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3. Band des Zyklus "Die Endlose Armada" Im März 426 Neuer Galaktischer Zeitrechnung bricht Perry Rhodan mit der Galaktischen Flotte zu einer Expedition ins Ungewisse auf: Es sind rund 20.000 Raumschiffe aus zahlreichen Völkern der Milchstraße, an ihrer Spitze die BASIS. Die Flotte steuert den geheimnisvollen Frostrubin an. Dort wollen Rhodan und seine Begleiter die Bedrohung durch die negative Superintelligenz Seth-Apophis stoppen. Doch als sich die Galaktische Flotte dem Frostrubin nähert, wird sie mit einem gigantischen Gebilde konfrontiert. Es ist die Endlose Armada, eine Ansammlung von Millionen und Abermillionen von Raumschiffen, die sich über Lichtjahre hinweg erstreckt. Seit Äonen suchen die Wesen an Bord dieser Schiffe ebenfalls nach dem Frostrubin. Gegen diese Übermacht haben die Galaktiker keine Chance. Doch Perry Rhodan weiß: Will er die Gefahr durch Seth-Apophis beseitigen, muss er die Konfrontation mit der Endlosen Armada wagen ... Die in diesem Buch enthaltenen Originalromane sind: Der Fluch der Kosmokratin (1114) von Kurt Mahr; Bote des Unsterblichen (1115) von Clark Darlton; Projekt Zweiterde (1116) und Das Gedankenmonster (1117), beide von H. G. Ewers; Geschäfte mit dem Tod (1120) von William Voltz sowie Der Sonnenhammer (1121) und Raubzug der Armadaschmiede (1122) jeweils von Kurt Mahr.
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Seitenzahl: 614
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Nr. 132
Der Fluch der Kosmokratin
Cover
Klappentext
Kapitel 1-10
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
Kapitel 11-20
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
Kapitel 21-30
21.
22.
23.
24.
25.
26.
27.
28.
29.
30.
Kapitel 31-38
31.
32.
33.
34.
35.
36.
37.
38.
Nachwort
Zeittafel
Impressum
Über dreißig Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt: Perry Rhodan und seine Gefährten an Bord des Flaggschiffs BASIS stehen gegen die Endlose Armada. Sie müssen die Geheimnisse des riesigen Heerwurms aus Millionen von Raumschiffen ergründen, um selbst überleben zu können.
Dabei bleibt ihnen nicht viel Zeit, denn die Konfrontation mit den Armadaschmieden wird zum unheilvollen Kräftemessen. Rhodan droht alles zu verlieren – sogar sich selbst.
Rag Cornus schlief schlecht an Bord des Montageballons, und diese Nacht war keine Ausnahme. Er fuhr steil von seiner Liege in die Höhe, als die Frau wie aus dem Nichts vor ihm stand. Ihm war nicht klar, ob er wachte oder träumte, aber das spielte keine Rolle. Nie zuvor hatte er ein Wesen wie sie gesehen. Dabei war ohne Bedeutung, dass er zu den rund 250 Staubmenschen gehörte, die vor Monaten aus der BASIS in die geheimnisvolle Wolke Srakenduurn geflüchtet waren, und dass bei ihnen keine halbwegs ansehnliche Frau war, außer vielleicht Lissa ...
Mit alldem hatte es nichts zu tun. Die Schönheit, die vor ihm stand, konnte nur einem Traum entsprungen sein. Sie war mittelgroß, dunkelhaarig, mit ausdrucksvollen Augen, und sie trug ein hautenges schimmerndes Kleidungsstück aus ihm unbekanntem Material. Sie wirkte wie erstarrt, doch Rag Cornus sah in Gedanken, dass sie die Muskeln anspannte und aufreizend langsam auf ihn zukam. Er seufzte.
»Keine Angst, Rag«, sagte die Fremde. »Ich will dir nichts Böses tun.«
Cornus starrte auf ihren faszinierenden Mund. Sie bewegte die Lippen so seltsam, als spräche sie in einer ihm fremden Sprache. Trotzdem verstand er, was sie sagte.
»Das wäre meine geringste Sorge«, antwortete er.
Der Frau beachtete seine Anzüglichkeit nicht. »Ich bin Belice«, ließ sie ihn wissen. »Ich bin hier, um dir einen Vorschlag zu machen. – Du arbeitest an der Rekonstruktion des Viren-Imperiums?«
»An der Wiederherstellung eines armseligen Bruchstücks ...«
»Lass das Viren-Imperium, wie es ist! Ihr alle, die daran arbeitet: Zieht euch zurück! Ich bin hier, um euer Werk zu übernehmen.«
Es fiel Cornus nicht leicht, von der Betrachtung ihres Körpers gedanklich zu seiner Arbeit umzuschalten. »Wir sind keineswegs schon fertig«, brachte er schließlich hervor: »Es ist sehr viel zu tun.«
Belice sah ihn an. Nein, das war nicht der richtige Ausdruck. Ihr Blick fraß sich durch seinen Leib und brannte sich tief in sein Bewusstsein. In ihren Augen loderten düstere Flammen, eine schwarze Höllenglut.
»Lass es sein!«, wiederholte sie mit tiefer, kehliger Stimme. »Bring dich in Sicherheit, sonst ist dein Leben nichts mehr wert.«
Die Muskeln versagten ihm den Dienst. Rag Cornus sträubte sich dagegen, trotzdem sank er auf der Liege zurück. »Wir werden sehen«, sagte er matt.
In der nächsten Sekunde war die Frau verschwunden.
Erstaunlich an den Montageballons war die Leichtigkeit, mit der ihr Inneres auf die Bedürfnisse unterschiedlicher Spezies getrimmt werden konnte. Wie der Virenforscher Quiupu erklärte, stammten die Ballons von den Kosmokraten. Nur hatten diese nicht damit rechnen können, dass in Srakenduurn Terraner sein würden, die der Virenforscher »entstauben« und als Helfer heranziehen konnte.
Der Tisch, an dem Rag Cornus mit seinen Freunden saß, hatte die richtige Höhe. Die Stühle waren bequem. Sein Teller hatte die gewohnte Größe, das Essbesteck lag leicht in der Hand, und der Inhalt des Tellers sah nicht nur nach Rührei mit Speck aus, sondern schmeckte ausgezeichnet.
»Sie machen alles mit Formenergie.« Das hatte Vistoy erst vor wenigen Tagen wie ein kleines Wunder verkündet.
Sapr Vistoy musste man zu nehmen wissen. Er war ein Klotz von einem Mann, knapp zwei Meter groß, breitschultrig und mit Händen wie Schaufeln. Sein kurzes, schmutzig blondes Haar umrahmte ein Allerweltsgesicht. Cornus wusste seit einiger Zeit, dass er daraus keine voreiligen Schlüsse ziehen durfte. Vistoy neigte zu einfachem Denken, aber er war nicht dumm.
Das dritte Mitglied der kleinen Tafelrunde hieß Lissa Montelf. Mit achtzig Jahren war sie nicht mehr die Jüngste, sondern ein wenig plump und mit etwas zu vielen Falten unter den Augen. An Bord der BASIS war Cornus überzeugt gewesen, Lissa Montelf sei eine der schlampigsten Gestalten, die ihm je über den Weg gelaufen waren. In letzter Zeit ertappte er sich immer öfter dabei, dass er seine Einstellung revidierte und sie sogar anziehend fand. Das muss an der Einsamkeit liegen, dachte er mürrisch und stocherte in seinem synthetischen Rührei.
»Du bist heute Morgen der Faszinierendste aller Gesellschafter«, bemerkte Montelf, nachdem sie ihm eine Zeitlang zugesehen hatte.
Ihre Stimme war ein wenig schrill und zu laut. Cornus sah sie an und überlegte, ob er ihr von seinem nächtlichen Traum erzählen solle. »Ich habe schlecht geschlafen, das ist alles«, sagte er nur.
»Stimmt«, bestätigte Vistoy mit vollem Mund. »Schlechter Schlaf schlägt auf den Magen. Ich kenne das.«
»Du kennst das?«, fragte Montelf erstaunt. »Sag bloß, du leidest an Schlaflosigkeit.«
»Nicht mehr«, antwortete Vistoy selbstgefällig. »Früher schon. Da war ich noch Kind. Immer vor einer Prüfung, einem Test. Zum Frühstück brachte ich keinen Bissen runter.«
Cornus schob seinen Teller zurück und stand auf. Die seichte Unterhaltung nervte ihn, denn er musste loswerden, was ihm in der Nacht widerfahren war. Aber nicht in dieser Runde.
Er ging, und Lissa Montelf rief ihm etwas nach. Rag Cornus verstand es nicht, machte sich aber nicht die Mühe, nachzufragen. Er sammelte an diesem Tag keine Pluspunkte bei Lissa, doch das störte ihn nicht. Sehnsüchtig dachte er an die Frau aus seinem Traum: Belice ...
Quiupu galt nach xenobiologischer Klassifizierung als humanoid. Als Rag Cornus ihn zum ersten Mal gesehen hatte, war ihm der Virenforscher trotzdem keineswegs menschenähnlich erschienen. Das musste mit der Situation zusammenhängen, in der Cornus und die anderen sich befunden hatten: von goldenem Staub bedeckt und einer Idee besessen, die sich allmählich als tödlich erwies.
Der Virenforscher war nahezu gleich groß wie Cornus, also Mittelmaß. Er hatte einen überlang ausgebildeten Oberkörper und bewegte sich auf einem Paar kurzer, stämmiger Stempelbeine. Unproportional kurz für menschliche Begriffe waren auch seine Arme. Der Kopf saß auf einem kurzen, dicken Hals und wirkte wie unter einer schweren Last gestaucht. »Ein Mann mit Pfannkuchengesicht«, hatte Vistoy in seiner kurz angebundenen Art festgestellt. Quiupus schwarzes Haar wirkte unordentlich, von zahlreichen Wirbeln in alle Richtungen gedreht. Seine Nase war klein und spitz. Zu klein für terranischen Geschmack wirkte auch sein Mund, zumal die beiden Zahnreihen wie Streichholzköpfe aussahen. Nicht, dass Streichhölzern im Jahr 426 Neuer Galaktischer Zeitrechnung irgendeine Bedeutung zugekommen wäre, allein der bildhafte Vergleich hatte sich gehalten.
Quiupu nahm Cornus' Bericht ernst. »Es gibt viele Dinge, die berücksichtigt werden müssen«, meinte der Virenforscher. »Zum Beispiel der Umstand, dass du seit geraumer Zeit keine Menschen um dich hast – abgesehen von der Gruppe, mit der du nach Srakenduurn kamst.«
»Du glaubst, ich wäre einem Wunschtraum aufgesessen?«, fragte Cornus.
»Ist es nicht so?«
»Und wenn schon ... Was bedeutet in diesem Zusammenhang die Warnung der Frau? Vor allem ihre Forderung, dass wir uns zurückziehen sollen, weil sie das Viren-Imperium übernehmen wird?«
Quiupu strich sich über das unordentliche Haar. »Das ist das Einzige, worüber ich mir Sorgen mache«, bekannte er. »Du sagst, ihr Blick war finster?«
»Finster ist nicht die richtige Umschreibung. Ich hatte den Eindruck von Flammen. Dunkle Flammen, wenn du verstehst, was ich damit ausdrücken will.«
Quiupu machte eine vage Geste. »Ich verstehe das besser, als du denkst«, sagte er, dann schwieg er eine Zeitlang und starrte nur vor sich hin. Als er wieder redete, klang seine Stimme ruhiger und weniger schrill als zuvor. »Bist du Gesil jemals begegnet?«
Cornus sah überrascht auf. »Du meinst Perry Rhodans Begleiterin? Nein. Ich habe ihr Bild immer nur in den Trivid-News gesehen ...«
»Hatte Gesil Ähnlichkeit mit der Frau, die in der letzten Nacht bei dir war?«
Rag Cornus dachte nach. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Nein, das könnte ich nicht behaupten. Ich meine, Gesil und ... Belice ... könnten mir beide ohne Schwierigkeit den Kopf verdrehen, eigentlich jedem Mann. Aber eine Ähnlichkeit? Ich glaube nicht.«
Cornus sah Quiupu an, als wolle er ihn um Verzeihung bitten. Der Virenforscher reagierte mit einer abwehrenden Geste. »Es war nur eine Idee«, sagte Quiupu. »Weit hergeholt und bar jeder Grundlage. Trotzdem werden wir aufpassen müssen.«
»Du hast nicht vor, ihre Warnung zu befolgen?«
Quiupu schüttelte den Kopf und wies auf das Panoramaholo, das einzelne Bestandteile des Viren-Imperiums zeigte. Sie standen vor dem endgültigen Zusammenschluss – ein riesiges Gebilde von der Größe eines Sonnensystems. »Hunderte Forscher wie ich haben beinah eine Ewigkeit an diesem Projekt gearbeitet. In wenigen Tagen wird es endlich vollendet sein. Wie könnten wir es ausgerechnet nun im Stich lassen?«
»Ist es wahr, dass du mit deinem Teil des Vorhabens auf Terra begonnen hast?«, wollte Cornus wissen.
Ein mattes Lächeln spielte über die bizarren Gesichtszüge des Virenforschers. »Ja, es ist wahr. Zumindest im Grundsätzlichen. In einem Erholungsgebiet namens Shonaar, unweit der Hauptstadt Terrania, machte ich meine ersten Versuche. Sie waren nicht sonderlich erfolgreich, eigentlich katastrophal. Damals kam Srimavo ...« Quiupu ließ den Satz unvollendet.
»Srimavo?«, echote Cornus.
»Ein Mädchen, ausgestattet mit besonderen Kräften. Es hatte dunkles Haar – und in seinen Augen brannten schwarze Flammen.«
»Wie die Frau in der vergangenen Nacht!«, platzte Cornus heraus. »Ist sie ...? Ich meine, kann es sein, dass Srimavo ausgerechnet hier erscheint?«
»Seltsam, wie das schwarze Feuer uns verfolgt, nicht wahr?«, brachte Quiupu stockend hervor. »Nach allem, was wir wissen, kann es nicht Srimavo sein, die dich in der vergangenen Nacht aufgesucht hat. Meine Experimente in Shonaar liegen kaum zwei Jahre zurück, und das Mädchen war zu der Zeit höchstens dreizehn. Srimavo erschien auch auf Lokvorth, wo ich meine Versuche fortsetzte und ein Fragment des Virenimperiums schuf, das von den Kosmokraten als verwendbar anerkannt wurde. Srimavo bedeutete Gefahr, weil sie mein Erzeugnis als ihr Eigentum ansah. Ich fürchtete, das Fragment zu verlieren. Deshalb war ich erleichtert, weil die Beauftragten der Kosmokraten kamen und es abtransportierten.« Zum zweiten Mal machte Quiupu eine Geste in Richtung des Holoschirms. »Mittlerweile ist es eines unter unzähligen, und in wenigen Tagen wird es fester Bestandteil des Informationsmechanismus sein. Mit seiner Hilfe wollen die Kosmokraten Antworten auf Fragen finden, die das Universum bewegen.«
Rag Cornus fühlte sich eigenartig berührt. Zweifellos bestand eine Verbindung zwischen Quiupus Erlebnissen und der Begegnung, die er selbst in der Nacht gehabt hatte. Nur war ihm der Zusammenhang unklar. Und vor allem: Wie wehrte man sich gegen eine Frau, die allein im Traum existierte?
»Wir werden aufpassen müssen«, hatte Quiupu gesagt. Für Cornus klang das wie ein Eingeständnis seiner Hilflosigkeit.
Srakenduurn – »Sammelplatz« lautete die Übersetzung des Begriffs aus der Sprache der Mächtigen – lag nah am Zentrum der Galaxis Norgan-Tur. Beauftragte der Kosmokraten hatten die Staubwolke dort materialisiert, damit sie als Fokus für die Wiedererstehung des Viren-Imperiums dienen konnte. Niemand wusste – auch Quiupu nicht –, seit wann die in allen Farben des Spektrums schillernde Wolke existierte. Es mussten Jahrtausende sein, nach den Legenden zu urteilen, die unter den raumfahrenden Zivilisationen der Umgebung kursierten.
Srakenduurn bestand aus dünn verteilter Pseudomaterie, die mit psionischer Energie »beschichtet« war. So jedenfalls hatte es Quiupu genannt, der außerdem davon gesprochen hatte, dass die Pseudomaterie nötig sei, um die Bestandteile des Viren-Imperiums aneinanderzubinden. Seine Erklärung war überaus kompliziert gewesen. Sapr Vistoy hatte es einfacher formuliert: »Die versammelten Virenforscher brauchen den Staub als Kitt für ihre Fragmente.«
Über ein halbes Jahr war seitdem vergangen. Die Männer und Frauen arbeiteten auf mehrere Dutzend Montageballons verteilt. Rag Cornus empfand es als angenehme Laune des Schicksals, dass er Quiupu zugeteilt worden war, denn Quiupu sprach Interkosmo und benötigte keinen Translator.
Was in diesem Bereich geschah, war gigantisch. Eine Informationsstruktur entstand von Neuem, die den Kosmischen Mächten helfen sollte, Ordnung wiederherzustellen, wo Unordnung herrschte, und Konstruktivität zu schaffen, wo die Wut der Zerstörung getobt hatte. Was konnte begehrenswerter sein, als an der Verwirklichung dieses universellen Plans mitzuarbeiten?
Trotzdem sehnte Cornus sich nach Terra. Er starrte hinaus durch die transparente Hülle des Ballons. Die Dichte der Materiewolke hatte in den letzten Tagen weiter abgenommen, das war mit bloßem Auge zu erkennen. Der Bau des Viren-Imperiums verzehrte den »Kitt«, mit dem seine Bestandteile zusammengehalten wurden.
Aus der Nähe wirkte das Konglomerat der Virenfragmente weit weniger homogen als von fern. Quiupu hatte dem Autopiloten aufgetragen, den Montageballon in die Nähe des Arbeitsfelds zu fliegen. Auf dem großen Holoschirm des Kontrollraums war das mächtige Gebilde als wirres Gewimmel unterschiedlich großer Einzelteile zu erkennen. In größerer Entfernung schillerte die Blase eines zweiten Ballons, der denselben Sektor bearbeitete – erhellt vom Schein der fremden Sterne und dem geheimnisvollen Leuchten der Materiewolke.
Von der zentralen Konsole aus lenkte Quiupu die komplexe Maschinerie in einer Cornus fremden Sprache. Rings um die Konsole waren die Arbeitsplätze der Terraner angeordnet. Sie verfolgten mithilfe unterschiedlichster Messgeräte alle Tätigkeiten. Die Virenforscher hatten von Anfang an geplant, neben ihren Rechenanlagen auch organische Überwacher einzusetzen. Intelligenzen wären von nahen bewohnten Welten rekrutiert worden, hätte der Zufall nicht die Staubmenschen der BASIS nach Srakenduurn geführt.
Quiupus Maschinen erzeugten hyperenergetische Felder, die Materie aus der Tiefe der Staubwolke ansaugten und ins Viren-Imperium leiteten. Der Vorgang war optisch beobachtbar, wenn auch nur mit Mühe, weil die Wolkenmaterie eine äußerst geringe Dichte aufwies. Hier und da entstanden hauchzarte Nebelfetzen, die zwischen den Ansammlungen der Virenfragmente verschwanden. Bis das Werk vollendet war, würde es die gesamte Substanz der Wolke als Klebmasse enthalten.
Ein Gigantrechner mit fünf Lichtstunden Durchmesser entstand – so groß wie das Solsystem! Der menschliche Verstand sträubte sich gegen den Versuch, Informationsfülle und kombinatorische Kapazität dieser Maschine zu begreifen. Und doch, meinte Quiupu, sei die neue Version des Viren-Imperiums ein Zwerg im Vergleich mit dem ersten Imperium, das den Kosmokraten vor Jahrmillionen zur Verfügung gestanden habe. Es solle so groß gewesen sein wie eine ganze Galaxis. Mehr wusste der Virenforscher nicht darüber – nur dass das erste Viren-Imperium in einer katastrophalen Explosion vergangen war. An deren Folgen litt dieser Bereich des Universums immer noch.
Gedankenverloren blickte Cornus auf die Anzeigen. In Momenten wie diesem wurde ihm deutlich, wie lächerlich alles Gerede von der Größe der Menschheit und ihrem Stolz war.
Er stutzte. Eine Lichtmarke wanderte, und ihre Farbe veränderte sich dabei – von Rot nach Gelb und Grün ... Gefahr!
»Die Flussdichte steigt!«, rief er Quiupu zu.
Das große Holobild bestätigte die Anzeige. Die Schlieren und Schleier hatten an Häufigkeit zugenommen. Weit verstreut entstanden sie scheinbar aus dem Nichts und wirbelten und drehten sich dem ungeordneten Feld der Virenfragmente entgegen.
»Fahrzeug verlässt Position!«, meldete Sapr Vistoy in stoischer Ruhe. »Wir werden von dem Zufluss mitgezogen.«
Quiupu schwieg. Es war nicht der richtige Zeitpunkt für Anweisungen an die Sprachsteuerung des Montageballons. Das Zusammenfügen des Viren-Imperiums war ein komplexer, störungsanfälliger Prozess. Vor allem galt es, die Waage zwischen der Anordnung der Fragmente und der zuströmenden Srakenduurn-Materie zu wahren. Jede Verschiebung innerhalb des Gleichgewichts würde zu Veränderungen der Konfiguration führen, in schweren Fällen bis zur Implosion des Viren-Imperiums.
»Fahrzeug wird schneller!«, warnte Vistoy.
Quiupu ächzte. Die Masse des Ballons war nichts gegenüber den Milliarden Tonnen Materie, die das Viren-Imperium minütlich in sich aufnahm. Aber das Fahrzeug war ein Fremdkörper innerhalb der gigantischen Informationsstruktur. Ihre Vollendung konnte nur dann erreicht werden, wenn Störungen aller Art ausgeschlossen blieben.
Verstört sah Cornus auf. Der andere Ballon, der an die zwanzig Kilometer entfernt gewesen war, kam mit hoher Geschwindigkeit näher.
»Nachbarfahrzeug auf Kollisionskurs!«, meldete Lissa Montelf.
Mit dumpfem Knirschen prallten beide Montageballons aufeinander. Alarmpfeifen gellten. Rag Cornus fühlte sich in seinem Sessel angehoben und zugleich mit voller Wucht zurückgestaucht.
»Fahrzeuge lösen sich voneinander!«, meldete Montelf.
»Eigener Schaden minimal!«, rief Vistoy.
Quiupu nahm Funkverbindung mit dem Leiter des anderen Ballons auf. Aus Quiupus Gesten – vor allem aus dem erleichterten Ausdruck, der sich auf dem von rostbraunen Flecken übersäten Gesicht des Virenforschers ausbreitete – entnahm der Terraner, dass auch die Insassen des zweiten Fahrzeugs mit dem Schrecken davongekommen waren.
»Wir haben die Kollision überstanden!«, rief Quiupu gleich darauf. »Die Hülle jedes Ballons ist flexibel. Also sind wir voneinander abgeprallt wie zwei Gummibälle.«
Die Relativgeschwindigkeit beider Fahrzeuge hatte über zehn Kilometer in der Sekunde betragen. Von Gummibällen, die mit solchem Tempo aufeinanderprallten, fände man anschließend nur Fetzen. Formenergie war hundertmal elastischer als die belastbarste materielle Substanz. Aber nicht sie hatte die Katastrophe verhindert, sondern die Andruckabsorber, die Neutralisatoren der Beharrungskräfte.
Aus dem Augenwinkel registrierte Cornus eine vage Bewegung und widmete sich wieder den Anzeigen. Sprachlos vor Staunen sah er das rote Leuchten der Lichtmarke, die zu ihrer anfänglichen Position zurückgekehrt war. Mit einer um Aufmerksamkeit heischenden Geste wandte er sich Quiupu zu, doch der winkte zufrieden ab. »Ich habe die Meldung schon vor mir«, kommentierte der Virenforscher. »Die Flussdichte hat sich stabilisiert.«
Quiupu Befehle klangen mit einem Mal ungeduldig, nichts ging ihm schnell genug. Er wirkte gehetzt.
Die Virenforscher arbeiteten in fünfstündigem Rhythmus. Nachdem Quiupu abgelöst worden war, wartete er geduldig, bis Rag Cornus ebenfalls an seinen Nachfolger übergab. Er nahm Cornus beiseite.
»Wir werden härter arbeiten müssen, damit sie uns nicht zuvorkommt!«, sagte Quiupu ernst. »Das war ihre zweite Warnung. Ich weiß nicht, warum sie sich ausgerechnet uns ausgesucht hat, aber irgendeinen Grund wird sie in ihrem finsteren Verstand dafür haben.«
»Sukkubus«, sagte Lissa Montelf und nippte an ihrem Trinkbecher, der frisches Wasser enthielt.
»Was meinst du damit?«, wollte Cornus wissen.
»Ein Sukkubus ist ein Geist, der sich in deinem Körper ansiedelt und unanständige Dinge mit deinem Innenleben treibt.«
»Quatsch«, brummte Cornus.
»Gibt's so was überhaupt?«, fragte Vistoy angespannt.
Rag Cornus strafte den Freund mit einem vernichtenden Blick. Er hatte den Gefährten von seinem nächtlichen Erlebnis berichtet. Doch kaum gesagt, war er nicht mehr sicher, ob er damit etwas Kluges getan hatte. Montelf quittierte seine Geschichte mit unverhohlenem Spott. Und Vistoy stellte sich dumm.
»Bist du sicher, dass es ein Traum war?«, fasste Lissa Montelf nach. »Ich meine, die Erscheinung hätte ebenso gut eine Frau aus Fleisch und Blut sein können.«
»Ich bin nicht sicher«, antwortete Cornus. »Diese Frage habe ich mir bestimmt ein Dutzend Mal gestellt und keine Antwort darauf gefunden.«
»Eine schöne Frau, und echt obendrein«, überlegte Vistoy. »Sag schon, woher hätte sie kommen sollen?«
»Weiß der Himmel, was für Leute zu den Virenforschern gehören«, bemerkte Montelf. »Es gibt durchaus humanoide Wesen unter ihnen, viel humanoider als Quiupu. Vielleicht war diese Frau eine von denen.«
»Und warum hätte sie sich ausgerechnet Rag aussuchen sollen?« Vistoy grinste. »Wenn ich ihn mir so ansehe ...« Er duckte sich und lachte trocken.
»Mach keine faulen Witze!«, schimpfte Montelf. »Die Frage ist doch: Was wollte sie? Warum sprach sie diese Warnung aus? Und vor allem: Hat der heutige Vorfall mit ihr zu tun? Das zeitliche Zusammentreffen ist jedenfalls auffällig.«
»Also heraus mit der Sprache: Wie ist das mit dem Sukkubus?«, stichelte Vistoy.
»Ich hoffe, Quiupu lässt die kritischen Parameter überwachen«, sagte Montelf nachdenklich, stellte ihren Becher mit einem Ruck ab und erhob sich. Augenblicke später verließ sie den Aufenthaltsraum.
»Was ist nun schon wieder los?«, fragte Vistoy verstört.
Rag Cornus hob die Schultern. »Wir werden es erfahren«, vermutete er.
»Wäre es denkbar, dass die eigenartigen Vorfälle nicht nur eine erneute Warnung darstellen, sondern schon einen Probelauf?«, fasste Lissa Montelf nach. »Dass sie ein Test waren, durch den Belice – oder wer immer – ermitteln wollte, ob die Drohung umgesetzt werden kann?«
Was er von der Kollision der Montageballons halten sollte, wusste Quiupu nicht. Es mochte in der Tat sein, dass Belice sich der Wehrlosigkeit der Virenforscher vergewissern wollte. Aber das war Spekulation. Die Erhöhung der Flussdichte, mit der Srakenduurn-Materie ins Viren-Imperium einströmte, konnte nur mit dem Konstruktionsprozess selbst zu tun haben.
Der Entwicklungsstand des Viren-Imperiums hatte jedenfalls einen beachtlichen Sprung vorwärts getan. Die geschätzte Restzeit für die Fertigstellung war um gut ein Drittel kürzer geworden – infolge eines Effekts, der längstens zwanzig Minuten angedauert hatte. Insofern gab es keinen Zweifel mehr; eine geheimnisvolle Macht schickte sich an, die Regie der Rekonstruktion zu übernehmen. Ihr standen Mittel zur Verfügung, die es an Bord der Montageballons nicht gab. Das Gleichgewicht des Viren-Imperiums war nicht gestört worden, trotzdem hatte sich der Prozess der Fertigstellung sprunghaft beschleunigt. Jemand arbeitete mit Kräften, die denen der Forscher weit überlegen waren.
»Mir ist unklar, warum der unbekannte Gegner, sich ausgerechnet dich für die erste Warnung ausgesucht hat.« Mit einem deutlichen Ausdruck der Unsicherheit wandte Quiupu sich an Rag Cornus. »Wir müssen damit rechnen, dass Belice ein zweites Mal mit dir Kontakt aufnimmt. In dem Fall versuch von ihr zu erfahren, was sie vorhat!«
»Sie will das Viren-Imperium übernehmen, das sagte sie mir gestern schon.«
»Glaubst du das?«
Cornus machte eine ungewisse Geste. »Schwer vorstellbar, dass ein einzelnes Wesen uns dieses gigantische Projekt abnehmen könnte.« Er dachte darüber nach, dann schüttelte er energisch den Kopf. »Nein, ich glaube es nicht.«
»Trotzdem«, sagte Quiupu ungewohnt heftig. »Als einer der Verantwortlichen muss ich sämtliche Möglichkeiten in Erwägung ziehen. Vor allem die, dass wir es mit einer ausreichend starken Macht zu tun haben.« Er beugte sich nach vorn und klang plötzlich besonders eindringlich: »Der Gegner nimmt das Projekt nicht uns ab, wie du es ausdrückst, sondern den Kosmokraten. Verstehst du nun, mit was für einer Kraft wir es zu tun haben?«
Rag Cornus verstand es nicht. Eine Macht, die den Kosmokraten ihren Besitz streitig machte? Das war schwer vorstellbar.
»Gesetzt den Fall, dass Belice erneut versucht, mit mir Verbindung aufzunehmen – was soll ich tun?«, fragte er.
»Versuch wenigstens, sie auszuhorchen!«, drängte Quiupu. »Wir müssen ihr Motiv erkennen und herausfinden, mit welchen Mitteln sie arbeitet. Ebenso wichtig ist, was sie mit dem Viren-Imperium anfangen will, sobald sie es an sich gebracht hat ...«
Cornus winkte ab. »Ich erkenne durchaus, dass Belices Wirken gewaltige Kräfte freisetzen kann. Trotzdem erwartest du, dass sie sich von mir aushorchen lässt? Ausgerechnet von mir?«
Die Hilflosigkeit in Quiupus Blick war entwaffnend. »Es ist die einzige Hoffnung, die uns bleibt«, gestand der Virenforscher matt.
In der nächsten Schlafperiode kam Belice wieder. Rag Cornus hatte nicht damit gerechnet, dennoch war es ihm schwergefallen, überhaupt einzuschlafen. Wirre Gedanken hatten seinen Verstand beschäftigt. Wenn die Kosmokraten das Viren-Imperium für sich beanspruchten, warum gingen sie nicht gegen den Eindringling vor? Waren sie so weit entfernt, dass ihre Verteidigung keinesfalls rechtzeitig am Ort des Geschehens eingreifen konnte? Wussten sie überhaupt von dem Anschlag auf ihre Informationsmaschine?
Je länger Cornus über diese Dinge nachdachte, desto mehr verzweifelte er an dem Bild, das er sich von den Kosmokraten gemacht hatte. Sie waren ihm unsagbar übermächtig erschienen, wie Götter, die mit einer Handbewegung Galaxien in Bewegung setzten. Allmählich wurde ihm klar, dass er sich getäuscht hatte. Die Kosmokraten waren keineswegs unverwundbar. Nur bedurfte es enormer Kräfte, sie zu verletzen, und wenn sie selbst einen Fehler begingen, wurden weite Bereiche des Kosmos davon betroffen.
Irgendwann schlief Cornus ein. Er träumte wirr. Jäh wurde es hell, und er stach geradezu in die Höhe, als hätte er die ganze Zeit über nur auf dieses Signal gewartet.
In ihrer verwirrenden Schönheit stand sie vor ihm. Rag Cornus erbebte. Hilflos hob er eine Hand und kniff sich in den Arm. Er spürte nichts. Träumte er?
Belice lächelte ihn an.
»Du weißt nicht, ob du wachst oder träumst?«, fragte sie mit dunkler Stimme. »Ob ich real bin oder nicht? Wenn du willst, fass mich an!«
Cornus' Traum wurde wahr. Er sah, wie der schimmernde metallische Stoff ihres Gewands sich bewegte und jede Nuance ihres wundervollen Körpers umschmeichelte. Zitternd streckte er die Hand aus. Er fürchtete sich vor der Berührung, zugleich sehnte er sie herbei.
Das glänzende Material fühlte sich kühl und glatt an. Cornus' Hand glitt über den Unterarm der Frau bis zur ihrem Handgelenk. Er spürte Belices Samthaut, doch ihre Kälte erschreckte ihn. In dem Moment erinnerte er sich an sein Gespräch mit Quiupu, auch an Montelfs Bemerkungen über den Sukkubus.
»Was ... willst du von mir?«, fragte er ächzend.
»Ich bin hier, um dich zu warnen.« Belice lächelte. »Wie vor zwanzig Stunden. Erinnerst du dich?«
»Glaubst du, ich könnte die Begegnung jemals vergessen?« Cornus stutzte. »Warum ausgerechnet ich?«
»Dein Fluidum zieht mich an. Ich habe nicht viel Wahl, wenn ich mich in feindlicher Umgebung bewege. Ich richte mich nach den Signalen organischer Bewusstseine. Deines ist das stärkste.«
Rag Cornus schluckte. Er wusste nicht, wie er das Gesagte auslegen musste. Sollte es ihn ermutigen? Immerhin kämpfte in ihm die Phantasie gegen das Pflichtgefühl.
»Warum warnst du?«, wollte er wissen. »Was hast du vor?«
»Ich will zurückhaben, was mir gehört.« Das Lächeln in Belices Gesicht verschwand; ein harter Glanz trat in ihre großen Augen. »Ich nehme es mir, ob ihr Menschen hier seid oder nicht. Wenn ihr euch nicht entfernt, geht ihr zugrunde.«
»Du willst das Viren-Imperium?« Cornus wunderte sich über seine eigene Hartnäckigkeit. »Was bedeutet es dir?«
»Es ist mein Eigentum, aber es wurde mir geraubt.«
Er sah zur Seite, weil ihn die schwarze Glut ihres Blicks beinahe schmerzhaft traf. »Das Viren-Imperium gehört den Kosmokraten«, widersprach er schwach.
»Was verstehst du davon? Ich werde nicht mit dir diskutieren. Sei dem Schicksal dankbar, dass es mich zu dir hinzieht und ich dich warne. Lass die Zeit nicht ungenützt verstreichen.«
»Warst du es, die heute ...?« Cornus verstummte, weil er am Klang seiner Stimme hörte, dass sich etwas veränderte. Er sah auf. Belice war verschwunden. Aber die Beleuchtung brannte, obwohl er sie durch Zuruf ausgeschaltet hatte. Er hatte also nicht geträumt. Belice war bei ihm gewesen.
Sie hatte ihn erneut gewarnt, doch keine seiner Fragen beantwortet.
Der neue Tag – wenn Rag Cornus als Tag bezeichnen konnte, was allein durch die Abfolge der Hell- und Dunkelperioden an Bord des Ballons bestimmt wurde – brachte weitere Überraschungen.
Während der Ruhepause hatte er versucht, sich mit Quiupu in Verbindung zu setzen; es war ihm nicht gelungen. Nun, zum Antritt seiner Schicht im Kontrollraum, debattierte der Virenforscher höchst erregt mit einem Kollegen.
Cornus übernahm den Arbeitsplatz von seinem Vorgänger. Er vergewisserte sich, dass alle Geräte einwandfrei funktionierten, und befasste sich mit der Routineüberwachung der kosmischen Umgebung. Quiupu nahm in keiner Weise Notiz von ihm.
Später verließ der zweite Virenforscher den Kontrollraum. Trotzdem fand Cornus keine Gelegenheit, mit Quiupu zu reden, denn dieser führte nun langatmige Gespräche mit den Schichtleitern anderer Montageballons. Seine Erregung klang dabei langsam ab. Was immer geschehen sein mochte, es schien sich wie schon zuvor auf Quiupus Arbeitsbereich zu beschränken.
Cornus setzte seine Routinetätigkeit fort, doch seine Gedanken schweiften zu Belice ab. Er rief sich in Erinnerung, wie die metallische Kleidung jede Nuance ihres Körpers nachzeichnete. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt. Was hatte sie mit dem Fluidum gemeint, das sie anziehe? Cornus lehnte sich im Sessel zurück und starrte ins Nichts. Er und Belice, auf irgendeiner paradiesischen Welt in der Milchstraße, kaum dass dieses verdammte Viren-Imperium endlich fertiggestellt sein würde ...
»Wachtraum nennt man das in deiner Sprache, nicht wahr?«, sagte eine schrille Stimme hinter ihm.
Er fuhr auf. Quiupu war, von ihm unbemerkt, herangekommen. »Alles normal«, meldete Cornus ein wenig verlegen.
Der Virenforscher ging nicht darauf ein. »Wir haben während der letzten Schicht eine weitere Kostprobe erhalten«, eröffnete er. »Die Vollendung des Viren-Imperiums verlief stundenlang mit vier Prozent über dem Sollwert. Jemand ist also daran interessiert, die Arbeit rascher zu vollenden, als es in unserer Kraft steht. Vor allem bedient derjenige sich dazu der Maschinen und Geräte unserer Ballons. Sein Wissen ist unserem weit überlegen.«
War das der richtige Zeitpunkt, Quiupu von Belices zweitem Besuch zu erzählen? Cornus entschied sich dagegen. »Was willst du unternehmen?«, erkundigte er sich lediglich.
»Wir machen weiter wie bisher. Uns bleibt keine andere Wahl.«
»Keine?«, fragte Cornus zweifelnd.
»Solange eine entsprechende Anweisung von den Kosmokraten ausbleibt ...«
Da war sie wieder, seine Frage aus der letzten Nacht. Wussten die Kosmokraten, was im Bereich von Srakenduurn vorging? Hatten sie eine Möglichkeit, schnell darauf zu reagieren? Cornus hatte derartige Fragen früher schon gestellt, aber nie eine zufriedenstellende Antwort erhalten. Allem Anschein nach wussten die Virenforscher nichts über die Kosmokraten.
Die nächsten Stunden verstrichen ohne Abweichungen. Der Spuk schien vorüber.
Schließlich registrierten Lissa Montelfs Ortergeräte ein unbekanntes Fahrzeug, das sich Srakenduurn näherte. Ein zwergenhafter Humanoide, einer der UFOnauten, meldete sich kurz darauf. Einige seiner Art waren als Virenforscher tätig, die Ankunft des großen UFO-Mutterschiffs allein hätte demnach keine Überraschung ausgelöst. Doch als der Humanoide zu sprechen anfing, wurde deutlich, dass er in besonderer Mission gekommen war.
»Ich bin Geredus und bringe eine Anweisung von jenseits der Materiequellen. Deshalb ersuche ich um sofortige Unterredung mit allen Virenforschern.«
»Selbst wenn die Arbeiten unterbrochen werden müssen?«, fragte Quiupu.
»Abbrechen? Wir sollen die Vollendung des Viren-Imperiums abbrechen?«
Quiupus Stimme gellte durch die Stille, die sich über den Gemeinschaftsraum in einem Reserveballon gesenkt hatte. Hunderte Virenforscher aus dieser Region des Kosmos waren versammelt, um Geredus' Botschaft zu hören. Nachdem sie erfahren hatten, was die Kosmokraten ihnen mitteilten, waren sie verstummt.
»So wurde es mir übermittelt«, bestätigte der UFOnaut. »Und so reiche ich es an euch weiter. Die Arbeiten sind sofort einzustellen!«
»Warum?«
»Du weißt ebenso gut wie ich, Quiupu, dass diese Frage überflüssig ist«, wies Geredus den Forscher zurecht. »Die Kosmokraten geben keinen Einblick. Aus der Dringlichkeit ihrer Botschaft schließe ich, dass ein unbekanntes Gefahrenmoment aufgetaucht ist. Zweifellos steht es mit der Fertigstellung des Viren-Imperiums in Zusammenhang. Womöglich befürchten die Kosmokraten, das Werk könne in falsche Hände fallen.«
»So viele Jahre harter Arbeit – und das alles soll umsonst gewesen sein?«
»Ich glaube nicht, dass die Kosmokraten ihren Plan für immer aufgegeben haben«, betonte der Humanoide. »Aber selbst wenn es so wäre, willst du ihnen Vorschriften machen?«
Der Schock löste sich nur zögernd. Verhaltenes Murmeln erfüllte die Halle, als die Virenforscher über die ihnen unerklärliche Entscheidung debattierten.
Quiupu verließ den Gemeinschaftsraum und machte sich mit einem der kleinen Boote des Pendelverkehrs auf den Rückweg zu seinem Ballon. Die Ereignisse der letzten Jahre gingen ihm durch den Sinn. Er erinnerte sich an das halb verglühte Forschungsfahrzeug, in dem er von den Terranern gefunden worden war, bewusstlos und ohne Wissen um die Dinge, die sich zuvor ereignet hatten. Lediglich von seinem Auftrag hatte er noch gewusst – in einer unbestimmten, nebelhaften Art und Weise. Und dass er mit Viren arbeitete, jenen kleinsten, nicht weiter teilbaren Bausteinen des ehemaligen Viren-Imperiums. Sein Auftrag war, ein Bruchstück des Imperiums wiederzuerschaffen.
Aber nun?
Quiupu schleuste das Boot ein. Wenig später erreichte er den Kontrollraum seines Montageballons. Die Terraner sahen ihm erwartungsvoll entgegen.
»Es ist vorbei«, sagte er matt. »Uns wurde befohlen, aufzuhören.«
»Einfach so?«, platzte Rag Cornus heraus.
»Einfach so.« Quiupu ließ sich in den Sessel vor der Zentralkonsole sinken und prüfte die Anzeigen. Viel gab es nicht zu tun, die Arbeit war bereits unterbrochen worden.
»Was wird aus uns?«, fragte Vistoy.
»Ich nehme an, man wird euch zurück nach Terra bringen.«
»Und du, Quiupu? Was geschieht mit dir?«
»Das wissen Raum und Zeit. Ich habe nicht einmal eine Ahnung, wie meine Heimatwelt heißt. Oder wo sie zu finden ist. Geschweige denn, ob es noch andere meiner Art gibt.«
Schweigen senkte sich über den matt erleuchteten Raum. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
Wie lange sehnte er sich schon nach Terra? Wenn er die Möglichkeit erhielt, Wochen oder gar Monate früher als geplant zurückzukehren, warum sollte er sich beschweren?
Warum? Weil das Viren-Imperium auch sein Projekt war. Er hatte sich nicht monatelang bemüht und gelernt, nur um plötzlich vor dem Nichts zu stehen. Er fühlte sich betrogen.
Rag Cornus saß weit in seinem Sessel zurückgelehnt. Die Hände unter dem Hinterkopf verschränkt, blickte er teilnahmslos auf die große Holofläche. Den Film, den er sah, hatte Quiupu von seinen Robotern aus dem Material des Unterhaltungssektors einiger SERUNS zusammenstellen lassen. Es war kein schlechtes Machwerk – ein bisschen einfältig, trotzdem unterhaltsam. Quiupu hatte frühzeitig erkannt, dass seine Mitarbeiter Zerstreuung und Unterhaltung brauchten.
Cornus war nicht interessiert. Er saß da nur, weil er nichts Besseres anzufangen wusste. Er sah sich gelangweilt um und erkannte, dass es den Gefährten nicht besser erging als ihm. Die Enttäuschung hatte zugeschlagen. Sie wollten nach Hause, nur nicht so. Erst nach erledigter Arbeit.
Es war müßig, darüber zu spekulieren, was in den Köpfen der Kosmokraten vor sich gehen mochte – falls sie überhaupt Köpfe hatten. Der fehlende Überblick hatte Cornus an dieser Arbeit von Anfang an gestört. Er wusste jeweils von einer Minute zur nächsten, was es zu tun gab, aber das Verständnis der Zusammenhänge blieb ihm versagt. Als machten sich die Hohen Mächte ein Vergnügen daraus, ihre Handlanger im Dunkeln zu lassen.
Ärgerlich stand Cornus auf und verließ den Gemeinschaftsraum. Fast augenblicklich hörte er Schritte hinter sich und wandte sich um. Lissa Montelf folgte ihm.
»Gesellschaft?«, fragte sie einfach.
Cornus zögerte. Er hätte gern ein oder zwei Gläser getrunken, ohne dabei mit jemandem reden zu müssen. Es wäre ihm genug gewesen, von Belice zu träumen. Nur brachte er es nicht fertig, Montelf abzuweisen.
»Klar«, sagte er und grinste dazu. »Geteiltes Leid ist halbes Leid.«
»Dabei frage ich mich, warum wir überhaupt trauern.« Lissa Montelf reagierte unwillig. »Wir kommen früher nach Hause – ist das nichts wert?«
»Unser Stolz ist geknickt«, erklärte Cornus. »Wir waren hier, um eine Aufgabe zu erledigen. Nun wird uns die Aufgabe weggenommen, und das wird zum Problem. – Wo bist du überhaupt zu Hause?« Er wunderte sich, dass er diese Frage nicht längst gestellt hatte.
»Luna-zwo«, antwortete Montelf.
»Du kommst vom Mond? Ziemlich langweilig da, oder?«
»Langweilig? Von wegen! Die lustigste Stadt im Solsystem ...«
»Mit zweihundert Einwohnern, und für Gespräche ein paar Datenverbindungen zu NATHAN?«
Montelf winkte ab. »Meine Familie lebt seit vier Generationen in Luna-zwo, ich kenne es nicht anders. Einmal im Jahr mache ich Urlaub auf Terra. Sobald ich den letzten Galax ausgegeben habe, bin ich froh, wieder zum Mond zu fliegen. Und du?«
»Rom, die Ewige Stadt«, brummte Cornus. »Ich habe keine Familie. Meine Eltern hatten einen zweijährigen Ehevertrag, den sie nicht verlängerten. Das zumindest habe ich aus dem Archiv erfahren. Aufgezogen wurde ich vom Staat.«
»Armes Kind«, sagte Lissa Montelf, aber es war nur zur Hälfte Spott.
Ihr Ziel war die Kantine, in der die Terraner sich eigene Mahlzeiten zubereiteten. Die nötigen Geräte und Vorräte waren sofort nach Ankunft der Staubmenschen zur Verfügung gestellt worden.
Aus einem der Automaten zapfte Cornus zwei Becher eines alkoholischen Getränks und reichte seiner Begleiterin einen davon. »Auf unseren gekränkten Stolz«, sagte er.
Jäh toste der Alarm.
»Alle drei Freischichten zur Kontrollzentrale!«, hallte Quiupus Stimme aus dem Rundruf. »Lasst euch von den Robotern die Arbeitsplätze zuweisen. Wir haben eine Notlage!«
»Das hört sich ernst an.« Lissa Montelf leerte hastig ihre Kaffeetasse.
Unterwegs begegneten sie anderen Terranern, die einen verstörten, teils verschlafenen Eindruck machten. Die meisten waren aus ihrer Ruhe aufgeschreckt worden. Einer von ihnen war Henry Horth, der ehemalige Sprecher der Staubmenschen.
»Es soll wieder losgehen, habe ich gehört«, rief Horth.
»Was soll wieder losgehen?«
»Die selbstständige Fertigstellung des Viren-Imperiums.« Horth blieb einige Schritte zurück, weil er Probleme hatte, seine Montur zu schließen. »Sehr viel Srakenduurn-Materie fließt zwischen die Fragmente ein ...«
Gerüchte interessierten Cornus nicht, und seit der UFOnaut gekommen war, gab es viele solche Ungereimtheiten. Aber diesmal, das stellte sich rasch heraus, stimmte es. Rag Cornus und Lissa Montelf gehörten zu den Ersten, die den Kontrollraum erreichten. Roboter wiesen den Ankommenden Arbeitsplätze zu, in der Zentrale ebenso wie in den Aggregateräumen. Als Quiupu die beiden Terraner erblickte, winkte er die Maschinen weiter.
»Ihr übernehmt eure üblichen Aufgaben«, wandte der Virenforscher sich an Cornus und Montelf. »Und wenn euer Freund Vistoy halbwegs rechtzeitig kommt, kann er ebenfalls seinen angestammten Platz haben ...«
»Schon zur Stelle«, erklang es hinter ihnen. Sapr Vistoy hatte schnell aufgeschlossen.
»Was, zum Teufel, ist eigentlich los?«, drängte Cornus.
»Die Flussdichte steigt sprunghaft an«, antwortete Quiupu. »Nicht nur in unserem Sektor, diesmal im gesamten Bereich.«
Die zentrale Kontrollkonsole wirkte matt, nur die Anzeige des Leistungsmessers blinkte. Das Wummern des Drugun-Umsetzers war vertraut. Cornus nahm seinen Platz ein und holte die Instrumentenwerte in die Anzeige. Die Flussdichte betrug 350 Prozent des Standardwerts – wenn es weiterhin einen Standardwert gegeben hätte. Die Arbeit der Virenforscher war jedenfalls abgebrochen. Dass der Drugun-Umsetzer dennoch mit Höchstleistung lief, trotz der abgeschalteten Steuerung, war unheimlich. Wer hatte das Aggregat hochgefahren, und auf welche Weise wurde es kontrolliert?
Der Kontrollraum füllte sich schnell. Einige Roboter erteilten ihre Anweisungen auf Interkosmo.
»Unsere Position bleibt stabil!«, meldete Vistoy. »Wir werden nicht mitgezogen.«
»Ortung negativ!«, rief Montelf. »Ich erkenne nur Montageballons. Wohin ist dieser Geredus mit seinem UFO-Mutterschiff verschwunden?«
Dass Quiupu die einigermaßen unbeherrscht hervorgestoßene Frage beantwortete, verblüffte jeden. »Geredus ist unterwegs, um Hilfe zu holen!«, rief der Forscher. »Die Fertigstellung des Viren-Imperiums muss nachhaltig verhindert werden.«
Quiupu traf allerdings keine Anstalten, in die Maschinenfunktionen einzugreifen. Die Lage wirkte stabil. Zwar strömte Srakenduurn-Substanz mit dem Dreieinhalbfachen des Sollwerts ein, doch die Anpassung der Virenfragmente hielt damit Schritt. Jemand tat das, was die Virenforscher ohnehin hatten tun wollen. Nur besaß dieser Jemand offensichtlich mehr Wissen und arbeitete deutlich schneller – mit den Maschinen und Geräten der Forscher.
Ein Dutzend Fragen und mehr gingen Rag Cornus durch den Kopf. Woher wollte Geredus Hilfe holen? Von den Kosmokraten? Das wohl nicht. Khrat war näher. Auf Khrat verwaltete Lethos-Terakdschan, der Hüter des Domes, die Machtmittel der Ritter der Tiefe. Cornus bedauerte, dass er sich nie intensiver mit den Informationen befasst hatte, die an Bord der BASIS über Khrat und den Dom Kesdschan zur Verfügung standen. Er wusste nicht, wie viel Unterstützung von dort zu erwarten war.
Der Bau des Viren-Imperiums schritt schnell voran. Mit dieser Geschwindigkeit würden alle Arbeiten in Tagen statt erst in wenigen Wochen vollendet sein. Für Cornus blieb nichts mehr zu tun, seine Geräte waren nicht in der Lage, den unerklärlichen Vorgang zu beeinflussen. Er stand auf und ging zu Quiupu.
»Ich nehme an, den anderen Ballons stellt sich dasselbe Problem«, sagte er.
Quiupu sah auf. Prompt empfand Cornus Mitleid mit dem Virenforscher. In Quiupus Augen schimmerte die Qual des Wesens, das hilflos mit ansehen musste, wie ihm das Werk jahrelanger Mühe entrissen wurde.
»Es gibt keine Ausnahme«, sagte Quiupu matt. »Wir werden von einer fremden Macht gesteuert ...«
»Ich kenne den Umfang deines technischen Arsenals nicht«, fiel Cornus dem Forscher ins Wort, »aber mit irgendwelchen Geräten muss dieser Einfluss zu registrieren sein. Wenn wir ihn anpeilen könnten, wären wir wenigstens in der Lage, die Quelle der Störungen zu bestimmen.«
Quiupu wirkte nicht sonderlich überzeugt. Ein müder Ausdruck lag auf seinem Gesicht. »Wir haben nicht einmal eine ungefähre Vorstellung, welche Energieform unsere Maschinen in Gang gesetzt hat«, bemerkte er. »Die Roboter nehmen zwar stetig Messungen vor ...«
»Wo genau?«
»Bei den Projektoren für die Saugfelder.«
Cornus schüttelte den Kopf. »Wir müssen eher herausfinden, wie der Umsetzer kontrolliert wird.«
»Der Aufenthalt in der Nähe des Drugun-Umsetzers ist gefährlich«, warnte Quiupu. »Sogar für die Roboter. Ihre Sensorsysteme werden gestört.«
»Dann ruf Geredus zurück! Er und seine Androiden verstehen es, mit den Umsetzern umzugehen.«
Es waren UFOnauten wie Geredus und Gruppen bärenstarker Androiden gewesen, die Drugun-Umsetzer an Bord der Kosmischen Burgen montiert und die Burgen abgeschleppt hatten. Jedes terranische Kind wusste davon, denn die Zeit der Kosmischen Burgen lag erst über 400 Jahre zurück.
»Geredus ist nicht erreichbar«, wehrte der Virenforscher ab. »Er bringt Hilfe.«
»Dann lass meine Freunde und mich hineingehen!«, verlangte Cornus. »Wir vertrauen unseren SERUNS. Gib uns Spezialroboter mit, die du entbehren kannst. Für kleinliche Bedenken bleibt jedenfalls keine Zeit.«
Montelf und Vistoy waren inzwischen herangekommen. »Rag hat recht, und du weißt es«, sagte Sapr Vistoy. »Zögere noch ein paar Stunden, dann wird alles verloren sein.«
Quiupu gab ein ächzendes Geräusch von sich. »Also gut. Ich stelle fünf Spezialroboter bereit.«
Zahlenkolonnen und Warnsignale huschten über das Anzeigefeld der Helmscheibe, als Rag Cornus die Halle des Drugun-Umsetzers betrat. Der schwere Schutzanzug dämpfte das dröhnende Rumoren des Aggregats zum vagen Rumpeln. Der SERUN – die Abkürzung stand für »Semi-reconstituent Recycling Unit« – war mit mehr Mikropositronik ausgestattet als ein durchschnittlicher Roboter, dementsprechend schützte er seinen Träger gegen viele Gefahren. Der Anzug hatte ein Schirmfeld aufgebaut, das die Strahlung des Drugun-Umsetzers absorbierte.
Cornus sah sich um. »Alles in Ordnung?«, fragte er über Helmfunk. Die Gefährten folgten ihm mit wenigen Metern Abstand. Hinter ihnen schwebten die fünf Roboter.
»Ich habe Magenschmerzen«, antwortete Lissa Montelf spöttisch. »Aber das kommt eher von dem entsetzlichen Schnaps, den du mir eingeflößt hast.«
Der Drugun-Umsetzer war so groß wie ein halbes Wohnhaus. Mit seinen Auswüchsen, die zum Teil korkenzieherähnliche Windungen aufwiesen, wirkte er extrem fremd. Zudem gab es weder Anzeigen noch eine Schaltmöglichkeit. Der Umsetzer wurde vom Kontrollraum aus gesteuert. Er sollte von dort aus gesteuert werden, verbesserte sich Cornus. Das ist leider nicht mehr der Fall.
Aus den Taschen seiner Montur zog er die Instrumente hervor, die Quiupu ihm gegeben hatte. Sie waren so geschaltet, dass ihre Anzeigen an den SERUN übertragen und im Helmdisplay abgebildet wurden.
Die Roboter verteilten sich rings um das Drugun-Aggregat. Ihre Messungen ergänzten jene, die Cornus an ausgewählten Positionen vornahm. Hin und wieder warf er einen kurzen Blick auf Vistoy und Montelf, die sich im Hintergrund hielten, nahe beim Schleusenschott. Sie hatten vorerst keine Aufgabe, waren eigentlich nur dabei, um ihm moralisch den Rücken zu stärken.
Die Messungen zeigten eine hohe Strahlungsintensität im kurzfrequenten Bereich des Hyperspektrums. Der Drugun-Umsetzer wurde allem Anschein nach über psionische Impulse gesteuert.
»Ich rufe Quiupu«, sagte Cornus über Helmfunk. »Es sieht ganz so aus, als hätten wir schon, wonach wir ...«
Jäh war alles anders. Cornus hörte das dumpfe Wummern des Drugun-Umsetzers nicht mehr. Die Beleuchtung war erloschen. Er wandte sich um, aber nicht einmal in der offenen Schleuse herrschte noch Helligkeit. Vistoy und Montelf schienen ebenso verschwunden zu sein wie die Roboter. Dafür glomm der massige Umsetzer in düsterroter Glut.
Keine Datenanzeige mehr im Helmdisplay. Cornus rief einen zornigen Korrekturbefehl. Ein kleines Bildfeld leuchtete daraufhin auf – es zeigte eine Frau, deren Anblick ihn frösteln ließ.
Belice!
»Du Narr ignorierst meine Warnungen, dabei wollte ich vor allem dich schützen«, erklang ihre Stimme im Helmempfang. »Niemand darf an den Umsetzer rühren. Ich brauche ihn und alle anderen Aggregate nur für wenige Tage. Also geh zurück!«
Belices Bild verwehte. Zugleich stand eine Fülle von Warnanzeigen im Display. Ein drittes Mal hatte die geheimnisvolle Belice gewarnt. Diesmal war ihre Geduld jedoch knapp bemessen.
»Deckung!«, schrie Cornus.
Ein rötliches Flimmern quoll aus dem mächtigen Drugun-Umsetzer. Gleich einem nebelartigen Schleier legte es sich um die große Maschine.
Einer der Roboter kam dem Flimmern nahe. »Alle zurück!«, brüllte Cornus, doch es war zu spät. Ein greller Blitz zuckte auf, begleitet vom Dröhnen der schweren Explosion, die den Roboter vernichtete. Eine heftige Druckwelle tobte durch die Halle.
Cornus wurde mitgerissen. Während er sich überschlug, sah er einen zweiten Roboter verglühen. Das Gravo-Pak des SERUNS schaffte es nicht, seine Fluglage schnell genug zu stabilisieren. Die Halle war mit einem Mal in ein nebliges Leuchten getaucht. Eine erschreckende Hitze durchschlug den Schutzanzug, und wie aus weiter Ferne erklang ein spöttisches Lachen. Belice! Sie amüsierte sich über seine Qual?
Etwas oder jemand fasste nach Cornus; er spürte einen heftigen Griff an der Schulter. »Gravo-Pak volle Leistung, wir ziehen ihn raus!«, brüllte eine vertraute Stimme in unmittelbarer Nähe.
»Mach schnell, Lissa! Hier geht gleich nichts mehr.« Das war Sapr Vistoy.
Cornus' Bewusstsein versackte.
Ringsum herrschte das geschäftige Treiben des Kontrollraums. Rag Cornus ruhte auf einer provisorischen Liege aus Formenergie. Einer von Quiupus Medorobotern, der sich bis eben mit dem Terraner befasst hatte, schwebte geräuschlos davon und erstattete dem Virenforscher Meldung. Quiupu verließ seinen Platz an der zentralen Konsole und kam heran. Besorgt musterte er Cornus. »Das war knapp. Wenn deine Gefährten nicht gewesen wären, hätten wir nicht nur fünf Roboter verloren, sondern auch dein Leben.«
»Was war das für eine Erscheinung?«, krächzte Cornus. »Das rote Feuer ...«
»... ein energetisches Schirmfeld unbekannter Struktur. Der Gegner sichert damit den Drugun-Umsetzer gegen unseren Zugriff. Materie, die mit dem Feld in Berührung kommt, wird zerstrahlt – mit den üblichen Ausnahmen natürlich: die umgebende Atmosphäre; der Untergrund, auf dem der Umsetzer steht – und so weiter.«
»Lissa und Sapr ...?«
»Sind völlig in Ordnung. Auch dir geht es den Umständen entsprechend gut. Du hast nichts abbekommen, was fünf oder sechs Stunden entspannter Schlaf nicht heilen könnten.«
»Soll ich schlafen, während alles am Zusammenbrechen ist?«, protestierte Cornus.
»Nichts bricht zusammen«, belehrte ihn Quiupu. »Unser Gegner geht im Großen und Ganzen behutsam vor. Er hat alle Drugun-Umsetzer in den Ballons unter Kontrolle; die dabei entstandenen Schäden sind marginal. Die Fertigstellung des Viren-Imperiums vollzieht sich weiterhin außerplanmäßig schnell. Uns droht keine unmittelbare Gefahr.«
»Worauf warten wir dann?«
»Auf Geredus und die Unterstützung, die er uns bringen wird. Ich weiß inzwischen, dass er sich mit Lethos-Terakdschan auf Khrat in Verbindung gesetzt hat.«
Cornus fühlte die in ihm aufsteigende Müdigkeit. Er brauchte wirklich einige Stunden Ruhe. Aber da war noch etwas, das er loswerden musste.
»Es ist Belice!«, sagte er halblaut.
»Belice?«, fragte der Virenforscher überrascht. »War sie ein zweites Mal bei dir?«
»Ein zweites Mal und ein drittes.« Cornus schilderte die Begegnung während seiner letzten Ruheperiode. Dann fuhr er fort: »Ich hatte ihre Projektion auf der Helmscheibe, bevor der erste Roboter explodierte. Sie kontrolliert die Drugun-Umsetzer. Sie will das Viren-Imperium für sich und baut es aus eigener Kraft fertig.«
Quiupu blickte bestürzt zu Boden.
»Weiß Geredus von ihr?«, fragte Cornus.
Der Virenforscher schüttelte in typisch terranischer Manier den Kopf. »Ich habe ihm nicht von deinem Erlebnis berichtet.« Bedauern schwang in seiner Stimme mit. Quiupu sah zweifellos ein, dass er einen Fehler begangen hatte.
Rag Cornus träumte von einer gigantischen Schlacht. Er lag in einer flachen Deckung, hörte den Donner schwerer Explosionen, sah die grellen Entladungen und spürte die aufgepeitschte Atmosphäre hautnah. Ein schwerer Treffer in der Nähe schleuderte ihn in die Höhe – in der Sekunde erwachte er und begriff, dass er keineswegs geträumt hatte.
Schwankend kam er auf die Beine. Eine schwere Erschütterung schleuderte ihn gegen die Wand des Quartiers. Er schüttelte die letzte Müdigkeit von sich ab. Hastig tastete er sich an der Wand entlang bis zu seinem SERUN und streifte sich die Montur über. Die Mikropositronik aktivierte die Gliedermechanismen des schweren Anzugs.
Cornus prüfte die Funktionen. Alles war in Ordnung. Entweder war das Gravo-Pak repariert worden oder er hatte einen neuen SERUN erhalten. Hastig aktivierte er das Pak und hob vom Boden ab. Das Türschott öffnete sich nicht. Er zog den Kombistrahler und feuerte auf den Mechanismus, bis er die glitzernde Türplatte zur Seite schieben konnte.
Dichter Qualm erfüllte den Korridor. Trotz des ohrenbetäubenden Lärms glaubte Cornus, Stimmen zu hören. Er bewegte sich in Richtung des Kontrollraums. Überall lagen Trümmer. Wenn schon im Zentrum des Montageballons so viel Schaden entstanden war, wie mochte es erst entlang der Peripherie aussehen?
Ein eiförmiger Roboter schwebte heran. »Evakuierung!«, plärrte die Maschine. »Boote drei bis vierzehn, Hangar sieben-sieben-acht.« Mehrere Armtentakel wiesen in einen Seitengang.
»Wo ist Quiupu?«, schrie Cornus, ohne auf die Aufforderung zu achten, die ihm galt.
»Evakuierung! Mach schnell! Du auch!«
Er wollte sich an dem Roboter vorbeidrängen, aber plötzlich packten ihn mehr als ein halbes Dutzend Tentakel und schoben ihn in den bezeichneten Korridor. Cornus verzichtete auf weiteren Widerstand. Wenn er den Roboter richtig verstanden hatte, war Quiupu schon evakuiert. Was war geschehen?
Cornus schaltete das Gravo-Pak auf mäßige Leistung und flog weiter. Dabei war ihm, als ließe das Krachen und Dröhnen allmählich nach. Entfernte er sich vom Ort der Katastrophe, oder war das Unheil überstanden?
»Hangar sieben-sieben-acht, hier ist Rag Cornus!«, meldete er sich über Helmfunk. »Ist da noch jemand, der mit mir sprechen will?«
Nur ein Gewirr einander überlagernder Stimmen und kratzender Störgeräusche war zu hören. Vieles davon kam von anderen Montageballons. Cornus verstand einzelne Begriffe, doch keine zusammenhängende Aussage. Nach wie vor wusste er nicht, was geschehen war.
Schließlich durchdrang eine Stimme den Lärm. Sie war gut verständlich, der Sender musste in unmittelbarer Nähe sein.
»Hier Henry Horth in sieben-sieben-acht. Beeil dich, Rag; wir können nicht viel länger warten!«
»Bin schon auf dem Weg«, knurrte Cornus. »Aber sag mir endlich einer, was, zum Teufel, geschehen ist.«
»Zusammenstoß mit einem anderen Ballon. Wie vor zwei Tagen, nur weitaus heftiger.«
»Wo ist Quiupu? Wo sind Sapr und Lissa? Hat es Verluste gegeben?«
»Wir wissen es nicht. Die Virenforscher evakuieren mit den Booten eins und zwei. Quiupu ist an Bord von eins. Sapr und Lissa habe ich nicht gesehen.« Nach einer kurzen Pause fügte Horth ungeduldig hinzu: »Beeil dich, verdammt! Keine Ahnung, wie lang die Hangarwände standhalten.«
Cornus raste den breiten Korridor entlang. Der Qualm lichtete sich ein wenig. Durch eine Schleuse gelangte er ins Vakuum des großen Hangars. Hier standen die Beiboote der BASIS, mit denen sie gekommen waren. Ein Großteil der Besatzungen schien bereits an Bord zu sein; nur wenige in schwere Raumanzüge gekleidete Gestalten standen noch außerhalb der Mannschleusen.
Rag Cornus sah Quiupu, der als Einziger vor Boot eins stand, und glitt auf den Virenforscher zu. Ungläubig registrierte er, dass die Hangarwände verbeult, zum Teil eingerissen waren. Als er vor Quiupu den Boden berührte, vernahm er ein ächzendes Knirschen, das sich über den Boden auf seine Montur übertrug. Henry Horth hatte nicht übertrieben: Der Hangar stand kurz vor dem Zusammenbruch.
»Geh an Bord!«, drängte Quiupu. »Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
»Was ist geschehen?« Rag Cornus wich der Aufforderung aus. »Ich wüsste gern, vor was ich fliehe.«
»Alle Montagefahrzeuge sind vom Kurs abgekommen«, antwortete der Virenforscher. »Wir konnten nichts dagegen unternehmen. Es gab Dutzende sehr schwere Zusammenstöße. Die Ballons müssen aufgegeben werden.«
»Und wohin fliehen wir? Mit den Booten kommen wir keine fünf Lichtjahre weit.«
»Geredus ist unterwegs. Er hat eine kleine Flotte von UFO-Mutterschiffen zusammengerufen. Sie werden uns aufnehmen.«
»Wie konnte das geschehen?«, fragte Cornus verzweifelt. »Du hast von Stabilität gesprochen, und von Sicherheit ...«
»Wir haben uns täuschen lassen«, antwortete Quiupu. »Jeden von uns Virenforschern trifft ein Teil der Schuld. Aber für Diskussionen ist keine Zeit. Geh an Bord ...!«
»Gab es Verluste?«
»Wir wissen von drei oder vier Toten, nicht an Bord dieses Ballons.«
»Wo sind Lissa und Sapr?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Quiupu gequält. »Vorerst kann uns nur interessieren, dass wir die Boote rasch von Bord bringen. Ich bitte dich ...«
»Sapr hier!«, erklang eine zweite Stimme in Cornus' Helmempfang. »Ich habe mich in allen Beibooten umgesehen – keine Spur von Lissa.«
Er starrte den Virenforscher an, dessen Gesicht hinter der glitzernden Helmscheibe kaum zu erkennen war. »Du hast gehört, was Vistoy sagt? Ich kann Lissa nicht im Stich lassen. Es ist keine vier Stunden her, dass sie mir das Leben rettete.« Er blickte um sich, aber Sapr Vistoy war nirgendwo zu sehen. Wahrscheinlich befand er sich an Bord eines der Boote. Wenigstens einer der beiden ist in Sicherheit, ging es Cornus durch den Sinn.
»Du kannst hier nicht helfen«, drängte Quiupu. »Der Ballon wird auseinanderbrechen. Du begibst dich in Gefahr ...«
»Lissa ist in Gefahr!«, brauste Cornus auf.
»Junge, mach keinen Unsinn!« Das war Henry Horth. »Wenn du länger redest, fliegt uns allen der Ballon um die Ohren.«
»Ich bleibe hier!«, entschied Cornus. »Ihr verschwindet!«
Er wandte sich ab und wollte sein Gravo-Pak einschalten, da hörte er Quiupu merklich aufgebracht protestieren: »Ich gebe hier die Anweisungen.«
Eine kleine Kombiwaffe schimmerte matt in Quiupus Hand.
»Was willst du damit?«, fragte Cornus.
»Ich verhindere, dass du dein Leben opferst.«
Rag Cornus zeigte auf die Waffe. »Was geschieht, wenn du das Ding abfeuerst?«
»Es wird dich schwer verletzen, vielleicht sogar töten.«
Er lachte heiser. »Erkennst du, welchen Unsinn du redest, Quiupu? Du bringst mich lieber um, statt dass du mir die Möglichkeit gibst, eine Gefahr zu überstehen. Wozu das alles? Du brauchst mich nicht mehr. Dein Projekt ist abgeschlossen. Ich schulde dir nichts. Du schuldest mir für die geleisteten Dienste den Rücktransport nach Terra. Was hast du zu verlieren?«
Quiupu antwortete nicht sofort. Er starrte vor sich hin. Erst nach einigen Sekunden ließ er die Hand mit der Waffe sinken. »Du bist hartnäckig, Terraner«, sagte der Virenforscher bitter. »Und was noch schlimmer ist: Du hast recht.« Quiupu wandte sich ab und ging an Bord des Bootes.
Cornus flog zurück zur Schleuse und ins Innere des Montageballons. Er wollte mit der Suche bei Lissa Montelfs Quartier beginnen. Womöglich war sie wie er im Schlaf überrascht worden. Während er den Korridor entlangglitt, konzentrierte er sich ab und zu auf die Startgeräusche der Boote. Er hörte sie, wenngleich zwei oder drei Minuten später, als er erwartet hatte.
Eine merkwürdige Stimmung überkam ihn. Rag Cornus wünschte seinen Freunden Glück. Ihm war klar, dass es mit seinen Überlebenschancen nicht zum besten stand. Der Montageballon würde auseinanderbrechen, wie Quiupu gesagt hatte. Und selbst wenn er Lissa Montelf fand, bevor sich die Katastrophe ereignete: Wie sollten sie das Wrack verlassen? Es gab bald keine Fahrzeuge mehr an Bord. Seine einzige Hoffnung war, dass Geredus rechtzeitig zurückkam.
Über Helmfunk lauschte Cornus den verwehenden Stimmen. Das Gefühl der Einsamkeit wuchs, während die Laute schwächer wurden und schließlich verstummten. Die Boote hatten die Grenze der konventionellen Funkreichweite überschritten. Rag Cornus hätte sie über Hyperkom mühelos erreichen können, aber daran lag ihm nicht.
Mindestens alle zehn Sekunden rief er nach Lissa Montelf, doch sie antwortete nicht. Hin und wieder dachte er auch an Belice und all das Erregende mit ihr, das er sich in seinen Wachträumen ausgemalt hatte. Wie verrückt er gewesen war. Belice war keine Frau für ihn; er wusste nicht einmal, ob sie überhaupt existierte. Sicher, er hatte sie berührt. Nur, was bedeutete das schon? Er erinnerte sich an das Gefühl unnatürlicher Kälte, das der Kontakt mit ihrer Hand in seinen Fingerspitzen ausgelöst hatte, und von Neuem schauderte er.
Cornus war so in Gedanken versunken, dass er die Veränderung seiner Umgebung erst spät bemerkte. In dem Korridor, den er soeben betrat, lagen keine Trümmer. Dieser Teil des Ballons hatte die Kollision nahezu unbeschädigt überstanden. Er sah sich um und verwünschte seine Fahrlässigkeit, weil er diesen Bereich nicht kannte. Während er in Gedanken wieder bei Belice gewesen war, musste er eine falsche Abzweigung genommen haben. Er fand sich längst nicht in allen Bereichen des riesigen Montageballons zurecht.
Rag Cornus schritt den trümmerfreien Gang entlang und suchte nach einer Orientierungshilfe. Es gab eine Vielzahl von Aufschriften – fremde Zeichen, die ihm nichts sagten. Erst nach geraumer Zeit stach ihm ein Symbol ins Auge, das er identifizieren konnte. Er war ihm schon oft begegnet, es stand für »Drugun-Umsetzer«.
Die Akustiksensoren des SERUNS empfingen ein fernes, schwaches Summen. Cornus atmete auf, denn ab sofort konnte er sich nach dem Geräusch orientieren. Und sobald er den Umsetzer fand, war er wieder in vertrauter Umgebung.
Er schwebte schneller dahin. Das Summen steigerte sich zum Dröhnen. An einer Gangkreuzung orientierte er sich akustisch, und kaum hundert Meter weiter stand er vor dem Schott zum Umsetzerraum. Er zögerte kurz, dann trat er entschlossen auf das Schott zu. Die beiden Flügel wichen vor ihm zur Seite. Er gelangte in den Schleusenraum, öffnete das Innenschott – und blieb wie gebannt stehen. Im Zentrum der Halle ragte der Drugun-Umsetzer auf. Rings um die mächtige Maschine wölbte sich eine rötlich schimmernde Halbkugel aus reiner Energie. Sie durchmaß gut dreißig Meter und reichte mit fünfzehn Metern Höhe im Zenit mühelos bis zu den höchsten Verästelungen des Umsetzers hinauf. Das Energiefeld wirkte stabil, aber innerhalb glosten seltsame Leuchterscheinungen. Schlieren und Wirbel, Ströme in allen Farben des Spektrums trieben von der Peripherie auf das Aggregat zu und verschwanden darin.
Cornus glaubte, die psionischen Impulse zu sehen, die den Drugun-Umsetzer steuerten. Er wagte sich nicht näher heran. Zu deutlich war ihm Quiupus Warnung in Erinnerung. Jede Berührung mit dem rötlichen Energiefeld war tödlich.
Er schloss das Innenschott wieder und verließ die Schleuse auf den Gang hinaus. Sein nächstes Ziel war der Kontrollraum, den er nun schnell erreichte. Obwohl alles einwandfrei funktionierte, war der weitläufige Kommandobereich einsam und verlassen. Über die Konsolen huschten die Anzeigen der Messgeräte, als habe es nie eine Kollision gegeben.
Jäh wurde Cornus klar, was die Ereignisse der letzten Stunde bedeuteten. Belice hatte nicht einen einzigen der Ballons vernichten wollen. Sie wollte das Viren-Imperium vollenden. Deswegen hatte sie die Zusammenstöße der Montagefahrzeuge so arrangiert, dass nur unwesentliche Bereiche geschädigt wurden. Dabei war sie allerdings gründlich vorgegangen, denn die Verwüstungen reichten tief in die Ballons hinein. Nur Umsetzerhalle und Kontrollraum waren jeweils unversehrt geblieben. Belice hatte die Virenforscher und ihre Helfer vertreiben wollen, weil sie ihr im Weg waren und einen zu großen Teil ihrer Aufmerksamkeit beanspruchten. Das war ihr gelungen. Die Beauftragten der Kosmokraten waren verjagt. Nichts konnte Belice nun noch aufhalten.
Kurz spielte Cornus mit dem Gedanken, die Maschinerie des Kontrollraums zu sabotieren. Er besann sich aber eines Besseren. Belice hatte fünf Spezialroboter und drei Terraner quasi mit einer Hand abgewehrt, als sie den Drugun-Umsetzer auf Fremdbeeinflussung untersuchen wollten. Welche Hoffnung durfte er haben, dass sie ihn ungehindert die Kontrollen demolieren lassen würde? Keine, gab er sich selbst zur Antwort.
Es knackte im Helmempfang.
»Helft mir ...!«
Nur diese zwei Worte, schwach und verzweifelt. Rag Cornus kannte die Stimme. Eine Sekunde lang stand er wie gelähmt, dann schrie er mit überschnappender Stimme: »Halt aus, Lissa! Ich komme!«
Er erhielt keine Antwort. Die schwache und verzweifelte Stimme meldete sich nicht mehr, so sehr er auch schrie und tobte. Verzweiflung packte ihn. War das Lissa Montelfs letzter Aufschrei vor dem Tod gewesen? Die Sendung war zu kurz gewesen, als dass eine brauchbare Peilung hätte zustande kommen können.
Cornus erreichte den Verteiler, von dem die Gänge zu den Quartieren abzweigten. Er befand sich erneut im zerstörten Bereich. Sein Rufen hatte er längst aufgegeben. Montelf meldete sich nicht mehr. Ihm blieb nur die Hoffnung, sie möglichst rasch zu finden.
Der Angriff des Roboters traf ihn überraschend. Die kistenförmige Maschine raste aus einem der Seitengänge heran – ein Reparaturroboter, der mit Geräten für die Verarbeitung von Formenergie ausgestattet war. Eines dieser Geräte war eine Art Schweißinstrument am Ende eines flexiblen Arms. Eine blauweiße Flamme stach auf Cornus zu. Er wich zurück.
»Halt! Ich bin ein Freund!«, schrie er.
Sein SERUN hatte selbsttätig den Individualschirm aktiviert. Das Schweißgerät konnte Cornus deshalb nicht gefährlich werden, der Schreck saß ihm trotzdem in den Knochen.
»Nicht Freund, alles Feind«, antwortete der Roboter und griff wieder an.
Der IV-Schirm flackerte leicht. Cornus schaltete das Gravo-Pak auf volle Leistung und jagte in den Gang hinein, der zu Montelfs Quartier führte. Ein Wall aus Trümmern versperrte ihm schon wenige Dutzend Meter weiter den Weg. Und der Roboter folgte ihm. Ein zweites Mal versuchte Cornus, die Maschine aufzuhalten. »Du bist gestört!«, rief er dem Verfolger entgegen. »Ich befehle dir, dich abzuschalten. Ich bin Quiupus Mitarbeiter.«
»Nicht gestört, nicht abschalten, nicht Quiupu«, antwortete der Roboter. »Alles Feind.«
Das Schweißgerät spuckte lange Flammenzungen. Cornus zog den Kombistrahler und feuerte im Impulsmodus. Wabernde Glut umfloss den Roboter, dann explodierte er.
Je weiter Cornus vordrang, desto größer wurde das Ausmaß der Verwüstung. In einigen Bereichen war er gezwungen, sich den Weg mit dem Desintegrator freizuschießen.
Der Zwischenfall mit dem Roboter beschäftigte ihn weiterhin. Warum hatte die Maschine derart ungewöhnlich reagiert? Gab es ein stationäres Steuersystem für die Roboter, das durch den Zusammenstoß beschädigt worden war? Die Befürchtung, dass alle Roboter des Montageballons ihre Basisprogrammierung verloren hatten und ihn deshalb als Feind betrachteten, lag in dem Fall auf der Hand. Rag Cornus wusste nicht, wie viele Maschinen es an Bord gab; ihre Zahl ging sicherlich in die Hunderte, unter ihnen aber nur wenige, die Waffen trugen. Die Rekonstruktion des Viren-Imperiums war als friedliches Vorhaben gedacht gewesen. Lediglich für Notfälle war jeder Montageballon mit einer gewissen Anzahl bewaffneter Maschinen ausgerüstet worden.