benannt, dass es ihm in diesem Fall nicht schwerfallen sollte. Doch seine Phantasie ließ ihn im Stich, als er wenig geistreich sagte: »Ich werde dich Begleiter nennen.«
Sein Gegenüber machte eine einladende Geste in Richtung der Stadt. »Begleite mich zu ES.«
Warum diese Superintelligenz sich ES nannte, hatte nicht einmal Tiryk zu sagen vermocht. Vermutlich, weil ES aus unzähligen Bewusstseinsinhalten bestand und sich daher nicht festlegen wollte.
Carfesch überlegte nicht lange. Es ging um die Kräfte im Universum, um Stabilisierung und Weiterentwicklung von Mächtigkeitsballungen im Sinn der Kosmischen Ordnung, die von mächtigen Gegnern gestört wurde.
Lautlos und geschmeidig, eine perfekte Maschine, ging Begleiter voraus.
»Wo halten sich die Bewohner der Stadt auf?«, fragte Carfesch.
»Sie kommen und gehen«, lautete die wenig informative Antwort. »Außerdem müssen Gebäude nicht stets bewohnt sein.«
»Befinden sich die beiden Zellaktivatoren noch im Besitz von ES?«
»ES besitzt viele Instrumente zur Veränderung der Lebenserwartung«, antwortete Begleiter. »ES ist in der Lage, sie an geeignete Wesen zu vergeben.«
»Darum geht es nicht.« Carfesch reagierte mit einem Anflug von Ärger. »Ich spreche von den beiden besonderen Aktivatoren, die von den Kosmokraten zur Verfügung gestellt wurden.«
»Sie werden gehütet wie ein Schatz.«
»Gut.«
Sie erreichten den freien Platz, Begleiter ging auf die nächste Kuppelhalle zu. Carfesch hatte das Gefühl, von einer geistigen Kraft berührt zu werden, die mühelos in sein Bewusstsein eindrang und seine Gedanken sondierte. Zweifellos wurde er einer strengen Prüfung unterzogen. Davon hatte Tiryk ihm nichts gesagt, aber eigentlich war es verständlich. Er ahnte, dass er nur vorgelassen wurde, wenn seine Psyche den Vorstellungen von ES entsprach.
Carfesch spürte die Heiterkeit, die seine Gedanken bei jenem hervorriefen, der ihn mental abtastete. Bestürzt fragte er sich, ob er zu eitel und selbstbewusst dachte.
Sofort gewannen die mentalen Impulse an Deutlichkeit: Ein Abgesandter der Kosmokraten ohne Selbstbewusstsein ist für mich schlecht vorstellbar.
»Ich bin nur ein Bote«, sagte Carfesch. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich habe nie einem Kosmokraten von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden.«
Komm jetzt herein!
Carfesch erblickte fremdartige Maschinen. Als er die Kuppel betrat, schien aus dem Zenit ein Blitz herabzuzucken. Dämpfe stiegen vom Boden auf und formten sich zu einer langsam rotierenden, spiralig ineinanderfließenden Kugel.
Ein leises Lachen erklang, diesmal real und nicht nur im Bewusstsein des Gesandten.
»Willkommen«, sagte eine sanfte Stimme. »Auch für mich ist der Kontakt eine Wohltat.«
»Ich bedanke mich für diese Einschätzung.« Carfesch kramte in den Taschen seines Mantels nach dem Memoring. »Ich komme wegen der beiden neutralen Zellaktivatoren«, sagte er, während er den Ring hervorzog, ein mit Kristallen gefülltes, eine Handspanne durchmessendes Objekt. Der Ring pulsierte. In ihm waren die Justierungsdaten für die beiden Zellaktivatoren aufbewahrt.
»Sie sollen also eingesetzt werden?«, fragte ES.
»Ich habe diesen Auftrag für dich.« Carfesch hatte Mühe, das zu sagen. ES war ihm in jeder Beziehung überlegen. Warum eigentlich, fragte er sich spontan, übernahmen die Kosmokraten derartige Aufgaben nicht selbst?
»Die Kosmokraten sind aus dir bekannten Gründen an der Erhaltung und Stabilisierung deiner Mächtigkeitsballung interessiert.« Carfesch sagte, was Tiryk ihm aufgetragen hatte. »Allein wirst du dieses Ziel jedoch kaum erreichen können. Du brauchst Wesen, die aus den Völkern deiner Mächtigkeitsballung kommen und die Fähigkeit besitzen, dir zu helfen.«
Ein spöttisches Lachen war die Reaktion darauf.
»Wie sollten mir Wesen helfen, die auf einer viel niedrigeren Entwicklungsstufe stehen? Gewiss, ich weiß, dass ich die Völker des von mir behüteten Sektors beaufsichtigen und lenken kann, und dies ganz in meinem Sinn. Aber Individuen?«
Bei allen Planeten, wie kann ich ihm etwas erklären, was ich selbst nicht verstehe?, dachte Carfesch.
»Auch die Kosmokraten bedienen sich ab und zu einzelner Wesen, die berufen sind, große Leistungen zu vollbringen«, sagte er. »Diese Helfer sind im Wächterorden der Ritter der Tiefe vereint. Die beiden, die jeweils einen besonderen Zellaktivator erhalten sollen, besitzen ungewöhnliche Fähigkeiten. Ihr Status wird dem eines Ritters der Tiefe entsprechen.«
»Ich habe den Eindruck, du weißt nicht einmal, wie diese beiden Wesen heißen und wo sie zu finden sind!«, rief ES.
»So ist es«, bestätigte Carfesch. »Sobald die Zellaktivatoren aktiviert und vorjustiert sind, können sie von niemand anderem getragen werden. Damit unterscheiden sie sich erheblich von den Apparaten, mit denen du ab und zu relative Unsterblichkeit verleihst.«
Eine Zeit lang herrschte Stille. Unbehaglich blickte Carfesch zu Begleiter hinüber, der wie erstarrt dastand.
»Sogar für eine Superintelligenz ist es nahezu unmöglich, die passenden Intelligenzen für die beiden Aktivatoren zu finden«, behauptete ES nach einer Weile. Carfesch konnte die unterschwellige Kritik an der Handlungsweise der Kosmokraten kaum überhören.
»Trotzdem ist es unerlässlich, sie aufzuspüren«, beharrte der Gesandte.
Ein Wesen, das ein nahezu identisches Ebenbild von Begleiter war, betrat durch eine bislang unsichtbare Seitentür die Kuppelhalle. Auf einem irisierenden Energiefeld trug es zwei oval geformte Gegenstände herein. Auch ohne sie je gesehen zu haben, erkannte Carfesch, dass es sich um die Aktivatoren handelte.
»Es ist müßig, mit dir darüber zu diskutieren, ob ich Erfolg haben werde oder nicht«, sagte ES etwas versöhnlicher. »Ich weiß, dass du als Bote keine Verantwortung für das trägst, was du mir übermittelst.«
Begleiters Doppelgänger machte vor Carfesch halt. Die Augen im glatten Gesicht wirkten seelenlos.
Einer Eingebung folgend, legte Carfesch den Memoring zwischen beide Aktivatoren. Dabei berührte er mit seinen Krallenenden die eiförmigen Apparate. Er spürte eine belebende Kraft, die durch seine Arme in den Körper strömte. Für einen Augenblick gab er sich diesem wunderbaren Gefühl hin und erfasste, was es hieß, ein Unsterblicher zu sein.
Schon zog der Androide das Kraftfeld mit den Aktivatoren und dem Memoring zurück, drehte sich um und ging.
»Ich hoffe, dass ich richtig gehandelt habe«, murmelte Carfesch benommen.
»Das hast du«, bestätigte ES.
Der Blick in den ineinanderfließenden, pulsierenden Ball schmerzte Carfeschs Augen. Er senkte den Kopf. »Ich werde Ambur nicht wieder verlassen können.« Ein Hauch von Wehmut schwang in seiner Stimme mit.
»Deine Reise ist hier zu Ende«, bestätigte ES. »Ich werde dich in mir aufnehmen, wie es vereinbart ist. Sicher empfindest du das als Nachteil, aber so hast du wenigstens Gelegenheit, das Ende der Suche mitzuerleben.«
Wie viele Ewigkeiten werden vergehen, bevor ES auch nur einen der beiden Empfänger finden kann?, fragte sich der Gesandte.
Vielleicht waren diese Wesen nur eine Fiktion, ein absurder Traum der Kosmokraten in ihrem offenbar verzweifelten Kampf um Dinge, von denen Carfesch zum größten Teil nicht einmal etwas ahnte.
Jemand berührte ihn am Arm. »Komm, Bote!«, sagte Begleiter. »Ich bringe dich in deine Unterkunft.«
Graffiti
Sein Name ist Kdoro. Er gilt als mutiger Mann, manche bezeichnen ihn als Revolutionär. Soeben hat er eine Straße und damit eine unsichtbare Grenze überquert. Vor dem Eingang eines Restaurants hält er zögernd inne. Ein Schild an der Tür belehrt ihn, dass nur Weiße Zutritt haben.
Kdoro ist ein schlanker großer Mann von 45 Jahren. Vor allem ist er schwarzhäutig. Er öffnet die Tür und betritt das Restaurant. Atemlose, gespannte Stille umfängt ihn. Sofort kommen zwei Männer auf ihn zu, ergreifen ihn an den Armen und führen ihn hinaus. Der eine boxt ihm in die Rippen, der andere sagt: »Lass dich hier nie wieder sehen!«
Kdoro überquert die unsichtbare Grenze ein zweites Mal – in der Richtung, aus der er vor wenigen Minuten kam.
Sein gekränkter Stolz gebiert Hass.
Kdoro ist ein Terraner.
Die Suche – Teil I
Im Grunde genommen führten Berritz und Charruta ein schlaues Leben, und sie hatten es, zumindest am Anfang, auch genossen. Irgendwann war jedoch die Saat der Unzufriedenheit aufgegangen. Seitdem vergrößerte jeder Fehlschlag die Frustration der beiden Gargamanen.
Dabei mangelte es ihnen an nichts. Ihr Raumschiff, mit dem sie ihren Sektor seit Jahrzehnten absuchten, war jedem anderen Fahrzeug überlegen. Innerhalb des Suchgebiets gab es herrliche Welten, auf denen sie sich amüsieren und ausspannen konnten.
Mit der Zeit war ihnen jedoch bewusst geworden, dass schon vor ihnen unzählige Wesen dieses Raumgebiet durchstreift hatten und dass nach ihnen vermutlich weitere Generationen von Suchern erfolglos tätig sein würden. Diese niederschmetternde Vorstellung wurde durch die Tatsache verstärkt, dass der Sektor nur einer von unglaublich vielen war. Die gesamte Aktion war weder räumlich noch zeitlich überschaubar, jedenfalls nicht für die Gargamanen. Das stempelte sie zu bloßen Mechanismen und ließ sie ihre Aufgabe mit stärker werdendem Widerwillen sehen.
Wieder hatten sie ein Sonnensystem abgesucht, aber das erhoffte Muster zellularer Individualschwingungen nicht geortet.
Charruta hieb vor Zorn und Enttäuschung mit der schnabelähnlichen Aufstülpung seines Mundes auf die Seitenlehne seines Sessels. »Das wird sich bis an unser Lebensende wiederholen«, krächzte er. »Wir dringen in ein Sonnensystem ein, sehen uns nach belebten Welten um und messen die Individualschwingungen der Eingeborenen.«
Berritz, älter und weniger impulsiv, wiegte nachdenklich den blau gefiederten Kopf. Die Ausbrüche seines Begleiters wurden in letzter Zeit heftiger und bereiteten ihm Sorge.
»Wir kennen nicht einmal unseren Auftraggeber«, fuhr Charruta fort. »Ich bin es einfach leid, mein Leben für diese Suche zu verschwenden.«
Berritz äugte zu ihm hinüber. »Was sollten wir deiner Ansicht nach tun?«
Charrutas Gefieder an der Halskrause sträubte sich zu einem farbenprächtigen Kranz. Er klopfte auf die Konsole vor ihm.
»Besitzen wir nicht ein prächtiges Schiff, und steht uns nicht der Weltraum offen? Warum verschwinden wir nicht aus diesem Sektor und suchen endlich nach unserem Volk?«
»Das wäre Desertion.«
»Desertion wovon? Welcher Armee gehören wir an? Wir bekommen weder sie noch ihren Anführer je zu sehen.«
»Das Schiff hört dich!«, mahnte Berritz.
Charruta sprang auf. Er war groß und ungewöhnlich kräftig. »Natürlich hörst du mich, du seelenloses Ding von einem Raumschiff!«, schrie er in die Zentrale. »Aber ich habe keine Furcht vor dir. Du wirst mir gehorchen, wenn ich dir Befehle erteile.«
Berritz lauschte in die Tiefe des Schiffes, aber es reagierte nicht.
»Lass uns damit aufhören!«, drängte Charruta. »Auch wenn wir eine Bestrafung herausfordern. Die Sinnlosigkeit unserer Suche macht mich krank, ich halte das nicht länger durch.«
Früher, dachte Berritz, hatten sie sich als Teil eines Galaxien umspannenden Planes gefühlt und waren zufrieden gewesen. Je mehr sie über ihre Arbeit nachgedacht hatten, desto mehr war ihre Unzufriedenheit gewachsen. Die Erfolglosigkeit ließ sie verzweifeln.
Charruta verlegte sich aufs Flehen. »Du bist mein Freund, Berritz. Haben wir nicht alle Jahre gut zusammengearbeitet und uns beigestanden? Du darfst dich jetzt nicht von mir trennen.«
»Du bist es, der von Trennung spricht.«
Charruta prallte zurück. »Wenn du nicht bereit bist, mit mir an Bord dieses Schiffes weiterzuziehen und endlich etwas Vernünftiges zu tun, werde ich allein aufbrechen«, sagte er dumpf.
»Und was soll mit mir geschehen?«
»Ich werde dich auf einem Planeten absetzen, auf dem du überleben kannst.«
»Das wäre doppelter Verrat«, protestierte Berritz. »An mir und an unserer Arbeit.« Aber vielleicht will ich es so, fügte er in Gedanken hinzu. Vielleicht will ich, dass endlich etwas geschieht.
Charruta beugte sich über ihn und drückte ihn in den Sessel zurück. Er löste den mehrfach verschlungenen Gürtel von seinen Hüften und fesselte Berritz damit.
Berritz ließ es widerstandslos geschehen, wunderte sich allerdings, dass das Schiff nicht eingriff. Vielleicht waren die robotischen Einrichtungen nicht für den Fall einer Meuterei programmiert.
»Du kannst sicher verstehen, dass ich dich schnell loswerden möchte.« Charruta überzeugte sich von der Haltbarkeit der Fesseln. »Wenn du zu lange mein Gefangener bist, wird mich das Mitleid übermannen, und wir werden wieder in den alten Trott verfallen.«
»Ja«, sagte Berritz traurig. »Ich kann dich verstehen.«
Charruta öffnete die verklebten Augen. In letzter Zeit brauchte er nach dem Erwachen immer einige Minuten, um sich zu orientieren. Mit zunehmendem Alter ließ seine Konzentrationsfähigkeit nach, und eines Tages würde er nicht mehr aus dem Schlaf erwachen.
Wie wird das Schiff dann reagieren?, fragte er sich. Er kannte die Antwort, wollte sich diese Wahrheit aber nicht eingestehen. Eine neue Suchmannschaft würde an Bord kommen, denn die Suche musste weitergehen.
»Schiff«, sagte er matt. »Hörst du mich, Schiff?«
»Ich höre dich, Charruta«, erklang die Antwort aus unsichtbaren Akustikfeldern.
Der Gargamane prüfte die Kontrollsysteme. Er vergaß jetzt häufiger, die Arbeiten ebenfalls zu erledigen, die früher Berritz getan hatte. Manchmal ging das so weit, dass er glaubte, Berritz lebe noch an Bord.
»Wo befinden wir uns?«, erkundigte er sich müde.
Das Schiff nannte ihm die Koordinaten. Es trieb in freiem Fall in einem Außenbezirk des Suchgebiets, mindestens 150 Lichtjahre vom nächsten Sonnensystem entfernt.
»Warum hast du mich geweckt?«, fragte Charruta gereizt. »Hier werden wir kaum etwas aufspüren, was eine Untersuchung lohnt.«
»Beobachte die Schirme, es gibt ein Phänomen zu untersuchen!«, erwiderte das Schiff.
Träge blinzelte Charruta in die angegebene Richtung. Seine Gedanken schweiften ab. Einige Male hatte er versucht, jene Welt erneut anzufliegen, auf der er Berritz vor langer Zeit abgesetzt hatte. Er wollte den Gefährten wieder an Bord nehmen. Doch das Schiff hatte das ebenso verhindert wie seinen Plan, das Suchgebiet zu verlassen. Inzwischen erübrigte sich jeder weitere Versuch, denn Berritz musste schon lange tot sein.
»Was für ein Phänomen?« Die sprunghafte Art, sich mit den verschiedensten Dingen zu befassen, war für sein Verhalten typisch geworden.
»Im nächstgelegenen Sonnensystem und in dessen Nachbarschaft spielen sich seltsame Ereignisse ab«, informierte ihn das Schiff. »Dort findet ein Einbruch aus einem anderen Kontinuum statt. Eine gewaltige Überlappungsfront ist entstanden, durch die Energien aus einem anderen Universum in das unsere eindringen.«
Charruta versuchte, das Gehörte zu verarbeiten. Es gelang ihm nicht ganz. »Ich verstehe nicht, warum uns das interessieren sollte«, sagte er abweisend. »Wir sind nicht unterwegs, um kosmische Vorgänge zu untersuchen.«
Ich verteidige meine eigentliche Aufgabe, dachte er belustigt. Welche Ironie!
»Im Gebiet der Überlappungszone finden Kämpfe statt«, fuhr das Schiff fort. »Sie werden zwischen walzenförmigen Einheiten, die in unser Universum eindringen, und hiesigen Kugelraumern ausgetragen. Hauptschauplatz der Auseinandersetzungen scheint der dritte Planet des betroffenen Sonnensystems zu sein.«
Charruta öffnete den schnabelförmigen Mund. Er fühlte sein Alter wie ein körperliches Gewicht. Informationen wie die gerade gehörten hätten ihn vor nicht allzu langer Zeit noch elektrisiert. Nun war er zu müde, um sich davon aktivieren zu lassen.
»Du erwartest hoffentlich nicht, dass wir uns dem Kampfgebiet nähern?«, fragte er erstaunt.
»Es ist offensichtlich, dass dort Intelligenzen operieren, die wir bisher in diesem Sektor nicht beobachten und untersuchen konnten.«
Charruta stellte sich vor, wie er mit seinem Schiff zwischen feuernden Raumern kreuzte, um die Individualschwingungen der Kämpfenden zu sondieren. Der Gedanke erschien ihm ebenso abenteuerlich wie absurd.
»Es wäre ein zu großes Risiko«, gab er zu bedenken.
»Zur Erreichung unseres Zieles ist das jeweils höchste Risiko einzugehen«, belehrte ihn das Schiff, als lese es Bestimmungen ab.
Charrutas abgenutzte Gelenke knackten, als er den Raumanzug aus der Wandnische nahm und ihn anlegte. In dem schweren Anzug fühlte er sich wie ein aufgeblasener Ballon.
Die Schirme zeigten ein grelles Lodern. Nahe der gelben Sonne, auf die das Schiff zuraste, klaffte ein leuchtender Spalt mit wabernden Außenrändern wie das Riesenmaul eines Ungeheuers. Im Zentrum der Öffnung glühte es dunkelrot, und dieser Anblick ließ alle Gleichgültigkeit von dem Gargamanen abfallen. Wenn sie in diesem System auch nicht finden würden, was sie suchten, so würde es doch faszinierend sein, Wesen aus zwei verschiedenen Universen miteinander ringen zu sehen.
Ein neues Geräusch ließ Charruta seine Betrachtungen unterbrechen. Rhythmische Töne kamen von der Ortung – Töne, wie sie an Bord nie zuvor erklungen waren.
Das Schiff war einzig und allein zu dem Zweck gebaut worden, diese Töne zu empfangen.
Ein Schwall wilder Empfindungen flutete durch Charrutas alten Körper, ließ ihn aufspringen und triumphierend schreien.
»Schiff! Hörst du es, Schiff?«
»Natürlich höre ich es«, sagte der Roboter gleichmütig.
Charruta taumelte zu den Kontrollen. »Wir haben ihn gefunden!«, schrie er äußerst aufgeregt. »Wir haben einen der beiden potenziellen Träger gefunden. Ausgerechnet wir haben es nach so langer ...« Seine Stimme versagte, in ihm krampfte sich alles zusammen. Er kippte zurück und fiel schwer in den Sessel. Sein müdes Herz war dem Gefühlschaos nicht mehr gewachsen.
»Dieser Träger befindet sich unter den Kämpfenden«, flüsterte er mit äußerster Anstrengung. »Weißt du, was das bedeutet ...?«
Das Schiff schwieg. Es drang in das Gebiet ein, in dem die Kämpfe am heftigsten tobten, und war vermutlich gezwungen, alle Einheiten auf die Umgebung einzusetzen.
Charruta konnte nicht mehr sprechen, er spürte den letzten Funken Leben aus seinem Körper strömen.
Es bedeutet, dass der Augenblick des höchsten Triumphs zum Augenblick der schrecklichsten Niederlage werden kann, falls der potenzielle Träger getötet wird, bevor er den Zellaktivator erhält. Das waren seine letzten Gedanken.
Charrutas Bewusstsein erlosch, und das Schiff machte sich daran, die Aufgabe allein zu erfüllen. Es musste die Zentrale informieren und den Zellaktivator für die Übergabe anfordern.
Jedes Mal, wenn Carfesch aus dem Sammelbewusstsein von ES ausschied, tat er das in seiner ursprünglichen Gestalt. Allerdings konnte er nicht verhindern, dass ihm dieser Körper immer fremder und unvorteilhafter erschien. Carfesch hatte an der vergeistigten kollektiven Lebensform der Superintelligenz ES so viel Gefallen gefunden, dass er den Bewusstseinsblock nur mehr ungern verließ. Er sah jedoch ein, dass er besser als jedes andere Bewusstsein in der Lage war, die Suche nach den Trägern für die speziellen Zellaktivatoren zu koordinieren.
Fehleinschätzungen hatten mehrmals zu Erfolgsnachrichten geführt, die sich im Nachhinein als falsch erwiesen hatten. Diesmal bestanden jedoch keine Zweifel mehr, dass einer der beiden vorgesehenen Träger entdeckt worden war – nach so langer Zeit, dass Carfesch sich kaum erinnerte, wann die Suche eigentlich begonnen hatte.
Zusammen mit Begleiter II verließ er die Kuppel und begab sich zu dem landenden Robotschiff, das einen Teil des Auftrags erfolgreich zu Ende geführt hatte. Obwohl Carfesch schon viele dieser von ES eingesetzten Schiffe gesehen hatte, interessierten sie ihn nach wie vor. Er beobachtete, wie das asymmetrisch geformte Gebilde mit den zahlreichen Auswüchsen an den Bordwänden lautlos auf dem freien Platz im Zentrum der Stadt aufsetzte.
»Soll ich vorgehen?«, erkundigte sich Begleiter II. »Es ist immerhin möglich, dass das Schiff während seines langen Fluges erhebliche Beschädigungen erlitten hat, die einen Besuch an Bord zur Gefahr machen.«
»Du vergisst, dass mein Körper mehr oder weniger eine Fiktion ist, aus der ich mich jederzeit zurückziehen kann.« Carfesch lächelte.
Vor ihm öffnete sich die runde Schleuse.
Er trat ein. Obwohl keine Abnutzung sichtbar war, spürte er die gewaltigen Zeitspannen, die sich in diesem Schiff niedergeschlagen hatten. Gedanken und Gefühle längst verstorbener Besatzungsmitglieder waren gleichsam wie unsichtbare Gravuren dramatischer Schicksale in die stählernen Wände eingeritzt.
Begleiter II blieb in der Schleuse zurück, ein einsamer Aufpasser.
»Hallo, Schiff!«, sagte Carfesch. »Ich hoffe, du kannst mich verstehen.«
»Ich verstehe dich«, antwortete der Roboter.
»Gib mir die Koordinaten des Sektors, in dem der Träger gefunden wurde! Außerdem benötige ich alle Informationen über diese Person.«
Das Schiff nannte eine Reihe von Entfernungsangaben und Positionsdaten. »Das Wesen, das wir gefunden haben, ist ein Arkonide namens Atlan«, stellte es danach fest und berichtete, was es über diesen Mann wusste.
»Hast du dem Träger die Botschaft von ES übermittelt?«, fragte Carfesch schließlich.
»Das habe ich«, lautete die Antwort.
»Wiederhole sie!«
»Ich bin beauftragt worden, dir zum Zweck einer ständigen Zellkernregeneration einen Mikroaktivator zu überreichen«, dozierte das Schiff. »Ich werde deine individuellen Schwingungen auf den Zellaktivator übertragen.«
Carfesch verglich den aufgesagten Text mit seinem eigenen. Er fand keine Abweichung.
»Nun den zweiten Teil!«, verlangte er.
»Mein Erbauer ist nicht befugt, direkt einzugreifen. Er gibt dir damit die Gelegenheit, in seinem Sinn zu handeln.«
»Gut.« Carfesch versuchte sich vorzustellen, wie der Arkonide auf die Botschaft reagiert haben mochte. Dieser Atlan war unvermittelt mit Ereignissen von kosmischer Bedeutung konfrontiert worden. War er überhaupt psychisch ausreichend stabil, um damit fertig zu werden?
»Entsprechend meinem Auftrag habe ich Atlan zusätzlich einige Konstruktionsunterlagen überreicht«, erklärte der Roboter.
Carfeschs strohgelbes Gesicht verzog sich zur Grimasse. Dass es sich um die Konstruktionspläne einer gefährlichen Waffe handelte, machte ihn betroffen. Doch es war nicht seine Idee gewesen, einen der potenziellen Träger auf diese Weise auszurüsten. ES musste wissen, was er tat.
Carfesch kehrte mit Begleiter II in die Kuppelhalle zurück. Niemand hätte ihm verwehrt, seine Körperprojektion sofort zu verlassen und in den Bewusstseinsblock zurückzukehren, doch er hockte sich auf den Boden der Halle, um ungestört nachzudenken.
Schließlich empfing er einen Gedanken von ES. Was beschäftigt dich, Carfesch?
Gegen seine sonstige Gewohnheit sprach er die Antwort aus: »Der Gedanke an den zweiten Träger und ob wir ihn jemals finden werden.«
Ich bezweifle es nicht, meinte ES. Nun, da unserer Suche endlich ein Teilerfolg beschieden war, kann es nicht mehr lange dauern, bis der zweite Aktivator der Kosmokraten seinen Adressaten erreicht.
Das war eine der wenigen Prophezeiungen der Superintelligenz, die sich nicht erfüllten. Zehntausend Jahre irdischer Zeitrechnung sollten vergehen, bis die Suche erfolgreich abgeschlossen werden konnte.
Und auf jene, die den zweiten Träger finden würden, wartete ein Schock.
Graffiti
Sein Name ist Standing Bear. Auf seine Lanze gestützt, steht er auf dem hart getrampelten Boden vor seinem Tipi. Sein Körper ist geschwächt vom Alkohol, die Augen haben ihr Feuer verloren. Obwohl er Mühe hat, nicht zu schwanken, drückt seine Haltung eine Würde aus, die sich über alles erhebt, was ringsum geschieht.
Zwei Männer, die ihn gierig, aber auch mit einer gewissen Scheu betrachten, halten ihm ein schmieriges Papier vor das Gesicht. »Dies ist der Kontrakt, Standing Bear«, sagt einer der beiden. »Du hast dein Zeichen darunter gesetzt.«
»Ja«, entgegnet Standing Bear, ohne den Fetzen Papier anzusehen. »Dies ist mein Zeichen.«
»Du wirst dich also mit deinem Volk in das Reservat zurückziehen?«
Standing Bear schweigt und blickt über das weite Land, das er unter seinen Füßen spürt und das er nun verloren hat.
Standing Bear ist ein Terraner.
Die Suche – Teil II
So riesig die KORKOOR-AAR auch war, für ihren Kommandanten Jynker Rook bestand sie nur noch aus der Zentrale und einem Teil des tief in das Schiff führenden Hauptkorridors, denn alle anderen Räume waren vom Feind erobert. Der letzte Bereich des Hauptkorridors war hochgradig radioaktiv verseucht und angefüllt mit den Überresten der Schutzanzüge, mit denen die Faadenwarner in die Zentrale einzudringen versucht hatten. Die herumliegenden grotesken Gebilde waren stumme Zeugen der Aggressivität des Gegners – und seiner zunehmenden Intelligenz.
Jynker Rook warf einen letzten Blick auf den Holoschirm, über den er diese Todeszone beobachten konnte, und überzeugte sich, dass aktuell kein Angriff drohte. Er wusste nicht, wie viele Faadenwarner inzwischen an Bord lebten, aber sicher ging ihre Zahl in die Tausende. Als die KORKOOR-AAR vor langer Zeit zu ihrer Mission gestartet war, hatten dreitausend Artgenossen Jynker Rooks an Bord gelebt und bestenfalls ein halbes Dutzend Faadenwarner, damals noch naive Spielgefährten einiger junger Raumfahrer.
Rook tappte schwerfällig zur Strahlendusche und schleuste sich unter sorgfältiger Beachtung aller Sicherheitsvorschriften ein. Die Dusche war der einzige Platz in dem von Rook noch kontrollierten Teil des Schiffes, der bislang nicht strahlenverseucht war und in dem er den unbequemen Schutzanzug ablegen konnte. Früher hatte er regelmäßig geduscht. Seit er befürchten musste, dass die Faadenwarner einen solchen Moment für einen Angriff nutzen könnten, wählte er seine Erholungszeiten willkürlich.
Jynker Rook war ein gepanzerter Koloss, ein bulliger Nachkomme der für den Einsatz auf Welten mit hoher Gravitation genetisch manipulierten Druisen. Er war Kommandant, weil es außer ihm keine regulären Besatzungsmitglieder mehr gab; bei voller Besatzungsstärke hätte er bestenfalls bis zum Hangarleiter aufsteigen können.
Rook versiegelte das Schleusentor von innen und prüfte alle Instrumente, bevor er seinen Schutzanzug öffnete und sich herausschälte. Ein sensiblerer Druise als er hätte vermutlich längst aufgegeben und den Freitod gewählt.
Er genoss die seltenen Augenblicke körperlicher Freiheit. Feuchte Dämpfe umspülten ihn, während der Anzug in einer Wirbelanlage gereinigt wurde. Die Radioaktivität war keine seiner Verteidigungsanstrengungen, sondern Zeugnis des letzten entscheidenden Kampfes einer Handvoll Druisen gegen die Faadenwarner. Die Raumfahrer unter der Führung von Zaagyn Toor hatten damals versucht, einen Durchbruch von der Zentrale zum Bordobservatorium zu schaffen. Sie waren gescheitert und getötet worden. Die Faadenwarner mussten es verstanden haben, weite Teile der KORKOOR-AAR von der Strahlung abzuschirmen, anders waren ihre geringen Verluste kaum zu erklären. Jynker Rook war seinerzeit als Bewacher der Zentrale zurückgeblieben und hatte als einziger Druise diesen Kampf überlebt.
Wenn er zurückdachte, erschien es ihm weiterhin unvorstellbar, dass die Faadenwarner die Auseinandersetzung gewonnen hatten. Sehr lange hatte der Gegner es verstanden, seine erlangte Intelligenz vor der Besatzung zu verbergen. Die Druisen hatten die explosionsartige Vermehrung der Faadenwarner zunächst begrüßt, denn jedes neugeborene Wesen war ein willkommener Spielgefährte für die von Langeweile geplagten Raumfahrer gewesen.
In einer Schlafperiode der Druisen hatten die Faadenwarner dann zugeschlagen. Es war nur einem Zufall zu verdanken gewesen, dass die in der Zentrale befindlichen Besatzungsmitglieder nicht von diesem Überfall überrascht und wie ihre Artgenossen überall im Schiff getötet worden waren.
Rooks breiter Schuppenschwanz zuckte unruhig. Ein Grollen voller Zorn und Hass drang aus seinem mächtigen Brustkorb. In solchen Augenblicken musste er an sich halten, nicht aus der Zentrale auszubrechen und sich auf den ersten Faadenwarner zu stürzen, den er sah. Vermutlich hätte er bei einer solchen Aktion den einen oder anderen Gegner töten können, aber danach hätte er keine Chance mehr gehabt, sich wieder in die Zentrale zurückzuziehen.
Dass er in seiner Situation nicht zum letzten Mittel griff und mit der Selbstvernichtungsanlage der KORKOOR-AAR das Schiff, die Faadenwarner und sich selbst auslöschte, hing mit dem einstigen Auftrag der Besatzung zusammen, der Suche nach einem bestimmten Wesen, das vielleicht in diesem Raum und in dieser Zeit lebte. Wenn Rook wegen seiner misslichen Lage auch kaum mehr Zeit hatte, über diesen Auftrag nachzudenken, so war er doch weiterhin von dessen großer Bedeutung überzeugt. Vielleicht deshalb, weil er genau wusste, dass die KORKOOR-AAR nur eines in einem Schwarm der unterschiedlichsten Suchschiffe und er nur einer in einer unvorstellbar großen Armee Suchender war.
In der Dusche leistete Rook sich den Luxus, über solche Dinge zu sinnieren.
Diesmal nahm er sich mehr Zeit. Müdigkeit machte sich in ihm breit, obwohl ihn die wohltuende Wärme hätte beleben sollen.
Da war ein Geräusch. Rook richtete sich in der typischen Alarmstellung auf, um zu lauschen.
Die Faadenwarner!, schoss es ihm durch den Sinn, und Panik ergriff von ihm Besitz. Sie haben die Gunst der Stunde genutzt und sind in einer neu konstruierten Schutzvorrichtung in die Zentrale eingedrungen.
In Gedanken hatte er eine derartige Situation vielleicht tausendmal durchgespielt und war dabei nur zu dem Ergebnis gekommen, dass sie die Niederlage und seinen Tod bedeuten würde.
Mit einem Griff riss er die Wirbelanlage auf und zog den tropfnassen Schutzanzug heraus. Vielleicht, dachte er mit aufkeimender Hoffnung, hatte er noch eine Chance, falls die Faadenwarner nur mit einem kleinen Stoßtrupp vorgestoßen waren. Dann konnte er sie zurückwerfen und versuchen, das Leck in seiner Abwehr wieder zu schließen.
Hastig legte er den Schutzanzug an. Die Strahlendusche besaß keine optische Verbindung nach draußen, er konnte nicht sehen, was in der Zentrale vorging.
Rook ergriff den schweren Mörser, den er auf einer Bank abgelegt hatte. Es war eine seiner wenigen noch einsatzbereiten Waffen.
Zögernd begab er sich in die Schleuse. Er hob den Mörser, während das zur Seite gleitende Schott den Blick in die Zentrale freigab. Seine Klaue zuckte vom Auslösemechanismus der schweren Waffe zurück – nicht ein einziger Faadenwarner war zu sehen.
Rook stürmte weiter. Der Holoschirm zeigte die verseuchte Zone des Hauptkorridors, die ebenso verlassen erschien wie die Zentrale.
In dem Moment wiederholte sich das Geräusch. Es war ein durchdringendes, von den Bordinstrumenten ausgehendes Schrillen.
»Das Signal!«, brüllte Rook in die Stille der Zentrale. »Es ist das Signal!«
Nahezu gleichzeitig wurde ihm bewusst, wie sinnlos es für ihn war, dass er das Signal hier und jetzt hörte, und in unbeschreiblicher Wut und Enttäuschung hämmerte er mit der freien Klaue auf die Instrumente ein, bis sie unter seinen Hieben verstummten.
Für den im Grunde genommen unwahrscheinlichen Zufall des Erfolgs verfügte jedes Suchschiff über die Möglichkeit, eine Nachricht an die unbekannte Zentrale der Suchaktion zu senden. Die Zentrale würde dann dafür sorgen, dass der Zellaktivator herbeigeschafft und dem potenziellen Träger übergeben wurde.
Jynker Rooks Dilemma bestand darin, dass sich der Impulssender der KORKOOR-AAR nicht im Kommandoraum, sondern in einem von den Faadenwarnern kontrollierten Sektor des Schiffes befand.
Rook wusste, wie gering die Wahrscheinlichkeit war, dass ein zweites Suchschiff ebenfalls das Signal empfangen würde – eigentlich bestand diese Wahrscheinlichkeit überhaupt nicht. Seine eigene Lage erschien dem Druisen wie eine kaum zu überbietende Ironie des Schicksals. Er konnte nicht einmal erkennen, wie das Gebiet aussah, in dem die KORKOOR-AAR gerade operierte; die Außenbeobachtung blieb dunkel, seitdem die Faadenwarner weite Bereiche besetzt hielten.
Nachdem sich seine Erregung etwas gelegt hatte, dachte Rook intensiver über seine Möglichkeiten nach. Der Impulssender stand im Bordobservatorium, drei Decks unter der Zentrale, an der äußeren Schiffshülle. Er hätte ebenso gut viele Lichtjahre weit entfernt sein können, denn Rook konnte allein nicht schaffen, was Zaagyn Toor und seiner Gruppe misslungen war.
Die Faadenwarner wussten vermutlich nichts von der ursprünglichen Aufgabe des Schiffes; sie hatten einzig und allein die Eroberung der KORKOOR-AAR im Sinn. Jynker Rook wünschte, er hätte etwas über die Mentalität seiner Gegner gewusst.
Während er seine Ausrüstung vor sich aufbaute, registrierte er aus den Augenwinkeln eine Bewegung auf dem Holoschirm. Ein Faadenwarner war im verseuchten Abschnitt des Hauptkorridors erschienen, das Wesen steckte in einem plumpen Panzer. Rook aktivierte die Waffen im Außenschott der Zentrale. Er wunderte sich, dass der Faadenwarner allein kam, denn im Allgemeinen rottete sich der Feind zusammen.
»Ich kann dich sehen«, sagte Rook hasserfüllt über Interkom. »Wenn du weitergehst, wirst du so enden wie alle anderen vor dir.«
Er hatte schon oft zu den Belagerern gesprochen, aber nie eine Reaktion erzielt. Entweder verstanden die Faadenwarner die Sprache der Druisen nicht, oder sie weigerten sich einfach, mit dem Gegner zu reden.
Diesmal hielt der Faadenwarner zumindest inne.
Rook dachte nach. Wenn er um den Besitz der Zentrale ein Scheingefecht entfesselte, konnte er die Aufmerksamkeit der Angreifer vielleicht von sich ablenken. Er hatte genügend automatische Waffen, die selbsttätig funktionierten. Die Frage war nur, wie lange auf diese Weise die Erstürmung der Zentrale verhindert werden konnte. Die Zentrale besaß nur einen Ausgang, aber Rook traute sich zu, durch die Klimaanlage kriechend einen anderen Raum zu erreichen. Von dort aus musste er sich zum Bordobservatorium schleichen, bevor die Faadenwarner herausfanden, dass die Zentrale aufgegeben worden war.
»Ich wünschte, wir könnten miteinander reden«, sagte Rook, um Zeit zu gewinnen. »Aber wahrscheinlich verstehst du mich überhaupt nicht, du kleines Ungeheuer.«
Der Faadenwarner stellte etwas im Korridor auf. Dieser Vorgang bedeutete allerhöchste Gefahr. Rook justierte die automatischen Waffen. Anschließend band er den Mörser an seinem Oberkörper fest, damit dieser ihn beim Durchqueren der Luftschächte am wenigsten behindern konnte.
Inzwischen arbeitete der Faadenwarner im Hauptkorridor unverdrossen weiter.
Als Jynker Rook die Klappe vom Lüftungsschacht abhob und mühsam in die Öffnung kletterte, gab es für ihn kein Zurück mehr. Er zog die Klappe hoch und befestigte sie notdürftig von innen, sodass sein Fluchtweg nicht sofort zu erkennen sein würde.
In dem dunklen Schacht spürte er Beklemmung, er glaubte, ersticken zu müssen. Das rhythmische Fauchen seines Sauerstoffaggregats beruhigte ihn jedoch bald wieder, und er schob sich weiter durch den engen Luftkanal.
Nur allmählich wurde er sich der Konsequenzen seines Handelns bewusst. Er hatte den letzten Raum an Bord verlassen, der ihm eine Überlebenschance bot. Damit hatte er sein eigenes Todesurteil besiegelt. Er konnte jetzt nur noch hoffen.
Die Robotwaffen traten in Aktion, als Rook sich in der Mitte des Schachtes befand. Der Druise registrierte eine schwache Erschütterung.
Unangefochten erreichte er das Schachtende. Die herrschende Enge bereitete ihm einige Schwierigkeiten, den Mörser von der Brust zu lösen und zu entsichern. Rooks Kraft reichte nicht aus, um die Randklappe aufzustoßen, er musste sie zerschießen. Dabei lief er Gefahr, dass in der Nähe befindliche Faadenwarner aufmerksam wurden, aber ebenso, dass die im Schacht zurückschlagende Energie seinen Schutzanzug beschädigte.
Der Mörserschuss riss den Schacht über eine Länge von mehreren Metern auf und katapultierte die Trümmer in den angrenzenden Raum. Hätten sich dort Faadenwarner aufgehalten, wären sie wohl auf der Stelle getötet worden. Der Rückschlag trieb Rook ein ganzes Stück in den Schacht zurück, und er blieb eine Zeit lang wie betäubt liegen. Schließlich schwang sich der Druise über verbogene Verstrebungen und zerfetzte Wände auf den Boden des Raumes, der früher einmal als Gemeinschaftskabine gedient hatte.
Niemand war zu sehen. Rook hastete zur Tür und stieß sie auf. Vor ihm lag ein schmaler Seitengang. Rook ging davon aus, dass viele Faadenwarner die Explosion gehört hatten, deshalb lief er, ohne innezuhalten, weiter. Er bog nach rechts ab und gelangte durch drei dicht hintereinander angeordnete Schotten in einen der Maschinenräume, die rings um die Zentrale angelegt waren.
Die KORKOOR-AAR bestand aus zwei riesigen, mit ihren flachen Seiten zueinander stehenden Halbkugeln, die durch einen fünfhundert Meter durchmessenden Zylinder miteinander verbunden waren. Eine der beiden Komponenten war lediglich ein gigantisches Depot, während die zweite, in der sich Rook nun aufhielt, das eigentliche Schiff darstellte.
Die Decks der KORKOOR-AAR waren durch Lifte und Antigravschächte miteinander verbunden, aber Rook dachte nicht daran, einen dieser leicht überschaubaren Wege zu wählen. Er musste drei Decks tiefer gelangen, und dieses Ziel wollte er über das Notröhrensystem erreichen. Hinter dem Maschinenraum lag eine von unzähligen Einstiegsluken.
Rook war schon fast sorglos, als er den Maschinenraum verließ und das erste von zwölf Schiffslabors betrat. Seine Zuversicht endete aber jäh, denn auf der gegenüberliegenden Seite der Laborhalle tauchten sechs Faadenwarner auf. Das bedeutete, dass die Gegner seine Abwesenheit in der Zentrale entdeckt hatten oder zumindest einkalkulierten.
Spontan feuerte er den Mörser ab. Die Salve pulverisierte einen Teil der Laboreinrichtung und ließ ein Chaos aus Rauch und Flammen entstehen. Da das Feuer erwidert wurde, wusste Rook, dass zumindest einige seiner Gegner handlungsfähig geblieben waren.
Er hatte sich die Position der Einstiegsluke eingeprägt und stürmte nun darauf zu. Die Luke aufreißen und in die Röhre springen, war für ihn eins. Die halb organische Beschichtung der Innenseite bremste seinen Fall und besprühte ihn mit Sekreten, die Brandwunden heilen und positiv auf die Psyche Verletzter einwirken sollten; angesichts seines Schutzanzugs war das ein illusorischer Vorgang.
Rook warf den Kopf zurück und starrte nach oben, wo jeden Moment die ersten Faadenwarner erscheinen konnten. In dieser Situation konnte die Röhre zur tödlichen Falle werden. Eine einzige von den Gegnern in die Röhre geworfene Bombe würde schon genügen.
Doch Rook erreichte unbehelligt das tiefer gelegene Deck. Überzeugt davon, dass es falsch sei, das Glück weiter herauszufordern, verließ Rook die Röhre, obwohl sie ihn bis zu einem Außenhangar gebracht hätte. Er rannte einen Seitengang weiter. Hinter ihm zerbarst die Röhre in einer dumpfen Explosion und bewies damit, dass er richtig gehandelt hatte.
Der Druise lachte wild auf. Da die Faadenwarner nichts von der eigentlichen Aufgabe der KORKOOR-AAR wussten, konnten sie nicht ahnen, wo sein Ziel lag. Vermutlich nahmen sie an, dass er einen der Hangars erreichen und mit einem Rettungsboot fliehen wollte.
Rook erreichte eine andere Röhre, überprüfte sie kurz und vertraute sich ihr an. Er hätte jetzt seinen Anzug öffnen können, denn er befand sich mit Sicherheit nicht mehr im verseuchten Bereich des Schiffes. Er nahm sich jedoch nicht die Zeit dazu. Diesmal verließ er die Röhre nicht schon auf dem nächsttieferen Deck, sondern ließ sich eine Ebene weiter hinabgleiten.
Er rannte, bis er den zum Observatorium führenden Hauptkorridor erreichte. Vor ihm wälzten sich zwei Faadenwarner am Boden. In letzter Sekunde sah er, dass es sich um balgende Junge handelte, die ihr Spiel nun unterbrachen und ihn entsetzt anstarrten. Nur deshalb ließ er den Mörser sinken. Die dunklen, feucht schimmernden Augen der Faadenwarner und ihre runden Köpfe ließen sie hilflos erscheinen. Rook spürte das Verlangen, den Faadenwarnern über die pelzigen Schultern zu streicheln. Das brachte ihm wieder die Hintergründe der Katastrophe nahe. Er stieß eine Verwünschung aus und eilte weiter.
Die Faadenwarner hatten das Schott zum Observatorium zerstört und so verschweißt, dass der Öffnungsmechanismus nicht mehr funktionierte. Rook feuerte die letzten Mörserladungen gegen das Schott ab, legte es damit in Trümmer und warf die Waffe achtlos weg.
Durch den Korridor hallten wütende Rufe. Die Faadenwarner hatten den Druisen entdeckt und die Verfolgung aufgenommen.
Rook warf sich durch das zerstörte Schott ins Innere des Observatoriums. Er hatte nicht erwartet, dass die Blende über der Transparentkuppel zurückgefahren war, deshalb traf ihn der längst ungewohnte Anblick des Weltraums wie ein Schock. Im Zentrum der Kuppel hing eine gelbe Sonne, vermutlich das Gestirn jenes Systems, in dem der potenzielle Träger lebte.
Als Rook vor dem Sender stand, wurde ihm bewusst, dass sein Leben in Kürze enden würde. Er zerbrach das Siegel, denn für eine ordnungsgemäße Öffnung blieb keine Zeit mehr. Hinter ihm hörte er die Faadenwarner ins Observatorium eindringen. Die ersten Schüsse fauchten. Rook taumelte getroffen nach vorn, sein Anzug stand in Flammen, aber im Fällen betätigte er den Sender.
Rook starb mit einem Gefühl tiefen Bedauerns, dass er nicht mehr erfahren würde, wie seine Suche ausging ...
Ob man eine Projektion, die so perfekt war, dass sie sogar die Symbionten enthielt, überhaupt als eine solche bezeichnen konnte, war ein philosophisches Problem. Carfesch setzte sich jedes Mal aufs Neue damit auseinander, wenn er das Bewusstseinskollektiv von ES verließ, um im Auftrag des Geisteswesens bestimmte Aufgaben zu erfüllen.
Diesmal konnte er sich nicht lange mit Gedanken über seine eigene Zustandsform befassen, denn die erhaltenen Informationen waren derart ungeheuerlich, dass er zunächst an ihrer Richtigkeit zweifelte.
Carfesch stand in der großen Kuppelhalle und betrachtete die Hologramme, die von Begleiter II aufgebaut wurden. »Unglaublich«, murmelte der ehemalige Gesandte des Kosmokraten Tiryk im Selbstgespräch. »Die Spur führt in das System, in dem wir einst den Arkoniden Atlan aufspürten.«
Er hörte das telepathische Gelächter von ES. »Sooft du mich verlässt, verfällst du wieder in den Gebrauch von Begriffen wie ›unglaublich‹ oder ›unmöglich‹«, klang die sanfte Stimme der Superintelligenz auf. »Inzwischen solltest du klüger geworden sein. Wenn ich an einer solchen Möglichkeit gezweifelt hätte, wäre kein Suchschiff erneut in diesen Sektor geschickt worden.«
»Bei diesem System handelt es sich demnach um eine Art Brennpunkt in diesem Universum«, vermutete Carfesch. »Obwohl diese Sonne mit ihren Planeten in einem Seitenarm ihrer Galaxis liegt.«
Die Heiterkeit von ES verflog. »Eigentlich hatte ich erwartet, dass Arkon der Brennpunkt sein würde. Doch die Arkoniden konnten meine Erwartungen nicht erfüllen, obwohl einer von ihnen den Zellaktivator der Kosmokraten trägt.«
»Als wir Atlan fanden, lebten auf dem dritten Planeten dieser Sonne nur Halbwilde«, erinnerte sich Carfesch.
»Das ist lange her, und du unterschätzt die Entwicklung ...«
Carfeschs strohgelbes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Mein Interesse wächst, dorthin zu gehen«, gestand er. »Ich werde mit Begleiter II aufbrechen und den Zellaktivator übergeben.«
»Früher oder später werde ich dieses Wesen zu mir rufen«, sagte ES.
Unweit des Sonnensystems, das er aufsuchen sollte, entdeckte Carfesch das Wrack der KORKOOR-AAR. Das Schiff war weitgehend zerstört und trug kein Leben mehr.
Von Bord seines eigenen Raumfahrzeugs aus begann der ehemalige Diplomat mithilfe seines Begleiters, die Planeten des Sonnensystems zu untersuchen.
Wie Carfesch nicht anders erwartet hatte, gab es nur auf der dritten Welt Spuren von Leben. Die Zivilisation, die er bei einer näheren Untersuchung lokalisierte, bedeutete für den Beauftragten von ES in jeder Beziehung eine Enttäuschung. Ihre Angehörigen besaßen keine Raumfahrt und führten offenbar heftige Bruderkriege. Unklugerweise öffnete Carfesch sein Bewusstsein für den Empfang mentaler Impulse. Die Wildheit und Widersprüchlichkeit der auf ihn einstürmenden Gefühle wirkten niederschmetternd; unter diesen Umständen grenzte es schon an ein Wunder, dass diese Wesen sich noch nicht gegenseitig umgebracht und ihre Welt verwüstet hatten.
»Ich möchte so etwas niemals wieder erleben«, sagte Carfesch niedergeschlagen zu Begleiter II, nachdem er sich einigermaßen erholt hatte. »Dass sich auf dem dritten Planeten ein potenzieller Träger aufhalten soll, kann nur ein Irrtum sein.«
»Unsere Messungen decken sich mit denen der KORKOOR-AAR«, widersprach Begleiter II.
»Könnte es eine Falle eines Gegners von ES sein?«
Der Androide schüttelte den Kopf, sein glattes Gesicht zeigte keine Gefühle.
»Eines ist sicher«, bemerkte Carfesch. »Wenn es den Wesen auf dem dritten Planeten nicht in absehbarer Zeit gelingt, ihre Welt zu verlassen und zu begreifen, dass es wichtigere Dinge und Einsichten gibt als das, womit sie sich jetzt befassen, wird ihre Zivilisation untergehen.«
»Vermutlich hast du recht«, entgegnete Begleiter II. »Sie müssen ihre Welt verlassen, oder sie werden auf ihr sterben.«
Carfesch fröstelte. Er hatte viele kosmische Dramen miterlebt und wusste eigentlich nicht, warum ihn der Zustand gerade dieser Zivilisation so betroffen machte. Er wünschte, er hätte helfend eingreifen können, doch er besaß weder das Wissen noch die Mittel, irgendetwas zu tun.
Drei Planetentage hielten sie sich im Orbit auf, dann hatte Begleiter II den potenziellen Träger lokalisiert. Unter normalen Umständen hätte dies viel schneller geschehen müssen. Carfesch hütete sich jedoch, nach den Schwierigkeiten zu fragen – er würde sicher früh genug davon erfahren.
Als Begleiter II schließlich alle Ermittlungen abgeschlossen hatte, kam er mit einem dreidimensionalen Bild des zukünftigen Trägers in den Aufenthaltsraum. Carfesch hätte es nicht für möglich gehalten, aber der Androide war eindeutig irritiert, ja er schien zu zögern, dem Sorgoren das Bild zu zeigen.
»Ich glaube nicht, dass wir den Zellaktivator übergeben können«, sagte Begleiter II.
Ich wusste, dass etwas nicht in Ordnung ist!, dachte Carfesch. Laut fragte er: »Warum nicht?«
»Es liegt am Zustand dieses Wesens; er erlaubt einfach nicht, ihm den Aktivator auszuhändigen.«
»Vermutlich ist die ethische Einstellung dieser Intelligenz nicht ausreichend.«
»Nein«, sagte Begleiter II. »Der Grund ist ein völlig natürlicher: Der potenzielle Träger ist noch ein Kind.«
Graffiti
Sein Name ist Pedro Armendariz – aber dessen ist er sich nicht mehr sicher. Seit Monaten vegetiert er in einer zwei mal zwei Meter großen feuchten und kalten Zelle. Ab und zu schiebt ihm jemand etwas zu trinken und zu essen hinein, und manchmal wird er abgeholt. Dann stellen sie ihm Fragen, deren Sinn er längst nicht mehr versteht. Bei diesen Verhören leidet er Schmerzen, aber seit einiger Zeit empfindet er sie kaum noch.
Ein Tag ist für ihn wie der andere. Er weiß nicht mehr, wie alles begonnen hat – vielleicht mit seiner Teilnahme an einer Demonstration oder mit der Unterzeichnung eines Manifests. Nur eines weiß er noch: Seine damals artikulierte Meinung stand im Gegensatz zu dem, was die herrschende Schicht verkündete.
Sein Wille ist gebrochen.
Der Junge
Von der Uferböschung aus konnte Karl sehen, dass der Junge ein paar Schritte weit in den Teich gewatet war und sein Spiegelbild auf der glatten Wasseroberfläche betrachtete. Das Angelzeug, das Perry von Karl erhalten hatte, lag achtlos im Sand.
Karl wurde vom Anblick des Jungen seltsam berührt. Was für ein merkwürdiges Kind, dachte er und räusperte sich, um auf seine Anwesenheit aufmerksam zu machen.
Perry blickte auf und lächelte ihm zu.
»Ich habe es gerade in den Nachrichten gehört.« Karl hockte sich auf ein Grasbüschel. »Deutschland hat kapituliert, der Zweite Weltkrieg ist für Europa vorbei.«
Der Junge kam aus dem Teich und setzte sich an Karls Seite. Es schien ihn nicht zu stören, dass er bis zur Hüfte durchnässt war. Karl hob zögernd die Hand, als wollte er Perry über die Haare streichen, ließ sie jedoch rasch wieder sinken.
»Ich glaube, deine Tante wartet darauf, dass du zum Kaffeetrinken ins Haus kommst.«
»Begleitest du mich?«
Karl wischte mit den schwieligen Händen über seine Knie. »Ich werde nach den Pferden sehen. Es ist möglich, dass wir heute noch ein Gewitter bekommen.«
Der Junge folgte seinem Blick und musterte die düster zusammengeballten Wolken.
»Wie lange bist du nun bei uns?«, fragte Karl, nur um das Schweigen zu brechen.
»Sechs Wochen, Onkel Karl.«
»Fühlst du dich wohl?«
»Natürlich, es geht mir sehr gut.«
Karl sah ihn abwägend an. »Du machst immer einen so ernsten Eindruck. Ein neunjähriger Junge sollte nicht so viel nachdenken. Du kannst jederzeit mit den Kindern von den Nachbarhöfen spielen. Sie mögen dich und warten darauf, dass du dich ihnen anschließt.«
Perry schien überhaupt nicht zuzuhören. »Hast du mir die Bücher besorgt, über die wir gesprochen haben, Onkel Karl?«, fragte er plötzlich.
Der große, etwas vierschrötig aussehende Mann mit den weit in die Stirn hängenden schwarzen Haaren schüttelte den Kopf. »Sobald deine Tante in die Stadt fährt, wird sie versuchen, diese Bücher in einer Bibliothek zu bekommen.« Er sah den Jungen an. »Hast du zu Hause auch solche Lektüre bevorzugt?«
Perrys Miene wurde verschlossen, wie immer, wenn die Rede auf sein Elternhaus kam.
»Da der Krieg endlich vorüber ist, kannst du bald in deine gewohnte Umgebung zurückkehren«, sagte Karl. »Deine Eltern werden zurückkommen. Sie warten sicher schon darauf, dich bei sich aufzunehmen.«
Perry senkte den Kopf. Er blickte aufs Wasser. »Der Krieg ist nicht vorbei. Es werden noch schreckliche Dinge passieren, weit weg von hier.«
»Woher willst du das wissen?«
»Aus meinen Träumen.«
Die Sonne verschwand hinter den Wolken. Wind kam auf, kräuselte das Wasser des kleinen Fischteichs und wirbelte dürre Blätter durch die Luft. Karl fröstelte.
»Unsinn«, sagte er mit gespielter Heiterkeit und versetzte dem Jungen einen Klaps. »Geh schon nach oben und hol deine Stullen.«
Perry erhob sich und kletterte das Ufer hinauf. Er war groß und schlank, fast mager.
Kein Wunder, dass der Bursche von schlechten Träumen geplagt wird, wenn er all diesen Unsinn über Weltraumreisen und ferne Welten liest, dachte Karl. Er sah, dass sein Neffe sich in Richtung des Gehöfts entfernte. In dem Moment entluden sich die atmosphärischen Spannungen in einem grellen, quer über das Land zuckenden Blitz, dem heftiges Donnergrollen folgte.
Unwillkürlich hatte Karl die Augen geschlossen. Als er sie wieder öffnete, war der Junge verschwunden. Ungläubig schaute Karl sich um. Perry konnte keinesfalls so schnell gelaufen sein, dass er schon im Haus war. Aber zwischen dem Teich und dem Gebäudetrakt gab es keine Versteckmöglichkeiten.
Der herabprasselnde Regen durchnässte Karl innerhalb von Sekunden. Ein seltsames Gefühl beschlich ihn, als sei er an diesen Platz gebannt und nicht mehr in der Lage, einen einzigen Schritt zu tun. Seine jähe Furcht, dieser Eindruck könnte sich bestätigen, war so groß, dass er tatsächlich stehen blieb, um nicht mit einer ungeheuerlichen Realität konfrontiert zu werden. Im Haus gingen die Lichter an, und hinter den Küchenvorhängen sah Karl seine Frau hantieren. Es erschien ihm, als sei die Umgebung auseinandergebrochen – in eine Szenerie der Wirklichkeit und in einen Albtraum.
Sollte das jemals vorübergehen, werde ich mit niemandem darüber reden können, dachte Karl entsetzt.
Graffiti
Sein Name ist J. Walker. Er sitzt in einem breiten Ledersessel hinter einem marmorgetäfelten Schreibtisch und beobachtet seinen Sekretär, der aus einer Kristallkaraffe Wein in die funkelnden Pokale der beiden Besucher gießt.
»Lassen Sie uns auf das Geschäft anstoßen«, sagt Walker.
Seine Zufriedenheit ist offensichtlich. Er hat den Besuchern dreitausend Maschinenpistolen mit Munition, zwanzig Flammenwerfer und zwölf Raketenwerfer verkauft.
Die Besucher zögern, ihre Pokale zu ergreifen.
»Wir haben den begründeten Verdacht, dass Sie auch an die Gegenseite liefern«, sagt einer von ihnen.
J. Walkers Gesicht verliert seinen verbindlichen Ausdruck. »Ich pflege nicht über meine Geschäftspartner zu sprechen«, erwidert er kühl. »Die Regierungen der mit Ihrer Gruppe sympathisierenden Staaten liefern keine Waffen in Spannungsgebiete. Sie sollten also froh sein, dass ich in diese Lücke springe.«
»Sie wissen, dass wir für eine gerechte Sache kämpfen«, sagt der zweite Besucher.
Walker gestattet sich ein Lächeln. »Alle meine Kunden kämpfen für eine gerechte Sache.« Der Spott in seiner Stimme ist schwer zu überhören.
»Denken Sie manchmal daran, wofür die Waffen eingesetzt werden, die Sie verkaufen?«, fragt der erste Besucher.
»Wenn Sie so ein verdammter Moralist sind, warum kommen Sie dann zu mir?« J. Walker gibt sich gelangweilt. Er kennt diese Diskussionen, er ist ihrer müde.
Er hofft, bald genug verdient zu haben, um sich zur Ruhe setzen zu können.
J. Walker ist ein Terraner.
Das Fenster zum Kosmos
Die Welt der Kinder ist eine Welt der Phantasie, der Wunder und der Abenteuer. In dieser Welt ist alles möglich. Sollten die Erwachsenen eines Tages aufhören, ihre Kinder für das Leben in einer Welt kausaler Vorgänge zu erziehen, würde die Phantasie der Kinder vielleicht ausreichen, etwas von diesen Wundern und Abenteuern in das Erwachsenenleben hinüberzuretten, und die Welt wäre eine andere, voller Buntheit und Abwechslung.
Die Welt der Kinder ist für dich fremd, denn du bist gefangen in einem Alltag, der dir keine Zeit lässt, dich zu erinnern. Überprüfe, was du tust, zwinge dich, ernsthaft darüber nachzudenken, und erkläre dann den Unterschied zwischen dir und einem Mechanismus. Ist dein Geist noch beflügelt, dass er dich in jene Fernen entführen kann, die du als Kind erlebt hast? Kannst du den Notwendigkeiten des Augenblicks entrinnen und dein Bewusstsein öffnen für die Stimmen deiner unsichtbaren Umgebung?
»Ich konnte nicht ahnen, dass es Kinder sind«, sagte Carfesch.
Die Welt der Kinder lässt es zu, dass Dinge geschehen, die einem Erwachsenen unlogisch erscheinen. Kinder können dir zwei Geschenke machen, die, wenn in dir noch nicht alles gestorben ist, unglaublich kostbar sind:
Zuneigung und Vertrauen. Erst durch das Eingreifen der Erwachsenen verändert sich die Welt der Kinder und wird farblos und traurig. Die Kinder wüssten gern, auf welche Weise eine Pflanze oder ein Tier zu ihnen sprechen kann, aber die Erwachsenen halten das für unmöglich und zwingen ihre Kinder, etwas anderes zu erlernen. Die Kinder spüren das Universum in sich pulsieren, aber die Erwachsenen halten das nicht für möglich und zwingen ihre Kinder, dieses Gefühl zu verdrängen.
»Was für eine Tragik, dass die Kinder weiser sind als die Erwachsenen«, bestätigte ES.
»Was sollen wir tun?«, fragte Carfesch. »Wir können diesem Kind keinen Aktivator übergeben.«
»Ich werde dieses kleine Wesen für einen kurzen Augenblick zu mir holen«, antwortete ES. »Ich werde es durch das Fenster zum Kosmos blicken lassen und dafür sorgen, dass das Feuer niemals in ihm erlischt.«
Die Welt der Kinder ist auf ihre Art genauso wirklich wie die Welt der Erwachsenen. In seiner Phantasie und in seinen Träumen kann ein Kind die Welt der Erwachsenen verlassen. Es kann einen Blick tun in die unbekannten Tiefen des Universums ...
ES berührte den Jungen mit so großer Behutsamkeit, dass er die mentale Berührung kaum spürte. Das Geisteswesen wunderte sich, dass der so plötzlich aus seiner Umgebung herausgerissene kleine Mensch keine Furcht zeigte; in der Kuppelhalle schien es ihm lediglich ein bisschen kalt zu sein. Mit seinen tropfnassen Hosen und Schuhen hinterließ der Ankömmling eine Spur am Boden, die jedoch schnell trocknete.
»Bist du sehr erschrocken?«, erkundigte sich ES.
Der Junge schaute sich mit großen Augen um. »Nein«, antwortete er. »Wo bin ich hier, und was bedeuten all diese Maschinen?«
»Ich muss gestehen, dass du uns in eine schwierige Lage gebracht hast«, sagte ES. »Wir hatten uns schon damit abgefunden, dass wir den zweiten Träger niemals finden würden. Nun haben wir ein Kind entdeckt. Es macht uns Sorgen, wie deine Artgenossen sich verhalten. Wenn du eines Tages erwachsen sein wirst, müssen wir dir eine Reihe von Prüfungen auferlegen, bevor du den Aktivator erhältst, denn es ist immerhin möglich, dass die Kosmokraten sich getäuscht haben.«
»Wann werde ich erwachen?«
»Erwachen?«, echote ES verständnislos.
»Ich träume, nicht wahr?«
»Ja«, kam die zögernde Antwort. »Dies ist ein Traum, an den ich dir die Erinnerung nehmen muss, bevor ich dich zu deiner Welt zurückbringe. Doch bevor dies geschieht, werde ich das Fenster zum Kosmos für dich aufstoßen.«
Obwohl er vor Kälte schlotterte, durchquerte der Junge die Halle, um sich alles gründlich anzusehen. Dabei entdeckte er Carfesch, der sich im Hintergrund gehalten hatte.
»Muss er seine Nase in alles hineinstecken?«, wandte sich der ehemalige Diplomat an ES.
»Das scheint so seine Art zu sein«, gab ES zurück. »Du hättest außerdem in den Verbund der Bewusstseine zurückkehren können, dann wärst du ihm nicht auf diese Weise begegnet.«
»Ich muss ihn schließlich zurückbringen«, redete Carfesch sich heraus.
»Gib zu, dass er dir gefällt.« ES lachte lautlos.
Der Junge, der dieses Gespräch nicht verstanden hatte, fragte unbekümmert: »Wo ist das Fenster zum Kosmos?«
»Es befindet sich in dir«, erklärte das Geisteswesen. »Tief in deinem Innern. Jedes denkende Wesen besitzt ein solches Fenster, aber den wenigsten gelingt es, einen Blick hindurchzuwerfen oder es gar zu öffnen.«
»Ich wünschte, Karl könnte das alles sehen«, sagte der Junge traurig.
»Dafür ist er schon zu alt«, versetzte ES kategorisch. »Er wird genug damit zu tun haben, sein seltsames Erlebnis zu verkraften.«
Sprunghaft, wie der Junge nun einmal war, befasste er sich bereits wieder mit einem anderen Thema. »Was werde ich durch das Fenster sehen?«
»Bleib stehen!«, forderte ES den ungewöhnlichen Besucher auf. »Du musst deine Augen schließen und jeden anderen Gedanken aus deinem Bewusstsein verbannen.«
Gehorsam verharrte der Junge auf seinem Platz, legte den Kopf in den Nacken, als lausche er auf ferne Töne, und senkte die Lider. Nach einer Weile röteten sich seine Wangen, er hörte auf zu frieren. Carfesch, der ihn beobachtete, fand, dass der Junge so mager und hilflos aussah, dass man sich überhaupt nicht vorstellen konnte, er würde eines Tages erwachsen sein.
In der großen Kuppelhalle tropfte die Zeit dahin.
Als der junge Mensch die Augen wieder öffnete, schien ihm die Rückkehr in die reale Umgebung schwerzufallen.
»Nun, was hast du gesehen?«, erkundigte sich ES.
»Es ist schwer zu beschreiben.« Der Junge geriet ins Stottern. »Eine ... harmonische Woge aus Licht. Eigenartig war, dass ich mich als Teil davon fühlte.«
»Alles ist in Ordnung«, sagte ES. »Ich weiß, wie aufgewühlt du innerlich nun sein musst, aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
»Jetzt bin ich an der Reihe«, vermutete Carfesch.
»Bring ihn zurück, aber geh dabei behutsam zu Werke«, bestätigte ES. »Eines Tages wird er als erwachsener Mann wieder in dieser Halle stehen.«
Carfesch konnte der Versuchung nicht widerstehen und berührte den Jungen mit seinen durch die Symbionten sensibilisierten Krallen.
»He!«, rief der Junge. »Das kribbelt aber.«
Das letzte Donnergrollen ebbte ab, Karl sah Perry auf das Haus zueilen. Irritiert setzte er sich in Bewegung und folgte seinem Neffen. Das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung sei, wollte nicht weichen, obwohl er hartnäckig dagegen ankämpfte. Er schaute sich um, ob in der Nähe ein Blitz eingeschlagen hatte.
Erst vor dem Eingang holte er den Jungen ein.
»Ich dachte, du wolltest dich um die Pferde kümmern«, sagte Perry erstaunt.
Karl kratzte sich am Hinterkopf. »Ja, ja«, murmelte er verwirrt. »Das wollte ich tatsächlich.«
Die Augen des Jungen leuchteten. »Hast du diesen großen Blitz gesehen?«, fragte er seinen Onkel.
Karl nickte langsam.
Der Junge legte eine Hand auf die Brust. »Ich konnte ihn spüren, hier, tief in mir drin, habe ich ihn gespürt.«
»Ja, manchmal glaubt man das«, sagte der Bauer bedächtig.
ES transportierte Ambur zehntausend Jahre zurück in die Vergangenheit, in ein Sonnensystem, das aus einem weißen Riesenstern und 42 Planeten bestand. Die Planetenhälfte der Superintelligenz bezog eine Position zwischen dem neunten und zehnten Planeten. Hier, in der kosmischen Nachbarschaft des Solsystems, wollte ES den Grundstein für ein galaktisches Rätsel legen, mit dem Perry Rhodan einmal konfrontiert werden sollte.
Wenn Rhodan einst diese Prüfungen bestand, konnte ES hoffen, den richtigen Träger gefunden zu haben. Aber auch dann würde ES die Unsterblichkeit nur behutsam verleihen ...
Graffiti
Sein Name ist Walter Hansen. Er ist Ingenieur und Technischer Leiter der Fabrik. Seine Aufgabe besteht in der Überwachung der Abwasser- und Kläranlagen. Kurz nach Mitternacht betritt sein Vorgesetzter den nur spärlich beleuchteten Kontrollraum. Es ist ein ungewöhnlicher Besuch zu einer ungewöhnlichen Zeit.
»Wir müssen Schleuse sieben öffnen«, erklärt der nächtliche Besucher ohne Umschweife.
Hansen starrt ihn verwirrt an. »Aber Schleuse sieben sperrt die Tanks zwölf bis achtzehn. Darin befinden sich über zehn Tonnen reiner Säure.«