Pheromon 2: Sie sehen dich - Rainer Wekwerth - E-Book
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Pheromon 2: Sie sehen dich E-Book

Rainer Wekwerth

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Beschreibung

Der Kampf um die Zukunft hat gerade erst begonnen!

Stell dir vor, du hast etwas Schreckliches herausgefunden: Die Menschheit steht vor dem Abgrund – in Gegenwart und Zukunft. Und niemand hat es bemerkt!
Du gehörst zu einer kleinen Gruppe von Auserwählten, die die fremden Invasoren aufhalten können. Weil jeder von euch besondere Fähigkeiten besitzt.
Allein bist du aufgeschmissen, aber zusammen seid ihr stark: Ihr seid „Hunter“, geschaffen in der Zukunft, um das Schicksal der Welt zu verändern!

Mitreißende Science-Fiction von den Bestsellerautoren Rainer Wekwerth und Thariot.
"Pheromon" wurde 2019 nominiert für den Skoutz Award, den Buxtehuder Bullen und den Deutschen Phantastik Preis. 

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Das Buch

Zwei Autoren, zwei Zeitebenen, eine unglaubliche Story!

Stell dir vor, du hast etwas Schreckliches herausgefunden: Die Menschheit steht vor dem Abgrund – in Gegenwart und Zukunft. Und niemand hat es bemerkt!

Du gehörst zu einer kleinen Gruppe von Auserwählten, die die fremden Invasoren aufhalten können.

Weil jeder von euch besondere Fähigkeiten besitzt.

Allein bist du aufgeschmissen, aber zusammen seid ihr stark: Ihr seid „Hunter“, geschaffen in der Zukunft, um das Schicksal der Welt zu verändern!

Die Autoren

© christian witt

Rainer Wekwerth hat zahlreiche Bücher veröffentlicht und dafür Preise gewonnen. Zuletzt die Jugendbuchpreise Segeberger Feder, Goldene Leslie und Ulmer Unke. Mit seiner "Labyrinth"-Trilogie landete er zudem auf der Spiegelbestsellerliste. Die Kinoverfilmung ist in Vorbereitung. Rainer Wekwerth ist verheiratet, Vater einer Tochter und lebt in der Nähe von Stuttgart.

Mehr über Rainer Wekwerth: www.wekwerth.com

Rainer Wekwerth auf Facebook: www.facebook.com/rainer.wekwerth

© privat

Thariot hat eine Schwäche für spannende Geschichten. Bereits als Fünfzehnjähriger begann er mit dem Schreiben, vor allem Kurzgeschichten, bis er dann in 2009 die Arbeit an seinem ersten Buch startete. Thariot, in seinem letzten Leben von Beruf IT-Manager, ist ein Bildermensch. Er hat die Fähigkeit, Bilder schnell in Wörter zu übersetzen, und kann es einfach nicht lassen, diese auf Papier zu bringen.

Mehr über Thariot: www.thariot.de

Thariot auf Facebook: www.facebook.com/Thariot

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH auch!

Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autoren und Übersetzern, gestalten sie gemeinsam mit Illustratoren und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

Mehr über unsere Bücher, Autoren und Illustratoren: www.planet-verlag.de

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Viel Spaß beim Lesen!

Jake betrachtete die beiden Personen, die wie aus dem Nichts aufgetaucht waren. Eine Frau, Mitte dreißig, mit kurz geschnittenen blonden Haaren, und ein Junge in seinem Alter. Um die Mundwinkel der Frau hatten sich tiefe Linien eingegraben, die sich zu einem Lächeln verzogen, als sie auf ihn und Amy zukam. Der Junge trottete ihr hinterher. Er hielt den Kopf gesenkt und trug einen dunkelblauen Hoodie, aus dem lange schwarze Haare fielen.

Jake starrte die Frau an. Irgendetwas an ihr kam ihm vage vertraut vor, ohne dass er sagen konnte, was es war. Neben ihm fasste Amy nach seiner Hand und drückte sie ängstlich.

Der leichte Geruch der Frau wehte an seine Nase. Fremdartig und dennoch bekannt, ohne dass er wusste, warum das so war. Darin lagen Vertrauen, Sorge, aber auch Angst und Schmerz. Der Junge hingegen strömte einen Duft von Kraft und großem Zorn aus. Von Wut, die ihn zu verschlingen drohte. Es war, als umgebe ihn eine dunkle Wolke, lodernder Nebel aus Feuer geboren.

Und dennoch, Jake spürte, dass die beiden ihm und Amy nicht feindlich gesinnt waren, aber ihre Fremdartigkeit beunruhigte ihn.

Wer ist das? Warum tauchen sie hier wie aus dem Nichts auf? Warum ausgerechnet jetzt? Stellen sie eine Gefahr für uns dar?

Nein. Er wusste, dass es nicht so war. In dem, was er von der Frau riechen konnte, schwang Neugierde mit. Und Hoffnung.

Hoffnung worauf?

Amys leiser Atem drang an sein Ohr. Er fühlte ihre Angst, um sie zu beruhigen, drückte er ihre Hand. Ihn selbst hatte jede Unruhe verlassen. Hier geschah etwas. Etwas, das für ihn wichtig war. Etwas, das Bedeutung hatte.

Vor ihm standen zwei Fremde und wirkten vertraut, dennoch hatte er sie niemals zuvor in seinem Leben gesehen. Nein, er wusste nicht, wer sie waren, aber der Geruch, der seine Nase umströmte, flüsterte von einer Verbindung über Raum und Zeit hinaus.

»Ich bin Lee«, sagte die Frau. Ihre Hand deutete auf den Jungen, der mit ihr gekommen war. »Und das ist Skagen.«

Der Junge hatte schlanke Hände mit schmalen Fingern, die nun die Kapuze seines Hoodies zurückschlugen.

Die schwarzen Haare glänzten im Licht der Straßenlampe wie die Flügel eines Raben. Die Gesichtszüge waren hager, wirkten fast ausgemergelt, und die bleiche Haut spannte sich über den hohen Wangenknochen.

Jake sah Skagen an, und dann veränderte sich etwas. Goldene Augen schimmerten in der Dunkelheit.

»Wir haben dich gesucht«, sagte der Junge mit leiser Stimme. »Lange schon.«

»Wer bist du?«, fragte Jake.

»Ein Hunter.« Der Junge lächelte. »Wie du.«

Jake starrte Skagen an. »Was meinst du damit?« In seinem Kopf tobten die Gedanken wild herum. Hunter? Was zur Hölle wollte er ihm damit sagen?

»Du stammst nicht aus dieser Welt, sondern aus meiner. Dein ganzes Leben ist eine Lüge. Und jetzt bist du hier, um die Wahrheit zu erfahren.«

Ärger stieg in Jake auf. Was sollte der Quatsch, dieses orakelhafte Gerede, das keinerlei Sinn ergab? Wenn der Typ ihm etwas sagen wollte, okay, aber für Geschwafel hatte er keine Zeit. Schon gar nicht nach allem, was sie gerade und in den letzten Tagen durchgemacht hatten. Amy schien seinen Zorn zu spüren, denn sie strich mit ihrem Daumen sanft über seinen Handrücken, aber sprach kein Wort.

Die Frau trat einen Schritt nach vorn, legte ihre Hand auf die Schulter des Jungen und sagte leise: »Du verwirrst ihn.«

Dann sah sie Jake an. Ihr Blick hatte eine Eindringlichkeit, die ihn verunsicherte.

»Was Skagen dir zu sagen versucht, ist, dass du etwas ganz Besonderes bist, mit Fähigkeiten, über die ein normaler Mensch nicht verfügt.« Sie machte eine kurze Pause. »Was ist es?«

Jake verzog den Mund, überlegte, ob er es ihr sagen sollte. Erneut wehte der Geruch der Frau zu ihm, und er spürte, dass er es ihr sagen musste.

»Ich kann die Gefühle der Menschen riechen«, antwortete er leise.

Sie nickte. Skagen betrachtete ihn neugierig.

»Diese Fähigkeit hast du nicht auf natürliche Art und Weise bekommen, sie wurde dir eingepflanzt«, erklärte Lee.

Jake legte den Kopf schief. In seinem Inneren begann ein Orkan zu toben, alles wirbelte durcheinander. Was hatte die Frau da gesagt? Er verstand nicht, was sie ihm mitteilen wollte, aber er begriff die Wahrheit hinter den Worten.

Unbeirrt sprach sie weiter. »Du stammst aus der Zukunft. Aus dem Jahr 2118. In diesem Jahr wurdest du geboren. Niemand kennt deine Eltern. Wahrscheinlich war deine Mutter ein verwirrtes junges Mädchen wie ich, das schwanger wurde und in die Fänge von HFP geraten ist. Du weißt ja inzwischen selbst, dass die vom Human Future Project die Erde nicht retten wollen und auch nicht vorhaben, den Kindern eine bessere Zukunft zu bieten, im Gegenteil … schon im Mutterleib wurdest du von den Fremden genetisch verändert, mit Fähigkeiten versehen, die ihnen nützlich sind.«

»Nützlich wofür?«, stöhnte Jake. Er hörte, was ihm die Frau sagte, aber er verstand es einfach nicht.

»Menschen zu jagen, die noch nicht infiziert sind. Hinter HFP stecken Aliens, die versuchen, unsere Welt zu übernehmen. Du weißt es, deswegen bist du heute hier. Deswegen haben wir dich gefunden. In der Zukunft ist bekannt, dass es im Jahr 2018 einen Anschlag auf die HFP-Zentrale gab. Dieser Anschlag konnte nur von einem der Hunter, die ich in die Vergangenheit gebracht habe, ausgeübt worden sein, denn normale Menschen wussten zu diesem Zeitpunkt noch nichts von der Invasion.« Sie sah ihn eindringlich an. »Wir haben hier auf dich gewartet.«

»Ich … ich …«, stammelte Jake. Das alles war zu viel für ihn. Williams Tod. Robertsons Verschwinden. Die Fremden, ihre Worte. Die Erschöpfung ließ ihn zittern. Er krallte sich in Amys Hand, aber der Boden unter seinen Füßen begann zu schwanken. Die Frau machte einen Schritt nach vorn, fasste nach seinem Arm. Hielt ihn.

»Das ist alles sehr viel auf einmal, aber wir mussten es dir sagen. Hier und jetzt, denn du musst mit uns kommen. Der Kampf gegen die Fremden hat gerade erst begonnen.«

Es war Amy, die antwortete. »Das klingt alles so unglaublich.«

Lees Kopf wandte sich in ihre Richtung. Ein paar Sekunden lang sagte sie kein Wort, dann schaute sie zu Skagen, der den Kopf schüttelte.

»Du bist kein Hunter«, stellte Lee fest. »Skagen würde es in deiner Stimme hören, wenn es anders wäre. Er nimmt feinste Schwingungen wahr, die ihn erkennen lassen, ob jemand die Wahrheit sagt. Wer bist du?«

»Eine … Jakes Freundin.«

»Du kämpfst an seiner Seite gegen die Fremden?«

Jake spürte, dass Amy nicht wusste, was sie darauf antworten sollte. »Wir waren vier. Einer von uns ist tot, der andere …« Er zuckte mit den Schultern. »Der Anschlag ist misslungen, wir haben versagt.«

Lees Blick fiel auf ihn. »Nein, das habt ihr nicht, aber der Kampf ist größer und dauert länger, als ihr es euch vorstellen könnt. Auch in einhundert Jahren, in der Zeit, aus der wir eigentlich stammen, ist er noch nicht entschieden.«

»Was ist mit dem Signal?«

Er deutete in die Dunkelheit. Das HFP-Gebäude war nur als dunkler Schemen vor einem tiefgrauen Himmel sichtbar. Die Antenne, mit der die Aliens eine Nachricht an ihr Volk geschickt hatten, ragte spitz in die Wolken.

»Es ist ins All hinausgegangen. Das Raumschiff der Fremden ist unterwegs.«

Lee sah ihn ruhig an. Sie ließ seinen Arm wieder los und trat einen Schritt zurück. Dann sagte sie: »Lass mich dir meine Geschichte erzählen.«

Als die letzten Worte der Frau verklangen, musste sich Jake schwer auf Amy stützen. Hatte er zuvor geglaubt, sein Leben wäre komplett durcheinandergeraten, so war es nun zu einem schwarzen Loch geworden, das ihn zu verschlingen drohte.

Seine Eltern waren nicht seine Eltern, ob er überhaupt welche hatte, war unklar. Im Jahr 2118 geboren, gehörte er nicht einmal in diese Zeit. Allein von diesem Gedanken wurde ihm schwindlig, aber auch der Rest, den ihm die Frau namens Lee erzählt hatte, konnte einem den Boden unter den Füßen wegreißen. Sie hatte in der Zukunft wie eine Löwin gekämpft, für ihr eigenes Kind, für die ganze Menschheit. Auch dabei waren Menschen gestorben. Und es gab Wurmlöcher, durch die man durch die Zeit reisen konnte!

Was zur Hölle war nur mit seinem Leben passiert? Noch vor Kurzem war er ein ganz normaler Teenager mit ganz normalen Problemen gewesen, und jetzt sollte er die Welt retten. Scheiße, wenn es irgendwie möglich wäre, würde er eine Tablette schlucken und alles vergessen oder sich in ein Loch verkriechen, wo ihn niemand finden konnte.

Wahrscheinlich wäre er sogar weggelaufen, aber Amy stand neben ihm, und er roch ihre stumme Verzweiflung. Sah, wie sie versuchte, tapfer zu sein, um seinetwillen und um der Menschheit willen, die vor dem Untergang stand.

»Ist dir klar, was ich dir da erzählt habe?«, fragte die Frau.

Bevor Jake antworten konnte, sagte der hagere Junge an ihrer Seite: »Er hat’s kapiert.«

»Skagen, bitte … wir haben darüber gesprochen.«

Jake verstand nicht, was zwischen den beiden passierte. Auf einmal war da Zorn zwischen Lee und dem jungen Mann, den sie wie einen Sohn aufgezogen hatte. Sie hatte Jake erzählt, dass sie ihr eigenes Kind nicht gefunden hatte, auch die anderen Hunter nicht. Nur ihn. Skagen. Den Jungen, der so unglaublich gut hören konnte, aber nie auf das, was man ihm sagte. So hatte sie es ausgedrückt. Offensichtlich gab es Probleme zwischen den beiden, aber dafür war jetzt keine Zeit.

»Was … was tun wir jetzt?«, fragte Jake mit schwerer Stimme.

»Wir müssen hier weg«, antwortete Lee. »In der Nähe gibt es eine sichere Unterkunft, dort …«

Sie kam nicht weiter. Plötzlich ertönte ein Rauschen über ihnen. Ein Geräusch, als würden große Wassermassen vom Himmel fallen. Ein Luftzug streifte Jake, dann wurde er in gleißendes Licht getaucht.

Eine stählerne Stimme rief: »Hier spricht die Polizei. Bleiben Sie, wo Sie sind. Versuchen Sie nicht zu fliehen …«

Eine andere Stimme. Am Boden, nicht weit entfernt, brüllte: »Hände hoch. Sofort.«

Dann geschah irgendwie alles gleichzeitig. Jake sah, wie Lee den Mantel zurückschlug. Eine Waffe tauchte in ihren Händen auf. Schwarz, matt glänzend, mit Stummelnase – eine Maschinenpistole. So etwas kannte er nur aus Filmen. Die Waffe spuckte ohrenbetäubendes Feuer. Schüsse peitschten durch die Gegend. Neben ihm traf eine Kugel die Straßenlaterne, prallte jaulend ab.

Jake konnte sich nicht rühren. Die Zeit hatte sich verlangsamt, war zu zähen Schlieren geworden, die alles um ihn herum verschwimmen ließen.

Da waren Bilder. Atemraubend. Lee mit wildem Gesichtsausdruck, in die Dunkelheit feuernd. Skagen, dessen offener Mund etwas in Richtung ihrer Feinde brüllte. Der Geruch seiner grenzenlosen Wut vermischte sich mit dem Gestank des Kordits, brachte ihn fast um den Verstand.

Und Amy. Sie schrie in sein Ohr.

Was sagte sie?

Der Krach des Infernos hatte ihn scheinbar taub werden lassen, oder der letzte Rest seines Verstandes beschloss gerade, sich von der Außenwelt abzukoppeln.

»Wir müssen hier weg!«

Jetzt verstand er sie doch. Ihre Hand zog an seiner, aber er konnte sich nicht bewegen.

Eine Kugel jagte zischend an seinem Hals vorbei. Fast meinte er, ihren heißen Biss spüren zu können.

Er blickte zu Skagen, der breitbeinig auf der Straße stand und den unsichtbaren Gegnern Verwünschungen entgegenbrüllte. Nie zuvor hatte Jake solch brennende Wut, solch flammenden Zorn gesehen. Skagens Gesicht war verzerrt, die Lippen gebleckt, das schwarze Haar wehte um sein bleiches Gesicht. Er wirkte wie ein lebendig gewordener Gott der Unterwelt.

»Ihr verdammten Hurensöhne!«, brüllte Skagen. »Ihr werdet uns niemals kriegen! Hört ihr? Niemals!«

Jake stand unbeweglich im Schatten der Straßenlaterne. Neben ihm die zitternde Amy.

Skagen drehte sich zu ihm um. Seine Lippen bebten, die Augen glühten golden in der Dunkelheit.

»Was tust du da?«, schrie er Jake an. »Steh nicht rum. Kämpfe! Verdammte Scheiße, mach irgendwas!«

Was soll ich denn tun?

Die Geschehnisse dieser Nacht hatten seinen Kopf leer gefegt. Da war nichts mehr. Keine Gedanken. Kein Wille. Nichts.

»Verdammter Feigling«, zischte Skagen.

Lee wandte sich ihm zu.

»Geh!«, rief sie, während sie das Magazin wechselte, dann schoss sie in kurzen Feuerstößen weiter.

Gehen? Was meinte sie damit? Wohin?

Jake wollte sich gerade zu ihr umdrehen, als er sah, dass Lee getroffen wurde. Eine Kugel schlug in ihre linke Schulter, wirbelte sie herum, ließ sie beinahe tanzen. Der Lauf ihrer Waffe richtete sich gegen den dunklen Nachthimmel, spuckte sinnlos Geschosse zu den tief hängenden Wolken.

Dann war Stille.

Die Maschinenpistole war leer geschossen.

Lee ließ die Waffe sinken, die ihr aus der Hand fiel und klappernd auf den Boden prallte.

Ein einzelner Schuss erklang, peitschte in Lees Gesicht, warf sie nach hinten. Regungslos blieb sie liegen.

»MOM!«, kreischte Skagen. »MOM! MOM!«

Immer wieder dieses eine Wort.

Dann breitete er beide Arme aus, als wolle er sich der Welt als Opfer anbieten, aber das war es nicht. Ganz gewiss nicht.

Er fasste nach hinten in seinen Hosenbund. Mit einer Waffe tauchte die Hand wieder auf, richtete sich nach vorn.

Skagen brüllte auf.

Skagen schoss.

Ein Schrei ertönte. Kurz darauf kreischendes Jammern.

Skagen stürmte los.

Feuerte.

Schüsse jagten ihm entgegen.

Er rannte weiter.

Der Lichtkegel des Hubschraubers richtete sich auf ihn, verfolgte ihn.

Dann war Skagen aus Jakes Sichtfeld verschwunden. Er fühlte sich wie betäubt. Seine Hände zitterten unkontrolliert, das Herz raste in seiner Brust.

Amy zog ihn mit sich.

Sie hetzten durch die Straßen, verbargen sich in Hauseingängen, wenn ein Streifenwagen mit heulenden Sirenen an ihnen vorbeiraste.

Immer weiter. Weg von all der Gewalt, die sie wie ein Erdrutsch mit sich gerissen hatte.

Noch jemand war gestorben.

Lee war tot, ob es Skagen auch erwischt hatte, wussten sie nicht, aber es war gut möglich. Der Junge hatte nicht ausgesehen, als würde er sich gefangen nehmen lassen. Alles war im Arsch. Die einzigen Menschen, die ihnen mehr über die außerirdische Bedrohung hätten sagen können, waren ausgelöscht, genau wie ihre Freunde William und Michael.

Während sie durch schmale Nebenstraßen rannten, weinte Jake. Die Tränen liefen stumm über sein Gesicht. Es war die pure Verzweiflung.

Was sollten sie jetzt tun? Wohin gehen?

Ihr Leben gab es nicht mehr. Das, was es noch gab, würde im Gefängnis oder mit dem Tod enden.

Irgendwann blieb Amy einfach stehen. Sie beugte sich nach vorn und keuchte schwer. Dann übergab sie sich würgend.

»Ich … ich kann nicht mehr.«

Jake ging es genauso. Er war vollkommen erschöpft. »Lass uns eine Pause machen, dann …«

»Nein«, unterbrach sie ihn. »ICH KANN NICHT MEHR!« Und da verstand er. Amy war in jeder Hinsicht am Ende.

»Okay«, sagte er leise.

Was konnten sie jetzt tun? Es gab nur eine Sache.

»Amy?«

»Ja?«

»Wir müssen von der Straße runter.«

»Ich weiß.«

»Lass uns ein Hotel suchen.«

»Ist das nicht zu gefährlich?«

»Auf der Straße kriegen sie uns irgendwann. Die Bahnhöfe werden mit Sicherheit überwacht. Wir müssen erst einmal untertauchen, dann sehen wir weiter. Ich denke, wir sollten das mit dem Hotel riskieren.«

Er musste sich und Amy beruhigen, sie durften jetzt nicht die Nerven verlieren – auch wenn Jake innerlich beinahe explodierte.

»Ich habe höllischen Durst«, sagte Amy.

»Ich auch. Wie viel Geld hast du?«

Sie kramte in ihrer Hosentasche herum, zog ein paar zerknüllte Scheine hervor.

»Einhundertvierzig Dollar, und ich habe meine Kreditkarte dabei«, meinte sie nach dem Zählen.

»Die können wir nur benutzen, wenn wir sicher sind, dass sie uns nicht suchen.«

Jake selbst brachte es auf sechsundsiebzig Dollar. Keine Kreditkarte. Seine Mom hielt nichts davon, dass er in seinem Alter schon Schulden machen konnte.

»Das Zimmer können wir in bar zahlen. Morgen früh sehen wir weiter. Lass uns einen Laden finden, in dem wir etwas zu essen und trinken kaufen können.«

Amy blickte sich um. Mietshäuser mit schmierigen Wänden, die von Graffitis verunstaltet waren. Irgendwo in der Nacht bellte ein einsamer Hund. Es war wie in einem schlechten Horrorfilm.

»Das wird schwierig in dieser Gegend.«

Vier Blocks weiter fanden sie einen Supermarkt, der rund um die Uhr geöffnet hatte. Der Verkäufer, ein alter Mann mit dünnen, fettigen Haaren, saß hinter einem massiven Gitter und starrte auf einen kleinen flimmernden Fernseher. Daneben stand eine halb leere Flasche Whiskey der billigen Sorte.

Ohne vom Bildschirm aufzublicken, knurrte er: »Probiert erst gar nicht, was zu klauen. Ich hab ’ne Knarre.«

Jake beachtete ihn nicht und ging zu den gekühlten Getränken. Er schnappte sich eine Dose 7 Up, öffnete sie und hielt sie Amy hin, die gierig trank. Dann griff er sich eine Coke und leerte sie in einem Zug.

»Hey, nichts klauen, habe ich gesagt«, krächzte der Alte.

»Ich bezahle das, keine Sorge«, rief ihm Jake zu.

Neben den Softdrinks standen eingepackte Sandwiches. Amy griff nach Huhn mit Mayonnaise und einem mit Schinken-Käse, Jake nahm sich zweimal Pastrami. Sie packten noch eine große Flasche Wasser ein und gingen zur Kasse.

»Ihr seht scheiße aus«, meinte der Alte, als er die zerknitterten Scheine in die Kassenlade schob.

»Danke auch«, sagte Jake.

Als sie draußen vor dem Laden standen, fragte Amy: »Meinst du, er würde uns wiedererkennen?«

Jake schüttelte den Kopf. »Wir sind weit weg vom HFP-Tower, niemand wird ihn befragen, und selbst wenn, der Typ kam mir nicht so vor, als kümmere er sich um die Angelegenheiten anderer. Außerdem scheint er ein Säufer zu sein. Dem glaubt sowieso niemand.«

Die Worte beruhigten Amy offenbar, denn im Schein der Straßenlampe erkannte Jake, dass ihr Gesicht wieder etwas Farbe bekam.

»Dann suchen wir jetzt ein Hotel«, sagte Amy.

»Ja.«

Es dauerte eine Dreiviertelstunde, bevor eine flackernde Außenbeleuchtung sie zu einem vierstöckigen Gebäude führte. Das Haus sah nicht ganz so verkommen aus wie die Umgebung, aber vertrauenerweckend war es auch nicht. Hier würde man ihnen immerhin keine Fragen stellen. Nicht wissen wollen, warum man mitten in der Nacht ein Zimmer mietete.

Jake fasste nach Amys Hand und zog sie mit sich. Die Tür knarrte erbärmlich, als sie eintraten, aber zu ihrer Überraschung erwartete sie drinnen eine saubere Lobby mit Teppichboden und einer holzgeschnitzten Rezeption. Ein junger Mann sprang auf und legte sein Buch beiseite. Jake konnte sehen, dass es ein Fachbuch über Humanmedizin war. Der Typ war also ein Student, der sich mit der Nachtschicht etwas dazuverdiente. Jake betrachtete ihn.

Asiatische Abstammung. Offenes Gesicht, wirre schwarze Haare und ein freundliches Lächeln. Sein Geruch passte zu ihm. Jung, unbeschwert, aber vor allem menschlich.

»Wollt ihr ein Zimmer?«

Jake nickte. »Ist was frei?«

»Ja, nicht viel los. Bar oder mit Kreditkarte?«

»Bar.«

»Macht achtzig Dollar. Im Voraus.«

Amy kramte das Geld aus ihrer Tasche und legte es auf die Theke. Der Typ wandte sich um und fischte einen Schlüssel vom Bord.

»Zimmer neunzehn. Erster Stock. Den Gang runter bis ganz nach hinten.«

»Danke.«

»Habt ihr Gepäck? Ich kann euch beim Tragen helfen.«

Jake sah ihn stumm an.

»Okay, war nur eine Frage. Dann wünsche ich euch einen angenehmen Aufenthalt. Wenn ihr auscheckt, lasst den Schlüssel im Zimmer liegen.«

»Was denkst du?«, fragte Amy. »Hat er was gemerkt?«

Sie saß auf dem Bett, hatte die Knie angezogen und mit ihren Armen umschlungen. Das Zimmer war sauber, die Matratze überraschenderweise bequem. Selbst das Badezimmer machte einen passablen Eindruck. Sie hatten Glück gehabt.

»Mach dir keinen Kopf, wir sind bestimmt nicht das einzige Pärchen, das nach einer langen Nacht ein Zimmer braucht.«

»Er glaubt, wir sind zum Vögeln hergekommen?« Zum ersten Mal seit langem lächelte Amy wieder.

»Wahrscheinlich«, sagte Jake und grinste. »Und glaub mir, ich hätte es gerochen, wenn er misstrauisch geworden wäre. Hast du Hunger?«

Sie schüttelte den Kopf. »Komm zu mir.«

Jake setzte sich neben sie aufs Bett. Dann begann sie zu weinen. Sie warf sich an seine Schulter, und es gab kein Halten mehr. Jake hielt sie fest, während ihr Körper bebte. Ihm fielen keine tröstenden Worte ein, also sagte er nichts. Er selbst fühlte sich leer, erschöpft, konnte kaum noch denken.

Schließlich war es vorbei. Amy wurde ruhig, ihr Körper erschlaffte, dann war sie eingeschlafen. Jake schaltete die Nachttischlampe aus und schloss die Augen, ohne sie loszulassen.

Irgendwann wurde er wach, spürte, dass Amy ihn im Halbdunkel ansah.

»Was ist?«, fragte er leise.

»Küss mich«, sagte sie.

Er tat es, und es war, als wolle sie ihn verschlingen. Als sich Amy kurz von ihm löste, sah er Verzweiflung in ihren Augen. Sie zog ihren Pulli aus und schlüpfte aus dem BH.

»Schlaf mit mir«, verlangte sie.

»Amy, ich …«

»Es ist unsere letzte gemeinsame Nacht. Ich kann es spüren.«

Ihre Worte, ihre Angst machten ihn stumm.

»Schlaf mit mir«, sagte Amy erneut.

»Ja«, antwortete er.

Giovanella liebte den Geruch frischer Blumen über alles. Gelbe Rosen, sie konnte sie riechen, obwohl sie nicht zu sehen waren. Der Blumenstrauß stand höchstwahrscheinlich im Büro nebenan. Mit den gelben sollte man sorgsam umgehen, sie hatten eine besondere Bedeutung: Auch sie standen für Liebe. Eine Liebe, die zu Ende ging. Verzeih mir, ich habe dich geliebt, aber bitte lass mich gehen, waren die Worten, die Giovanella mit ihnen verband.

Eine eher traurige Etymologie, die aber den Genuss an diesem wunderbaren Duft nicht schmälerte. Sie lächelte. Sich an den unbedeutenden Dingen im Leben zu erfreuen, erachtete sie als Gabe, um in einer Stadt wie New York nicht zu verdorren. Das Leben von über vierzig Millionen Menschen, die hier mit- und gegeneinander kämpften, war für kaum jemanden ein Vergnügen. Sie sah in New York nur den Startpunkt für ihre Karriere, später hoffte sie, würde ihr die Welt auch an schöneren Orten zu Füßen liegen.

Giovanella verrichtete ihre Arbeit im Epizentrum der Eitelkeiten. Albert Floren, Sabrina Hanley, Baltasar Cooper & Partner, kurz CP, war die größte Kanzlei der Stadt und beste Adresse für High-Potentials wie sie. Collegeabsolventen mit Bestnoten, die sich ihre ersten Sporen verdienten. Aus der über zweihundert Jahre alten Historie von CP gingen eine Menge Bundesstaatsanwälte, Kongressabgeordnete, Richter, Senatoren, Minister und sogar der vorletzte Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika hervor.

»Giovanella, hast du kurz Zeit, mir zu helfen?«, fragte David, ein erfahrener Anwalt, Partner und ihr Vorgesetzter. Normalerweise sprach er nicht öfter als einmal in der Woche mit ihr.

»Natürlich …« Giovanella sprang auf. Sie hatte heute nur langweilige Fälle in den digitalen Archiven CPs kategorisiert, mit aktuellen Schlagworten versehen und auf die Mittagspause gewartet. »Ich komme!«

David ging zügig weiter, sie hastete ihm wie ein junger Hund hinterher. Es wäre eine willkommene Abwechslung, bei einem echten Fall zu helfen.

»Wir sitzen alle im Besprechungsraum … und brauchen deine Unterstützung.« David zeigte auf eine offene Flügeltür, hinter der zahlreiche ältere Kollegen angeregt diskutierten. Sie hatte noch nie bei einer wichtigen Besprechung dabei sein dürfen.

»Soll ich mir Notizen machen?« Das war klasse! Ob die mit ihr ein Thema aus ihrer Studienarbeit besprechen wollten? Sie hatte dafür sogar eine lobende Erwähnung in einem Fachmagazin für Anwälte bekommen. Oh, so ein Mist, ihr fiel ein, in der Hektik weder etwas zum Schreiben noch ihr Pad-System mitgenommen zu haben.

»Notizen?« David lächelte. »Nein, wir brauchen jemanden, der uns frischen Kaffee macht.«

»Für mich eine kleine Flasche O-Saft, bitte!«, rief jemand aus dem Raum.

»Gerne …«, zwang sie sich zu sagen, ohne die Fassung zu verlieren. Die Kaffeeküche war direkt nebenan, die konnte man sogar ohne Bestnoten am College bedienen.

Lehrjahre sind keine Herrenjahre, mit dem dämlichen Spruch im Kopf versuchte sie ihre Stimmung aufzuhellen. Es klappte nicht. Bei der Zubereitung stellte sie fest, dass jemand die letzte Kaffeekapsel, die für eine komplette Kanne gereicht hätte, verbraucht hatte.

Davids besonderes Hilfegesuch war also nicht der Tiefpunkt des Tages, nein, sie würde auch noch ins Lager gehen müssen und vor den Augen Dutzender Kollegen einen Karton Kapseln nach oben tragen. Auch der Mülleimer war völlig überfüllt. Sie zog die Tüte heraus und packte eine neue in den schicken Designerkübel aus Edelstahl.

Es half nichts, sich darüber zu ärgern, sie ging los. Durch den Korridor und zum Aufzug. Drücken und warten. Mit der vollen Mülltüte in der Hand. Die Zeit verlief in solchen Momenten besonders langsam. Die Türe des Aufzugs öffnete sich. Zwei Mandanten, ein älteres Ehepaar, fuhren augenscheinlich nach unten.

»Guten Tag.« Sie lächelte.

»Schön haben Sie es hier …«, sagte die ältere Dame.

»Ja, das stimmt.« Das Bürogebäude von CP war wirklich schick, daran lag es nicht, dass sie seit ihrem Start nur digitale Akten hatte sortieren dürfen. Sie dachte an die Tüte in ihrer Hand, zum Glück roch der Müll, der größtenteils aus verbrauchten Kaffeepads und leeren Zuckertütchen bestand, nicht.

»Junge Frau, es ist eine tolle Sache, bei der renommiertesten Kanzlei der Stadt ein Praktikum zu machen. Darauf können Sie stolz sein. Wollen Sie später auch Anwältin werden?«, fragte der ältere Herr charmant.

»Anwältin?« Giovanella glaubte, in diesem Moment ihre Zunge zu verschlucken. Wenn sie bereits über vierzig wäre, inklusive der erste Falten am Hintern, hätte sie sich vermutlich darüber gefreut, für jünger gehalten zu werden. Aber sie war bereits vierundzwanzig und eine in New York zugelassene Anwältin! Mit einem Examen, von dem andere träumten!

»Natürlich, oder wollen Sie nichts aus Ihrem Leben machen?«, fragte die Dame verständnisvoll.

»Sir, Sie haben recht. Es ist für junge Leute eine Riesenchance, hier sein zu dürfen.« Der Aufzug stoppte, und sie verließ mit einem gequälten Lächeln die Kabine. Sie war gerade in der Stimmung, aus dem Fenster zu springen.

Zuerst brachte Giovanella den Müll in den Sammelraum, dann holte sie aus dem Depot einen neuen Karton Kaffeepads. Auf dem Rückweg folgten ihr zahlreiche Augenpaare, die Männer sahen auf ihre Beine und die Frauen durch sie hindurch. Na ja, auch gut, von denen achtete niemand darauf, was sie auf den Armen trug.

»Nella!«, rief jemand durch den Flur. »Kaffeepads machen sexy … gehen wir heute Abend essen?«

»Nein.« Giovanella würde auch die nächste Nacht alleine in ihrem Apartment verbringen. Mit Kollegen gingen nur Idioten ins Bett.

»Bitte …«

»Vergiss es!«

»Schade!« Der männliche Kollege nahm es sportlich, er sah gut aus, er würde schnell jemanden finden, der ihn tröstete. Seine Kumpels lachten schäbig. Obwohl der Kerl mit ihr bei CP angefangen hatte, betreute er inzwischen bereits eigene Mandanten. Er besaß eindeutig das Arschloch-Gen, das ihr fehlte.

Giovanella hatte die Kaffee-Episode mit Bravour bestanden, es hätte nur noch gefehlt, von den Kollegen Trinkgeld zu bekommen. David hatte es aber nur bei einem »Danke schön« und einem verständnisvollen Lächeln belassen. Hätte sie sich an seiner Stelle anders verhalten? Also einen Rookie Kaffee kochen lassen? Sie wusste es nicht.

David stand erneut in ihrer Tür. Sein Büro lag auf der gleichen Etage. Bitte nicht wieder ein Kellnerjob, dachte sie noch und wünschte sich, wenigstens einmal im Leben ernst genommen zu werden. »Sabrina will dich sprechen.«

»Jetzt?«

Er nickte und ging sofort weiter. Damit hätte sie jetzt nicht gerechnet.

Giovanella fuhr mit dem Aufzug ganz nach oben. Sabrina Hanley, Seniorpartner, dreiundfünfzig Jahre alt und eine der renommiertesten Juristinnen im ganzen Land. Im Aufzug sah Giovanella in den Spiegel, zupfte sich die schulterlangen braunen Haare zurecht und setzte ein möglichst gewinnendes Lächeln auf. Sie hatte keine Ahnung, was die Seniorpartnerin von ihr wollte.

Giovanella war Amerikanerin mit einem europäischen Herz. Ihre beiden älteren Brüder lebten in Italien, einer war Lehrer, der andere Arzt. Es gab Geld in der Familie, das sie weder früher noch heute haben wollte. Das Studium in den Staaten hatte sie selbst finanziert.

Der Aufzug öffnete sich. Sabrinas Sekretär öffnete ihr die Tür zu ihrem Büro. Der Typ sah klasse aus. Ihre Chefin hatte einen guten Geschmack.

»Giovanella!« Sabrina kam ihr entgegen und nahm sie in den Arm. Obwohl sie als Seniorpartner in der Brache einen knochenharten Ruf hatte, war ihre Chefin keineswegs schroff und schon gar nicht geldgierig. Sabrina hatte Giovanella letztes Jahr auch eingestellt.

»Hallo.« Giovanella fühlte sich aber trotzdem unwohl. »Was kann ich für Sie tun?«

»Setz dich erst mal …« Sabrina lächelte. »Möchtest du etwas trinken?«

»Ein Kaffee wäre nett …« Der schmeckte bei Sabrina, die eine eigene Kaffeemaschine im Büro stehen hatte, besonders gut. Sprachgesteuert mit Speicher, die Maschine wusste noch genau, wie Giovanella ihren Kaffee mochte.

»Bitte.« Sabrina setzte sich einen Moment später mit den beiden Tassen zu ihr. Hinter ihr an der Wand hing ein von Schulkindern mit Fingerfarbe gemaltes Bild. Die Zukunft liegt in den Händen unserer Kinder. Human Future Project.

Giovanella wusste, dass es ihrer Chefin wichtig war, zu helfen. CP spendete Millionen für HFP. Mehr noch, Sabrina saß sogar im Beirat der weltweiten Hilfsorganisation, die ebenfalls Mandanten von CP waren. Pro bono publico, zum Wohle der Allgemeinheit, CP nahm nicht einen Dollar für die professionelle juristische Beratung der Hilfsorganisation, mit der allein in New York eine ganze Abteilung beschäftigt war.

»Ich bin mit deiner Entwicklung sehr zufrieden«, lobte Sabrina sie. »Du zeigst Talent!«

»Danke.« Giovanella hatte keine Ahnung, womit sie sich das Lob verdient hatte. Als beste Aktensortiererin der Firma sicherlich nicht.

»Es ist Zeit für neue Aufgaben«, erklärte Sabrina mit einem für Giovanella nicht zu fassenden Unterton. Was ging denn jetzt ab?

»Ja …« War das eine Feststellung oder eine Ankündigung? Das war verwirrend.

»Auch wenn es ungewöhnlich ist … Leute fragen nach dir, erst heute wieder«, sagte Sabrina und strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. Sie waren ähnlich groß und ähnlich proportioniert. Für dreiundfünfzig hatte ihre Chefin eine sehr gute Figur und verstand es zudem, sich stets vorteilhaft zu kleiden.

Giovanella lächelte unsicher. In Gedanken suchte sie bereits den Raum ab, nicht dass dort gleich Kollegen hervorsprangen, um sie auszulachen.

»Es gibt Mandanten, die von dir vertreten werden wollen. Ich habe gar keine andere Chance, als dich zu befördern. David hat sich schon beschwert, seine beste Assistentin zu verlieren … nein, er ist stolz auf dich.«

»Oh …« Giovanella suchte bei der ganzen Bauchpinselei die richtigen Worte. Die Vorstellung, dass David sie vermissen würde, gefiel ihr.

»Ich denke aber, dass ich unseren Firmennachwuchs nicht unter Preis verkaufen sollte.« Sabrina lächelte. Bei ihr sollte man jedes Wort ernst nehmen.

»Natürlich … wer möchte mich haben?« Bereits während Giovanella die Frage stellte, bemerkte sie ihre ungünstige Wortwahl.

»Genau das ist der Clou!«

»Aha …« Das wurde immer skurriler. Wie sollte sie das denn jetzt bitte verstehen?

»Ich habe jemand Besonderen für dich. Das Mandat wird dir gefallen.«

»Um was geht es?« Giovanella wollte dieses unpassende Bild loswerden, an den meistbietenden Freier verkauft zu werden.

»Das weiß ich ehrlich gesagt nicht genau. Aber du wirst diesen Fall leiten!«

»Okay …« Giovanella suchte noch nach der Pointe. »Und was ist besonders an der Anfrage?«

»Es ist die Person, die sie gestellt hat. Ein neuer Kunde. Ein sehr, sehr interessanter Kunde. Ein Europäer, er spricht Italienisch, du wirst dich gut mit ihm verstehen.«

Als sie am nächsten Morgen erwachten, waren sie still und sprachen nicht miteinander. Amy ging schweigend ins Badezimmer und duschte, während Jake auf dem Bett saß und sein Gesicht in den Händen vergrub.

Dass sie letzte Nacht nach all den Ereignissen miteinander geschlafen hatten, erschien ihm unwirklich und nicht mehr nachvollziehbar. Es war reine Verzweiflung gewesen, so als wollten sie sich aneinander festklammern, um sich nicht gehen lassen zu müssen. So als versuche jeder, im anderen zu ertrinken. Beide hatten es gespürt, ohne es auszusprechen. Sie mussten sich trennen. Amy musste gehen. Es war zu gefährlich zusammenzubleiben.

Jake war nach kurzem unruhigem Schlaf vor Amy aufgewacht und hatte mit geschlossenen Augen darüber nachgedacht, was er tun konnte. Welche Möglichkeiten sie hatten. Die Antwort war simpel. Keine.

Der Sender war intakt geblieben, hatte sein Signal ins All abgestrahlt, daran gab es keinen Zweifel. Für wen auch immer dieses Signal gedacht war, er wusste jetzt, dass alles für seine Ankunft bereit war.

Jake dachte über die Fremden nach, die kommen würden, um seine Welt zu erobern. Wer waren sie?

Bisher wussten nur Wenige von der außerirdischen Bedrohung, den Aliens, die bislang lediglich in Form von intelligenten Viren aufgetreten waren, die das Bewusstsein der Menschen veränderten. Ein weltweites »Humanforming« fand statt. Die Aliens wollten die Körper der Menschen übernehmen und bereiteten sie durch Viren oder genetische Veränderungen darauf vor, ihnen als Wirt zu dienen.

Die Menschheit war in ihrer Existenz bedroht, und er hatte versagt.

Sein Kumpel William, Lee und wahrscheinlich auch Skagen waren tot, Robertson verschwunden. Amy und er befanden sich auf der Flucht. Besonders Lees Tod war eine Katastrophe, da sie in der Zukunft als Einzige einem Alien direkt gegenübergestanden hatte und wusste, wie sich die Invasion in den nächsten einhundert Jahren entwickeln würde.

Die wenigen Informationen, die sie ihm vor ihrem Tod gegeben hatte, brachten zwar etwas Licht ins Dunkel, reichten aber bei Weitem nicht aus, den Kampf gegen die Aliens fortzuführen.

Im trüben Licht des Morgens, das durch die Vorhänge hereinfiel, starrte Jake auf seine Hände, so als hätten sie eine Antwort auf die Frage, was er jetzt tun sollte. Zwei Minuten lang saß er regungslos da, dann hob Jake den Kopf und blickte auf die matte Scheibe des Fernsehers, der auf einer Kommode gegenüber dem Bett stand. Er griff zum Nachttisch neben sich und nahm die Fernbedienung in die Hand. Flimmernd erwachte der Kasten zum Leben. Irgendeine Kochsendung. Rechts oben im Bildschirm konnte man die aktuelle Uhrzeit ablesen. 6:43 Uhr. Wer zum Teufel zog sich um diese Zeit eine Sendung übers Kochen rein? Jake schaltete weiter.

Sport.

Weiter.

Beim sechsten Sender wurde er fündig.

Nachrichten.

Es wurden Bilder einer Militärparade in Nordkorea gezeigt. Stramm marschierende Soldaten, Mittelstreckenraketen auf mobilen Abschussrampen und jubelnde Zuschauermassen füllten den Fernsehschirm, aber Jake beachtete sie nicht. Sein Blick wurde vom Nachrichtenticker angezogen, der unten am Bildschirmrand lief.

+++ Terroranschlag in New York +++ Heftige Explosion in der HFP-Zentrale +++ Mehrere Tote bei anschließendem Schusswechsel +++ Ein Polizist tot +++ Drei Terroristen erschossen +++

Jake stöhnte auf. Hinter ihm kam Amy aus dem Bad, sie trat zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. Ihre Haare waren nass, es tropfte auf den Teppichboden. Um den Körper hatte sie sich ein großes weißes Badetuch geschlungen. Der Geruch ihrer Haut und der des Duschgels erfüllte plötzlich seine Sinne, aber er schüttelte ihn ab.

Noch bevor Amy etwas sagen konnte, wechselte die Berichterstattung im Fernseher. Der Moderator, ein Mann in den Fünfzigern mit grauen Haaren, unnatürlich glatten Gesichtszügen und einer Sonnenbräune, die nicht zu New York passte, wurde eingeblendet. Neben sich einen offenen Laptop, in den Händen ein Blatt Papier, von dem er mit ruhiger Stimme die Vorkommnisse der letzten Nacht ablas.

Im Hintergrund war derweil ein Bild des qualmenden HFP-Gebäudes zu sehen. Der Fotograf hatte das Ganze etwas in Szene gesetzt, damit die Sache an die Anschläge des 11. September 2001 erinnerte, obwohl es kaum sichtbare Beschädigungen gab.

Während der Mann davon berichtete, dass eine Gruppe Terroristen einen Sprengstoffanschlag auf die Zentrale der bekannten Wohltätigkeitsorganisation verübt hatte, wurde das Bild im Hintergrund durch Personenaufnahmen ausgewechselt.

Es erschienen Schwarz-Weiß-Fotos von William, Robertson und Lee Hastings. Bei Robertson und William hatte man die Aufnahmen ihrer Ausweise verwendet, Lees Foto hingegen zeigte das verzerrte Antlitz einer toten Frau.

Jake überkam ein Würgen, und er stürzte ins Bad, um sich zu übergeben.

Lange kniete er vor der Porzellanschüssel und erbrach sich, bis nur noch bitterer Magensaft aufstieg. Als er wieder aufstand, waren seine Knie steif. Jake taumelte zum Waschbecken, öffnete den Wasserhahn und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Langsam wurde es besser, und er bekam wieder Luft. Er keuchte.

Amy stand noch immer da, wo sie gestanden hatte, als er aus dem Zimmer gestürzt war, und starrte auf den Fernseher, wo inzwischen eine Reporterin live vom Ort des Geschehens berichtete.

»Robertson wurde erschossen, als er versucht hat, ins Gebäude einzudringen«, sagte sie tonlos. »Es heißt, er wäre direkt durch den Haupteingang gegangen und habe immer wieder einen unbekannten Namen gebrüllt.«

Serena.

»Sie haben ihn aufgefordert, die Waffe in seiner Hand fallen zu lassen. Eine Überwachungskamera in der Lobby hat alles gefilmt.« Sie sah ihn an. Tränen schwammen in ihren Augen. »Jake, er hat direkt in die Kamera gesehen und den Kopf geschüttelt. Es gab keinen Ton, aber ich schwöre, dass er ›Fickt euch‹ gesagt hat. Sie haben ihn niedergeschossen. Wie einen tollwütigen Hund.«

Diesmal warf sie sich nicht in seine Arme, und das machte ihm Angst. Eine einzelne Träne lief unbeachtet über ihr Gesicht, während sie ihn verzweifelt anschaute.

Jake schluckte schwer. Was sollte er ihr sagen? Wie sie trösten? In nicht einmal zwölf Stunden hatten sie drei Menschen sterben sehen. Es gab keine Worte, die das wegwischen konnten. Jake senkte den Kopf, um sie nicht ansehen zu müssen. Amy wandte sich ab.

Sie drückte einen Knopf auf der Fernbedienung, und die Stimme der Reporterin erfüllte den Raum.

»In der Nähe des Anschlagortes kam es zu einem Schusswechsel mit der Polizei, in dessen Verlauf eine unbekannte Frau Anfang dreißig erschossen und ein Siebzehnjähriger verhaftet wurde.«

Fotos von Skagen und der toten Lee wurden eingeblendet. Lee lag wie eine zerbrochene Puppe auf dem Asphalt, die leer geschossene Maschinenpistole noch immer in den Händen. Skagen blickte wütend in die Kamera, das Gesicht verzerrt.

»Die Ermittlungsbehörden sehen einen konkreten Zusammenhang zwischen beiden Taten, da die Frau und ihr junger Begleiter unvermittelt das Feuer auf zwei Beamte der New Yorker Polizei eröffneten, die sich an die Verfolgung der Attentäter gemacht hatten. Im Verlauf der Auseinandersetzung wurde die Frau mehrfach getroffen und verstarb noch am Tatort. Ihr Begleiter wurde überwältigt, nachdem er einen der beiden Beamten angeschossen und schwer verwundet hatte. Über die Identität des Mannes gibt es noch keine Auskunft, aber wie uns mitgeteilt wurde, wird er noch heute dem Haftrichter vorgeführt.«

Die Frau holte Luft.

»Man geht in Ermittlerkreisen inzwischen davon aus, dass es weitere Attentäter gibt, denn die Kamera einer Verkehrsüberwachung hat kurz nach dem Schusswechsel zwei Personen aufgenommen, die vom Tatort fliehen.«

Eine grobkörnige, leicht verwaschene Aufnahme in Schwarz-Weiß erschien auf dem Bildschirm. Jake zuckte zusammen. Während Amy nur als vager Schemen in der Dunkelheit auszumachen war, konnte man sein Gesicht deutlich erkennen.

»Bei einer der Personen handelt es sich um den siebzehnjährigen Jake Merdon aus Vernon Hill, Illinois. Die Behörden haben seine Identität im Zusammenhang mit dem Tod von Michael Robertson ermittelt, der kurz nach dem Anschlag im HFP-Gebäude erschossen wurde. Bei den beiden Personen handelt es sich um Schüler der örtlichen Highschool.« Ein Archivfoto der Vernon High wurde eingeblendet. »Warum zwei bisher unauffällige Jugendliche an einer derartig schweren Straftat beteiligt waren, ist nicht bekannt. Ebenso wenig, welche Rolle der dritte Täter, der gleichaltrige William Harrisson, bei dem Anschlag gespielt hat. William Harrisson stammt aus der gleichen Stadt wie Merdon und Robertson und gilt als vermutlicher Kopf der Terrorgruppe, da bei ihm konkrete Anschlagspläne und eine große Menge Sprengstoff gefunden wurden.«

Die Aufnahme der Überwachungskamera wurde so stark vergrößert, bis sie den kompletten Bildschirm ausfüllte.

»Nach Jake Merdon wird gefahndet, ebenso nach der Person, die ihn zur Tatzeit begleitet hat.«

Es folgte eine Beschreibung der Kleidung beider Verdächtiger, die im Wesentlichen nichts aussagte und praktisch auf jeden Jugendlichen in New York City zutraf. Jeans, Turnschuhe, dunkler Hoodie. Dann kam der Aufruf an die Bevölkerung nach sachdienlichen Hinweisen und die Warnung, dass die Attentäter höchstwahrscheinlich bewaffnet und gefährlich waren.

Als der Bildschirm zu einem weiteren Ereignis der letzten Nacht wechselte, schaltete Jake den Fernseher aus und warf die Fernbedienung aufs Bett. Amy sah ihn stumm an. Ihre Lippen bebten.

Eine Minute verging.

»Sie wissen nichts von dir«, sagte Jake. »Offiziell gibt es keine Verbindung zu mir oder den anderen. Dass wir uns ein paarmal getroffen haben, weiß niemand, und dass du letzte Nacht dabei warst, auch nicht.«

»Was willst du mir damit sagen?«, fragte Amy.

»Du musst zurück nach Vernon Hill. Sofort. Bevor deine Eltern nach dir suchen und die Polizei einschalten. Ruf sie nachher an. Sie denken, du hast die Nacht bei einer Freundin verbracht. Sag ihnen, dass du auch den Tag mit ihr verbringen willst und erst gegen Abend heimkommst. Du nimmst den Zug nach Chicago, von dort den Bus oder einen Regionalzug nach Hause. Wenn du gleich aufbrichst, bist du rechtzeitig zurück, und niemand schöpft Verdacht.«

Amys Augen waren weit aufgerissen. Tränen schwammen darin.

»Ich kann doch nicht …«

»Doch«, sagte Jake hart, dann versuchte er sich an einem Lächeln, wusste aber nicht, ob es Amy beruhigte, also nahm er sie in den Arm. »Die Sache hier ist vorbei. Wir haben versagt. Alles, was geschehen soll, wird geschehen, wir können nichts mehr tun.«

»Wir könnten die Öffentlichkeit aufklären«, widersprach Amy heftig. »Erzählen, was wir herausgefunden haben. Irgendjemand wird uns zuhören.«

»Nein, wir sind gesuchte Terroristen, niemand wird uns glauben. Im besten Fall hält man uns für verwirrte Spinner, aber auch das hilft uns nicht. Das Einzige, was wir tun können, ist, uns zu trennen. Ich werde untertauchen. New York ist groß genug, um sich darin zu verstecken. Wie es für mich weitergeht, weiß ich nicht, aber ich will, dass du dein Leben zurückbekommst. Ich hätte dich niemals in diese Sache hineinziehen dürfen.«

»Das hast du nicht. Es war meine freie Entscheidung. Ich habe es für meinen Bruder getan.«

»Und um ihn geht es auch weiterhin. Du musst zurück nach Hause, versuchen, ihn aus Serenas Einfluss zu befreien. Dein Kampf ist noch nicht vorüber.«

Amy presste sich an ihn. »Ich kann es nicht … ich kann dich nicht allein lassen.«

»Doch, Amy, wenn du etwas für mich empfindest, dann musst du genau das tun. Nur allein habe ich eine Chance. Wenn du bleibst, wird alles noch viel schwieriger«, log er. »Deine Eltern werden nach dir suchen lassen, und zwei gesuchte Personen sind viel auffälliger als eine allein, das verstehst du doch, oder?«

»Du willst mich loswerden, das …«

Nein, ich möchte dich für immer festhalten.

»Amy, red keinen Unsinn. Es muss sein. Wenn du nicht willst, dass wir beide ins Gefängnis kommen, dann musst du von hier verschwinden.«

»Jake!«, schrie sie auf. Ihre Stimme war voller Schmerz, brannte sich in sein Herz, aber er schob sie von sich. Es ging nicht anders.

»Du musst los. Jetzt. Nimm kein Taxi. Geh einige Blocks weit, dann fahr mit einem Bus zur Grand Central Station.« Er kramte in seiner Hosentasche und zog zerknitterte Dollarscheine hervor. »Das sollte für die Fahrkarte reichen, wenn nicht, musst du dir etwas einfallen lassen. Auf keinen Fall darfst du mit deiner Kreditkarte bezahlen. Wir dürfen keine Spuren hinterlassen.«

Sie schluchzte.

Jake fasste nach ihren Schultern, zwang sie aufzuschauen und ihm in die Augen zu blicken. »Amy, hast du das verstanden?«

»Ja«, sagte sie leise.

»Ich bitte dich darum. Tu es für mich.«

»Ja.«

»Ich rufe dich an.«

Eine weitere Lüge.

Sein Smartphone war ausgeschaltet, sodass man es nicht orten konnte. Er durfte es nicht mehr benutzen, so viel war klar.

Amy sagte nichts mehr, zog sich stumm an. Als sie fertig vor ihm stand, weinte sie. Jake drückte sie fest an sich, nur für einen Moment. Obwohl er sich nichts mehr wünschte, als sie niemals wieder loszulassen, löste er sich von ihr.

»Pass auf dich auf.«

»Und du auf dich«, flüsterte Amy zurück.

Dann ging sie.

Als sich die Tür hinter ihr schloss, sank Jake auf dem Bett zusammen.

Und weinte.

Um Amy.

Um sich.

Um all die Toten.

Um das Leben, das er niemals leben würde.