Perry Rhodan Neo 30: Hort der Weisen - Christian Montillon - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan Neo 30: Hort der Weisen E-Book und Hörbuch

Christian Montillon

4,3

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Beschreibung

Nach wie vor fühlt er sich als der einsamste Mensch der gesamten Milchstraße: Dr. Eric Manoli war der Arzt, der mit Perry Rhodan zum Mond flog und dort im Sommer 2036 auf die Außerirdischen traf. Jetzt aber ist er auf dem fernen Planeten Topsid gestrandet - als einziger Mensch unter Milliarden von intelligenten Echsen. Unter den fremdartigen Wesen muss er sich durchsetzen. Manoli weiß weder, wie es Perry Rhodan und seinen Gefährten geht, noch hat er eine Ahnung von den Verhältnissen auf der heimatlichen Erde. Sein einziges Ziel war zuletzt, sich durch die Wirren eines verheerenden Bürgerkrieges zu schlagen. Eine ehemalige Soldatin, ein seltsamer Söldner und eine mysteriöse Flugechse sind seine einzigen Helfer. Das gemeinsame Ziel der Gruppe ist der sogenannte Hort der Weisen. Dort hoffen sie auf weitere Erkenntnisse. Doch der Weg führt über steile Berge und ist schlicht mörderisch ...

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Zeit:6 Std. 10 min

Sprecher:Axel Gottschick
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Band 30

Hort der Weisen

von Christian Montillon

Nach wie vor fühlt er sich als der einsamste Mensch der gesamten Milchstraße: Dr. Eric Manoli war der Arzt, der mit Perry Rhodan zum Mond flog und dort im Sommer 2036 auf die Außerirdischen traf. Jetzt aber ist er auf dem fernen Planeten Topsid gestrandet – als einziger Mensch unter Milliarden von intelligenten Echsen. Unter den fremdartigen Wesen muss er sich durchsetzen.

Manoli weiß weder, wie es Perry Rhodan und seinen Gefährten geht, noch hat er eine Ahnung von den Verhältnissen auf der heimatlichen Erde. Sein einziges Ziel war zuletzt, sich durch die Wirren eines verheerenden Bürgerkrieges zu schlagen.

1.

Topsid:

»Vertrauen Sie mal einer Echse!«

Endlich, dachte Eric Manoli. Endlich renne ich einmal nicht um mein Leben.

Der Kampflärm blieb hinter ihm und seinen Begleitern zurück. Nur vereinzelt trieben mit dem Wind jene seltsamen Schreie bis zu den Gebirgshängen heran.

Schreie, wie sie nur Echsen ausstoßen konnten.

Er hatte sie inzwischen viel zu oft gehört, und auch in seinen Träumen ließen sie ihn nicht los. Er war so müde, dass jeder einzelne Muskel vor Erschöpfung schrie, und wenn sich Manoli nur vorstellte, die Lider zu schließen, könnte er im Stehen einschlafen. Aber wovon würde er träumen? Von sterbenden Topsidern? Von gebrochenen Augen in einem schuppigen Gesicht, die anklagend und blicklos in den Himmel starrten? Alles in ihm verkrampfte sich bei dem Gedanken daran.

Manoli bekam Atemprobleme. Er glaubte zu ersticken.

»Sieh nur«, sagte Khatleen-Tarr. »Ist es nicht wunderschön?«

Wunderschön? Er inhalierte tief. Er konnte atmen. Ganz normal. Wie immer. Die Luft schmeckte würzig, frischer als in der Hauptstadt. Insofern ging es ihm den Umständen entsprechend gut.

Nur entdeckte er beim besten Willen nichts, was auch nur ansatzweise wunderschön wäre. Von der grandiosen Gebirgslandschaft vielleicht abgesehen; aber für derlei Schönheit hatte er momentan absolut keine Augen. Nicht als einziger Mensch auf einem Planeten voller intelligenter, aufrecht gehender Echsen, die sich in einem politischen Aufstand gegenseitig abschlachteten und ihn entweder als Lockvogel nutzen oder ihn einfangen und töten wollten.

Khatleen-Tarr drehte den Kopf zu ihm. Ihr schlanker Schuppenschwanz hob sich vom Boden und schmiegte sich um ihre Beine. Das schabende Geräusch, mit dem ihre Schuppen übereinander rieben, erinnerte Manoli an Schmirgelpapier, das knochentrockenes Holz glättete.

»Man sieht sie so selten«, sagte die Topsiderin.

Manoli war verwirrt. »Wovon redest du?«

»Dort! Zwischen den Steinen!« Ihre Stimme klang sanft. So kannte er sie gar nicht, die ehemalige Raumsoldatin, die Prostituierte, die Untergrundkämpferin ... diejenige, die einer Freundin auf dieser Welt am nächsten kam.

Khatleen-Tarr streckte den Arm aus. Die bräunlichen Schuppen glänzten im Sonnenlicht; eine war über dem Handrücken zerbrochen, und eine leicht schmierige Kruste hatte sich darüber gebildet. Eric sah es zum ersten Mal. Es musste während der Kämpfe mit den jungen Echsen in der Kanalisation geschehen sein. Er schaute in die Richtung, die seine Begleiterin ihm wies.

Ein etwa daumennagelgroßer Echsenkopf lugte hinter einem schartigen Felsbrocken auf einem kleinen Steinschotterfeld hervor. Winzige Augen bewegten sich hektisch hin und her. Eine bläuliche Zunge, dünn wie eine Bleistiftmine, pendelte vor dem halb offenen Maul. Im nächsten Moment huschte das Tier auf den Felsen. Es war erstaunlich lang, sicher einen Meter, und sinnverwirrend viele Beinpaare spreizten sich zu den Seiten. Im Unterschied zum erdfarben-stumpfen Körper leuchtete die Schwanzspitze grellrot.

»Gehen wir weiter!«, forderte Gihl-Khuan. Er hatte sich ihnen in der Kanalisation der Hauptstadt angeschlossen und von sich behauptet, ein einfacher Mann zu sein. Er sei in die Wirren der Kämpfe zwischen Aufständischen und Regierungstruppen geraten und aus Angst in die Unterwelt von Kerh-Onf geflohen.

Manoli bezweifelte das. Gihl-Khuan hatte sich als furchterregender und – wie es dem Arzt schien – als erfahrener Kämpfer erwiesen. Ohne Gihl-Khuan wären Manoli und Kathleen den wilden Schlüpflingen zum Opfer gefallen. Sie standen in seiner Schuld. Andererseits behagte dem Arzt etwas an dem Topsider nicht. Seine Art war zu glatt. Und wieso hatte er Kikerren, die Flugechse, so merkwürdig angestarrt? Gihl-Khuan verbarg etwas.

Manoli hoffte, dass ihn keine bittere Enttäuschung erwartete, falls er je erfuhr, was es war. Vorerst musste er ihm Vertrauen schenken. Nur war das so eine Sache.

Sollte er jemals zur Erde zurückkommen, wollte er einen Bericht über seine Odyssee auf diesem Planeten veröffentlichen. Den Titel kannte er schon. Vertrauen Sie mal einer Echse! Das klang schlicht und trotzdem gut. Es trug das Potenzial für einen Bestseller in sich. Und mehr noch – man könnte es gleich noch auf Topsidisch übersetzen. Intergalaktische Vermarktung unter dem Deckmäntelchen der Völkerverständigung. Ein Traum für Autor und Medienkonzern zugleich.

Manoli verscheuchte die momentan völlig nutzlosen Überlegungen. Die Zeit des Müßiggangs, die er mit stumpfsinniger Arbeit und derlei Gedankenspielchen im Bordell Zum Purpurnen Gelege verbracht hatte, lag hinter ihm. Nun galt es, sich auf Wichtigeres zu konzentrieren.

Keiner reagierte auf Gihl-Khuans Aufforderung. Khatleen-Tarr stand ebenso starr wie Manoli. Sogar die stets quirlige Flugechse Kikerren saß wie versteinert auf Manolis Schulter.

»Was ist?«, fragte der Topsider barsch. »Warum kommt ihr nicht?« Er war dazu übergegangen, Kathleen-Tarr und Manoli zu duzen, seit sie die Kanalisation hinter sich gelassen hatten.

Khatleen-Tarrs Schuppen rund um die Schnauze verfärbten sich ein wenig dunkler. Ein Zeichen von Erregung, mehr noch, von Zorn, wenn Manoli sich nicht täuschte. »Das ist ein Topsuann!«, zischelte sie. »Hast du je ein so prächtiges Exemplar gesehen? Bedeutet dir das denn gar nichts?«

»Ich habe nie irgendeinem dieser Biester Beachtung geschenkt. Und wenn es das größte aller Zeiten wäre – welchen Unterschied macht es?«

»Sie sind unsere Vorfahren! Das ist ...«

»... ein Mythos«, unterbrach sie Gihl-Khuan. »Und darum völlig bedeutungslos.« Er stampfte los, und das anmutige Tier huschte rückwärts davon, verschwand zwischen dem Gestein.

Kikerren keckerte, erhob sich in die Luft und flog dem Topsider nach. Das kleine Tier verlor sich schnell vor dem gigantischen Omzrak-Gebirgsmassiv. Die gewaltige graue Wand schien die gesamte Welt zu erfüllen. Die Gipfel verschwanden in Schnee und Wolken, sodass sie kaum voneinander zu unterscheiden waren. Zwischen den Abhängen hallte aus der Ferne das Donnern von Wasserfällen wider.

Eigentlich mochte Manoli die Berge; er liebte sie sogar. Seit Jahren hatte er sich vorgenommen, endlich wieder einmal ein paar Tage Urlaub in seiner Hütte in Colorado zu verbringen. Seine ... Weltraumabenteuer waren ihm dazwischengekommen, und nun saß er auf einem fremden Planeten fest.

Für den Bordarzt sollte der Flug mit der STARDUST zum Mond der Höhepunkt seines Lebens darstellen. Nun war er unendlich viel weiter von seiner Heimat entfernt, als er es sich je erträumt hatte oder auch nur hätte vorstellen können. Wie weit genau, wusste er nicht. Vielleicht würde er es nie erfahren. Wie auch? Er war nach einem Transmittersprung auf dieser Welt aufgewacht, und ihm war immer noch nicht völlig klar, wie alles vor sich gegangen war. Jedenfalls steckte er nun mitten in der Auseinandersetzung zwischen den sogenannten kaltblütigen Rebellen und dem Herrscher von Topsid, dem Despoten Megh-Takarr und seinen Schergen.

Vertrauen Sie mal einer Echse, Kapitel 3, dachte er zynisch. Unterwegs zu Scharfauge, dem geheimnisvollen Anführer der Rebellion. Abschnitt 1: Geführt von einer Flugechse oder: Wie zuverlässig ist das Haustier eines Bordellbesitzers? Es fühlte sich zum Lachen an, aber er war viel zu schwach dazu. Die Schwerkraft von 1,3 Gravos, der er nun schon seit Wochen ausgesetzt war, zehrte an seinen Kräften. Alle Muskeln schmerzten ständig, gerade noch erträglich, aber doch so, dass er es nicht einfach vergessen konnte. Jeder Atemzug stach in den Lungen, und wenn er sich im Spiegelbild gesehen hatte, waren stets Äderchen im Augenweiß geplatzt gewesen.

Er hörte etwas donnern und drehte sich um.

Zum Glück lag die Hauptstadt Kerh-Onf mittlerweile weit genug hinter ihnen, sonst hätten sie womöglich noch die Druckwelle dieser Explosion gespürt. So sah er nur ein fernes Flackern, gefolgt von einer gewaltigen Rauchsäule, die in den Himmel stieg. Die Kämpfe tobten offenbar in unverminderter Härte.

»Das sieht gar nicht gut aus«, sagte er.

Khatleen-Tarr drehte sich nicht einmal um. Sie suchte das Gestein rund um die Stelle ab, wo das kleine Tier verschwunden war.

»Was hat es auf sich mit diesen ...« Manoli versuchte sich an den Namen zu erinnern.

»Mit den Topsuann?« Khatleen-Tarr klang amüsiert.

»Du hast sie eure Vorfahren genannt.«

»Manche glauben, dass sich die Topsider aus den Topsuann-Echsen entwickelt haben. Dass wir von ihnen abstammen, verstehst du?«

Wie der Mensch vom Affen, dachte Manoli.

»Es heißt, die Sternenechse hat ihnen Intelligenz und Bewusstsein eingehaucht, woraufhin sie gewachsen sind. So ist der erste Topsider entstanden.«

Doch nicht ganz so wie beim Affen und dem Menschen. Manoli grinste still vor sich hin. Offenbar entwickelte jede Art eigene Theorien über ihre Herkunft und einen speziellen Glauben. Es wäre interessant gewesen, sich mit diesem Thema näher zu beschäftigen. Nur leider hatte er momentan wichtigere Dinge im Sinn. Wie zum Beispiel die nächsten Stunden und Tage irgendwie zu überleben. Nicht von einem Soldaten der einen oder anderen Seite massakriert zu werden. Oder nicht vor Erschöpfung einen Kreislaufkollaps zu erleiden und auf dieser Ebene zwischen der Hauptstadt und dem Omzrak-Gebirge elend zu krepieren.

»Glaubst du daran?«, fragte er. »An die Sternenechse?«

»Und wenn? Was für einen Unterschied würde es machen?«

»Ich könnte dich besser verstehen, wenn ich es wüsste, Khatleen. Es gibt viele ...« Menschen, hätte er fast gesagt, aber sie hielt ihn für einen Arkoniden, und dabei musste es zunächst auch bleiben. »Viele aus meinem Volk, die ebenfalls glauben, dass ein göttliches Wesen sie erschaffen hat. Oder zumindest ...«

»Glaubst du daran?«, unterbrach sie ihn mit seinen eigenen Worten.

Er stockte, wusste nicht, was er sagen sollte.

Kikerren entband ihn von der Notwendigkeit einer Antwort. Die Flugechse kehrte zu ihnen zurück, krächzte leise und umflatterte seinen Kopf.

»Das heißt wohl«, meinte Manoli, »dass wir uns beeilen müssen. Also komm. Der Hort der Weisen wartet.«

Kikerren sollte sie zu dem mysteriösen Scharfauge führen, dem Anführer der aufständischen Kaltblütigen. Der Besitzer des Bordells Zum Purpurnen Gelege war Teil dieser Rebellion gewesen; er hatte ihnen die Flugechse mitgegeben. Bei Scharfauge, im Hort der Weisen, den Gihl-Khuan zuletzt erwähnt hatte, wären sie zumindest vorübergehend in Sicherheit.

Manoli konnte es nur hoffen. Etwas Ruhe und Zeit, über seine nächsten Schritte nachzudenken, hatte er dringend nötig.

Irgendwo im Omzrak-Gebirge lag wohl dieser ominöse Hort der Weisen. Khatleen-Tarr war nicht gerade begeistert gewesen, als sich zum ersten Mal herausgestellt hatte, dass Kikerren sie in diese Richtung führte. Wenn Manoli an dem Felsmassiv in die Höhe schaute, verstand er nur zu gut, warum. Eine lebensfeindlichere Gegend konnte er sich kaum vorstellen, und an ein idyllisches Tal zwischen den einzelnen Gipfeln wollte er nicht recht glauben.

Rund um die Gipfel sammelten sich nun dunkelgraue Wolkenberge. Ein verästelter Blitz zuckte lautlos und grell. Im nächsten Augenblick rollte Donnergrollen von den Steilhängen heran und brach sich als tausendfaches Echo.

Während dort oben ein Unwetter losbrach, schwitzte Manoli, dass ihm die Kleider am Leib klebten. Die weite Ebene vor dem Gebirgsmassiv lag etwa zur Hälfte hinter ihnen.

Jeder Schritt kostete Manoli Mühe. Die erhöhte Schwerkraft zehrte an seinen Kräften, und ihn quälte Angst. Er war eben nicht zum Helden geboren, auch wenn die Umstände ihn offenbar dazu zwingen wollten. Die Mondmission medizinisch zu betreuen war in seiner Vorstellung das äußerste Abenteuer gewesen. Manchmal verfluchte er die Tatsache, dass ausgerechnet er dabei war, als sie das arkonidische Schiff gefunden hatten. Dann wieder sagte er sich, dass es nichts Wunderbareres geben konnte, als den Anbruch der neuen Zeit so direkt mitzuerleben. Dies war die Chance, die Zukunft neu zu gestalten, abseits der drohenden Kriege und Feindseligkeiten, die die Nationen der Erde spalteten.

Der Gedanke versetzte ihm einen Stich, wurde ihm doch erneut klar, wie weit er sich von dieser Heimat entfernt befand. Während der Tage und Wochen im Bordell war ihm viel Zeit geblieben, um nachzudenken. Er hatte sich mehr als einmal wehmütig eine der berühmtesten Fragen gestellt: Was wäre, wenn ...?

Wenn er all das nicht erleben, wenn er nun gemütlich zu Hause sitzen und sich am Abend mit einem Bier in der Hand einen Film anschauen würde?

Wenn er sich vielleicht gerade jetzt den alten Wunsch erfüllen könnte, eine Nacht in diesem Tiefseehotel für reiche Exzentriker zu verbringen? Und was soll's, meine lieben Freunde, wenn dabei die Ersparnisse eines ganzen Jahres draufgehen!

Wenn auf dem Mond alles anders gelaufen wäre, weil Perry Rhodan versagt hätte – wenn sie dort oben einfach abgestürzt oder erstickt wären? Ruhe in Frieden, Eric Manoli; einige Medienberichte, etwas inszenierte Trauer, echtes Bedauern nur bei wenigen, und dann dreht sich die Welt ohne mich weiter, wie sie es auch vor meiner Geburt getan hat.

Er schaute die aufrecht gehende Echse neben sich an, musterte die Schleifspur ihres Schwanzes im Staub der Ebene. Nein, er würde um nichts in der Welt tauschen wollen, egal wie schlecht es ihm ging.

»Ich bin Eric Manoli«, flüsterte er, so leise, dass nicht einmal Khatleen an seiner Seite ihn hören konnte, »und dies ist mein neues Leben.«

Kikerren keckerte.

Verbissen schleppte sich der einsame, verlorene Mensch weiter, Schritt für Schritt dem Gebirge, dem Hort der Weisen und seiner Zukunft entgegen.

»Erikk-Mahnoli?«

Manoli drehte sich zu Gihl-Khuan um, der seinen Namen leise, aber bestimmt gerufen hatte. »Ja?«

»Wieso vertraust du mir?«

Weil mir keine andere Wahl bleibt. Manoli wüsste auch gern mehr über ihren rätselhaften Begleiter. War er nur ein harmloser, mehr oder weniger stark wunderlicher Mann, der in ein defektes Armband gesprochen hatte? Oder steckte mehr in ihm? »Die Umstände schmieden uns zusammen.«

»Ist das eine arkonidische Weisheit? Wir sind Topsider, du ein Arkonide. Normalerweise würdest du spöttisch auf uns herabschauen, unerträglich arrogant wie alle deiner Art.«

Manoli erinnerte sich an das, was ihm noch vor wenigen Augenblicken durch den Sinn gegangen war. Normalerweise würde ich jetzt eine Zehnstundenschicht absolvieren, ein Nickerchen halten oder vielleicht gut essen gehen. Wenn ich Glück hätte, sogar mit einer Frau. Sein Blick wanderte unwillkürlich zu Khatleen-Tarr. Mit einer menschlichen Frau.

»Lass ihn!«, forderte die Topsiderin. »Erikk ist kein Arkonide wie alle anderen.«

»Weil ihn die eben beschworenen Umstände dazu zwingen! Säße er in einem Raumschiff und hätte den Finger auf den Kontrollen ...«

»Du irrst dich!«, unterbrach sie ihn.

Manoli zuckte vor Schreck zusammen, als Kikerren von hinten auf seiner Schulter landete. Er musste diese elende Schreckhaftigkeit ablegen! Aber wie, wenn Müdigkeit und Anstrengung ihn immer stärker körperlich und seelisch auslaugten? »Ich habe gelernt, euer Volk mit ganz anderen Augen zu sehen. Topsider haben mir geholfen zu überleben, nachdem ich auf eurer Welt aufgewacht bin. Khatleen zum Beispiel. Und ihr Chef. Sie ...«

»Ihr Chef«, höhnte Gihl-Khuan. Seine Zunge zischelte vor dem Echsenmund. »Ein Puffvater.«

»Ein anständiger Mann! Auf seine Weise hat er das Richtige tun wollen. Ohne ihn und seine Hilfe hätte ich wahrscheinlich keinen einzigen Tag im Getto der Hauptstadt überlebt.«

»Er gehört zu den Kaltblütigen«, sagte Gihl-Khuan, der damit erneut bewies, dass er sich besser auskannte, als er zunächst den Anschein erweckt hatte. »Zu den Rebellen, die die Auffassung vertreten, dass die Topsider sich nicht zu sehr auf kriegerische Expansion verlassen dürfen. Dass militärische Stärke ein trügerischer Garant für Sicherheit ist.«

»Worauf willst du hinaus?«, fragte Khatleen-Tarr.

»Darauf, dass er seine Überzeugung mit Waffengewalt vertritt und den Despoten mit ebenso militärischen Mitteln bekämpft.«

»Trotz deiner Kritik hast du dich uns angeschlossen«, sagte Manoli, »und suchst den Hort der Weisen, um dort bei Scharfauge Zuflucht zu finden.«

»Was mich zurück zu meiner ersten Frage bringt.« Gihl-Khuan blinzelte mehrfach; Nickhäute schnappten zu. »Warum vertraust du mir?«

»Du hast keine Alternative dazu, dich uns anzuschließen«, behauptete Khatleen-Tarr. »Und du wirst deinen einzigen Begleitern, ohne die du allein dastehst, nicht hinterrücks auf den Schwanz treten.«

Eric Manoli ging in Gedanken sogar noch einen Schritt weiter, sprach seine Überlegung aber nicht aus. Seiner Auffassung nach war Gihl-Khuan ebenso vom Krieg und den Kämpfen traumatisiert wie Khatleen, die als Raumsoldatin schreckliche Dinge gesehen und getan hatte – eine verwirrte Seele, die Halt und Heilung suchte. Gihl-Khuan erhoffte sich vom Hort der Weisen nicht nur eine vorübergehende Zuflucht. Die Art, wie der ehemalige Jäger die kleine, grün schillernde Flugechse ansah, verriet es Manoli immer wieder.

Der Topsider hatte ihnen während ihres gemeinsamen Marsches über die Ebene ein wenig aus seinem Leben erzählt. Man hatte ihm gesagt, dass seine Heimatwelt zerstört worden sei – doch Kikerrens Art war dort heimisch gewesen, die Flugechse stammte eindeutig von dort. Seitdem hegte Gihl-Khuan einen Schimmer von Hoffnung, dass sein Heimatplanet doch noch existierte. Dass man ihn belogen hatte.

Manoli fragte sich, welche Gefühle in dem Topsider wüten mussten. Und ob er die Art dieser Empfindungen tatsächlich richtig einschätzen konnte. Die topsidische Mentalität unterschied sich in vielen Dingen von den Denkweisen der Menschen. Manoli hatte in den vergangenen Wochen zwar etwas Einblick erlangt, aber er war weit davon entfernt, diese Wesen wirklich zu verstehen.

Sie marschierten weiter, schweigend und verbissen. Der Kampflärm in der Hauptstadt blieb immer mehr zurück, verschwand in dem dröhnenden Donnern des Gewitters, das zwischen den Gipfeln des Omzrak-Massivs hallte, und in dem Plätschern eines kleinen Flusses, dem sie sich näherten. Er zog sich fast schnurgerade vom Gebirge her kommend durch die Ebene, in einem tief eingeschnittenen Bett. Manoli schätzte aus der Entfernung, dass das Wasser sicher zwei Meter tiefer floss, rechts und links von einem steilen Abhang begrenzt.

Immer wieder schaute Manoli über die Schulter, darauf gefasst, hinter sich eine Horde wütender Topsider zu sehen.

»Was erwartest du, Erikk-Mahnoli?«, höhnte Gihl-Khuan. »Wovor fürchtest du dich?«

»Furcht ist das falsche Wort«, sagte er.

»Aber du hast Angst.«

»Ist es denn nicht wahrscheinlich, dass andere Rebellen genau wie wir aus der Stadt fliehen? Und dass die Truppen des Despoten ihnen folgen? Dass sich die Schlacht also hierher verlagert?«

Gihl-Khuan widersprach. »Wir sind weit außerhalb der Stadt an die Oberfläche gekommen. Jenseits der Grenze zum Beelkar. Die Soldaten werden es nicht wagen, uns zu behelligen.«

»Ja?«, fragte Manoli gereizt. »Woher willst du das wissen?« Was verbirgst du vor uns?

Gihl-Khuan setzte zu einer Antwort an, aber ein lauter, tierhafter Schrei ließ ihn verstummen.

Khatleen-Tarr drehte in einer ruckartigen Bewegung den Kopf. »Das kommt vom Fluss her!« Sie rannte los, den Oberkörper leicht nach vorne geneigt. Manoli und der Topsider wechselten einen kurzen Blick und folgten ihr.

Über dem Abhang des Flussbetts tauchte mit einem Mal ein gedrungener, schlanker Körper auf und verschwand sofort wieder in der Tiefe. Manoli erhaschte den Eindruck rotbraunen Fells. Das Brüllen eines Raubtiers hallte über die Ebene, abgelöst von weitaus leiserem, erbärmlichem Fiepen.

Die Topsiderin erreichte den Fluss schon Sekunden vor Manoli und Gihl-Khuan. Sie sprang über den Abhang. Manoli sah noch Fontänen seitlich neben ihr in die Höhe spritzen, dann war er selbst an Ort und Stelle und schaute verblüfft in die Tiefe.

Sonnenstrahlen glitzerten auf dem Wasser, und über einigen Steinen im Flusslauf spannten sich halbe Regenbogen. Doch das nahm er nur am Rande wahr. Insgesamt fünf der rotbraunen Tiere machten sich an einem Nest zu schaffen, in dem etwa ein Dutzend große, grau-weiß gescheckte Eier lagen. Aus einem zerbrochenen Ei schälte sich eine winzige Kreatur ins Freie, die Schuppenhaut mit durchsichtiger, schleimiger Masse verschmiert.

Khatleen-Tarr stürmte wütend auf die Raubtiere zu. Eines davon schlug seine Zähne in das kleine Etwas, das noch nicht einmal völlig seine schützende Eihülle verlassen hatte.

2.

An Bord der NESBITT-BRECK:

Billardkugeln und echte Abenteuer

Es war der 22. Januar 2037, und die Venus schälte sich aus der Schwärze des Alls.

Der Nachbarplanet der Erde sah aus wie eine Billardkugel aus Elfenbein, über die sich bräunliche Verfärbungen zogen, die ein Muster bildeten, das Kontinente vorgaukelte.

Homer G. Adams kannte solche. Der Zufall wollte es, dass er schon einmal eines gesehen hatte, auf einer Billardkugel. In einem Pub in Brixton, im verregneten März 1981, vor seinem Unfall, als er noch von einer Karriere als Profifußballer geträumt hatte. Er hatte diesen Nachmittag bei einer Partie Billard mit seinem besten Freund verbracht, David Kincaide, der davon geschwärmt hatte, eines Tages Pilot zu werden, aber nur einen Monat später bei den Straßenkämpfen mit der Polizei tot auf dem Pflaster des Londoner Stadtteils liegen bleiben sollte.

Über fünfzig Jahre waren seitdem vergangen, aber Homer G. Adams hätte jede Einzelheit des Nachmittags beschreiben können, an dem er David zum letzten Mal gesehen hatte. Er wusste noch den Namen der Bedienung hinter dem Tresen – Jane Hughes – und kannte noch das Muster der Tapete: ein stilisierter schmiedeeiserner Gartenzaun. Er erinnerte sich an die belanglosen Gespräche, die er und die anderen Gäste des Pubs geführt hatten. Würde der Club Chrystal Palace es schaffen, in der ersten Liga zu bleiben? Das war die Frage gewesen, die sie bewegt hatte.

Der Augenblick lebte in Homer G. Adams weiter. Er war real – ebenso real wie das Hier und Jetzt. Und genauso real wie die Tatsache, dass David nie die junge Frau geheiratet hatte, in die er so sehr verliebt gewesen war, dass er immer wieder von ihr sprach. Adams hatte Andrea nach der Beerdigung aus den Augen verloren. Ob sie wohl noch lebte? Es war lange her, ein halbes Leben und mehr.

Mühsam wandte er den Blick von dem lebensechten Holo ab, das die verschleierte Venus zeigte. Es gab Wichtigeres als die Vergangenheit. Er schaute sich um. Ein Dutzend Männer und Frauen dienten in der Zentrale der NESBITT-BRECK, jenes topsidischen Aufklärers, den Perry Rhodan und Reginald Bull auf dem Höllenplaneten Gol im Wega-System geborgen hatten. Der kleine Raumer stellte nun, neben der stolzen TOSOMA, die nach Arkon aufgebrochen war, das einzige Raumschiff der Terranischen Union dar, das die Bezeichnung in diesem neuen Zeitalter tatsächlich verdiente.

Nicht gerade das, was man eine stolze Flotte nennt, dachte Adams sarkastisch.

Und er, der Bucklige mit dem humpelnden Gang, der ehemalige Fußballer, Betrüger und schließlich wohlhabendste Mensch der Erde, war der Administrator dieser Terranischen Union. Er trug die Verantwortung für die gesamte Bevölkerung dieser Erde und stand vor einer Entscheidung, die ihm den Schlaf raubte.

Nichts war mehr so einfach wie damals, im Pub.

Niemand an Bord, mit einer Ausnahme, ahnte etwas von der Entscheidung. Die Männer und Frauen brüteten über ihren verschiedenen Arbeitsstationen in der Zentrale. Die meisten standen, lehnten sich lediglich an die merkwürdig geformten Sitzgelegenheiten an, die für aufrecht stehende Echsen passen mochten, für Menschen jedoch höchst unbequem waren – falls man überhaupt das Wagnis einging, darauf Platz zu nehmen. Adams hatte es einmal versucht und danach seiner Mannschaft mitgeteilt, dass seine alten Knochen dafür nicht geschaffen waren.

Alle gingen ihren Aufgaben nach, scherzten gelegentlich mit einer Leichtigkeit, die ihn an die Gäste des Pubs vor langer Zeit erinnerte. Für diese jungen Leute, die seine Kinder, nein, seine Enkel sein konnten, verwandelte sich der Flug zu fremden Welten immer mehr zu etwas Alltäglichem. Die primitive Vergangenheit, in der Homer G. Adams nahezu sein komplettes Leben verbracht hatte und die gerade ein halbes Jahr zurücklag, war für sie ein fernes Zeitalter, verblasst, vergessen.

Nicht so für ihn. Denn er vergaß nie. Ein Segen und ein Fluch zugleich.

Hinter seinem Rücken sagte jemand: »Na, wieder in Gedanken, greiser Mann?«

Adams wandte sich mit der Gemessenheit um, die einem alten, buckligen Mann anstand, und antwortete: »Wo sonst?«

Conrad Deringhouse, der Kommandant der NESBITT-BRECK, lachte gutmütig. Er machte sich einen Spaß daraus, Adams hin und wieder als Greis zu bezeichnen, ohne das auch nur im Geringsten abwertend zu meinen. Der ehemalige Astronaut war Mitte zwanzig, aber man konnte ihn für einen Teenager halten, wenn man es nicht besser wusste. Deringhouse war hochgeschossen und schlaksig, versenkte seine unpassend großen Hände meistens in den Hosentaschen. Ihm haftete eine Unbekümmertheit an, als hätte er noch keine Kostprobe von den Grausamkeiten des Lebens erhalten.

Doch das war ein Trugschluss. Die Narbe, die sich schräg über den Hals des jungen Manns zog, legte ebenso davon Zeugnis ab wie seine Akte, die Adams bis zur letzten Fußnote gelesen hatte. Deringhouse war beim Absturz der GOOD HOPE über Ferrol, dem ersten Vorstoß der Menschen in ein anderes Sonnensystem, verletzt worden. Eine Explosion hatte einen Splitter tief in seinen Hals getrieben; er wäre verblutet ohne die Hilfe seiner Kameraden – und die einer Echse, der in einem Maße Mut und Mitgefühl zu eigen gewesen waren, die die meisten Menschen beschämen müssten.

»Sehr geehrte Passagiere!« Deringhouse verstellte seine Stimme. »Unser Schiff taucht in Kürze in die Atmosphäre der Venus ein. Ich darf Sie bitten, das Rauchen einzustellen und sich anzuschnallen.«

»Ich werde mich bemühen.« Adams lehnte sich an die topsidische Sitzgelegenheit, ohne tatsächlich auf der gewölbten Sitzschale Platz zu nehmen. Gurte fuhren automatisch aus und fesselten ihn an das Gestell. Aus Erfahrung klug geworden, verlagerte er im letzten Augenblick das eigene Gewicht so, dass er nicht in die Öffnung gedrückt wurde, die für die Schwänze der Topsider gedacht war und über die etliche Besatzungsmitglieder bereits so manchen unflätigen Witz gerissen hatten. Beiläufig fragte sich Adams, wie viele dieser jungen Leute wohl noch die wahre Bedeutung des Wortes Stuhlgang kannten.

Die NESBITT-BRECK berührte die Atmosphäre des Schwesterplaneten. Nicht der Hauch einer Erschütterung kam durch. In der schönen neuen Welt, die seit dem Kontakt zu den Arkoniden heraufdämmerte, geschahen derartige Weltraumflüge laut- und mühelos.

Aber Adams war klar, dass es sich letztlich um eine ausgeklügelte Täuschung handelte. Wenn die Andruckabsorber aussetzten, war es mehr als zweifelhaft, ob die Gurte die Besatzung festhalten konnten. Die NESBITT-BRECK tauchte mit extrem hoher Geschwindigkeit in die Atmosphäre ein – und die Turbulenzen der dichten Gashülle waren noch stärker. Der Aufklärer wurde hin und her geworfen, in einem Ausmaß, dass die STARDUST bei ihrem Anflug auf den irdischen Mond wie eine Nussschale geknackt hatte.

Deringhouse, der sich ebenfalls in die Umschlingung seiner Arbeitsstation begeben hatte, übernahm die Aufgabe des Piloten persönlich. Diese Mühe war unnötig, womöglich sogar riskant, aber der Exastronaut hätte um keinen Preis der Welt die Steuerung des Schiffs der Positronik überlassen und sich des Adrenalinstoßes beraubt.

Die Jugend giert nach echten Abenteuern, dachte Adams. Der junge Mann mutete ihm wie ein Surfer an, der auf seinem Board balancierte. Deringhouse verlagerte das Gewicht, die flexiblen Gurte erlaubten ihm die Bewegungsfreiheit.

Dem Administrator kamen unwillkürlich Julian Tifflor und Mildred Orsons in den Sinn. Die beiden hatten ihm vor Monaten geholfen, die Neugierde des Fantan Sheperk zu wecken. Er sah sie als Freunde an. Waren sie auch mit Deringhouse befreundet? Der Gedanke lag auf der Hand, sie teilten denselben ungestümen Abenteuerdrang. Adams hätte es ihnen gegönnt. Julian und Mildred trauerten immer noch um Timothy Harnahan, der in dem mysteriösen Geisteswesen Harno aufgegangen war und sich damit unwiderruflich für eine Existenz zwischen den Sternen entschieden hatte.