Perry Rhodan 2821: Im Unsteten Turm - Marc A. Herren - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan 2821: Im Unsteten Turm E-Book und Hörbuch

Marc A. Herren

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Beschreibung

Im innersten Innern eines bizarren Raumschiffes - Atlan kämpft um die Zukunft Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben Teile der Milchstraße besiedelt, Tausende Welten zählen zur Liga Freier Terraner. Man treibt Handel mit anderen Völkern der Milchstraße, es herrscht weitestgehend Frieden zwischen den Sternen. Doch wirklich frei sind die Menschen nicht. Die Galaxis steht unter der Herrschaft des Atopischen Tribunals. Seine Gesandten behaupten, nur sie könnten den Frieden in der Milchstraße sichern. Wollen Perry Rhodan und seine Gefährten gegen diese Macht vorgehen, müssen sie herausfinden, woher die Richter kommen. Ihr Ursprung liegt in den Jenzeitigen Landen, in einer Region des Universums, über die bislang niemand etwas weiß. Dorthin unterwegs ist der unsterbliche Arkonide Atlan mit einem ehemaligen Richterschiff, der ATLANC. Es ist eine überaus seltsame Reise, und inmitten des Schiffes verbirgt sich ein erstaunlicher Blick IM UNSTETEN TURM ...

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Zeit:3 Std. 13 min

Sprecher:Tom Jacobs
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Nr. 2821

Im Unsteten Turm

Im innersten Innern eines bizarren Raumschiffes – Atlan kämpft um die Zukunft

Marc A. Herren

Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben Teile der Milchstraße besiedelt, Tausende Welten zählen zur Liga Freier Terraner. Man treibt Handel mit anderen Völkern der Milchstraße, es herrscht weitestgehend Frieden zwischen den Sternen.

Doch wirklich frei sind die Menschen nicht. Die Galaxis steht unter der Herrschaft des Atopischen Tribunals. Seine Gesandten behaupten, nur sie könnten den Frieden in der Milchstraße sichern.

Wollen Perry Rhodan und seine Gefährten gegen diese Macht vorgehen, müssen sie herausfinden, woher die Richter kommen. Ihr Ursprung liegt in den Jenzeitigen Landen, in einer Region des Universums, über die bislang niemand etwas weiß.

Dorthin unterwegs ist der unsterbliche Arkonide Atlan mit einem ehemaligen Richterschiff, der ATLANC. Es ist eine überaus seltsame Reise, und inmitten des Schiffes verbirgt sich ein erstaunlicher Blick IM UNSTETEN TURM ...

Die Hauptpersonen des Romans

Atlan – Der Pilot der ATLANC geht einer Verschwörung auf den Grund.

Avan Tacrol – Der greise Haluter sucht einen Freund.

Lua Virtanen und die Brüder Ziellos – Die Geniferenschüler blicken durch Fenster in die Zeit.

Oona Fahrenhayd – Die Gen-Architektin trifft das Objekt ihrer Bewunderung.

Guineva Sternenwaag

Prolog

Aus einer anderen Zeit

»Der Turm. Er ist in Bewegung.«

»Der Unstete Turm ist steter Bewegung unterworfen. Es entspricht seinem Wesen. Sonst wäre er nicht der Unstete Turm.«

»Aber siehst du nicht, dass er sich wandelt? Er formiert sich neu. Das Fundament, die Leitsymbole ... Der Turm verändert sie von Grund auf.«

»Du ... du sprichst die Wahrheit.«

Anh blickte fasziniert auf die Würfel, die sich – von der Hebelwirkung der Zeit getragen – aus dem Gebäude lösten und neue Positionen einnahmen.

»Und siehst du die Fenster? Die Gläser trüben sich. Die Blicke in die Zeiten werden stumpf, sie verschwinden allmählich. Als hätte es die Epoche der Onryonen nie gegeben.«

Der Sudpurun fühlte eine Verwerfung in sich. Wovon wurden sie gerade Zeuge? Etwas grundlegend Mehrdeutiges bahnte sich an. Hatte in einer zukünftigen Zeit bereits stattgefunden, warf sein Echo zurück, veränderte, ja: pervertierte diese Zeitlinie.

»Spürst du es, Anh? Die CHUVANC hat ihren unzweideutigen Handlungsvektor verlassen. Sie fliegt nun im Schatten autokausaler Ereignisse.«

»Ich fühle es. Und es ängstigt mich. Weil nicht eintreten darf, was bereits eingetreten ist.«

»Wir müssen in das Gemach der Zeit vordringen. Es wird uns zeigen, was geschieht und was geschah.«

Die Sudpurun verbanden sich, tauchten ein in das Leitsystem des Unsteten Turmes. Die neuen Symbole verwirrten die beiden Gefährten. Sie wirkten wie Anachronismen. Zu flach, zu profan, zu allgemein waren sie in ihren Bedeutungen. Es dauerte lange, bis Bahr und Anh ihren Weg in das Gemach der Zeit fanden.

Mit Erleichterung stellten sie fest, dass der Turm den einzigen steten Raum in seiner Wesenheit nicht verändert hatte. Was für das Gemach galt, galt aber nicht für die Zeitfenster.

»Trüb. Sie sind alle trüb geworden«, stellte Bahr fest.

»Alle. Bis auf eines.«

»Du irrst dich, Anh. Auch dieses Fenster wurde zuerst trüb wie die anderen. Dann gab das Glas einen neuen Zeitblick frei. Den ersten Blick auf diesen mehrdeutigen Handlungsvektor.«

Anh näherte sich dem Fenster. In seinem Inneren erhoben sich immer größere Verwerfungen. Nur mit Mühe kämpfte er den fast übermächtigen Fluchtimpuls nieder und stellte sich dem Blick durch das Glas.

Er sah ein Wesen, das auf den ersten Blick einem in seiner Körperfarbe invertierten Onryonen glich. Weiß anstelle von Schwarz. Aber er irrte sich. Das Wesen, das Macht und Tatkraft ausstrahlte, mochte vielleicht einem Schwestervolk entstammen, gehörte aber offensichtlich nicht zu den Onryonen.

Und es war kein Atope.

*

Zeitblick Null.

»Die CHUVANC hört auf zu existieren«, sagt das ANC.

Die Gesichtszüge des mächtigen Wesens verhärten sich. »Stopp jegliche Selbstzerstörung sofort! Dieser Befehl erfolgt auch im Namen von Kommandant Perry Rhodan, der ...«

»Alle Vorbereitungen sind abgeschlossen«, unterbricht ihn die Stimme des Schiffes. »Das ANC hat eine Lösung gefunden. Es nimmt seine Zuflucht zum Lebensteil Atlan und ist nun Atl-ANC. Unauflösliche Einheit. Die CHUVANC ist nicht mehr. Ende der elften Mission. Die ATLANC nimmt die zwölfte Mission auf.«

Der neue Pilot starrt ins Leere. Ist es seine Art, den Triumph auszukosten? Oder hat er nicht damit gerechnet, von ANC als Pilot anerkannt zu werden?

»Die ATLANC beginnt nun die zwölfte Mission: Heimkehr in die Jenzeitigen Lande«, verkündet das Schiff.

»Hast du dich deshalb mit mir verbunden?«, fragt Atlan, der neue Pilot. »Weil nur ich dich in der Synchronie steuern kann?«

»Unauflösliche Einheit«, antwortet das ANC. »Zwölfte Mission, definiert von Atl-ANC. Einflug in die Synchronie wird nicht ohne Hilfe von außen gelingen.«

*

»Es geschah«, sprach Bahr die Formel aus. »Es geschieht. Es wird geschehen.«

»Wir müssen eingreifen«, sagte Anh. »Wir können nicht zulassen, dass die Irritationen stärker werden. Eine Reise im Schatten autokausaler Ereignisse birgt das Potenzial einer irreparablen Schädigung des Chronoversums.«

»Ich stimme dir zu, Anh. Aber was können wir schon ausrichten? Wir sind nur Echos unserer selbst. Wir können die Synkavernen nicht verlassen.«

»Wir werden warten. Warten, bis der Pilot zu uns gelangt. Dann erst werden wir eingreifen.«

Der Sudpurun wollte noch etwas hinzufügen, als er die mächtigen Verwerfungen in seinem Gefährten erkannte.

»Was ist geschehen, Bahr?«, fragte er erschrocken. »Was hast du gesehen?«

Die Verwerfungen in Bahrs Körper drangen nach außen. Wanderten wie Gravitationswellen über das paramaterielle Gefäß seines Geistes.

»Einen Augenblick hat eines der zukünftigen Fenster einen Blick gewährt, bevor sich das Glas erneut trübte.«

»Was hast du gesehen?«, fragte Anh alarmiert.

»Die Zerstörung der ATLANC«, flüsterte Bahr. »Es kann geschehen sein.«

»Es kann geschehen.«

»Es wird geschehen können.«

1.

Auftritt Sternenwaag

Narr!

Trotz der angespannten Situation musste Atlan grinsen. Du schiltst mich einen Narren, weil ich meinem Extrasinn und seiner unbestechlichen Logik nicht geglaubt habe ... und damit sogar noch richtiglag?

Du bist ein Narr, wenn du diese Fehldiagnose als Sieg deines Instinktes über die Logik siehst. Das Leben ist so logisch nicht, als dass selbst klare Indizien und hohe Wahrscheinlichkeiten stets auf den korrekten Sachverhalt verweisen müssen.

Diese Worte werde ich mir merken und sie dir bei Gelegenheit wiederholen.

Der Extrasinn zog es vor, nicht zu antworten.

Ja, der bei der ARK SUMMIA aktivierte Logiksektor in seinem Gehirn hatte sich geirrt. Aber das kam vor, war meist nicht der Rede wert, weil auch die Logik akzeptierte, dass sie sich selbst von Zeit zu Zeit aus rein logischen Gründen widersprechen musste.

Der Extrasinn war davon ausgegangen, dass die Markleute für die Entführung der Jugendlichen verantwortlich waren. Die Indizien und das mögliche Tatmotiv – ihre Forderung nach einer genetischen Auffrischung – hatten klar gegen sie und ihren Sprecher Tycho Boltsman gesprochen.

Nachdem die Entführer mit den drei Jugendlichen aber im Sektor S – dem Schlauch – verschwunden waren, deutete alles darauf hin, dass die Pioniere hinter all dem steckten.

Womöglich gar mit der Unterstützung der Tolocesten.

Und dort lag der Hund begraben. Wenn die Konflikte weiter zunahmen ...

Atlan blickte finster auf das verschlossene und positronisch gesicherte Schott, das in den Sektor S führte, vor dem sie warteten.

»Innere Selbstgespräche, Atlanos?«

Der Arkonide zuckte zusammen.

Die Stimme des vorzeitig vergreisten Haluters mochte an Gewalt verloren haben, sie klang aber weiterhin, als stünde Atlan in die Nähe eines startenden Raumschiffes mit Impulstriebwerken.

»Du meine Güte«, murmelte Oona Fahrenhayd. Die junge Gen-Architektin sah schockiert an dem dreieinhalb Meter großen Avan Tacrol empor.

Atlan verzog die Mundwinkel zu einem nachsichtigen Lächeln. »Sachte, alter Kämpfer.«

»Entschuldigt.«

Die vier Arme des mächtigen Haluters zuckten. Er wirkte wie ein alter, morscher, von Eisengestängen notdürftig gestützter Baum, auf den eine allerletzte Sturmfront zuraste. Atlan klopfte mit der Faust aufmunternd gegen das linke Bein des Giganten.

Avan Tacrol war merklich angeschlagen. Physisch wie psychisch. In einer anderen Zeit hätte sich der Haluter in diesem Zustand wahrscheinlich zurückgezogen. Vielleicht hätte er auch im Kreise von anderen Halutern auf sein Ende gewartet.

Aber so? Aber hier und jetzt?

»Ich dachte gerade an die möglichen Auswirkungen dieser ganzen vertrackten Situation«, sagte Atlan. »Die Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppierungen stehen kurz vor der Eskalation ... Und was immer die Pioniere und die Tolocesten wirklich beabsichtigen, etwas Gutes kann es nicht bedeuten.«

»Was können die Entführer nur mit den Geniferenanwärtern vorhaben?«, fragte Oona.

Der Zellaktivatorträger hob die Schultern. »Sag du es mir. Du hast dich eingehend mit den Jugendlichen befasst.«

»Ich kann mir echt keinen Reim darauf machen. Die Markleute hätten ein nachvollziehbares Motiv gehabt, aber die Pioniere ... Die leben doch größtenteils unter sich. Und nun wiegelt sich plötzlich die Stimmung zwischen den Sektoren auf, und diejenigen, die sich am wenigsten an dem Bordleben beteiligen, sollen die Schuldigen sein. Das ergibt doch keinen Sinn ...«

»Wir hätten früher eingreifen müssen!«, grollte Tacrol.

»Vielleicht hätten wir das.«

Du hast zu lange gewartet, meldete sich der Extrasinn zurück. Die Situation an Bord ist deiner Kontrolle längst entglitten.

Atlan nickte. Er wartete, bis eine Gruppe Transterraner in wallenden grünen Gewändern, sie passiert hatte.

»Die Situation ist, wie sie ist.«, sagte er dann leise. »Niemand hat die Besatzung wirklich darauf vorbereitet, eine Reise anzutreten, die viele Generationen dauern würde. Wir hatten keine Ahnung, welche Auswirkungen der Flug durch die Synchronie auf unsere Körper haben würde. Erst die Epoche der Genetischen Erschütterung und danach die des Genetischen Siechtums ...

Wir mussten die Zügel etwas schleifen lassen, um überhaupt adäquate Lösungen zu finden. Wir mussten ihnen Freiheiten gewähren, um ihren Geist nicht zu brechen. Ich kenne die Menschen. Sperr sie in einen engen Raum und gib ihnen tausend Regeln, an die sie sich zu halten haben, und irgendwann sprengen sie diesen Raum einzig mit ihrem Willen und ihrer Sehnsucht nach Freiheit.«

»Du musst dich nicht rechtfertigen«, flüsterte Oona. Ihre goldenen Iriden strahlten im lackschwarzen Gesicht wie zwei geschliffene Schmuckstücke aus Bernstein. »Es ist gut, wie es ist. Und Probleme sind dazu da, um gelöst zu werden, nicht wahr?«

Der Haluter schlug die Laufhände zusammen, dass es nur so krachte. »Richtig! Lösen wir eines nach dem anderen. Und das erste lautet: Wie kommen wir in den Schlauch?«

Sieh an, wisperte der Extrasinn. Die Stimme der Jugend übertüncht die Zweifel der alten Greise.

Atlan sah sich um.

Bis auf vereinzelte Spaziergänger aus dem autonomen Sektor, die offenbar Gefallen daran fanden, die riesigen Energiemeiler zu besuchen, wirkte dieser Bereich der ATLANC wie ausgestorben.

Seit einer geschlagenen halben Stunde standen sie vor dem vermaledeiten Schott, das in den Sektor S führte, den Schlauch.

Dort waren die Entführer mit den drei Nachwuchsgeniferen verschwunden. Durch dieses Schott mussten Atlan und seine Begleiter, um die Verfolgung der Jugendlichen fortzusetzen.

Die Pioniere hatten dieses Schott installiert. Nicht einmal mithilfe des ANC war es möglich, die positronische Sicherung zu knacken. Von der Sprengung des Schottes oder einer der Wände des Schlauchs sah Atlan vorerst ab.

In der aufgeheizten Stimmung unter den verschiedenen Gruppierungen innerhalb der ATLANC könnte dies der Funke sein, der das Pulverfass endgültig zur Explosion brachte.

Das durfte nicht geschehen. Nicht so kurz vor dieser neuen und womöglich entscheidenden Etappe ihrer siebenhundertjährigen Reise durch die Synchronie.

Sofern du eine geschätzte Dauer von ›zehn Tage bis fünfundzwanzig Jahre‹ als kurz betrachten magst, frotzelte der Extrasinn.

Atlan seufzte innerlich. Der Flug durch die Zehrzone innerhalb der Synchronie hatte ihm zu schaffen gemacht. Seit er den Platz des Piloten verlassen und den beiden Eisprinzen vorübergehend das Kommando übergeben hatte, fühlte er sich allerdings wieder besser.

Erleichtert, geradezu.

Trotzdem fühlte er sich nicht dazu bemüßigt, mit seinem Logiksektor jedes Duell auszufechten. Dabei verstand er die Intention des Extrasinnes nur zu gut: Er wollte Atlan geistig aktiv, ihn auf den Zehenspitzen, ständig sprungbereit halten.

»Das Betreten des Schlauches ist nur ein zwischenzeitliches Problem«, sagte Atlan. »Es wird sich hoffentlich lösen, sobald sie auftaucht.«

»Und wenn sie nicht kommt?«, fragte Oona.

»Sie wird kommen.«

Die junge Gen-Architektin blickte ihn mit einer Mischung aus Zweifel und mühsam unterdrückter Nervosität an.

Oona will sie unbedingt persönlich kennenlernen, nicht bloß als Holo.

Atlan lächelte dünn. »Sie wird kommen«, wiederholte er.

Der Zellaktivatorträger hatte um Oonas Mitarbeit gebeten, weil sie sich als Gen-Architektin nicht nur hervorragend mit der Physis der Transterraner auskannte, sie hatte sich auch eingehend mit Lua Virtanen befasst. Die Nachwuchsgeniferin war eine der drei Jugendlichen, die verschleppt worden waren – zusammen mit den Brüdern Shukard und Vogel Ziellos.

»Denkst du, dass die drei im Schlauch festgehalten werden oder in den Synkavernen?«, fragte Oona rasch.

»Gehörte ich zu den Entführern, würde ich den Fehler nur einmal machen, die Jugendlichen außerhalb der Synkavernen festzuhalten«, meinte Atlan. »Die Pioniere haben die Synkavernen im Verlauf der Jahrhunderte urbar gemacht. In ihnen genießen sie alle Freiheiten. Es ist ihr Reich, so sehr etwas an Bord jemandem gehören kann.«

»Dann werden sie sie dort auch festhalten.« Oona kaute nachdenklich auf der Unterlippe. »Ich stelle gerade fest, dass ich kaum etwas über den Schlauch weiß. Eigentlich nur, dass über ihn die Pioniere in die Synkavernen gelangen. Im Unterricht war er kaum je ein Thema. Auch zu den Pionieren war fast nichts zu erfahren. Als wäre es ein Tabuthema oder etwas in der Art.«

»Das hat damit zu tun, dass die Pioniere sich mit der Flucht in die Synkavernen vor der Genetischen Erschütterung retten wollten. Das ist zwar schon ein paar Hundert Jahre her, aber die restlichen Besatzungsmitglieder haben es ihnen ziemlich übel genommen. Damals begann die Aufspaltung in die verschiedenen Sektoren, wie wir sie heute kennen.«

Atlan fuhr sich über die Stirn, fühlte den kühlen Schweiß, wischte ihn weg. »Der Schlauch selbst ist ein Ringkorridor mit einem Durchmesser von hundertsechsunddreißig Metern. Er erweitert sich zweimal zu je einer kubischen Halle mit einer Kantenlänge von fünfzig Metern. In ihnen befinden sich die Schnittstellen, die in die Synkavernen und wieder aus ihnen herausführen. Genauer kann ich es nicht sagen, da ich noch nie Grund hatte, den Sektor S zu betreten.«

»Das klingt nicht so, als würden im Schlauch oder den Hallen selbst viele Pioniere leben.«

»Nein. Aber das sollten wir hoffentlich in Kürze herausfinden.«

Atlan sah auf, als eine Transportbox angeschwebt kam. Auf dem ockerfarbenen Kasten aus tt-Progenitoren prangte das Symbol für Z –.

Der Zellaktivatorträger legte seine rechte Handfläche auf das Sensorfeld, das seine Zellkernstrahlung und die Vitalwerte überprüfte. Ein Klacken erklang, und der Deckel schwang auf.

»Mit den besten Grüßen aus der Zentrale«, erklang die Stimme Tauro Lacobaccis. »Hier läuft alles, wie es sollte.«

Atlan blickte in die Box und stieß einen Pfiff aus.

»Wie können die beiden Eisprinzen eigentlich das Schiff steuern?«, flüsterte Oona in Richtung des Haluters. »Ich dachte, nur Atlan könnte das.«

»Tauro Lacobacci und Samu Battashee sind in der Lage, den von Atlan eingegebenen Kurs einigermaßen zu halten«, erklärte Tacrol. »Ein Kurswechsel wäre ihnen aber nicht möglich. Das kann nur der Pilot.«

»Mit den besten Grüßen aus der Zentrale«, wiederholte Atlan die aufgezeichnete Nachricht. Er fischte ein Paket aus der Box und präsentierte es den anderen beiden. »Zwei SERUNS und ein Kampfanzug der Größe XXXXXL.«

»Die könnt ihr wieder zurückschicken«, erklang da eine glockenhelle Stimme. »Sie würden euch in den Synkavernen nicht viel nützen.«

Zwei Augenpaare und drei Stielaugen richteten sich auf das Schott, das sich lautlos geöffnet hatte. Ein in einen Folienpanzer gehülltes Wesen von unvergleichlicher Eleganz stand im Eingang. Fast lasziv lehnte es gegen den Rahmen des Schottes. Hinter ihm ragte das schwarze Gestänge seines Schlittens auf.

Sie war gekommen.

Von Oona Fahrenhayd war ein leises Keuchen zu vernehmen. »Guineva Sternenwaag!«

*

»Danke, dass du meiner Aufforderung gefolgt bist.«

Die CyboGen-Transterranerin löste sich vom Schott und näherte sich Atlan. Ihre Bewegungen waren fast überbetont weiblich, balztänzerisch. Als müsste sie ihr metallisches Äußeres durch eine gehörige Prise Erotik kompensieren. Der Folienpanzer, der ihren biologischen Körper umgab, schimmerte in Bronze und gebürstetem Chromstahl. Er betonte die üppige Oberweite, die schlanke Taille, die schier endlos langen Beine.

Auf der Folie, die ihr Gesicht überzog, erschien ein weibliches, absolut symmetrisches Antlitz mit hohen Wangenknochen, intensiven blauen Augen, einer scharf geschnittenen Nase, vollen Lippen und einem spitz zulaufenden Kinn.

In einer anderen Zeit hätte man von aristokratischen Gesichtszügen gesprochen, aber an Bord der ATLANC galten solche Maßstäbe längst nicht mehr.

Faszinierend, wisperte der Extrasinn.

Sie hat etwas, ja, gab Atlan zu.

Ich sprach nicht von ihr. Wie viele Hundert Jahre ist es her, dass du dich körperlichen Genüssen hingegeben hast? Nach dieser Geniferenausbilderin scheint nicht nur dein Haarwuchs, sondern auch deine Libido schwächer geworden zu sein. Wenn du mich fragst, solltest du den Ehrentitel ›Einsamer der Zeit‹ an die zuständige Kommission zurückgeben.

Dich fragt aber niemand.

Guineva Sternenwaag stellte sich vor Atlan auf, legte den Kopf ein wenig schief. Auch so überragte sie ihn um zwei Fingerbreiten.

Ein nachsichtiges Lächeln erschien auf dem Gesicht, von dem er nicht wusste, ob es ihr eigenes war. »Guineva Sternenwaag wird nicht aufgefordert«, hauchte sie mit ihrer sirenenhaft erotischen Stimme. Die Lippen bewegten sich nicht ganz synchron zu den Worten und erhärteten den Eindruck, dass es sich tatsächlich um eine Projektion ihres Gesichtes handelte. »Du hast eine Bitte geäußert, Pilot, der ich gefolgt bin. Aus Respekt vor einer Ordnung, die es so längst nicht mehr gibt.«

Atlan blickte kurz auf Oona Fahrenhayd. Die Gen-Architektin ließ die Sprecherin der Pioniere nicht aus den Augen, sog jede Bewegung, jedes Wort geradezu in sich auf.

Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Sternenwaag. »Bleiben wir bei Atlan.«

Eine Augenbraue hob sich millimeterweit. »Atlan«, gurrte sie.

Ich Tarzan, du Jane, spöttelte der Extrasinn.

»Es gibt nach wie vor eine Ordnung«, fuhr Atlan ernst fort. »Die Ordnung des Friedens innerhalb der ATLANC. Vor allem ihr Pioniere genießt fast unbegrenzte Freiheiten. Aber auch ihr müsst euch an gewisse Basisregeln halten. Die sehe ich heute verletzt, und deswegen habe ich dich als gewählte Sprecherin aufgefordert, in der Sache tätig zu werden. Es ist deine Pflicht, Schaden von den Pionieren abzuwenden.«

Ein Schatten glitt über das projizierte Gesicht. Zum ersten Mal gewahrte er einen Riss in ihrer Maske aus entrückter Selbstsicherheit. »Was meinst du mit ›Schaden‹? Wovon sprichst du?«

Atlan erzählte ihr in knappen Sätzen von den entführten Jugendlichen und der Spur, die direkt an dieses Schott zum Sektor S – und höchstwahrscheinlich in die Synkavernen – führte.

Als er sich eine knappe halbe Stunde zuvor mit ihr in Verbindung gesetzt hatte, verlangte er von ihr nur, sie in die Synkavernen zu bringen. Nun ließ er die Bombe platzen und forschte in ihrem Gesicht und ihrer Körperhaltung nach Anhaltspunkten darüber, wie viel sie bereits von den Entführungen wusste.

Sie richtete sich zur vollen Größe auf, die Augen verengten sich kaum merklich. Schweigend blickte sie den Zellaktivatorträger mehrere Herzschläge lang an.

Keine eindeutige Reaktion, flüsterte der Extrasinn. Aber zumindest scheint es, als müsste sie die Informationen erst verarbeiten.

»Ich weiß nichts von einer Entführung«, sagte sie mit ihrer glockenhellen Stimme.

Atlan sah sie prüfend an. Irrte er sich, oder hörte er eine Spur Besorgnis heraus? »Aber du weißt, wer dahinter stecken könnte.«

»Nein.«

Die Antwort war schnell gekommen. Zu schnell? Der kurze Moment der Unsicherheit schien bereits vorüber.