Pflichtjahr bei Helena - Katharina Mohini - E-Book

Pflichtjahr bei Helena E-Book

Katharina Mohini

0,0
3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Alles begann mit dieser unmoralischen Wette: »Ich knacke jede Festung zwischen siebzehn und siebenundvierzig«, warf sich Christoph überzeugt in die Brust. Der Womanizer, Partylöwe und Egomane Christoph Baumann, jüngster Spross einer Hamburger Reeder-Familie, gab sich redlich Mühe, seinem schlechten Ruf in der Gesellschaft gerecht zu werden. »Aber wärst du auch in der Lage, mit ein und derselben Frau ein Jahr lang unter einem Dach zu leben?« »Warum nicht!« Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. »Meinetwegen nehme ich die Erste, die durch diese Tür marschiert.« Ausgerechnet jetzt will es das Schicksal, dass jene Frau durch die Tür tritt, mit der Christoph kurz zuvor aufs Heftigste aneinandergeraten war: Helena Reckenhusen, die bekanntermaßen elitärste, hochnäsigste und gefühlskälteste Frau der Stadt, kann zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, welche Launen das Schicksal für sie bereithalten wird. Mit Hilfe seines besten und einzigen Freundes Phillip gelingt es Christoph, sich »undercover« als Chauffeur der Familie in Helenas Kreise einzuschleichen. Der Startschuss in ein Abenteuer, das nicht nur das Leben der beiden Protagonisten in ein Gefühlschaos stürzen, sondern für immer verändern wird.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Katharina Mohini

Pflichtjahr bei Helena

Imprint

Pflichtjahr bei Helena Copyright: © 2017 Katharina Mohini [email protected]

Konvertierung: sabine abels | www.e-book-erstellung.de

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

„Für Gunda“

Danke für all die Wege, die wir bislang Miteinander gegangen sind. Und auf denen du immer

Kapitel 1

Katja wusste wirklich, wie man sich in Szene setzte. So wie sie sich in den Armen ihres Trainers wiegte. Wie dieser dabei mit vagem Anschein von Professionalität versuchte, ihre Körperbewegung zu koordinieren. Jede Bewegung, jedes Lachen, das zu ihr herüberdrang, wirkte so natürlich. Ja, man konnte schon neidisch werden auf die beste Freundin.

Wenn da nur nicht dieser enervierende Ton wäre, der jedes Mal erklang, wenn eine Filzkugel aufs Feld katapultiert wurde. Dazu dieses künstliche Lachen der beiden, wenn das Paar den Tennisball um Längen verfehlte.

Helena Reckenhusen unterließ es, ihren gemischten Gefühlen ein Kopfschütteln folgen zu lassen. Um Katja und ihr ausgeprägtes Liebesleben musste man sich wirklich keine Sorgen machen. Wie um ihr eigenes, warf sie sich mit einer Spur von Trotz vor und ließ dem sehnsüchtigen Stich in ihrer Magengegend nicht den Hauch einer Chance. Was Katja zu viel hatte, versagte sie sich selbst seit Langem. Mehr oder weniger … Doch das war gut so. Tief durchatmend fuhr sie sich mit der Hand durch ihr wallendes, aschblondes Haar. Dann winkte sie ihrer Freundin kurzentschlossen zu, ergriff ihre Handtasche und flüchtete sich auf die etwas luftiger gelegene Sonnenterrasse des Tennisklubs, wo Helena sogar einen ruhig gelegenen Einzeltisch für sich fand. Weiter von ihrer Skepsis geleitet, ließ sie ihre Blicke über die Anlage schweifen. Nein, der weiße Sport war definitiv nichts für sie. Zu öffentlich und ständig auf dem Präsentierteller. Zumindest was die taxierenden Blicke gewisser Herren betraf, von denen sich der Großteil gemeinhin als Alphamännchen bezeichnen würde. Nicht dass sie sich mit ihrer Figur verstecken musste, weiß Gott nicht! Nur musste man nicht jedem gleich zeigen, was man besaß.

»Guten Morgen, gnädige Frau. Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen?« Der Kellner reichte ihr eine schmale Speisekarte.

»Ein stilles Mineralwasser, bitte. Und …«, sie blätterte lustlos in der Karte. »Ist der Caesar Salad zu empfehlen?«

»Frisch, wie eben gepflückt. Alles vom Biobauern«, versprach der Kellner und notierte ihre Bestellung.

»Bitte ohne Croutons.«

Er nickte und bedankte sich bei ihr mit einem zurückhaltenden Lächeln.

Von ihrem Platz aus konnte Helena die Tennisstunde ihrer besten Freundin gut übersehen. Drei weitere Trainingsstunden gab sie dem neuen Schwarm in Katja Friedrichsens Leben. Danach würde Katja den jungen Mann und erst recht diese Sportart nur noch langweilig finden.

Das war nicht nett, aber wenigstens ehrlich. Wieder einmal nahm sich Helena vor, nicht ständig auf die Eigenarten ihrer Mitmenschen herabzuschauen. Schon gar nicht auf die von Katja! Diese war, seitdem sie sich kannten, also gute zwanzig Jahre lang, schon immer die „Forscherin“ gewesen, die die Jungs sammelte wie ihr alter Biologieprofessor seine Käfer und Schmetterlinge. Nein, korrigierte Helena sich energisch. Solch herablassende Bewertungen waren weder ihres Standes würdig, noch passten sie zu dem Bild, das sie von sich in der Öffentlichkeit repräsentiert wissen wollte.

»Der Caesar Salad, ohne Croutons. Und ein stilles Mineralwasser, gnädige Frau«, riss sie der Kellner aus ihren Gedanken.

Helena nickte knapp und ergriff das in eine simple Serviette gewickelte Besteck. Skeptisch musterte sie die Gabel, vermied es aber, den Mann zurückzurufen. Eine Steakgabel zum Salat. Ein Sterne-Restaurant war das hier weiß Gott nicht. Lustlos pikte sie ein Salatblatt auf und tunkte es in die blass wirkende Vinaigrette. Trotz aller Zweifel, gar nicht einmal schlecht, entschied sie und probierte ein Stück von der Pute. Zu früh gefreut. Die war recht bissfest und schrie danach, sofort heruntergespült zu werden. Kaum hatte sie ihr Glas abgesetzt, folgte die Gabel, den schweren Holzgriff voran, den Gesetzen der Schwerkraft.

Klar, das musste ja so kommen! Ehrlich beleidigt musterte Helena ihre nagelneue weiße Bluse, auf der in Bauchnabelhöhe ein unübersehbarer Fleck prangte. Ein Fall für die Altkleidersammlung. Leise fluchend sammelte sie Gabel und Salatblätter von ihrem schwarzen Kostümrock, der hoffentlich keine bleibenden Spuren zurückbehielt. Der Appetit war ihr jedenfalls restlos vergangen.

Helena hatte nach dem vergeblichen Blusen-Rettungsversuch gerade erneut an ihrem Tisch Platz genommen, als Katja mit ihrem Sport-Ass die Stufen heraufkam. Ihr Lächeln wirkte entschlossen und selbstsicher. Wie üblich, ergänzte Helena im Stillen.

»Leni, darf ich dir Niels vorstellen?« Katja zog ihren Begleiter übermütig an ihre Seite, lachte hell und schlug sich mit dem Racket sanft gegen ihre wohlgeformten Beine. »Niels, das ist meine beste Freundin Leni.«

»Wie oft habe ich dir bereits gesagt, dass ich diesen Spitznahmen nicht mag!«

Die Gemaßregelte erwiderte den bitterbösen Blick mit einem schmelzenden Lächeln, das so etwa sagte: „Rede du nur, du kannst mir ja doch nicht böse sein.“

»Reckenhusen«, stellte sich Helena knapp vor und berührte die Hand des Sportlehrers mehr, als dass sie sie ergriff.

»Etwa DIE Reckenhusen? Von der Reederei Reckenhusen?«

Demonstrativ hochnäsig blickte die kühle Schönheit an Niels Fischer vorbei. Der junge Mann war lang genug in einem der vornehmsten Hamburger Tennisklubs beschäftigt, um zu wissen, mit welchem Typ Frau er es hier zu tun hatte. Frustrierte, frigide Unternehmergattin mit offensichtlichem Hang zur Selbstbeweihräucherung. Nur den obligat fetten Ehering vermisste er an ihrer Hand. Aber sie war eh nicht sein Fall. Zu alt, zu zickig und zu sehr von sich eingenommen. Er schenkte ihr ein herablassendes Lächeln, das dem ihren annähernd gleichkam.

»Dann wollen wir uns mal umziehen, ehe wir uns hier den Tod holen.« Seine Hand umfasste die zarte Hüfte seiner Schülerin, die sich seinen Avancen ihr gegenüber bedeutend offenherziger gab.

»Tja, Leni«, Katja vermied im letzten Moment, der frustriert wirkenden Freundin die Zunge rauszustrecken. »Treffen wir uns in fünfzehn Minuten? Drinnen an der Bar.«

Helena bezweifelte, dass sich ihre Freundin in der Kürze der Zeit so weit gestylt hatte, um ihr Versprechen einzuhalten. In der Hoffnung, dass es hier – so viel Gehässigkeit musste sein – keine Gemeinschaftsduschen gab, erhob sie sich, ergriff ihre über dem Stuhl hängende Kostümjacke und begab sich ins Innere des Gebäudes. Wo sie sich zumindest etwas klimatisierte Zustände erhoffte.

»Phips, alter Schwede! Ich hätte dich in der Ecke festnageln können!« Überschwänglich schubste Christoph Baumann seinen Trainingspartner und besten Freund Phillip von Staden in Richtung Tennislounge; ihrem beliebten Treffpunkt, wenn sie wieder mal mit den Freunden hier abhingen. »Squash ist echt nicht dein Ding, Digger! Bis du deinen Hintern in Bewegung gesetzt hast!« Was war das eigentlich für ein perverser Gestank, der sie begleitete … Christoph schnupperte skeptisch an seinem Polohemd und bedauerte ehrlich die Duftnote des Deos, das er sich ungefragt geborgt hatte. Seine zaghafte Einsicht ging im Gejohle einer Gruppe junger Leute unter, die es sich auf den Sofas und Sesseln in besagter Lounge bequem gemacht hatte.

Mit einem Siegerlächeln und der huldvollen Entgegennahme von Ovationen fläzte sich Christoph auf die nächstgelegene Couch und wühlte sich seufzend in die Polster hinein. »Leute, Phips wird immer besser. Dreimal 11 zu 5.«

Es war Christoph Baumanns ureigene Art, den Freund zu loben und für sich selbst die Glückwünsche einzuheimsen. Sein Blick blieb an der schnuckeligen Melanie haften, die ihn bislang noch nicht hatte kennen- und schätzen lernen dürfen. Die eindeutigen Signale, die sie aussandte, verrieten ihm, dass dieser Augenblick nicht mehr lange auf sich warten ließ. Mit einem siegessicheren Lächeln wischte er das lästige Zupfen an seiner Schulter fort. Erneutes Zupfen. Irritiert ließ er seinen Blick den eigenen Arm hinaufwandern. Oh, là, là!!! Er strich sich seinen in die Augen hängenden Pony aus der Stirn, um die attraktive Frau schräg hinter ihm besser in Augenschein zu nehmen. Diese Grazie schien ein älteres Semester zu sein, befand sich aber in einem ziemlich brauchbaren Zustand. »Ich hätte gern ein T-Bone-Steak, Schnuckelchen. Medium. Dazu ’ne Backkartoffel, aber eine, die auch ihren Namen verdient.«

Statt dass sie seine Bestellung mit einem schmelzenden Lächeln aufnahm, verfinsterte sich ihr eigentlich hübsches Gesicht noch weiter. Etwas irritierte …

»Kommen Sie endlich von meiner Jacke herunter, sie ungehobelter Flegel!«, hob ein wahres Keifen an, während sie wütend am besagten Kleidungsstück zerrte.

Taumelnd kam Christoph in die Höhe. Reine Verblüffung eroberte seinen bislang gutmütigen Gesichtsausdruck.

»So eine Rücksichtslosigkeit habe ich noch nicht erlebt!« Helena Reckenhusens zornige Blicke wanderten zwischen diesem ungehobelten Rohling und ihrer verknautschten Kostümjacke hin und her. »Was fällt Ihnen ein, sich wie ein stinkender Hammel auf meiner Kleidung zu suhlen!«

Demonstrativ zog sie ihr eigentlich hübsches Näschen kraus. Christoph blieben für einen Moment tatsächlich die Widerworte im Halse stecken. Mann, was für ein Drachen! »Nun spiel dich nicht wie ’ne frigide Krawallschachtel auf, Mädchen. Bring deinen Kaftan ruhig in die Reinigung …« Das herrische Wetterleuchten in ihren grauen Augen ließ ihn fasziniert stocken.

»Frigide Krawallschachtel!?!«

Wenn die beim Kuscheln genauso viel Feuer hätte … Wäre ’ne echte Alternative. Kaum hatte Christoph das erotische Kopfkino eingeschaltet, als es ganz in der Nähe seines Ohres knallte und sich ein unangenehmes Brennen über sein Gesicht fortpflanzte.

»Chauvinist! Bauernlümmel!«, schoss sie unbeherrscht ihre Flüche auf ihn ab und fegte um die eigene Achse. Mit wehenden Haaren rauschte sie durch die Tür und riss die Frau mit sich, die gerade durch dieselbe kam.

»Äh, was war das eben?« Christoph rieb sich die noch immer brennende Wange und blickte verständnislos auf die johlenden Freunde.

»Das war definitiv nicht die Serviermaus, für die du sie gehalten hast.« Selbst Phillip von Staden musste ein schadenfrohes Schmunzeln unterdrücken. Vor allem behielt er wohl erst einmal für sich, mit wem der Freund da aneinandergeraten war. Helena Reckenhusen war nicht die Frau, die man sich leichtfertig zum Feind machen sollte.

»Endlich hast du bekommen, was du dir seit Jahren redlich verdient hast.« Eine ruhige und doch tragende Stimme durchschnitt die fröhlichen Gespräche der anderen wie ein Damaszenerschwert.

»Was willst du damit sagen?«

»Das weißt du genau, Baumann.« Sebastian Krusemark hielt dem kühlen Blick des anderen ungerührt stand. »Es kotzt nicht nur mich an, wie du mit den Frauen umgehst!«

Selten hatte Christoph solch unverblümte Meinung einstecken müssen. Zumal das zustimmende Nicken hier und dort nicht gerade für ihn und seine Beliebtheit sprach. Er begann vorsichtig in sich hineinzuhorchen. Nur nicht zu tief. »Krusemark, ich habe mich damals bei dir entschuldigt. Das mit deiner Freundin … Wäre ich es nicht …«

»Das tut hier nichts zur Sache!«, würgte der andere ihn unwirsch ab. »Was mich ankotzt, ist deine Oberflächlichkeit, deine herablassende und verletzende Art, mit der du die Frauen behandelst.«

»Komisch, dass mir die Mädels das selbst noch nie so gesagt haben.«

»Vielleicht liegt es daran, dass du sie viel zu schnell fallen lässt. Oder daran, dass du einfach immer nur über dich redest.«

Christoph wurde allmählich sauer. Betont langsam strich er sich den Pony aus der Stirn und knurrte herausfordernd: »Willst du damit sagen, ich würde die Frauen nicht respektvoll behandeln und mich nicht binden können?«

»Korrekt! Dir geht doch der Arsch auf Grundeis, wenn auch nur eine zu dir sagt, dass sie dich liebt. Das allein wäre für dich schon ein Zuviel an Verpflichtung.«

Auf Vorwürfe stoisch reagieren war eine von Christophs Spezialitäten. Nur wenn diese der Wahrheit deutlich nahekamen, war es eine andere Sache. »Ich knacke dir noch jede Festung zwischen siebzehn und siebenundvierzig.«

»Das mag schon sein.« Krusemarks Lachen lockerte die angespannte Stille um sie herum nur unwesentlich auf. »Aber wärst du auch in der Lage, mit ein und derselben Frau – sagen wir ein Jahr lang – unter einem Dach zu leben?«

Diese Provokation vor der gesamten Clique würde er Krusemark irgendwann heimzahlen, schwor sich Christoph. Eine solche Herausforderung konnte er nicht auf sich sitzen lassen. Melanie schien sich bereits jetzt von ihm zu distanzieren. Dabei wäre sie wohl die Richtige. Vielleicht konnte er es mit ihr aushalten? Zumindest ein Jahr lang, relativierte er sogleich seine Gedanken. »Klar schaffe ich das.«

»Beweise es.«

Erneut ging ein Raunen durch die Gruppe.

»Wie willst du es haben? Soll ich mir gleich hier eine vom Fleck wegschnappen?«

»Du klingst ziemlich siegessicher.«

»Wieso nicht? Manchmal ist es schon eine Last …« Er strafte sein Gegenüber mit einem herablassenden Grinsen.

»Gut, dann wirst du wohl nichts dagegen haben, wenn wir deinen Willen und dein Durchhaltevermögen ein wenig forcieren?«

»Ich bin dabei. Um was geht’s?«

»Hundert Mille?«, schlug Sebastian Krusemark vor.

Ein weiteres herablassendes Lachen. »Ne! Wenn, dann lass uns richtig rangehen. Eine Tussi glücklich machen, kostet bei mir schon was. Zudem muss ich einen Verdienstausfall ebenfalls einplanen.«

»Ich verstehe. Du willst also richtig wetten. Schlag mir eine Summe vor.«

»Zweihundertfünfzigtausend, alles andere ist Kinderkacke.«

Den Leuten um sie herum stockte der Atem.

Phillip stieß seinen Freund in die Seite und flüsterte aufgeregt: »Chris, mach keinen Scheiß. Der will dich doch nur foppen.«

»Wie recht du hast, Baumann.« Krusemarks Schmunzeln vertiefte sich. »Alles andere geht bei euch ja eh nur aus der Portokasse.«

Jeder in der Runde wusste, was gemeint war. Die Reederei und Internationale Spedition Bertram Baumann war allen ein Begriff. Mindestens ebenso sehr wie die Art, in der der jüngste Spross des Firmeneigners sein Leben genoss.

Chris hatte längst das Pro und Kontra für sich ausgeblendet. Im Geiste rieb er sich die Hände. Diese Summe würde reichen, seine große Leidenschaft, den Rallyesport, in der nächsten Saison selbst zu finanzieren. »Okay, ich bin dabei. Auszahlung heute in einem Jahr. Fang schon mal an zu sparen.«

»Nein, mein Lieber, das hier wird richtig und unter Zeugen aufgesetzt. Meine Bedingungen zu dieser Wette: zwei Wochen Zeit, um die Auserwählte klarzumachen und dann 365 Tage unter einem Dach. Keine Verheiratete, keine Verlobte.«

»Hört sich gut an.« Christoph fühlte sich wie benebelt. »Weder verlobt noch verheiratet. Damit kann ich wirklich leben.« Er lachte zufrieden. »Waren das alle Einschränkungen?«

»Respekt, du scheinst dir ja noch immer siegessicher zu sein.«

»Warum nicht! Manchmal kann es ein wahrer Fluch sein, aber die Bräute stehen nun mal wimmernd Schlange vor meiner Kammertür. Möchte sonst noch jemand wetten?« Christoph drehte sich übermütig um die eigene Achse.

»Mir scheint, es steht für dich noch nicht genug auf dem Spiel, oder? Okay, an mir soll es nicht liegen«, bot Sebastian Krusemark provokativ einen höheren Einsatz an.

»Du sagst es.«

»Gut! Zu dem schnöden Mammon setze ich meinen 612er Scaglietti gegen deinen 911er GT2. Einer von uns wird im nächsten Jahr echte Tränen in den Augen haben.«

Christophs Herzschlag setzte für einen Moment aus. Nicht nur, dass Krusemark mit dem Einsatz ihrer Sportwagen der Luxusklasse den Wettbetrag praktisch verdoppelte. Der Verlierer würde wirklich etwas einbüßen, das er so nie wiederbekam. Sein Blick huschte zu Phillip, der aufgesprungen war und entsetzt abwinkte.

»Ich möchte auf der Stelle den Geschäftsführer sprechen!«

Die Sekretärin blickte verwirrt auf die beiden Frauen, die in ihr kleines Büro gestürmt kamen. »Herr Offen ist zurzeit leider nicht im Hause. Kann ich vielleicht behilflich sein?«

»Es ist eine Frechheit, wie man hier als Frau und Gast behandelt wird! Nicht nur, dass sich Ihr Gastronomiebetrieb auf dem Standard einer Pommesbude befindet. Nein, hier wird man auch noch von wildfremden Männern belästigt und beleidigt.«

»Entschuldigen Sie bitte, aber ich verstehe nicht?«

»Was meine Freundin damit sagen will, ist, dass sich in der Lounge eine Gruppe von Herrschaften befindet, die dem Renommee dieses Clubs eher schaden«, mischte sich nun die jüngere der beiden Frauen ein.

Das Lächeln der Angestellten schwand und machte einem ehrlichen Bedauern Platz. »Ich möchte mich vielmals für die Unannehmlichkeiten entschuldigen, die Sie erleiden mussten. Ich werde Ihre Beschwerde unverzüglich an Herrn Offen weiterleiten. Wenn ich auch befürchten muss, dass sich an der Situation leider nicht viel ändern wird.«

»Wie soll ich das verstehen?«

Die Miene der Sekretärin sagte nichts anderes, als dass sie bereits am eigenen Leibe ähnliche Erfahrungen gesammelt hatte. »Ich habe vorhin den bewussten Herrn gesehen und kann mir bereits denken, über wen Sie sich beschweren möchten. Das Problem ist nur: Die Reederei Baumann ist einer unserer Hauptsponsoren.«

»Baumann?«

»Ja, Reederei Bertram Baumann. Christoph Baumann, den Sie offensichtlich meinen, ist der Juniorchef.«

Baumann! Diese Erkenntnis brachte bei Helena Reckenhusen erst recht das Blut in Wallung. Nicht nur, dass dieses Unternehmen ihr in letzter Zeit die Kundschaft mit seinen Dumpingangeboten abwarb, verband ihre Familien auch noch seit gefühlten Jahrzehnten eine wahre Feindschaft. Nun hatte sie also den Junior kennenlernen dürfen. Ja, dieses Früchtchen passte nahtlos in die Reihe dieser Hasardeure hinein.

»Katja, komm, wir haben hier nichts mehr verloren.« Wütend zog Helena die willenlos hinter ihr herstolpernde Freundin mit sich.

»Fehlt also nur noch die passende Grazie.« Christoph atmete tief durch und trommelte mit den Händen erwartungsvoll auf die Sessellehnen. Um das Geld machte er sich keine Sorgen, aber seinen 911er wollte er nur ungern verlieren. Kurz erinnerte er sich daran, welche Summen es ihn allein gekostet hatte, diesen in limitierter Stückzahl gebauten Männertraum überhaupt sein Eigen zu nennen.

»Wie ich dich kenne, brauchen wir uns darüber keine Sorgen machen, oder?« Sebastian Krusemark konnte es noch immer nicht fassen. Das Gefühl, diesen Arsch endlich an seiner wunden Stelle getroffen zu haben, war unvergleichlich. Ein Jahr lang würde er diesen Minusmenschen leiden sehen und dann … Übermütig schlug er vor: »Nehmen wir doch einfach die nächste Frau, die durch diese Tür kommt.«

»Wenn man ihr nicht einen Sack übern Kopf ziehen muss. Geil! Das ist wie bei einer Wundertüte«, scherzte Baumann und fügte im vollen Brustton der Überzeugung hinzu: »Okay, die Wette gilt. Ledig und hübsch muss sie sein, dann beweise ich euch, dass mehr in mir steckt, als ihr Dumpfbacken alle glaubt. Die Nächste, die durch diese Tür kommt!«

Phillip sah an seinem Freund vorbei auf die besagte Tür, die Chris aber auch so richtig in die Schei… Er erbleichte sichtlich.

Ein anerkennender Pfiff und herzhaft einsetzendes Lachen verrieten Christoph, dass das Schicksal ihm seine neue Traumfrau ausgeknobelt hatte. Siegessicher lächelnd wandte er sich um. Sein Herz rutschte ihm nun doch für mehr als einen langen Moment in die Hose. Herr im Himmel! Tief durchatmen und durch.

»Un moment, jeune femme.« Christoph erhob sich und stellte sich der Eintretenden mit einer Verbeugung in den Weg. »Ich denke, ich muss mich vielmals bei Ihnen für mein ungebührliches Benehmen von eben entschuldigen.« Er schenkte dem Racheengel, der vor ihm stehen blieb, sein berüchtigtes schmelzendes Lächeln. Es fiel ihm wahrlich nicht schwer, bei dem, was sich ihm bei genauerem Hinsehen bot. Übersah man einmal, dass sie ihn echt wütend anfunkelte, wirkte alles an ihr mehr als passabel. Ihre Ausstrahlung, ihr Auftreten, ja das ganze Outfit passte – bis auf einen fetten Fleck auf ihrer Bluse – zu einer erfolgreichen und selbstbewussten Geschäftsfrau. Dankbares Alter und kein Ehering, soweit er sehen konnte. Sein bevorzugtes Beuteschema. »Wie schaut es aus, darf ich meinen Fauxpas bei einem gemeinsamen Dinner ausbügeln?«

Schweigend sah Helena an dem Mann vorbei. Die Gruppe der jungen Leute, die mit spannungsgeladenem Schweigen jede ihrer Regungen verfolgte, irritierte sie immens. Dieser ungehobelte Kerl bannte erneut ihren Blick. War er in der Tat der Meinung, dass mit einem Essen und ein paar ungelenken Worten alles aus der Welt geschafft war? Ein grässlicher Kerl, wie er da in seinen billigen Klamotten vor ihr stand, um ihr seine Aufwartung zu machen. Erbärmlich nach irgendeinem Ramschdeo stinkend. Die Krönung jedoch waren diese Surferfrisur und der ungepflegte Vollbart. Ja, dieser Kerl passte perfekt in den Baumann-Clan hinein. Im Rücken spürte sie die schützende Hand Katjas. Doch statt sich heldenmutig zwischen sie und diesen … Menschen zu werfen, hielt sich die Freundin schweigend im Hintergrund.

Christophs Lächeln vertiefte sich und schloss dabei die hübsche Frau mit ein, die hinter seiner „Auserwählten“ stand. Warum nur war diese nicht zwei Schritte schneller gewesen? Das Leben hätte so einfach sein können. Er erinnerte sich, dass ihn sein Gegenüber weiter scharf musterte. »Darf ich Ihr Schweigen als Zustimmung werten? Ich heiße Christoph. Christoph Baumann, ganz zu Ihren Diensten.«

Helena Reckenhusen übersah demonstrativ die Visitenkarte, die er ihr entgegenhielt. Stattdessen drohte sie ihm mit vibrierender Stimme. »Wenn Sie mir nicht augenblicklich aus dem Weg gehen, vergesse ich in der Tat den Rest meiner guten Erziehung. Alles Weitere besprechen Sie bitte mit meinem Anwalt.«

Der Stoß gegen seine Brust kam für Christoph völlig unerwartet und schon rauschte sie an ihm vorbei. Die andere Perle schenkte ihm nur ein verwirrtes Lächeln und folgte dann ihrer Freundin.

»Eins zu null für Krusemark«, kam es aus den Tiefen des Raumes.

»Die Wette steht, Baumann«, bekräftigte Christophs Gegenspieler und zwängte dessen Hand in die seinige. »Sie gehört dir. Ach, und denke daran, in zwei Wochen musst du die Auster geknackt haben.«

Der Zirkus zog weiter und ließ zwei mehr oder weniger nachdenklich dreinschauende junge Männer zurück.

»Du weißt, um was du dich da eben gebracht hast, oder?« Phillip von Staden war die Ruhe selbst. Jetzt wo eh alles zu spät war, erfasste ihn euphorische Untergangsstimmung. »Von deinem 911er kannst du dich definitiv verabschieden, würde ich mal sagen. Und was dein alter Herr dazu …«

»Nun mach dir mal nicht ins Hemd, Digger. Ich muss nur noch ihren Namen und die Adresse rausbekommen, dann wird das mit der Braut schon laufen. Sollst mal sehen, die steht auf Typen wie mich. Hart und ein wenig schmutzig.«

»Sag mal, du Depp! Du weißt wirklich nicht, mit wem du dich da eben angelegt hast, oder?«

»Ich werde sie das Jahr über wohl besser kennenlernen, als ich es mir jetzt vorzustellen vermag.« Christoph konnte nicht anders. Er musste seinen besten Freund einfach ein wenig auf die Schippe nehmen. »Wer weiß, vielleicht hast du sogar eben die zukünftige Frau Baumann kennengelernt. Das dankbare Alter scheint sie zu haben. Ist nicht so ein Junggemüse.«

»Ja, da wirst du recht haben. Ich meine, Helena Reckenhusen ist so knapp an die Vierzig.«

»Wer … sagtest du?« Christoph suchte nach festem Halt. »Reckenhusen? Etwa die Reckenhusen?«

»Bingo! Und wenn ich auch unsere innige Freundschaft damit aufs Spiel setze. Aber das mein Lieber, das hast du dir echt mal verdient. Mehr kann man sich gar nicht in die Scheiße reiten, als du es heute geschafft hast.« Phillip klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. »Respekt, mein Alter.«

Christoph blickte zu seinem Freund auf. Es war echt komisch zu spüren, wie einem sämtliches Blut in die Füße sackte. Ziellos irrten seine Gedanken hin und her, ohne irgendwo anzudocken. Reckenhusen! Shit! Der Alte würde ihm den Kopf abreißen, wenn er mit der frohen Nachricht kam. Fünfhunderttausend auf einen Schlag versenkt. Das wäre selbst für einen Christoph Baumann ein mehr als passabler Erfolg, hörte er bereits Thorsten, seinen älteren Bruder, fluchen. »Phips, ich glaube, jetzt habe ich doch ein kleines Problem.«

Phillip reckte die Nase stumm in die Höhe und ließ den Kopf ruckartig nach unten fallen. Eine inbrünstigere Bestätigung konnte man wirklich nicht verlangen.

»Wie soll ich die Reckenhusen in zwei Wochen davon überzeugen, was für ein toller Kerl ich bin? Was weiß ich eigentlich von der? Nichts, außer dass sie ’ne Krampfhenne und ausgemachte Emanze sein soll!«

»Ich glaube, du solltest dir erst einmal darüber Gedanken machen, wie du dir das Bargeld beschaffst. Wenn dein alter Herr dir gleich den Kopf abreißt, wird sich die gute Helena gar nicht erst anstrengen müssen, dir an die Gurgel zu gehen.«

»Oh Mann. Alter, du musst mir helfen! Ich werde auch meinen Erstgeborenen nach dir benennen.«

»Zumindest hast du deinen schrägen Humor nicht verloren.« Phillip von Staden rieb sich die Wange und inhalierte die unangenehme Wolke Aftershave, die ihm entgegenschlug. Nachdenklich musterte er den erneut dumpf vor sich hinbrütenden Freund. Er würde ihn noch ein wenig zappeln lassen. Das hatte Chris sich wahrlich verdient. »Vielleicht habe ich einen Plan B.« So viel konnte er ihm verraten. »Aber du musst zu deinem Alten. Oder hast du das Geld flüssig? Krusemark wird darauf bestehen, dass ihr eure Einsätze deponiert. In der Zwischenzeit will ich versuchen, ein paar Leute an alte Zeiten zu erinnern.«

»Phillip, wenn du es schaffst, dass ich bei der reinkomme, dann kannst du wirklich alles von mir bekommen. Echt! Ich verspreche dir, wenn ich halbwegs heil aus der Sache herauskomme, setze ich mich in Sachen Weiber zur Ruhe.«

Schön wäre es, dachte Phillip bei sich und knurrte: »Ich werde dich beizeiten daran erinnern, aber nun bring mich erst einmal nach Hause.«

Kapitel 2

Freitagmorgen. Hafen-City. In aller Herrgottsfrühe um zehn Uhr siebenunddreißig. Christoph Baumann parkte seinen 911er vor dem imposanten Firmengebäude der Reederei Baumann. Die Wagen seines Vaters und des älteren Bruders standen wie gewohnt auf ihren Plätzen. Hussa, das würde einen Spießrutenlauf geben. Skeptisch blickte er an der rot geklinkerten Ziegelfront empor. Hinter diesen Mauern sollte bereits seit Jahren ein eigenes Büro auf ihn warten; und das tat es wohl auch. Nur war er bislang auf diesem Ohr sehr schwerhörig gewesen. Ihm dämmerte, dass er für ein weiteres Entgegenkommen des Alten um eine verbindliche Zusage nun nicht mehr herumkam.

Christoph nahm den Fahrstuhl in den obersten Stock und sah nachdenklich über die im Sonnenschein glitzernde Elbe. Grandios! Manch einer bekam auf dem Weg zum Schafott nicht so einen herrlichen Ausblick geboten.

»Hallo Krügerchen, ist Papa zu sprechen?« Christoph hatte den geräumigen Schreibtisch der Chefsekretärin umrundet und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Er durfte es ungestraft, schon seitdem er als kleiner Hosenmatz auf ihrem Schoß gesessen hatte.

»Guten Morgen, Chris. Du wirst bereits von den beiden erwartet.« Ihr bedauernder Blick verriet, dass nebenan mindestens Windstärke 14 herrschte. »So wütend habe ich die zwei selten erlebt.«

»Die Buschtrommeln scheinen ja richtig gut zu funktionieren. Tu mir einen Gefallen, Krügerchen? Ich möchte, dass auf meiner Beerdigung zehn blonde Jungfrauen das Ave-Maria singen.«

»Ich denke, deine Scherze sind heute wirklich nicht angebracht.«

»So schlimm?« Christoph registrierte ihr ernstes Nicken. »Dann wünsch mir Glück und noch ein langes Leben.«

Es wirkte wie in einem dieser Mafiafilme. Der Patriarch saß an einem großen Schreibtisch, der Stiefellecker stand versetzt hinter ihm.

»Hallo zusammen. Was machen die Geschäfte?«

»Dank dir können wir von Glück reden, wenn wir dieses Jahr keine roten Zahlen schreiben.« Thorsten Baumann, Vizechef und designierter Nachfolger des Vaters umrundete den Schreibtisch, während der Alte seinen Jüngsten weiterhin schweigend musterte. Mit Wut im Blick baute sich Thorsten vor dem fünfzehn Jahre jüngeren Bruder auf. »Manches Mal glaube ich fest daran, dass dich eine böse Macht zu uns geschickt hat, um uns eines Tages das Genick zu brechen.«

»Deine Theatralik ist unangemessen, Thorsten«, ließ sich Bertram Baumann zum ersten Mal vernehmen. »Und du, Christoph: hierher!«

Letzterer tarnte sein krampfhaftes Schlucken, indem er den Bruder mit einem lässigen Handwedeln beiseitescheuchte. Langsam trat Christoph vor den großen, vermutlich aus einer einzigen Eiche gedrechselten Schreibtisch. Von dem meist gütig dreinschauenden Blick unter der Pracht aus vollem, schneeweißem Haar war nichts mehr übrig. Jemand aus der Clique hatte ihn verpfiffen. Der „Old British Gentleman“, wie ihn die Presse gern titulierte, war nicht mehr existent. Nein, Bertram stand kurz vor der Explosion. In den scharfkantigen Zügen des Alten war bereits das Toben zu erahnen, das seinen Ausbruch nehmen und ihn verschlingen würde. »Paps, ich glaube, ich muss da mal eine Transaktion mit euch besprechen. Hundertprozentig sicher und hundert Prozent Gewinnspanne in einem Jahr.«

»Ist das auch wieder so eine Idee wie deine letzten Erfolge?« Thorsten setzte sich in einen der protzigen Ledersessel, die als Sitzgruppe beinahe ein Viertel des Raumes einnahmen. Erwartungsvoll schlug er ein Bein über das andere.

»Fünfhunderttausend.« Christoph ärgerte sich. Zum einen über das affige Gehabe seines „unfehlbaren“ großen Bruders, zum anderen über den eigenen kläglichen Unterton.

»Du wirst uns sicher noch ein wenig mehr über dein geplantes Geschäft erzählen.«

Christoph überging den erneuten Einwurf und wandte sich dem Vater zu. »Es hängt noch zu vieles in der Schwebe, um jetzt ausführlich darüber zu berichten. Zuvor muss ich euch erst einmal mit ins Boot kriegen. Zweihundertfünfzigtausend kann ich derzeit nicht allein meistern.«

»Hör bloß damit auf, uns erneut in eines deiner windigen Geschäfte hineinzuziehen! Wir wissen diesmal sogar, worum es sich handelt.« Thorsten schoss in die Höhe und stapfte wütend auf den Bruder zu. Speicheltropfen sprühten auf diesen herab, als er ihm die Leviten las. »Macht es dir eigentlich Spaß, unser sauer verdientes Geld immer wieder zum Fenster hinauszuschmeißen? Ich habe die Schnauze von deinen Weiber- und Rallye-Geschichten restlos gestrichen voll!«

»Du musst ja nicht!«, wurde nun auch Christoph lauter. »Zur Not kann ich immer noch mein Penthaus beleihen.«

»Da sieht man mal, was für ein toller Kaufmann du bist!« Thorstens Lachen ließ echte Belustigung durchscheinen. »Du hast noch nicht einmal begriffen, dass dir deine Weiberfalle gar nicht gehört, sondern Firmeneigentum ist.« Er fuhr zu seinem Vater herum und drohte ihm in seiner Rage: »Wenn du diesem Bankrotteur noch einen Euro zuschusterst, muss ich mir wirklich überlegen, ob ich hier noch am richtigen Platz bin. Ich habe schließlich eine Familie zu ernähren!«

Bertram Baumann blieb ruhig in seinem Sessel sitzen. Ja, er lehnte sich sogar entspannt zurück und musterte seine beiden so grundverschiedenen Söhne für unendlich lange Momente. Irgendwann schien er, nach Rücksprache mit sich selbst, zu einem Entschluss gekommen. »Thorsten, ich denke, du hast mit der Sache in Nahost genug um die Ohren. Ich möchte dich nicht davon abhalten.«

Die Äußerung des Vaters duldete keinen Widerspruch. Das wusste auch der Vizechef des Unternehmens. Dennoch kam er nicht umhin, nochmals zu warnen. »Ich habe eben keine Scherze gemacht.«

Bertram Baumann unterließ es, darauf zu antworten. Sein Blick sprach Bände. Er wartete, bis sein Ältester das Büro verlassen hatte. »Ich könnte jetzt einen Kognak gebrauchen.«

Christoph nickte und begab sich an die Bar, um den Wunsch des Vaters zu befolgen. Dabei vermied er den offensichtlichen Fehler, sich ebenfalls aus den reichlich vorhandenen Vorräten zu bedienen. »Bitte schön, zum Wohle.«

Bertram Baumann musterte den jungen Mann, der vor dem Schreibtisch stehen geblieben war und mit unterschwelliger Nervosität auf das wartete, was da kommen mochte. Enttäuschung, anders konnte er sein Gefühl für ihn nicht umschreiben. Alles an Christoph war eine einzige Enttäuschung. Selbst der einfachste seiner Kontorboten hatte mehr Stil und Esprit als der eigene Sohn. Die unrühmlichen Frauengeschichten, die immer wieder für Stadtgespräche sorgten, diese Popperfrisur, oder wie das heute hieß, und dann diese Kleidung … Er schüttelte resigniert den Kopf und kam zum Anliegen ihres Treffens. Zumindest zu dem aus eigener Sicht. Aus der obersten Schublade entnahm er einen schmalen Aktenordner.

»Christoph, ihr habt euch oft darüber lustig gemacht, dass ich ein alter Pennschieter sei, weil ich alle Ausgaben nachrechne. Dir mag es seltsam vorkommen, doch anders kann man, auch heutzutage, kein Unternehmen führen.« Das Räuspern klang wie die nahende Eruption eines Vulkans. »Was für das Geschäft gilt, das gilt erst recht für die Familie.« Sein Sohn stand vor ihm und blickte ihn stumm an. Und doch signalisierte seine Körperhaltung Nervosität und Unsicherheit. Der junge Mann wusste sehr wohl, welchen Blödsinn er anstellte. Da war er sich sicher. »Ich habe mir in der letzten Woche die Mühe gemacht und einmal durchgerechnet, was mich meine Kinder in den letzten Jahren gekostet haben.«

»Aber wir haben doch auch wieder etwas eingebracht, oder?«, wagte Christoph einen ersten Einwand und erntete dafür einen bitterbösen Blick.

»In der Tat, das habt ihr. Gerade in deinem speziellen Fall würde ich diese Tatsache jedoch nicht noch besonders hervorheben. Dadurch wäre dein Manko noch weitaus katastrophaler, als es ohnehin ist.«

In einem Anflug von Trotz verschränkte der Gemaßregelte die Arme vor der Brust und blickte stumm zu Boden.

»Thorsten, seine Familie eingeschlossen, hat mich sage und schreibe etwas über eine Million gekostet. Eine Summe, die er durch seine Arbeit für das Unternehmen beinahe wöchentlich wieder hereinholt. Christina, mit ihren drei Kindern und einem Mann, der zumindest gut verdienender Chefarzt ist, hat mich an die drei Millionen gekostet.« Bertram Baumann holte tief Luft und erinnerte sich daran, was ihm sein Kardiologe geraten hatte. »Kommen wir zu dir, mein Sohn. Was meinst du, wie viel du mich bislang gekostet hast?«

Christina, nur drei Millionen? Christoph fragte sich allen Ernstes, ob er mehr verprasst hatte als seine kaufrauschwütige Schwester. Okay, eine aktive Teilnahme am Rallyesport war nicht gerade billig, aber erst vor drei Jahren hatten sie in der Rallye 200 den fünften Platz gemacht.

»Hat es dir die Sprache verschlagen, mein Sohn? Ich will dir gern helfen. Du führst das Minus mit sage und schreibe Sieben-Komma-acht-Millionen an!« Der Senior zog die Summe beinahe genüsslich auseinander und registrierte erste Spuren von Reue und Verlegenheit in den Blicken des Sohnes. »Ich hoffe inständig, dass du so viel Ehre und Anstand in dir hast, um zu erkennen, dass es so nicht weitergehen kann?«

»Du hast ja recht, Papa. Es ist in letzter Zeit einiges ein wenig aus dem Ruder gelaufen. Aber dass es so viel ist, hätte ich nun wirklich nicht gedacht. Ich versuche es wiedergutzumachen. Ehrlich!« Christoph wagte einen Blick aufwärts, traf jedoch auf wenig Gutmütigkeit. »Paps, ich habe mich diesmal wirklich in die Scheiße geritten. Aber ich kann mich da ganz allein wieder herausholen und muss den Einsatz nur als Sicherheit hinterlegen.«

»Ich will gar nicht erst wissen, welchen Blödsinn du nun wieder angestellt hast. Sag mir bitte nur, wie es mit dir weitergehen soll? Das ist das Einzige, was mich interessiert.«

»Ich will mich nun wirklich um die Firma kümmern. Doch zuerst muss ich diese Sache von der Backe haben. Dieses eine Jahr brauche ich noch.«

»Gut, dann höre meine Bedingungen.«

Christoph wagte zum ersten Mal, ein wenig aufzuatmen. Wenn sein Alter ihm diese Chance gab, dann gelobte er den Göttern wirkliche Besserung.

»Vielleicht bereitet dir der Auftrag, den ich für dich habe, sogar ein wenig Spaß«, schickte Bertram Baumann seinen Ausführungen aufmunternd vorweg. »Du wirst Anfang der nächsten Woche nach Südafrika fliegen und in unserer Dependance in Kapstadt dafür sorgen, dass die Unstimmigkeiten, die ich in den letzten Wochen aufgedeckt habe, abgestellt werden.«

»Südafrika?« Konnte es denn noch schlimmer kommen! Christoph bezweifelte, ob er diesen Auftrag innerhalb einer Woche erledigen und zudem, ganz nebenbei, das Herz einer erwiesenermaßen berüchtigten Krampfhenne erobern konnte.

Sein Vater redete weiter, als wäre ihm der erschrockene Einwurf nicht zu Ohren gekommen. »… In den letzten beiden Jahren sind dort Gelder in Millionenhöhe verschwunden. Du wirst den oder die Schuldigen finden und zur Rechenschaft ziehen.«

»Wie soll ich das denn anstellen? Ich bin doch kein Schnüffler. Gibt es da unten nicht auch so etwas wie Staatsanwälte und Polizisten?«

»Die gibt es. Du wirst jemanden aus dem Justizministerium, der mein vollstes Vertrauen hat, kontaktieren können. Aber ich verlasse mich darauf, dass nichts davon an die Öffentlichkeit gerät.«

»Deine Gründe würden mich, ehrlich gesagt, sehr interessieren.«

»Ich befürchte, dass nicht nur irgendwelche Mitarbeiter in Kapstadt in diese Sache involviert sind. Sie müssen einen Komplizen hier in der Zentrale haben. Darum werde ich niemanden aus der Firma hinzuziehen. Nicht einmal deinen Bruder.«

Ha, da gab es endlich mal etwas, was diese Blödbacke nicht wissen durfte. Christoph musste wider Willen lächeln. Allein die Aussicht, die väterliche Dankbarkeit nur für sich allein zu genießen, wäre Antrieb genug zuzusagen. Wenn … Ja, wenn die Sache mit einer gewissen Helena Reckenhusen nicht im Raum stünde. Ein Jahr unter einem Dach. Er müsste sie wohl kidnappen, narkotisieren und in einem Kral verstecken, damit er überhaupt noch eine Chance behielt, die Wette zu gewinnen.

»Wenn du bereit bist, das für uns und die Firma zu erledigen, werde ich dir das Geld geben und einen Schlussstrich unter deine Torheiten setzen. Ansonsten erhältst du neben der gewünschten Summe letztmalig einhunderttausend Euro und wirst anschließend für alle Zeiten aus der Erbfolge ausgeschlossen. Überlege es dir. Es ist mein letztes Angebot.«

»Jetzt machst du aber Scherze.« Christoph suchte vergeblich nach einem humorvollen Funkeln in der Miene des Alten.

»Glaubst du wirklich, dass mir deine Eskapaden auch nur einmal ein Schmunzeln abverlangt haben? Nein, mein Sohn, ich scherze beileibe nicht.«

»Wohl nicht.« Christophs Schultern sanken herab. »Darf ich mir die Sache noch einmal durch den Kopf gehen lassen? Ich muss eine Nacht darüber schlafen.«

»Morgen früh erwarte ich deine Entscheidung.« Bertram Baumann scheuchte seinen Sohn mit einem Handwedeln hinaus und beugte sich über seine Arbeit.

Gleich wache ich auf und alles ist nur ein Albtraum. Die letzten zwei Tage waren ein einziger Albtraum! Christoph wankte ins Vorzimmer.

»Christoph, Junge«, drang Krügerchens besorgte Stimme wie durch Watte zu ihm hindurch. »Du siehst aus, als wäre dir gerade der Tod begegnet.«

»Ja, so ähnlich kann man es wohl beschreiben.« Er holte sein Handy hervor und verließ grußlos das Büro. Nach dem dritten Freizeichen wurde abgenommen. »Phips, hast du was erreicht?«

»Eh Mann, ich kann zaubern, aber nicht hexen! Etwas Zeit musst du mir schon geben.«

»Zeit ist gerade das, was ich überhaupt nicht mehr habe.«

»Was willst du damit sagen?«

»Mein Alter macht mir die Hölle heiß. Ich muss mir das Geld verd… Halt, ich sehe doch noch eine Möglichkeit. Phips, bitte krieg das mit der Reckenhusen in Gang!« Er beendete das Gespräch und verließ eilig das Gebäude, um seine Idee in die Tat umzusetzen.

***

In rekordverdächtiger Zeit erreichte Christoph das Gebäude an der Elbchaussee, in dem seine Wohnung lag. Mit dem Lift fuhr er von der Tiefgarage direkt in sein Penthaus. Firmenbesitz, dass ich nicht lache, regte er sich über seinen pedantischen Bruder auf. Mit traumwandlerischem Geschick umkurvte er auf seinem Weg ins Arbeitszimmer die herumliegenden Gegenstände. Das musste die Putzfrau endlich einmal beseitigen. Er öffnete ein Fach in seinem Schreibtisch und kramte ein altes, abgegriffenes Adressbuch hervor. Piet … Verdammt, wie hieß der Mann noch mit Nachnamen? Mühle. Ne, da war was Holländisches dran. Möhlen, er blätterte hektisch durch das Buch. Auch nicht, da war mehr. Ja, da war es wieder. Pieter van der Möhlen. Hoffentlich stimmte die Nummer noch. Das Festnetz erzählte ihm, dass dieser Anschluss nicht belegt sei. Handy! Wenigstens war hier ein Freizeichen.

»Piet hier, wer da?«

»Bist du das, Piet? Pieter van der Möhlen.«

»Mama?«

»Quatsch! Ich bin es, Christoph Baumann. Dein alter Kommilitone aus Hamburg. Eh Alter, wie geht es dir?«

»Christoph! Mensch, wir haben ja seit ewigen Zeiten nichts mehr voneinander gehört. Wo drückt der Schuh?«, übte sich sein Gesprächspartner in Hellseherei.

»Ich habe ein Problem, bei dem du mir mit deinem Wissen, deiner Begabung und auch deiner Herkunft perfekt helfen könntest. Du müsstest nur für zwei bis drei Wochen abkömmlich sein.«

»Das ließe sich in der Tat einrichten. Meine frische Ex hat mich sitzen lassen. Nun ist der geplante Kluburlaub all-inclusive auf Fuerte gestrichen.«

»Ich könnte dir deine freie Zeit besser vertreiben. Was hältst du von einem Flug nach Südafrika? Kapstadt, all-inclusive. Dazu die Chance auf ein wenig Detektivarbeit in einem florierenden Logistikunternehmen mit vielen Zahlen und Fakten.«

»Hört sich gut an«, kam es vom anderen Ende her.

* * * * *

Irgendwie erfüllte es Christoph mit Stolz. Am ersten Tag, an dem er, wenn auch inoffiziell, für die Firma arbeitete, war er früher im Laden als sein Besserwisserbruder. Selbstsicher nahm er den Fahrstuhl in die oberste Etage des Baumann-Imperiums. Ja, bei den Baumanns arbeitete man schließlich auch am Samstag.

»Morgen Krügerchen, ist mein Papa schon ansprechbar?«

Überrascht sah die Chefsekretärin auf. »Christoph? Du? Und das zweimal in einer Woche!«

»Ja, das sollte man sich rot im Kalender anstreichen.« Er gab ihr einen überschwänglichen Kuss auf die Wange, schnappte sich Kaffeekanne und zwei Becher und eilte schnurstracks ins Büro des Vaters. Es tat richtig gut, wenn man überall überraschte Gesichter fabrizierte. »Moin Paps, du erwartest noch eine Antwort.« Er schenkte die Becher randvoll und schob einen davon in Richtung des Alten, der ihn fragend musterte. »Ich mache den Job. Aber nur zu meinen Bedingungen.«

»Höre ich da einen gewissen Baumann’schen Unterton heraus?« Bertram Baumann lächelte zum ersten Mal. »Und? Wie hast du es dir vorgestellt?«

»Ich brauche das Geld, um das ich dich gestern bat, bis Ende der Woche auf mein Konto. Außerdem benötige ich natürlich ein wenig Spielgeld, um in Kapstadt gut unterzukommen.« Zweimaliges verzögerungsfreies Nicken segnete die ersten Forderungen ab. »Ach ja, ich werde dort unter anderem Namen auftreten.«

»Hast du nicht ein paar Kriminalromane zu viel gelesen?«

»Ich glaube kaum, dass ich als Christoph Baumann die Auskünfte bekomme, die mein Vater wünscht. Sollte es sich – wie du sagtest – um Millionen handeln, möchte ich nicht erst testen, wie viel Spaß diese Kriminellen verstehen, sollte ich auffliegen.« Es verunsicherte Christoph doch ein wenig, dass sein Vater reagierte, als hätte er diese Möglichkeit nicht bedacht. »Ich werde dort als Pieter van der Möhlen auftauchen und nur dir und deinem Kontaktmann, dessen Namen ich noch benötige, Rechenschaft ablegen. So wird es passieren – oder gar nicht!«

Bertram Baumann atmete befreit auf und verdrängte die Frage, ob seine gestrige Standpauke nicht schon viel eher hätte stattfinden müssen, auf einen späteren Zeitpunkt. Diese musste auf Christoph jedenfalls wie eine Initialzündung gewirkt haben. »Gut, so machen wir es. Wann fliegst du?«

»Sobald du mich instruiert hast und ich das Geld auf meinem Konto weiß. Nun guck nicht so. Wir sind beide Geschäftsleute, oder?«

* * * * *

Phillip von Staden kontrollierte nochmals den Sitz seiner Krawatte und feilte ein wenig an seinem unschuldig wirkenden Lächeln. Der Plan muss aufgehen, wiederholte er zum ungezählten Male gebetsmühlenartig. Er fühlte in der Innentasche seines Sakkos die Einladung zur Schiffstaufe.

In der Zeltstadt, die man hier am Containerterminal aufgebaut hatte, herrschte bereits reges Leben. Eine Schiffstaufe war nicht alltäglich; zumal das neue Schiff der Reederei Reckenhusen „Helena Reckenhusen“ heißen sollte und die Namensgeberin diesen Dampfer persönlich taufen würde.

Phillip dachte an den gestrigen Nachmittag zurück. Und daran, dass er sich nach all den Jahren bei der Familie Reckenhusen gemeldet hatte. Er habe zufällig den Artikel über die anstehende Schiffstaufe gelesen und sich an die guten alten Zeiten erinnert. Onkel Johannes hatte sich über seinen Anruf aufrichtig gefreut und ihm sogleich eine VIP-Einladung zukommen lassen, damit er dem Fest beiwohnen und die Familie wiedersehen könne. Er wäre außerordentlich erfreut, seinen verschollenen Verwandten endlich einmal wiederzutreffen, hatte Onkel Johannes zudem auf die Einladung geschrieben. Ein wenig schuldig fühlte Phillip sich schon. Aber es brachte nichts, ein schlechtes Gewissen zu entwickeln. Das Ergebnis zählte.

Der Eigner und die Patin waren offensichtlich noch nicht eingetroffen. Phillip mischte sich unter die Leute, grüßte mal hierhin und unterhielt sich dort mit wildfremden Leuten. In der Nähe von Rednerpult und Tribüne bezog er schließlich seinen Posten.

Er musste nicht lange warten, bis ein glänzend gepflegter Oldtimer auf den Platz rollte und in seiner Nähe zum Halten kam. Zwei Frauen sowie ein junger Mann entstiegen dem Luxusgefährt und waren einem älteren Herrn behilflich, ebenfalls sicher auf den Boden zu gelangen. Das war Onkel, eigentlich Großonkel, Johannes. Den kannte Phillip noch aus seiner Kindheit, wie auch die bildschöne Frau neben ihm. Helena, seine Großcousine, die immer nur ein Naserümpfen für den lütten Phillip hatte und damals längst verlobt war. Phillip erinnerte sich schwach, dass es seinerzeit sehr viel Wirbel um sie gegeben hatte. Irgendwie hatte sich ihr Bräutigam kurz vor der Hochzeit totgefahren, oder so ähnlich. Helena war zu dem Zeitpunkt bereits schwanger und hatte sich nach der Geburt des Jungen von der Außenwelt förmlich abgeschottet. Wenn es seitdem etwas von ihr zu lesen gab, waren es meist Erfolgsmeldungen in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen. Die sogenannte feine Gesellschaft sprach wenig über sie. Und wenn sie es tat, schwang meist ein pikierter Unterton mit. In der Art, dass sie in einem Kloster besser aufgehoben wäre, ihr herrisches Gebaren dies jedoch unmöglich machen würde. Phillip hatte sich nie dafür interessiert und hätte es auch weiterhin nicht. Schließlich trug er den Makel, nur die verarmte, bucklige Verwandtschaft zu sein. Sein eigentliches Interesse basierte einzig darauf, den besten Freund zu unterstützen. Bei der blödsinnigsten Wette, die je geschlossen wurde.

Helena Reckenhusen – war es erst vorgestern gewesen, dass sie sich im Tennisklub begegnet waren? – hatte ihre schlechte Laune zu Haus gelassen und winkte mit einem sympathischen Lächeln in die Runde. Der stattliche junge Mann neben ihr musste ihr Sohn Jonas sein. Das letzte Mal hatte er ihn auf dem Arm gehalten, als er wohl gerade einmal selbst in seinem Alter war. Phillip atmete tief durch und schüttelte erneut das schlechte Gewissen ab, das er sich für Christoph aufladen würde.

»Hallo, sind Sie auch so aufgeregt?«

Erschrocken zuckte er zusammen, als er dicht neben sich eine betont weibliche Stimme vernahm. Es war niemand anderes als die rassige Frau, die er vorgestern in Helenas Begleitung gesehen hatte. »Ja, ein wenig.« Er wagte es kaum, sie anzuschauen. Aus Furcht davor, sie würde ihn wiedererkennen. Dann konnten sie nämlich ihren gut ausgeklügelten Plan gleich vergessen.

»Es ist meine erste Schiffstaufe«, gestand sie dem wildfremden Mann und blickte mit glänzenden Augen zum Schiff hinüber.

Ihr sinnverwirrendes Parfum war selbst in der kleinsten Brise wahrzunehmen und zog ihn vollends in den Bann. »Meine letzte Schiffstaufe ist schon lange her«, erinnerte er sich wehmütig an etwas, was ihm gerade in den Sinn kam. »Mein Segelboot. Ich habe es Katja getauft. Als ich den kleinen batteriebetriebenen Propeller unter dem Rumpf eingeschaltet habe, ist sie losgefahren und kehrte nie mehr zurück.«

»Oh, das ist aber traurig.« Sie verzog ihren süßen, kirschrot glänzenden Mund, als ginge ihr sein Verlust persönlich zu Herzen. Ein plötzliches Lächeln. »Aber nun ist sie ja wieder da. Ihre Katja, meine ich.«

»Wie das?«

»Ich heiße Katja. Wirklich!«, bekräftigte sie mit einem hellen Lachen und hakte sich bei ihm ein, als wäre es für sie die natürlichste Sache der Welt.

»Ist das jetzt ein Zeichen? Ich heiße Phillip«, …und hoffentlich spürst du nicht, dass mich deine Nähe zittern lässt und langsam in den Wahnsinn treibt, ergänzte er im Stillen. »Phillip von Staden.«

»Phillip«, wiederholte sie leise und sah ihn aus ihren geheimnisvollen, dunkelgrün funkelnden Augen an. Eine leichte Brise verfing sich in ihrem langen rotbraunen Haar. Mit einer ihr angeboren scheinenden Eleganz strich sie es zurück. »Das ist ein schöner Name. Von Adel?«

»Ich weiß nicht? Wenn, dann wohl nur der verarmte.«

»Ist doch nicht schlimm«, tröstete sie ihn schmunzelnd. »Ich bin auch nicht von edlem Geblüt … Nur die beste Freundin von Helena. Kennen Sie sie?«

»Helena? Ja. Obwohl ich bezweifle, dass sie sich noch an mich erinnern wird. Ich bin ihr Cousin zweiten Grades.«

»Das ist ja ein Ding! Davon wusste ich ja gar nichts.« Sie zog ihn lebhaft mit sich und steuerte auf die kleine Gruppe zu, die sich in der Nähe des Rednerpultes versammelt hatte. »Ich stelle dich gleich mal vor. Leni freut sich ganz bestimmt, dich wiederzusehen. Die Familie Reckenhusen zählt nämlich nicht viele Köpfe, musst du wissen.«

Phillip fühlte sich in einen rauschartigen Zustand versetzt. Es lief alles wie am Schnürchen. Noch besser, als er es sich je hatte ausmalen können. Katja führte ihn mitten in den Pulk der Honoratioren, schob den Wirtschaftssenator einfach zur Seite und zupfte ihre Freundin am Arm. Herrlich, was war das für eine impulsive Frau! Sie hatte sich ihn einfach geschnappt und gab ihm das Gefühl, gemeinsam alle Klippen des Lebens zu meistern. Die Ernüchterung schlich sich umgehend ein. Eine Frau wie Katja durfte er als Langweiler, der er nun mal nachgewiesenermaßen war, auf Dauer wohl nur von Weitem vergöttern.

»Entschuldigen Sie bitte, Herr Senator«, himmelte Katja den irritierten Würdenträger an und richtete ihre Aufmerksamkeit erneut auf die Freundin, die offensichtlich nicht wusste, ob sie lachen oder schimpfen sollte. »Helena, du glaubst ja gar nicht, wen ich kennengelernt habe. Das ist Phillip! Phillip von Staden.«

Ein wachsames Lächeln überlagerte Helenas Unmut. Ihr Blick bannte den jungen Mann. Es schien, als würde sie sich an etwas erinnern, was längst vergangen war.

»Phillip, dein Cousin … oder so ähnlich. Jedenfalls etwas mit Temperatur.«

»Temperatur? Katja, nun komm bitte wieder herunter.«

Phillip musste herzhaft lachen. »Phillip, dein Cousin zweiten Grades.« Er gab Katjas Hand zögernd frei und ergriff dafür Helenas.

»Phillip! Ja, natürlich erinnere ich mich an dich. Papa erzählte gestern davon, dass ihr miteinander telefoniert hättet. Schön, dass du kommen konntest. Wir müssen nachher unbedingt miteinander reden.«

»Ja gerne«, pflichtete er ihr bei und trat in die hintere Reihe zurück, damit seine Cousine ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen weiterhin nachkommen konnte. Er sah sich um und gewahrte seine quirlige Eintrittskarte im engsten Familienkreis.

»Herr Reckenhusen, das ist Phillip.« Katja fing ihre neueste Eroberung ein und stellte sie den beiden Männern vor.

Der ältere Herr strahlte sie fröhlich an. Selbst für ihn schien Helenas Freundin ein wahrer Jungbrunnen zu sein.

»Phillip! Wie schön, dass du kommen konntest.« Johannes Reckenhusen breitete die Arme aus und begrüßte den Neuankömmling herzlich. »Erzähl mir bitte, wie geht es deinen Eltern? Wie geht es dir? Junge, ich hoffe, du hast heute viel Zeit mitgebracht. Wir müssen uns nachher lange und ausführlich miteinander unterhalten.«

»Danke schön, Onkel Johannes. Gerne nehme ich dein Angebot an und ganz besonders vielen Dank, dass ich heute dabei sein darf.«

»Dafür nicht. Sag, wie findest du sie, die Helena?«

»Das Schiff oder mein Cousinchen?«

»Beide natürlich!« Johannes Reckenhusen ließ ein weiteres sympathisches Lachen erklingen und zog den jungen Mann, der sich bislang abseits gehalten hatte, an seine Seite. »Phillip, das ist mein Enkel Jonas Johannes. Helenas Sohn.«

»Tach.« Der Vorgeführte verzog die Mundwinkel und musterte den angeblichen Verwandten mit der natürlichen Skepsis, die denen angeboren ist, welche ein Leben lang notgedrungen die besondere Aufmerksamkeit ihrer Mitmenschen erleiden müssen.

»Moin Jonas. Schön zu sehen, dass aus dem lütten Windelpaket ein stattlicher junger Mann geworden ist.«

Katja überging das aufkommende Schweigen mit ihrem glockenhellen Lachen. »Klar ist etwas aus Jonas geworden! Ich bin schließlich seine Patentante.« Sie nahm den Jungen, der noch in dem glücklichen Alter war, sich gegen derartige weibliche Inbesitznahme zu sträuben, in den Arm und herzte ihn.

Das Knistern in den Lautsprechern unterbrach die Familienzusammenführung und leitete die Gäste auf ihre Plätze.

* * * * *

Zum gleichen Zeitpunkt am anderen Ufer der Elbe, nur ein wenig mehr in Richtung Abendland.

Christoph stand vor dem großen Panoramafenster und starrte auf die in der Sonne glitzernde Wasserfläche des großen Flusses hinab. Es war ein ungewohnt mulmiges Gefühl, dem er da nachspürte. Alles um ihn herum war im Fluss. Nichts war mehr aufzuhalten. Diese wahnwitzige Wette mit Krusemark war nur der Auslöser. Die jahrelange Stagnation mit ihren immer wieder gleichen, längst ermüdenden Ritualen brach auf und hinterließ in ihm die ängstlichen Fragen nach einem ehrlichen „Wohin“. Die Erkenntnis, dass er die letzten Jahre seines Lebens mehr als sinnlos gelebt hatte, kam ihm nicht zum ersten Mal. Trotzdem war es diesmal anders.

Was wäre aus ihm geworden, hätte Sybille damals den Mut aufgebracht und ihn mit dem konfrontiert, was sie letztendlich umgebracht hatte? Er wäre nicht daran zerbrochen, würgte es voller Zorn und Ohnmacht in ihm hinauf. Vielleicht wäre er schneller erwachsen geworden? Zumindest bedeutend schneller als das Kind, das er seitdem geblieben war. Er vergrub die schmerzvollen Gedanken, ehe sie die Chance erhielten, sich zu etablieren. So wie er es immer getan hatte.

Ob Phillip etwas erreicht hatte? Ob er überhaupt etwas erreichen konnte? Sein bester, sein einziger Freund klang heute Morgen zwar sehr siegessicher. Doch was er plante und wohin die Reise ging, das wusste Phips anscheinend selbst nicht. Das war auch so ein Ding. Phillip hielt nach all den Jahren noch immer unverbrüchlich zu ihm. Dabei hatte das Arschloch Christoph Baumann solch einen Freund gar nicht verdient. Auch das sollte … nein, das musste anders werden.

Er griff zum Telefon und rief erneut bei Phillip an. Als sich die Mailbox ein weiteres Mal meldete, legte er auf. Phips’ Handy war seit Stunden tot. Wann rief er nur zurück? Auf was musste er sich einstellen? Wie gelang es ihm, Helena Reckenhusens Herz zu erobern? „Das ist nicht das Problem, du Knaller!“, beschwerte sich das neu erwachte Gewissen, das sich längst noch nicht richtig in ihm zu Hause fühlte. „Frage dich lieber einmal, wie du überhaupt ihre Sympathie erringst und ein ganzes Jahr am Leben erhältst!“

* * * * *

Alles war wie am Schnürchen gelaufen. Die strahlende Taufpatin hatte, wie es sich gehörte, eine Schampusflasche am Rumpf des Schiffes zerschellen lassen. Alle Ansprachen waren gehalten, alle Glückwünsche überbracht. Langsam leerte sich der Platz, auf dem bald wieder die Container Carrier herumbrausen würden.

»Willst du nicht zurückfahren?«, rief Helena ihrer Freundin über das Dach des Oldtimers hinweg zu und klimperte lockend mit den Autoschlüsseln.

»Ne, meine Liebe. Ich habe vorhin gesehen, wie du drehen und kurbeln musstest. Das ist nichts für mich zartes Wesen«, rief diese zurück.

»Ich kann das, Mama!«, erbot Jonas sich.

»So weit kommt es noch. Das eine Jahr wirst du noch warten müssen.« Helena war das ewige Thema leid. »Ich habe gleich gesagt, lasst uns den Daimler nehmen. Aber nein, die Herrschaften wollten ja unbedingt einen auf protzig und chic machen!«

Traurigkeit schwang in Onkel Johannes’ Stimme mit, als er leise zu seinem wiedergefundenen Großneffen sagte: »Ich wünschte mir, ich könnte meinen alten Liebling selbst sicher durch die Stadt bewegen. Aber meine Kräfte lassen das einfach nicht mehr zu.«

»Dann wäre es doch Zeit für einen Chauffeur, oder?« In Phillip begann der Keim einer vagen Hoffnung Wurzeln zu schlagen.

»Den haben wir. Doch unser Walter kommt ebenfalls in die Jahre. Seit seinem grauen Star können wir ihn eigentlich nur noch in Haus und Garten beschäftigen.«

»Das ist echt blöde«, pflichtete Phillip ihm bei und schlug stattdessen vor: »Okay, dann werde ich den Bugatti fahren. So etwas habe ich mir schon immer einmal gewünscht. Wenn eine der Damen so nett wäre, mit meinem Wagen nachzukommen? Dann bräuchte ich heute nicht bei Nacht und Nebel in diese verlassene Gegend fahren.«

Die Frauen rissen sich förmlich darum, den unscheinbaren Passat zu fahren.

Besser konnte es für einen selbst ernannten Undercoveragenten nicht laufen, fand Phillip. In einer geselligen Herrenrunde würde er seinen jüngst geborenen Plan schneller in die Tat umsetzen können als gehofft. Er stellte umständlich den Sitz ein, auf dem zuvor ganz offensichtlich eine Frau gesessen hatte. Er war beileibe kein Macho, aber mit dieser Einstellung und dem riesigen Lenkrad hätte er sich wichtige Körperteile in kürzester Zeit auf Dauer ruiniert. Kurz darauf wusste er, warum weder Helena noch Katja darauf erpicht waren, dieses Schmuckstück über die Straßen zu fahren. Ein halbes Pfund Traubenzucker war Pflicht, ehe man sich hinter das Lenkrad setzte. Aber laufen tat die alte Dame. »Herrlich, das ist wirklich etwas ganz anderes als die heutigen Autos.«

»Nur dass ich viel zu selten damit loskomme«, seufzte Johannes Reckenhusen ein weiteres Mal.

»Lass den Kopf nicht hängen, Opa. Wenn ich erst einmal den Lappen habe, dann machen wir jedes Wochenende Spritztouren. Bald ist es so weit! Auch wenn Mama dagegen ist, dass ich den Führerschein mit siebzehn mache!«, ereiferte sich Jonas vom rückwärtigen Sitz aus.

»Das ist trotzdem eine lange Zeit«, kam Phillip seinem Großonkel zuvor und erntete von diesem ein leichtes Kopfnicken. »Und euer Chauffeur – wird der nicht wieder?«

»Walter ist auch an die siebzig. Ich glaube nicht, dass es etwas bringen wird. Er ist eben genauso ein Wrack, wie ich es bin. Wir alten Männer sitzen am liebsten zusammen auf der Bank, sprechen über damals und schauen zu, dass die anderen richtig arbeiten.«

»Das ist doch Quatsch, Opa! Du bist immer noch gut in Schuss und zeigst uns Jungen, wie es geht«, kam ein erneuter Einwurf von hinten. »Und wenn wir einfach so fahren? Ich meine, ohne dass ich einen Führerschein habe?«

»Gerade dann wirst du erwischt und kannst mit Glück noch einmal zehn Jahre auf den Lappen warten«, gab Phillip zu bedenken. »Ihr solltet einen neuen Chauffeur einstellen. Am Geld kann es doch wohl nicht liegen?«

»Pffft«, schnaubte Jonas und rollte übertrieben mit den Augen. »Ne, nur zeig mir mal den Typen, mit dem meine Mutter zufrieden wäre oder der es mit ihr aushält.«

»Helena? Ist sie denn so wählerisch?«

»Wählerisch ist in der Tat leicht untertrieben«, bestätigte Johannes Reckenhusen die Äußerung seines Enkels.

»Wie viele Chauffeure haben sich denn bis jetzt beworben?«

»Zehn waren es bestimmt«, kam es erneut von Jonas. »Wenn die nicht gleich von selbst geflüchtet sind, hatte meine Mutter mit ihrem angeborenen Liebreiz immer etwas an ihnen auszusetzen. Zu jung, zu alt, zu aufmüpfig. Irgendetwas fand sie immer!«

»Und, was meint ihr, wäre ein weiterer Versuch möglich?«

»Was? Einen Chauffeur zu finden?«

»Ja. Ich hätte da nämlich jemanden, der auf der Suche nach solch einem Job ist. Ledig, keine weiteren Verpflichtungen, ziemlich weit in der Welt herumgekommen und in Sachen Autos hat er ein Händchen wie Don Juan bei den Frauen.«

»Wo gibt es denn heutzutage noch so etwas?« Johannes Reckenhusen sah ihn mit hoffnungsvoll schimmernden Augen an.

»Ich weiß, ihr kennt mich kaum. Aber warum sollte ich euch etwas vormachen? Christoph ist ein Ass in allem, was mit Autos zu tun hat. Nebenbei ist er mein bester Freund. Für den kann ich meine Hand ins Feuer legen.« Das mit den Autos mochte stimmen, aber alles andere …? Darüber wollte Phillip lieber nicht nachdenken.

»Was meinst du, Jonas Johannes? Wir sollten beim Kaffee gleich einmal mit deiner Mutter darüber reden.«

»Okay, aber ich gucke mir den Knaben auch genau an.«

Phillip betrachtete den Jungen im Rückspiegel. Jonas war ein aufgewecktes Kerlchen, dem man bereits jetzt ansehen konnte, aus welcher Schmiede er kam. Tja, mein lieber Christoph, da wirst du einiges leisten müssen, wenn du hier einen Fuß auf den Boden bekommen willst. Irgendwie gönnte er es dem Freund. Bei aller brüderlich empfundenen Nächstenliebe.

Dunkel erinnerte sich Phillip an das bescheidene Heim der Reckenhusens. Als er nun durch das schmiedeeiserne Tor hindurch in eine parkartige Landschaft gelangte, stockte ihm doch der Atem. Die Reckenhusens waren in vierter oder fünfter Generation erfolgreiche Reeder. Sie hatten nicht nur Geld gescheffelt, sondern damit auch etwas Tolles erschaffen, dachte Phillip, als er den geschwungenen hellen Kiesweg zum bombastischen Anwesen hinauffuhr. Irgendwie war er stolz darauf, zumindest entfernt mit dieser Familie verwandt zu sein. Schließlich war seine Großmutter eine geborene Reckenhusen.

»Soll ich den Bugatti gleich in die Garage fahren?«

»Gern, ich steige nur aus, dann kann Jonas Johannes dir zeigen, wo er stehen soll.« Johannes Reckenhusen mühte sich aus dem Wagen und ließ sich bereitwillig von den Damen helfen, die gleich hinter ihnen eingetroffen waren.

»Hier, Phillip.« Niemand konnte seinen Namen so schön hinhauchen, wie Katja es nach so kurzer Zeit bereits beherrschte. »Ich habe dir nicht einmal eine Beule hineingefahren.«

»Das ist aber wirklich schade«, flachste er und lächelte zu ihr hinauf.

»Ups, du bist der erste Mann, der sich darüber beschwert.«

»Na ja, wir hätten sonst Adressen und Telefonnummern austauschen müssen.« Phillip versuchte gar nicht erst zu ergründen, woher er seinen ungeheuerlichen Mut nahm, mit solch einer Frau zu flirten. Es kam einfach über ihn. Katja gab ihm den Mut, alles zu schaffen. »Du glaubst gar nicht, was daraus alles entstehen könnte.«

Katja beugte sich zu ihm herab und schloss ihn in den Bannkreis ihres verführerischen Parfums ein. So nahe, dass man sogar ihre süßen, kleinen Sommersprossen erkennen konnte, die sie unter einem Hauch von Make-up verborgen hatte. Mit einer Stimme, die allein die Sünde pur war, raunte sie ihm zu: »Vielleicht sollte man es auf einen Versuch ankommen lassen.« Dann richtete sie sich mit einem selbstsicheren Lachen auf und eilte Helena und deren Vater hinterher.

»Hey, Phillip. Wenn du dich und deine Hormone langsam wieder unter Kontrolle hast, könnten wir fahren.« Jonas, der sich auf den Beifahrersitz begeben hatte, grinste ihn unverhohlen an. »Katja ist schon ein heißer Feger, was?«

»Dem ist wirklich nichts hinzuzufügen.«

»Außer dem, was ich einem sehr guten Freund raten würde.«

»Und, was würdest du ihm raten?«

»Verliebe dich nicht zu sehr. Katja ist zwar ein toller Kumpel, aber Beständigkeit ist nicht gerade ihr Sternzeichen.«

Phillip unterließ es, darauf einzugehen. War es die Abgeklärtheit des Jungen oder einfach nur die Erkenntnis, dass dieser Rat längst zu spät kam? Außerdem musste er achtgeben, die anderen Nobelkarossen nicht beim Einparken zu rammen. Sein anerkennender Pfiff bewertete die ansehnliche Fahrzeugflotte. Ja, Christoph würde sich hier pudelwohl fühlen. Wenn er denn das Glück, die Geduld und die Ausdauer besaß, die man bei einer Frau wie Helena dringend benötigen würde.

Als Jonas und Phillip das Haus durch das Hauptportal betraten, war der nachmittägliche Kaffeetisch bereits gedeckt. Das hielt Phillip nicht davon ab, sich erst einmal staunend umzusehen. Auf die eine Art erlesen hanseatisch, auf die andere dennoch modern und lebenswert, wie er an diesem riesigen Bildschirm erkannte, auf dem ein Nachrichtensender leise irgendwelche News verkündete. »Hübsch habt ihr es hier«, gestand er der Hausherrin und trat an den gedeckten Tisch. »Habt nochmals Dank für die Einladung.«